So sang zu mir der Stacheldraht: KZ-Gedichte
Von Armin Freudmann
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Über die Entstehung seiner KZ-Gedichte erzählt Freudmann folgendes:
Sie sind im Lager selbst entstanden. Während ich mit einem Auge auf SS-Posten, Meister und Capo schielte, um nicht überflüssigerweise unbeobachtet zu arbeiten, und das andere Auge auf die Schaufel sah, ließ ich mein drittes, mein geistiges Auge in die Ferne schweifen, in Vergangenheit und Zukunft und so entstanden diese Gedichte bei der Arbeit, und abends, in einen Winkel gedrückt, kritzelte ich sie auf Zementsackpapier.
Sie haben mir über manche schwere Stunde hinweggeholfen. Ich zeigte sie einem Sanitäter, dem sie gefielen. Wir wurden Freunde. Er brachte mich als zweiter Revierschreiber unter. Von da an ging es mir besser. Ich ging nicht mehr auf die Baustelle und mußte meine Gedichte nicht mehr auf Zementpapier schreiben. Natürlich zeigte ich sie auch vielen anderen Kameraden begreiflicherweise nur heimlich.
Ich hielt sie in meinem Bett zwischen zwei Doppelbrettern versteckt. Aber eines Tages waren sie verschwunden. Wahrscheinlich hatte der Kamerad, der unter mir schlief, sie infolge des allgemeinen Papiermangels organisiert. So nannten wir das Klauen, bei dem man nicht erwischt wurde. Durch das öftere Vorlesen hatte ich sie halbwegs in Erinnerung behalten und konnte sie reproduzieren. Ich verlor sie noch ein zweitesmal in Buchenwald, als ich, an Flecktyphus erkrankt, ins Revier aufgenommen und mir alles zwecks Desinfektion abgenommen wurde. Angeblich hätte ich alles nachher zurückbekommen sollen. Ich habe aber nichts wiedergesehen, weder meine Zigaretten noch meine Gedichte
Durch sieben Lager und mindestens dreimal sieben Kontrollen, Leibesvisitationen, Bettdurchsuchungen habe ich sie geschmuggelt, und das war weder leicht noch ungefährlich...
Armin Freudmann
Armin Freudmann, geboren am 18. April 1915 in Wien als jüngstes Kind des jüdischen Ehepaars Gottfried und Pauline Freudmann. Schon in jungen Jahren wandte er sich vom jüdischen Glauben ab und der kommunistischen Idee zu. Nach Absolvierung des Gymnasiums begann er das Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule in Wien, das er aber nach dem Anschluss Österreichs als Nichtarier abbrechen musste. Wie seinen vier Geschwistern gelang es ihm, das Land vor Kriegsausbruch zu verlassen, er emigrierte 1938 nach Luxemburg, wo er seine erste Frau Sidonie heiratete. 1940 musste das junge Paar nach Brüssel weiterziehen, wo es sich dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung anschloss. Im Oktober 1942 wurden die beiden verhaftet und nach Polen deportiert. Sidonie wurde noch auf dem Transport von ihm getrennt und kurz darauf in einem Vernichtungslager ermordet. Seine Eltern wurden 1942 aus Wien deportiert und in Auschwitz ermordet. Sein Bruder Erich wurde als Widerstandskämpfer in Frankreich verhaftet und kurz vor der Befreiung, vermutlich im KZ Dachau, ermordet. Armin war bis zur Befreiung als Zwangsarbeiter in fünf verschiedenen Konzentrationslagern interniert. Er überlebte den fast zweimonatigen Todesmarsch vom Konzentrationslager Kittlitztreben (Polen) nach Buchenwald. Es gelang ihm danach, sich der tödlichen Evakuierung des Konzentrationslagers Buchenwalds zu entziehen und, bereits nach der Befreiung, eine Erkrankung an Flecktyphus zu überleben. Zeit seines Lebens schrieb Armin Freudmann – hauptsächlich Gedichte. Dank seiner Frau Annemarie sind sie großteils erhalten geblieben. Die KZ-Gedichte „So sang zu mir der Stacheldraht“ wurden 1992 als Buch veröffentlicht, 2009 folgte „Mein Tabu-Buch“. Die Herausgabe weiterer Gedichte ist in Vorbereitung. In seinen letzten zehn Lebensjahren wandte er sich Armin der theoretischen Mathematik zu und schuf interessante neue Theorien, die jedoch noch nicht veröffentlicht wurden. Er starb im Alter von 63 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit am 26. Dezember 1978 in Wien. (Gottfried Freudmann)
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Buchvorschau
So sang zu mir der Stacheldraht - Armin Freudmann
DICHTER HINTERM STACHELDRAHT
(Aus einer Sendung des Senders Rot-Weiß-Rot, vom 8. 9. 1945)
Als (einen) von jenen Dichtern, die auch hinterm Stacheldraht der KZ-Lager nicht aufhörten, der Stimme der Menschlichkeit in ihrer eigenen Brust zu lauschen und ihr Worte zu verleihen, stellen wir heute Armin Freudmann vor.
