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Tibesti: Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan 1868-1874
Tibesti: Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan 1868-1874
Tibesti: Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan 1868-1874
eBook602 Seiten6 Stunden

Tibesti: Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan 1868-1874

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Über dieses E-Book

Der preußische Arzt und Gesandte durchquert die Sahara und gelangt ins sagenumwobene Gebirge Tibesti. Aus seiner Reise trotz er Wassermangel und räuberischen Nomaden. Am Ende seiner Reise wird der deutsche Diplomat der erste Europäer sein, der den Sudan durchquerte. Heute gilt Gustav Nachtigal, vor allem durch seine detailreichen und unvoreingenommenen Reisebeschreibungen, neben Heinrich Barth als der bedeutendste deutsche Afrikaforscher des 19. Jahrhunderts.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Juli 2013
ISBN9783843803472
Tibesti: Die Entdeckung der Riesenkrater und die Erstdurchquerung des Sudan 1868-1874

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    Buchvorschau

    Tibesti - Gustav Nachtigal

    eintraf.«

    1. KAPITEL

    Ein königlicher Auftrag

    Gegen Ende des Jahres 1862 hatten mich meine kranken Lungen auf die Nordküste von Afrika geführt. Ich hatte mich in Algerien, besonders in der Provinz Constantine, aufgehalten, war im folgenden Jahr aus Neugierde nach Tunis gekommen und hatte dort vollständige Genesung gefunden.

    Die wenig verfälschte Eigenartigkeit dieser Krone aller maghrebinischen Städte gegenüber dem durch die französischen Eroberer europäisierten Wesen Algeriens hatte mich zuerst angelockt. Der natürliche Reichtum, das glückliche Klima des Ländchens, seine wechselvolle, einst so glänzende Geschichte mit ihren der Zeit noch trotzenden Spuren hatten mir den Aufenthalt in ihm lieb und interessant gemacht, Dankbarkeit für die wiedergewonnene Gesundheit, dort erworbene Freunde und eine angesehene ärztliche Stellung fesselten mich an dasselbe.

    Viele Monate habe ich damals auf den Ruinen von Karthago gesessen und die Bilder einer großen Vergangenheit an meinem Geiste vorüberziehen lassen, nicht ohne den betrübenden Eindruck des Vergleichs zwischen Einst und Jetzt zu empfinden, wenn ich, wie alljährlich, den Sommer im Hause des damaligen Premierministers, Sîdî Mustafa Chasnadâr, am alten Kriegshafen Karthagos zubrachte. Kümmerlich blickt dort die Kapelle des heiligen Ludwigs herab von der Höhe des Hügels, den einst die stolze Byrsa krönte. Alles, die mächtigen Mauern, die stolzen Bauten der Stadt, die einst Rom die Herrschaft streitig machen konnte, ist dahingesunken, fast ohne Trümmer zurückzulassen.

    Die folgende römische Herrschaft bedeckte das fruchtbare Ländchen mit Städten und Burgen, deren Ruinen den Gegensatz jener Periode zur Jetztzeit überall zum lebhaften Ausdruck bringen. Wie überwältigend und beschämend sprechen nicht die gigantischen Reste des Gordianischen Prachtbaus, des stolzen Amphitheaters zu Tysdrus, die zu el-Dschemm mitleidig auf die elenden Hütten der jetzigen Bewohner herabzublicken scheinen, von einstiger Macht und Herrlichkeit und jetziger Verkommenheit!

    Krone einer Dattelpalme mit Früchten

    Wo ist auch nur die Zeit des mittelalterlichen Glanzes von Tunis el-Chadrâ oder die sichtbare Erinnerung daran geblieben? Alles hat dem Mangel und Elend Platz gemacht. Freilich, in den Augen der islamitischen Welt prangt die »grüne« Stadt noch im Gewand früherer Herrlichkeit, und im Inneren Afrikas wird man von frommen, belesenen Mohammedanern beneidet, diesen Inbegriff aller irdischen Pracht mit Augen geschaut zu haben.

    Seit ich den klassischen Boden Tunesiens betreten hatte, vollzog sich der Verfall des so reich von der Natur ausgestatteten Ländchens mit betrübender Schnelligkeit.

    Unter einem gutmütigen Herrscher von betrügerischen Würdenträgern verwaltet und von europäischen Spekulanten und Wucherern ausgesogen, brachte es eine mehrjährige Dürre an den Rand des Abgrundes. Bis in den Anfang der Sechzigerjahre ohne irgendeine Schuldenlast, war der bedenkliche Weg der europäischen Anleihen kurz vor meiner Ankunft betreten, und in wenigen Jahren von der gewissenlosen Regierung eine unerträgliche Schuldenlast kontrahiert worden.

    Die Einwohner wurden auf das Nichtswürdigste ausgebeutet; der Ackerbau minderte sich um fast das Zehnfache gegen früher; die Nomaden zogen sich in die Wüstengebiete des benachbarten Algeriens zurück, beraubten und bekämpften sich untereinander und vereinigten sich endlich gegen die Regierung.

    Revolution im verarmten Tunesien

    Im Jahr 1864 brach im Zentrum des Reiches eine Revolution aus, die nahe daran war, der ganzen Dynastie ein Ende zu machen. Ich durchlebte sie von Anfang bis zu Ende im Inneren des Landes mit dem Chef einer gegen die Empörer ausgesandten militärischen Kolonne, dem damaligen Minister des Inneren, Sîdî Rustam, der als tscherkessischer Mameluk im Knabenalter nach Tunis und zu hohen Ehren gekommen war.

    Dieser bildete mit dem in einer späteren Periode an der Spitze der Regierung stehenden Sîdî Huseïn – beide waren, wie Rustam, tscherkessischen Ursprungs – und dem damaligen Marineminister Sîdî Mohammed Chasnadâr, – einst ein griechischer Mameluk –, eine kleine Gruppe ehrenhafter Männer, die mit trauerndem Herzen den rapiden Verfall ihres Adoptivvaterlandes sahen, ohne ihn aufhalten zu können.

