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Die ungeheure Welt in meinem Kopf
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eBook221 Seiten2 Stunden

Die ungeheure Welt in meinem Kopf

Von Hans

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Über dieses E-Book

Eine atemberaubende Taxifahrt mit Franz Kafka...
Sascha Konjovic, ein psychisch angeschlagener Taxifahrer wartet vor dem Wiener Westbahnhof auf Kundschaft, hört Jazzmusik und schmökert in Franz Kafkas gesammelten Tagebuchnotizen. Bis die Tänzerin Eduardowa mit ihrem Liebhaber zusteigt und eine zweitägige atemberaubende Fahrt beginnt, die alle Beteiligten weiter fortträgt, als sie es für möglich gehalten hätten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. Apr. 2024
ISBN9783950543537
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    Buchvorschau

    Die ungeheure Welt in meinem Kopf - Hans

    1AM ENDPUNKT

    „Jetzt erzählen wir deine Geschichte, Sascha."

    „Muss das sein?"

    „Ja, es muss."

    Bei dem plötzlichen Reden flog mir etwas Speichel als schlechtes Vorzeichen aus dem Mund.

    „Also los ging’s am Westbahnhof. Vorgestern Abend. Montag, zweiter Feber 2015. Es regnete. Ich saß in meinem Wagen, Standplatz 1505. Ich wartete auf Kundschaft. Gegen 21 Uhr kamen die beiden dann auf mein Taxi zu."

    „Was hast du während des Wartens im Taxi getan?"

    „Musik gehört. McCoy Tyner."

    „Und?"

    „Und gelesen."

    „Eben."

    „Was, eben?"

    „Die Details sind wichtig, Sascha. Du willst wissen, wie du jetzt hierhergekommen bist."

    umpanzert

    „Du darfst nichts verschweigen. Du weißt, ich versuche immer, eine Lösung für dich zu finden."

    „Ich bin mir nicht sicher, Milo, ob deine Lösungen immer …"

    „Was hast du gelesen, Sascha?"

    „Kafka."

    „Was von Kafka?"

    „Die gesammelten Tagebuchnotizen aus den Jahren 1910 bis 1923."

    „Typisch. Autobiografien, Tagebücher, Briefwechsel, nie hast du etwas anderes gelesen."

    „Mich interessiert das echte Leben von echten Menschen, festgehalten in ihren eigenen Worten."

    geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben

    „Du willst dich mit Hilfe anderer Leben von deinem eigenen ablenken."

    „Ich will Echtheit, so viel Echtes wie nur möglich, Reales."

    ein schreckliches Doppelleben, aus dem es wahrscheinlich nur den Irrsinn als Ausweg gibt.

    „Mit dieser Fülle fremden Lebens in dir verlierst du den Überblick. Irgendwann kannst du nicht mehr entscheiden, wer du bist und wer die anderen sind, wer echt ist, wer nicht. So ist es doch, Sascha?"

    „Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann."

    „Welchen Journaleintrag hast du gelesen, als die beiden aus dem Westbahnhof kamen?"

    „Ich weiß es nicht mehr."

    „Sascha!"

    Ich bat im Traum die Tänzerin Eduardowa, sie möchte doch den Csárdás noch einmal tanzen.

    „Die Beschreibung eines Traums, den er Anfang 1910 hatte."

    „Kafkas Träume haben dich am meisten interessiert."

    „Ich habe das ganze Buch von vorne bis hinten gelesen."

    „Studiert!"

    „Von vorn bis hinten genau gelesen. Das war gar nicht einfach. Du weißt, wie dieses Buch aussah. Inzwischen habe ich es ja nicht mehr. Es war eine alte, abgegriffene Taschenbuchausgabe. Das Deckblatt war ramponiert, das Papier vergilbt. Die Schrift war klein und dünn und so weit hinaus bis zu den Rändern der Seiten gedruckt, dass es wirklich anstrengend war, diese Texte zu lesen."

    „Und trotzdem hast du nicht aufgehört, die Journaleinträge bis ins kleinste Detail zu studieren."

