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Aktive Gewaltfreiheit: Theologie und Pastoral für den Frieden
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eBook368 Seiten4 Stunden

Aktive Gewaltfreiheit: Theologie und Pastoral für den Frieden

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Über dieses E-Book

Georg Steins, Dr. theol., Professor für Exegese des Alten Testaments an der Universität Osnabrück
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Mai 2018
ISBN9783429063849
Aktive Gewaltfreiheit: Theologie und Pastoral für den Frieden

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    Buchvorschau

    Aktive Gewaltfreiheit - Echter Verlag

    Norbert Mette

    Friedensfördernde Ressourcen in den monotheistischen Religionen

    Vorbemerkungen

    „Es ist unbestreitbar, dass alle monotheistischen Religionen das Potential in sich tragen, sowohl Frieden als auch Gewalt, Exklusion oder Integration zu fördern."¹ Das muss in Erinnerung behalten werden, um nicht allzu voreilig Religionen als Friedensfaktoren zu preisen. Gleichwohl soll es in den folgenden Überlegungen darum gehen, den möglichen friedensstiftenden und -fördernden Beitrag der Religionen, speziell der monotheistischen Religionen, zu erkunden, also gewissermaßen die zu ihrer gewaltsamen Seite umgekehrte Seite.

    Meine Ausführungen beginne ich mit dem Christentum bzw. genauer mit dem Beitrag der einzelnen Christ/innen sowie christlicher Initiativen, Gruppen, Bewegungen in den Kirchen zum Frieden – zum einen weil ich selbst darin meine religiöse Heimat habe und mich hier einigermaßen auskenne, zum anderen aber auch weil ich meine, dass hier die konzeptionellen Vorstellungen am weitesten gediehen sind. Es folgt das Judentum, mit dem das Christentum zentrale Prinzipien teilt, um schließlich auf den Islam zu sprechen zu kommen.

    Friedensressourcen im Christentum

    „In Leben und Lehre Jesu Christi, in seinem Tod und seiner Auferstehung erkennen wir, dass Friede sowohl Verheißung als auch Gegenwart ist – eine Hoffnung für die Zukunft und ein Geschenk hier und jetzt. Jesus lehrte uns, unsere Feinde zu lieben, für unsere Verfolger zu beten und keine tödlichen Waffen zu benutzen. Der Friede, den er uns bringt, kommt im Geist der Seligpreisungen zum Ausdruck (Mt 5,3-11). Obwohl Jesus verfolgt wird, bleibt er standhaft in seiner aktiven Gewaltlosigkeit, sogar bis in den Tod. Sein Leben für die Gerechtigkeit endet am Kreuz, einem Werkzeug der Folter und Hinrichtung. Mit Jesu Auferstehung bekräftigt Gott, dass eine solch unerschütterliche Liebe, ein solcher Gehorsam und ein solches Vertrauen zu Leben führen. Das gilt auch für uns."²

    Komprimiert findet sich in diesen Sätzen aus dem ökumenischen Aufruf zum Gerechten Frieden aus dem Jahr 2011 die Friedensbotschaft des Neuen Testaments zusammengefasst. Eine doppelte Überzeugung kommt darin zum Ausdruck: Friede ist ein Geschenk, eine Gabe Gottes an die Menschheit. Aus diesem Geschenk erfolgt für die Gläubigen die Verpflichtung, diesen Frieden Gottes, soweit sie es vermögen, praktisch umzusetzen. Jesus Christus ist in seiner konsequenten Gewaltlosigkeit für sie die Verkörperung dieses Friedens und somit maßgebliches Vorbild – wobei die Haltung Jesu vor dem Hintergrund der Entwicklung des Friedensdenkens in seiner eigenen Religion, dem Judentum, zu sehen ist. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