    An der Spitze der Revolution, die fast alle Stämme des Zentrums von Tunesien umfasste, hatte sich ein Chef des Araberstammes der Mâdscher, namens Alî Ben Ghadâhum, gestellt. Nur die wenigen Städte des Inneren, Kaïruwân, Bâdscha, el-Keff sowie die zahlreicheren der Ostküste, Sûsa, Mehedîja, Monastîr, Sfâqes, Qâbes, hielten wirklich oder scheinbar zur Regierung.

    Der Wüstenanteil Tunesiens, das Beled el-Dscherîd oder Dattelland, lag zu weit vom Mittelpunkt des Landes entfernt, um sich an der Bewegung zu beteiligen. Die Bergbewohner im Nordwesten des Landes und an der tripolitanischen Grenze, wenn sie auch wenig Gemeinsames mit den empörten Arabern hatten, waren ohnehin der Regierung stets feindlich gesinnt gewesen.

    Unter den ungünstigsten Aussichten zogen wir mit etwa 5000 Mann aus, die sich aus einem Bataillon regulärer Infanterie, etwa 2000 Mann Zuâwa, d. h. Berbern der algerischen Berge, die seit Langem eine irreguläre Truppe des tunesischen Fürsten bildeten, und aus irregulären arabischen Reitern zusammensetzten.

    Die Aufgabe des Führers, Sîdî Rustam, war eine kriegerischpolitische und fast verzweifelte, wurde jedoch bei der politischen Unfähigkeit der Rebellen durch seine Versöhnlichkeit, Geduld, Klugheit und Zähigkeit zu einem glücklichen Ende geführt. Nachdem die empörten Stämme durch die schlauen Intrigen der tunesischen Regierung zur Uneinigkeit gebracht waren, schlugen unsere Truppen den Rebellenhäuptling und seine Scharen bei der Quelle Aïn-Bâbusch, südlich von el-Keff, und später bei den Ruinen von Haidra, nahe der algerischen Grenze, etwa 5 Stunden von Tebessa, aufs Haupt. Alî Ben Ghadâhum überschritt nach dem letztgenannten Gefecht die benachbarte Grenze; die Revolution war zu Ende, und gerade ein Jahr, nachdem wir die Hauptstadt verlassen hatten, zogen wir siegreich wieder in dieselbe ein.

    Trotz des Erfolgs ging die Regierung geschwächt aus der Revolution hervor und eilte nur um so rastloser ihrem Untergang entgegen. Leider hob ihr Sieg für den Augenblick den gesunkenen Kredit in Europa; neue Millionen flossen ihr vom Ausland zu, und schonungslos entrangen sie den erschöpften Provinzen die letzten Kräfte, um den daraus entspringenden Verpflichtungen zu genügen.

    Dazu hatten die regenarmen Jahre eine Reihe von Missernten im Gefolge und, um das Maß des Unheils vollzumachen, verheerte eine Cholera-Epidemie im Jahr 1866 das Land und entmutigte die arme Bevölkerung. Das Elend des folgenden Winters wurde fürchterlich. Eine Hungersnot folgte der Dürre und raffte hin, was Revolution und Cholera verschont hatten.

    Aus den Moscheen und religiösen Herbergen wurden die Verstorbenen morgens gesammelt und auf Wagen zum Massenbegräbnis gefahren; auf den Landwegen stieß man auf unbeerdigte, unförmig geschwollene Leichname, und fern von der Hauptstadt wurden hier und da Kinder geschlachtet und verzehrt.

    Der Hungertyphus wütete während des Winters 1867/68; der Himmel goss eine scheinbar unversiegbare Schale des Unheils auf das arme, gequälte Land aus. Alles brach zusammen. Die Einwohner waren dezimiert und ihr Wohlstand untergraben, der Kredit des Landes erschöpft und die Schuldenlast ungeheuer. Die Männer, die durch ihre Intelligenz und Ehrenhaftigkeit zur Rettung des Staates berufen schienen, zogen sich zurück, und nur die unheilvollen Spitzen der Regierung blieben unentwegt und arbeiteten mit alter Emsigkeit am allgemeinen Ruin.

    Eine entscheidende Begegnung

    Angewidert von der Unredlichkeit und Unfähigkeit, deren Zeuge ich sein musste, und verzweifelnd an der Wiedergeburt des herrlichen Ländchens, bereitete ich meine Rückkehr nach Deutschland vor, als Gerhard Rohlfs auf seiner Reise nach Tripolitanien Tunis berührte. Er war Träger der Geschenke, die Seine Majestät König Wilhelm, damals noch nicht Kaiser von Deutschland, dem Scheïch Omar, Sultân von Bornû, zu senden beschlossen hatte, in dankbarer Anerkennung des treuen Schutzes und der materiellen Unterstützung, die derselbe deutschen Reisenden, Barth und Overweg, Vogel, von Beurmann und Rohlfs, stets so großmütig gewährt hatte. – Wenn kein geeigneter Deutscher zur Übernahme dieser Mission gefunden würde, so sollten die Geschenke dem alten bewährten Diener Barths und Rohlfs, Mohammed aus Qatrûn im Fezzân zur Überführung nach Bornû anvertraut werden.

    Wenn früher nicht selten der Wunsch lebhaft in mir aufgestiegen war, mehr von dem geheimnisvollen Kontinent zu sehen – auf dessen Nordküste mich das Schicksal geführt hatte und der, obgleich er in der Geschichte eine so hervorragende Rolle gespielt hat und Europa so nahe liegt, doch eine rätselhafte Sphinx für uns geblieben ist – so hatte ich doch in Rücksicht auf meine geringe Befähigung zu wissenschaftlichen Forschungsreisen diesem Gedanken zu entsagen gelernt. Mir fehlte Erfahrung im Reisen, und ich beherrschte keines der naturwissenschaftlichen Fächer, ein Mangel, der die Ergebnisse meiner späteren langen und mühevollen Wanderung in ihrem Wert nur allzu sehr beschränkt.

