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Reisen in Westafrika: Durch Französisch-Kongo, Corisco und Kamerun
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Reisen in Westafrika: Durch Französisch-Kongo, Corisco und Kamerun
eBook663 Seiten9 Stunden

Reisen in Westafrika: Durch Französisch-Kongo, Corisco und Kamerun

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Über dieses E-Book

Mary Kingsley war keine gewöhnliche Reisende. Als ein Krokodil versucht in ihr Einbaum zu klettern, zieht sie ihm einen Schlag mit dem Paddel über den Kopf. Während der Regenzeit besteigt sie den 4095 Meter hohen Kamerunberg, was sie zur ersten Frau auf seinem Gipfel macht. Bis zum Kinn im Wasser watet sie durch Sümpfe. Sie stürzt in eine Fanggrube für Tiere voller spitzer Pfähle, und dank ihrer guten Entscheidung, entgegen dem Rat ihrer Freunde aus England auch in Afrika keine Männerkleidung zu tragen, klettert sie unverletzt wieder heraus. Die hier versammelten Berichte handeln von der zweiten Westafrikareise 1894/1895 der britischen, heute als Nationalheldin gefeierten, Entdeckerin und Schriftstellerin. Mit großem anthropologischem Interesse beschäftigt sich Kingsley intensiv mit dem Leben der westafrikanischen Völker. Sie revolutioniert das Bild des "primitiven Schwarzen", tritt gegen den Sklavenhandel und für die Rechte der afrikanischen Ureinwohner ein.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Juni 2016
ISBN9783843803908
Reisen in Westafrika: Durch Französisch-Kongo, Corisco und Kamerun

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    Buchvorschau

    Reisen in Westafrika - Mary Henrietta Kingsley

    KAPITEL I

    Von Liverpool nach Sierra

    Leone und zur Goldküste

    Wie die Reisende in einem erstklassigen Schiff und in bester Gesellschaft England verlässt, und zu gegebener Zeit Gran Canaria sowie später den Hafen von Sierra Leone erreicht. Es folgen einige Anmerkungen zu jenem Ort und zur Schönheit seiner Frauen. Außerdem enthalten sind Beschreibungen Cape Coasts und Accras sowie verschiedene Beobachtungen zu den Vorräten, die man dort erwerben kann.

    Die afrikanische Westküste und die arktischen Regionen haben eines gemeinsam: Wer einmal dort war, will wieder dorthin zurück. Wie ich nun darüber nachdenke, fällt mir noch eine weitere Gemeinsamkeit ein, nämlich dass die Chancen gering sind, von dort überhaupt heimzukehren – handelt es sich doch beim einen wie beim anderen Erdteil um eine Belle Dame sans Merci, eine Schöne Dame ohne Gnade.

    Ich erlag dem Charme der Westküste, sobald ich auf meiner ersten Exkursion Sierra Leone verließ. Auf jener Reise sah ich darüber hinaus mehr als genug, um zu wissen, dass es für mich dort unten jede Menge sinnvolle Arbeit gab. Also warnte ich die Küste, ich käme wieder, doch die Küste glaubte mir nicht. Stattdessen zeigte sie bei meiner Rückkehr Anzeichen echter Überraschung und verfestigte ihre bereits bei unserer ersten Begegnung gefasste Meinung über meine Torheit – und das sagt eine Menge.

    Während jener Reise 1893 besuchte ich Old Calabar. Dessen Gouverneur, Sir Claude MacDonald, hatte geduldig meinen Ausführungen über so faszinierende Themen gelauscht wie der Bewegung des Antarktischen Kontinents oder der Wichtigkeit, Süßwasserfische zu sammeln. Als Lady MacDonald heroisch entschied, ihn in Calabar zu besuchen, fragten die beiden mich höflich, ob ich mich ihr anschließen wolle und den Beginn meiner zweiten Reise so legen könne, dass er zu ihrem Aufbruch passte. Das tat ich natürlich gerne. Ich fürchte jedoch, dass sich die sehr liebliche und freundliche Dame bei der Aussicht sehr sorgte, einen Monat an Bord eines Schiffes mit einer Person zu verbringen, die dermaßen von der Wissenschaft gefangenen war, dass sie deswegen die afrikanische Westküste besuchen wollte. Um mich zu unterhalten, wies sie mich während der ersten Tage unserer Reise wiederholt auf alle möglichen maritimen Sehenswürdigkeiten hin. Ich schaute gewöhnlich hin und dachte bei mir, wie furchtbar langweilig sie waren, während ich zugleich laut etwas erklärte wie: »Sehr interessant, aber Haeckel hat sich schon um sie gekümmert, und ich bin diesmal hinter Süßwasserfischen in einem Fluss nördlich des Kongo her.« Die ganze Zeit fürchtete ich, meine Gefährtin könne mir mangelnde Begeisterung vorwerfen, weil ich nicht über die Reling ins Meer sprang, um Proben zu sichern.

    Aber wie groß meine Qualitäten als Wissenschaftlerin auch immer sein mögen, diese Dame erkannte, dass ich letztlich nur eine sehr gewöhnliche Person bin. Dies teilte sie mir auch mit – nicht in so direkten Worten, sondern nett und höflich – woraufhin ich mich in einem Ausbruch von Dankbarkeit für ihr Verständnis meiner Person auf der Stelle zu ihrer »Flügeladjutantin ehrenhalber« erklärte. Ich werde für immer ihr ehrlicher Bewunderer bleiben und anerkennen, dass ihr Mut für die Reise nach Westafrika meinen eigenen bei Weitem überstieg – schließlich hatte sie bedeutend mehr zu verlieren, sollte sie einem Fieber erliegen. Sie war in jenen Tagen auch keineswegs dem Zauber Afrikas erlegen. Aber ich greife vor.

    Wir verließen Liverpool am 23. Dezember 1894 an Bord der Batanga, das Schiff stand wie schon auf meiner ersten Reise unter dem Kommando meines alten Freundes Kapitän Murray. Am 30. Dezember sichteten wir früh am Nachmittag den Teide, den höchsten Gipfel Teneriffas. Er zeigte sich wie gewöhnlich als reine Himmelserscheinung. Sehr viele übersehen ihn, weil sie in der Annahme, El Pico sei ein irdisches Phänomen, verzweifelt in Höhe ihrer eigenen Augen Ausschau halten und versuchen, die dichten Nebelmassen zu durchdringen, die seine Hänge am Tag meist verbergen. Dann kommt ein Freund daher und zeigt dem Neuling unbekümmert das glitzernde, weiße Dreieck nahe dem Zenit. An manchen Tagen dagegen ist der Vulkan von Meereshöhe bis hinauf zum Gipfel klar zu erkennen, imposant, wie seine 3680² Meter erwarten lassen. Die kanarischen Fischer halten dies für ein sicheres Zeichen für Regen, oder gutes Wetter, oder eine Windböe. Doch egal, ob weich und traumhaft schön in der Sonne oder melodramatisch und bizarr im Mondlicht handelt es sich um einen der schönsten Anblicke, die das menschliche Auge erblicken kann.

    Kurze Zeit später zeigte sich erst Lanzarote und schließlich Gran Canaria. Teneriffa mag die schönste der Inseln sein, aber von See aus betrachtet fällt die Entscheidung zwischen ihr und Gran Canaria schwer. An jenem Nachmittag zeichnete sich der prächtige Vulkankegel im tiefen Purpurrot bis Violett gegen einen olivgrünen Himmel ab, den ein Gürtel rosafarbener und goldglänzender Kumuluswolken vom blau glitzernden Ozean trennte. Zugleich wirkten Gran Canaria und Lanzarote am Horizont, als seien sie aus bizarren im Abendrot glänzenden Wolkenbänken geformt, die sich auf magische Weise verfestigt hatten. Die vorherrschende Farbe der Berge Gran Canarias, die sich Gipfel um Gipfel bis zum rund 1830 Meter hohen Pico de las Nieves³ aufreihen, ist gelblich-rot, und die Luft, die ihre steinigen Klüften füllt und sanfteren Hänge einhüllt, ist von strahlendem Blau.

