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Tapu-Blüten
Tapu-Blüten
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eBook392 Seiten4 Stunden

Tapu-Blüten

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Über dieses E-Book

Der erfolgreiche neuseeländische Farmer Alejandro wagt einen Bushwalk im Urwald Neuseelands. Auch wenn dies für ihn nicht das erste Mal ist, geht er verloren. Er fällt in die Hände einer längst verschollenen einheimischen Bevölkerung, die über 100 Kilometer durch dichten Urwald entfernt von unserer Zivilisation ein einmaliges Dasein fristet. Alejandro lernt den Wert des Lebens und den Reichtum ihrer Kultur und ihrer unbeschreiblichen Gastfreundschaft auf eine ganz besondere Art kennen. Dass er dabei die Geschichte seines Lebens - in Begleitung wirklich starker Frauen - neu schreibt, ist ihm jedoch kaum bewusst. Alejandro verliebt sich in Natur und Volk, integriert sich ein zweites Mal im gleichen Land - in eine neue, aber viel bessere, freundlichere Welt. Der Konflikt zwischen seiner alten, erfolgsorientierten Gesellschaft und dem neuen, menschlicheren Clan-Leben, treibt ihn unweigerlich zur Gewalt, um seine neue Familie zu erhalten. Er ist überzeugt, dies lohnt sich.
SpracheDeutsch
Herausgebernovum pro Verlag
Erscheinungsdatum5. März 2015
ISBN9783990386446
Tapu-Blüten

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    Buchvorschau

    Tapu-Blüten - alejandro RAO

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    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

    Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

    © 2015 novum Verlag

    ISBN Printausgabe: 978-3-99038-643-9

    ISBN e-book: 978-3-99038-644-6

    Lektorat: Susanne Schilp

    Umschlagfoto: alejandro RAO, Punga - ein Baum-Farn

    Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

    www.novumverlag.com

    Widmung

    Dieses Buch ist allen gewidmet,

    die in ihrem Lesen die Ruhe, das Langsame,

    eine eigene Zeit oder die Welt

    ihrer blühenden Fantasie zu finden suchen.

    Ich wünsche jedem in unserer heutigen hektischen Zeit

    diese Rückzugs-Möglichkeit.

    Langsam, langsam! – Bedächtiger!!!

    Das Genießen braucht Zeit und Ruhe.

    Ein gutes Glas Wein, ein paar flackernde Kerzen,

    sind wärmstens empfohlen.

    Genuss darf durchaus auch heute noch zelebriert werden.

    Gesuchte Einsamkeit kann ein sehr wertvolles Ventil sein.

    Einer der wenigen Orte oder Momente, an welchem Egoismus

    immer anständig oder gesund bleibt.

    Nur jeder Einzelne kann seinen Erfolg

    dabei für sich selbst am besten beurteilen.

    Die Gesellschaft hat nicht immer recht.

    Es geht eben auch noch anders!

    Maori-Lebensweisheit

    Jegliche Art der Bevormundung,

    sei diese noch so Geschenk verpackt,

    greift meine Zuversicht,

    meine Unabhängigkeit an.

    Ich habe Grund mich zu verteidigen,

    um meine Eigenverantwortung zu bewahren.

    Maori-Lebensweisheit

    Einführung

    Lieber Leser, liebe Leserin,

    wenn Neuseeland oder die Südsee dich je einmal interessiert hat, dieses Paradies je einmal deine Neugier weckte, dann wird es wichtig sein, sich über das „Wieso oder das „Warum doch einige Gedanken zu machen.

    2000 Jahre Arbeit und Weisheit der Polynesier hat dies gebraucht.

    Und trotzdem ist es bis heute eine feine Balance, die man pflegen muss, um dieses Paradies zu erhalten.

    Wir wollen hierbei auch nicht vergessen, dass unanständige amerikanische und französische Atom-Tests in der Südsee, dies beinahe sabotierten, und der Anschlag auf die „Rainbow Warrior durch eine sogenannte zivilisierte „GrandNation – sollte man heute sicher nur noch klein schreiben – für alle Südsee-Bewohner nur kleine Unterschiede zwischen unseren Freunden und Terroristen erkennen lässt.

    Das beschämende Kolonialzeitalter ist auch in der neuseeländischen Literatur nun doch endlich auch eher vorbei. Ich lebe heute & hier in einem modernen Paradies.

