Euroland (10)
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Die Wirtschaft erklärt: „Langfristig hängt die Vergütung eines Arbeiters immer von seiner Wertschöpfung ab“. Diese Annahme blendet aus, dass die Bürger mit ihrer Nachfrage ein Bestandteil der Wirtschaft sind. Niedrige Einkommen verringern die Nachfrage und lassen das Wirtschaftswachstum geringer ausfallen. Bei Verstetigung einer solchen Entwicklung droht eine wirtschaftliche Stagnation...
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Buchvorschau
Euroland (10) - Franz von Soisses
Europa
Intro
Es ist nicht die Aufgabe der Ökonomen, die Gesellschaft und Lebensbedingungen der Menschen zu gestalten, das ist eine Aufgabe der Politik.
Die Ökonomen treffen Aussagen wie: „Niedrige Einkommen beflügeln das Wachstum" im klaren Widerspruch zu dem grundlegenden Versprechen der Europäischen Union, das den Bürgern Frieden, Sicherheit und Wohlstand zusichert.
Die Wirtschaft erklärt: „Langfristig hängt die Vergütung eines Arbeiters immer von seiner Wertschöpfung ab".
Diese Annahme blendet aus, dass die Bürger mit ihrer Nachfrage ein Bestandteil der Wirtschaft sind. Niedrige Einkommen verringern die Nachfrage und lassen das Wirtschaftswachstum geringer ausfallen. Bei Verstetigung einer solchen Entwicklung droht eine wirtschaftliche Stagnation.
Deutschland hat in den 10 Jahren von 2002 bis 2012 die Reallohneinkommen um 22 % reduziert, 25 % der Arbeitnehmer arbeiten für einen Niedriglohn, das Rentenniveau sinkt. Ob IWF, OECD oder die EU-Kommission, alle diese Organisationen haben Deutschland aufgefordert, seine Binnennachfrage zu stärken und das Wirtschaftswachstum dadurch zu beleben.
Deutschland führt zum Januar 2015 als eines der letzten EU-Länder einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Schon melden sich die neoklassischen Ökonomen zu Wort und beschwören den Untergang der Wirtschaft herauf.
In Griechenland kann die Bevölkerung das Wort „Reformen" schon nicht mehr hören, in Italien protestieren die Bürger gegen die Reformpläne der Regierung. In Frankreich und England gewinnen die rechten Parteien Front National und UKIP an Wählerzustimmung.
Ein wesentlicher Grund für die wirtschaftliche Stagnation in Europa ist die zunehmende politische Destabilisierung. Die Finanzkrise und die weiterhin schwelende Eurokrise tun ihr Übriges.
Statt Empathie hätte der Titel auch Agonie heißen können. So weit, dass sich Europa in einem Todeskampf befinden würde, ist es jedoch nicht. Es besteht die latente Gefahr, dass ein Land oder mehrere Euroländer den Euro oder auch die gesamte EU infrage stellen könnten.
Die Politik braucht Empathie, um die aufgezeigten Konflikte in der Europäischen Union und in den Euroländern lösen zu können und um hierfür die Zustimmung der europäischen Bürger zu erlangen.
Die europäische Malaise
Das ist die Einführung des Euro. Eine gleiche Währung erfordert gleiche Verhältnisse oder den Ausgleich von Unterschieden.
Soweit die Unterschiede sich auf Geld und Währung begründen, muss auch der Ausgleich mit Geld erfolgen. Das war die Startbedingung des Euro und ist die bestehende Bedingung auch weiterhin. Die jüngste Finanzkrise hat das nur deutlich gemacht, sie ist nicht die Ursache der Krise Europas.