Er ist 1915 in Wien geboren, studierte an der Technischen Hochschule, wanderte aber noch vor der Erlangung seines Diploms nach Luxemburg aus. 1942 wurde er dort zusammen mit seiner Frau, einer Wienerin, und deren Vater von der GESTAPO verhaftet. Durch ein Versehen, einen glücklichen Regiefehler, gerieten sie alle drei in eine Zelle für Zwangsarbeiter, die für Deutschland bestimmt waren und in deren Masse sie untertauchen konnten. Nachdem man ihnen Geld, Uhren, Wertgegenstände und alle Dokumente ihrer Identität weggenommen hatte, wurden sie nach Deutschland gebracht. Nur ein glücklicher Zufall hatte sie vor dem sicheren, in den möglichen Tod gerettet.
Über seine Erlebnisse in dem Oberschlesischen Städtchen Cosel erzählt Freudmann selbst in einem kurzen Bericht:
Wir wurden am Bahnhof von Landpolizei mit der Hundepeitsche empfangen, die bisher ungetrennten Familien zerrissen. Ich habe seither von meinen Lieben nichts mehr gehört. Dann wanderte ich durch fünf Zwangsarbeits- und zwei Konzentrationslager. Die Zwangsarbeitslager waren schlimmer. Wir mußten Kameraden in Agonie auf die Baustelle tragen, sie starben mit der Schaufel in der Hand. Die Verpflegung war karg. Die Suppe bestand aus Wasser, in dem ein paar Stückchen Rüben, Kraut und ungeschälte Kartoffeln schwammen. Fleischfasern oder Knochen waren Haupttreffer. Fleisch, Nährmittel, Zucker, Rauchwaren wurden uns von Lagerführern, Köchen und Capos gestohlen. Bloß unsere Brotration erhielten wir regelmäßig. Schon nach zwei Monaten waren viele an Ödemen, einer Art von Wassersucht, erkrankt. Sie sahen aus wie lebende Wasserleichen, aufgedunsen und verquollen, die Beine wurden unförmig dick und schwer wie Blei, die Gelenke gummiartig, so daß man die Kontrolle über sie verlor und oft im Gehen stolperte. Mit Mühe erhob man sich unter den Schlägen der Wachtposten. Die Behandlung war menschenunwürdig: Flüche, Schläge, ständige Demütigungen. Die Häftlinge wurden entweder auf „kaltem Wege, das heißt durch Überarbeitung und Unterernährung, oder auf „heißem
Wege, das heißt durch Verbrennung in Krematorien, oft lebendigen Leibes, beseitigt. Als die Russen im Februar 1945 die Oder überschritten, mußten wir unser Lager Kittlitztreben (zirka hundert Kilometer westlich von Breslau), räumen und marschierten ungefähr 500 Kilometer weit nach Buchenwald. Fast ohne Rast mußten wir oft dreißig Kilometer im Tag marschieren, nur einen halben Liter Kaffee im Magen. Dieser Marsch war das Schlimmste, was ich durchgemacht habe. Ich verlor zwanzig Kilo und wog etwas über dreißig Kilogramm, als ich in Buchenwald anlangte. Die Läuse fraßen uns auf, wir warfen unsere Kleider unterwegs weg und gingen bloß mit Jacke und Hose bekleidet. Die meisten hatten keine Schuhe mehr, bloß Fetzen um die Füße. Viele gingen barfuß. Hunderte starben am Weg. Am 11. April besetzten bewaffnete Häftlinge die Wachtürme. Die SS zog sich kampflos zurück. Auf allen Dächern wurden weiße Fahnen gehißt und bald fuhr der erste amerikanische Tank ins Lager. Wir wußten: wir sind gerettet! Leider wurde unsere Freude bald dadurch getrübt, daß wir erfuhren, daß alle jene, die in den letzten Tagen zwecks Überführung in ein anderes, weniger exponiertes Lager auf Transport gegangen waren, ungefähr 31.000 Kameraden, unweit von Buchenwald mit Maschinengewehren niedergelegt worden waren.
