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Verschwörung in Sarajevo: Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip
Verschwörung in Sarajevo: Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip
Verschwörung in Sarajevo: Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip
eBook176 Seiten2 Stunden

Verschwörung in Sarajevo: Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip

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Über dieses E-Book

Sarajevo, 28. Juni 1914: Der serbische Gymnasiast Gavrilo Princip erschießt den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Gattin. Das Attentat dient der Habsburgermonarchie als Anlass, um Serbien anzugreifen - und führt damit geradewegs in den Ersten Weltkrieg. Was trieb den Todesschützen von Sarajevo an, was radikalisierte ihn und ließ ihn zum Attentäter werden? Im Mittelpunkt stehen Phänomene mit verblüffendem Aktualitätsgehalt: Okkupation, gescheiterte Staaten, Terrorismus. Gregor Mayer zieht Parallelen zwischen der damaligen weltpolitischen Unübersichtlichkeit - ihren dramatischen Umbrüchen und Modernisierungsängsten - und der heutigen Zeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum18. Feb. 2014
ISBN9783701744633
Verschwörung in Sarajevo: Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip

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    Buchvorschau

    Verschwörung in Sarajevo - Gregor Mayer

    2013

    Erstes Kapitel

    THERESIENSTADT – IM VORHOF DES TODES

    Ein ungewöhnlicher Besuch

    Mit einem rostigen Quietschen fiel die Zellentür hinter Dr. Martin Pappenheim ins Schloss. In der Dunkelheit des Kasemattenlochs konnten seine Augen nichts wahrnehmen. »Princip, Besuch für dich!«, hallte das gebrüllte Kommando des Aufsehers in seinen Ohren nach. Durch die vergitterte Luke oberhalb der Zellentür drang kaum etwas von dem gedämpften Licht aus dem Gefängnisgang. Pappenheims Augen folgten dem schwachen Schein, hinein ins Halbdunkel des Zelleninneren. Eine fast körperlose, in sich gekrümmte Gestalt richtete sich unter anhaltendem Husten auf der Holzpritsche auf, die ihr als Liegestatt diente – es war Gavrilo Princip, den der Besucher in diesem elenden Zustand antraf.

    »Gestatten Sie, ich bin Dr. Martin Pappenheim, Privatdozent für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien«, sprach der Besucher den überraschten Häftling mit dem leicht nasalen Ton des österreichischen Akademikers an. Pappenheim stand leicht gebeugt da, und selbst in diesem Halbdunkel blieb Princip die feine Physiognomie des unverhofften Besuchers nicht verborgen. »Herr Princip, ich habe die Erlaubnis, mit Ihnen zu sprechen«, fuhr Pappenheim fort. »Über Sie, über Ihr Leben, über Ihre Motive für das Attentat.« Der Gefangene hatte seit seiner Überführung nach Theresienstadt mehr als ein Jahr lang in strikter Isolationshaft gelebt und war deshalb dem Sprechen entwöhnt. Er rang um Worte, die ihm – noch dazu in der für ihn fremden deutschen Sprache – schwer über die Lippen kamen. »Sie, Sie, Sie m-m-m-mechten m-m-m-mich aus-aushorchen!«, entgegnete er.

    »Nein, ganz und gar nicht, Herr Princip. Mein Interesse ist ein zutiefst privates. Ich sichere Ihnen umfassende Diskretion zu.« – »W-w-was für ein Interesse?« – »Das wissenschaftliche Interesse. Wir jüngeren Nervenärzte betrachten die psychischen Phänomene nicht mehr isoliert. Uns interessieren die Bedingtheiten durch soziale Milieus, und wir fragen uns, wie wir mit unserem Wissen zur Befreiung der Menschheit von überkommenen Vorstellungen, Gewohnheiten und Traditionen beitragen können. Ich verschweige Ihnen auch nicht, dass die Beweggründe, die Sie zu Ihrer Tat geführt haben, wennzwar sie auch nicht meine Zustimmung finden mögen, so doch einer tiefergehenden Untersuchung wert sind.« Dr. Pappenheim erhitzte sich in dem Redeschwall, sodass sich seine große runde Brille in der eiskalten Zellenluft beschlug und er erneut nichts mehr sah. Sein blasses Gesicht mit den durchgeistigten Zügen verfehlte aber seine Wirkung auf Princip nicht. Noch mehr begann diesen die Aussicht zu verlocken, endlich wieder einmal mit jemandem richtig sprechen zu können. »D-d-der Pro-Profoss bleibt?«, fragte er, seinen gebrochenen Blick auf den Gefangenenaufseher richtend, der sich hinter Pappenheim an die Zellentür drückte. »Das Reglement können wir leider nicht ganz außer Acht lassen«, antwortete Pappenheim und rieb sich die in der Eiseskälte klamm gewordenen Hände.