    Im fernen Land des „America-Cup-Siegers, der „Mount-Everest-Besteigung als allererster Mensch, oder der „awesome Mighty AllBlacks, im Land der „Kiwi, ist wahrscheinlich der famose Pioniergeist, auch nicht mehr vorhanden wie damals. Trotzdem kann dieses Land immer noch als Abenteuer erlebt oder als Vorbild gesehen werden.

    Im faszinierenden Land der „Herr der Ringe oder der „Hobbit-Filme gibt es gleichzeitig durchaus auch ein sehr modernes Leben.

    Wenn Sie uns besuchen wollen, sollten Sie von uns etwas wissen. Auch nur ein klein wenig Wissen über uns erhöht den Genuss des Besuches. Das Leben ist hier am schönsten Ende der Welt, in der Südsee, noch etwas langsamer, bedächtiger und vielleicht menschlicher als sonst wo.

    Auch ich danke AOTEAROA heute noch für das überaus herzliche Willkommen. Hier Ausländer sein zu dürfen, ist bis in die heutigen hektischen Tage, im südlichen Pazifik, in diesem wunderbaren Land, ein echt außergewöhnliches Privileg. Nicht viele Länder dürfen dies heute noch von sich behaupten.

    Wer sind wir?

    Sir Edmund Hillary ist nicht Dame Kiri Te Kanawa. John Walker wird niemals Te Kooti sein. Dame Whina Cooper ist nicht Billy T. James. John Rowles kann nicht Peter Jackson werden.

    Und ich bin kein Maori.

    Vielleicht leider!?!

    Es braucht eben alle Kiwis, um dieses Neuseeland zu sein.

    Vor allem braucht es auch Respekt, Anstand und Demut, um dies bleiben zu dürfen.

    Ein gesundes Volk von glücklichen Individualisten lebt hier, welches sich gegen eine Bevormundung jeglicher Art aufbäumt. Aber ich kenne auch kein Volk, welches sich besser oder überzeugender für sein Land einsetzt, wenn man dies verteidigen müsste. Ihre Hilfe in den Welt-Kriegen war ja auch nur zum Üben für den Notfall.

    Ich weiß, sie haben gute Gründe.

    Sie verteidigen ja auch nur das Paradies.

    Nuklearfrei! – Saubere Luft und reines Wasser!! – Die Südsee als privater Vorgarten vor der Türe!! – Sehr großzügige Nationalparks für die ansässige Bevölkerung!!! – Gesunde frische Nahrung aus eigener Produktion in großem Überfluss!!! – Eine sich sehr zurückhaltende Politik!!! – Diese Liste ist noch unvollständig, doch schon echt großartig!

    Gott sei Dank, es gibt Tapu in „God’s own"!

    *

    1

    Das weite, sanft rollende Land vor meinen Augen ist mein eigener Grund und Boden. Es waren meine neuen Wurzeln als Ausländer. Dies war nun auch nach meiner Scheidung die Quelle meiner inneren Ruhe geworden. Der gepflegte, unkrautfreie, grüne Teppich mit den vielen verstreuten Bauminseln entsprach in meinen Augen auch dem, was dieses sehr schöne Land als produzierende Farm darstellen sollte.

    Wer hätte je glauben wollen, als meine sterblichen Reste viele Jahre später hier, auf dem kleinen Hügel zur Linken mit der alten Eiche, noch einmal ausgegraben wurden, dass dies meiner neuen Gerechtigkeit entspricht? Ich selber hätte mir meine Zukunft niemals auch nur annähernd so ausmalen können. Dazu war es viel zu aufwühlend. Ich sah mich selbst als vermeintlich braven Bürger; ein im Allgemeinen recht unauffälliges Mitglied unserer Gesellschaft. Nie hätte ich mir denken können, wie dehnbar Begriffe wie Justiz und Recht sich für einen Einzelnen verändern können. Die eigene „Heimat" verteidigen, leitet immer unsere Wege?

    Ich habe einen Ausflug geplant. Es ist echt schiefgelaufen.