    „Sie fesselten mich. Die Art und Weise, wie da ein Weltautor vollkommen unstrukturiert seine persönlichsten Überlegungen und Erfahrungen festhielt, beeindruckte mich."

    „Vor allem seine Träume."

    „Einundzwanzig. Ich habe sie gezählt. Einundzwanzig Träume hat Kafka in diesen Tagebüchern festgehalten."

    „Und der Traum aus dem Jahre 1910, den du, nicht zum ersten Mal, zum wiederholten Male gerade gelesen hast, als die beiden aus dem Bahnhofsgebäude kamen …"

    „Genau 105 Jahre später."

    „Genau 105 Jahre später, er handelte von der Tänzerin Eugenie Platonowna Eduardowa, einer russischen Ballerina, die damals über die Grenzen des russischen Kaiserreichs hinaus bekannt war."

    „Eduardowa."

    „Du nennst sie jetzt bei ihrem Nachnamen."

    „Kafka nannte sie immer bloß beim Nachnamen."

    „Und doch kennst du ihren Vornamen ganz genau."

    „Eugenie."

    „Hast du, wenn du von Kafkas Eduardowa gelesen hast, dieses Eugenie immer mitgelesen?"

    „Vielleicht."

    „Sei ehrlich, Sascha. Sonst kommen wir nicht weiter."

    „Eugenie Eduardowa. Diese Wörter bilden eine Einheit. Ich hatte beide Namen bis dahin noch nie gehört. Für mich gehören sie zusammen. Sie sind eins."

    „So wie wir eins sind, Sascha, du und ich."

    „Ich wäre, so wie es inzwischen ist, lieber ohne dich, Milo."

    „Sascha, es ist nicht meine Schuld. Was zum Teufel hätte ich tun können?"

    „Ich weiß. Ich weiß ja."

    „Es war eine enge, kurvige Bergstraße. Ich hatte die Nebelscheinwerfer an. Ich fuhr langsam und vorsichtig hinauf. Claudia neben mir, sie sagte gerade noch, dass es wohl ein Blödsinn war, bei diesem Wetter den Ausflug in die Rax zu machen. Der Nebel könne sich jeden Moment lichten, sagte ich. Ich war nicht abgelenkt, ich konzentrierte mich auf die Straße. Doch der andere kam viel zu schnell. Er schnitt die Kurve. Die Fahrbahn war nass. Es gab nichts, gar nichts, was ich tun hätte können."

    „Das behaupte ich auch nicht, Milo."

    „Er tauchte plötzlich vor uns auf. Von einer Sekunde auf die andere."

    „Ich weiß."

    „Doch hier nun geht es um dich, nicht um mich, Sascha. Du willst hier wieder herauskommen."

    „Ich weiß nicht, ob ich jemals hier wieder herauskommen sollte, Milo. Ehrlich."

    „Blödsinn."

    „Ich bin eine Gefahr. Ich stelle eine Gefahr für meine Mitmenschen dar."

    „Woher hattest du das Buch?"

    „Ein paar Wochen vorher, bevor es am Westbahnhof losging, im Jänner muss das gewesen sein, da stöberte ich ohne bestimmte Absicht in der Bücherwand in meinem Wohnzimmer herum. Ich konnte mich gar nicht erinnern, wo ich und wann ich dieses Buch erstanden hatte. Ich hielt es plötzlich in den Händen. Wie ein Zeichen."

    „Geh noch weiter zurück, Sascha. Erzähl uns, wer du bist, wo du wohnst, was du tust."

    Ich bin wirklich wie ein verlorenes Schaf in der Nacht und im Gebirge

    „Das ist doch kindisch, Milo. Du weißt doch, wer ich bin."

    oder

    „Wir können uns, nach allem, was passiert ist, nicht mehr hundertprozentig sicher sein."

    wie ein Schaf, das diesem Schaf nachläuft.

    „Oder findest du, dass ich übertreibe?"

    „Nein, das stimmt schon."

    „Also: Wer bist du? Wie alt bist du?"

