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Schicksalsweber: Nabas Weg
Schicksalsweber: Nabas Weg
Schicksalsweber: Nabas Weg
eBook704 Seiten10 Stunden

Schicksalsweber: Nabas Weg

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Über dieses E-Book

San Francisco kurz nach der zweiten Jahrtausendwende.
Der Schicksalsweg des Lehrers Ranold Meni kreuzt den dreier Fremder, die, wie er, gehofft hatten, in der Küstenstadt ihre Vergangenheit
vergessen und neu anfangen zu können. Ihre Leben verflechten sich und einschneidende Geschehnisse lassen schnell innige Beziehungen, in einem Fall sogar etwas wie Liebe wachsen.
Geleitet von immer stärker werdenden Visionen, verursacht durch einen Unfall, folgen sie schließlich den Spuren eines mysteriösen Reisenden aus dem England des 17ten Jahrhunderts, dessen Geheimnis ihre Leben für immer verändern wird!

Was verbindet jeden einzelnen von ihnen mit der Geschichte dieses Mannes und wie werden die Erkenntnisse, die sie auf einer Fahrt nach Europa gewinnen, ihre Gefühle füreinander beeinflussen?

Schicksalsweber ist eine Geschichte über die Bedeutung von Freundschaft, Liebe und Identität in einer Welt, die vergessen hat, dass Magie ein Teil von ihr ist und nicht etwas, das man fürchten muss.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum5. Juni 2024
ISBN9783347970151
Schicksalsweber: Nabas Weg
Autor

Viktoria D. Richards

Geboren im Jahr 1982 in einem kleinen Ort im Westerwald, entwickelte ich schon früh ein großes Interesse für Geschichten und das Schreiben. Was mit Reisen in den wilden Westen alter Karl May Romane begann, führte mich über Douglas Adams bis hin zu den phantastischen Welten von Terry Pratchett. Da mich auch das Zeichnen schon immer begeisterte, waren meine ersten frühkindlichen Werke Comics und ihnen folgten alsbald Fanfiction Romane, die ich damals noch von Hand in Notizbücher schrieb. Viele Jahre sind seit dem vergangen und viele Erfahrungen führten mich an einen Punkt, an dem ich beschloss, meinen Debütroman Schicksalsweber, den ich in meinem Zwanzigern geschrieben hatte, nun endlich für eine Veröffentlichung vorzubereiten. ​Ich hoffe, ich kann einigen von Ihnen schöne Momente des Träumens schenken in dieser manchmal hektischen Welt. ​

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    Buchvorschau

    Schicksalsweber - Viktoria D. Richards

    Impressum

    © Copyright: 2023 liegt bei Viktoria D. Richards

    Auflage ist Erstauflage Umschlaggestaltung, Illustration: Viktoria D. Richards (online unter Künstlerpseudonym „Uddelhexe")

    Lektorat, Korrektorat: C. Oster, Andre Wittke-Gräbener,

    S. Dentgen, Gavin Eckert-Weßolek

    Sensitive Reading: Gavin Eckert-Weßolek (@nightsincosplay)

    Buchsatz: Karl Heinz Zimmer (SPBuchsatz)

    Verlag: Selbstverlag Viktoria D.Richards, Koblenzer Str. 45, 57555 Mudersbach

    Druck: Tredition

    ISBN Paperback: 978-3-347-97014-4

    ISBN e-Book: 978-3-347-97015-1

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Für Ranold.

    Er war für mich da, als ich ihn am meisten brauchte.

    Inhaltswarnungen

    Menschen und ihre Erfahrungen sind verschieden. Darum können ganz unterschiedliche Themen für den einen interessant und spannend, für den anderen aber auch schwierig sein, weil sie unangenehme Gefühle auslösen.

    Ich habe mit mir gehadert, ob ich Inhaltswarnungen vorrausschicken soll, weil sie in gewisser Weise auch Spoiler für den zu erwartenden Plot darstellen. Da ich aber im Gespräch mit vielen Menschen festgestellt habe, dass plötzlich über ein unerwartetes Thema zu stolpern, für den Einzelnen sehr schlimm sein kann, habe ich entschieden, dass ich darauf auf jeden Fall in all meinen Werken Rücksicht nehmen möchte.

    Wer sie nicht braucht, kann einfach weiterlesen.

    Für die anderen:

    Die Inhaltswarnung befindet sich auf der letzten Seite

    Und jetzt: Viel Spaß beim Lesen!

    Inhaltsverzeichnis

    Impressum

    Inhaltswarnungen

    Prolog

    Begegnungen

    Seelenkuss

    Wie Spuren im Sand

    Verfolgungsjagd

    Wegweiser

    Outer Limits

    Das ferne Land

    Eine Reise beginnt

    Der Hexer

    Schicksalspfade

    Freundschaftsbande

    Die Berührung

    Nabas Geheimnis

    Flucht

    Ladybird

    Timoteos Geheimnis

    Uroboros

    Das Ende einer Reise

    Epilog

    Danksagung

    Fußnoten

    Inhaltswarnungen

    Prolog

    Aus diesem Blickwinkel heraus fühlte es sich an, wie in einem Wald aus stinkenden, mit Fetzen bedeckten Stümpfen herumzukriechen. Sie bewegten sich teilnahmslos im Takt einer unerträglichen Melodie.

    Im Gegensatz zu Bäumen jedoch, denen die Grausamkeit der Menschen fremd ist, waren diese mit Haut bedeckten Stämme hergekommen, um Blut zu sehen. Um sich an dem Leid anderer zu ergötzen und vielleicht den ein oder anderen Stein zu werfen.

    Die kleine Gestalt, die verzweifelt versuchte zwischen ihnen hindurch in die vorderste Reihe zu gelangen, war ebenso schmutzig, wie der Boden, auf den sie sich geworfen hatte. Nur hier unten hatte sie die Hoffnung, in der Masse unentdeckt voran zu kommen.

    Die Strümpfe, die den dürren Beinen bis an die Knie reichten, waren bereits vom Kriechen auf dem rauen Boden zerrissen und irgendwo unterwegs in der Menge hatte einer der kleinen Füße seinen Schuh verloren.

    Das Gesicht, derart von Schlamm und Unrat bedeckt, dass man kaum erkennen konnte, ob es sich überhaupt um ein menschliches Wesen handelte, war geprägt von weit aufgerissenen, in Panik umhersuchenden Augen. Kleine Rinnsale führten die Wangen hinab, und zeugten von den Verzweiflungstränen, die unaufhörlich ihren Weg zum Boden suchten. Ihr Fallen wurde begleitet von einem leisen Schluchzen.

    Endlich fiel, wenn auch gestört durch die Beine fremder Menschen, flimmerndes, gelbes Licht auf das kleine Wesen. Wer in der ersten Reihe stand, konnte sogar die Wärme spüren, die von dem Flackern ausging, das wusste die Gestalt. Doch offenbar wagte es keiner, egal wie kalt es auch sein mochte, sich der Flamme zu nähern, die in dieser Nacht nicht entfacht worden war, um tröstende Wärme zu spenden.

    Knistern. Zischen. Ein Schrei.

    „Kind, was fällt dir ein?"

    Eine starke Hand fasste den Jungen, der sofort versuchte, sich dem Griff durch Wälzen und Treten zu entziehen, an der Schulter und zog ihn auf die Beine. Ohne ein weiteres Wort zu sagen stapfte der Mann, dem die Hand gehörte, mit dem sich wehrenden Kind weiter nach hinten. Er pflügte sich seinen Weg durch die murrende Menge, aus der ihn nur kalte, leere Augen anstarrten.

    Weiter in die Dunkelheit.

    Weg von dem Feuer.

    Weg von den Schreien.

    Der Junge wollte sich umdrehen. Zurücklaufen. Zurück ins Licht! Doch selbst das Umsehen sollte ihm nicht gestattet werden. Er fand sich in einem eisernen Griff wieder, fest an die Hüfte des Mannes gedrückt, während dessen zweite Hand den Kopf des Kindes daran hinderte, sich umzudrehen.

    Der Abstand zu der Menge wurde größer. Die Schreie wurden leiser. Der Junge konnte nicht sagen, ob es an der Entfernung lag, oder daran, dass die Verursacher der Schreie aufgehört hatten zu leiden. Er war alt genug zu hoffen, dass es Letzteres war.