    Frieden im Sinne des Neuen Testaments ist nicht bloß etwas, das als tröstlicher Ausgleich zu den im Diesseits zugestoßenen gewaltsamen Widerfahrnissen im Jenseits zu erwarten ist. Und er besteht auch nicht in einer quietistischen Einstellung, sondern verlangt konkretes Tun, das durchaus Konflikte provoziert. Der Epheserbrief spricht in diesem Zusammenhang durchaus kämpferisch von der „Waffenrüstung Gottes", die es anzuziehen gilt (vgl. Eph 6,10-17). Wenn man sich diese Waffenrüstung jedoch genauer anschaut, wird einem das Antibild eines römischen Soldaten vor Augen gestellt: der Hüftgurt ist die Wahrheit, der Panzer die Gerechtigkeit, der Schild der Glaube, der Helm das Heil, das Schwert das Wort Gottes und das Schuhwerk die Bereitschaft für das Evangelium des Friedens – nach normalem menschlichen Ermessen die Wehrlosigkeit in Person schlechthin.

    Wie kann das Evangelium des Friedens in einer Welt befolgt werden, die weiterhin von den Mächten des Bösen in Form von Gewalt, Krieg u.ä. beherrscht wird? Das war und ist die entscheidende Frage, vor die die Christenheit sich seit ihren Anfängen gestellt sieht. Die Antworten darauf sind im Laufe der Zeit höchst unterschiedlich ausgefallen und haben zu einem Nebeneinander teilweise konträr zueinander stehender Einstellungen geführt, die sich teilweise noch gegenseitig verurteilt haben. Sie reichen vom Widerspruch und Widerstand gegen die bestehenden Gewaltsysteme – in letzter Konsequenz bis zum Martyrium – bis hin zu einem loyalen Arrangement mit der staatlichen Ordnung; und, wenn es möglich war, wurde daraus deren aktive Mitgestaltung aus christlichem Geist heraus. Die sog. „Friedenskirchen (Böhmische Brüder, Herrnhuter Brüdergemeine, Mennoniten, Hutterer, Quäker u.a.) stehen für einen entschiedenen Pazifismus, wie er ihrer Meinung nach in der vorkonstantinischen Christenheit maßgebliche Haltung war und der sich u.a. in der Ablehnung des Militärs zeigt, weiterhin in einer Distanz zum Staat und dem Einsatz von Friedensdiensten in Krisengebieten (Christian Peacemaker Teams). In Absetzung davon lassen sich die behelfsweise hier so genannten „Großkirchen von der Überzeugung leiten, dass angesichts der Tatsache, dass wir weiterhin in einer friedlosen Welt leben, es nicht nur erlaubt, sondern um des Dienstes an den von Gewalt und Krieg Betroffenen willen als „ultima ratio notwendig ist, „den Schutz von Recht und Leben durch den Gebrauch von Gegengewalt zu gewährleisten (vgl. Röm 13,1-7)³. Im Zuge des Aufkommens der allgemeinen Friedensbewegung vor mehr als 100 Jahren haben sich auch innerhalb dieser Kirchen Gruppen und Vereinigungen gebildet, die einen kompromissloseren Friedenskurs seitens ihrer Kirchen einfordern und auf eine striktere Friedenspolitik drängen. U.a. ist es ihrem beharrlichen Einsatz zu verdanken, dass die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in den Großkirchen Anerkennung fand.

