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eBook411 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Hector Fober ist sein bisheriges Leben leid. Er möchte endlich nicht mehr unsichtbar sein, sondern berühmt und erfolgreich – und das so schnell wie möglich. Während andere Leute in seinem Umfeld das Internet dafür nutzen, Bilder zu posten oder Dinge zu bestellen, gründet Hector einen Blog, für den er bereit ist, wortwörtlich über Leichen zu gehen. Nichts ist ihm wichtiger als sein Erfolg, und tatsächlich scheint sein morbider Plan aufzugehen: zum ersten Mal in seinem Leben erhält er die Aufmerksamkeit, von der er lange geträumt hat. Allerdings verstrickt er sich schon bald immer tiefer in den Konsequenzen, die sein Handeln nach sich trägt. Es beginnt eine Flucht, welche die Odyssee eines jungen Mannes aufzeigt, der nicht nur in seinem eigenen Wahn gefangen ist, sondern auch in den Strukturen einer modernen, abgebrühten Gesellschaft.

Triggerwarnung: in STROM werden fiktive Handlungen von Gewalt und Mord erzählt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Apr. 2024
ISBN9783907339718
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    Buchvorschau

    Strom - Laura Wohnlich

    PROLOG

    Zu sagen, dass ich von meiner neuen Geschäftsidee überzeugt war, wäre untertrieben. Um es mit einer Metapher auszudrücken: Ich war gewillt, mit meinem Projekt nicht nur den Vogel abzuschießen, sondern einen Krieg gegen die komplette Ornithologie anzuzetteln. Und, ohne jetzt spoilern zu wollen, würde ich mal behaupten: Es ist mir gelungen.

    Bevor ich mich dazu entschieden hatte, Blogger zu werden, praktizierte ich das, was man gemeinhin wohl ein unauffälliges Leben führen nennen kann.

    Nach dem Gymnasium absolvierte ich im Alter von achtzehn Jahren erstmal eine kaufmännische Ausbildung, um, wie mein ehemaliger Stiefvater Herr Nesto es formuliert hätte, etwas in der Tasche zu haben, mit dem Plan, irgendwann, wenn ich etwas Geld zur Seite gelegt hätte, Informatik zu studieren. Mein Ziel war es, eines Tages bei einer renommierten Game-Produktionsfirma einzusteigen und Videospiele zu entwickeln, die es auf die Top-100-Liste von IGN schaffen, mindestens.

    Leider liefen die Dinge etwas anders als geplant und ich zog mit neunzehn aus, weshalb ich meinen Lohn nicht wirklich sparen konnte, sondern für die Miete ausgeben musste. Ihn, den Lohn, erwarb ich in einem Elektronikwarenfachhandelshop namens Erwin’s Electronic’s, in dem ich noch während meiner Ausbildung hatte angefangen zu arbeiten. Der Laden gehörte Erwin Lanski, der ihn von seinem Vater und Gründer, Erwin Lanski senior, übernommen hatte. Es handelte sich um ein kleines, lokales Unternehmen, in dem – naheliegenderweise – alles Mögliche verkauft wurde, was mit Elektronik zu tun hatte, außerdem boten wir Reparaturen an (auch von Gerätschaften, die nicht mehr unter Garantie liefen oder überhaupt nicht bei uns vertrieben wurden) und verzeichneten an guten Tagen um die dreihundert Kunden, was, verglichen mit größeren Ketten, natürlich nichts ist.

    Der einzige Grund für das Überleben des Geschäfts war das Vermögen, welches Erwin junior von seinem Vater geerbt hatte und bis dato vollumfänglich in den Laden steckte. Jeder vernünftige Mensch hätte das Geld in etwas Sinnvolles investiert – eine bis zwei Immobilien wären mit dieser Summe tatsächlich drin gewesen –, aber mein Chef hatte sich offenbar nicht die Blöße geben wollen, das Business seines Vaters in den Sand zu setzen, welches anno dazumal, als elektronische Geräte noch als Innovationen gegolten hatten, wesentlich besser gelaufen sein musste als jetzt, Stichwort Immobilien.