    Trotz des Bewusstseins meiner wissenschaftlichen Unzulänglichkeit vermochte ich dieser sich darbietenden Gelegenheit, die mir im ungünstigsten Fall eine erinnerungsreiche Reise versprach, nicht zu widerstehen, zumal ich ohnehin meinen Aufenthalt in Tunis aufzugeben beabsichtigte. Es erschien mir als Pflicht, wenn kein Besserer gefunden würde, diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, und mein ärztlicher Charakter und meine Kenntnis der arabischen Umgangssprache und mohammedanischer Sitte versprachen mir, die Lösung der Aufgabe zu erleichtern.

    So entschloss ich mich zur Reise, und wenige Wochen nach Gerhard Rohlfs Durchreise, einige Tage nach dem Weihnachtsfest des Jahres 1868, folgte ich ihm. Ich vermochte dem Drängen meines, jedem tunesischem Arzt unter dem wohlklingenden Titel eines Dolmetschers anhaftenden israelitischen Dieners David, nicht zu widerstehen und erlaubte ihm, mich zu begleiten. Doch als ich mich im Hafenort der Stadt Tunis, Halk el-Wâdî, in der italienischen Übersetzung La Goletta genannt, nach Malta einschiffte, drang ein Mann – Giuseppe Valpreda, ein Piemontese, den ich lange als Koch und Diener in einem befreundeten Haus kennenzulernen Gelegenheit gehabt hatte – in mich, ihn zum Begleiter zu wählen. Da derselbe im Bericht über meine ersten Reisejahre oft erwähnt werden wird, so will ich hier einige Worte über ihn vorausschicken.

    Bäcker von Profession hatte sich Giuseppe als solcher in La Goletta niedergelassen, nachdem er die zuvor angedeutete Stellung aufgegeben hatte. Er hatte unter der rückgängigen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, unter der Geldlosigkeit der Beamten und der Armut der Bewohner schwer zu leiden gehabt und sehnte sich lebhaft vom Platz seiner Enttäuschungen hinweg. Ich kannte ihn als einen mutigen, in allen mechanischen Fertigkeiten sehr geschickten, praktischen Mann, und der Gedanke, meinen allzu jugendlichen David, der überdies in den mir bevorstehenden mohammedanischen Ländern eines primitiven Fanatismus als Jude nicht recht am Platz schien, durch ihn zu ersetzen, war mir durchaus nicht unangenehm. Doch setzte ich ihm die Zwecke meiner Reise auseinander, schilderte ihm die Mühen, Entsagungen und Gefahren, die von einer derartigen Unternehmung nicht zu trennen sind, und suchte ihm auf jede Weise seinen Plan auszureden.

    Kaum in Malta angekommen, setzten mich Depeschen meiner Freunde davon in Kenntnis, dass Giuseppe mit großer Festigkeit an dem Gedanken, mich zu begleiten, festhalte, und so wurde mir der Entschluss nicht schwer, David zurückzuschicken und jenen nachkommen zu lassen. Ich begab mich eiligst nach Tripolis, wo Gerhard Rohlfs auf mich wartete, besprach mit diesem meine bescheidene Ausrüstung und den ganzen Plan der Reise, und kehrte mit demselben Schiff nach Malta zurück, um die Erstere zu vollenden.

    Giuseppe war mittlerweile angekommen. Einige Feuerwaffen und ihre Munition, einige Uhren, ein kleines Zelt, zweckmäßige Kleidungsstücke, Seife, Schreibmaterialien, Fleischextrakt, Schokolade, Tee, Kaffee und dergleichen waren bald eingekauft, österreichische Mariatheresientaler, die in so vielen Ländern Nordafrikas hauptsächliche Verbreitung haben, schnell eingewechselt, und schon mit dem nächsten Schiff konnte ich nach Tripolis zurückkehren. Viel Wichtiges war in Malta leider nicht zu beschaffen, so z. B. konnte ich trotz aller erdenklichen Mühe, der sich der Befehlshaber der dortigen Flottenstation, Sir Clarence Paget, mit großer Liebenswürdigkeit unterzog, nur wenige meteorologische Instrumente auftreiben und musste die meisten derselben aus Europa nachkommen lassen.

    Ich muss bekennen, dass ich damals kein Auge für Malta hatte, diesen merkwürdigen Fels im Meer, mit seinen geschichtlichen Erinnerungen, seinem großartigen, belebten Hafen und seiner interessanten, rastlosen Bevölkerung, die ein so wichtiges kolonisatorisches Element an der Nordküste Afrikas bildet, und dass selbst Tripolis mich nicht zu fesseln vermochte, waren doch alle meine Gedanken auf Bornû und die Geheimnisse des innersten Afrikas gerichtet.

    Und doch war es ein liebliches Bild, das sich vor den Augen des ankommenden Reisenden allmählich auf der Reede von Tripolis – Tarâbulus – entfaltete. In den Strahlen der glitzernden Morgensonne anfangs verschwimmend, hoben sich allmählich zuerst links die malerische Masse des festen Schlosses und dann vor uns über der Stadt die gleich Säulen oder Mastbäumen emporragenden schlanken Minarette der Moscheen hervor.

    Allmählich zeichneten sich die luftigen Kuppeln der religiösen Gebäude, die reinlichen, weißen Stadtmauern mit ihren Zinnen und Türmchen und die reizende Zierde der das Ganze überragenden schlanken Dattelpalmen für das Auge bestimmter ab. Rechts trug eine ins Meer vorspringende Felszunge Festungswerke, und allmählich unterschied man die einzelnen sauberen Häuser mit ihren Dachterrassen, von denen die ansehnlicheren der Europäer, die niedrige Stadtmauer überragend, die Aussicht auf das Meer haben.