    „Wir haben dich überall gesucht! Meine Frau ist krank vor Sorge! Was hast du dir nur dabei gedacht?"

    Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte der Junge erklärt, dass es nicht in seiner Absicht gelegen hatte, der guten Dame Angst zu machen. Dass er nicht anders gekonnt hatte. Dass seine Füße einfach angefangen hatten zu laufen. Doch nichts von dem sagte er in diesem Moment. Nicht einmal die Gedanken wollten sich ordentlich in seinem Kopf formen.

    Er versuchte verzweifelt irgendetwas zu denken. Doch in seinem Schädel war nichts anderes zu finden als dieser hohle, leere Ton und das Gefühl von Schwindel. Er wollte sprechen, doch seine Zunge wollte keinen der Befehle ausführen, die er sonst so gut beherrschte. In ihm war einfach nichts mehr, das man aussprechen konnte.

    Der Arm um ihn herum drückte etwas fester zu und mit einer fließenden Bewegung hatte der Mann ihn hochgehoben. Der Junge ließ seinen Kopf auf die Schulter seines Retters fallen und erstarrte dort. Er fühlte wie die Kraft seinen Körper gänzlich verließ und er war sich nicht sicher, ob er wach war, oder träumte.

    Nichts fühlte sich wirklich an. Nichts real.

    Es durfte nicht real sein.

    „Ich weiß, mein Kleiner. Ich weiß. Alles wird gut. Wir kümmern uns um dich. Es wird alles wieder gut werden. Das verspreche ich dir, so wahr mir Gott helfe!"

    Begegnungen

    Mist, nicht schon wieder, dachte Ivane gehetzt.

    Flink huschte die junge Frau hinter die Theke und gab sich alle Mühe, Mr. Meindl, dem Besitzer des München’s, dabei aus dem Weg zu gehen. Wenn er sie heute Morgen schon wieder dabei erwischte, wie sie zu spät kam, dann war sie fällig. Die Aussage, den Bus verpasst zu haben, weil sie heute eigentlich mit dem Auto habe kommen wollen, welches ihr dann jedoch direkt vor der Haustür verreckt war, hörte sich sogar in ihren Ohren wie eine bescheuerte Ausrede an. Ironischerweise war es aber genau das, was an diesem Morgen passiert war.

    Für ihren alten VW-Polo bedeuteten die Sterbensgeräusche, die er vor wenigen Stunden von sich gegeben hatte, dass sein nächstes Reiseziel leider nur noch der Schrottplatz sein würde. Sie hatte zwar sehr gehofft, dass er die aktuelle Saison noch überstehen würde, sah ihre Hoffnungen für eine weitere erfolgreiche Reparatur jedoch zerschlagen.

    Da sie in der Stadt nur unweit vom Café entfernt, in der Nähe der St. Mary’s Cathedral wohnte, war sie auf ihr Auto zum Glück nicht angewiesen, wenn es darum ging auf die Arbeit zu kommen, oder einkaufen zu gehen. Leider lag die Sache mit der Strecke, die sie mehrmals in der Woche bis nach Sonoma hinter sich bringen musste, nicht ganz so günstig. Diesbezüglich würde sie sich etwas einfallen lassen müssen, denn ständig mit einem teuren Taxi zu fahren oder auf irgendeinen verspäteten Bus zu warten, war keine praktikable Alternative.

    Vorsichtig schlich Ivane in Richtung Kasse, um dort nach ihrer Schürze zu suchen, doch das unheilvolle Geräusch schwerer Schritte hinter ihr ließ sie mitten in der Bewegung erstarren. Ein ungehalten klingendes Räuspern bewegte sie dazu, sich langsam umzudrehen. In dem Moment, in dem sie eigentlich mit schuldbewusster Miene eine glaubwürdige Entschuldigung raushauen wollte, entfuhr ihr stattdessen erleichtert ihr angehaltener Atem. Lachend schlug sie dem jungen Mann, der sich demonstrativ hinter ihr aufgebaut hatte, auf die Brust.

    „Floh, du Blödmann! Du hast mich erschreckt!"

    Der junge Deutsche, seines Zeichens Sohn des Inhabers und ausgestattet mit fast rosafarbener Haut, aschblondem Haar und einem Gesicht voller Sommersprossen, quittierte ihre Bemerkung mit einem süffisanten Lächeln. Die Angestellte hatte von ihm nichts zu befürchten. Florian Meindl war ein netter Kerl und im Allgemeinen nicht so penibel wie sein alter Herr. Mit einem gespielt empörten Gesichtsausdruck schlug er mit seinem rechten Zeigefinger auf die imaginäre Uhr an seinem linken Handgelenk.

    „Schon wieder zu spät, Miss Raza. Du hast Glück, dass er heute beim Zahnarzt ist."

    Erleichtert, dass heute zu dem liegen gebliebenen Auto nicht auch noch ein gekündigter Job dazu kommen würde, band sich Ivane ihre Schürze um und legte ihre Wechselgeldgürtel an. Mit ihren schwarzen, etwas überschulterlangen Haaren zu einem ordentlichen Zopf gebunden, machte sie sich an die Arbeit.

    „Was ist eigentlich dein Problem mit Weckern, Ivane?", fragte Florian, während er die Kasse vorbereitete.

    „Ich wünschte es wäre mein scheiß Wecker gewesen! Mir ist die Karre in der Turk Street verreckt und es hat ewig gedauert, bis der Abschlepper kam."

    „Oh, das tut mir leid. Is er noch zu retten?"

    Ivane stöhnte entmutigt und sagte: „Das bezweifle ich.

    Die Klingel des Cafés zeigte an, dass die ersten Kunden den Gastraum betreten hatten. Ivane wies ihnen einen Tisch zu und verteilte die Karten. Der Kopfschmerz, mit dem sie heute Morgen aufgewacht war, und der sich durch den Stress mit dem Wagen nicht unbedingt verbessert hatte, pochte noch immer spürbar zwischen ihren Schläfen. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte sie es für einen Kater gehalten, doch gestern war sie leider weder unterwegs und schon gar nicht betrunken gewesen. Muss am Wetter liegen, sinnierte sie. Zudem nagte schon den ganzen Tag dieses Gefühl an ihr, dass sie etwas sehr wichtiges vergessen hatte. Sie hatte jedoch nicht die allergeringste Ahnung, um was es sich dabei handeln könnte, konnte dieses unterschwellige Unbehagen jedoch auch nicht richtig abschütteln.

    Die erste Bestellung des Tages lenkte sie wenigstens für ein paar Minuten von den irritierenden Gedanken ab und sie fiel in ihren gewohnten Arbeitstrott.

    Das Münchens’s war ein noch recht junger „Exot unter den Restaurants der Stadt. Gelegen in der Nähe der, auch von Touristen und Pendlern gut frequentierten, Market Street, war es der einzige Laden, in dem man hier in der Nähe an richtiges Brot herankam. Deutsche Touristen schätzen diese Auswahlmöglichkeit und bei Einheimischen diente es zumindest dazu, sich ein wenig Abwechslung zu Speck und Weißbrot zu verschaffen, oder, wenn man mal was anderes als Starbucks trinken wollte. Ivane hätte es zwar vorgezogen, besonders in der Spätschicht, etwas weiter weg vom Mission Distrikt zu arbeiten, aber bisher hatten sie hier noch nie Schwierigkeiten mit den Gestalten gehabt, die einem in dem anderen Teil der Stadt in den Straßen gerne über die Füße fielen. Als Kellnerin zu arbeiten war sicher nicht Ivanes Jugendtraum gewesen, auch wenn die Arbeit hier an sich nicht schlecht war. Ihr Ziel lag woanders und sie hoffte, dass bald ein guter Sponsor auf sie aufmerksam werden würde, wenn sie beim nächsten Rennen in Sonoma eine gute Show ablieferte. Ihr Teamchef hatte ihr erzählt, dass er einige „Strippen gezogen habe, und dass ihre Chancen nicht so schlecht standen. Aber Nascar Rennen waren eben keine Ponyreitveranstaltung und Sponsoren warfen nicht so mir nichts dir nichts jedem ihr Geld hinterher. Nicht, dass sie damit reich werden wollte. Eine kleine Wohnung in einem etwas besseren Wohnviertel und ein Auto, das einem nicht vor der Haustür verreckte, hätten ihr schon gereicht.

