Christliche Erneuerungen in schwierigen Zeiten
Von Jürgen Moltmann
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Buchvorschau
Christliche Erneuerungen in schwierigen Zeiten - Jürgen Moltmann
Moltmann
Die unvollendete Reformation
¹
Ungelöste Probleme – ökumenische Antworten
Von Disputation zum Dialog
A
ls ich 1948 in Göttingen Theologie studierte, herrschte noch die Kirchenkampfgeneration. Hans-Joachim Iwand, Ernst Wolf und Ernst Käsemann vertraten die „reformatorische Theologie und ich war ihr glühender Anhänger. Wir lernten Theologie im Konfliktmodus und der Barmer Theologischen Erklärung der Bekennenden Kirche von 1934: „Wir bekennen
und „wir verwerfen. Es hat meines Wissens keine „Dialoge
zwischen den nationalsozialistischen „Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche gegeben. Im Gefolge des deutschen Kirchenkampfes dachten wir in „Freund-Feind-Kategorien
und sangen: „Heiß oder kalt, Ja oder Nein, niemals wollen wir lauwarm sein. Meine Lehrer waren mit Entschlossenheit begabt, aber nicht mit Gesprächsbereitschaft, weil sie jeden Kompromiss mit Luther für „faul
hielten. Sie folgten der reformatorischen Streitkultur.
In meiner Generation wollten viele aus dieser Binnenkirchlichkeit, die nach dem Streit steril zu werden drohte, ausbrechen und eine „Theologie mit dem Gesicht zur Welt (Johann Baptist Metz) versuchen. So gerieten wir mit einer Politischen Theologie in Streit mit den politischen Ideologien der „Welt
. Ein Disput wurde dann notwendig, wenn eine konkrete Not vorlag. Das waren die „christlich-marxistischen Dialoge in den 60er-Jahren in Salzburg, Herrenchiemsee, Marienbad, an denen sich unter anderem Karl Rahner, Ernst Bloch, Roger Garaudy, Machovec und Gardarsky, Metz und ich beteiligten. „Wenn wir jetzt nicht miteinander sprechen, werden wir einmal aufeinander schießen.
In der geteilten Welt des Kalten Krieges gab die äußere Situation die Notwendigkeit zum Dialog. Und es war ein gefährlicher Dialog: Im August 1968 beendeten sowjetische Panzer in Prag den „Sozialismus mit dem menschlichen Gesicht". Alle unsere tschechischen Dialogpartner wurden verfolgt. 21 Jahre später war die Sowjetunion am Ende.
Der andere „Dialog wurde notwendig „nach Auschwitz
. Es ging im jüdisch-christlichen Dialog um die Überwindung des jahrhundertealten christlichen Antijudaismus der Kirchen und der christlichen Staaten. Dieser Dialog begann mit US-Holocaust-Konferenzen, setzte sich fort in Bibelarbeiten auf den deutschen Kirchen- und Katholikentagen und heute in Erklärungen der EKD und der katholischen Bischofskonferenz über die bleibende Erwählung Israels.
Heute haben wir es mit einer Dialoginflation zu tun. Man will mit jedem und möglichst allen „ins Gespräch kommen". Theologie muss relational und kommunikativ sein. Der Gegenstand, über den wir sprechen, ist nicht so wichtig, die Beziehung, die wir im Dialog eingehen, ist wichtiger. Der Dialog unserer Tage dient nicht der Wahrheit, sondern der Gemeinschaft. Diese gemeinschaftssuchenden Dialoge gehen von einer Kirchengemeinschaft zur anderen, von einer Religionsgemeinschaft zur anderen. Zugleich entstehen wahrheitssuchende Dispute in allen Kirchen und in allen Religionen zwischen Konservativen und Progressiven, zwischen Fundamentalisten und Modernisten. Warum sind die gemeinschaftssuchenden Dialoge und die wahrheitssuchenden Dispute getrennt? Warum gehen Gemeinschaft und Wahrheit nicht zusammen?