    Unmittelbar vor der plötzlich hereinbrechenden Dunkelheit, als die Sonne eine Kurve entlang des Horizonts beschrieb, ballten sich die Wolken um die drei Inseln und gaben einen violetten Himmel frei. Als Gutenachtgruß zeichnete die Sonne ihre Konturen in glänzendem Gold nach und ließ den schneebedeckten Gipfel des Teide in sternenweißem Licht aufleuchten. Wenige Minuten später kam die Dämmerung, und als wir uns Gran Canaria näherten, schimmerte der rote Blitz des Leuchtturms auf der Isleta durch den Dunst. Noch einige Minuten später glitzerten auf Meereshöhe die unregelmäßig auf rund acht Kilometer verteilten Lichter des Hafens Puerto de la Luz und der Stadt Las Palmas.

    Wir erreichten Freetown in Sierra Leone am 7. Januar 1895 um neun Uhr morgens. Da dieser Ort der allgemeinen Öffentlichkeit lange nicht so bekannt sein dürfte wie die Kanaren⁴, kann ich es vielleicht riskieren, bei seiner Beschreibung etwas mehr ins Detail zu gehen. Der Hafen ist im Norden von einem langen Streifen Land geformt, der Bullamküste, und im Süden von einer Halbinsel, deren äußerster Punkt das Kap von Sierra Leone markiert. Es ist ein sandiger Sporn, an dessen Ende sich ein Leuchtturm mit unregelmäßigem Benehmen befindet. Niedrige, mit tropischem Regenwald bewachsene Hügel erheben sich über den sandigen Ufern des Kaps und entlang seiner Küste reihen sich drei Buchten aneinander, durch deren enge Einfahrten man sanfte Strände mit gelbfarbenem Sand sehen kann, die landeinwärts von Wäldern aus Baumwollgewächsen und Palmen begrenzt werden. Hier und dort erhebt sich ein riesiger Affenbrotbaum.

    Die erste dieser Buchten nennt man die Piratenbucht, die nächste ist die Englische Bucht und die dritte die Kru Bucht. Nach dem Passieren der Kru Bucht werden die bewaldeten Hügel höher und mausern sich zu den Ausläufern eines Berges, dem etwa 760 Meter hohen Sierra Leone selbst. Außer dem Sierra Leone gibt es hier aber noch einige andere Berge, am auffälligsten einen »Zuckerhut« genannten Gipfel. Von See aus betrachtet sind diese Berge wunderschön, von prächtiger Form und von einer üppigen tropischen Vegetation bedeckt. Endlos in ihren Variationen und lückenlos in ihrer Fläche wie ein Meer, scheint sie über die Hänge hinab zur Küste zu fließen, wo sie hier und dort in einer Welle aus Blüten bricht.

    Diejenigen, die es wissen sollten, sind sich denn auch einig, dass Sierra Leone am schönsten ist, wenn man es von See aus betrachtet, insbesondere wenn man dessen Hafen Richtung Heimat verlässt, und dass an dieser Stelle der Reiz des Landes – seiner Kunst, seiner Sitten wie seiner Wohnkultur – abrupt endet. Doch nach den Erfahrungen, die ich dort sammeln konnte, zögere ich nicht zu erklären, dass ich kaum irgendwo ein besseres Mittagessen genossen habe als dort. Auch dürfte es schwerfallen, auf eine angenehmere und abwechslungsreichere Art den Nachmittag zu verbringen, als in Begleitung eines gewissen irischen Proviantmeisters, der bei den kolosshaften alten schwarzen Frauen gleichermaßen bekannt wie respektiert ist, einen Spaziergang durch Freetown zu unternehmen. Man muss aber zugeben, dass es ziemlich heiß ist.

    Freetown liegt am nördlichen Fuß des Berges und zieht sich mit sehr schlichten Anlegeplätzen, Kais und Lagerhallen die Küste entlang. Die Stadt wird auch das »Liverpool Westafrikas«⁵ genannt und vom Hafen aus betrachtet sieht sie aus, als wäre sie aus grauem Stein erbaut, was aber nicht der Fall ist. Geht man an Land, entdeckt man, dass die meisten der Lager und Häuser aus bemaltem Holz mit Dächern aus Wellblech bestehen. Man muss anmerken, dass sie in der Mehrzahl in einem sehr heruntergekommenen Zustand sind. Hier und dort begegnet man einem strohgedeckten Haus, das Stroh bedeckt von Kriechpflanzen und Heimstatt ganzer Kolonien an Kriechinsekten.

    Einige der Lager und Kirchen sind tatsächlich aus Stein gebaut, aus der Entfernung sehen sie wegen der roten Farbe aber nicht nach Stein aus. Errichtet sind diese Gebäude aus unbehauenen Felsblöcken roten Gesteins der Umgebung. In den Spalten dieser Gebäude schlagen Ranken mit hübschen malvenfarbenen oder gelben Blüten Wurzeln, und überall auf den Mauern und in den Rissen der Häuser sprießen Farne und Blütenpflanzen. Einen guten Teil ihrer Nährstoffe müssen diese Pflanzen aus der Luft beziehen, die zu 85 Prozent aus warmen Wasser zu bestehen scheint und im Übrigen aus den Gerüchen nach Frangipani, Orangenblüten, Magnolien, Oleander und Rosen kombiniert mit anderen Gerüchen, die belegen, dass die Bewohner Freetowns hygienischen Fragen keinerlei Interesse entgegenbringen.

    Es gibt eine Hauptstraße, und die übrigen sind im ordentlichen rechten Winkel dazu angelegt. Keine ist in irgendeiner Form gepflastert oder geschottert. Der Straßenbelag ist wesentlich hübscher und auf seine Weise wesentlich geeigneter für nackte Füße, denn er besteht aus grünem Gras. Die Ausnahme bilden Straßen, die so steil sind, dass die starken Regenfälle der feuchten Jahreszeit jedes bisschen Erde und Gras bis auf den roten Felssockel fortgewaschen haben.

    In alle Richtungen eilen Einheimische, ihre nackten Füße erzeugen auf dem federnden Rasen der Straßen keinerlei Geräusche und auf ihren Köpfen tragen sie schwere Lasten, die gewöhnlich vom Hut des Trägers gekrönt werden, einem großen, flach-kegelförmigen Ding aus Palmblättern. Während einige diese gewaltigen Bündel tragen, schleppen andere Baumstämme, Holzplanken, Steine zum Bauen, Gefäße mit Palmöl, Körbe mit Gemüse und Früchten oder Zinntabletts, auf denen gefaltete Tücher liegen. Da die überwiegende Mehrzahl der einheimischen Bewohner Sierra Leones sich nicht darum schert, wohin sie gerade gehen – ob in dieses Leben oder das nächste – stehen Konfusion und Lärm in keinerlei Verhältnis zur Größe der Stadt. Regelmäßig passiert es, dass eine Gruppe herumwandernder Lastenträger verwegen in eine sitzende Gruppe hineinrennt, deren Mitglieder sich mitten auf der Straße niedergelassen und ihre Lasten abgelegt haben, um ein Plauderstündchen mit Bekannten zu halten. Der Aufruhr in solchen Fällen kann furchterregend sein.

    Inmitten all der Bauern spazieren stattliche Muslime, Mandingos, Aker und Fulah von den arabisierten Stämmen des westlichen Sudan. Es sind geschmeidige, wohlgebaute Männer mit einer eigentümlichen schönen Körperhaltung. Ihre anmutige Kleidung besteht aus einem langen weißen Hemd mit weiten Ärmeln, über dem sie eine Robe aus schwarzer Mohairwolle oder Seide tragen oder etwas in leuchtendem Dunkelblau, das ein wenig an Universitätstalare erinnert, nur mit mehr Stoff und mehr Falten. Sie bilden unter den Einheimischen Sierra Leones zweifellos die Oberschicht und stellen, keinesfalls zur Freude der Christen, in der Stadt einen wachsenden Bevölkerungsanteil.