    Es war wirklich kein gemütliches Spazieren. Mit Sicherheit war dies auch kein Marschieren. Das Bewegen war vielmehr ein schleichendes Fortbewegen, ein Verschmelzen in der Umgebung, ein ständiges Sichern, ein vorsichtiges, ein ständiges Vorausspähen, Einssein mit dem Urwald. Ein beinahe animalisch integrierter Teil davon. Die grazilen Bewegungen waren auffällig.

    Noch beeindruckender wurde dies aber, wenn diese stoppten. Ein plötzliches Einblenden, die totale Camouflage mit dem indigenen Busch, Einswerden mit dem neuseeländischen Urwald, das war beunruhigend.

    Wie vom Erdboden verschwunden, ergab erst wieder eine erneute Bewegung eine oft nur schemenhafte Silhouette einer Anwesenheit. Ein schwarzer Panther in der südamerikanischen Pampa, ein gefleckter Gepard in der afrikanischen Steppe hätten dies nicht besser machen können. Ich konnte nicht ahnen, dass dies einmal zu meinem Leben gehören sollte.

    Das fremde braune Mädchen war ein Teil ihres Urwalds.

    Das verschwindende Unsichtbare, so vollkommen in ihre natürliche Umgebung Eingeblendete, machte es fraglich. Das lautlose Barfuß zweifelte an ihrer Anwesenheit. So gutes Verstecken machte nervös. Staunte, wenn meine eigene Fortbewegung dagegen im Vergleich, in den ledernen „Boots", den schweren hohen Wanderschuhen, von sogenannten erfahrenen Experten in der Regel vorgeschlagen, wärmstens empfohlen für solche Ausflüge, daneben so viel Lärm verursachten. Sie war vollkommen integriert.

    Das Gefühl wuchs von „da draußen und „hier drinnen. Urwald bedeutete für mich nach wie vor Unsicherheit und Verlorensein. Nur nicht die Orientierung verlieren. Für diese ausdauernde Fremde diente er hingegen als protektiver Mantel, als willkommenes Versteck, als „ihre" Kulisse auch, die sie ernährte und schützte. Sie besaß alle Vorteile. Für übermütige Europäer, auch buschtaugliche Beispiele, wie ich glaubte einer zu sein, ist dieser Urwald voller Gefahren und Ängste. Mindestens großer Respekt wurde uns abverlangt.

    Es war eine gesetzlose, abgeschiedene Region.

    Für das energische Mädchen hingegen war es ganz offensichtlich einfach ein sehr großzügiger Selbstbedienungsladen. Meine eigenen Erfahrungen wurden hier mit jedem Augenblick demütigender.

    Der Volksmund sagt, es gibt im neuseeländischen Urwald keine giftigen Tiere, menschenfeindliche Karnivoren oder Pflanzen. Das ist vielleicht sogar richtig. Es gibt aber durchaus Gefahren. Rinde von Bäumen, welche die Haut empfindlich juckte und ätzte, schlimmer als jede Nessel in Europa. Bienen, Wespen, Hummeln, auch Hornissen, aggressiver und unerbittlicher als gewohnt, welche auch, wenn sie zahlreich genug angreifen, doch sehr gefährlich werden konnten. Unauffällige Spinnen, welche schmerzhaft zubeißen können, machen für Eindringlinge, Vorsicht gut beraten. Immer gibt es die Gefahr von Unfällen, Brüchen oder Ausrenkungen. Erdrutsche oder reißende Flüsse konnten blockieren, den Rückzug abschneiden. Nicht gefunden oder erreicht werden zu können, machte jede Kleinigkeit rasch für Europäer zur Katastrophe. Hier war der „große weiße Jäger" fehl am Platz. Es alleine dann noch zu schaffen, wurde schnell problematisch, bis aussichtslos.

    Sich sicher zu fühlen, wird eine Falle. Ein Trugschluss der, wie sich zeigen sollte, rasch gefährliche Ausmaße annehmen konnte. Ich hatte es zum x-ten Male alleine gewagt. Zuversicht oder Leichtsinn verschwimmen rasch miteinander, wenn das Schicksal zuschlägt. Wer war sie? Von wo war sie so plötzlich erschienen? In dieser unendlichen Weite des endlosen Grün, wie konnte diese junge Frau mich finden? Trampelte ich wirklich so unbeholfen in ihrer Welt herum? Wusste sie, dass ich mich verlaufen hatte?

    „Wirst du mir helfen können? – oder vielleicht wollen?"