Deutschland hat, hier sei der ehemalige Finanzminister Waigel (CSU) „3 % sind 3 %" in Erinnerung gerufen, den Stein des Anstoßes selbst gelegt, an dem sich Europa heute so sehr reibt. Für die viel gepriesene Wettbewerbsfähigkeit diktierte Altkanzler Schröder (SPD) seine Agenda 2010. Die Folgen daraus waren Lohnreduzierungen und Rentenkürzungen. Reformen, die Kanzlerin Merkel (CDU) während der Finanzkrise Griechenland und Portugal so wärmstens ans Herz legte wie heute Italien und Frankreich.
Allein 10 von 17 Regierungen in Euroland überlebten diese deutschen Empfehlungen nicht. Die Bürger Europas leisten gar Widerstand. Die Bürger können sich Einkommensverluste schlicht nicht leisten, Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft hin oder her. Es sei denn, die Lebenshaltungskosten, sprich die Preise, würden im gleichen Umfang sinken statt steigen.
Das zu bewundernde Ergebnis ist, dass die Eurozone sich wirtschaftlich auseinanderentwickelt, der Abstand zwischen dem Norden und Süden wird größer, ebenso der zwischen Europa und Deutschland.
An einen Abbau der Schulden durch Rückzahlung ist nicht mehr zu denken, auch in Deutschland nicht. Die Schulden sind auch wegen der Bankenrettung untilgbar geworden. Es braucht hierfür keine Erinnerung an die früheren nationalen Währungen, diese sind Vergangenheit. Frankreich ist in jüngerer Historie - Französische Revolution - der Wegbereiter des europäischen Gedankens und Meister der Diplomatie. Frankreich will, in Koalition mit Italien, dass die EZB die Schulden übernimmt. Mehrfach beschrieben in Euroland - Alles oder nichts.
Ein Europa ohne Frankreich oder Italien wird es nicht geben, das ist vor dem Hintergrund der Geschichte nicht nur undenkbar, es ist unmöglich.
Die Fehlentwicklung im Euro ist deutsch, denn Deutschland hat mit seinen Reformen Einkommen durch Schulden ersetzt, lange bevor die Finanzkrise ihre Wirkungen zeitigte, mit Einführung des Euro. Frankreich hielt an seinem Modell des Wohlfahrtsstaates fest. Der keine Erfindung Europas ist und schon gar keine deutsche Idee, sondern das ureigene Versprechen der Französischen Revolution, die Frankreich bis heute nicht beendet hat und nicht wird.
Ein Übriges tat die Wirtschaft mit der Idee der Globalisierung. Jenem Heilsbringer, dem auch die deutsche Politik willig folgte. Nicht nur in Deutschland gingen Branchen verloren. In Italien sank die Industrieproduktion um 25 %, während die weltweite Industrieproduktion um 36 % stieg. Europa handelte sich sehend eine nomadisierende Wirtschaft ein.
Eine Entwicklung, vor der der ehemalige Vorstandschef der Porsche AG Wendelin Wiedeking warnte: „Wenn wir mit Asien konkurrieren, werden wir verarmen." Allein der Prophet im eigenen Land gilt nichts.
Deutschland setzte auf „privat vor Staat", die Marktwirtschaft, während Italien und Frankreich ihre Staatsquoten ausweiteten - Italien 53 %, Frankreich 57 %. Das eine wie das andere konnte die Finanzkrise nicht verhindern. Die neoliberale Marktwirtschaft der Deutschen nicht, der Staatskapitalismus Italiens und Frankreichs auch nicht.
Die Wirtschaft als solches hat keine soziale Verpflichtung, diese liegt allein beim Staat und dort ist sie jeweils verfassungsrechtlich verankert. Welchen Weg der Staat wählt, um seine Pflichten zu erfüllen, ist nicht normiert. Dass Frankreich und Italien mehr Macht besitzen, sich gegen den deutschen Weg zu wehren, gehört in den Spannungsbogen Europa und des Euro.