    Wie dem auch sei, das Geschäft lag gleich bei mir um die Ecke, was ganz angenehm, im Grunde aber auch schon das einzig Positive war, was meine Arbeitsumstände zu verzeichnen hatten.

    Mein Chef – Erwin – war ein leicht übergewichtiger Asthmatiker von siebenundsechzig Jahren, der oft über Blähungen klagte und süchtig war nach Energydrinks, des Weiteren war er ein geduldiger, gutmütiger Mensch, über den man im Großen und Ganzen nichts Schlechtes sagen konnte, außer vielleicht, dass er ein unambitionierter Volltrottel war. Von den zwei anderen Angestellten bei Erwin’s Electronic’s konnte ich das leider nicht behaupten, aber dazu später mehr.

    Warum ich neun Jahre lang in diesem Laden geblieben bin und nie einen ernsthaften Versuch unternommen habe, mir ein Stipendium zu organisieren? Keine Ahnung. Vermutlich, nein, mit Sicherheit wollte ich tief im Herzen immer noch Videospiele entwickeln, aber mit zunehmender Arbeitserfahrung war mir bewusst geworden, dass ich keine Lust darauf hatte, mein Leben lang Angestellter zu sein. Auch nicht in einer Game-Firma, wo ich zwar mehr Geld verdienen, aber höchstwahrscheinlich dennoch nicht erheblich an sozialer Anerkennung gewinnen, sondern unsichtbar bleiben – welcher Mensch kennt schon das Gesicht eines erfolgreichen Spieleentwicklers? – und überdies weiterhin der Willkür irgendwelcher Vorgesetzten ausgesetzt sein würde. Klar, es gäbe natürlich die Alternative, zuhause am Rechner meine eigenen Indie-Games zu programmieren und diese im Netz zu verkaufen, aber ganz ehrlich, für den da zu erwartenden Ertrag wäre mir der Aufwand dann doch etwas zu groß (unter anderem jener, mir selbstständig das Programmieren beizubringen).

    Jedenfalls fühlte ich mich trotz allem zu etwas Höherem, Sinnhafteren berufen, ohne dass mir zum Zeitpunkt dieser Erkenntnis eine konkrete Berufsidee vorschwebte.

    Was ich wusste, war, dass ich endlich in einem Job Fuß fassen und durchstarten wollte, der meinen Kompetenzen gerecht wurde, und vor allen Dingen: Ich wollte endlich gesehen werden.

    Ja, ich wollte nicht einfach wieder von dieser Erde verschwinden, ohne dass ein paar Leute – oder eher, viele – die mich überlebten, meinen Namen in Erinnerung behalten würden. Der Gedanke, selbstverschuldet austauschbar zu bleiben, war mir unerträglich. Die Vorstellung, im Sterben zu liegen und mir eingestehen zu müssen, dass ich mich nicht genug angestrengt hatte, um die Welt auf meine Existenz aufmerksam zu machen, versetzte mich in Panik. Ich war mir im Klaren darüber, dass auch Erwin wusste, dass meine Fähigkeiten den mir zugewiesenen Tätigkeitsbereich überstiegen, aber was sollte er tun, er konnte sie nun mal in seinem Laden nirgends unterbringen, es war also nicht seine Schuld, dass ich unterfordert war, darum musste ich selber aktiv werden.

    Es dauerte jedenfalls ziemlich lange, bis ich endgültig realisierte, dass sich etwas ändern musste, wenn ich nicht als Niemand sterben wollte. Die Erde hatte sich weiterentwickelt und war nicht mehr das herausgehobelte Stück einer überschaubaren Kugel von damals, als ich Erwin meinen Lebenslauf auf den Schreibtisch geknallt hatte.

    Ich war achtundzwanzig Jahre alt, als ich mich endlich dazu entschied, im Internet Karriere zu machen.