    Es schien ihr keiner Antwort würdig zu sein.

    Im Augenblick scheint ihr mein Überlebenswille in die Hände zu spielen. Vertrauen, ohne irgendwie kommunizieren zu können, wird unter einem gewissen Druck empfehlenswert. Sie spricht nichts Verständliches. Ihre Fingerzeichen stellen Hilfe in Aussicht. Sicher bin ich mir nicht. Früher waren einige dieser einheimischen Bevölkerungen noch Kannibalen. Hungrig sieht sie nicht aus.

    Galgenhumor, als meine Krücke.

    Sie und ihre Umgebung muss ich als schaurig-schön beschreiben. Wie die glühende Lava einer vulkanischen Eruption; das Auge konnte sich täuschen. Wie die Schlammbecken der dampfenden Geiser weiter nördlich, wurde das Risiko oft mit betörender Schönheit und Faszination geschminkt. Die tödliche Gefahr aber bleibt trotzdem.

    Das satte „Grün in Grün" des Urwalds hat ja eigentlich etwas Beruhigendes. Diese sich verlierende Weite, das scheinbar Endlose, dieses schon bald sehr Unübersichtliche macht aber angespannt und nervös. Gehen wir nicht in die falsche Richtung? Nicht zu trauen, ist gesünder; das richtige, hoffentlich das bessere Werkzeug zum Überleben. Panik ist hier das Tor zur Hölle. Das wie Schwämme vollgesogene Unterholz, Moose, Farne, dazu ein regelrechtes Wirrwarr von unkooperativen Schlingpflanzen, vermischt mit dem faulenden Humus, sieht ja weich und bequem aus, bis man auf dem seifig-glitschigen Teppich den Halt verliert. Wie die mit Algen bedeckten Steine in den vielen Flüssen sollte man nicht dem ersten Eindruck vertrauen wollen. Dieses trügerische Aussehen wird schnell zur Falle. Die Gefahr ist überall imminent. Wieso nicht bei ihr? Sie gehört doch dazu?

    Ihre Hand deutet wortlos zwei Wellen an. Waren es zwei Hügel? Oder zwei Berge? Im Augenblick geht es nur „gäch" – richtig steil – abwärts. So steil, dass ein direkter Weg unmöglich ist. Schlangenbewegungen reduzieren die Gefahr. Bäume und Sträucher müssen herhalten, um einen brauchbaren Halt zu finden. Reißen sich aber durch Hände. Eine Pause wäre gut? Was treibt sie an, dieses höllische Tempo einzuschlagen? Ich bin müde! Verdammt!?

    „Wohin führst du mich?"

    Sie bleibt mir nicht ganz unerwartet auch diese Antwort schuldig.

    Unser Weg dauert Stunden. Für mich ist es Schwerstarbeit. Nach kaum knapp 10 Minuten hatte sie mich bereits am Anschlag. Der Rest ist für mich nur noch ein langes Leiden. Für sie scheint dies nicht viel mehr als elegantes Tanzen zu bedeuten. Ihre grazile Leichtfüßigkeit ist direkt höhnisch. Ihre scheinbar überschüssige Energie ist süffisant. Die schwierigsten Passagen, ein endloses Rauf und Runter, hüpft sie ohne ersichtlichen Effort hinweg. Dieses Mädchen meistert ihren Urwald in verblüffender Manier. Sie hat mich nicht einmal gefesselt. Sie hätte mich jederzeit mühelos eingeholt und überholt. Wieso sich die Mühe machen? Sie spricht kein Wort; will mich nicht verstehen. Ihr Tempo zwingt mich sehr bald, auch zu schweigen. Verdammt! Hört dies nie auf?

    Wo sind wir? Wollte sie beweisen, dass sie mich fertigmachen kann? Für sie bin ich wahrscheinlich nur ein ungebetener Gast oder sogar Eindringling.

    Busch-Weiber! So stolz und herablassend sind sie als Überlegene.

    Wie kann ich dies nicht spüren?

    „Verdammt! Verdammte Hetze!"

    Sie reagiert weder mit Lachen noch mit Hohn.