    Ohne damit die Verfehlungen und die Schuld mindern zu wollen, die die Kirchen sich mit der Anwendung von Zwang und grausamster Gewalt bei der Verbreitung des Evangeliums oder auch mit dem Schweigen zu Verbrechen gegen die Menschheit auf sich geladen haben, können auch beeindruckende Beispiele dafür gebracht werden, wie sie zur Eindämmung von Gewalt beigetragen haben.⁴ Erwähnt sei etwa die mittelalterliche Institution der „treuga Dei (Waffenruhe Gottes) als zeitweilige Unterbrechung der herrschenden Gewalt oder die Handhabung von Streitschlichtungsverfahren durch die geistliche oder politische Obrigkeit („Gottesfrieden). Mit der Schaffung eines völkerrechtlichen Bewusstseins in der beginnenden Neuzeit wurde den ungebändigten Eroberungsfeldzügen in den von den Europäern neu entdeckten Kontinenten zu begegnen versucht. Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang die Übernahme und Weiterentwicklung der in der antiken Ethik grundgelegten Lehre vom „gerechten Krieg" zu erwähnen, die nicht – wie sie häufig missverstanden wird – der Legitimation von Frieden diente, sondern in einer Umwelt, in der Kriege gang und gäbe waren, Bedingungen angab, die einzuhalten sind, soll ein Krieg ethisch und rechtlich legitim sein: die Kriegserklärung durch eine legitime Autorität, das Vorliegen eines zulässigen Kriegsgrunds, die gerechte Absicht der Kriegsführenden, letztes Mittel zur Wiederherstellung der Rechtsordnung, Verhältnismäßigkeit der Reaktion und Aussicht auf einen Friedensschluss als Bedingungen des Rechts zum Krieg, ergänzt durch Verhältnismäßigkeit der angewandten militärischen Mittel sowie Schutz der Zivilisten als Recht im Krieg.⁵ Die Rolle, die solche rechtlichen Regulierungen zur Gewalteindämmung gespielt haben, ist nicht zu unterschätzen. Ebenso gilt es realistisch zu sehen, dass sie gegen Missbrauch nicht genügend gefeit waren.

    Die Erfahrungen mit den beiden Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert und das Aufkommen von technisch immer wirksameren Waffen bis hin zu Massenvernichtungsmitteln haben innerhalb der christlichen Kirchen einen Bewusstseinssprung hinsichtlich ihrer Verantwortung für den Frieden in der Welt ausgelöst. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein war gemeinsame Überzeugung der 1948 zur Gründungsversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen nach Amsterdam gekommenen Kirchenvertreter und sie haben dazu bekräftigt: „Krieg ist als Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten unvereinbar mit den Lehren und dem Beispiel unseres Herrn Jesus Christus. Die Rolle, die der Krieg im heutigen internationalen Leben spielt, ist Sünde wider Gott und eine Entwürdigung des Menschen.⁶ Die katholische Kirche hat sich dieser absoluten Ächtung des Kriegs 1965 auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil angeschlossen (vgl. Gaudium et spes 79–82 [GS 79–82]), wobei einschränkend „das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung (GS 79) anerkannt worden ist. Klar hat das Konzil „jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt (GS 80), als ein Verbrechen gegen Gott und gegen die Menschheit verurteilt sowie beklagt, dass der Rüstungswettlauf unerträglich die Armen schädigt (vgl. GS 81). Gefordert hat es die Einsetzung einer von allen anerkannten öffentlichen Weltautorität, „die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten" (GS 82).