    Ich besitze eine unscheinbare Persönlichkeit, zumindest war das mein Eindruck anhand dessen, was mir die längste Zeit meines Lebens von meiner Umwelt gespiegelt wurde, und eigentlich stellte das eine ideale Grundvoraussetzung dar für das, was mein neuer Beruf werden sollte. Ich war der Typ, der zwar immer wieder zu irgendwelchen Partys eingeladen wurde, den man aber nach einer saloppen Begrüßungsfloskel à la »Schnapp dir da drüben erstmal nen Drink« sofort begann, konsequent zu übersehen, und der dann ewig lange neben einem Gummi – oder Katzenbaum herumstehen und sich fragen musste, warum zur Hölle er hier war. Ich war die Randfigur, die zwar jede Party kannte, aber nicht brauchte. Ich war der ignorierte Geist, der irgendeine billige Wodkaflasche leersoff und aus Langeweile einen Großteil der Häppchenplatte wegfraß, bis er irgendwann ohne Verabschiedung und selbstredend von allen Anwesenden unbemerkt wieder von der Veranstaltung verschwand, und der dann am Folgetag wie durch einen mysteriösen Zufall auf keinem der zwanzigtausend Gruppenfotos zu sehen war, die inflationär in den sozialen Medien gepostet wurden. Apropos Fotos: ich sehe auch sehr durchschnittlich aus. Ich selber finde das zwar nicht, aber auch das wird mir so gespiegelt.

    Meine Ex-Freundin Karine sagte mal zu mir: »Du hast schöne Nasenflügel«, und dieses unhandliche Kompliment blieb der einzige Kommentar bezüglich meiner Optik, den sie in den drei Jahren unseres Zusammenseins veräußert hatte.

    Ich persönlich halte ja meine Augen für ziemlich besonders, weil das linke grün ist und das rechte braun, aber erschreckenderweise fällt das keiner Menschenseele auf, zumindest hat mich seit Jahren niemand mehr darauf angesprochen. Genau genommen erinnere ich mich, bis auf meine Mutter, nur an eine einzige Person, die das jemals thematisiert hat, und zwar meine Sitznachbarin in der fünften Klasse, Inna Gerber. »Erde«, hatte sie gesagt und auf mein rechtes Auge gezeigt, dann wandte sie sich dem linken zu und murmelte: »Wasser … nein, warte. Irgendwie nicht. Hm. Ich weiß nicht.« Sie runzelte die Stirn und schien angestrengt zu überlegen, dann seufzte sie resigniert: »Es passt nichts«, und wandte sich wieder ihrem Matheheft zu, um kleine Spiralen neben eine Textaufgabe zu zeichnen. Jahre später knipste Inna in angeschwipstem Zustand auf einer der besagten Homeparties tatsächlich ein Selfie von uns beiden, auf dem man zwischen meinen beiden Augen keinen Farbunterschied erkennen konnte, und zwei Wochen später zog sie nach Ägypten, um dort allen Ernstes Pyramidenforscherin zu werden, was schade war, weil aus uns beiden echt etwas hätte werden können.

    Jedenfalls, um jetzt endlich zum Punkt zu kommen: Es würde wohl keiner, der mich auf der Straße sieht, auf die Idee kommen, dass ich das Zeug zu einem Mörder habe, der einen Blog betreibt, was die ganze Sache für mich natürlich umso reizvoller machte. Ja, richtig gelesen: Ich wollte Blogger werden, und das Thema sollten Morde sein. Zunächst war ich im Kopf die gängigen Optionen durchgegangen: Reiseblogger, Foodblogger, Ich-habe-eine-schlimme-Krankheit-und-dokumentiere-meinen-Leidensweg-wobei-ich-aus-der-Situatuion-das-Beste-und-anderen-Betroffenen-Mut-mache-Blogger. Let’s-Plays, Schlösser knacken, Mukbangs. Nichts fühlte sich richtig an. Auch das Thema Sex nicht, obwohl das ja immer als Klickgarant gilt, egal ob Expertentum vorhanden ist oder nicht. Ich brauchte etwas, das mehr mit mir zu tun hatte. Da ich nicht sonderlich musikalisch bin, fielen Instrumente lernen oder Singen also weg. Body-Building? Da musste ich fast selber lachen.

    Ich googelte: Spannende Blogthemen, ich googelte ungewöhnliche Hobbies, und alles, was ich fand, war gleichermaßen unbrauchbar: Baumpatenschaften, Kerzenziehen, Apnoe-Tauchen, scheiße.