    Beim Besuch orientalischer Städte muss sich der Reisende an Enttäuschungen gewöhnen. Aus der Ferne Sauberkeit und Glanz, pflegt innen alles Schmutz, Ruin und Elend zu sein. Auch Tripolis leistet nicht das, was es verspricht, ohne gleichwohl das Gepräge des Verfalls in einem Grad an sich zu tragen, wie so viele Schwesterstädte an der Küste des Mittelmeeres.

    Folgen wir der europäisch gebauten, in der ganzen Länge der Stadt am Ufer sich hinziehenden Seestraße, die ihren Bewohnern die herrlichste Fernsicht über das Meer gestattet und gleichzeitig von der erfrischenden Brise bestrichen wird, so gelangen wir auf einen kleinen Platz, auf dem das modernste Gebäude von Tripolis steht, der Uhrturm. Dessen unterstes Stockwerk enthält Läden, vor denen die Würdenträger und Notablen des Ortes ihre Mußestunden im Beobachten des Straßenlebens verbringen. In seiner Höhe zeigt eine Uhr die Stunden der türkischen Tageseinteilung. Mit diesem Monument hatte der damalige Gouverneur, Alî Rizâ Pâschâ, die Hauptstadt der ihm anvertrauten Provinz beschenkt.

    Eine andere Straße führt vom Turmplatz in die Hauptbasarstraße, die wie in allen mohammedanischen Städten der Mittelmeerküste die sauberste, reichste und interessanteste ist. Dies ist der sogenannte Suq el-Turk mit seinen türkischen und arabischen Handelsherren, die ernst und würdevoll in ihren kleinen Läden sitzen, nie ihre Ware anpreisen, nie ihre Preise verrücken, und, scheinbar uninteressiert um Kauf und Verkauf, den Tag im Gespräch mit den Nachbarn und Besuchern, mit Lektüre oder in dem indifferenten Schweigen und müßigen Träumen verbringen, das den Orientalen so wenig schwerfällt. Unbekümmert um die Konkurrenz der Neuzeit, die ihren Markt mit europäischen Waren überschwemmt, die, den ihrigen unstreitig ähnlich, sich zwar durch Mangel an Solidität, aber auch durch billige Preise auszeichnen, leben sie in der Welt ihrer Erinnerung und ihrer Träume.

    In den Basaren pulsiert, wie in den übrigen mohammedanischen Ländern, das öffentliche Leben, und wenn dasselbe in Tripolis nicht besonders rege ist, so zeichnet es sich doch durch seine bunte Physiognomie aus. Tripolis ist ein Hauptausgangspunkt des Handels der Ghadâmesîja, Bewohner von Ghadâmes, deren Handel die westliche Wüste beherrscht, und welche die Beziehungen zu den Tuârik vermitteln, Kontore in den Haussastaaten haben und über Tuât nach Timbuktu reisen. Die Kaufleute der Stadt selbst und der Cyrenaïka, die Bewohner von Ghariân und der Oasen Fezzâns teilen ihre Handelsbeziehungen zwischen den Haussastaaten und Bornû und haben neuerdings angefangen, nach Wadâï zu reisen. Dementsprechend findet man neben diesen Kaufleuten ihre Geschäftsfreunde aus den verschiedensten Ländern Innerafrikas: den reichen Ghadâmesî im Burnus und in Schnabelschuhen neben dem antlitzverschleierten Târikî; den Bewohner von Fezzân neben dem Neger aus Bornû und Haussa und dem schlanken Tubu.

    Tripolis ist eng gebaut, d. h. enthält keine weiten unbebauten Plätze, wie Tunis – das freilich daneben auch zahllose enge Gässchen besitzt –, und häufig sind die Straßen durch Mauerbögen überwölbt, welche die gegenüberliegenden Häuser verbinden. Die engen Gassen werden, wie in Tunis, Zanka genannt, die breiten Wege heißen Schâra, während die Straßen der Kaufleute auch hier die Bezeichnung Suq, d. h. Basar, führen.

    Die mir später gemachten Angaben der Regierungsbeamten über die Bevölkerungsmenge der Stadt, die natürlich auch hier nicht amtlich festgestellt wird, stimmten ungefähr mit meiner Annahme von circa 20 000 Seelen überein.

    Die Macht ist jetzt ganz bei den türkischen Beamten, die unter einem Wâlî oder Generalgouverneur, gewöhnlich einem Muschîr, dessen Rang den eines Divisionsgenerals überragt, stehen. Trotz ihrer immerhin beschränkten Zahl treten sie bei der geringen Gesamtbevölkerung unangenehm in den Vordergrund in ihrem schwarzen Tuchrock mit Stehkragen – Stambulîja –, ihren unvermeidlichen Glanzschuhen mit niedergetretenen Kappen und ihrem türkischen Tarbûsch, dessen fahles Braunrot und schwarze, spärliche Quaste mir gegen die unvergleichliche Farbe und die vollen, schönen blauen Behänge der tunesischen Mützen abscheulich vorkamen.

    Einen wohltuenderen Eindruck als sie machten die von der tunesischen Insel Dscherba stammenden Leute, die eine ansehnliche Kolonie in Tripolis bilden. Sie sind tätig und klug, wie die Berber, denen sie angehören, körperlich wohlgebildet und gut gekleidet, und haben einen großen Teil der besseren Läden der Basare inne.