    „Sascha K. 38 Jahre alt."

    „Sag nicht K zu uns, Sascha. Sprich den Namen ganz aus."

    „Konjovic. Sascha Konjovic."

    „Wo wohnst du, Sascha Konjovic?"

    „Ich weiß nicht, ob ich weiterhin dort wohne. Weiterhin dort wohnen kann, alleine."

    „Du wohnst in der Kellinggasse 5 in Wien-Sechshaus."

    „Im ersten Stock. Die Fassade dieses Hauses ist braun und grau, schmutzig, abgebröckelt, bei den oberen Stockwerken aber ist ein buntes Wandbild aus den 60er-Jahren noch gut erkennbar. Es zeigt zwei tänzelnde Lämmer unter Sonnenstrahlen. Manchmal betrachte ich es von der Straße aus und denke mir, dass ich nur ein paar Meter darunter wohne, und dass sich dorthin, wo ich bin, die Sonnenstrahlen niemals verlieren, weder die gemalten noch die echten."

    „Du hast keine Familie."

    „Keine alte mehr. Und keine neue."

    „Du bist ledig."

    „Ich gehe seit Langem davon aus, mein ganzes Leben lang unverheiratet zu bleiben."

    Als Junggeselle aber kann ich ein solches Leben nicht zu Ende führen.

    „Warum?"

    „Ein Familienleben ist bei meinem Lebenswandel nicht vorstellbar. Ich bin Nachtfahrer. Meine Taxischicht endet, wenn die normalen Leute zu arbeiten beginnen. Ich komme nach Hause in die Kellinggasse, wenn sie aus dem Haus gehen. Hoch über uns tänzeln die Lämmer. Ich schließe mich unten in meiner Wohnung ein. Am Alltag draußen nehme ich nicht teil. Ich kenne nur die Dunkelheit der Nacht und das Dämmerlicht, das tagsüber durch die zugezogenen Vorhänge und Gardinen in meine Wohnung vordringt."

    „In der Früh isst du dein Abendessen."

    „Zwei Spiegeleier mit Holzfäller-Schinken. Dazu eine Semmel."

    „Mit dick Butter, Salz und Pfeffer."

    „Und Paprika Edelsüß. Immer das Gleiche."

    „Danach nimmst du drei Vitamin-D-Tabletten zu dir."

    „Ich dusche mich, putze mir die Zähne. Und dann lege ich mich hin, selten richtig ins Bett, meistens auf das Kanapee. Dort finde ich es gemütlicher."

    „Und dann?"

    Im Dunkel in meinem Zimmer auf dem Kanapee.

    „Dann versuche ich zu schlafen."

    Um möglichst schwer zu sein, was ich für das Einschlafen für gut halte, halte ich die Arme gekreuzt und die Hände auf die Schultern gelegt, so dass ich daliege wie ein bepackter Soldat.

    „Obwohl ich nach der langen Nacht vollkommen übermüdet bin, fällt es mir oft schwer, im Kopf zur Ruhe zu kommen."

    „In solchen Fällen nimmst du Baldrian-Dragees. Manchmal auch Passedan-Tropfen. Oder Hova-Tabletten."

    „Oder Sunny Soul. Das hat der Jörg Haider auch genommen, hat die Apothekerin gesagt."

    „Du nimmst auch Zaffranax und Lasea-Kapseln zu dir."

    Ich kann nicht schlafen. Nur Träume, kein Schlaf.

    „Schon als Kind hast du die lebhaftesten Träume gehabt, Sascha. Manchmal musste ich dich wecken, weil du im Schlaf um dich geschlagen und unverständliches Zeug vor dich hin gebrabbelt hast. Dein Pyjama war vom Schweiß durchnässt."

    „In den Träumen ist alles anders, weißt du. Leichter. Aufregender. Dort geben sich sogar Königinnen mit mir ab."

    Die Kraft meiner Träume, die schon ins Wachsein vor dem Einschlafen strahlen.