    Ich wollte etwas mit mehr Spannung, ich wollte Action, also überlegte ich weiter und kam schließlich auf das Thema True Crime. Klar, lag absolut im Trend, aber nein, irgendwie passte auch das nicht zu mir; ich hatte keine Lust auf langwierige Recherchen, die im Zweifelsfall schon hundert andere Leute vor mir angestellt und zu Content verarbeitet hatten.

    Und dann kam mir die Idee, gerade, als ich beschloss, meinen Brainstorm aufzugeben und weiterzuschlafen. Es war so naheliegend! Es war plausibel und perfekt: Ich würde meine eigenen wahren Verbrechen erschaffen! Mord war allgegenwärtig, unmissverständlich und zeitlos, Mord war aufsehenerregend und vielschichtig. Im Grunde war Morden eine der wenigen Handlungen auf diesem Planeten, die ausnahmslos jede Person ausüben konnte, egal, welcher Ethnie oder Schicht sie angehörte und ohne über ein besonderes Vorwissen verfügen zu müssen, geschweige denn ein Diplom, und die einen trotzdem auf einen Schlag berühmt machen konnte. Mord war ein immer wiederkehrender Klassiker in der Menschheitsgeschichte, und ich war entschlossen, ihn endgültig hip und salonfähig zu machen.

    Hellwach lag ich also da, aufgepeitscht, und fühlte mich so energiegeladen wie schon lange nicht mehr. Mein Herz klopfte vor Tatendrang und da ans Schlafen nicht mehr zu denken war, fing ich an, Pläne zu schmieden. Ich überlegte, was für eine Kamera ich verwenden sollte, und dachte zuerst an Drohnen. Dann entschied ich, dass das zu trivial war. Das Internet wurde damit ja seit einigen Jahren regelrecht überflutet; nahezu kein Account, der etwas auf sich hielt, verzichtete auf hochaufgelöste 360-Grad-Aufnahmen, und ich wollte aus dem Mainstream hervorstechen, also beschloss ich, mir folgendes Equipment zuzulegen: eine schlichte Handkamera, wie ich sie damals zu meinem zwölften Geburtstag von Herrn Nesto geschenkt bekommen und dann leider ein Jahr später während einer Klassenfahrt verloren hatte, sowie eine einfache Sportkamera, die qualitativ nicht ganz so viel hergab wie eine moderne GoPro.

    Ich würde alle meine Morde aus zwei Perspektiven von Anfang bis Ende filmen, die Aufnahmen dann zu aussagekräftigen Clips zusammenschneiden und diese schließlich auf meinem Blog hochladen, den ich The Killing Tour nennen wollte.

    Das Medium Film erschien mir perfekt, da ich durch meinen Job über das nötige technische Knowhow verfügte und mir das Aufzeichnen ermöglichen würde, mir meine Arbeit jederzeit anschauen und meine Vorgehensweise analysieren zu können.

    Ich wollte schließlich nicht einfach nur ein unkreativer Amateur-Serienmörder werden, sondern den Leuten zeigen, dass ich mich für sie, mein Publikum, ins Zeug legte. Ich wollte der gefürchtetste Influencer aller Zeiten werden, nicht mehr und nicht weniger.

    Nun, und hier also kommt sie, meine Story, die Geschichte von mir: Hector Fober.

    1

    Der Tag, an dem ich meine neue Karriere in Angriff nahm, war ein halb sonniger, halb verhangener Nachmittag in der zweiten Oktoberhälfte. Es war Samstag, und gestern war endlich der erste Teil meines Arbeitsmaterials eingetroffen, das ich bestellt hatte: eine handliche Videokamera der altbewährten Marke Canon, gefunden auf einem Online-Flohmarkt, und eine Sportkamera mit 720p plus Kopfhalterung, dazu noch eine schicke, unauffällige Umhängetasche aus Kunstleder, in die beide reinpassten.