In der Reformationszeit gab es öffentliche theologische Disputationen, danach entschied der Magistrat einer Stadt oder der Fürst des Landes über den neuen oder den alten Glauben, meistens für den neuen Glauben. In Parlamenten gibt es Diskussionen, danach folgt die Abstimmung. Ein Plädoyer gehört in eine Gerichtsverhandlung, am Ende fällt der Richter ein Urteil. Eine Besprechung dient der Übereinkunft, eine Verabredung dem gemeinsamen Tun. Nur in modernen „Dialogen" gibt es kein Ziel, der Weg ist Ziel genug, und in modernen TV-Talkshows redet jede und jeder aneinander vorbei, fällt sich gegenseitig ins Wort oder hält das Wort möglichst lange fest. Ein Ergebnis ist nicht beabsichtigt.
Es gibt einen flachen Witz über die moderne Philosophie der Kommunikation: Ein Reisender ist in einer fremden Stadt. Er fragt einen, der ihm begegnet: „Wissen Sie, wo es zum Bahnhof geht? Der antwortet: „Das weiß ich auch nicht, aber ich freue mich, dass wir ins Gespräch gekommen sind.
Es ist kein Wunder, dass es in der Theologie still geworden ist. Ich erinnere noch die heftigen Dispute über „Entmythologisierung oder „feministische Theologie
, um nur zwei zu nennen. Heute sind Theologen friedlich geworden. Es gibt kaum noch Streit. Die Öffentlichkeit nimmt kaum noch Notiz. „Wissenschaftliche Theologie" hat die Kirchen verlassen und konzentriert sich auf Anerkennung im Haus der Wissenschaften. Dogmatik geht zur Religionsphilosophie über. In früheren Zeiten klagten die Leute über die Streitlust der Theologen, die rabies theologorum. Heute ist Theologie eine harmlose Angelegenheit geworden. Ist das nicht gut so?
Nein! Wir müssen wieder lernen, Ja oder Nein zu sagen. Ein Streit kann mehr Wahrheit enthalten als ein toleranter Dialog. Wir brauchen eine theologische Streitkultur mit Entschlossenheit und Respekt. Warum? Um der Wahrheit Gottes willen! Oder wie es der Weltkirchenrat 1948 in Amsterdam ausdrückte:
„Wir wollen Gott bitten, dass er uns miteinander lehre, ein echtes Nein und ein echtes Ja zu sprechen. Ein Nein zu allem, was der Liebe Christi zuwider ist. Ein Ja zu allem, was mit der Liebe Christi zusammenstimmt, zu allen Menschen, die das Recht aufrichten, zu allen Menschen, die Frieden schaffen, zu allen Menschen, die sich ausstrecken nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt."
Die Einheit der Kirche
²
Die Kirchen der Reformation sagten sich von Rom los, weil sie von Rom verbannt wurden, und wurden Staatskirchen. Luther verbrannte die römische Bannbulle außerhalb der Tore von Wittenberg. Staatskirche war Staatsreligion: cuius regio, eius religio. Nach ihren bösen Erfahrungen mit dem deutschen Nazistaat änderten die protestantischen Kirchen 1945 ihren Namen: Sie verstanden sich nicht mehr als „Deutsche Evangelische Kirche (DEK), sondern als „Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD). Das war ein großer Schritt auf dem Weg zur Selbstständigkeit der evangelischen Kirche: Deutsch war nicht mehr das Vorzeichen, sondern der Ort, wo die Eine weltweite Kirche existiert. Zuerst kommt das Evangelium, dann die Kirche, dann Deutschland. Aber wo bleibt in der evangelischen Kirche „der Dienst an der Einheit? Schließlich glauben wir mit dem nizänischen Bekenntnis „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche
.
„Einheit ist eine Gabe und Aufgabe jeder Kirche im Namen des Dreieinigen Gottes. Seit Martin Luther haben evangelische Theologen das „allgemeine
– oder wie ich lieber sagen würde: das gemeinsame „Priestertum aller Gläubigen" gelehrt. „Was aus der