    Die Tatsache, dass mit dem „Fall der Mauer und dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht der erhoffte Weltfrieden eingekehrt ist, sondern sich seitdem allerorten in der Welt neue Brennpunkte entzündet haben, und dazu parallel verlaufende Bewusstseinsbildungsprozesse innerhalb der Ökumene (Konziliarer Prozess, Dekade zur Überwindung von Gewalt) haben zu einer Weiterentwicklung der christlichen Friedenstheologie und -ethik geführt, die sich um den Leitbegriff „Gerechter Friede bündelt.⁷ Ausdrücklich soll unter diesem Leitwort die Lehre vom „gerechten Krieg in eine heute zeitgemäße Friedenslehre überführt werden. Es gilt nicht länger die Devise „Si vis pacem, para bellum (Wenn Du Frieden willst, bereite den Krieg vor), sondern „Si vis pacem, para pacem (Wenn Du Frieden willst, bereite ihm den Weg). Dabei ist, anknüpfend an das biblische Verständnis von Schalom⁸, ein umfassenderes Friedensverständnis im Blick als jenes, das nur auf die Abwesenheit von Krieg abhebt. Frieden wird in engsten Zusammenhang mit Gerechtigkeit gestellt (vgl. Ps 85,11; Jes 32,17; Röm 14,17). Der EKD-Denkschrift zufolge liegt die Bedeutung dieser Einheit als Inhalt göttlicher Friedensverheißung für menschliche Friedenspraxis darin, „dass sie das gängige Verständnis von Frieden von Grund auf neu orientiert: Friede im Sinn der biblischen Tradition bezeichnet eine umfassende Wohlordnung, ein intaktes Verhältnis der Menschen untereinander und zur Gemeinschaft, zu sich selbst, zur Mitwelt und zu Gott, das allem menschlichen Handeln vorausliegt und nicht erst von ihm hervorgebracht wird. Die biblische Rede vom Frieden beschränkt sich nicht auf die Distanzierung von kriegerischer Gewalt, auch wenn diese zu ihren Konsequenzen gehört (…) Friede und Gerechtigkeit interpretieren sich wechselseitig, weil in den biblischen Schriften auch die Gerechtigkeit mehr ist als eine abstrakte Norm oder ein bloßes Sollen. Im Alten Testament bezeichnet Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen den Menschen die Gemeinschaftstreue, in der die Geschöpfe dem Bund entsprechen, den Gott in seiner Gemeinschaftstreue mit ihnen geschlossen hat (…) Sie ist Kategorie einer sozialen Praxis der Solidiarität, die sich – der rettenden Macht Gottes entsprechend – vorrangig den Schwachen und Benachteiligten zuwendet. Die ‚bessere Gerechtigkeit‘, von der in der Bergpredigt die Rede ist (Mt 5,20), erfüllt sich letztlich im Gebot der Nächsten-, ja Feindesliebe; sie zielt auf eine soziale Praxis zunehmender Inklusion und universeller Anerkennung. Sie befähigt zur Achtung der gleichen personalen Würde jedes Menschen unabhängig von seinen Taten (und Untaten) und sie berücksichtigt zugleich die relevante Verschiedenheit der Einzelnen in ihren Lebensbedingungen und -äußerungen.

    Zusammenfassend wird im Begleitdokument zum erwähnten Ökumenischen Aufruf „Gerechter Friede wie folgt bestimmt: Er „versteht sich ganzheitlich. Er ist nicht nur die Abwesenheit von Konflikten und Krieg, sondern ein Zustand des Wohlergehens und der Harmonie, in dem alle Beziehungen zwischen Gott, der Menschheit und der Schöpfung in guter Weise geordnet sind.¹⁰

    Entsprechend weit ist das Feld, in dem Friedensbemühungen anzusetzen haben. Das Begleitdokument, aus dem gerade zitiert worden ist, führt folgende Bereiche an: „Für Frieden in der Gemeinschaft – damit alle Menschen frei von Angst leben können – „Für Frieden mit der Erde – damit das Leben erhalten bleibt – „Für Frieden mit der Wirtschaft – damit alle in Würde leben können – „Für Frieden unter den Völkern – damit Menschenleben geschützt werden.¹¹ Zu ergänzen wäre noch: „Für Frieden unter den Religionen – damit die Menschen sich nach ihrem Gewissen frei von jeglichem Zwang entscheiden und ihren Glauben praktizieren können".