    Selbstverständlich plante ich, über VPN zu arbeiten, aber es erschien mir noch eine Spur sicherer, dazu nicht meinen eigenen Rechner zu verwenden. Durch einen unverhofften Zufall war ich an einen besitzerlosen Laptop gekommen, den ich kostenfrei mit nach Hause nehmen konnte, was ausnahmsweise den bescheidenen Vorteilen meines Ladens zu verdanken war. Vor ziemlich genau einem halben Jahr hatte nämlich ein völlig verstrahlter Typ mit gekringeltem Haar und Zahnpastaresten in den rissigen Mundwinkeln seinen Vaio bei uns in Reparatur gegeben (ein Modell, das es schon seit Jahren nicht mehr im Handel gab) und dann einfach drauf geschissen, ihn wieder abzuholen. Ich rief mehrfach bei ihm an, nachdem ich die Tastatur ausgewechselt hatte (mehr war nicht daran zu machen gewesen), und jedes Mal kam die Mailbox. Bis die Schnarchnase mich dann einige Wochen später endlich zurückrief und plärrte: »Ja, was wollen Sie? Mir wurde Ihre Nummer angezeigt«, und als ich ihm meinen Namen und den Grund meiner vorangegangenen Anrufe nannte, meinte er, dass er sich zwar nicht an mich erinnern könne, aber: »Ach, ja, sorry, der Computer. Den brauch ich nicht mehr, genau. Ich habe aufgehört, WoW zu zocken, weißt du. Außerdem bin ich pleite und habe keine Hausratsversicherung. Also, sorry nochmal.« Da unser Geschäft auch in Sachen Entsorgung nicht gerade übermäßig vorbildlich organisiert war und wir keinen geregelten Abholservice für ungewollte Ware hatten, der sie zum Recyclinghof transportierte, blieb die Kiste sinnlos bei uns in einem der Regale im Hinterzimmer rumstehen, neben einer irreparablen Heißluftfritteuse und einem paar alter Sneakers, die Roberto gehörten, der schon lange nicht mehr hier arbeitete, und dort von uns allen in Vergessenheit geriet.

    Bis zum letzten Mittwoch, wo um zwölf Uhr dreißig mein Blick auf diesen Laptop fiel und ich spontan die Idee hatte, dass ihm die Ehre zuteilwerden würde, mein neues und wichtigstes Arbeitswerkezug zu sein. Tja, ein kleiner Verlust für Erwins Geschäft, der bekehrte Zahnpasta-Typ, aber ein großer Gewinn für mich. Kurz vor Beginn meiner Mittagspause, als meine zwei Mitarbeitenden gerade von ihrer zurückkamen (die sie unerlaubterweise zusammen verbracht hatten, obwohl wir sie eigentlich gestaffelt machen sollten), schnappte ich mir den Laptop und ließ ihn mitsamt dem verstaubten Ladegerät, das der Typ ebenfalls mit abgegeben hatte, in meinem Rucksack verschwinden. Ihnen, meinen sogenannten Kollegen, fiel das Fehlen dieser zwei Gegenstände nicht auf, genau, wie ich erwartet hatte. Die drückten sich stets vor Reparaturarbeiten, waren aber auch abgesehen davon nicht gerade die hellsten Kerzen auf der Torte, weshalb ich da keine große Gefahr witterte.

    An besagtem Samstag saß ich also in meinem Stammcafé Tamarinde, hatte mir gerade einen Bagel mit Hummersalat und Kresse einverleibt und war motiviert wie ein angehender Firmenchef während seines ersten wichtigen Meetings. Unter dem Tisch in meinem Rucksack befanden sich die restlichen Arbeitsmaterialien, die ich mir über eine chinesische Internetseite bestellt und soeben bei einem Postfach abgeholt hatte: Handschuhe, Strumpfmaske, dickes Klebeband, Seile, Teppichmesser. Ja, ich weiß, diese Artikel klingen klischeehaft, aber ich beabsichtigte absolut, sie alle früher oder später einzusetzen, schließlich hatten sie sich in der Geschichte der Verbrechen schon mehrfach weltweit bewährt.