    Am nächsten Bach unten, es war nur ein Runterrutschen, auf der Gegenseite Raufklettern, fehlt die notwendige Pause. Begrünte Hügelketten, endlos, eine hinter der anderen, ohne Horizont in Sicht, liegen vor uns. Das lebendige grüne Dach öffnet sich nie. Es wird nur von Zeit zu Zeit heller und dunkler. Den vermeintlich kurzen Sprung über den Bach schaffe ich mit ihrer Hilfe. Der Respekt, den sie mir entgegenbringt, hatte etwas von einem Stoßgebet zum Himmel eines ehrfürchtigen Jägers, einer Jägerin, bevor er oder sie das gejagte Wild erlegt. Die Gefahr ist allgegenwärtig.

    Ihr Benehmen zeugt aber auch von Achtung und kultureller Demut. Sie hat es nicht nötig einen Gefangenen oder ihren Feind, falls ich das sein sollte, zu demütigen, mehr als notwendig zu plagen oder zu quälen. Ihr zu folgen ist genug Strafe. Ihr zuversichtliches sicheres Bewegen im Urwald ist Zeugnis genug ihrer Überlegenheit.

    Sie zeigt auf ihre Brust.

    „Chara!"

    Ist dies ihr Name? Oder vielleicht ihr Volk? War es gar ein Anflug von Freundlichkeit? Wie leben diese Menschen überhaupt? Als Familie oder eher Clan? Scheinbar ist die für mich viel zu kurze Pause bereits beendet. Das einzelne Wort war melodisch, ist beinahe singend ausgesprochen worden.

    Die Betonung liegt deutlich auf der Schlusssilbe, nicht wie beim Italienischen. Was bedeutete es wohl?

    Ich versuche auf meine Brust zu zeigen.

    „Alex! – Alexander!"

    Wie ein Vogel ihrer Welt wiederholte sie den Klang: „Aleksch."

    Aber sie versteht mich nicht. Sie deutet mit ihrem Arm hinter mich. Von wo wir gekommen waren. Ich habe in der Zwischenzeit komplett die Orientierung verloren. Es beruht nur noch auf Vermutungen. Von dort müssen wir doch gekommen sein? Ohne sichtbaren Horizont, Felsen oder Bergspitzen, die eine Markierung des Ortes zulassen, ist es einfach, sich zu verlieren. Das lückenlose Dach des Urwalds verhütet eine sichere Orientierung. Ohne den Himmel sehen zu können, wird es, mindestens für uns Europäer, schwierig. Als Bauer wusste ich, wo die Sonne unterging. Hier fehlen mir die Möglichkeiten, selbst dies zu tun. Dafür müsste man diese sehen.

    Ihr vorwärts strebender Rücken, die dichte, lockige, pechschwarze Mähne, sind meine einzigen Anhaltspunkte. Das viel gefilterte Licht in diesem endlosen Tunnel vermag grünliche oder rötliche Schimmer hineinzublitzen. Es ist nicht schwarz wie gefärbtes Haar, stumpf, einheitlich, sondern schwarz mit einem geheimnisvollen Leben, mit natürlichen Nuancen. Auf den Hügeln oben wird es bräunlich-rötlich angehaucht. In den tieferen Schneisen des Geländes unten, den gut versteckten Flussbetten, ist es grünlich-blau. Die Natur hilft ihr auch damit. Große wachsame, dunkel-braune Augen ergänzen das sandig angehauchte Honigbraun ihrer Hautfarbe. Nur ihre Arme, der Hals, die Beine unterhalb ihrer Knie sind sichtbar. Die Füße, etwas platt, barfüßig, krallend wie Hände in der Vorwärtsbewegung, suchen und finden überall Halt. Mehrfach muss sie mich auffangen. Es geschieht mühelos. Wenn ich Zeit dazu gehabt hätte, müsste ich mich schämen. Ihr Tempo verhütet meine peinliche Verlegenheit. Verdammt! Ich bin doch nicht so hilflos!

    Sie muss mich öfters fangen, stabilisieren in Rutschpartien, mich stützen in meinem müden Getrampel. Nie grinst diese Naturfrau! Eine zurückhaltende ernste Freundlichkeit ist alles, was sie mir zeigt. Aber nie scheint sie mich auszulachen. Ihre Überlegenheit hier im Urwald ist allzu deutlich, entspricht aber ganz offensichtlich nur ihren Erwartungen. Darum kann sie wohl auf ein hämisches Grinsen bewusst verzichten. Ich bin der Eindringling in ihrer Welt. Beschämend eben! Dazu braucht sie nichts zu sagen.

