Frieden finden
Von Georg Fischer und Stefan Hofmann
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Buchvorschau
Frieden finden - Georg Fischer
Hinführung
»Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir«, so das bekannte Wort des Augustinus. Manche Menschen erfahren im Gebet oder in der Meditation, wie das eigene Herz in Gott zur Ruhe kommt. Die Aussage des Augustinus ist aber auch unabhängig von jeder Religiosität erhellend. Wenn unser menschliches Streben in Gott zur Ruhe gelangt, dann deshalb, weil das Herz dort gefunden hat, was es ersehnt. Hier zeigt sich: Als Menschen streben wir in der Regel bestimmte Güter oder Beziehungen an. Das Herz streckt sich beständig aus nach etwas Gutem oder Notwendigem.
Ob wir inneren Frieden finden, das hängt nicht zuletzt von den erstrebten Gütern und Beziehungen ab und auch davon, wie wir sie erstreben. »Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz« (Mt 6,21), heißt es im Neuen Testament. Ist eine geliebte Person physisch oder menschlich fern, so bewegt dies unser Herz. Wir denken an die geliebte Person, hoffen für sie, manchmal auch voll Sorge. Ähnliches gilt von »geliebten« Dingen: Wer ein neues Fahrrad erworben hat und es in einem unsicheren Viertel auf der Straße abstellen musste, wird ab und zu mit Sorge an das Fahrrad denken. Hoffentlich passiert auch nichts! Nicht dass es gestohlen wird.
Es gibt viele Anlässe, weshalb wir den inneren Frieden verlieren können. Dieses Buch will dazu anregen, über den eigenen inneren Frieden nachzudenken und ihn zu suchen. Es lohnt zu fragen: Was raubte mir (gestern, heute Nachmittag etc.) den Frieden, sodass ich ihn verloren habe? Was könnte mir helfen, ihn leichter zu finden? Was, ihn treuer zu bewahren? Das Wort der Schrift, die Philosophie, die Geistesgeschichte, sie bieten sehr viele Einsichten und Weisheit, die uns auf der Suche nach dem Frieden helfen können. Unser menschlicher Friede ist zerbrechlich. Umso mehr lohnt es sich, ihn zu suchen und um ihn zu ringen. Dieses Buch möchte hilfreiche Anregungen dazu bieten.
In der jüdisch-christlichen Tradition gilt der Friede als eine Gabe Gottes, die dem betenden Menschen verheißen ist. Gott kann unruhige und gewaltbereite Herzen wandeln. Ein Beispiel hierfür ist das Leben des Ignatius von Loyola. Im dritten Kapitel wollen wir seine geistliche Biographie gezielt mit Blick auf Gewalt und Frieden untersuchen. Die auf Ignatius zurückgehende Spiritualität des Jesuitenordens ist durchaus mit dem Anliegen des Friedens verbunden. Manche der Anregungen, die sie zu bieten hat, wollen wir in Kapitel vier erschließen. Einige kurze Porträts von Jesuiten im fünften Kapitel zeigen, wie die ignatianische Spiritualität und ihr Impuls gegen Gewalt historisch auf beispielhafte Weise greifbar wurden.
Wenn wir heute über Frieden diskutieren, dann denken wir sofort an Regionen, in denen Staaten Kriege führen. Sehr schmerzlich und viel zu lange erleben wir das im Nahen Osten und auch in der Ukraine. Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine fügt der unschuldigen ukrainischen Bevölkerung sehr viel Leid zu und bedroht den Frieden in ganz Europa. Zu den militärischen Konfliktzonen unserer Welt gehören zudem eine Reihe anderer Länder wie Jemen, Syrien, der Südsudan und das Chinesische Meer. Angesichts so direkter militärischer Gewalt stellt sich die bittere Frage, welche politischen Maßnahmen Frieden schaffen können und welche humanitäre und militärische Hilfe jeweils zu leisten ist. Sollten sich die demokratischen Länder des Westens von solchen Konflikten möglichst fernhalten? Was wäre die Aufgabe gläubiger Menschen und einer christlich geprägten Politik? Verlangt das Evangelium nicht ein radikales Engagement für Frieden?
Spiritualität und Gewalt scheinen ein diametraler Gegensatz zu sein. Es scheint, die Suche nach dem persönlichen Frieden kann nur dann zum Ziel führen, wenn wir die Welt der Gewalt vergessen oder ausblenden. Wäre die Suche nach dem inneren Frieden dann aber nicht ein egoistischer Rückzug auf sich selbst? Zudem ist zu fragen, wie Frieden politisch erreicht werden soll, wenn die friedliebenden Zeitgenossen sich in privates Glück zurückziehen. Dürften wir auf Frieden hoffen, wenn diejenigen, die die Geschicke dieser Welt bestimmen, keinen dauerhaften Frieden in sich tragen?