    Doch für den durchreisenden Besucher Sierra Leones bleiben die Muslime nur eine flüchtige Erscheinung. Man spürt weder das dringende Bedürfnis, mit ihnen oder über sie zu lachen, wie dies bei den einfachen Leuten der Fall ist, noch will man diese Leute schlagen oder ihnen die Kleider zerreißen. Das wiederum täten Sie jener perfekten Blüte Sierra Leonischer Kultur liebend gerne an, die Ihren Namen quer über die Straße grölt und Sie herablassend informiert, Sie sollten vorbeikommen, es seien Briefe für Sie eingetroffen. Er selbst lümmelt derweil Zigarre rauchend im Schatten herum oder demonstriert auf ähnliche Weise seine heruntergekommene, minderwertige weiße Kultur – eine Kultur weit niedriger und würdeloser als die des stattlichen Mandingos oder auch des Buschhäuptlings. Ich glaube nicht, dass der typische Angeber Sierra Leones auch nur halb so unverschämt sein will, wie er tatsächlich ist. Doch in Wahrheit fühlt er sich, trotz der ganzen Fassade, in seiner eigenen Position so unsicher, dass er es nicht wagt, höflich zu sein wie ein Mandingo oder ein Fang aus dem Busch.

    Auch wenn sich Lärm, Gestank und Hitze beständig um die Aufmerksamkeit des Neuankömmlings drängen, wird ihm dennoch als erstes die Kleidung der Einwohner Freetowns und seines Hafens auffallen. Der einfache Mann auf der Straße trägt, was immer ihm gerade in die Hände fiel, und zwar ohne es richtig zuzubinden. Ich vermute, dabei muss eine sehr spezielle Anziehungskraft oder irgendeine nur halb verstandene Regel eine Rolle spielen, auf keinen Fall aber Hosenträger oder Knöpfe. Einige Stoffe sind natürlich von ihrer Struktur her ziemlich geschlossen, wie etwa ein Regenschirm, dem man den Stock und die Rippen entfernt hat, oder ein Hemd. Dieser zuletzt genannte Schatz wird dem Träger gewöhnlich von einem weiblichen Verwandten und einer Bewunderin geschenkt, die für weiße Männer die Wäsche erledigt. Es wird immer frei wehend getragen und entfaltet einen solchen Charme, dass der glückliche Träger sich wenig schert, was er sonst noch trägt – Hosen, Leinentuch, einen roten Petticoat aus Flanell oder völlig überdimensionierte Unterhosen. Diese Dinge sind, um mit seinen Worten zu sprechen »für ihn alle gleich«.

    Die Frauen unterteilen sich in drei Gruppen: Die kleinen Mädchen spricht man mit »Tee-tee« an, die junge Frau mit »Seester« und die reifere Dame als »Mammy«. Ich rate Ihnen jedoch, diese Begriffe bei Ihrem ersten Besuch nicht zu verwenden, da dies leicht zu Missverständnissen führt. Sprechen Sie beispielsweise eine Mammy als Seester an, denkt diese entweder, Ihnen mangele es an Respekt gegenüber einer verheirateten Frau – etwas, worauf die betreffende Dame Sie umgehend nachdrücklich hinweisen wird – oder die Angesprochene glaubt, Sie würden mit ihr flirten, was Ihnen selbstverständlich völlig fernliegt und ebenfalls in peinliche Situationen brächte. Mein Rat lautet daher, sich strikt an Missus oder Mammy zu halten. Dieses Vorgehen hat sich meinen Beobachtungen nach sehr bewährt.

    Die Kleidung der Frauen ist fast genauso vielfältig wie die der Männer, aber immer ordentlich und sauber. Es sind ausgesprochen pittoreske und manchmal hübsche Frauen. Eine Marktfrau mit ihrem fröhlichen braunen Gesicht und lachenden braunen Augen mit einem Hauch von Grau, das sie umso weicher scheinen lässt, bietet einen sehr schönen Anblick und ist eine angenehme Gesprächspartnerin. Ihren üppigen Körper bekleidet sie mit einem bunten, an der Schulter zusammengehaltenen Stoff und einem bis zu den Füßen fallenden Volant, der unter ihren Schultern befestigt ist. Um ihren Kopf wickelt sie ein gelbes oder rotes Tuch und aus ihrem breiten Lächeln blitzen schneeweiße Zähne hervor. Aber bei Allah: Welch ein Leibesumfang!

    Die steinernen, weiß gekalkten Marktgebäude Freetowns machen einen angesichts des Klimas und der Vielfalt der hier zum Verkauf ausgelegten Waren – für deren Katalogisierung man sich Rabelais Stift wünscht – achtbaren und sauberen Eindruck. Es gibt hier alle nur denkbaren Früchte, einige kennt man schon aus England, mit den übrigen wird man in Afrika rasch vertraut. Auf dem Weg ins Landesinnere erscheint diese Auswahl als Selbstverständlichkeit, doch auf der Heimreise (wenn Sie diese erleben), betrachtet man die Früchte als Segen und Seltenheit. Denn weiter fort, besonders »in den Flüssen«, ist solcherlei nur selten zu bekommen und nie in einer Perfektion wie hier. Sehen Sie dann zum ersten Mal wieder Salat, Orangen oder Tomaten, die größer als Murmeln sind, dann ist die Freude groß.

    Eines der wichtigsten Erkennungszeichen Freetowns sind die Gelbkopf-Felshüpfer. Einige Autoren behaupten, diese Vögel kämen allein in Sierra Leone vor, andere widersprechen dem, aber beide Fraktionen nennen die Tiere Picathartes gymnocephalus. Für die Weißen, die in täglichen Kontakt mit ihnen leben, sind es »Truthahn-Bussarde«, für die Einheimischen »Yubu«. In jedem Fall handelt es sich um ein böse guckendes Federvieh, das keine Zierde für die Giebel ist, auf denen es sich niedergelassen hat. Die einheimischen Christen wären gut beraten, das Dach der Kathedrale mit Stacheldraht vor ihnen zu schützen. Das Gebäude ist schon so keinesfalls schön und hat dem Effekt der Kette lärmender Vögel auf seinem Dachfirst nichts entgegenzusetzen, deren Flügel in allen denkbaren Winkeln abgespreizt sind und »alles zu spät« zu signalisieren scheinen. Der erste Vogel könnte einen seiner Flügel vielleicht direkt nach vorne und den anderen beiläufig im rechten Winkel von sich strecken, der nächste beide Flügel grade nach vorne strecken, und der wiederum nächste beide hoffnungslos nach unten hängen lässt: Aber keines der Tiere hat seine Flügel ordentlich und sorgfältig gefaltet, wie anständige Vögel dies täten. Sie alle geben den Eindruck ab, am Abend zuvor extrem betrunken gewesen zu sein und nun einen furchtbaren Kater zu haben. Als Müllsammler von Freetown genießen sie jedoch den Respekt und Schutz der örtlichen Autoritäten, und die Einheimischen werden Ihnen erzählen, man sähe nie einen Jungvogel oder einen toten Felshüpfer. Letzteres wäre sehr überraschend, denn die Hälfte der Tiere sieht aus, als würde sie nicht den Abend erleben. Man sagte mir auch, käme man ihnen nahe, verströmten sie einen »’tarken, ’tarken, su ’tarken G’tank«. Ich prüfte diese Aussage nicht, bin aber gerne bereit, ihr Glauben zu schenken.

    An Tieren sieht man ansonsten vor allem Ziegen und Schafe. Ich muss sie gemeinsam nennen, da es immer schwieriger wird, beide voneinander zu unterscheiden. Immerhin gilt überall das Gesetz, wonach Schafe ihren Schwanz hängend und Ziegen aufrecht tragen, doch glücklicherweise muss man sich hierüber wenig Gedanken machen, denn beide schmecken »nach dem Nichts, aus dem die Welt geschaffen ist«, um es mit den Worten von Frau Buchholtz zu sagen. Darüber hinaus teilen sie das faserige Fleisch und blöken auf ähnliche Weise. Es gibt hier auch kleine, zimtfarbene Rinder, aber praktisch keine Pferde. Ab und zu importiert irgendjemand ein Pferd, weil er nicht einsieht, warum es hier nicht genauso gut leben können sollte wie in Accra oder Lagos, aber das Tier geht jedes Mal bald ein. Einige behaupten, schuld seien die Einheimischen, die vom Tragen der Lasten lebten, und die Tiere vergifteten, andere geben der Tsetsefliege die Schuld. Ich stimme einer dritten Gruppe zu, die die Schuld beim Entozoa-Wurm suchen. Kleine, geschmeidige, dürre, gelbe Hunde mit hoch aufgerichteten Ohren führen ein elendes Dasein. Sie werden von allen möglichen Krankheiten gepeinigt, vor allem jedoch von den Ziegen, die ihren Nachwuchs auf den grasbedeckten Straßen großziehen und sich von den Hunden bedroht fühlen. Zu guter Letzt ist da noch das Schwein – eine reiche Einkommensquelle für den örtlichen Anwalt.