    Eine Klasse der Bevölkerung, die in Tripolis bei Weitem mehr hervortritt als in Tunis, ist die der Neger von mehr oder weniger reinem Blut, ein Umstand, der sich aus der bis in die neueste Zeit fortdauernden Einfuhr von Vertretern des Dar el-Abîd, d. h. des Landes der Sklaven, erklärt. In Tunis hat der Sklavenhandel so vollständig aufgehört, dass bei meiner Abreise von dort der Bey und sein damaliger Premier-Minister in meiner Abschieds-Audienz scherzend baten, ich möchte doch ja so viel wie möglich kleine Usfân (Mehrzahl von Usîf, Neger) mitbringen. Wenn die hohen Herren von Tunis ihren Hausstand um schwarze Diener, Eunuchen oder Arbeitssklavinnen vermehren wollen, so schicken sie nach Tripolis und lassen sie dort zu hohen Preisen kaufen.

    Freilich ist der Sklavenhandel auch in Tripolis streng verboten und gewiss sehr zurückgegangen, doch im Verborgenen findet noch mancher Umsatz in schwarzer Menschenware statt. Nach wie vor kommen alljährlich verschiedene Sklavenkarawanen nach Tripolis, doch die Trupps werden von Jahr zu Jahr kleiner, und anstatt sie in die Stadt zu führen, bringt man sie in die Gärten der Meschîja, um sie von dort aus allmählich und einzeln zu verkaufen. Glücklich bis zu diesem Ziel angelangt, sind die armen Fremdlinge aller Sorge enthoben, werden auf das Humanste behandelt, mit einem Freibrief – Atâka – ausgestattet und stehen nach kurzer Zeit in dem Verhältnis der römischen Freigelassenen zu ihren Herren. Sobald sie die Lust zum Verheiraten erfasst – und das kommt unrettbar bald bei einem Neger – und sich im Haus ihrer Herren keine Gelegenheit findet, einen selbstständigen Haushalt zu gründen, so lassen sie sich außerhalb nieder, doch fast nie wird das Verhältnis zu ihren einstigen Herren gänzlich gelöst.

    Wenn man von einem Neger in Tripolis hört, er stamme aus dem Sudan, d. h. dem Land der Schwarzen, so muss man nicht denken, dass es sich im weiteren Sinne um die südlich von der Wüste sich von den Nil- bis zu den Nigerländern erstreckenden Landschaften handele. Vielmehr gebraucht man schon an der Küste wie in der ganzen Wüste und in einem großen Teil des Sudans selbst diesen Ausdruck im engeren Sinne nur für die westlich von Bornû gelegenen Haussastaaten, aus denen in der Tat die meisten und beliebtesten der nach Tripolis gelangenden Sklaven stammen. Schon hier, im herrlichsten Klima, sollen übrigens die Neger nicht gedeihen, häufig langsam zugrunde gehen und eine spärliche, wenig lebenskräftige Nachkommenschaft erzielen.

    Wir kommen endlich zu den Europäern, die, was die Zahl angeht, fast ganz aus Maltesern bestehen, den gläubigsten Anhängern und Beförderern der in Tripolis unter der Leitung eines Padre Prefetto bestehenden katholischen Mission. Wie in allen Ländern der Nordküste Afrikas kommen sie besitzlos an und bringen es durch bewunderungswürdige Sparsamkeit und Mäßigkeit, durch Geschicklichkeit, Schlauheit und rastlose Tätigkeit ohnegleichen nicht selten in zehn Jahren zu einem ansehnlichen Vermögen. Handel bleibt ihr Hauptelement, doch eignen sie sich fast ebenso gut zum Landbau, zum Schiffsdienst, zur Viehzucht. Ihre Fruchtbarkeit, ihr Kinderreichtum ist staunenerregend. Die vornehme Klasse der Europäer endlich wird durch die Konsuln und ihre Beamten und durch die in Tripolis angesessenen reichen Kaufleute gebildet.

    Gerhard Rohlfs war in der Erwartung meiner Rückkehr von Malta und seiner eigenen Abreise in ein Gartenhaus Herrn Rossis in der Meschîja übergesiedelt und wir begaben uns alsbald zu ihm.

    Anfangs über den weiten, wüsten Platz reitend, der zur Abhaltung eines ansehnlichen Wochenmarktes und auch zu Spaziergängen der in dieser Beziehung nicht verschwenderisch bedachten Europäer dient, wendeten wir uns dem sandigen Meeresufer zu und erreichten bald das am Rand der kümmerlich dem Sand abgewonnenen Oase gelegene Landhaus des Konsuls. Man darf sich dasselbe freilich nicht als eine üppige Villa vorstellen, wie solche die nächste Umgebung Algiers oder die Gärten der Manûba und Marsâ bei Tunis zieren; es war ein einfaches kleines Häuschen, nur zum Verbringen der Tageszeit in einem mühsam geschaffenen Grün geeignet, doch von Gerhard Rohlfs für einige Wochen recht wohnlich hergerichtet. Ein enthusiastischer deutscher Kellner hatte sich diesem als Diener aufgedrängt und fungierte als Koch, während ein junger Photograph aus Berlin, der die Expedition in die Cyrenaïka wegen beabsichtigter Aufnahmen begleiten sollte, sich der übrigen Haushaltung annahm.

    Diese Landsleute erschienen mir wenig beachtenswert gegenüber dem würdigen Mohammed el-Qatrûnî, dem Gefährten Barths nach Timbuktu, der auch Gerhard Rohlfs nach Bornû und Mandara begleitet hatte, und seinem weißen Tuârikkamel, das ihn von der letzten Reise aus Bornû heimgetragen hatte. Er war aus seiner Heimat Fezzân, wo er in dem Dorf Dudschâl nahe der Hauptstadt Mursuk lebte, herbeigekommen, um auch mich zu begleiten, und war in einem Stall beschäftigt, die Kamelsättel zur bevorstehenden Reise zu verfertigen. Mit achtungsvoller Scheu betrachtete ich sein schwarzes rundes Antlitz mit den zahllosen Furchen, der kleinen Stumpfnase mit den weiten Nüstern, dem zahnlosen Mund, den vereinzelten weißen und schwarzen Barthaaren, den großen Ohren und den treuen Augen.