    Abrupter Stopp. Was ist oder war los? Sie ist bereits spurlos im dichten Grün verschwunden. Halb tot, halte ich mich an einem mächtigen, bis weit hinauf vermoosten Baumriesen fest. Ich habe wirklich genug!

    Mein Atem geht stoßend, schmerzhaft ineffizient. Okay, sie hat gewonnen.

    Verschwunden und zurückgekehrt. Blitzartig, ohne Geräusch. Kein Wunder, sie hat mir das krumme Buschmesser und die Machete gelassen. Ich würde sie nie schnell genug erreichen. Sie spottet meiner Männlichkeit. Im Schutze ihres Grüns wäre das Gesetz sowieso weit weg.

    „Here!"

    Jetzt spricht sie plötzlich Englisch!?! Ich traue meinen Augen nicht! Es werden allerdings nur ein paar aufgelesene vereinzelte Fetzen meiner Familien-Sprache. Englisch ist nicht meine Muttersprache, sondern eben „nur" meine neue Sprache seit der Auswanderung. Aber das so überraschend in ihrer Hand Liegende – scheinbar hervorgezaubert – erklärte sich auch von selbst. In ihrer kleinen braunen Hand liegt eine tote, aber noch warme Taube.

    „Kuru!" – Es war eine Urwald-Taube.

    Irgendwie hat sie diese einfach aus den Baumwipfeln geholt. So groß wie eine ausgewachsene Ente, ist die Neuseeland-Wildtaube ein bekanntes Festmahl. Viel später erfahre ich, dass sie überall in ihrem Urwald sogenannte Vogel-Fallen – eigentlich sind dies kleine geschnitzte, hölzerne Bottiche, vielleicht zwei Fuß lang – in den Bäumen betreut. Zerdrückte Waldbeeren locken die Vögel an. Mittels sich zusammenziehenden Schlingen aus Pflanzen, fängt ihr Volk dann solch leckere Braten.

    Zudem haben ihre Vorfahren schon den Generationen-alten Brauch gepflegt, sogenannte heilige Steine, Mauri, überall im Urwald zu platzieren, welche sich dann für alle Bewohner im Wald, als Reservate, als Tapu, als sehr bewusste Präservations-Regionen des ersten Lebens, ausweisen. Sie markieren damit ein kulturelles heiliges Schutzgebiet. Alle halten sich daran. Dies ist Mitgebrachtes von ihren Entdeckungs-Reisen aus dem fernen Norden. Alle Kanus – es gab ja mehrere davon – halten sich an solche Tapu.

    Davon wusste ich aber in diesem Augenblick, so gut wie nichts. Für mich ist dies einfach frisch aus dem Urwald geholt worden, wie das Pflücken einer reifen Frucht, direkt vom Baum. Die Schnelligkeit aber, mit welcher diese junge Frau dies geschafft hat, macht es verblüffend.

    Tatsächlich ein Selbstbedienungsladen.

    Hilflos bin ich kein ehrenhafter Feind. Sie lässt mich dies spüren.

    Der schwere Vogel fällt mir aus der Hand. Ich bin unfähig vier Kilogramm zu halten. Mein von Schmerz verzerrtes Gesicht muss genügen. Sie schüttelt etwas verwundert den Kopf. Zum ersten Mal kommen ihre Blicke mit einem mindestens vermeintlichen Inhalt von Rücksicht und Mitgefühl auf mir zu ruhen. Dass ich bisher auf die Zähne gebissen habe, macht Eindruck. Es ist vielleicht noch nicht Sorge, sondern eher eine abwägende Berücksichtigung ihrer Mühen. Soll sie mich durch den unwegsamen Urwald schleppen müssen als nur halb lebendiger Mensch? Vorsichtig untersucht sie den Arm.

    Ich weiß selber, dass der Sturz mir etwas schwer verstaucht oder eventuell sogar gebrochen hat. Ich kann meine Hand nur wenig drehen, der Unterarm schmerzt. Ein erneutes Kopfschütteln. Sie bestätigte rasch das gleiche Urteil. Ihre schneidende Handbewegung zeigte eindeutig einen Bruch an.

    Ein Teil meines Unterarms ist gebrochen.

