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E.T.H.I.K.: oder Die Rätsel von Falun
E.T.H.I.K.: oder Die Rätsel von Falun
E.T.H.I.K.: oder Die Rätsel von Falun
eBook378 Seiten3 Stunden

E.T.H.I.K.: oder Die Rätsel von Falun

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Über dieses E-Book

Martin Voss verteidigt den von der N'drangheta in die LIGA geschleusten Trasmettitore. Von seinem Freund Rainer erfährt er von einem Goldschatz. Bevor er weitere Informationen erhalten kann, wird Rainer Reusch ermordet. Er hat jedoch schriftliche Hinweise hinterlassen. Diese führen Voss auf eine lebensgefährliche Reise mit Stationen in Schweden, Trier, Luxemburg und Norwegen. Die BKA-Agenten Anna und Singer haben hinsichtlich der Identität des "General" einen bestimmten Verdacht. Sie bringen Voss dazu, den Lockvogel zu spielen. Er erhält eine Legende und taucht in Schweden unter. Wie beabsichtigt, hält die Tarnung nicht. Die Zielperson entdeckt ihn und es kommt zu einer letzten Begegnung. Sie verläuft jedoch anders als geplant ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum30. Nov. 2020
ISBN9783347167902
E.T.H.I.K.: oder Die Rätsel von Falun
Autor

Manfred G. Valtu

Manfred G. Valtu war nach Abitur und Jura-Studium zunächst für knapp sechs Jahre als Rechtsanwalt in Berlin tätig. 1980 wechselte er in das Richteramt. Von 1981bis 2011 war er als Strafrichter, die letzten sechzehn Jahre als Beisitzer und regelmäßiger Vertreter des Vorsitzenden einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin, tätig. Er ist verheiratet und lebt im Norden von Berlin. Das Ehepaar hat zwei erwachsene Söhne.

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    Buchvorschau

    E.T.H.I.K. - Manfred G. Valtu

    ERSTER

    TEIL

    §§

    KAPITEL 1

    Sorgfältig erkundete er die Umgebung. Auf einer Parkbank in Berlin-Tiergarten sollte er seinen Führungsoffizier treffen. Sie hatten ihn extra nach Berlin beordert. Das kam ihm seltsam vor. Bisher waren die wenigen Treffen in so genannten „sicheren Häusern" oder in einer Waldgegend in Brandenburg erfolgt. Und nun so etwas? Und so viel Neues hatte er von der rechtsnationalen Gruppe, in die er eingeschleust worden war, nicht zu berichten.

    Ehre, Treue, Heimatliebe, Identität und Kameradschaft", verbunden mit Ausländerhass im Allgemeinen und Judenhass im Speziellen waren die typischen Grundzüge, die sie mit anderen ähnlichen Gruppierungen teilte.

    Wie er mittels entsprechender – meist sehr alkohollastiger – Gespräche mit bis in die Führungsebene reichenden Gesprächspartnern erfahren hatte, gehörten jeweils ein höherer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und des BKA der Gruppierung an und unterstützten deren Ziele. So waren die Erkenntnisse, die die beiden Behörden über die LIGA mit den Namen „L.O.G.I.K. und „P.A.N.I.K. hatten, als Informationen in die Führungsebene von „E.T.H.I.K.", wie sie sich nach den Anfangsbuchstaben ihrer Grundsätze nannte, gelangt.

    Das alles war nicht neu. Auch die Idee, die Struktur und Logistik der LIGA für ihre Zwecke zu übernehmen, war bekannt.

    Gut, die Nervosität innerhalb der Gruppierung war gestiegen. Ihr Ziel, die demokratische Bundesrepublik Deutschland abzuschaffen und – ohne konkrete Vorstellungen wie – durch ein totalitäres Regime zu ersetzen, war ins Wanken geraten. Denn der Zerfall der LIGA und damit der Verlust der Strukturen und der Personen, die deren tragende Säulen waren, ließ eine „feindliche Übernahme" als wenig aussichtsreich erscheinen.

    Und dass – wie gerüchteweise bekannt geworden war – eine Mafia-Organisation möglicherweise dasselbe Ziel hatte, ließ einige doch sonst scheinbar so mutige Mitglieder sehr zurückhaltend werden.