    Die beiden Verlautbarungen der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland entfalten das Leitbild des gerechten Friedens schwerpunktmäßig mit Blick auf die sich daraus ergebenden politischen Weichenstellungen, die vorgenommen werden müssen, um sowohl auf innerstaatlicher als auch auf internationaler Ebene ein Mehr an Frieden, Freiheit und individueller, sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu erreichen. Hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang etwa die Bedeutung einer entsprechenden Rechtsordnung, die Schaffung eines Bewusstseins universaler Solidarität mitsamt deren Konkretion im Einsatz für globale Gerechtigkeit sowie der konsequente Einsatz für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Im Einzelnen werden die Bedeutung und Grenzen militärischer Maßnahmen erörtert. Die selbstkritische Aufarbeitung der jeweils eigenen Schuldgeschichte wird angemahnt. Insgesamt sind die Überlegungen und Vorschläge, die unterbreitet werden, von der Überzeugung getragen, dass eine radikale Umkehr im Denken und Handeln überfällig ist: Die insbesondere in Wirtschaft und Politik dominant gewordene, sich aber als selbstdestruktiv erweisende Logik der Machtsteigerung gilt es zu ersetzen durch eine auf Verständigung und Anerkennung der Anderen in ihrer Andersheit ausgerichtete Vernunft. Statt immer wieder nachträglich eingetretene Schäden zu beseitigen, gilt es, präventiv zu planen und entsprechende Vorkehrungen umzusetzen. Dabei spielen vertrauensbildende Maßnahmen eine große Rolle. Statt immer nur in eine noch größere Effizienz der Kriegsmaschinerie zu investieren, sollten die Waffenpotentiale ab- und die zivile Konfliktbearbeitung ausgebaut werden. Statt hinter Errungenschaften einer friedensfördernden internationalen Zusammenarbeit zugunsten der Verfolgung nationaler Interessen zurückzufallen, sind diese Institutionen zu stärken und vor allem mit wirksamer Zuständigkeit auszustatten.

    Wie sehr eine biblisch inspirierte Perspektive eine grundlegende Umwälzung der herrschenden Denk- und Handlungsgewohnheiten beinhaltet, wird an der Entwicklung des Gottesbildes ersichtlich: JHWH offenbart sich immer klarer als der, der „auf der Seite der Opfer steht, nicht auf der Seite der gewalttätigen Sieger"¹². Von daher richtet sich der Blick der an diesen Gott Glaubenden vorrangig auf die Opfer von Gewalt in jedweder Form von Krieg und Terror und lässt die jeweilige Situation der Welt „von unten her, in Compassion und Solidarität mit den Betroffenen begreifen und angehen. Mit Verweis auf die bei der Gefangennahme Jesu von diesem an Petrus gegebene Anweisung, er solle sein Schwert in die Scheide stecken, weil alle die zum Schwert greifen würden, durch das Schwert umkämen (vgl. Mt 26,52), heißt es in der Erklärung der deutschen Bischöfe, dass wahre Solidarität in der Bereitschaft bestehen könne, „das Schicksal des anderen dort, wo man ihm nicht mehr helfen kann, wenigstens zu teilen¹³. Dieses Ethos trage dazu bei, „die Logik der Gewalt nicht nur einzudämmen, sondern sie in einer entscheidenden Situation zu überwinden"¹⁴.

    Doch bleiben solche wohlfeilen Ratschläge an die Politik, ihren Kurs im Sinne des Gerechten Friedens zu ändern, nicht Appelle, die ins Leere verhallen? Sind es nicht völlig gegenteilige Interessen, die die Tagesordnung der Welt bestimmen und die den überkommenen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt perpetuieren lassen? Anders gefragt: Welche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Politik gibt es überhaupt für solche vom Evangelium inspirierten Überzeugungen? Selbst in Parteien hinein, die sich als christlich verstehen, sind sie zunehmend schwieriger zu vermitteln.