    Dies ist schon vor unserer ungeplanten Begegnung geschehen. Ich glaubte bisher allerdings trotzdem, es nur mit einer schwereren Verstauchung oder vielleicht Zerrung zu tun zu haben. Ob ich nun will oder nicht, ich muss mich auf das fremde Mädchen verlassen. Ihr Urteil scheint eindeutig. Eine junge Frau, die mich sehr wahrscheinlich als ihr Gefangener betrachtet. Ich war zweifellos in ihr Gebiet eingedrungen. Es gibt keinen Entscheid für mich. Ich muss meine Abhängigkeit von ihr als mein Schicksal akzeptieren.

    Zum ersten Mal wird die Sicherheits-Distanz zwischen uns etwas reduziert. Sie scheint keine Gefahr in mir erkennen zu können. Sie kniet aufmerksam an meiner Seite nieder. Die kurze Untersuchung des Arms ist der Anfang einer gründlichen Inspektion. Würde ich ihr zur Belastung werden?

    Sie fordert mich auf, sie zu kopieren. Die Arme bewegen, kreisen; – die Beine bewegen, beugen; – Hüften und Rücken drehen und dehnen; – sogar den Hals befiehlt sie mir zu verrenken. Der Unterarm ist glücklicherweise das einzige Problem. Worte wechseln wir nicht.

    Ich rieche sie dabei zum ersten Mal. Es ist Urwald, mit Wildheit, mit einem dezenten Hauch von etwas wie exotischen Blumen. Orchideen eigentlich! Wie solche wilde Blumen eben wohl in ihrer eigenen Umgebung riechen würden.

    Wilder Urwald eben! – Für einen Weißen!? Wo bin ich? Verdammt!

    Unangenehm ist dies nicht. Sie lächelt zum ersten Mal, als sie mein prüfendes Einatmen bemerkt. Ich archiviere das Resultat in meinem Unterbewusstseinals fremd und exotisch, als anders. Dieser Geruch und die Wandlung in ihrem Gebaren sind anders!

    Die Rinde eines nahen Baumes wird mit zwei kurzen, fingerdicken Baum-Stämmchen zu einer schlichten Armstütze zusammengebaut. Das Ganze zieht sich beim Trocknen satt zusammen, drängt die Schmerzen auch etwas aus dem Arm. Sie hat Kenntnisse, die schlicht imponieren. Ihre erstaunliche Binde hat eine Vorrichtung, um kühlendes Wasser auf den Arm zu leiten.

    Es ist eindeutig schon besser.

    Nur spricht sie mir zu wenig. Aber Feinde sind wir wohl nicht mehr.

    „Danke! – „Ich möchte dir danken!

    Ich nicke mit dem Kopf in Richtung der angelegten Binde.

    Ihr ganzes Englisch scheint wirklich nur im Moment aus ein paar vereinzelten, irgendwo aufgelesenen Worten zu bestehen. Ihre Augen sprechen schon, aber ich glaube noch nicht, dies verstehen zu können. Falsche Interpretationen sind mir noch zu gefährlich.

    Sie führt mich durch ein Gebiet, welches uns urwüchsig und unüberwindbar entgegenstarrt. Alleine wäre es einfach gewesen, in diesem undurchsichtigen Gewirr von Felsen und Waldung, von äußerst beschwerlichem Unterholz und dem zähen Vorwärtskommen rasch den Mut zu verlieren. Meine Verwundung nimmt endlich das horrende Tempo aus dem Vorwärts hasten.

    Mit der fetten Beute in der Hand, dazu mich im Schlepptau, sucht meine Begleiterin einen Lagerplatz. Ihre zusammengelegten Hände an ihrer rechten Wange verstehe auch ich als ein Zeichen des Schlafens. Das Dickicht wird etwas lichter. Die Route beschränkt sich nun auf das Folgen von Wasserläufen oder natürlichen Lücken. Es macht aber weiterhin den Eindruck, inmitten eines übermenschlichen grünen Doms unterwegs zu sein. Macht mein Handicap den Weg nur länger? 50 Meter über uns ist die Laubdecke lückenlos. Hier ist jeder Mensch nicht mehr der Gebieter und Bezwinger, sondern höchstens noch ein Geduldeter. Dieser mächtige Urwald zwingt Demut und Gnade ins Gedächtnis zurück. Wir würden wohl heute nicht mehr das bisher von dieser Maorifrau so zielstrebig angepeilte Ziel erreichen können.