    Wir schreiben den 19. Februar 1916. Der Erste Weltkrieg tobt in seinem zweiten Jahr. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, liegt fast 19 Monate zurück. Der Attentäter, der bosnische Serbe, österreichische Staatsbürger, südslawische Freiheitskämpfer und Terrorist Gavrilo Princip, schmachtet seit 420 Tagen in den Kasematten der Kleinen Festung von Theresienstadt, 417 davon angekettet. Der bald 22-jährige Gefangene ist todkrank. Die barbarischen Haftbedingungen – Unterernährung, Kälte und Feuchtigkeit – haben die Knochentuberkulose, die er sich während eines entbehrungsreichen Studentenlebens in Sarajevo und Belgrad eingehandelt hatte, zum vollen Ausbruch gebracht. Princips Körper ist bis auf die Knochen abgemagert und mit handtellergroßen Geschwüren bedeckt. Den linken Ellbogen hat die Knochen-TBC zerfressen. Der Gefangene kann den betroffenen Arm kaum mehr bewegen. Seine Ärzte warten auf die Genehmigung aus Wien, um ihn zu amputieren.

    Dr. Martin Pappenheim ist zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt. Als kriegsverpflichteter Arzt ist er dem Garnisonsspital in Theresienstadt dienstzugeteilt. Dem Sarajevo-Attentäter steht der aufstrebende Neurologe und Psychiater aus der berühmten Wiener Schule und Anhänger linkssozialistischer Ideen zum ersten Mal gegenüber. Die Genehmigung für dieses Gespräch hat er bei der Gefängniskommandantur erwirkt.

    Den Mediziner treiben dieselben Fragen um, die sich immer wieder, auch 100 Jahre nach dem folgenschweren Anschlag auf das Leben des Thronfolgerpaares, stellen lassen: Was bringt einen knapp 20-jährigen Mittelschüler – und seine noch jüngeren Mittäter und -verschwörer – dazu, einen politischen Mord zu begehen und dabei auch den eigenen Tod einzukalkulieren? Fanatismus, Freiheitsliebe, Hass auf eine fremde Besatzungsmacht? Spielten psychische Dispositionen wie Minderwertigkeitskomplexe, Vaterhass oder sexuelle Frustrationen eine Rolle? Die Attentäter und ihre Helfer wollten die österreichisch-ungarische Monarchie zerstören, weil diese die südslawischen Völkerschaften in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Dalmatien und Slowenien daran hinderte, sich mit Serbien zu einem südslawischen Staatsverband zu vereinigen. Opferten sie sich für ein legitimes Unabhängigkeitsstreben auf oder handelten sie doch nur als blindwütige Terroristen? Waren sie von hehren Idealen beseelte Helden oder eher nur naive, ferngesteuerte Marionetten des Königreichs Serbien, dessen Eliten im Verdacht standen, unter dem Vorwand der südslawischen Vereinigung eine serbische Hegemonie auf dem Balkan errichten zu wollen?

    Die Tat der Mittelschüler aus Sarajevo bildete jedenfalls den willkommenen Anlass für einen schon seit Langem erwogenen Straf- und Vernichtungsfeldzug Österreich-Ungarns gegen das viel kleinere Serbien. Die Kriegserklärung an Belgrad vom 28. Juli 1914 löste wiederum eine Kettenreaktion von bündnisbedingten militärischen Beistandshandlungen aus, die geradewegs in den Großen Krieg führten. Die Attentäter und ihre Helfer waren verhaftet worden; im Oktober 1914 wurden sie von einem österreichischen Gericht in Sarajevo verurteilt. Bis auf eine Ausnahme: den herzegowinisch-muslimischen Revolutionär Muhamed Mehmedbašić, der nach Montenegro und dann Serbien zu fliehen vermochte. Im Februar 1916, zum Zeitpunkt des Besuches Dr. Pappenheims, war nicht nur Princip in Theresienstadt eingekerkert, sondern auch sein Freund und Mitverschwörer Trifko Grabež und die wegen Mitwisserschaft verurteilten Schüler Ivo Kranjčević, Cvijan Stepanović und Lazar Djukić. Nedeljko Čabrinović, ein junger Druckereiarbeiter, war drei Wochen zuvor den Entbehrungen der Theresienstädter Kerkerhaft erlegen. Er hatte kurz vor den Schüssen Princips eine Bombe geworfen, die den Thronfolger knapp verfehlt hatte.