    Aufgrund ihrer immer noch gewichtigen gesellschaftlichen Verankerung haben die beiden Großkirchen in Deutschland die Möglichkeiten zu einer direkten und indirekten Einflussnahme, die sie auch nutzen. Dies geschieht etwa durch Lobbyarbeit auf den verschiedenen politischen Ebenen: Bundesland, Bund, Europa und Vereinte Nationen. Die in diesem Zusammenhang wohl engste Verflechtung der Kirchen mit dem Staat, speziell mit dem Verteidigungsministerium, ist mit der staatlich alimentierten (und deswegen innerkirchlich nicht unumstrittenen) Militärseelsorge gegeben; auch wenn sie vorrangig für die Angehörigen der Streitkräfte gedacht ist, stehen durch sie Kanäle offen, durch die kritische Vorbehalte seitens der Kirchen etwa gegenüber militärstrategischen Doktrinen geäußert werden können. Dazu trägt auch das in Trägerschaft der Katholischen Militärseelsorge liegende Institut für Theologie und Frieden in Hamburg bei, das die Aufgabe hat, in theologisch-ethischer Perspektive Grundlagen menschlicher Friedensordnung zu erforschen und in den aktuellen friedenspolitischen Diskurs einzubringen. Auf evangelischer Seite gibt es in Heidelberg die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), übrigens eines der fünf Friedensforschungsinstitute, die jährlich ein Friedensgutachten erstellen.¹⁵ Daneben gibt es eine Reihe von Sachverständigengremien zu den verschiedensten Bereichen, die im Zusammenhang mit dem Leitbild des gerechten Friedens stehen. Zu nennen ist etwa auf Bundesebene die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), die jährlich einen Rüstungsexportbericht veröffentlicht, in dem das Rüstungsexportgeschehen kritisch kommentiert wird. Auch mit Stellungnahmen und Diskussionen zu anderen aktuellen entwicklungspolitischen Themen tragen die Kirchen zur politischen Meinungsbildung bei. Der Initiative von der Sache überzeugter Christen ist es zu verdanken, dass es staatlicherseits zur Einrichtung und Unterstützung des zivilen Friedensdienstes gekommen ist. Eine wichtige und vorbildliche Rolle spielen des Weiteren die kirchlichen Hilfswerke wie Brot für die Welt, Misereor u.a. Hier und in vielen weiteren Gremien verfügen die Kirchen über einen Sachverstand, über den nicht einfach hinweggegangen werden kann. Zu erwähnen sind weiterhin auf katholischer Seite die in der Regel geheim durchgeführten diplomatischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls (Vatikanstaat), die oft genug zur Entschärfung von bedrohlichen Konflikten beigetragen haben. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen (Genf) ist auf dieser Ebene tätig. In den öffentlichen Medien wird nur selten über solche Aktivitäten berichtet, was auch mit der Komplexität der jeweils zu verhandelnden Materie, die nur schwer Nicht-Sachverständigen zugänglich zu machen ist, zusammenhängt.

    Neben der staatlichen Ebene sind die Kirchen bzw. kirchliche Gruppen und Organisationen auch Akteure auf der zivilgesellschaftlichen Ebene und tragen so zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Auch hier spielen die erwähnten Hilfswerke mit ihren Aktionen eine wichtige Rolle. Kirchliche bzw. christlich orientierte Friedensorganisationen zählen zur allgemeinen Friedensbewegung. Dritte- bzw. Eine-Welt-Gruppen praktizieren universale Solidarität. Ökologische Projektgruppen engagieren sich für die Erhaltung der Lebensgrundlagen. Unzählige weitere Initiativen könnten angeführt werden, die je für sich einen Tropfen auf dem heißen Stein bewirken mögen, zusammengenommen aber einen beachtlichen Faktor in der Gesellschaft ausmachen.

    Alle genannten Aktivitäten sind letztlich von der Überzeugung getragen, dass es nicht die Menschen sind, die den endgültigen Frieden in der Welt zu bewerkstelligen vermögen, sondern dass es sich dabei um eine Verheißung und Gabe Gottes handelt, für die als Werkzeuge sich einzusetzen die Christ/innen und ihre Kirchen gesandt sind. Von daher bilden neben der Aktion Kontemplation, Gebet und Gottesdienst elementare Vollzüge christlichen Friedensengagements. Gilt es doch, sich des Evangeliums des Friedens immer wieder zu vergewissern, es zu meditieren, dafür zu beten und in der gottesdienstlichen Feier zu vergegenwärtigen, um daraus Motivation und Kraft für das Wirken „nach außen" zu schöpfen. Als weitere Felder des Friedensbeitrags der Christ/innen und der Kirchen nennt die EKD-Denkschrift die Erziehung und Bildung zum Frieden, den Schutz und die Beratung des Gewissens vor allem mit Blick auf das Ethos des Gewaltverzichts, sowie die Arbeit für Frieden und Versöhnung.