    Der alte Mohammed war kein Mann vieler Worte, wie ich noch Jahre hindurch zu beobachten Gelegenheit hatte; er war ein stiller, freundlicher alter Mann, der den Freuden des Lebens nicht abhold war, aber selten aus seiner durch Natur und reiche Erfahrung bedingten aequitas animi heraustrat. Maßvoll beantwortete er meinen Gruß und den Ausdruck meiner Freude, seine Bekanntschaft zu machen, und benützte die Unterbrechung der Arbeit, um aus einem kleinen ledernen, zusammenschnürbaren Beutel eine Prise grob zerstoßener, grüner Tabaksblätter in den Mund zu schieben und mit seinen Zahnresten von einem Stück Natron – Trôna – etwas zur zweckmäßigen Geschmacksverbesserung abzubeißen. Er trug über dem weiten Hemd seiner Heimat und nach Gewohnheit die auch in Fezzân übliche wärmende Wolldecke, die ihm jetzt vom kurz behaarten Kopf lose nach hinten herunterhing, um seine Arbeit nicht zu beeinträchtigen, und saß mit gekreuzten Beinen in dem Stroh, mit dem er die Sättel stopfte.

    Sechs Kamele waren während meiner Abwesenheit in Malta um den Preis von etwa 50 Mariatheresientalern oder 200 Mark für jedes gekauft und von Mohammed el-Qatrûnî, einem großen Kamelkenner, wenn nicht enthusiastisch bewundert, so doch nach menschlicher Berechnung für ausreichend erklärt worden. Die Sättel der Tiere gingen ihrer Vollendung entgegen; auf dem nächsten Wochenmarkt sollte Mohammed den notwendigen Vorrat von Stricken, die Säcke zur Aufnahme der Kamelladung, die am besten aus Kamelwolle gewebt sind und dann Ghurâra heißen, und die Wasserschläuche aus behaarten, innen gegerbten Ziegenfellen, – Qirba (in der Mehrzahl Qîreb) –, die in unübertroffener Güte aus den Haussastaaten kommen, kaufen. Dann mussten noch Koch- und Essgerätschaften für die Leute, einige kupferne Kessel, ein Dreifuß, ein weites, flaches, verzinntes Kupfergefäß, das zur Kameltränkung, als Waschgefäß und unter Umständen als Essschüssel dient, ein Ledereimer – Delû – zum Wasserschöpfen, Kamelzäume und dergleichen notwendige Reise-Utensilien, angeschafft werden, deren Abwesenheit den Reisenden oft in große Verlegenheit setzt und von denen nur der erfahrene Reisende keines vergisst. An uns Europäern war es, für die Beschaffung der Reise-Mundvorräte Sorge zu tragen, und wir beschlossen, gleich folgenden Tages nach Zusammenstellung der Liste in ruhiger Abendstunde alles darauf Bezügliche mit Herrn Rossi zu verabreden.

    Wir besichtigten am nächsten Tag die Geschenke unseres Königs, die, soweit es mit den notwendigen Rücksichten auf die Kamele vereinbar war, in den heimischen Kisten belassen wurden, besprachen mit Herrn Rossi die Beschaffung des Mundvorrats, der in Schiffszwieback – Buqsmât –, Reis – Ruzz – und grobkörnigem Kuskussu – Mohammes – bestehen sollte, und machten Besuche bei den vornehmsten Europäern und den obersten Beamten der Regierung.

    Die Erfüllung der letzteren Pflichten hatte ihre Schwierigkeiten durch die lächerlichen, aber tief gehenden gesellschaftlichen Spaltungen, durch welche die europäischen Einwohner von Tripolis sich das Leben erschwerten. Außer den offiziellen Vertretern der christlichen Mächte, den Generalkonsuln, Konsuln und Vizekonsuln von England, Frankreich, Italien, Amerika, Holland und Spanien, unter denen Herr Rossi, wenn auch bei den Eingeborenen durch seine Geschäftsverbindungen ein angesehener Mann, infolge seines kaufmännischen Charakters eine zweifelhafte Stellung einnahm, lebte in Tripolis seit langen Jahren die Familie Dickson, die mit den Resten der Familie des bekannten und hochverdienten früheren englischen Generalkonsuls, Colonel Warrington, verschwägert war. Dazu kam der aus Barths Erzählungen bekannte Kaufmann und frühere englische Konsularagent in Fezzân, Gagliuffi, der in verwandtschaftlichem Verhältnis zu unserem Vertreter stand. Der Chef der englischen Telegraphen-Station, die mit Malta und Benghâzî in Verbindung stand, der aus Barths und Vogels Berichten bekannte Frederick Warrington, Sohn des genannten Generalkonsuls, der Chef der katholischen Mission – il padre prefetto – und ein italienischer Straußenfederhändler waren die übrigen nennenswerten Vertreter der europäischen Gesellschaft.

    Über Herrn Gagliuffi, der in einem Sozietätsverhältnis zu einem bekannten Kaufmann in Mursuk, dem Hâdsch el-Amrî, stand und mit diesem einen Agenten und Geschäftsinhaber, den ebenfalls aus Barths Berichten bekannten Mohammed es-Sfâqesî in Bornû unterhielt, gingen bei seinen Feinden sonderbare Gerüchte über seine frühere Beteiligung am Sklavenhandel um, die seiner offiziellen Stellung in Fezzân, die nur zum Zweck der Unterdrückung desselben geschaffen war, wenig entsprochen hätten. Diese Gerüchte hatten begreiflicherweise ihren Grund in den genannten Geschäftsverbindungen. Zweifelsohne konnten Hâdsch el-Amrî und Mohammed es-Sfâqesî keinen Handel im Sudan treiben, ohne Sklaven zu kaufen und zu verkaufen, und durch sein eingeschlossenes Kapital war Herr Gagliuffi indirekt daran beteiligt. Doch wenn dieses Verhältnis Tadel verdiente, so müsste man allen europäischen Kaufleuten, die sich an den Handelsreisen der Eingeborenen materiell beteiligen, dieselben Vorwürfe machen. Herr Gagliuffi genoss volle Achtung bei den Kaufleuten in Tripolis, Fezzân und Bornû, er war der bestunterrichtete Europäer in Tripolis über innerafrikanische Verhältnisse, und seine Ratschläge und Empfehlungen sind von höchstem Wert für mich gewesen.