    »Seit wann sind Sie hier?«, beginnt Pappenheim das Gespräch, das er auf einem Schreibblock mitstenografiert. »Hierher am 5. Dezember 1914.« – »Immer in Einzelhaft?« – »Ja, immer. Nicht Besuch, nicht Brief, nicht Paket. Immer an Kette. Erst vor drei Tag Kette weg.« Princip hat im Gymnasium leidlich gut Deutsch gelernt, doch ist er in der fremden Sprache ungeübt, zumal sie ihm hier meist nur in den bellenden Kommandos seiner Kerkerschergen begegnet. »Erzählen Sie mir von Ihrem Vater«, sagt Pappenheim. Ein heiserer Hustenanfall, mehr einem Röcheln gleich, schüttelt Princips ausgezehrten Körper. »Mein Vater ist einfach’ Bauer. Beschäftigt sich mit Unternehmungen, nebenbei. Ist ein ruhig’ Mensch, trinkt nicht Alkohol, interessiert nicht fir Politik.« Pappenheim fragt weiter nach den familiären Verhältnissen. »Vater hat vierundfunfzig Jahre, Mutter hat funfundvierzig. Hab’ noch zwei Bruder, ganz gewohnlich’ Menschen, einer ist Kaufmann. Aber waren noch sechs Gschwistern, die alle gestorben, bevor zehn geworden. Bei uns Armut groß in Grahovo, große Armut. So ich war viertes Kind.« Routinemäßig interessiert sich Pappenheim für Kinderkrankheiten und medizinische Auffälligkeiten in der Jugend. Scharlach, kein Bettnässen, Schlafwandeln, aber nur während eines Jahres in der Gymnasialzeit, keine Anfälle von Bewusstlosigkeit. »Wann wurden Sie politisch?« – »Ich wurde erweckt, in 3. Klasse von Gimnasium.«

    Das war im Jahr 1910. Kaiser Franz Joseph hatte im Februar ein Landesstatut für die 1878 von Österreich-Ungarn besetzten und seit 1908 annektierten Provinzen Bosnien und Herzegowina erlassen. Ein neu geschaffener Landtag mit begrenzten Kompetenzen diente als politisches Feigenblatt für das herrschende österreichische Militärregime. Am 15. Juni 1910 wurde dieses Scheinparlament vom Landeschef, General Marijan Varešanin, eröffnet. Als der österreichische Statthalter an diesem Tag den Landtag verließ, trat der revolutionäre Student Bogdan Žerajić auf ihn zu und feuerte fünf Schüsse aus einer Pistole ab. Als er sah, dass diese ihr Ziel verfehlt hatten, jagte sich Žerajić die sechste Kugel selbst in den Kopf. Varešanin, so erzählte man sich in Sarajevo, habe den Toten in die Seite getreten und gerufen: »Bringt diesen dreckigen Hund weg!« Ihn, den 15-jährigen Drittklässler im Gymnasium von Tuzla in Nordbosnien, habe das aufgerüttelt, erzählt Princip nun Pappenheim. Wieder zurück in Sarajevo habe er ganze Nächte am anonymen Grab von Žerajić zugebracht, draußen vor der Friedhofsmauer, wo man die Selbstmörder verscharrte.