    Falls sich jetzt schon jemand moralische Fragen in Bezug auf meine Person stellt: Nun, grundsätzlich distanziere ich mich davon, ein famegeiler Brutalo zu sein. Aber, und das gebe ich gerne offen zu: mein eigener Werdegang ist mir eben einfach wichtiger als das Leben anderer Leute. Und mir kann keiner erzählen, dass das nicht vielen so geht, oder besser gesagt, allen. Bescheidenheit ist doch nichts anderes als ein heuchlerisches Überbleibsel einer pseudoliberalen, westlichen Gesellschaft. Jeder möchte so viel Anerkennung bekommen wie möglich, und das am besten online, denn wir alle wissen: Wenn irgendjemand dir ins Gesicht sagt, dass er deine Arbeit gut findet, bringt das nicht wirklich Mehrwehrt. Virtuelle Likes sind es, die Berühmtheit bringen, und Berühmtheit bringt Geld, Geld bringt Macht, und so weiter und so fort. Außerdem: Wer seid ihr schon, um darüber zu urteilen, was moralisch vertretbar ist und was nicht? Ich kenne euch nicht mal. Und: Wer ohne Sünde ist, solle den ersten Stein werfen. Aber selbst das traut sich ja eh niemand, schon gar nicht ihr, die ihr wahrscheinlich noch nie eine Straftat begangen habt, höchstens mal versehentlich mit dem Fußball eine Fensterscheibe eingeschlagen oder Wimperntusche im Discounter geklaut, darum übernehme ich das jetzt einfach stellvertretend für alle, die mutlos in der Ecke sitzen und sich selber dafür bemitleiden, dass sie unsichtbar sind.

    In einem zweiten Schritt organisierte ich mir, wie gesagt, einen unbeobachteten Internetzugang (ich denke, es ist allen klar, weshalb ich nicht über das W-Lan meines Routers arbeiten konnte. Internetcafés waren ebenfalls keine Option, zum einen, weil es in unserer Hinterwäldler-Stadt kaum welche gab, zum andern, weil ich keine Lust hatte, ständig Angst haben zu müssen, dass mir jemand über die Schulter guckte. VPN war definitiv die bequemste Methode.)

    Somit würde ich von zuhause ausarbeiten können und damit fing ich auch direkt an, als ich vom Tamarinde zurückkehrte. The Killing Tour. Ich sicherte mir die Homepageadresse und wählte ein ansprechendes, schlichtes Design aus: schwarzer Hintergrund mit blauen Rändern, dazu eine neutrale Typografie – Arial, Schriftgrösse 12 – in einem leicht ins Bräunliche changierenden Schwarz, das Menü platzierte ich auf die linke Seite.

    Als dies erledigt war, stellte sich die wegweisendste aller Fragen, und zwar, wen mein allererster Mord treffen sollte. Für mich stand fest, dass ich mich zunächst einmal in mein neues Metier eingewöhnen musste und deshalb langsam hocharbeiten würde, die erste Person sollte also auf jeden Fall jemand Unscheinbares sein. Jemand wie ich, ein ganz normaler Mensch ohne nennenswerte Position in der Gesellschaft, ein Subjekt, dessen Tod zwar für gemäßigtes Aufsehen, aber nicht direkt für einen kollektiven Aufschrei sorgen würde.

    Darüber hinaus sollte es keine gänzlich unschuldigen Leute treffen, sondern solche, die sie mich in irgendeiner Weise gekränkt oder verletzt hatten, und davon gab es – in diesem Falle zum Glück – so einige. Auf einem papiernen Zettel fertigte ich eine Liste an mit Personen, die infrage kamen, und landete bei drei Namen.

    −Meine Ex-Freundin Karine Paals, die mich betrogen und dann verlassen hatte, weil angeblich sie diesen Fehltritt nicht hatte verkraften können

    −Der Verkäufer vom Mini-Supermarkt am Ribachdamm, Murali Paswan, der mich nie zurückgrüßte, wenn ich in den Laden kam, sondern sich durchgehend schlechte Serien auf seinem iPad ansah, von denen er nicht mal aufblickte, wenn er die Einkäufe in die Kasse tippte, was er, richtig gelesen, von Hand tat, weil es kein Scangerät gab, und schon zweimal hatte er mir deshalb mehrere Euro zu viel berechnet

    −Meine Nachbarin Frau Makosz aus dem vierten Stock, die ungefähr neunundneunzig Jahre alt war und mich einmal im Treppenhaus debil angegrinst und zu sich heran gewunken hatte, worauf ich dachte, sie wolle mich freundlich um einen Gefallen bitten, stattdessen wies sie mich darauf hin, dass ich meine Schuhe nicht auf dem Flur stehenlassen sollte, weil das eine Stolperfalle wäre

    Unter dieser Liste fertigte ich eine zweite an mit Pro- und Contra-Argumenten für das Umbringen der jeweiligen Leute, und landete schließlich ziemlich rasch bei Nummer zwei.