    Sein letzter Bericht über die verstärkte Aktivität der „Maulwürfe" hatte verständlicherweise bei der Abteilung des BfV, für die er eingesetzt war, neue Aufregung verursacht. Ihm selbst war schon lange klar, dass diese auch unmittelbar für ihn eine Gefahr darstellten. Denn sollte versehentlich einer der Verräter die Liste der V-Leute zu Gesicht bekommen, wäre er enttarnt.

    Die Abteilung seines Führungsoffiziers musste also dafür sorgen, dass dies auf keinen Fall geschehen könnte, andererseits aber verhindern, dass der in ihren Reihen arbeitende Verräter misstrauisch würde.

    „Und was, wenn der längst bescheid weiß und mich in Sicherheit wiegen will?", fragte er sich halblaut.

    Nun, er würde das mit „Herrn Lehmann" erörtern.

    Wenn es nicht eine Falle war.

    Nachdem er zuvor vom Spreeweg aus einen „Spaziergang" bis in die Straße des 17. Juni unternommen hatte, war er zu der Position an der Ecke Großer Stern zurückgekehrt. Von dort sah er, dass Lehmann bereits auf der Bank saß.

    Das war nun noch ungewöhnlicher als sonst. Bei den wenigen Treffen war Lehmann immer erst nach einiger Zeit dazu gekommen, nie als erster da gewesen.

    Falls das eine Falle war, würden er oder mindestens der Treffpunkt beobachtet werden.

    Er beschloss, zunächst wie ein Spaziergänger an der Bank vorbei zu gehen. Um einen schlendernden Gang bemüht, betrachtete er dabei scheinbar das sich langsam verfärbende Laub der Bäume und Sträucher. Dabei sondierte er die Umgebung unter dem Aspekt des günstigsten Verstecks für die Beobachtung der Bank. Gleichzeitig erkundete er, ob von dem dort Sitzenden irgendeine Reaktion erfolgte.

    Lehmann blieb jedoch bewegungslos sitzen und blickte stoisch geradeaus.

    Wenn er den Beobachtungspunkt hätte auswählen müssen, hätte er sich für die rechts von der Bank in etwa zwanzig Meter Entfernung befindliche Hecke entschieden.

    Der V-Mann ließ aus seiner rechten Jackentasche wie versehentlich eine Packung Papiertaschentücher fallen. Das war eine der verabredeten Aktionen, für die es eine bestimmte „Antwort" geben sollte (Hier naheliegend: Hallo, Sie haben da etwas verloren).

    Doch nichts erfolgte.

    Nach ein paar Schritten hatte er scheinbar den Verlust bemerkt, drehte sich um und ging das kleine Stück zurück. Er bückte sich, hob die Packung auf und musterte dabei den Mann auf der Bank.

    Der saß unverändert da.

    Er verspürte ein Kribbeln, das von Höhe Steißbein langsam den Rücken hochzog und in eine Gänsehaut im Nacken mündete.

    „Hallo, rief er, „Geht es Ihnen gut? Haben Sie ein Problem?

    Keine Reaktion. Die Augen blickten starr geradeaus, Kein Wimpernschlag.

    Ihm wurde klar: Sein Führungsoffizier war tot.

    „He, Mann, was ist mit dir?", rief er und ging zu der Bank. Jetzt, aus der Nähe, sah er die unnatürlich steif-gerade Haltung des Sitzenden. Er berührte ihn leicht an der Schulter – es war, als wäre der an der Banklehne festgeschnallt.

    Er warf einen Blick auf die Rückseite: Zwei schwarze Messergriffe ragten in Höhe der Schulterblätter aus dem Rücken des Toten und waren mit zwei Doppelwinkeln in die obere Querstrebe der Banklehne eingehakt.

    An einem der Messergriffe hing ein Zettel. Er las:

    Du bist der Erste.

    Wenn wir euch übernehmen, geht es den anderen genauso.

    Das ist unsere ETHIK!

    Sie waren aufgeflogen!

    Der V-Mann duckte sich hinter die Bank, nahm sein Prepaid-Handy, wählte eine für solche Fälle vorgesehene Nummer und gab durch: „Die Ente ist bratfertig. Der Jäger wartet im Hochsitz."

    Er ließ das Smartphone etwa zwei Minuten aktiv. Die Zentrale würde seinen Standort scannen und alles Weitere veranlassen.

    Sofort danach schaltete er das Gerät aus, öffnete es, entnahm die SIM-Card, zerbrach sie, steckte die Teile ein, installierte eine neue, aktivierte das Handy und ließ es in die rechte Jackentasche gleiten. Aus seiner geduckten Haltung beobachtete er die Buschlinie. Etwas blitzte metallisch. „Könnte ein Waffenlauf sein", dachte er.

