Lesepredigten »zur Sache«: Zu den Grundworten des Glaubens
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Lesepredigten »zur Sache« - Wolf Dietrich Berner
A1 »Gottes Zusage und seinen Anspruch hören« – das erste und zweite Gebot
2 Mose 20,2.7
Gottesdienst am Letzten Sonntag nach Epiphanias
Liebe Gemeinde,
auf dem Schulhof wird ein Schüler von einem anderen verprügelt und krankenhausreif geschlagen. Mitschüler, Eltern und Lehrer sind außer sich. Und als darüber in der Zeitung berichtet wird, da sagen viele: »Unglaublich, wie brutal Jugendliche miteinander umgehen können. Was ist das nur für eine Gesellschaft, in der wir leben? Wir brauchen wieder Werte! Alle müssen sich darauf besinnen, was gut und was böse ist, wo es Grenzen gibt. Ja, wir brauchen klare Wertvorstellungen. Sonst kann unsere Gesellschaft nicht bestehen.« So sagen viele Menschen. Und plötzlich sind sie wieder im Gespräch: die Zehn Gebote, die Sätze aus der Bibel. Ist da nicht ganz klar geregelt, wie wir uns verhalten sollen?
»Welche Gebote sind Ihnen ganz wichtig?«, so fragen Konfirmanden verschiedene Leute auf der Straße. Und die Antwort ist ganz oft: »Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten. Das ist am wichtigsten.« Oder »das siebte Gebot: Du sollst nicht stehlen!« Das leuchtet ein. Auch das sechste Gebot kommt bei dieser Umfrage hin und wieder zur Sprache: »Du sollst nicht ehebrechen.« Doch das erste Gebot – das nennt fast keiner.
Liebe Gemeinde: Wir brauchen Werte! Darin sind sich viele einig. Und da scheinen einige Gebote wichtig und einleuchtend zu sein. Doch wer bestimmt letztlich, was Werte sind? Welche Autorität steht dahinter? Das ist die entscheidende Frage. Wer sagt uns, dass die Gebote bindend sind – Grundlage für unser Leben? Damit bin ich beim ersten Gebot – das ich zugleich als Überschrift über allen Geboten verstehe:
Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht
andere Götter haben neben mir.
So gibt Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus¹ das erste Gebot wieder. So lernt Ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, das Gebot bis heute auswendig. Wörtlich heißt es in der Bibel, im zweiten Buch Mose, Kapitel 20²:
Ich bin Jahwe, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland,
aus der Knechtschaft geführt habe.
So sagt Gott zu Mose, als er ihm auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote übergibt. So beginnt Gott zu reden. Und dieser erste Satz, das erste Gebot, ist am wichtigsten. Davon bin ich überzeugt. Gott nennt dabei seinen Namen – den die Juden bis heute aus Ehrfurcht nicht aussprechen. Und dieser Name Gottes bedeutet:
Ich werde da sein, als der ich da sein werde.
Ich werde für euch da sein.
»Ich bin der Herr, dein Gott«, übersetzt Martin Luther. Und dieses erste Gebot, diese Überschrift über allen Geboten, bedeutet doch: »Ich will für euch da sein«, sagt Gott, »ich will euch nahe sein. Ich will euch auf eurem Weg begleiten – so wie mein Name es ausdrückt. Vertraut darauf! Verlasst euch darauf!« Liebe Gemeinde: Am Anfang, über allen Geboten, über allen Lebensregeln, steht diese Zusage Gottes: »Ich will euch nahe sein! So bekommt ihr Mut und Kraft zum Leben.«
Dieses Versprechen Gottes gilt zuerst seinem Volk, den Juden. Und es gilt dann auch uns, den Christen. Denn Jesus Christus hat Gottes Gebote bekräftigt. Er hat in der Bergpredigt sehr deutlich gemacht: Ich bin nicht gekommen, die Gebote Gottes aufzuheben, sondern sie zu erfüllen. (Mt 5,17) So sind wir als Christen mit den Juden verbunden. Und es heißt, sich dies immer wieder bewusst zu machen.
Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland,
aus der Knechtschaft, geführt habe.