    Die Eingangsklingel schellte erneut und ein weiterer Gast betrat das Lokal. Mit seinem Motorradhelm unter dem Arm suchte er den Raum nach einem freien Tisch ab. Ivane erlaubte sich einen zweiten, etwas längeren Blick, da sie das Gefühl hatte, den Mann schon mal irgendwo gesehen zu haben. Sein etwas überschulterlanges, dunkelbraunes Haar trug er in einem strammen Pferdeschwanz zusammengebunden, der nur knapp seine blaue Ledermotorradjacke berührte. Die beige Zip-off Hose, die er darunter anhatte, stand mit ihrer Schlichtheit im Gegensatz zu dem Rest des Eindrucks, den ihr Träger in Ivane hervorrief. Sie schätzte den Mann auf irgendwo in seinen Vierzigern. Eine etwas hakige Nase mit schlankem Rücken verlieh ihm eine strenge Ausdrucksstärke, die durch seine deutlich hervorstehenden Wangenknochen nur betont wurde. Seine einprägsamen Gesichtszüge und sein perfekt zu ihm passender, bronzefarbener Teint ließen in ihr die Vorstellung entstehen, dass er vielleicht südländische, oder arabische Vorfahren haben könnte, was nicht ungewöhnlich für Bewohner von San Francisco war.

    Nach einigen Sekunden widmete sich Ivane wieder ihren Aufgaben und versuchte krampfhaft, sich zu erinnern, wo sie ihm schon mal begegnet sein könnte, doch es wollte ihr einfach nicht einfallen.


    Dies war wirklich der mieseste Morgen an dem aufzuwachen er je das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte.

    Sein Schädel brummte, seinen Augen brannten und er fühlte sich ganz im Allgemeinen so, als habe ihn das Universum letzte Nacht genüsslich gekaut und dann heute Morgen wieder ausgespuckt.

    Selbst eine kalte Dusche direkt nach dem Aufstehen hatte nicht zu einer nennenswerten Verbesserung seines mysteriösen Katers geführt. Wenn der heutige Tag seinen zahlreicher werdenden grauen Strähnen nicht einige weitere hinzufügte, dann konnte er sich glücklich schätzen.

    Ein Frühstück in der Stadt hatte sich wie eine gute Entscheidung angefühlt und so hatte er sich auf seine dunkelgrünmetallic lackierte Kawasaki geschwungen und war zum München’s gefahren, wo er darauf hoffte, dass sich der Betrieb so früh am Morgen noch in Grenzen hielt. In seiner Vorstellung einer idealen Welt wartete dort nichts weiter auf ihn als eine heiße Tasse Tee, ein hartgekochtes Ei und richtiges, deutsches Brot anstelle von wabbeligem Toast, das in seinen Augen eine Beleidigung für alle Brote darstellte.

    Zum Glück war an der Straße vorm München’s noch exakt genug Platz übrig, so dass Ranold seine Kawasaki direkt vor dem Fenster abstellen konnte. Unter seinem Helm hatte er wegen der unterwarten Hitze mehr gelitten als sonst um diese Jahreszeit und er war sichtlich erleichtert über die schwache, aber dennoch ausreichend kühlende Brise, die seine Haut traf, als er den Kopfschutz abnahm. Er strich sich einige penetrante Strähnen aus dem Gesicht, dann betrat er das Café begleitet vom Klingelgeräusch der Eingangstür.

    Er fand das München‘s gefüllter vor, als ihm lieb war, aber zumindest schienen die anderen Gäste ebenso viel von Ruhe zu halten, wie er selbst. Er suchte den Raum nach einem freien Tisch ab und erspähte eine Nische, die noch nicht besetzt war. Bei der geringen Platzauswahl hielt er es für sinnlos auf einen Angestellten zu warten und setzte sich in Bewegung, bevor ihn jemand ansprechen konnte.

    Das Hinausbegeben in die Welt brachte den bedauerlichen Umstand mit sich, sich mit anderen Individuen beschäftigen zu müssen und seiner Erfahrung nach waren Leute vor allem zwei Dinge: neugierig und aufdringlich. Beides waren Eigenschaften, die er im Umgang mit Menschen, die nicht seine Schüler waren, ungern tolerierte.

    Er überflog die Speiseliste des Cafés, obwohl er sie eigentlich nicht brauchte, um zu wissen, was er bestellen wollte.

    Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Nettes Bike. Was kann ich Ihnen bringen?"

    Vor Schreck wäre ihm beinahe die Karte aus der Hand gefallen und er sah missmutig auf. Die Stimme gehörte zu einer der Bedienungen. Die Frau kam ihm bekannt vor, er konnte sich jedoch nicht erinnern, hier von ihr schon einmal bedient worden zu sein.

    „Danke. Und das Brotzeit-Spezial bitte. Aber mit Tee statt Kaffee."

    Die junge Dame kritzelte eifrig auf ihrem Block herum und schaute nicht auf, als sie ihn fragte: „Welche Sorte?"

    „Earl Grey", antwortete Ranold und legte die Karte ordentlich vor sich auf den Tisch. Konzentriert kniff er die Augen zusammen und betrachtete die Kellnerin genauer: Glattes, knapp überschulterlanges, schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, weiße Haut mit einem Hauch von warmen Beige im Unterton, schlanke Statur, hübsche, jedoch gleichzeitig außergewöhnlich markante Gesichtszüge … und trotzdem konnte er sie weder zuordnen, noch das Gefühl abschütteln, sie schon mal irgendwo gesehen zu haben. Die Frau sah nicht einmal zu ihm auf, während sie ihm erklärte, dass Earl Grey aus war, sie ihm aber Schwarztee anbieten könne.

    „Darf ich Sie fragen, wie lange Sie hier schon arbeiten?"

    „Was?"

    Was? Ranold hätte sich am liebsten selbst mit der flachen Hand mitten ins Gesicht geschlagen. Er hatte keine Ahnung wieso er ihr diese sinnlose Frage gestellt hatte, denn er war heute sicherlich nicht hierhergekommen, um in irgendeiner Weise Smalltalk mit einer jungen, gut aussehenden Kellnerin zu betreiben. Bevor er sich überlegen konnte, wie er seinen verbalen Vorstoß rechtfertigen wollte, sah er sich auch schon mit dem irritierten und empört wirkenden Blick zweier, blauer Augen konfrontiert.

    „Nur weil wir irgendsoeinen Grüntee grad nicht da haben, müssen Sie mir nicht gleich so kommen. Ich kümmere mich um die Gäste, nicht um die Bestellungen."

    Großartig, jetzt hatte sie seine Frage auch noch in den völlig falschen Hals bekommen! Die ganze Situation war Ranold unendlich unangenehm und er versuchte sich zu entschuldigen:

    „Hören Sie, es tut mir leid. So war das nicht gemeint. Ich hatte nur … Sie kamen mir bekannt vor. Ich war mir aber sicher, Sie hier noch nie gesehen zu haben. Darum hatte ich gefragt."

    Ihr Blick wurde etwas weicher und sie brachte demonstrativ ihren Stift erneut in Stellung.

    „Also einen Schwarztee?"

    „Schwarztee? Ja natürlich. Kein Problem."

    Jetzt lächelte sie sogar ein wenig, stellte er zufrieden fest. Trotz seines generellen Unwillens, sich in seiner Freizeit mit Menschen im Allgemeinen zu beschäftigen, kam er nicht umhin zu bemerken, dass ihr Lächeln ein unerwartet wohliges Gefühl in ihm auslöste, von dem er sehr hoffte, dass es sich nicht in seiner Mimik widerspiegelte. Ihm gefiel noch weniger, dass er Mühe hatte, ganz andere Gedanken an die Leine zu nehmen, die sich gerne ungehemmt mit dem straffen Hintern der Kellnerin beschäftigt hätten, als sich diese in Richtung Theke entfernte. Sein letztes Date war zwar schon eine Weile her, aber dass er jetzt schon anfing, junge Frauen in ihren Zwanzigern anzugaffen, war auch für ihn ein neuer Tiefpunkt. Mit festem Willen fixierte er die vor sich auf dem Tisch liegende Karte. Er versuchte sich auf seine Tagespläne zu konzentrieren und da sein Schädel noch immer pochte, hielt er eine kleine Tour nach Seal Rocks für eine gute Idee. Einfach ein wenig am Strand liegen und dem Meer beim Rauschen zuzuhören, klang einfach wunderbar.