    Sollte er auf Verdacht einen Schuss abgeben? Und wenn es nur ein Dealer war, der dort seine Drogen bunkerte?

    Er zog aus seinem Gürtelhalfter die Beretta und schraubte eilig den Schalldämpfer an.

    Sodann griff er zu einem uralten Trick: Er zog seine Jacke aus und schob sie am Boden seitlich von der Bank weg. Er hoffte, dass es aus der Entfernung so aussah, als robbe er vom Tatort weg.

    Es klappte. Ein gedämpfter Schuss fiel und seine Jacke hatte ein unschönes Loch.

    Er sprang hoch und schoss viermal in die vermutete Richtung. Ein unterdrückter Schmerzenslaut gab ihm die Gewissheit, getroffen zu haben.

    Er wartete, nichts rührte sich.

    Er musste weg. Es war nicht auszuschließen, dass irgendjemand das Geschehen beobachtet und die Polizei gerufen hatte.

    Gerade als er seine Jacke nehmen wollte, hörte er von seitlich hinten ein Knacken. Er fuhr herum, warf sich auf die Seite und sah einen Mann auf sich zutaumeln, den er aus der „Soldatenebene" der Gruppe kannte. Bevor dieser das Kleinkalibergewehr auf ihn anlegen konnte, schoss er zweimal. Die Schüsse trafen den Mann tödlich ins Herz.

    Er schnappte sich seine Jacke, wickelte sie um die Pistole – der Lauf war zu heiß, um den Schalldämpfer abzuschrauben und Waffe und Dämpfer einzustecken – und entfernte sich in Richtung Park. Aus der Ferne hörte er Polizeisirenen.

    Es war höchste Zeit, das geheime Refugium aufzusuchen.

    §

    Bevor die Streife, die als erste am Tatort eingetroffen war, die zuständige Mordkommission hatte einschalten können, waren Agent Singer vom BKA und Dr. Lüdecke vom Referat IIC des Berliner Verfassungsschutzes vor Ort. Singer erklärte den Polizeibeamten, dass sie die weiteren Ermittlungen und die Tatortarbeit übernehmen und die Kollegen vom LKA informieren würden. Ihren Einsatzbericht erwarte er bis zum nächsten Morgen.

    Anschließend verständigte Singer das sogenannte „Abräumkommando". Weder seine Dienststelle noch Dr. Lüdecke hatten ein Interesse daran, dass das LKA in dieser die Arbeit des BKA und des Verfassungsschutzes sensibel berührenden Angelegenheit ermittelnd tätig würde.

    Ihr V-Mann sollte unbekannt bleiben. Ihn würden sie sicherlich noch anderweitig einzusetzen haben.

    §§§§§§§§

    KAPITEL 2

    Es war exakt 8.00 Uhr. Die Sekretärin von Rechtsanwalt Voss hatte gerade ihren Arbeitsplatz erreicht, als jemand an der Kanzleitür klopfte. Soweit sie es in Erinnerung hatte, lag für heute Vormittag keine Anmeldung vor.

    Sie hängte ihre Handtasche über die Stuhllehne, holte ihr Smartphone heraus und öffnete die Tagesanzeige. Erst für 16.00 Uhr war eine Mandantenbesprechung eingetragen.

    Erneut pochte es, diesmal etwas stärker. Martin Voss kam aus seinem Zimmer.

    „Oh, Sie sind schon da?"

    „Ich muss gleich zu einem Termin und wollte mir vorher noch die Unterlagen anschauen. Die waren noch nicht eingescannt." Der leicht tadelnde Unterton war nicht zu überhören.

    „Das wollte ich auch heute gleich als Erstes machen. Der Termin ist doch erst um 10.30 Uhr."

    „Sie wissen doch, ich mag keinen Zeitdruck. Aber ist ja auch kein Problem. Die Akte war noch sehr dünn. Die Staatsanwaltschaft wird die Sache sowieso noch einmal an die Polizei zu weiteren Ermittlungen zurück geben. Und vorher werde ich keinen Richter finden, der den Kerl rauslässt."

    Wieder pochte es, diesmal sehr laut.