    Die nächsten interessanteren Zwischenstopps legten wir in Cape Coast Castle und dann in Accra ein. Ersteres sieht vom Steg aus betrachtet gut aus und als ob es in jüngster Zeit frisch getüncht worden wäre. Es ist umgeben von niedrigen, dicht bewaldeten Hügeln, die sich fast direkt aus dem Meer erheben. Aus der Ferne betrachtet verraten seine alten Mauern ihren Verfall nicht. Darüber hinaus tragen auch die drei steinernen Forts, Fort Victoria, Fort William und Fort Macarthy, auf verschiedenen Hügeln über der Stadt zum Eindruck von Dauerhaftigkeit bei, der so anders ist als die gewohnte Baufälligkeit der Westküsten-Siedlungen. Selbst wenn man an Land geht und die Zeit hat, die von der Brandung durcheinandergebrachten Sinne wieder zu ordnen, wirkt diese Dauerhaftigkeit noch immer echt: Nicht bloß wie eine durch bemaltes Holz geschaffene optische Illusion, als welche sich die lediglich scheinbare Dauerhaftigkeit Sierra Leones entpuppt, sobald man sich ihr zu sehr nähert. Es kostet einige mentale Anstrengungen zu akzeptieren, dass Cape Coast seit Jahrhunderten in europäischen Händen ist, doch es bedarf beinahe unmoderner Glaubenskraft, sich dies bei all den anderen Siedlungen entlang der gesamten Westküste vorzustellen. Zumindest, bis man das Vergnügen hat, tief im Süden jenseits des Kongo die schöne Stadt São Paulo de Loanda zu erblicken.

    Meine Erfahrungen während jenes Aufenthalts in Cape Coast zählen zu den heißesten aber auch angenehmsten, die ich an der gesamten Goldküste sammeln durfte. Ersteres verdankt sich dem Klima, Letzteres meinen lieben Freunden Mr. Batty sowie Mr. und Mrs. Dennis Kemp. Sie zeigten mir die großen, aus Stein gebauten Häuser mit ihren von hohen Mauern umgebenden Höfen und mit Skulpturen geschmückten Toren, welche die Händler des vergangenen Jahrhunderts und des Jahrhunderts davor errichteten, und führten mich durch das große, weitläufige Castle mit seinen in den Felsboden geschnittenen Zisternen und geräumigen Unterbringungen für Sklaven vor ihrer Einschiffung. Sie sind heute fast so obsolet wie die Kanonen auf den Mauern, aber doch nicht ganz, denn in diesen kühlen Räumen mit reichlich Platz wohnen nun einheimische Polizisten und ihre vielköpfigen Familien.

    Anschließend führten mich meine Freunde einen vollkommenen Hügel hinauf, auf dessen Gipfel sich Fort William erhebt, ein Gebäude, das einer Pfefferbüchse ähnelt und nun als Leuchtturm genutzt wird. Der Blick von der Spitze war außerordentlich schön und weit. Zu unseren Füßen lag zwischen uns und dem Meer die Stadt in der glühenden Sonne. Zwischen ihren großen Steinhäusern schmiegten sich die Lehmhütten der Einheimischen grüppchenweise aneinander, als ob man sie als Füllmaterial über der Stadt ausgeschüttet hätte. Dann kam der schneeweiße Brandungsstreifen und jenseits davon die blaue See mit unserem Dampfer, der im langen regelmäßigen Schwell auf und ab schlingerte und ungeduldig darauf wartete, bis der Sonntag zu Ende ginge und Fracht geladen werden konnte. Auf allen anderen Seiten umgaben uns bewaldete Hügel und Täler, nur im Westen zeigte sich in einiger Entfernung die weiße Stadt Elmina und ihr Castle sowie die knapp 15 Kilometer lange Straße dorthin. Sie mied die der Brandung ausgesetzte Küste, und die Mündung des Sweet River unterbrach ihre gerade Linie. Über allem lag die brütende Stille der Mittagshitze, gebrochen nur vom dumpfen Donner der Brandung.

    Nachdem wir den Ausblick ausreichend genossen hatten, stiegen wir die Treppe wieder hinab unter das Bodenniveau in eine Art trockenen Graben, von den aus saubere, kühle, kellerähnliche Kammern ins Erdreich führten. Diese waren, so informierte man mich, ebenfalls für die Haltung von Sklaven angelegt worden, als diese das wichtigste Exportgut der Goldküste waren. Die Kammern waren so erfrischend kühl, dass ich bei ihrer Besichtigung und der ihrer massiven Türen trödelte, bis man mich wieder zum Ausgang führte. Es ging nun den Hügel hinab durch einige einzigartig widerliche Gerüche vor allem nach Gummi zur großen wesleyanischen Kirche in der Mitte der Stadt. Sie ist im schrecklichen afrikanisch-gotischen Stil erbaut, im Vergleich jedoch schöner als die Kathedrale von Freetown, insbesondere im Innern. Anschließend kehrten wir zur Mission zurück und verbrachten dort einen sehr angenehmen Abend – sieht man einmal von meinem schlechten Gewissen ab, dass meine Freunde sich allein meiner Erbauung wegen den ganzen Tag durch die ihnen ja wohlbekannte Stadt gequält hatten. Die wesleyanische Missionsstation an der Goldküste, der Mr. Dennis Kamp zu jener Zeit vorstand, ist die größte und einflussreichste protestantische Mission an der afrikanischen Westküste, derzeit erweitert sie ihr religiöses und theologisches Ressort erfreulicherweise um eine technische Abteilung. Die Basler Mission hat viel Arbeit in technische Hilfe für die Einheimischen gesteckt und in diesem wichtigsten Teil ihrer Ausbildung eine Vorreiterrolle. Es gibt hier noch endlos viel zu tun, gerade die Technik der Afrikaner ist auf eine seltsame Weise unterentwickelt, tatsächlich sogar weitaus stärker unterentwickelt als andere Bereiche.

    Nach Cape Coast war unser nächster Hafen Accra, eine von fünf Städten der Westküste, die von See aus einen schönen Anblick bieten. Die anderen sehen von nirgendwo schön aus. Nach ihrer Schönheit sortiert steht an der Spitze Luanda, dann Cape Coast mit seiner Vorstadt Elmina, dann Libreville, dann Accra mit Christiansborg und zuletzt Freetown.

    Was Accra an Schönheit zu bieten hat, ist orientalisch. Von See aus betrachtet erwecken Fort St. James zur Linken und Cristiansborg Castle zur Rechten, beide fast auf Meereshöhe, zusammen mit einigen niedrigen Sandklippen den Eindruck einer gewissen Ausgewogenheit und Stärke. Ohne diese beiden alten Festungen jedoch wäre Accra nur eine ärmliche und unscheinbare Siedlung, denn der Rest besteht aus einer Masse minderwertiger Hütten aus Lehm und Palmblättern sowie Wellblechbehausungen für die Europäer.

    Wellblech ist mein Albtraum. Ich verstehe durchaus seine Vorteile und greife es auch nicht aus ästhetischen Gründen an. Weiß angestrichen sieht es sogar einigermaßen schön aus. In der Nähe von Christiansborg Castle gibt es einige Bungalows und Büros für Beamte und ihre Ehefrauen, die aus der Entfernung im gleißenden Sonnenlicht wie eine Ansammlung schneeweißer Zelte unter Kokospalmen wirken. Recht hübsch, mir ist auch bewusst, dass ein Dach aus Wellblech es dem Bewohner ermöglicht, Regenwasser zu sammeln, das sauberste Wasser, das man an der Westküste bekommen kann (solange man nicht gerade ein oder zwei Stunden vor dem Sammeln des Regens besagtes Dach mit roter Farbe gestrichen hat, wie dies einmal ein Freund von mit tat). Doch die Hitze ist unter diesen eisernen Dächern wesentlich größer als in Gebäuden aus Lehm, Ziegeln oder Holz und die Temperaturschwankungen passieren plötzlicher: Morgens und abends ist es kalt und feucht, zugig sind diese Häuser immer. Auf diese Weise bekommt man eine Erkältung verpasst, die mit Fieber einhergeht, und Fieber bedeutet in Westafrika mehr als an den meisten anderen Orten.