    Eine interessante Persönlichkeit war mir Frederick Warrington, der liebenswürdigste, gefälligste, bescheidenste Mensch von der Welt. Er war eine Autorität in allem, was arabisches Wesen und Umgangssprache, Sitten in Fezzân und dem Sudan betraf, und sprach die Bornûsprache; doch er war gänzlich in afrikanischen Verhältnissen aufgegangen und konnte nur in einer sehr bescheidenen Stellung am englischen Generalkonsulat verwendet werden.

    Nachdem wir uns glücklich durch die zahlreichen Klippen des gesellschaftlichen Verkehrs laviert, überall die Berichte über die Ursachen der komplizierten Zerwürfnisse entgegengenommen und sorgfältig vermieden hatten, feindliche Gewalten einander zu nähern, knüpften wir mit Herrn Rossis Hilfe die notwendigen Beziehungen zu den Autoritäten Tripolitaniens an. Dies war auch nicht ohne Schwierigkeiten und geschah nur mit einem gewissen inneren Widerstreben vonseiten des Konsuls, der ein bekannter Widersacher sowohl des Generalgouverneurs selbst als auch des berüchtigten Scheïch el-Beled oder Bürgermeisters von Tripolis, Alî el-Kerkenî, war.

    Kritische Betrachtungen

    Nur wenige sind ausgerüstet mit dem Verständnis des Khedîve, mit seinen Mitteln und seinem großartigen Ehrgeiz. Bei den meisten beschränkt sich das Verständnis für Zivilisation auf eine schwache Kenntnis der französischen Sprache, die Nachahmungssucht der Pariser Moden, einen unbesiegbaren Drang nach europäischen Orden, im besten Fall auf die Anlage einer Wasserleitung oder Gasbeleuchtung, einer Telegraphenlinie oder einer Eisenbahnstrecke. Mit diesen Schöpfungen streuen sie den unter ihnen lebenden Europäern oder Touristen Sand in die Augen, und wenn sie ihr, oft bezahltes, Lob in europäischen Zeitungen lesen, so halten sie sich selbst für große Reformatoren, während sie nur ungeschickte Nachahmer sind. Wenn nicht die Neuerungen aus dem Bewusstsein und dem Bedürfnis des Volkes unter der Beihilfe der Gebildeten hervorgehen, sind sie ephemere, kostspielige und nutzlose Erscheinungen.

    In Tunis hatte man eine Fregatte, Avisos und Transportschiffe, kaufte Hunderte von Kanonen und führte Gerichtshöfe mit Instanzenweg nach europäischem Muster ein. Die Ankäufe jener untergruben den Wohlstand des Landes und dienten nur wenigen höheren Beamten zu willkommenen Gelegenheiten, sich zu bereichern; diese hatten bestechliche Richter und erzeugten bei dem gewohnten Schlendrian Prozesse, die nie endigten. Was nützen dem Khedîve seine großartigen Schöpfungen, solange das Volk sich ihrer nicht bedienen kann, sondern nur den Schweiß seiner Arbeit zu ihrer Entstehung verwenden muss, und solange er nicht unter seinen Untertanen verständnisvolle, redliche Mitarbeiter findet, die nach ihm das Zivilisationswerk fortzusetzen vermögen?

    Solange die Volkserziehung daniederliegt, und solange es nicht gelingt, eine geordnete, ehrbare Verwaltung zu schaffen, bleiben alle Reformen unzulänglich. Jene aber, die Volkserziehung, scheint mit dem Islam unverträglich, der an und für sich stationär ist. Die einzigen in ihrer Weise Gebildeten jener Länder sind die Ulemâ, die gelehrten Kenner des Koran, des Inbegriffs aller Weisheit und seiner Ausflüsse, die aber alles, was außer dem heiligen Buch an Kenntnissen in der Welt existiert, aufs Tiefste verachten. Sie sind die Ausleger des Rechts, die Ratgeber der Mächtigen, die Lehrer des Volkes, die Erzieher der Jugend und – die Feinde aller abendländischen Bildung. In den Schulen lernt man den Koran mechanisch auswendig, und mit dieser Grundlage tritt man ins Leben; woher soll da das Verständnis für zivilisatorische Reformen kommen? Die öffentliche Moral steht auf einer nicht höheren Stufe als das Verständnis. So viele ehrbare Leute es im Volke gibt, so selten sind dieselben unter den Verwaltungsbeamten, und selbst im religiösen Richterstand ist Unbestechlichkeit eine seltene Tugend. Das Beamtenheer ist nur allzu häufig in mohammedanischen Landen eine Räuberbande, die so weite Verzweigungen hat, dass das Volk ihr rettungslos preisgegeben ist.

    So war es auch in Tripolitanien und das Volk schrie laut gegen den Wâlî, seine Untergouverneure und andere Helfershelfer, trotz der Wohltaten der Zivilisation, mit denen er das Land beschenkte. Er ließ artesische Brunnen bohren, führte in der Stadt Tripolis Straßenbeleuchtungen ein, gründete eine Schule, in der Türkisch gelehrt wurde, machte Anpflanzungen in der wüsten Umgebung der Stadt und war zur Zeit unserer Anwesenheit im Begriff, in dem östlichsten Teil der Provinz, der alten Marmarika, an den Buchten von Bomba und Tobruk Kolonien zu gründen, deren Gedeihen er durch die Eröffnung des Suezkanals für gesichert hielt. Die Brunnen sind längst verfallen, die Schule hat nichts geleistet, die Anpflanzungen sind niemals lebenskräftig geworden, und nur die bescheidene Straßenbeleuchtung hat ihren Gründer überdauert. Die pomphaft angekündigten Kolonien aber, die den Ruhm Alî Rizâs auf alle Zeiten sichern sollten, sind nie über einen embryonalen Zustand hinausgekommen, sondern im Keim zugrunde gegangen.