    „Ich gehe schon, Frau Weber. Mal sehen, wer da so ungeduldig ist. Martin Voss verließ das Vorzimmer, lief den Gang entlang und fragte durch die noch geschlossene Tür „Wer ist da?

    Mit einem Akzent, den Martin als italienischer Herkunft erkannte, hörte er einen Mann sagen: „Ich habe eine dringende Nachricht für Sie."

    „Dann stecken Sie sie durch den Briefschlitz. Die Praxis ist noch geschlossen."

    „Ich brauche eine Bestätigung, dass ich die Nachricht abgegeben habe."

    Martin zögerte. Seit den letzten Geschehnissen war er misstrauisch und sehr vorsichtig geworden. Er kam sich manchmal schon paranoid vor, aber ohne seine Walther bewegte er sich nicht mehr außer Haus. So nahm er die Pistole in die linke Hand, stellte sich seitlich von der Tür auf, und betätigte den elektronischen Türöffner.

    Vor der Tür stand ein etwa 1.60 Meter kleiner Mann, der, als er die Pistole in Martins Hand sah, einen Schritt zurück wich. „No, no, scusi, lasca mi, sono para …" Weiter kam er nicht, denn Martin packte ihn am Hemdkragen und zog ihn in den Flur. Er warf die Tür zu, drückte den Mann gegen die Wand und trat dann einen Schritt, die Waffe immer noch auf ihn gerichtet, zurück.

    „Also, sagte er, „was für eine Nachricht?

    §§§§§§§§

    KAPITEL 3

    Der „General lehnte sich zurück. „Wir sind fast am Ziel, sagte er.

    In dem abgedunkelten und fensterlosen Raum stand die Luft. Agent Singer hätte einiges dafür gegeben, wenn er ein Fenster zum Lüften hätte öffnen können.

    Als könne er Gedanken lesen, meinte sein Gegenüber: „Unsere Zeit hier drin ist begrenzt. Aber der Raum ist absolut abhörsicher. Darauf kommt es an!"

    Zum wiederholten Male versuchte Singer, die technisch verstellte Stimme zuzuordnen. Bei allen Treffen und Telefonaten kam ihn eine Ahnung an. Die Grundstruktur der Stimme kam ihm bekannt vor. Aber es gelang ihm einfach nicht, sie beziehungsweise ihren Urheber zu erkennen. Das Gerät, mit dem man Stimmen, auch wenn sie verstellt waren, entschlüsseln konnte, war zu auffällig. Der „General" hätte es ihm sofort abgenommen. Das Gesicht hatte der Gesprächspartner maskiert und er vermied jegliche charakteristische Bewegung, die ihn hätte verraten können. Aus dem von Zeit zu Zeit erfolgenden Vor- und Zurücklehnen war nichts zu entnehmen. Und schließlich hatte seine Drohung, die Zusammenarbeit sofort zu beenden, wenn man etwa versuchen wollte, seine Identität zu erforschen, Wirkung gezeitigt.

    „Mit dem Kappen der Verbindung zwischen Innenministerium und der BKA-Leitungsstruktur haben wir wie beabsichtigt die Regeneration der L.O.G.I.K. verhindert und P.A.N.I.K. als leere Hülle belassen können, fuhr der „General fort. „Leider ist mit dem Eindringen der N'drangheta eine schwer zu beherrschende Komplikation eingetreten."

    „Der Abgesandte der Mafia-Organisation hat sich an Voss gewandt. Zwar ist der an seine Schweigepflicht gebunden, wird aber durch die zusätzlichen Informationen, die er von diesem Mandanten erhält, noch mehr die Zusammenhänge, auch die Rolle seines Kumpels Schröder, erkennen. Ich habe immer schützend die Hand über ihn gehalten, sehe ihn aber immer mehr als Gefahr für unseren Plan an."

    „Ihre Sorgen sind unbegründet. Voss ist nicht das Problem. Er ist in der Sache in vielerlei Hinsicht derart eingebunden, dass er keine Zeit und Gelegenheit haben wird, uns in die Quere zu kommen. Dennoch haben wir keine Wahl: Um eine Übernahme durch die N'drangheta in jedem Fall zu verhindern, muss Alles sofort auf den Tisch! Sämtliche Mitglieder des Führungszirkels bis zu den Leitern und Außendienstlern der Außenstellen müssen entweder offen gelegt oder neutralisiert werden."

    Er machte eine Pause.