    Wie weit in den Urwald wollte sie mich führen? Meine Vermutung, dass wir ins Innere marschierten, wird mit jeder Viertelstunde deutlicher. Sonst hätten wir meine Farm sicher schon erreichen müssen.

    Bei meinem eigenen Tempo wären es bereits jetzt schon zwei volle Tagesmärsche ohne Unterbruch für Pausen oder Betrachtungen gewesen. Ihr Vorwärtskommen ist wahrscheinlich doppelt so schnell wie mein bedächtiges, Schritt-für-Schritt-Wandern und Steigen. Nur eines bin ich mir inzwischen wirklich sicher, wir gehen nicht mehr in Richtung meiner Farm, denn die hätten wir bei nun, mit noch beträchtlicher Zeit übrig, sicher endlich erreichen müssen. Aus Unsicherheit ist Bedenken geworden. Mein Mut droht mich zu verlassen.

    Ich vermute, wir dringen immer tiefer in den Urwald ein. Ihr Ziel also. Ich habe keine Wahl.

    Das erste Lager wird fällig.

    Für heute macht sie ein Ende. An der Seite einer Felswand, welche sich treppenartig eine Talseite hochzieht, findet sie einen trockenen Platz. Der hier überhängende Felsen schützt uns auch vor möglichen Niederschlägen. Nicht, dass ich eine Ahnung hätte, wie der Himmel im Augenblick draußen aussieht.

    Das grünliche Licht zeigt mir nur, dass es noch Tag sein muss da draußen.

    Aus meiner Langeweile, meiner fehlenden Dazugehörigkeit, versuche ich ein Gespräch. Aus Hilflosigkeit gebe ich mir Mühe meine Untätigkeit irgendwie zu überbrücken.

    „Wohin gehen wir? Wo nimmst du mich hin?"

    Sie guckt mich ja an, aber eine Reaktion bekomme ich kaum.

    „Warum nimmst du mich nicht zurück in die Außenwelt? – Dort würde ich Pflege bekommen, ein Spital aufsuchen können!"

    Aber ihr Echo ist nur eine Serie von Handzeichen, freundlich aber unergiebig. Ich verstehe leider nur Bahnhof. Auch wenn ich mich bedeutend lieber mit ihr unterhalten würde im Augenblick. Mein halbherziges Lächeln ist sicher sehr verlegen. Nicht verstanden werden, ist praktisch ein Gefängnis. Sie kann sich wenigstens hinter ihrer Beschäftigung verbergen.

    Alles, was sie für ihre Vorbereitungen braucht, findet sie im Wald. Ein schalenförmiges Loch im Waldboden, zwischen zwei übermoosten Steinen, gräbt sie mit einem Jagd-Messer zur Feuerstelle um. Die Taube wird mit einer Kräuter-Saft-Paste eingerieben, lässt kurz darauf beinahe von alleine ihr Federkleid fallen. Die feinen Brustfedern, die kleinen, sich rollenden Federn, tiefschwarz, mit einem im gedämpften Licht schimmernden Dunkelblau, oder weiß, sammelt sie in einem Ledersack, welcher ihr am Gürtel hängt. Wofür, finde ich viel später raus. Wenig wird vergeudet. Sie bedient sich im Urwald mühelos. Ihr immerfort begleitendes halblautes Murmeln hört sich an wie beten, ein melodiöses Singen zu sich selbst. Es drückt aber auch eine Zufriedenheit aus, die mir im Moment sicher fehlt. Weniger auffällig mich hilflos machen kann sie kaum.

    Es ist schlicht ihr Wohnzimmer. Es ist beeindruckend. Untersetzt mit Steinen entfacht sie ein Feuer. Die fette Taube wird mit großen Blättern zugedeckt, ist innerhalb von einer guten halben Stunde gar, durchgebraten und gedämpft gleichzeitig. In der Zwischenzeit hat die selbstbewusste Frau ein kleines trockenes Lager, ein Bett aus Blättern, konstruiert, welches ebenfalls eine grüne Decke vorsieht. Ich darf hilflos zusehen. Muss es ertragen, dass sie die ganze Arbeit alleine tut. Mein wortloses

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