Die Suche nach Frieden darf die Geschicke dieser Welt nicht ausblenden. Wo Spiritualität auf rein private Innerlichkeit beschränkt wird, liegt ein Individualismus vor, der sich nur schwer auf Jesus stützen kann. Ein solcher Individualismus mag heute en vogue sein, gesellschaftlich tragfähig ist er nicht. Die jüdischchristliche Tradition hat hinsichtlich von Krieg und Frieden auch höchst Fragwürdiges hervorgebracht. Eine Engführung der Spiritualität auf das eigene Ich und einen unpolitischen Privatfrieden kann man ihr jedoch nicht vorwerfen.
Ein Anliegen dieses Buches ist es, von der Geschichte des Geistes und der Spiritualität zu lernen. Hierfür müssen auch der politische Unfrieden und die Thematik des Krieges mitbedacht werden. Den Spannungsbogen zwischen dem persönlichen inneren Frieden und den Konflikten dieser Welt gilt es in seinen Wechselwirkungen wahrzunehmen: Wenn wir die Augen nicht verschließen, kann uns der Unfriede dieser Welt nicht kaltlassen. Und was wir als Einzelne heute tun und wirken, hat morgen Einfluss auf den Frieden von uns allen.
Das fünfte Kapitel des Buches bietet deshalb auch einen Dialog über die politischen Fragen von Frieden und Pazifismus, von Waffen und Gewalt. Friedliebende Menschen sollten sich aus unserer unwirtlich gewordenen Welt nicht zurückziehen. Jesus predigt: »Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen« (Mt 5,9). Wer aus Gottes Geist lebt und immer neu den Frieden sucht (Ps 34,15), darf deshalb nicht unpolitisch bleiben. Wenn ein Mensch den Frieden findet und ihn teilt, profitieren alle anderen mit ihm. Der Weg dorthin hat sehr viel mit regelmäßigem Üben und Beten zu tun. Am Ende des Buches schlagen wir daher einige geistig-geistliche Übungen vor. Diese könnten helfen, jene Haltungen zu erwerben, die dem Frieden dienen.
Wir verwenden die erste Person Plural, da der Text in der Regel unsere gemeinsame Überzeugung zum Ausdruck bringt. Nur sehr vereinzelt nutzen wir die Ich-Form und den Vornamen, um eine individuelle Perspektive kenntlich zu machen. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts danken wir Christiane Rostock und Sophia Lucke. Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir viele Anregungen und v.a. gute und gangbare Wege zum Frieden.
Stefan Hofmann SJ
Georg Fischer SJ
I. Friede und Unfrieden sehen
Was meinen Sie, wenn Sie von Frieden sprechen? Was vermissen Sie, wenn Sie Unfrieden erfahren? Wer intellektuell und spirituell nach neuen Wegen sucht, muss zunächst klären, was er sucht. Befriedigende Antworten und Wege können sich nur zeigen, wenn klar ist, welche Wünsche und Fragen uns bewegen. Das ist beim Frieden nicht anders als bei der Frage nach dem guten Leben. Wir sollten deshalb klären, welche Wirklichkeit wir finden möchten, wenn wir von Frieden sprechen. Welche Voraussetzungen sollten jedenfalls erfüllt sein, damit die Rede vom Frieden sinnvoll erscheint? Ist die Totenstille eines Friedhofs hinreichend für »Frieden«? Unsere Rede vom Frieden ist vielseitig: Sie ist politisch und spirituell, säkular und religiös, oft sehr vage, dann aber wieder anspruchsvoll. Soweit möglich, wollen wir in diesem Buch das ganze Spektrum des Bedeutungsfeldes von »Frieden« mitbedenken. Trotzdem lohnt es sich zu fragen, welche Vor- und Nachteile unterschiedliche Definitionen von Frieden mit sich bringen – und welche von ihnen am ehesten überzeugen können.
Die Etymologie des Wortes Frieden verweist auf das althochdeutsche fridu und dessen Bedeutungsfeld von Schonung und Freundschaft. Wer diesen historischen Aspekt betont, wird Frieden als Begriff guter, sozialer Beziehungen beschreiben. Frieden kann es dann nur dort geben, wo zwei oder mehrere Personen in guten Beziehungen zueinander stehen.¹ Dieser Begriff vom Frieden wäre ein positiv gefüllter Begriff: Friede ist dann viel mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Die philosophisch-spirituelle Rede vom »inneren Frieden« kann hier sehr gut anknüpfen: Der innere