    „Das ist zu bedauern. Ich hätte die Struktur gern erhalten, sie schlafen lassen und – sofern nötig – für spätere Aufgaben reaktiviert. Ihr Laden ist zu unflexibel, um auf staatszersetzende Umtriebe zu reagieren. Aber das Risiko wäre zu groß."

    Er atmete tief ein und stieß die Luft kräftig aus. Singer nutzte die erneute Pause und stellte endlich die Frage, die ihm schon lange unter den Nägeln brannte: „Was ist mit dem Minister? Soll er verschont bleiben? Immerhin hat er damals die Sache mit seinem persönlichen Referenten mitbekommen. Er könnte sich verquatschen und die Regierungskrise verschärfen."

    „Darum kümmere ich mich persönlich. Er wird, wenn mein Plan funktioniert, dazu keine Gelegenheit mehr haben."

    Entgegen seiner Gewohnheit beugte sich der „General" weit vor, so dass Singer hinter der Maske einen Haaransatz sehen konnte.

    „Sie haben eine herausragende Rolle bei der komplexen Angelegenheit gespielt. Sie sind ein guter Mann! Er senkte die Stimme. „Ich habe eine persönliche Bitte: Sie erwähnten bereits diesen Anwalt. Ich habe ihn beobachtet. Er verdient es, gut behandelt zu werden. Kümmern Sie sich weiter um ihn. Selbst wenn er mit noch so außergewöhnlichen Ansinnen kommen sollte, helfen Sie ihm nach Möglichkeit bei der Lösung.

    Singer nickte. Seine Synapsen klickten in rasender Geschwindigkeit. Nur einer konnte ein persönliches Interesse an Voss' Wohlergehen haben. Wenn seine Vermutung, dass Agent Schröder selbst der „General" war, zutreffen sollte, dann hatte die Person, die ihm gegenüber saß, in Nichts eine auch nur entfernte Ähnlichkeit mit diesem. Aber wer sonst sollte es sein?

    „Sie sind auf dem Holzweg, hörte er seinen Gesprächspartner sagen. „Vergessen Sie es einfach. Wofür wäre es wichtig, mich zu kennen? Wichtig ist nur, dass ich alles erkenne. Und bisher sind Sie doch mit allen meinen Vorschlägen gut gefahren, oder?

    Singer musste unwillkürlich lächeln. „Vorschläge ist gut", dachte er. „Es waren wohl doch mehr Anordnungen."

    „Sie haben recht, sagte er laut. „Aber wenn alles vorbei ist, werde ich versuchen, Sie zu kriegen!

    „Sie irren. Es wird nie vorbei sein. Genauso wie es immer Straftaten aller Art geben wird, wird es auch immer organisierte Kriminalität geben. Der Kampf hört niemals auf! Aber …, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, „…ich werde mich zurückziehen. Ich bin des Kämpfens müde. Man wird in diesen Abgrund hinein gezogen und weiß irgendwann nicht mehr, ob man noch auf der richtigen oder falschen Seite steht. Er lehnte sich wieder zurück. „Doch Schluss jetzt. Ich denke, wir haben alles besprochen."

    „Wie erfahre ich, was mit dem Minister geschehen soll?"

    „Aus der Presse. Machen Sie's gut."

    Mit diesen Worten rollte der „General" zurück ins Dunkel. Singer stand auf und verließ durch die Vordertür den Raum. Die sonst abgestanden wirkende Luft auf dem Flur kam ihm derart frisch vor, dass er einen tiefen Atemzug nahm.

    §§§§§§§§

    KAPITEL 4

    Martin Voss öffnete das Gartentor. Der starke Wind, der an diesem nasskalten Oktobertag kräftig wehte, schlug es ihm fast aus der Hand.

    Es hatte lange gedauert, bis sich ernsthafte Kaufinteressenten gefunden und für das Haus entschieden hatten. Es war zwar top gelegen, luxuriös ausgestattet und der Garten mit knapp 1500 Quadratmeter ideal für Leute mit Kindern. Aber es war eben auch schon mehr als zwanzig Jahre alt, war teilweise renovierungsbedürftig und entsprach energetisch nicht den neuesten Vorgaben.

    Aber letztlich hatte es – wie immer über den Preis – dann doch geklappt.

    Ihm war klar, dass er das Haus das letzte Mal betreten würde. So stieg er die vier Stufen zum Hauseingang hinauf wie er es über zwei Jahrzehnte fast täglich getan hatte. Wie immer drehte der Schlüssel im Schloss der Eingangstür mehrmals durch, bis er fasste und der Schlossmechanismus das Öffnen der Tür ermöglichte.