    In Accra begleitet mich Lady MacDonald an Land, was mir Gelegenheiten und Vorteile bot, die ich ansonsten nicht genossen hätte. Da war die Gastfreundschaft des Gouverneurs, der luxuriöse Transport von der Landungsstelle zu Christiansborg Castle und eine ausführliche Besichtigung der im Bau befindlichen Kathedrale. Dann die seltsame und hochinteressante Erfahrung, während der gemeinsamen Teezeit in einer Polizeistation einen König zu treffen – einen echten, regierenden König – der netterweise mit seinem Gefolge erschienen war und ein aufmerksames Interesse an Photographien zeigte. Tackie (der Name Seiner Majestät) ist ein alter, hagerer Mann mit kleinlautem Benehmen. Seine herrschaftlichen Rechte werden von der Regierung insofern anerkannt, dass sie ihn für jede Missetat eines Angehörigen seines Volks zur Verantwortung zieht. Und da die Regierung ihm untersagt, besagte Personen hinzurichten oder auszupeitschen, interessiert der irdische Pomp Tackie nicht besonders.

    Direkt nach dem Anlegen übernahm sofort ein stellvertretender Polizeiinspektor die Verantwortung und nach einem Getümmel um mein wichtigstes Gepäck und mich selbst, das mich an eine längst vergangene Ankunft auf der fernen Insel Guernsey erinnerte, bestiegen der Inspektor und ich eine Rikscha, welche man vor Ort Gokart nennt. Vorne wurde das Gefährt von zwei schwarzen Angestellten der Regierung gezogen und hinten von einem weiteren Paar geschoben, alle ordentlich bekleidet mit weißen Jacken und Kniebundhosen sowie meterlangen, um ihre Taille gewundenen purpurnen Schärpen. Nun ist es eine tief verwurzelte Eigenschaft des ungebildeten Schwarzen, dass er keinerlei ordentliche und vollständige Kleidung lange anbehalten kann. Es spielt keine Rolle, um welche Art Kleidung es sich handelt: Solange sie heil ist, wird sie sich lösen. Sobald dieselbe Kleidung jedoch zu einer Serie von Löchern geworden ist, die nur noch ein Netz von Stoff zusammenhält, trägt er sie mit beeindruckender Würde, und man muss sich keine weiteren Sorgen machen. Daher war es nur normal, dass die Regierungsschärpen, neu wie sie waren, sich während des gut drei Kilometer langen Weges mehrfach lösten und auf riskante Weise um die Beine unserer Träger wickelten. Wir mussten also mehrfach anhalten und warten, während das eine Ende der Schärpe an einen Baumstamm und das andere am jeweiligen Mann befestigt wurde. Sodann wickelte sich unser Träger mit einem Geschick, das von langer Übung sprach, geschwind wieder in die Schärpe hinein.

    Die breite und gepflegte Straße von Accra nach Christiansborg verläuft parallel zur Küste und ist stellenweise angenehm überschattet von Pfefferbäumen, Eukalyptus und Palmen. Bemerkenswert ist ihr erster Teil, zugleich die Hauptstraße von Accra. Die ungepflegten, von Armut gezeichneten Häuser und Hütten der Einheimischen sagen nichts Gutes über ihre Bewohner und sind für eine gewissenhafte Gesundheitskontrolle ein Quell beständiger Sorge. Fast jedes der Häuser ist ein kleines Geschäft, aber dies führt nicht zu jenem lebhaften Handel, den man erwarten sollte. Ich vermute, dies liegt daran, dass jeder einheimische Bewohner Accras, der irgendwelches Geld zum Ausgeben hat, dies ebenso gut einfach in seinem eigenen Laden ausgeben kann. Denn diese Geschäfte sind im Wesentlichen Lager, jedes auf seine Weise, und scheinen einheitlich bestückt mit Zinnpfannen, schrill gemusterten Becken, eisernen Töpfen, einigen Rollen Stoff und Flaschen amerikanischen Rums. Nachdem wir dies hinter uns gelassen hatten, kamen die Häuserzeilen der Haussa, einige Gebäude von Europäern und die Kathedrale. Als wir uns schließlich Christiansborg näherten, erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße Friedhöfe. Zur Rechten liegt der alte, geschlossene Friedhof, der sich bei meinem Besuch in einem entwürdigend heruntergekommenen Zustand befand, ein Dschungel aus Gras und voller Schlangen. Ihm gegenüber befindet sich der gegenwärtig genutzte Friedhof, und ich erinnere mich gut an meinen ersten Besuch dort. Ein düsterer Regierungsmitarbeiter begleitete mich und erzählte, er käme hier jeden Nachmittag her »um mich an den Ort zu gewöhnen, bevor ich ihn permanent beziehe«. Wie sich in der Folge zeigen sollte, war dies übrigens eine furchtbare Zeitverschwendung, denn er hat der Goldküste inzwischen wohlbehalten und für immer den Rücken gekehrt.

    Der Herr führte mich über den gepflegten Rasen zu zwei frisch ausgehobenen Gräbern, beide sehr nüchtern unter hölzernen Abdeckhauben. Ganz offensichtlich gehörten beide Abdeckhauben zum ständigen Erscheinungsbild des Friedhofs. Er sagte nichts, sondern winkte mit seiner Hand auf eine Weise, die zu sagen schien: »Triff-deine-Wahl,-sie-stehen-beide-bereit«. – »Warum?«, fragte ich lakonisch. »Nun ja«, antwortete er, »wir halten immer zwei Gräber für Europäer bereit. Wir müssen die Toten hier sehr schnell begraben, wissen Sie.«

    Ich wand mich. An jenem Nachmittag hatte ich bereits eine ordentliche Dosis an Details dieser Art verabreicht bekommen und war nicht bereit, weiteren Geschichten Glauben zu schenken. Also erklärte ich: »Was Sie da tun, ist völlig falsch, Sie ängstigen die Menschen nur zu Tode. Es ist völlig unmöglich, dass Sie täglich frisch ausgehobene Gräber benötigen. Es gibt hier gar nicht genug Weiße, um so eine Todesrate lange aufrechterhalten zu können.« – »Wir benötigen sie aber dennoch – zumindest in dieser Jahreszeit. Neulich mussten wir bereits vor zwölf Uhr mittags zwei Weiße begraben, und um vier Uhr nachmittags brachte ein Dampfer einen weiteren Toten.« – »Es war halb fünf«, warf einer unserer Begleiter ein, der es sehr genau nahm. »Wie ihr Burschen doch immer übertreiben müsst!«

    Wachsende Kenntnisse über die Goldküste haben mich restlos überzeugt, dass die Vorverlegung des zusätzlichen Begräbnisses um eine halbe Stunde das zu erwartende Ausmaß der Übertreibung bei Geschichten betreffend örtlicher Sterberaten recht gut wiedergibt. Tatsächlich brach nach meinem Aufbruch aus Accra dort und entlang der gesamten Goldküste eine jener fürchterlichen Epidemien aus, der innerhalb weniger Wochen über die Hälfte der weißen Bevölkerung zum Opfer fiel.

    Aber zurück zu unserer Staatsreise auf der Straße nach Christiansborg. Wir erreichten bald das Castle, ein von den Dänen errichtetes, außerordentlich geräumiges und solides Gebäude, das sich – trotz unserer angeblich überlegenen Hygiene – für das herrschende Klima wesentlich besser eignet, als unsere modernen Behausungen. Wir betraten den Burghof durch das bewachte Haupttor. Zur Rechten lagerte der Rest der Wache, die meisten schliefen auf ihren Matten, einige jedoch riefen geschäftig Gebetsformeln Richtung Mekka, wie sich dies für gute Muslime wie die Haussa gehört, andere wickelten sich in ihre Schärpen. Zur Linken lag Sir Brandford Griffiths Steckenpferd – ein feiner und erlesener Garten aus Amazonen-Lilien, überwiegend in Töpfen, und seltenen und schönen Blumen, die er aus seiner Heimat Barbados mitgebracht hatte. Garten und Hof überschattete ein Flammenbaum, ein feines Exemplar prächtiger Schönheit, herrlich mit seinen zartgrünen akazienartigen Blättern, seinen zinnoberroten und gelben Blüten und erstaunlich mit seinen riesigen Bohnen. Eine Treppenflucht führt vom Hof hinauf in den oberen Teil der Burg mit den Wohnräumen über der Reihe ausgedehnter, kühler tunnelartiger Sklavenbaracken, die nun als Vorratsräume genutzt werden. Die oberen Räume sind hoch und groß, durchflutet von einem weichen, freundlichen Licht und dem ewigen Donner der Brandung an der felsigen Landzunge, auf der die Burg erbaut ist.