    Und Princip erzählt, wie sich die Schüler in Sarajevo nach dem Tod von Žerajić in illegalen Clubs und Zellen zu organisieren begannen. Er erzählt von den großen Schülerdemonstrationen zu Beginn des Jahres 1912. Banus Slavko Cuvaj, der ungarische Statthalter in Zagreb, hatte das kroatische Parlament, den Sabor, aufgelöst. »In Sarajevo«, erzählt Princip weiter – und Pappenheim merkt, wie so etwas wie Leben in den Augen der körperlosen Gestalt aufflackert –, »haben wir serbische junge Leut’ erste Mal gemeinsam mit unsere kroatische Brudern gegen diesen Skandal demonstriert. Das war Markstein: Wir haben Solidarität mit de’ kroatischen Brudern manifestiert.« Er sei in der ersten Reihe dabei gewesen. Die berittene österreichische Polizei trieb die Kundgebung mit Säbelhieben auseinander. Auch er selbst sei dabei verletzt worden. Einer der Hauptorganisatoren der Schülerdemonstrationen sei der bosnische Kroate Luka Jukić gewesen, der in Zagreb studierte. Am 8. Juni, führt Princip weiter aus, verübte Jukić ein Attentat auf Banus Cuvaj, das fehlschlug. Die Kugel tötete einen hohen Beamten, der neben dem Statthalter im Wagen saß. Bei der Verfolgungsjagd durch Zagreb erschoss der junge Angreifer noch einen Polizisten. Pappenheim stenografiert hektisch mit, aber die vielen Namen von handelnden Personen und neu gegründeten revolutionären Zellen, die wechselnden Schauplätze und die komplizierten Verhältnisse in Österreichs südlichen Besitzungen insgesamt verwirren ihn. »Bezeichnet das Jahr 1911 als kritisch«, schreibt er auf. Es war dies das Jahr, in dem sich die politisch aktiven okkupationsfeindlichen Schüler in Bosnien zu organisieren begannen.

    Dabei war Dr. Martin Pappenheim ein politisch höchst interessierter Mensch. Doch sein Lebensmittelpunkt war Wien. Das Wien der anbrechenden Moderne, das Wien von Hofmannsthal, Sigmund Freud, Karl Kraus, Otto Wagner, Gustav Mahler und Gustav Klimt. Aber auch das Wien des Victor Adler und Otto Bauer, wo eine starke Sozialdemokratie zwischen Reformismus und Radikalismus oszillierte, um am Ende doch den Krieg des Habsburgerreiches zu unterstützen. Pappenheims Schwester Marie war eine der ersten Frauen in Österreich, die ein Medizinstudium absolvierten. Für Arnold Schönberg schrieb sie das Libretto zum Monodram »Erwartung« (op. 17) und wurde nach dem Krieg Kommunistin. Martin Pappenheim und seine Frau Edith besuchten regelmäßig die Konzerte Schönbergs, dieses radikalen Neuerers der Musik, die nicht selten lautstarke Skandale auslösten. Obwohl damals selbst noch kein Psychoanalytiker, besuchte Pappenheim am 6. März 1912 eine Sitzung der von Sigmund Freud geleiteten Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft. Der akademisch-elitäre Kreis diskutierte den Vortrag von Alfred Winterstein über die »Psychoanalyse des Reisens«.

    Von diesem Wien der Schönberg-Konzerte und Schönberg-Skandale, der Aufregungen um die tabusprengenden Maler der Secession, der Euphorie um die literarischen Schöpfungen Hofmannsthals war der Balkan denkbar weit entfernt. Bosnien und Herzegowina, die beiden der K.-u.-k.-Monarchie vom Berliner Kongress zugesprochenen Provinzen aus der Hinterlassenschaft des Osmanischen Reichs, waren so etwas wie »Habsburgs kleiner Orient« – eine Ersatzkolonie voller eigenartiger Exotismen, gebändigt durch die »Kulturmission«, mit der die Berliner Kongressmächte Österreich-Ungarn beauftragt hatten. Victor Adler, der sozialdemokratische Übervater, hatte seine Laufbahn in Georg von Schönerers großdeutscher Antisemiten-Partei begonnen. Mit Kritik an Österreichs imperialistischer Politik auf dem Balkan hielt er sich vornehm zurück. Die Sozialdemokratische Partei hatte einen demokratisch-föderalen Staatsverband auf dem Territorium der Monarchie, das sie zusammenzuhalten trachtete, zum Ziel. Der Klassenkampf könne sinnvollerweise nur im gegebenen historischen und staatlichen Rahmen ausgefochten werden, meinte Otto Bauer, der ideologische Vordenker der Sozialdemokratie, 1907 in seiner Schrift »Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie«: »Der Zerfall Österreichs kann innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft nur mehr das Werk des Imperialismus sein. Die Arbeiterschaft kann auf diesen Sieg nicht bauen, weil er ungewiss ist [...], sie kann auf den Sieg des Imperialismus nicht hoffen, weil der Sieg des Imperialismus die Niederlage der

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