    Woran es den Großkirchen mangelt, ist ein entschiedenerer Mut, nicht nur mit Worten z.B. den Wahnsinn, immer zuverlässiger funktionierende Tötungsmaschinen zu erfinden und anzuwenden, zu kritisieren, sondern sich dem auch mit Taten wie z.B. prophetischen Zeichen zu widersetzen und als „Störenfriede" in das ökonomische und politische Geschehen einzugreifen. Wenn aus ihren Reihen Einzelne sich von ihrem Gewissen her veranlasst sehen, als solche öffentlich aufzutreten und gewaltlosen zivilen Ungehorsam zu praktizieren, wie es z.B. in Aufsehen erregender Weise Daniel und Philip Berrigan in den USA getan haben, dann können diese sich zumindest darauf berufen, dass es für solche Aktionen anerkannte Vorbilder in der Bibel gibt.

    Werkzeug – bzw. in katholischer Terminologie: Sakrament – des Friedens zu sein, erlegt nicht zuletzt den Kirchen die Gewissenserforschung auf, wie sie selbst es mit dem gerechten Frieden in ihrem Inneren halten. Dass diesbezüglich einiges im Argen liegt – angefangen bei den Strukturen bis hin zur interkonfessionellen und -religiösen Verständigung –, ist von ihnen ehrlich einzugestehen und dringend anzugehen, kann hier aber nicht im Einzelnen dargelegt werden.

    Zwischenbemerkung

    Wenn die Ausführungen über das Christentum länger geraten sind, als es die beiden folgenden Abschnitte sein werden, liegt das daran, dass es mir darum ging, einen Eindruck von der Komplexität der Probleme zu vermitteln, mit denen man es bei Bemühungen um Frieden-Stiften und -Fördern zu tun bekommt, und welches Bündel von Maßnahmen darum ins Auge zu fassen ist. Um in vergleichbarer Differenziertheit die beiden anderen Religionen behandeln zu können, mangelt es mir schlicht und einfach an Informationen. Darum beschränke ich mich mithilfe dazu vorliegender Literatur jeweils darauf, welche Ressourcen im Judentum und im Islam auszumachen sind, die zu einem unbedingten Einsatz zur Eindämmung bzw. Überwindung von Gewalt und zur Schaffung einer Friedensordnung in der Welt anhalten.

    Friedensressourcen im Judentum

    Wie angedeutet, ist die Friedensbotschaft Jesu von Nazaret durch und durch von den Friedensverheißungen geprägt, wie sie in der Hebräischen Bibel aufzufinden sind. Allerdings gibt es in ihr nicht nur diese Linie. Gewalt, die sich bis in Kriege hinein entlädt, ist eine Realität der biblischen Lebenswelt. Auch dies findet in der Bibel seinen Niederschlag. Gewalt besteht ihr zufolge bereits von alters her – als menschliche Anlage, wie die Erzählung vom Brudermord von Kain an Abel berichtet (vgl. Gen 4). Sie durchzieht die ganze menschliche Geschichte und wirkt sich bis in die Strukturen des inner- und zwischengesellschaftlichen Zusammenlebens hinein aus. Wenn das jüdische Volk seinerseits in diese Geschichte von Gewalt und Krieg verstrickt war, dann nahm es – vor allem den Landeinnahmeerzählungen zufolge – Gott dafür in Anspruch, dass er, der sich als „Mann des Krieges (Ex 15,3) bei der Rettung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten erwiesen hatte, wiederum seinem Volk zum Sieg verhelfen würde. So ist im Buch Josua zu lesen: „Und ich habe euch ins Land der Amoriter gebracht, die jenseits des Jordans wohnen. Und sie kämpften gegen euch, und ich gab sie in eure Hand, und ihr nahmt ihr Land in Besitz, und ich habe sie vor euch vernichtet. (Jos 24,8) Ähnliche Aussagen findet man in den Büchern Richter, Samuel und Könige. Auch wenn die Geschichte sich realiter nicht so abgespielt hat, wie sie im biblischen Rückblick dargestellt wird¹⁶, lässt sich der Tatbestand, dass JHWH als Kriegsgott gepriesen worden ist, nicht einfach beiseiteschieben. Oft genug haben diese Bibelstellen als Rechtfertigung von Kriegen im Namen Gottes herhalten müssen.