    Vom Tag seiner Erbauung an vor über hundert Jahren weht der auflandige Abendwind die Gischt in jedes Versteck und jede Ritze des gesamten Bauwerks, und folglich ist es dort moderig – moderig in einem Ausmaß, das ich, trotz all meiner Erfahrung in jenem Paradies für Moder namens Westafrika, nirgendwo sonst erlebt habe. Unsere Fußabdrücke zeichneten sich in den Matten auf den Fußböden ab wie nach einem leichten Schneefall, und unter dem Mobiliar wuchsen Sporenpflanzen zu einer Größe, die besser ins Kohlezeitalter gepasst hätten als ins 19. Jahrhundert.

    Die Goldküste ist einer der wenigen Orte Westafrikas, an dem ich es nie als meine heilige Pflicht empfand, hinauszugehen und zu fischen. Ich weiß wirklich nicht, warum. Von See aus betrachtet ist es ein schönes Land mit endlosen gelben Sandstränden vor einer nahezu ununterbrochenen Kette blauer Hügel, die manchmal bis nah an den Strand heranreichen und dann wieder in dunstige Ferne zurückweichen. Allein vom Betrachten im Vorbeifahren ist es kaum vorstellbar, wie ungesund dieses Land tatsächlich ist. Es gibt Höhenlagen, und es fehlen die ausgedehnten Mangrovensümpfe, die der Betrachter gewöhnlich sofort mit gefährlichen Fieberkrankheiten assoziiert, die sich bei näherem Kennenlernen aber als keinesfalls schlimmer erweisen als diese höher gelegene, mit lichten Wäldern bewachsene Goldküste. Hier und in Lagos gibt es viele Dinge, die das Leben erträglicher machen und die sonst nirgendwo zu haben sind, bis man südlich des Kongo ist. Pferde halten sich in Accra zum Beispiel ziemlich gut, auch wenn es rund zwanzig Kilometer landeinwärts einen Gürtel Tsetsefliegen gibt, von denen ich Exemplare sichergestellt habe und im Britischen Museum identifizieren ließ. Wegen der Fliegen bedeutet der Versuch, die Tiere ins nahegelegene Aburi zu bringen, für die Pferde den sicheren Tod.

    Die Nahrungsmittel sind – obwohl schlecht und teuer – deutlich besser als das, was man weiter unten im Süden bekommt. Es gibt recht viele Ziegen und Schafe. Neben frischem Fleisch und Fleischkonserven sind viele gute Meeresfische erhältlich, denn der Westafrikanische Festlandsockel, der die Bucht von Benin säumt, strotzt vor Fischen, auch wenn der heimische Koch nur selten weiß, wie man sie zubereitet. An der Goldküste erhält man auch mehr Obst und Gemüse als weiter südlich: Nicht zuletzt sind die Mehlbananen⁶ köstlich, wenn man ihnen erlaubt zu reifen, sie anschließend der Länge nach in Streifen schneidet und ordentlich brät. Hinzu kommen die feineren Bananen, die auf die gleiche Art zubereitet sogar noch köstlicher sind, oder zermanscht und mit Reis, Butter und Eiern gebacken werden. Nebenbei: Laut der erdrückenden Mehrzahl einheimischer Zeugnisse werden Eier in diesem Land eher als Wahlkampfmittel genutzt als für kulinarische Zwecke. Den Besuch bei einem Stamm werde ich nie vergessen: Wann immer ich mich auf eine ihrer Bänke setzte, zerschlugen dessen Angehörige aus magischen Gründen rund um mich herum Eier. Sie meinten es gut. Aber ich werde der Versuchung, weitere Eiergeschichten zu erzählen, tapfer widerstehen und stattdessen fleißig noch Guanabanas, Guaven, Passionsfrüchte, Auberginen oder auch Garten-Eier, Jamswurzeln und Süßkartoffeln auflisten.

    Die Süßkartoffel sollte man kochen, dann entweder buttern und im Ofen bräunen oder frittieren. Auf diese oder jene Weise zubereitet bin ich ihnen sehr zugetan, doch meist begegnen sie mir auf eine Weise, die ich zutiefst verabscheue, denn so sind sie eine schwerwiegende Bedrohung für mich und meine unsterbliche Seele. Es ist immer das Gleiche: Sie kommen von einer langen und gefährlichen Käferjagd im Wald heim. Sie haben mit gewaltigen Käfern in der Größe von Pastetenformen gekämpft, die Ihnen an den Kopf flogen, sich in Ihrem Haar verfingen und Sie anschließend hinterhältig zwickten. Sie sind auch von zahlreichen Fliegen, Ameisen und ähnlichem Getier gestochen und gebissen worden. Vermutlich sind Sie bis auf die Haut durchnässt vom Regen oder dem Durchwaten von Flüssen. Sie sind müde, schlurfen bloß noch dahin und es wird oder wurde bereits mit der immer täuschenden tropischen Schnelligkeit dunkel. Als Strafe für Ihre Sünden geraten Sie in ein Dickicht auf einem Stück Land, das im Vorjahr zur Farm eines Einheimischen gehörte. Sie platzieren einen Ihrer Füße unter der zähen Ranke einer überlebenden Süßkartoffel, die sich unter irgendeinem stinkenden Kraut verbirgt. Ihren anderen Fuß stellen Sie auf einen anderen Teil eben jener Ranke. Prompt legen Sie kurz darauf Ihren Kopf in irgendein Stachelgewächs ab oder schwungvoll Kontakt mit einem Baumstumpf auf. Sofern menschliches Blut durch Ihre Adern fließt, werden Sie das Gemüse verfluchen!

    Dann sind da noch die Avocados, Limetten und Orangen. Über diese Orangen hätte ich gerne etwas erklärt: Sie sind gewöhnlich grün und süßlich im Geschmack, auch haben sie kaum weißes Mark. Ab und zu jedoch bekommt man eine große, gelb leuchtende Frucht von einem jener importierten Bäume, und diese sind sehr markhaltig und haben das volle Aroma von Verjus.

    Es gibt an der Küste auch Papayas, für Botaniker die Carica Papaya. Es ist eine fade Frucht. Für den Neuankömmling ist sie eine furchtbare Plage, denn sobald ein alteingesessener Küstenbewohner eine erblickt, erklärt er sofort: »Pa-pas sind sehr gut für die Verdauung, selbst wenn Sie ein zähes Huhn oder ein Stück Ziege lediglich zwischen die Blätter in den Baum hängen, ist es wegen der großen Menge Pepsin in der Pa-pa im Nu zart.« – Die Papaya enthält aber kein Pepsin, ihr aktiver Bestandteil ist Papain. Nachdem man dieses Loblied auf die Papaya einige Hundert Mal gehört hat, wird es schal. Weil es ein sehr häufiger Gesprächsgegenstand ist und derselbe Mann, wenn er die Gelegenheit bekommt, dieselbe Behauptung ein Dutzend Mal wiederholen wird, ist man schließlich schon beim Erreichen der Goldküste vom Thema gelangweilt. Auf meiner ersten Reise hatte ich davon derart die Nase voll, dass ich übereilt entschied, mich dieser Marotte der alteingesessenen Küstler entgegenzustellen, und die Ausrottung dieses Verhaltens vorzubereiten. Es war einer meiner vielen Fehlschläge. Bald begegnete ich einem alten Küstler, und es war eine Papaya im Sichtfeld. Noch bevor er loslegen konnte, preschte ich vor und verkündete: »Die Pa-pa ist hervorragend für die Verdauung.« Meine Hoffnung war, ihn mit der Demonstration meines Wissens so zu beeindrucken, dass mir den Rest des Vortrags erspart bliebe. Weit gefehlt.