    Das einfallende diffuse Licht gab den Blick auf eine helle Stelle der gegenüber liegenden Wand des Windfangs frei, an der der Garderobenschrank gestanden hatte. Er öffnete zügig die nur eineinhalb Schritte entfernte Tür und betrat die Diele. Sein Blick erfasste das Wohnzimmer, das sich in Blickrichtung zu dem ringsum verglasten Wintergarten öffnete. Obwohl er alle Details kannte, betrachtete er jede Einzelheit des von den Möbeln, die früher hier gestanden hatten, leer geräumten Raumes, als müsste er sich diese neu einprägen.

    „Ich hätte nicht noch einmal herkommen sollen" murmelte er. „So ein Abschied ist deprimierend." Dennoch verließ er das Haus nicht sofort. Vielmehr wandte er sich nach rechts, vorbei an dem früheren Arbeitszimmer seiner Frau und durchschritt den Übergang zum hinteren Flur. Von hier ging er, ohne einen Blick hinein zu werfen, weiter an den beiden links liegenden Zimmern vorbei, ließ auch die beiden rechts liegenden Badezimmer unbeachtet und fand sich, dessen erst jetzt bewusst werdend, im am Ende des Hauses liegenden ehemaligen Schlafzimmer wieder.

    „Was zum Teufel will ich hier?", murmelte er vor sich hin. Er wandte sich abrupt um und richtete seine Schritte zu der aus dem Gästezimmer führenden Terrassentür, öffnete sie und trat hinaus. Der Swimming-Pool hatte sich mit Regenwasser gefüllt. Da die Umwälzpumpe längst nicht mehr in Betrieb war, war es undurchsichtig und die Wasseroberfläche schimmerte grünlich.

    Wieviel Zeit war seit dem Anschlag vergangen, der sein und Jessicas Leben komplett aus der Bahn geworfen hatte? Es schien eine Ewigkeit zu sein, ein anderes Leben, eine andere Welt. Er dachte daran, wie er mehrere Tage und Nächte auf der Intensivstation des Klinikums verbracht hatte, wie sie im Koma gelegen hatte und die Ärzte ihm zunächst keine Hoffnung machen konnten, dass sie jemals wieder aufwachen würde.

    Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte und Martin Voss aus diversen Strafverfahren bekannte Leiter der Gerichtsmedizin hatte auf seine Frage nach den Untersuchungsergebnissen nur mit den Schultern gezuckt. „Verdacht auf Herzversagen infolge elektrischen Schocks mit anschließendem multiplen Organversagen, Unterversorgung des Gehirns, irreversibler Schädigung des zentralen Nervensystems." Der vorübergehende Todeseintritt sei komplexem Versagen der lebenserhaltenden Körperfunktionen, letztlich einem Herzstillstand, geschuldet.

    Dem Professor war sichtlich unwohl, diese Auskünfte zu geben, da Martin zu diesem Zeitpunkt zum Kreis der Verdächtigen des gegen Unbekannt eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gehört hatte. „Sie hat nicht gelitten", hatte der Rechtsmediziner noch hastig hinzugefügt und sich wegen dringender Termine entschuldigt.

    Nun stand Martin Voss hier, schaute auf das trübe Wasser und sah vor seinem geistigen Auge seine Frau am Poolrand liegen, behandelt von Notarzt und Rettungskräften. Er sah, wie sie, die Hand nach ihm ausstreckend, den Mund öffnete und Worte formte, die das Rätsel der gewaltsam versuchten Tötung lösen könnten – aber sie drangen nicht zu ihm durch.

    Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht und vertrieb so den Spuk. Kopfschüttelnd drehte er sich um, schloss die Terrassentür und wollte das Haus verlassen, als er ein Geräusch hörte. Es war ein Klirren, leise, aber hörbar.

    Martin Voss verharrte still und wartete. Da war es wieder, undefinierbar. Wo kam es her? Er bewegte sich lautlos zum Gang. Hier war das Geräusch ein wenig deutlicher zu hören. Als es das nächste Mal klirrte, konnte er es orten: Es kam aus dem Keller.

    „Was zum Teufel ist das?" Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgend jemand im Keller wäre. Sämtliche Türen und Fenster im Erdgeschoss waren geschlossen und die Kellerfenster waren

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