So erinnert Gott sein Volk daran: »Ihr habt bereits erfahren, dass ich bei euch bin. Ihr habt bereits zu spüren bekommen, dass ich für euch da bin – so wie es mein Name ausdrückt. Vergesst das nicht: Ich habe eure Vorfahren bereits aus der Gefangenschaft in Ägypten befreit.«
Und für uns, liebe Gemeinde, kann das heißen: »Ich bin der Herr, dein Gott. Ich bin der Vater Jesu Christi. Er hat euch nahe gebracht, wer ich bin. Meine Hilfe hast du schon erfahren: in einer schwierigen Lebenslage, als alles scheinbar aussichtslos war. Da habe ich dich herausgeführt, befreit. Ich habe dir neue Kraft gegeben. Erinnere dich daran. Und auch jetzt und in Zukunft gilt: Ich will bei dir sein. Doch das bedeutet zugleich: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Wenn du mir vertraust, wenn du dich auf mich ganz und gar verlässt, dann haben andere Götter daneben keinen Platz.«
So sagt Gott zu seinem Volk Israel und zu uns heute. Andere Götter, liebe Gemeinde: Damals waren die Israeliten in der Versuchung, auch Götter der Nachbarvölker anzubeten. Doch was heißt das heute für uns?
Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt,
das ist eigentlich Gott.
So bringt Martin Luther auf den Punkt, was gemeint ist.³ Worauf verlassen wir uns, woran hängen wir unser Herz? Ist es der Erfolg, sind es Ansehen und Macht? Oder ist es das Geld – das, was wir besitzen?
Ich denke: Gerade die Wirtschaftskrise weltweit hat uns vor Augen geführt: Wo Menschen vor allen Dingen auf Reichtum setzen, wo Menschen bis zum Äußersten spekulieren, da kann alles kaputtgehen.
Und zugleich gilt: Wo ein Mensch sich an die Stelle Gottes setzt, wo ein Diktator für sich letzte Macht und Entscheidungsgewalt beansprucht, wo sich ein Mensch wie ein Gott begrüßen und verehren lässt: Da kommt es zur Katastrophe. Das sogenannte Dritte Reich in Deutschland, aber auch andere Diktaturen haben uns das erschreckend vor Augen geführt.
»Ich bin der Herr, dein Gott.« Liebe Gemeinde, dieser erste Satz weist uns den Weg. Über allem, vor allen Geboten, vor allen Lebensregeln steht diese Zusage Gottes: »Ich will mit dir sein. Verlass dich darauf! Und wenn du darauf vertraust, dann wirst du keine anderen Götter neben mir haben.«
Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.
So fasst Martin Luther die Botschaft des ersten Gebotes in seiner Erklärung im Kleinen Katechismus zusammen. Gott lieben und Ihm vertrauen, das leuchtet wohl ein. Aber »Ihn fürchten«? Können und wollen wir das heute noch nachvollziehen? Allerdings: Ich bin davon überzeugt, »fürchten« im Sinne von »Ehrfurcht vor Gott« – darauf kommt es gerade an. Und das wird durch das zweite Gebot bekräftigt:
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz gebrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
Liebe Gemeinde: Ursprünglich ging es darum, keinen Meineid abzulegen und sich dabei auf Gott zu berufen. Also im Namen Gottes etwas Falsches zu schwören, das will das zweite Gebot verbieten. Doch ich bin davon überzeugt: Es ist für uns noch mehr damit gemeint: Unnützes Plappern – Redewendungen, in denen Gott in unsinniger Weise genannt wird – zu vermeiden. Das ist das eine. Gott zu fürchten, Ehrfurcht vor Ihm zu haben, das verbietet uns, seinen Namen mit leerem Gerede zu verbinden. Ich denke dabei weiter an Werbesprüche, die Gottes Namen oder auch bestimmte Bibelworte aufnehmen und damit entstellen. Das zweite Gebot macht uns deutlich: Dies soll nicht sein. Und es wird nicht sein, wenn wir Gott fürchten, wenn wir Ehrfurcht vor ihm haben.
Doch noch etwas anderes kommt in diesem Gebot zum Ausdruck: Gottes Namen für unsere eigenen Interessen in Anspruch zu nehmen, das ist uns verwehrt. In Seinem Namen haben Menschen Kriege geführt. Immer wieder konnten und können wir das beobachten. Da wollen Machthaber ihr eigenes Verhalten, ihre Entscheidung rechtfertigen: Das Böse zu bekämpfen und dabei Gewalt anzuwenden, dies soll dann im Namen Gottes geschehen. Dies wird mit Gottes Auftrag begründet und damit religiös überhöht.
»Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz gebrauchen«, so führt es uns das zweite Gebot vor Augen. Du sollst dir nicht anmaßen, Gott für dich in Anspruch zu nehmen – so, als könntest du über Ihn verfügen. Wenn du so handelst, dann hast du keine Ehrfurcht mehr vor Gott. Lass dich vielmehr daran erinnern: Gott will dir nahe sein; Er will für dich da sein, als der Er da sein wird. So, wie es Sein Name ausdrückt. Und das bedeutet: Du kannst Ihm vertrauen, um Seine Hilfe bitten – aber nicht über Ihn verfügen. Du kannst Sein Handeln nicht berechnen.