    »Sehr richtig«, erklärte er feierlich. »Die Pa-pa ist eine sehr mächtige Frucht. Stellen Sie sich vor, es gab hier letztens einen traurigen Vorfall. Sie wissen ja, welch ein Ärgernis junge Assistenten sein können, immer besorgt um ihr Essen, Skorpione in ihren Betten oder Stiefeln und was nicht alles sonst noch. Wenn man ihnen dann geholfen hat, all diese Anfangsschwierigkeiten zu überwinden, und häufig schon früher, bekommen sie Fieber und geben den Löffel ab, oder verschwinden nächtelang in den Wohnquartieren der Einheimischen. Kannten Sie den armen B.? Er ist jetzt tot, hatte Fieber und ging innerhalb von acht Stunden ein wie ein Neugeborenes, obwohl er schon seit vierzehn Jahren hier lebte. Er bekam einen neuen Buchhalter zugeteilt, einen zarten jungen Mann mit der Gesichtsfarbe eines Milchmädchens und der fixen Idee, er habe Verdauungsstörungen. Es machte ihn ganz zappelig. Eines Abends lag zum Abendessen eine große Pa-pa auf dem Tisch, und B., ein furchtbar netter Kerl, erklärte ihm, wie gut sie für die Verdauung ist. Der Buchhalter erklärte, seine Probleme begännen immer so zwei Stunden nach dem Essen, und fragte, ob er ein Stück der Frucht mit auf sein Zimmer nehmen dürfe. ›Sicher‹, sagte B., und als die Pa-pa während des Essens nicht angeschnitten wurde, nahm der Buchhalter einfach die ganze Frucht mit.

    Am Morgen tauchte er nicht wieder auf, und als B. kurz vor dem Frühstück nachschaute, war er nicht in seinem Zimmer. Nur die Pa-pa lag auf dem Bett. B. vermutete, der Buchhalter ginge wohl spazieren, da er etwas zu zartbesaitet war, um bereits durch Quartiere der Einheimischen zu streifen. Also erklärte B. lediglich den Lagermitarbeitern, ihren Leuten zu sagen, dem Buchhalter zu helfen, sollten sie ihn irgendwo verirrt auffinden. Dann dachte er nicht mehr weiter daran – immerhin war zufällig Posttag und er hatte viel zu tun.

    Glücklicherweise legte der Kellner die Pa-pa zum Mittagessen erneut auf den Tisch. Andernfalls hätte wohl keine lebende Seele je erfahren, was aus dem Buchmacher geworden war. Denn als B. sie aufschnitt, waren im Innern neun Stahlknöpfe, eine Armbanduhr und die Schlüssel des armen Kerls. Anstatt sein Abendessen mithilfe der Pa-pa zu verdauen, hatte die Pa-pa den Spieß umgedreht und ihn samt seines Abendessens verdaut. Als B. die Frucht störte, hatte sie grade angefangen, die stählernen Reste zu zerlegen. In diesen Pa-pas ist wirklich eine Unmenge Pepsin, und wenn man etwas in ihre Blätter hängt …« und so weiter und so weiter.

    Ich brach zusammen und murmelte schwach, dies sei alles sehr interessant, doch mir täten die Freunde des armen jungen Mannes leid. »Nicht nötig«, erklärte der alte Küstler. Er hatte das letzte Wort, und ich werde nie wieder versuchen, die Gewohnheiten eines echten Küstlers zu ändern. Bei einem Kerl wie ihm muss man sehr dankbar sein für die Ehre, ihn zu kennen.

    Dennoch denke ich, dass der Wert der Papaya überschätzt wird. Zwar hängte auch ich einmal die Keule einer Ziege, in die kein Sterblicher einen Zahn hineinbekommen hätte, über Nacht in einen Papayabaum auf. Am Morgen war sie komplett verschwunden, zusammen mit dem Faden, an dem sie hing. Ob die Ursache des Verschwindens aber Pepsin war, Papain, oder schlicht eine diebische Seele, ließ sich nicht belegen. Ich bin jedenfalls in den Worten von Hans Breitmann »noch immer skeb-disch« betreffend der Papaya und das sollten Sie auch sein.

    Doch ich muss nun aufhören, über die Goldküste zu schreiben, oder ich werde immer weiter Geschichten erzählen und Ihre Zeit verschwenden. Auch bestünde die Gefahr, Anekdoten herausschlüpfen zu lassen, welche die Nerven kultivierter Bewohner gemäßigter Klimazonen schädigen könnten: etwa die über einen Heranwachsenden, der sich aus einem Lehrbuch für einen Sechsmonatskurs selbst Französisch beibrachte. Oder über den Mann, der Messingknöpfe trug. Die bewegende Geschichte dreier Blutegel und zweier Herren. Über einen flussaufwärts lebenden Doktor. Oder den Grund, weshalb man in jenen Gegenden kein Schwein essen sollte: Alle Einheimischen haben entweder den Medinawurm, Kraw-Kraw⁷ oder Geschwüre. Dann kommen die Schweine und … Du lieber Himmel! Diesmal war es knapp. Weiter zum nächsten Kapitel.

    KAPITEL II

    Fernando Po und die Bubi

    Enthält einige Berichte zur Besatzung der Insel durch die Weißen und den Sitten und Gebräuchen ihrer schwarzen Bewohner.

    Unsere Reise endete in Calabar mit einem beeindruckenden Feuerwerk zu Ehren von Lady MacDonald. Die ganze Siedlung, Schwarze wie Weiße, war auf den Beinen, um sie nach Kräften zu begrüßen, und diese Kräfte überstiegen meine von früheren Erfahrungen an der Goldküste geprägten Erwartungen bei Weitem. Bevor Sir Claude MacDonald sich wieder seiner Arbeit widmen musste, setzten er, Lady MacDonald und ich – noch immer in der Batanga – nach Fernando Po⁸ über, sodass ich die Gelegenheit erhielt, einige spanische Regierungsbeamte kennenzulernen.

    Über Fernando Po hatte ich schon allerlei tolle Geschichten gehört, und sowohl die Küste als auch große Teile der Insel selbst bereits kennengelernt. Doch obwohl ich viel über den Gouverneur gehört hatte, traf ich ihn erstmals in Begleitung von Lady MacDonald und dem Generalkonsul. Er ist eine außerordentlich angenehme Person. Als spanischer Marineoffizier hatte er einige Zeit in Kuba gelebt und dort recht gut Englisch gelernt, wenn auch mit starkem amerikanischen Akzent. Er erzählte sehr bewegend, als seine Ernennung zum Gouverneur bekannt wurde, hätten all seine Freunde ihm vorsichtig erklärt, seine Ernennung käme letztlich einer Exekution gleich – lediglich der Ablauf sei ein wenig unbequemer. Während seiner Anreise wurde diese Einschätzung täglich von den Geschichten der Seeleute und Händler bestätigt, die ihre Berichte mit Daten und Details über den Tod von Opfern des Klimas ausschmückten.

    Er war dennoch frohen Mutes, doch bei seiner Ankunft auf der Insel musste er entdecken, dass sein Vorgänger an Fieber gestorben war, und er selbst erlitt bereits am ersten Tag nach dem Anlegen eine schwere Fieberattacke. Man legte ihn in ein Bett und informierte ihn, dies sei dasselbe Bett, in dem der vorige Gouverneur seine letzten Stunden verbracht habe. In jenem elenden Zustand glaubte er endlich all die Geschichten, die man ihm erzählt hatte, und im Delirium gesellten sich ihrem Horror noch einige selbst kreierte Visionen des Todes und Fegefeuers hinzu. Glücklicherweise erwiesen sich sowohl Prophezeiungen wie auch eigene Überzeugung als Irrtum, und der Gouverneur entwand sich den Klauen des Todes. Doch er zog sich nun umgehend aus Port Clarence⁹ nach Basilé zurück, in die Nähe des höchstgelegenen Eingeborenendorfs, wo er für sich ein Haus bauen ließ.