    Geistesabwesend zeichnete er mit dem Finger Muster auf dem Tisch nach, bis er schließlich erneut Schritte neben sich hörte. Er räusperte sich verlegen, und war fest entschlossen noch einmal klarzustellen, dass er kein Arschloch war

    „Ich möchte mich noch mal bei Ihnen entschuldigen. Leute mit unangemessenen Fragen bei der Arbeit zu stören ist sonst nicht meine Art."

    „Miesen Start gehabt?", fragte die Kellnerin, während sie seine Bestellung auf dem Tisch ausbreitete.

    „Kann man so sagen. Das Wetter macht einem heute irgendwie Kopfschmerzen."

    Sein Gegenüber nickte, als wisse sie genau wovon er sprach.

    „Amen. Ich hab heute auch schon den ganzen Tag einen dicken Kopf. Muss an der schwülen Hitze liegen."

    Zufrieden, sich am Ende nicht wie der letzte Schmierlappen verhalten zu haben, lächelte Ranold und wandte sich seinem Essen zu. Die Bedienung stand noch immer neben seinem Tisch und wirkte nicht, als habe sie vor, sich zu bewegen.

    „Wieviel hat sie drauf?"

    „Wie bitte?"

    „Ihre Maschine, lachte die Frau, die seine Unfähigkeit dem Gespräch zu folgen sichtlich amüsierte. Ranold hatte zwar eigentlich keine Lust auf Smalltalk, er wollte jedoch auch nicht unhöflich erscheinen. Er holte tief Luft und versuchte nicht genervt zu klingen, als er antwortete: „Es ist zwar eine GPZ 500S, aber ein europäischer Import. Jedenfalls hat mir das der Bastler gesagt, von dem ich sie habe. Er hat sie noch etwas bearbeitet, und sie liegt jetzt so bei 120 PS.

    Die Frau riss sichtlich begeistert ihre Augen auf und schaute zu dem Fenster, vor dem das Motorrad stand.

    „120? Die liegen doch normalerweise so bei 80 höchstens. Wieviel macht sie?"

    Ranold hatte zunehmend Probleme damit, zu verarbeiten, dass dieser Mensch, der ihm eigentlich nur sein Essen servieren sollte, einfach nicht aufhören wollte zu reden und obendrein die technischen Werte seines fahrbaren Untersatzes besser im Kopf zu haben schien, als er selbst. Er fuhr zwar gern, hatte aber von der Technik gerade genug Ahnung, dass er damit zurechtkam.

    Ihm behagte nicht, dass er sich auf ein thematisches Territorium begab, von dem er im Grunde nicht die geringste Ahnung hatte. Er versuchte es mit einer ausweichenden Antwort: „So richtig an ihr Limit gebracht habe ich sie noch nicht. Der Verkäufer meinte, sie schafft 230 km/h."

    Ranold hoffte inständig, die Neugier der Frau mit dieser Information ausreichend befriedigt zu haben und dass sie jetzt endlich gehen und einen der anderen hungrigen Gäste belästigen würde. Doch er wurde enttäuscht, denn stattdessen pfiff sie anerkennend und warf einen letzten sehnsüchtigen Blick nach draußen.

    „Ich würde das Limit von dem Baby schon finden", raunte sie mit verträumter Stimme.

    „Ich weiß nicht, ob das nicht ein wenig zu viel wäre für eine zierliche Frau wie Sie es sind."

    Seiner Aussage folgte eine sehr laute Stille. Technisch gesehen wusste Ranold, dass es zwischen seinem Hirn und seinem Mund irgendwo einen Filter geben musste, dessen Aufgabe es eigentlich war, Sätze wie diesen zu vermeiden. Er war auch zugegebenermaßen noch nie gut darin gewesen, diesen Filter zu benutzen, doch heute Morgen war es offenbar wieder besonders schlimm. Er hatte den Satz ganz beiläufig gesagt, während er angefangen hatte, sich sein Brot zu schmieren. Jetzt spürte er genau, dass die Frau ihn böse von der Seite anstarrte, während er noch zu vermeiden versuchte, sie überhaupt anzusehen. Wie er es geschafft hatte, es sich innerhalb von zwanzig Minuten zweimal mit derselben Bedienung zu verscherzen, war ihm ein Rätsel. Doch hier saß er, als der lebende Beweis, dass es möglich war.

    „Was meinen Sie mit: ‚Eine zierliche Frau wie ich‘?"

    „Es tut mir leid. Ich möchte mich erneut entschuldigen. Das war unangebracht."

    „Unangebracht?" Die Frau versuchte sichtlich ihre Wut zu beherrschen. Offenbar hatte er irgendeinen wunden Punkt getroffen.

    „Hören Sie mal, Mister: Ich garantiere Ihnen, dass ich alles, was Sie mir vorsetzen, besser im Griff habe als Sie, so lange es einen Motor und Räder hat!"

    Ranold wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als dass er heute Morgen gar nicht erst das Haus verlassen hätte. Wie hatte er sich bloß schon wieder in eine derart unangenehme Situation gebracht? Und wo kamen auf einmal die ganzen chauvinistischen Sprüche her, die er, einen nach dem anderen, zum Besten gab? Sein Verstand raste und er überlegte, wie er sich aus dieser Misere herausreden konnte, ohne es noch schlimmer zu machen.

    „Werden Sie aufhören mich so wütend anzusehen, wenn ich es sie rausfinden lasse?", hörte er sich selbst sagen, hoffte jedoch insgeheim, dass sie das Angebot vernünftigerweise ablehnen und endlich zurück an ihre Arbeit gehen würde. Er versuchte entschuldigend zu lächeln, auch wenn er ihrem Blick kaum standhalten konnte vor Scham über sein eigenes Verhalten. Gleich würde sie hoffentlich empört ‚Nein‘ sagen und sich abwenden.

    „Deal."

    „Im Ernst?"

    „Was? Haben Sie den Mund zu voll genommen? Angst, dass die ‚zierliche Frau‘ Ihr Bike schrottet? Oder Angst davor zugeben zu müssen, dass ich es besser drauf habe, als Sie dachten?"

    Ranold war klar, dass er jetzt keinen Rückzieher machen konnte, ohne wie ein komplett sexistisches Arschloch dazustehen. Ihm gefiel keine der Alternativen, die ihm im Moment zur Verfügung standen, denn weder wollte er eine völlig fremde Person sein Motorrad fahren lassen, noch wollte er den Eindruck vermitteln, ein Lügner zu sein. Leider gebot ihm sein Anstand und sein Stolz, eine der Möglichkeiten zu wählen und er entschied: „Ich stehe zu meinem Wort. Bis wann müssen Sie heute arbeiten?"

    Sicherlich war es das Beste, wenn er die Sache schnell hinter sich brachte. Sie kniff die Augen zusammen und schien mit sich zu hadern. Vielleicht wurde ihr der Gedanke, mit irgendeinem wildfremden Typen mitzufahren, den sie vorher noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, jetzt doch allmählich unheimlich. Er verstand, wenn eine Frau in dieser Hinsicht entsprechend misstrauisch war, vor allem, wenn sie, wie sein Gegenüber, mitten in ihren Zwanzigern, mit einem Bombenkörper und einem ansehnlichen Gesicht gesegnet war.

    Sie im Rahmen einer Motorradfahrt minutenlang in irgendeiner Weise eng an sich gepresst zu spüren, würde selbst für ihn Beherrschung erfordern, jedoch war er sich sicher, dass ihm der Anstand und die Vernunft, die er in seinen 43 Lebensjahren angesammelt hatte, die Fähigkeit verleihen würden, sich von vorne bis hinten wie ein Gentleman zu verhalten. Auch wenn seine verbalen Fähigkeiten nach jetzigem Sachstand in dieser Hinsicht offenbar noch etwas mehr Schulung und Aufsicht benötigten.