Liebe Gemeinde: Wieder denke ich an das zurück, was ich zu Anfang angedeutet habe: Da wird ein Schüler krankenhausreif geschlagen. Eltern, Lehrer und Schüler sind entsetzt. Wo sind unsere Werte geblieben? So fragen viele. Wir brauchen doch Werte, damit unsere Gesellschaft bestehen kann. Wir brauchen doch die Zehn Gebote. Ganz gewiss. Doch vor allem ist es wichtig, dass wir uns auf das erste Gebot besinnen. Dies ist die Überschrift. Gottes Zusage steht über allem. Nur so gewinnen die Gebote für uns Autorität.
»Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen«, das schließt dann ein, Ihn immer wieder zu bitten: »Herr, lass mich den Sinn deiner Gebote entdecken. Lass mich erkennen, wo ich versagt habe. Vergib mir und gib mir zugleich neue Kraft, nach deinen Geboten zu leben und zu handeln.« Amen.
1 zitiert nach EG 806
2 Bibeltexte werden hier und im Folgenden zitiert nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984.
3 Martin Luther: Großer Katechismus, Erklärung zum ersten Gebot
A2 »Den Feiertag heiligen« – das dritte Gebot
2 Mose 20,8–11
Gottesdienst am Sonntag Sexagesimä
Liebe Gemeinde,
»wenn ich am Sonntag mit meiner Familie »shoppen« gehen möchte, dann ist das doch meine Sache. Wer will mich daran hindern? Warum sollen also die Geschäfte am Sonntag nicht geöffnet sein? Ich finde: Niemand hat ein Recht, das zu verbieten. Jeder kann und soll hier für sich selbst entscheiden.«
So sagt jemand in einer Gesprächsrunde. Und damit sind wir bei einer Frage, die uns in unserer Gesellschaft berührt. Noch gilt in unserem Bundesland Niedersachsen die Regelung: Vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr darf es geben. Und wenn die politische Gemeinde die Termine dafür festlegt, dann fragt sie schriftlich bei den Pastoren an: Ist das so in Ordnung? Ist die Kirche damit einverstanden? Noch gilt diese Regelung. Aber immer wieder werden Stimmen laut, die sagen: Diese Vorschriften müssen abgeschafft werden. Es soll den Geschäftsleuten und den Kunden selbst überlassen bleiben, wie sie damit umgehen. Jeder muss hier für sich selbst entscheiden können.
Du sollst den Feiertag heiligen.
So lesen wir in der Bibel. So lautet das dritte Gebot. So gibt es Martin Luther im Kleinen Katechismus wieder. Und wenn ich erneut an eine Meinungsumfrage auf der Straße denke, dann habe ich als Ergebnis vor Augen: Dieses Gebot spielt offenbar gar keine Rolle mehr. Niemand hat es als wichtig genannt. Dem möchte ich heute entschieden widersprechen und betonen: Gerade dieses Gebot halte ich in unserer Zeit für besonders wichtig. Achten wir zunächst einmal auf den genauen Wortlaut der Bibel. So lesen wir im zweiten Buch Mose, Kapitel 20:
Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.
Liebe Gemeinde: Ursprünglich ist der siebte Tag der Woche, der Sonnabend also, Ruhetag. Und bis heute begehen Juden den Sabbat in besonderer Weise. »Sabbat« bedeutet »aufhören«, aufhören zu arbeiten.
Als Christen feiern wir den ersten Tag der Woche, den Sonntag. Und das gilt für uns seit Ostern, seit Jesus Christus auferstanden ist. Darum überträgt Martin Luther das dritte Gebot für uns so:
Du sollst den Feiertag heiligen.
Also: den Sonntag heiligen. Deshalb ist dieser Tag bis heute geschützt. Noch gilt das jedenfalls – mit Einschränkungen.
Eine doppelte Begründung dafür finden wir in der Bibel: Zum einen heißt es: Gott selbst ruhte an diesem Tag; Gott selbst hat ihn gesegnet. Und das bedeutet ja: Gott hat den Rhythmus von Arbeit und Ruhe geschaffen. Er hat uns Menschen so geschaffen, dass wir diesen Wechsel brauchen: Arbeiten und ruhen.
Das Leben besteht eben nicht nur aus Leistung. Mensch sein heißt eben nicht: ständig zu arbeiten, ständig etwas zu schaffen. Sondern: Dass wir zur Ruhe kommen, dies ist ebenso wichtig. Und das schließt ja ein: Dass wir einander nicht nur danach beurteilen, was wir schaffen, was wir leisten können. Wir sind keine Maschinen. Und das gilt es gerade heute – gerade in unserer Gesellschaft – immer wieder zu bedenken. Heute soll alles immer schneller gehen. In immer kürzerer Zeit sollen wir Menschen möglichst viel schaffen. Dieser