    Dort wohnt der Gouverneur umgeben von einem Dorf der unglücklichsten Menschenwesen, die mir je zu Gesicht gekommen sind. Es sind die Übriggebliebenen einer Gruppe spanischer Kolonisten, die man ursprünglich irgendwo in den spanischen Besitzungen in Marokko angesiedelt hatte. Doch der Platz hatte sich als für menschliches Leben ungeeignet erwiesen, und die Kolonisten hatten die spanische Regierung gebeten, ihnen einen anderen Ort zuzuweisen. Die spanische Regierung hatte gerade einen ihrer gelegentlichen Anfälle von Interesse an ihrer Kolonie Fernando Po, und so schaffte man die Kolonisten dorthin. Der Gouverneur, ein überaus freundlicher und großzügiger Mann, der für jedes Land einen Gewinn darstellen würde, siedelte sie und ihre Familien in seiner Nähe an, damit sie dort gemeinsam mit ihm die Vorteile der Höhenlage von Basilé genießen konnten. Er glaubte fest an diese Vorteile, die er auch jedem erkrankten Weißen auf der Insel zukommen ließ, welcher Nation oder Religion auch immer. Unzweifelhaft sind die Fieberprobleme in Basilé auch geringer als in den tieferen Lagen, doch man muss dafür die üblichen Nachteile afrikanischer Höhenlagen in Kauf nehmen, vor allem den Überfluss an Regen, dichtem Nebel, sowie die häufigen und extremen Temperaturschwankungen. Und so schwindet die Zahl der Kolonisten noch immer, und ihre Kinder sterben regelmäßig an einer der vielen Varianten des auf der Insel sehr verbreiteten Entozoa-Wurms.

    Als der Gouverneur sich auf dem Berg niederließ, war er für Regierungsgeschäfte zunächst sehr schwer zu erreichen, und folglich installierte man für ihn eine Telefonleitung von Port Clarence durch den Wald bis zu seiner Residenz, und ganz Spanien war stolz auf dieses gewagte Stück moderner Technik. Doch oh je! Die Urwälder Fernando Pos waren von dem neuen Spielzeug ebenfalls fasziniert, und die Blätter und Zweige der Bäume tuschelten miteinander über das neue Ding so laut, dass die Menschen an den beiden Enden der Leitung kein Wort des anderen verstanden. Daraufhin ließ der Gouverneur entlang des Kabels eine Straße bauen, um die Bäume fernzuhalten, doch leider ist das Telefon noch immer ein höchst unzuverlässiges Kommunikationsmittel: Ein weitere Störungsquelle ist leider noch nicht ausgeräumt, nämlich die Angewohnheit der Eingeborenen, Teile des Kabels zu stehlen. Sie sind völlig überzeugt, ihrer Raubzüge nicht überführt werden zu können, solange man sie nur nicht auf frischer Tat ertappt. Der Gouverneur muss daher jederzeit befürchten, mitten im Gespräch mit Port Clarence unterbrochen zu werden. Schrecklich sich vorzustellen, wie viele Hallo?– Bist du noch da? – Sprich bitte lauter! ungehört im Wald verschwinden, bis die Unterbrechung bemerkt und irgendein Unglücksrabe als Bote losgeschickt wird.

    Aber nichts kann den Gouverneur bewegen, sich auch nur einen Kilometer Richtung Port Clarence zu bewegen, bis der Tag kommt, an dem er dort ein Schiff Richtung Heimat besteigen wird, und ich muss zugeben, dass dieses Vorgehen vernünftig erscheint, denn er war ein außerordentlich gesund und fröhlich wirkender Mann.

    Man sagt, Fernando Po sei eine vergleichsweise junge Insel und vor noch nicht allzu langer Zeit mit dem Festland verbunden gewesen. Immerhin ist die Wasserstraße nur rund dreißig Kilometer breit und nicht besonders tief¹⁰, doch mir ist dennoch unklar, welche Grundlagen für solche Ideen bestehen könnten. Die Vulkane Fernando Pos sind noch nicht erloschen, sondern ruhen lediglich, doch auf der anderen Seite ist die Insel alt genug, damit sich einige einzigartige Tier- und Pflanzensorten entwickeln konnten, und so etwas braucht Zeit. Ich denke, dass die Insel nie mit dem Festland verbunden war, sondern sich als Teil jener Kette von Vulkanen vom Meeresboden erhob, die sich von den Bergen Kameruns in südsüdöstlicher Richtung über den Atlantik bis Annobón erstreckt und eventuell noch weiter bis Tristan da Cunha auf halbem Wege zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Südamerika.

    Zu jener Kette an Vulkaninseln gehören Fernando Po (3106 Meter), Príncipe (914 Meter), São Thomé (2107 Meter) und Annobón (411 Meter)¹¹, sie alle sind außerordentlich schön und sehr fruchtbar. São Thomé und Príncipe sind portugiesische Besitzungen, Fernando Po und Annobón spanisch. Allesamt sind sie außerordentlich ungesund. São Thomé nennt man noch immer den »Friedhof der Holländer« in Erinnerung an die schrecklichen Verluste, die die Holländer während ihrer kurzen Besatzung der Insel allein durch das Klima erlitten. Während des langen Krieges, den diese beiden Mächte gegeneinander in jener Region um eine Vorherrschaft austrugen, die schließlich keine der beiden gewann, scheinen die Holländer praktisch jede portugiesische Besitzung irgendwann einmal besetzt zu haben. Príncipe ist angeblich die ungesündeste der Inseln, und der Unterschied zwischen ihr und Annobón dürfte darin liegen, dass Príncipe im warmen Guineastrom liegt, Annobón jedoch im Äquatorialstrom, der im Durchschnitt zehn Grad kühler ist als sein Nachbar.

    Die Küsten São Thomés berühren beide Ströme, und die Gewässer rund um Fernando Po sind durchmischt und ihre Zugehörigkeit ungewiss. Für jemanden, der nie diese Meere bereiste, dürfte die Bedeutung, die wir den dortigen Meeresströmungen beimessen, schwer verständlich sein. Doch sie ist erheblich, insbesondere, wenn man ein kleines Segelschiff navigiert, wie ich dies notgedrungen zum Fischen öfters tat. Auch ihr Einfluss auf das Klima ist deutlich spürbar. Wenn wir nur irgendein Großereignis auf dem Grund des Atlantik auslösen könnten, das die so innig geliebte Guineaströmung dorthin zurückschickte, wo sie offenbar herkommt, und stattdessen den kühlen Äquatorialstrom entlang der Festlandküste lenkte, wäre Westafrika wohl kaum wiederzuerkennen.

    Fernando Po ist die größte Insel der westafrikanischen Küste und zugleich eine der schönsten der Welt. Der Höhepunkt der großartige Vulkanformation mit vielen Kratern ist der gewaltige Kegel des Clarence Peak¹², den die Spanier Pico de Santa Isabel und die Einheimischen der Insel O Wassa nennen. Von See oder vom Kontinent aus betrachtet erscheint die Insel wie ein einzelner riesiger Berg, der sich aus dem Meer erhoben hat. Seewärts kann man den Vulkan bei klarem Wetter (und insbesondere in der seltsam klaren Luft nach einem Tornado) aus über hundertfünfzig Kilometer Entfernung erkennen. Manchmal ist es möglich, Fernando Po vom weit entfernten Strand Bonnys aus zu betrachten, und ich kann mir keinen perfekteren Anblick der Insel vorstellen, scheinbar schwebend im Sonnenuntergang wie ein Werk der Feen aus Gold und Amethyst. Fast dieselbe Begeisterung stellt sich ein, wenn man die Insel aus der Nähe betrachtet, insbesondere vom Festland bei Victoria aus, lediglich dreißig Kilometer von der Insel entfernt. Die Variationen ihrer Schönheit sind grenzenlos, meist weich und farbenprächtig, doch ich sah die Insel auch als scharf gezeichnete Silhouette vor dunklen Tornadowolken und großartig düster von den oberen Regionen seines großen Bruders Mungo¹³ aus. Und was Fernando Po im Licht des Vollmonds angeht – nun, reisen Sie hin und schauen Sie es sich an!

    Die gesamte Insel ist – oder besser gesagt war – bis fast zu den Gipfeln hinauf von einem dichten Mischwald bedeckt, reich bestückt mit Ölpalmen und Baumfarnen und einem Unterholz, das einen immensen Artenreichtum an Farnen und Moosen aufwies. Ungewöhnlich für Westafrika wächst hier sogar Zuckerrohr wild. Die letzte bedeutende botanische

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