    „Sie können mich um kurz nach vier hier abholen, wenn Sie mich danach wieder hierher zurückbringen."

    Die junge Frau klang bei weitem nicht so selbstsicher, wie auszusehen sie sich bemühte.

    „Sie müssen mir nichts beweisen, wissen Sie? Es ist in Ordnung, wenn Ihnen das Angebot unangenehm ist. Ich wollte nur höflich sein", versuchte Ranold sie zu beruhigen. Sie knabberte an ihrer Unterlippe und ihr Blick wanderte immer wieder von rechts nach links, als könne sie an den Wänden die Antwort auf die Frage finden, ob sie ihrer Neugier nachgeben, oder lieber vorsichtig sein sollte. Dann straffte sie ihren Körper und sah ihn selbstbewusst an.

    „Nein, wissen Sie was. Sie sprechen nicht wie einer, der Frauen in Cafés auflauert, um sie später irgendwo im Wald zu zerstückeln. Wir machen das. 16:15 Uhr kommen Sie hier hin und holen mich ab."

    „Ok, bestätigte Ranold unsicher und dann ergänzte er, „und danke, dass Sie mich nicht für einen Massenmörder halten.

    Sie konnte ihm ja immer noch absagen. Oder er konnte es sich überlegen und gar nicht erst auftauchen, worüber sie vielleicht erleichtert sein würde.

    „IVANE! Du wirst hier nicht für Kaffeekränzchen bezahlt! Tisch vier wartet auf seine Bestellung!", rief der hagere, rothaarige Mann von der Theke ungehalten durch den Gastraum. Die Frau, offensichtlich Ivane, riss erschrocken ihre Augen auf, als habe sie sich erst just in diesem Moment daran erinnert, dass sie ja hier arbeitete.

    „Entschuldigung. Ich muss weiter …"

    „Ranold Meni", unterbrach er sie, bevor sie weggehen konnte. Sie schaute ihn fragend an.

    „Mein Name ist Ranold Meni." Er streckte seine Hand aus. Sie schaute kurz zu dem Mann, der nach ihr gerufen hatte, dann wieder zu Ranold.

    „Ivane", sagte sie, ergriff fest seine Hand, ließ sie aber sofort wieder los. Kurz trafen sich dabei ihre Blicke, dann wandte sie sich hastig ab, wieder ihrer Arbeit zu. Ranold wurde mit dem Gefühl zurückgelassen, dass hier soeben mehr passiert war, als er mit seinem vernebelten Verstand erfassen konnte und er wusste nicht, was er davon halten sollte. Alles um ihn herum und in ihm drin fühlte sich mit einem Mal seltsam an. Er blickte auf seine Handfläche, die noch immer kribbelte. Er wusste nicht, ob das ein gutes, oder ein ganz schlechtes Zeichen war. Er beschloss sehr eingehend darüber nachzudenken, bevor er es allen Ernstes in Erwägung zog, heute hier noch einmal aufzutauchen und sich aller Wahrscheinlichkeit nach komplett lächerlich zu machen.


    Die Luft in der Stadt war durch die für die Jahreszeit ungewöhnlich drückende Hitze so dick, dass man sie ohne weiteres mit einem Messer in Scheiben hätte schneiden können.

    Ivane starrte aus dem Fenster des München’s und schalt sich einen Idioten. Ihre Schicht war gleich zu Ende und ein Teil von ihr erwartete doch tatsächlich, dass dieser Wildfremde mit seinem Motorrad gleich hier auftauchen würde. Wütend, in ihrem Anfall von Kühnheit auf das Angebot eingegangen zu sein, zog sie ihre Schürze aus und verstaute sie in ihrem Fach. Als nächstes griff sie nach ihrer Tasche und überprüfte, ob das Pfefferspray noch da steckte, wo es hingehörte und ob sie den Notruf auch ganz bestimmt auf der Kurzwahltaste ihres Handys gespeichert hatte.

    Während sie kramte, ertönte die Schelle vom Eingang her und sie hielt in ihrer Bewegung inne. Hastig warf sie einen Blick in Richtung Tür. Ranold war noch nicht gekommen, dafür streifte aber ihr Kollege und guter Freund Jack O‘Callahan gerade seine Jacke ab.

    „Hi, Jack. Kasse ist schon frei", begrüßte sie ihn.

    „Danke. Sag mal, ist alles in Ordnung? Du wirkst so gestresst."

    „Ich? Nö, es ist nichts. Ich werd nur gleich abgeholt und finde meinen Schlüssel nicht."

    „Du wirst abgeholt? Wolltest du heute nicht nach Sonoma rüber fahren?"

    „Tja, da sich mein Polo heute Morgen verabschiedet hat, muss ich erst mal sehen, dass ich an ein billiges Auto rankomme. Wird also heute nichts mit Sonoma."

    „Du hättest mich doch anrufen können. Ich hätte dir meinen Wagen geliehen, oder ich hätte dich selbst hingefahren! Wo geht’s denn stattdessen hin?"

    „Bin mir noch nicht sicher."

    „Was heißt denn ‚ich bin mir nicht sicher‘?"

    Jack stoppte in seiner Bewegung und schaute sie misstrauisch an. Ihm schien nicht zu gefallen, was er hörte. Ivane versuchte sein Starren zu ignorieren und kramte weiter nach ihrem Schlüssel. Ihr fiel ein, dass sie ihn vielleicht in ihrer Jacke gelassen hatte und ging zur Garderobe.

    „Hey, Iv, ich habe dich was gefragt!"

    Ivane wusste, dass sie Jack nicht einfach so stehen lassen konnte. Nicht bei all dem, was er schon durchgemacht hatte. Er klang äußerst besorgt und ihr war klar, dass er genau spürte, dass da irgendwas im Busch war. Er würde somit ohnehin keine Ruhe geben, bis sie ihm glaubhaft versichern konnte, dass alles ok war.

    „Das heißt, dass ich noch nicht weiß, ob der Typ, mit dem ich mich heute Morgen verabredet habe, überhaupt auftaucht", erklärte sie ruhig.

    Jack verengte seine Augen zu Schlitzen und weil heute einfach nicht ihr Tag war, schlug er vor: „Ruf ihn doch an und frag nach!"

    Ivane war klar, dass ihm ihre nächste Antwort überhaupt nicht gefallen würde und darum versuchte sie so unbesorgt wir möglich zu klingen, als sie ihn informierte: „Ehrlich gesagt, habe ich seine Nummer nicht."

    Sie hätte sich selbst ohrfeigen können, denn den Typ nach seiner Nummer zu fragen wäre ja schon irgendwie eine gute Idee gewesen.

    „Was soll das heißen, du hast seine Nummer nicht? Es ist doch hoffentlich nicht dieser Idiot von neulich, der dich den ganzen Abend so dreist angebaggert hat? Der sah aus, als wäre er erst fünfzehn und hätte sich seinen Bart angeklebt, damit er überhaupt schon alleine aus dem Haus darf!"

    Ivane musste lachen, als sie an den fraglichen Gast denken musste. Sorgen darüber, dass ihr heutiges „Date" zu jung sein konnte, musste sich Jack nun wirklich nicht machen. Bevor sie ihm erklären konnte, wie die Verabredung, die sie erwartete, überhaupt zu Stande gekommen war, hörte sie das laute Röhren eines Motors von der Straße her und sah in Richtung Fenster. Ranold war tatsächlich gekommen und er steckte immer noch in den gleichen Klamotten wie am Morgen. Gerade stellte er sein Bike auf den Ständer und zog seinen Helm vom Kopf. Die langen, braunen Haare fielen auf seine Schultern herab und er fuhr sich mit der Hand durch die ungezähmte Mähne, bevor er sich zur Tür wandte.

    „Sag nicht, dass das da deine Verabredung ist", sagte Jack zögerlich und auch etwas verwundert.

    „Warum? Kennst du ihn?"

    „Nein. Und du kennst ihn ja offenbar auch nicht. Bist du völlig verrückt mit irgendeinem wildfremden Biker mitzufahren, von dem du nicht mal die Telefonnummer weißt? Du kannst doch nicht so naiv sein! Außerdem: wie alt ist der Typ eigentlich? Der sieht aus, als könnte er locker dein Vater sein!"