Aktuell wird bemängelt, dass in Frankreich Landwirtschaft und Tourismus wichtiger würden als die Industrieproduktion, die ungeeignet wären, den Wohlfahrtsstaat heutiger Prägung zu finanzieren. Dabei wird vergessen, dass die EU einst als EWG gestartet ist, als eine Agrarunion. Dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Morgenthauplan vorgesehen hatte, aus Deutschland ein Agrarland zu machen und selbst in Deutschland vor der Finanzkrise eine postindustrielle Gesellschaft diskutiert wurde.
Ach was, ein Blick auf die Wiedervereinigung der Deutschen, nach Ostdeutschland, sei empfohlen. Ostdeutschland wurde deindustrialisiert, das empfohlene Heil wurde im Tourismus verortet.
Anlässlich der jüngsten politischen Geschehnisse in Frankreich, der Rücktritt von Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und die Regierungsneubildung, werfen künftige Ereignisse ihre Schatten voraus. Montebourg ist Führer der sozialistischen Linken, er wird nicht einfach von der Bühne der Geschichte verschwinden. Möglich sind baldige Neuwahlen in Frankreich mit einem Vorteilsnehmer, der rechten Front National. Nur ist in französischer Tradition rechts nicht das Gleiche wie im deutschen Verständnis. In Frankreich versteht sich alles als Le Grande Nation - seit Napoleon Bonaparte. Es geht nicht um Restauration, sondern die Fortsetzung der ständigen Französischen Revolution. Die Front National ist nationalistisch, auf Frankreich besonnen. Die Französische Revolution ist der Exportschlager Frankreichs, auf dem das heutige Europa beruht. Nach französischem Verständnis verdankt Italien seine Republik, wie Deutschland seine Demokratie Frankreich, dem Code civil Napoleons.
Der Deutschen Rezept - Senkung der Lohnstückkosten, Medizin, die heilen soll, muss bitter schmecken - verfängt nicht. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland beträgt 25 %, in Spanien und Frankreich 20 %. Die Wirtschaft in Italien schrumpft fortgesetzt, die in Griechenland ist seit Ausbruch der Finanzkrise um 25 % geschrumpft, in Frankreich stagniert die Wirtschaftsleistung. Auch in Deutschland fehlt das Wachstum. Einer europäischen Integration fehlt die ökonomische wie politische Voraussetzung. Es sei denn, Europa wollte verarmen.
Während einer Wirtschaftskrise nehmen Zahlungsausfälle naturgemäß zu. Dass es noch nicht zu einer Schuldenkrise bei den privaten Haushalten gekommen ist, hat weniger mit einem Wunder zu tun als mehr mit dem Verbrauch privater Vermögen, „spare, wenn du hast, dann hast du in der Not". Nur belebt dieser Vermögensverbrauch nicht die Wirtschaft.
Kredite sind ein Zugriff auf Einkommen in der Zukunft.
Genau diese Kredite in der Vergangenheit werden zunächst mit Vermögen in der Gegenwart gedeckt und mit den Einnahmen in der Zukunft getilgt.
Nur dieser Zusammenhang verhinderte bisher eine private Schuldenkrise. Und es ist der Wesensgehalt der Intensionen französischer Politik, der Äußerungen des IWF und der EZB gegenüber Deutschland, mit ihren Forderungen nach steuerlicher Entlastung für Wirtschaft und private Haushalte und mehr Lohnsteigerungen, wie von der Bundesbank, der EZB und dem IWF empfohlen.
Das Problem der Überschuldung der privaten Haushalte rückt langsam in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der viel gepriesene Markt funktioniert nach Angebot und Nachfrage. Wenn die Nachfrage mangels Kaufkraft schwächelt, nutzt auch das größte Angebot nichts.
Die Kredite, gleich, ob vom Staat, den Unternehmen oder privaten Haushalten, wurden gestern aufgenommen, belasten heute die Situation und können nur in der Zukunft bereinigt werden.
Spanien meldet offiziell einen Ausfall von 8 % der Kreditforderungen, Frankreich 4 %, eine Zahl aus Deutschland wird öffentlich nicht benannt. Allein