    Die Regierung von Tripolis gebietet nur über eine Truppenmacht von ca. 5000 Mann und hat keine reguläre Reiterei, die bei der Zerstreutheit der Populationszentren so notwendig erscheinen sollte. Die Provinzialgouverneure, Mutasarrif (Ziviltitel) oder Qâïmaqâm (militärischer Titel) regieren ihre Bezirke fast ohne Unterstützung einer bewaffneten Macht. Und doch besteht die reine Türkenherrschaft noch kein halbes Jahrhundert. Die Dynastie der Karamanlîja ist noch nicht vergessen, und noch leben genug der Zeitgenossen und Verbündeten des einst so glänzenden Stammes der Aulâd Solîmân, mit dem sie der türkischen Macht bei der Eroberung des Landes so heroischen Widerstand geleistet haben. Der Mut der kriegerischen Nomadenstämme ist wohl mit ihrem Glanz zu Grabe getragen, und diesen gründlich zu vernichten, hat ein Menschenalter türkischer Beamtenwillkür hingereicht. Wenn man nur einem geringen Teil der Schilderungen Glauben schenken will, welche die Einwohner von Tripolis mit allerdings wohl orientalischer Phantasie und mit der Vorliebe der Greise für frühere Zeiten, von dem allgemeinen Wohlstand des Landes zur Zeit Jûsef Pâschâ, des letzten Karamanlî, machten, so war die rückgängige Bewegung aller Verhältnisse allerdings eine höchst betrübende.

    Die Karamanlîja hatten Anfang des vorigen Jahrhunderts in Tripolis der dreiköpfigen Regierung ein Ende gemacht, die dort, wie in Algier und in Tunis, früher geherrscht hatte. In allen drei Staaten hatte es einen Dey, der aus den Janitscharen hervorging, einen erblichen Bey und einen vom spirituellen Oberherrn in Konstantinopel bestallten Pâschâ gegeben. Während in Algier der Dey die höchste Machtvollkommenheit in seiner Hand vereinigt, und in Tunis sich Anfang des vorigen Jahrhunderts der Bey zum Alleinherrscher zu machen gewusst hatte, war es bald darauf in Tripolis dem Pâschâ Ahmed el-Karamanlî durch einen blutigen Staatsstreich gelungen, sich zum alleinigen Regenten zu machen.

    Schicksalhafte Begegnung

    Unsere interessanteste Bekanntschaft war zweifelsohne die von Fräulein Alexandrine Petronella Françoise Tinné, geboren im Haag am 17. Oktober 1839, die sich schon durch ihre Reisen im Gebiet des oberen Nils bekannt gemacht hatte. Sie hatte vergeblich versucht, von den algerischen Besitzungen aus nach Süden in die Tuârikländer zu dringen, und war jetzt kurz vor meiner Ankunft mit zahlreicher Begleitung in Tripolis angekommen, um nach Fezzân und weiter zu reisen. Eine Dame, die schon so viele Proben hohen Strebens und festen Willens abgelegt, schon so viele Erfahrungen gesammelt hatte und die trotz der schmerzlichen Verluste, die sie bei früheren Reisen erlitten hatte – ihre Mutter, geb. van Capellen, und ihre Tante, Adriana van Capellen, waren einst beide im Gebiet des Gazellenflusses den Einflüssen des Klimas erlegen – mit bewunderungswürdiger Zähigkeit an ihren Zielen festhielt und mit frischem Mut den jetzt gewählten Weg zur Erreichung derselben zu betreten im Begriff stand, eine solche Dame erfüllte mich zunächst nur mit scheuer Ehrfurcht.

    Meine tripolitanische Begegnung mit ihr war nicht geeignet, dies Gefühl wesentlich zu modifizieren. Ihre edlen, scheinbar kalten Züge, ihr distinguiertes, reserviertes Wesen mussten jeden, der sich infolge ihrer abenteuerlichen Karriere, wie sie sonst nur Männern vorbehalten ist, etwa ein emanzipiertes Wesen vorgestellt hätte, zwar einerseits auf das Angenehmste enttäuschen, vermochten jedoch andererseits, bei oberflächlicher Bekanntschaft wenigstens, nicht zu erwärmen. Ihre Begleitung bestand aus zwei holländischen Seeleuten, Kes Oostmans und Ary Jacobse, einigen ihr gehörigen Negern vom oberen Nil, algerischen Frauen, Arabern aus Tunis und Algier, freigewordenen Negersklaven, die unter ihrem Schutz ihre Heimat wiederzugewinnen hofften, und Adolf Krause, einem jungen Deutschen, der in seinem Enthusiasmus für Afrikareisen das heimatliche Gymnasium verlassen und in Tripolis den verhängnisvollen Kontinent erreicht hatte. Die Stadt war erfüllt von dem Ruf ihres Reichtums, und schon damals war sie nur unter der Bezeichnung Bent el-Rê, d. h. Tochter des Königs, bekannt, die sie bis zu ihrem tragischen Untergang behalten sollte. Ihre großen Mittel und ihr zahlreiches, zusammengewürfeltes Gefolge ließen mir die gemeinschaftliche Reise nach Mursuk, unserem nächsten Ziel, nicht besonders wünschenswert erscheinen, und ich ließ sie, da sie ihre Vorbereitungen beendigt hatte, vorausreisen, zumal die vollständige Sicherheit,

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