    Mit einigen wenigen, dafür umso energischeren Schritten war Jack neben Ivane getreten und fasste sie am Arm. Sein Griff war eisern und er wirkte, als könne er sich nicht entscheiden, ob er wütend oder verzweifelt sein sollte. Sie hatte sich in den letzten Wochen oft und lange mit Jack unterhalten und er hatte ihr von seiner Familie und seiner Zeit in New York erzählt und auch, warum er die Stadt verlassen und bisher nicht zurückgeblickt hatte. Dabei war eine Freundschaft entstanden, die sie sehr schätzte und darum war ihr auch klar, welche Ängste sie mit ihrem Verhalten in ihm auslöste. Das gab ihm jedoch trotzdem nicht das Recht, sich übergriffig in ihr Leben einzumischen. Sie holte tief Luft und sah ihn direkt an und ganz ruhig sagte sie: „Lass meinen Arm los, Jack."

    Er sah erschrocken auf seine Finger und zog sofort seine Hand zurück. Sein Gesichtsausdruck wurde weicher und er schaute erst an ihr vorbei zur Tür, dann wieder zu ihr.

    „Tut mir leid. Ich mache mir nur Sorgen. Du bist eine hübsche junge Frau, und nicht jeder Mann behandelt Frauen mit dem Respekt, den sie verdienen."

    Sie legte ihm die Hand auf den Arm und versuchte beruhigend zu klingen: „Das weiß ich, aber mach dir nicht zu viele Sorgen. Ich bin schon groß und kann auf mich aufpassen. Und schau mal hier, sie öffnete ihre Handtasche und zeigte ihm ihr Pfefferspray, „ich bin auch für den Notfall vorbereitet.

    Sie zog sich ihre Jacke über und tätschelte ihrem Freund noch ein letztes Mal ermutigend die Wange.

    „Ich werde dich auf jeden Fall anrufen, wenn ich wieder zu Hause bin, damit du dir keine Sorgen machst, ok?"

    Jack nickte. Glücklich wirkte er jedoch nicht. Ivane fasste ihren Mut zusammen und ging in Richtung Tür. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass sich Jack wahrscheinlich gerade breitbeinig und gut sichtbar vor der Theke aufbaute. Offenbar auffällig genug, so dass man ihn von draußen gut sehen konnte, denn Ranold riss einigermaßen entsetzt wirkend seine Augen auf, während er in ihre Richtung blickte. Vielleicht war es ja nicht das Schlechteste, dass sich ihrer Verabredung bewusst war, dass es jemanden gab, der auf Ivane aufpasste und auf sie wartete. Schaden konnte es auf jeden Fall nicht.


    Ranold hatte den Tag wie geplant verbracht und hatte nach langem Ringen mit sich selbst entschieden, dass er schon viel zu lange nichts Spontanes und wirklich Unvernünftiges mehr getan hatte. Darum hatte er es tatsächlich durchgezogen und war, wie mit der jungen Frau am Morgen verabredet, zurück zum München’s gefahren. Als er jetzt die Szene beobachtete, die sich im Lokal für ihn gut sichtbar abspielte, war er sich nicht mehr so sicher, ob das Ganze wirklich so eine gute Idee gewesen war. Der muskulös aussehende Kerl neben Ivane wirkte wenig amüsiert über seine Anwesenheit und der Blick, mit dem er bedacht wurde, als die junge Frau das Lokal verließ, ließ wenig Spielraum für Interpretationen der netten Art. Er kannte den Mann auch irgendwo her. Wahrscheinlich war er von ihm hier schon mal bedient worden, er hatte aber zuvor nie wirklich auf ihn als Person geachtet.

    „Ich muss zugeben, ich war mir nicht sicher, ob Sie wirklich auftauchen", gab Ivane zu, als sie sich neben Ranold auf den Bürgersteig gesellte.

    „Ich gestehe, dass ich mir da eine gewisse Zeit lang auch nicht ganz sicher war. Dann dachte ich mir: Ach, was soll's."

    Er schaute sie unsicher an und stellte dann fest: „Ihr Freund da drin scheint sich nicht unbedingt zu freuen mich zu sehen."

    „Sie meinen Jack? Nein, er ist nicht mein …, Ivane zögerte kurz, und fuhr dann fort: „er ist mein Ex-Freund. Er kommt immer noch nicht gut damit klar, mich auch nur in der Nähe eines anderen Mannes zu sehen.

    „Uhm … Sie haben ihm aber gesagt, dass das hier kein Date ist, oder?" In Ranolds Magen machte sich plötzlich ein ziemlich ungutes Gefühl breit.

    Die Frau grinste entschuldigend: „Hab ich. Macht für ihn nur keinen Unterschied. Aber Sie sind ja schon groß und können sich bestimmt wehren, sollte er doch noch rauskommen."

    „Wehren?" Ranold spürte förmlich, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht fiel, doch seine Begleiterin schien plötzlich allerbeste Laune zu haben und sie fuhr ungehemmt fort:

    „Ach, machen Sie sich keine Gedanken. Auf der Arbeit ist er immer nüchtern. Das Ganze wäre nur ein Problem, wenn er betrunken wäre."

    „Na das ist ja großartig. Gibt es sonst noch irgendwas, vor dem Sie mich warnen wollen?"

    „Nein, das war’s", erwiderte sie fröhlich.

    Warum wirkte sie derart amüsiert über den Umstand, einen eifersüchtigen, gewalttätigen Ex-Freund mit Alkoholproblemen zu haben? Ranold stellte wieder einmal fest, dass er die Frauen nicht verstand und reichte ihr seinen Ersatzhelm.

    „Hören Sie, egal was wir heute Morgen gesprochen haben, sagen Sie mir jetzt ehrlich, ob Sie so was schon mal gefahren haben, oder nicht!"

    Mit geübt wirkenden Handgriffen stellte sich Ivane ihren Helm passend ein und setzte ihn auf. Durch das noch offene Visier schaute sie ihm direkt in die Augen und ihr Blick wirkte ehrlich als sie antwortete: „Im Ernst: ich habe einen Führerschein und ich kann Motorrad fahren. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Vielleicht sind Sie beruhigter, wenn ich erst mal unter Ihrer Aufsicht fahre und Sie können sich selbst überzeugen?"

    Der Vorschlag war nicht schlecht, auch wenn Ranold tatsächlich noch nie als Sozius auf einer Tour mitgefahren und dementsprechend unsicher war, ob ihm das Spaß machen würde. Er atmete geräuschvoll aus und setzte seinen eigenen Helm auf. Dann reichte er ihr seinen Fahrzeugschlüssel.

    „Okay, aber ich habe keine Lust auf einen Strafzettel oder Kratzer im Lack. Können wir uns darauf einigen?"

    Die Frau nickte und schloss ihr Visier, nachdem sie ihre Tasche vor ihrem Bauch befestigt hatte.

    „Ich kenne in Sears Point in Sonoma eine Rennstrecke, auf der wir das Baby mal austesten können, ohne Strafzettel zu riskieren. Klingt das okay für Sie?"

    „So wie ich das sehe, sind Sie ja jetzt der Fahrer und bestimmen, wohin es geht. Wenn das ist, wo Sie hin wollen, dann fahren wir dahin. Ich fahre mit Ihnen, glaube ich, überall hin, wo ihr verrückter Ex-Freund NICHT ist. Da kann man ja Angst kriegen, so wie der einen anstarrt."

    Ranold hörte ein Lachen unter dem anderen Helm und sah zu, wie Ivane gekonnt das Motorrad vom Ständer hievte und anschließend ihr Bein mit geübt wirkender Leichtigkeit über den Sattel schwang. Er zögerte einen Moment, bevor er hinter ihr auf dem Sitz Platz nahm. So richtig wusste er nicht, was er mit seinen Händen machen sollte, doch auf keinen Fall würde er sich an Ivane festhalten. Mit einem unbeholfenen Griff nach hinten fand er schließlich Halt.