Über die Entstehung seiner KZ-Gedichte erzählt Freudmann folgendes:
Sie sind im Lager selbst entstanden. Während ich mit einem Auge auf SS-Posten, Meister und Capo schielte, um nicht überflüssigerweise unbeobachtet zu arbeiten, und das andere Auge auf die Schaufel sah, ließ ich mein drittes, mein geistiges Auge in die Ferne schweifen, in Vergangenheit und Zukunft und so entstanden diese Gedichte bei der Arbeit, und abends, in einen Winkel gedrückt, kritzelte ich sie auf Zementsackpapier.
Sie haben mir über manche schwere Stunde hinweggeholfen. Ich zeigte sie einem Sanitäter, dem sie gefielen. Wir wurden Freunde. Er brachte mich als zweiter Revierschreiber unter. Von da an ging es mir besser. Ich ging nicht mehr auf die Baustelle und mußte meine Gedichte nicht mehr auf Zementpapier schreiben. Natürlich zeigte ich sie auch vielen anderen Kameraden begreiflicherweise nur heimlich.
Ich hielt sie in meinem Bett zwischen zwei Doppelbrettern versteckt. Aber eines Tages waren sie verschwunden. Wahrscheinlich hatte der Kamerad, der unter mir schlief, sie infolge des allgemeinen Papiermangels organisiert. So nannten wir das Klauen, bei dem man nicht erwischt wurde. Durch das öftere Vorlesen hatte ich sie halbwegs in Erinnerung behalten und konnte sie reproduzieren. Ich verlor sie noch ein zweitesmal in Buchenwald, als ich, an Flecktyphus erkrankt, ins Revier aufgenommen und mir alles zwecks Desinfektion abgenommen wurde. Angeblich hätte ich alles nachher zurückbekommen sollen. Ich habe aber nichts wiedergesehen, weder meine Zigaretten noch meine Gedichte
Durch sieben Lager und mindestens dreimal sieben Kontrollen, Leibesvisitationen, Bettdurchsuchungen habe ich sie geschmuggelt, und das war weder leicht noch ungefährlich…
STATT EINES VORWORTES
Der Hauch der neuen Zeit sich hat
Am Stacheldraht verfangen.
Und klingend hat der Stacheldraht
Zu singen angefangen.
Oft lauschte ich den Liedern, die
Er sang, indes ich werkte.
Vergaß ich auch die Melodie –
Die Worte ich mir merkte.
Und also sang der Stacheldraht
Mir und die Gitterpforte.
Was and’rer nur empfunden hat,
Dafür gab er mir Worte.
Und so wie ich sie wohl verstand,
Wird jeder sie begreifen,
Der so wie ich ging im Gewand,
Im dünnen mit den Streifen.
Ihr aber, die nicht habt gemußt
In solchem Kleide gehen,
Die, wie Ihr sagt, habt nichts gewußt
Von dem, was uns geschehen,
Ihr, die Ihr nur den Stacheldraht
Von draußen habt gesehen
Und nicht, was man dahinter tat –
Werdet auch Ihr verstehen?
Denn auch für Euch der Stacheldraht
Pflegt manches Lied zu singen.
Er sang mir’s öfter vor und bat
Mich, Euch’s zu überbringen.
Noch jetzt es mir im Ohre klingt,
Ganz so, wie er’s gesungen.
Und wenn’s auch Euch zu Herzen dringt,
Mein Auftrag ist gelungen.
Dann wißt Ihr, daß, wer fiel, nicht wollt
Für nichts und sinnlos fallen,
Und daß, wofür er starb, stets sollt
Fortleben in uns allen,
Daß heut, den Mördern zu verzeih’n
Wär freche Leichenschändung,
Daß heute Milde würde sein
Verrat oder Verblendung,
Daß Vorsicht heute Härte heischt
Und Nachsicht Frevel wäre
An künftiger Geschlechter Heil
Und an des heut’gen Ehre.
Dann wißt auch Ihr, Demokratie
Zu schätzen trotz ihrer Schwächen
Und daß Faschismus andres nie
Gewesen als Verbrechen,
Daß