    Doch es gibt noch die andere Seite in der Hebräischen Bibel, die in deutlicher Spannung zu der Meinung steht, dass in einer Welt voller Gewalt nur mit Gewalt etwas auszurichten ist. So wird Kain von Gott seiner Bluttat überführt und für sie verantwortlich gemacht. Kain wird somit bescheinigt, dass er in seiner Freiheit hätte anders handeln können, dass ihm und somit dem Menschengeschlecht der Hang zur Gewalt nicht gewissermaßen unausweichlich angeboren ist. Es sind die leidvollen und grausamen Erfahrungen, die mit gewaltsamen Konflikten und Kriegen einhergehen, die die Überzeugung haben aufkommen lassen, dass sie nicht so alternativlos sind, wie sie gern ausgegeben werden. Das beginnt damit, dass eine Eskalation der Gewalt durch rechtliche Regelungen zu verhindern versucht wird, wie es etwa das Talion-Prinzip vorgibt: Gleiches ist maximal mit dem Gleichen zu vergelten; wenn ein Auge verletzt worden ist, dann muss das andere Auge des Gegners verschont bleiben (vgl. Ex 21,22-25; Lev 24,17-22; Dtn 19,16-19). Als anderes Beispiel können die in Dtn 20 formulierten Kriegsgesetze mit ihren menschenfreundlichen Regelungen angeführt werden.

    Die Erinnerung an das Exodusereignis ließ noch eine andere Einsicht aufkommen als die, dass JHWH sich hier als Kriegsmann erwiesen hat, nämlich die, dass er es ist, der für die Unterdrückten und Randgruppen Partei ergriffen und für deren Recht auf Leben gegen die Machthaber eingetreten ist. Diesem so wirksam zutage getretenen Willen Gottes hat, so die in den Sozialgesetzen Israels festgehaltene Überzeugung, eine gesellschaftliche Ordnung zu entsprechen, für deren Rechtmäßigkeit das entscheidende Kriterium ist, dass den „Witwen, Waisen und Fremden", also den in sozialer und rechtlicher Hinsicht besonders benachteiligten Gruppen die Mittel, die zu einem gedeihlichen Leben notwendig sind, zur Verfügung stehen.

    Dass die dazu getroffenen rechtlichen Regelungen nicht beachtet werden, dass im Gegenteil im eigenen Volk eine Praxis der Unterdrückung und Ausbeutung wieder Platz greift und damit in extremster Weise genau der Gott, der ihm zu seiner Existenz aus der ägyptischen Knechtschaft heraus verholfen hat, gelästert wird, wurde zum Anlass einer unerbittlichen Sozial- und Kultkritik seitens der Propheten. Dahinter steckt die Überzeugung, die sich dann mit der Vertreibung des Volkes ins Exil auf bittere Weise bewahrheitet: Wo keine Rücksicht mehr aufeinander genommen wird, wo die einen auf Kosten der anderen leben und nichts mehr davor zurückhält, ausschließlich den vermeintlich eigenen Vorteil zu betreiben, da kommt es langfristig zur Katastrophe. Da hilft es auf Dauer weder, seine eigene Habe so gut wie möglich zu versichern, noch, nach außen hin den modernsten Stand der Waffenrüstung demonstrieren zu können. Sondern wenn das ganze System in seiner inneren Substanz aufgezehrt ist, gibt es nichts mehr, was es vor dem Zerfall bewahren könnte. Sicherheit lässt sich auf der Grundlage ungerechter Verhältnisse nicht erzielen; sie kommt nur dort und in dem Maße zustande, wie an der Gerechtigkeit und in Gerechtigkeit gearbeitet wird – nach innen und nach außen. Übertroffen höchstens noch von der lyrischen Metapher in Ps 85,11, die Gerechtigkeit und Frieden sich küssen lässt, sind diese Zusammenhänge von Gerechtigkeit,

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