    Sie startete die Maschine und Ranold nahm erleichtert zur Kenntnis, dass ihre Handhabe von Gas und Kupplung tatsächlich den Eindruck vermittelte, dass sie wusste, was sie tat. Er versuchte sich zu beruhigen und sie einfach machen zu lassen. Als sie sich in Bewegung setzten, schlug sein Herz dennoch auffällig stark gegen seinen Brustkorb. Er war noch nie gut darin gewesen, Kontrolle abzugeben. Doch jetzt vertraute er einer völlig fremden Person ohne ersichtlichen Grund praktisch sein Leben an! Mit eisernem Willen richtete er seinen Blick nach vorne.

    Es dauerte nicht lange, bis Ivane und die Maschine sich angefreundet hatten und er beschloss, die ca. 40 Minuten lange Fahrt nach Sonoma einfach zu genießen. Einfach den Fahrtwind spüren, die salzige Luft schmecken und die kraftvolle Eleganz der Golden Gate einsaugen, für die Vielen im Alltagstress schlichtweg die Aufmerksamkeit fehlte.

    Da auf der Höhe der Mautstation wieder einmal gebaut wurde, gerieten sie in einen der Berufsverkehrsstaus, die sich um diese Zeit gerne an der Einfahrt zur Gate aufbauten und die, wie die Verkalkung einer Arterie, den Zufluss auf die rote Brücke verlangsamten. Einzig die Bay Bridge war meistens noch vollgestopfter als die Golden Gate, da die meisten Arbeitnehmer, die nicht auf dieser Seite der Bucht lebten, von Oakland herüber gefahren kamen.

    Völlig in Gedanken lehnte er sich nach vorne und umgriff Ivanes Körper. Er bemerkte seinen Fehler nahezu sofort und zog blitzschnell die Arme zurück, wobei er sie beide fast aus dem Gleichgewicht gebracht hätte.

    „Das tut mir leid! Ich wollte nicht …", entschuldigte er sich hastig. Ivane drehte sich nach hinten und sah ihn über ihre Schulter hinweg an.

    „So lange du deine Finger da behältst, wo sie hingehören, kannst du dich auch ruhig an mir festhalten. Das ist ok."

    Ranold wäre lieber gewesen, sie hätte ihm dieses Angebot nicht gemacht. Jetzt saß er hier und musste sich entscheiden, ob er es annehmen oder sich weiter am Rahmen festhalten wollte. Wenn er sich jetzt anstellte und es ließ, wirkte er vielleicht, als wäre er ein Sexist. Tat er es jedoch, würde sie es vielleicht als unangemessenen Annäherungsversuch fehlinterpretieren. Wie er es auch drehte und wendete, er konnte nicht gewinnen und er wünschte sich in diesem Moment sehr, dass sein Gehirn nicht diesen Hang dazu hatte, sich für jede Gelegenheit nahezu 100 Szenarios auszudenken und komplett durchzuspielen. Um nicht am Ende wie ein Trottel dazustehen, umfasste er ihren Körper erneut, wenn auch sehr vorsichtig. Er achtete darauf, nicht zu weit oben und nicht zu weit unten zu packen. Und er versuchte sich so lässig wie möglich an sie anzulehnen, ohne sie mit seinem gesamten Oberkörpergewicht zu belasten. Er hoffte, bei dem gesamten Akt irgendwie souverän zu wirken. In dieser neuen Position setzten sie ihre Reise fort.

    ***

    Nach etwas mehr als 45 Minuten Fahrt erreichten sie das Eingangstor zum Sonoma Raceway. Der Mann an der Pforte nickte Ivane freundlich zu und begann, das Tor zu öffnen. Sie mussten nur kurz warten und Ranold freute sich schon darauf, endlich den Helm abziehen zu können, unter dem er langsam aber sicher zu zerfließen begann. Gleich nach dem Eingangsbereich orientierte sich Ivane nach links. Offenbar kannte sie sich hier bestens aus. Neben einer Boxengasse blieben sie stehen und stiegen ab. Ranold befreite sich von seiner Kopfbedeckung und atmete erleichtert auf. Er schüttelte sein Haar aus, bevor er sich mit der flachen Hand die letzten Strähnen aus dem Gesicht strich. Ivane sah ihm amüsiert wirkend zu.

    „Das ist so ein Tick von Ihnen", stellte sie fest.

    Er schaute sie fragend an: „Was genau meinen Sie?"

    Die junge Frau schüttelte theatralisch ihren Kopf und strich sich überschwänglich mit der Hand durch das eigene Haar. „Das hier", lachte sie, während Ranold im Angesicht ihrer Darbietung säuerlich die Augenbrauen zusammenzog.

    „Machen Sie sich ruhig lustig über mich", grummelte er und band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Warum seine Person bei der Frau vor ihm plötzlich so viel Amüsement auslöste, war im schleierhaft.

    „Jetzt seien Sie doch nicht so empfindlich und lassen Sie sich nicht immer so leicht aufregen! Jeder hat doch irgendeinen Tick."

    „Ich schätze es nicht, Objekt der Belustigung anderer zu sein", erklärte er wahrheitsgemäß. Ivane seufzte laut und schüttelte den Kopf.

    „Ich habe mich nicht über Sie lustig gemacht. Ich wollte einfach ein lockeres Gespräch anfangen."

    Ranold ärgerte sich über den Umstand, dass er wieder mal bewiesen hatte, dass er sich für Smalltalk nicht besonders eignete. Er hatte offenbar den völlig unschuldigen und freundlich gemeinten Versuch der jungen Frau bombardiert, eine Konversation zu starten. Sie hatten sich auf dem Weg hierher noch nicht besonders viel unterhalten, doch Ranold musste zugeben, dass er schon gerne mehr über sie gewusst hätte und darüber, warum sie so einfach Zugang zu der Nascar Rennstrecke hatte.

    Ranold Meni konnte sich ohne Probleme vor eine Klasse mit Schülern stellen und ihnen die Regeln der Naturwissenschaften nahebringen, stundenlange Vorträge halten und zur Not auch mit renitenten Eltern herumdiskutieren, aber im privaten Bereich war er ein hoffnungsloser Fall, was zwischenmenschliche Kommunikation anging. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich den Vorwurf anhören müsste, auf andere unnahbar und arrogant zu wirken. Er war sich sicher, dass er auch von Ivane in Bälde eine ähnlich negative Beurteilung erhalten würde. Da er fand, dass sie, abgesehen von ihrer zeitweise etwas zu forschen Art, eigentlich ein netter Mensch zu sein schien, bedauerte er es, keinen besseren Eindruck gemacht zu haben.

    Bevor er sich noch weiter in seine Grübeleien stürzen konnte, wurde er von Ivane in seinen Gedanken unterbrochen: „Hey, alles ok? Sie waren grad irgendwie weg."

    Sie sah besorgt aus. Er musste sich irgendwie am Riemen reißen, bevor sie ihn noch für völlig verschroben hielt.

    „Ich habe nur nachgedacht. So, jetzt erzählen Sie mir mal, was es mit Ihnen und Nascar auf sich hat! Kennen Sie jemanden, der hier fährt?"

    Sie lachte wissend und antwortete: „Das könnte man so sagen. Warten Sie hier!"

    Mit diesen Worten verschwand sie in einem der nahestehenden Gebäude. Ranold sah ihr nach und fragte sich, was sie vorhatte. Er drehte sich um und lehnte sich mit dem Ellenbogen auf das Geländer der Gasse. Versonnen schaute er auf die Strecke und dachte darüber nach, was hier wahrscheinlich an einem schönen Tag während eines Rennes los war. Bei der Vorstellung von laut grölenden Menschenmassen wurde ihm ganz komisch im Magen.

    Nach einigen Minuten kam Ivane, komplett umgezogen und mit einem anderen Helm unter dem Arm, aus dem Gebäude heraus. Der rot-blaue Rennoverall saß wie angegossen und Ranold stellte fest, dass ihm außerordentlich gut gefiel, wie er sich sportlich an ihre weiblichen Rundungen schmiegte.

    „Sagen Sie es schon! Ich habe mich total blamiert, weil ich einer Nascar Rennfahrerin gesagt habe, sie sei zu zierlich, um mein Motorrad zu fahren!", stöhnte Ranold, als ihm das Ausmaß seines Fauxpas bewusst wurde. Er sah sie von unten bis oben an und sein Blick blieb auf ihrem genugtuerisch grinsenden Gesicht kleben. Beschämt legte er die Stirn auf seine, über dem Geländer gefalteten Arme. Während er sich erfolglos bemühte, vor Scham im Boden zu versinken, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und obwohl sie fast eine Stunde dicht aneinander gedrückt auf seinem Motorrad hierher gefahren waren, fühlte er ihre Nähe so deutlich wie noch nie zuvor an diesem Tag. Ein angenehmer Schauer durchfuhr seinen Körper.