    „Seite an Seite flaniert eine Königin mit mir durch die gepflegten und verwinkelten Parkanlagen ihrer Sommerresidenz. Auf einer der Parkbänke setzt sie sich so eng neben mich, dass ich die Wärme ihres Körpers spüren kann. Ich fühle, dass sich die Königin an mich lehnen, an mich drücken will. Sie tut es nicht. Sie kann es nicht tun, weil sie ist eben die Königin und ich bin bloß der Chauffeur. Doch nur zu wissen, dass sie im Stillen dieses Verlangen spürt, mich zu berühren, gleich wie ich das Verlangen verspüre, sie zu berühren, allein dieses Wissen reicht mir. Ich weiß, es ist nur ein Traum. Aber ich nehme aus ihm ein bisschen etwas mit in die Wirklichkeit."

    „Im wirklichen Leben bist du Taxler, Sascha, kein königlicher Chauffeur."

    „Der VW Passat Comfortline, den ich fahre, gehört inzwischen mir."

    „Du verbringst jede Nacht auf der abgewetzten Holzperlen-Sitzmatte dieses Autos. Du spürst die kleinen Kügelchen in deinem Rücken und unter deinem Hintern."

    „Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten transportiere ich Menschen durch die nachtleere Stadt. Es gibt keinen Schleichweg in Wien, den ich nicht kenne. Und bislang habe ich keinen einzigen Unfall gehabt."

    „Und vorgestern, am 2. Feber 2015 sitzt du in deinem Taxi am Standplatz Nummer 1505 vor dem Westbahnhof und wartest auf Kundschaft. Wie immer steckt eine CD aus deiner ausufernden Jazz-Sammlung in der Stereoanlage, diesmal The Real McCoy. Zu Tyners Klavierimprovisationen schmökerst du in Kafkas Tagebuchnotizen. Du liest von der Tänzerin Eugenie Platonowna Eduardowa, die in einem von Kafkas Träumen erscheint."

    „Von mir aus hätte es ruhig eine Stunde oder länger dauern können, bis der nächste Fahrgast zusteigen würde. Aber darauf hatte ich keinen Einfluss. Es war Montag, gegen 21 Uhr. Zu dieser Uhrzeit läuft das Geschäft erfahrungsgemäß am besten, gerade bei schlechtem Wetter. Erst später in der Nacht würde es irgendwann ruhiger werden. Erst dann würde ich mich ohne dauernde Störungen in die Musik und in die Sätze, die Kafka hinterließ, hineinfallen lassen können."

    2AM AUSGANGSPUNKT

    Ich bat im Traum die Tänzerin Eduardowa, sie möchte doch den Csárdás noch einmal tanzen.

    „Kalte, schwere Tropfen fielen vom Himmel. Schlugen auf meiner Windschutzscheibe auf."

    Sie hatte einen breiten Streifen Schatten oder Licht mitten im Gesicht zwischen dem untern Stirnrand und der Mitte des Kinns. Gerade kam jemand mit den ekelhaften Bewegungen des unbewußten Intriganten, um ihr zu sagen, der Zug fahre gleich. Durch die Art, wie sie die Meldung anhörte, wurde mir schrecklich klar, daß sie nicht mehr tanzen werde. »Ich bin ein böses schlechtes Weib, nicht wahr?« sagte sie. »O nein«, sagte ich, »das nicht«, und wandte mich in eine beliebige Richtung zum Gehn. Vorher fragte ich sie über die vielen Blumen aus, die in ihrem Gürtel steckten.

    »Die sind von allen Fürsten Europas«, sagte sie. Ich dachte nach, was das für einen Sinn habe, daß diese Blumen, die frisch in dem Gürtel steckten, der Tänzerin Eduardowa von allen Fürsten Europas geschenkt worden waren.

    „Ich bemerkte den Regen aber fast gar nicht, der eingesetzt hatte, zu laut hatte ich die Musik aufgedreht."

    „Zu gebannt von der Lektüre."

    Die Tänzerin Eduardowa, eine Liebhaberin der Musik, fährt wie überall so auch

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