    „Sie sind nicht der erste, von dem ich mir so was anhören muss. Aber wissen Sie was? Ich glaube Ihnen, dass Ihnen das wirklich unangenehm ist und dass Sie sich nicht wie ein Arsch verhalten wollten. Würde ich glauben, dass Sie so einer wären, dann hätte ich Sie nicht hierher mitgenommen. Betrachten Sie es als eine praktische Erfahrung in Sachen Emanzipation und eine gute Gelegenheit zu erfahren, was Ihr Baby wirklich drauf hat!"

    Ranold schaute Ivana leicht verdattert an. Wieso war sie bereit, ihm einfach so durchgehen zu lassen, was er heute schon so alles vom Stapel gelassen hatte? Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihr irgendetwas von sich zu erzählen und nichts war geschehen, das für sie Anlass zu der Vermutung geben könnte, dass seine Absichten welche von der guten Sorte waren. Woher nahm sie diese Unvoreingenommenheit?

    Es lag Ranold tatsächlich nichts ferner, als einem Menschen seine Talente abzusprechen, nur weil sie nicht in die von der Gesellschaft für sein Geschlecht vorgesehene Nische fielen. Was er jedoch tatsächlich nicht ausstehen konnte, waren Idioten. Und Ivane hatte bisher nicht den Eindruck erweckt, intellektuell nicht auf der Höhe zu sein. Ganz im Gegenteil sogar.

    „Ich verspreche, mich verbal etwas mehr am Riemen zu reißen! Ich bin einfach nicht gut in so was."

    „In was?", fragte sie, während sie ihren eigenen Helm aufsetzte.

    „Konversation im Allgemeinen. Ich bin, außer auf der Arbeit, eigentlich eher gern für mich", antwortete er ehrlich. Sie sah ihn verständnisvoll an.

    „Daran ist nichts verkehrt. Was für eine Arbeit ist es denn, die Sie dann doch hin und wieder unter Menschen treibt?" Sie schwang ihr Bein über den Sitz und sah ihn an.

    „Lehrer", informierte er sie, während sie ihr Visier herunterklappte.

    „Das passt irgendwie zu Ihnen!", rief sie ihm noch zu, bevor sie auf die Strecke rollte. Ranold sah ihr und seinem Motorrad nach. So richtig wohl war ihm dabei nicht, jedoch hatte er versprochen, sie fahren zu lassen und er würde jetzt nicht anfangen sich anzustellen!

    Der Motor war noch warm und Ivane ließ ihn ein, zwei Mal aufheulen. Ranold vermutete stark, dass sie ihn nur beeindrucken oder vielleicht sogar ein bisschen ärgern wollte. Dann gab sie richtig Gas und ließ die Kupplung schnell und sauber kommen. Das Motorrad bäumte sich unter ihr auf und mit leicht qualmenden Reifen raste sie davon. Schneller als Ranold lieb sein konnte, entfernte sie sich und legte sich energisch in die erste Kurve.

    Nach einigen Runden, Ranold kam es vor als seien Stunden vergangen, lenkte sie die Kawasaki wieder in die Gasse und kam schließlich direkt vor ihm zum Stehen. Mit einer schwungvollen Bewegung zog sie den Helm vom Kopf und schüttelte ihr rabenschwarzes Haar. Ihr Gesicht war angenehm gerötet und sie lächelte zufrieden. Ranold kam nicht umhin zu bemerken, dass sie wirklich ein ganz und gar attraktiver Mensch war, dessen Ausstrahlung etwas Faszinierendes an sich hatte, das er nicht genau zu beschreiben vermochte. Bisher hatte er versucht sein aufkeimendes, romantisches Interesse zu ignorieren, aber sie machte es ihm wirklich nicht leicht, wenn sie ihn so selbstbewusst und zufrieden mit sich selbst anstrahlte.

    „Und?", fragte Ranold neugierig.

    „Da wäre noch mehr gegangen, ganz sicher. Sie fährt sich wirklich gut. Der Typ von dem Sie sie haben, hat Sie nicht beschissen."

    Dann seufzte sie zufrieden: „Das hat wirklich gut getan. Ich bin so lange kein Motorrad mehr gefahren. Das war noch mal ̕ne schöne Abwechslung."

    Ranold nickte zufrieden: „Na dann hat es sich ja gelohnt, dass ich heute Morgen so über meine Sprache gestolpert bin. Und in diesem Sinne: Gern geschehen."

    Beide lachten erheitert, als sie an die verpatzte Morgenkonversation dachten. Ivane blickte zurück zur Strecke und dann wieder auf ihren Begleiter.

    „Wollen Sie auch mal eine Runde drehen?", fragte sie.

    Ranold überlegte. Die Gelegenheit, sich auf einer ausgebauten Rennstrecke auszutoben, würde sich wahrscheinlich so schnell nicht wieder bieten und so willigte er ein. Trotz Hitze zog er seine Motorradjacke komplett zu und streifte seinen Helm über den Kopf. Dann schob er das Motorrad zur Strecke, doch Ivane hielt ihn zurück.

    „Ich kann Sie aber nicht Vollgas fahren lassen. Sie tragen keine Schutzklamotten. Die reißen mir den Arsch auf, wenn Ihnen was passiert. Machen Sie also langsam, okay?"

    „Okay", antwortete Ranold, aber nur wenige Augenblicke später bewies er, dass man auch den Worten eines ehrlichen Mannes nicht blind vertrauen sollte. Er hatte sich am Anfang fest vorgenommen, die Kawasaki nur ein bisschen auszutesten. Ganz vernünftig zu fahren. So, wie er es immer tat. So, wie er es versprochen hatte.

    Als er jedoch spürte, wie gut es sich anfühlte, sich endlich noch mal gehenzulassen, ließ er im nächsten Moment einfach noch ein bisschen mehr los. Ein Teil von ihm war sich durchaus bewusst, dass sich die Zahl auf dem Tacho nicht mehr auch nur in der Nähe dessen befand, was er Ivane zugesichert hatte. Aber es fühlte sich einfach so unendlich gut an!

    Er fühlte sich frei und voller Energie!

    Aus dem Augenwinkel sah er, dass jemand am Streckenrand wild mit dem Armen wedelte und irgendwelche Zeichen gab. Dieser Jemand hatte lange schwarze Haare und war, wahrscheinlich vor Wut, puterrot im Gesicht. Nur noch eine Runde, dachte sich Ranold. Ivane war ohnehin schon wütend, da konnte er sich auch noch eine weitere Runde gönnen, bevor er seinen sicher bevorstehenden Anschiss kassierte. Er gab noch einmal Gas und in der letzten Kurve, die er versuchte noch ein wenig schneller zu nehmen, als in der Runde davor, hätte er darum fast die Kontrolle über das Bike verloren. Das Fahrzeug geriet ins Trudeln und nur knapp konnte er es abfangen und verhindern, dass er mitsamt der schweren Maschine zu Boden stürzte.

    Der Schock der akuten Gefahr wirkte sich auf seinen Enthusiasmus aus, wie ein Eimer kaltes Wasser auf ein ausgiebiges Sonnenbad. Mit einem harten Schlag kehrte sein Selbst zu seinem eher nüchternen Geisteszustand zurück und er lenkte in Richtung Boxengasse und damit leider auch zurück in die Richtung einer vor Wut schnaubenden Ivane. Er wusste, dass er verdient hatte, was auch immer jetzt über ihn hereinbrechen würde. Sie hatte ihm die Regeln erklärt und er hatte sich entschieden, sie zu ignorieren.

    „Sag mal, hast du sie noch alle? Bist du lebensmüde oder was? Ich sag dir noch: Mach nicht so schnell und du so ‚jaja‘ und dann fährst du, als wäre der fucking Teufel persönlich hinter dir her! Ich glaub es hackt!"

    Jedes Satzende bekräftigte sie, indem sie ihn mit beiden Händen so heftig schubste, dass er jedes

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