    Muralis Laden war ein Familienbetrieb, schätzungsweise knapp vierzig Quadratmeter groß, mit einem merkwürdigen, überteuerten Sortiment, das vor zwanzig Uhr selten Kundschaft anlockte, abgesehen von mir, der ich nur eine Straße weiter wohnte und nach der Arbeit oft zu müde war, um die anderthalb Kilometer zum ALDI zurückzulegen.

    Ja, Murali sollte es werden. Denn obwohl ich für Karine wirklich nichts anderes mehr als Verachtung übrighatte, wollte ich den Gedanken doch nicht ganz aus meinem Kopf streichen, dass es eines Tages, unter welchen Umständen auch immer, wieder einmal zu Geschlechtsverkehr kommen könnte.

    Frau Makosz schied aus dem Grund aus, dass ich sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen und ihre Familie sie laut hausinterner Nachbarschaftspropaganda unlängst auf die Warteliste eines betreuten Wohnheims gesetzt hatte, außerdem wäre die auch ein viel zu leichtes Opfer, deren Hinschied wohl niemanden ernsthaft interessieren würde.

    So, die Entscheidung stand also fest, also hängte ich mir enthusiastisch die Ledertasche mit den Kameras um die Schulter, stopfte die Strumpfmaske zusammen mit den Handschuhen in die Jackentasche und machte mich auf den Weg zu Muralis Laden.

    2

    Die Verkaufsfläche beschrieb die Form eines Ls, wobei sich der Kassenbereich am Ende des kürzeren Raumabschnitts befand und aufgrund der vielen Regale von der Straße aus durchs Fenster nicht einsehbar war.

    Murali Paswan lebte mit seiner Familie in der Wohnung direkt über dem Laden, und wenn er nicht selber anwesend war, saßen entweder seine Frau, sein Vater, seine Tochter oder einer seiner drei für mich identisch aussehenden Söhne hinter der Kasse, manchmal auch mehrere der genannten Personen gleichzeitig, zu neunzig Prozent war er aber alleine hier.

    Die Luft im Paswan-Shop roch stets nach altem Leder, Räucherstäbchen und etwas, das ich mit Hühnerkacke in Verbindung bringe, und das Sortiment mutete, wie gesagt, willkürlich und wirr an: Oktopusarme in undatierten Plastikverpackungen teilten sich den Platz in der Kühltruhe mit ausgemergelten Zucchinis und Fertigpizzen, auf den klapprigen Metallregalen reihten sich monströse Kürbisse an Buddhastatuen, fünf verschiedene Sorten Bananenchips lagerten neben verstaubten Wattestäbchenboxen. Unweit der Tür gab es einen Drehständer mit gefälschten Markensonnenbrillen und auf dem Verkaufstresen neben der Kasse einen winzigen Glaskasten, in dem stets drei Samosas mit Kartoffelfüllung lagen, von denen Murali mir mal versichert hatte, dass seine Frau sie jeden Morgen frisch backte, ich aber vermutete, dass die da zur Ladeneröffnung 1995 reingelegt und seither niemals ausgetauscht wurden.

    Um 15:10 betrat ich den Supermarkt.

    Das erste, das ich hörte, nachdem die Tür bimmelnd hinter mir zugefallen war, war weibliches Gezeter. Für eine Sekunde dachte ich, Muralis Frau sei anwesend, und überlegte, wieder zu gehen, dann realisierte ich anhand seines entspannten Hustens, dass es offenbar lediglich in seiner Lieblingsserie gerade einen Beziehungskonflikt gab.

    Ich drehte eine kurze Sicherheitsrunde, während der ich so tat, als sei ich auf der Suche nach einem bestimmten Produkt. Ich hatte fest damit gerechnet, der einzige Kunde zu sein, weil es für die normale Bürgerschaft wirklich keinen Grund gab, samstags um diese Zeit in einem schweineteuren Sonderstore einzukaufen, aber als ich in die Sackgasse mit den Nudeln einmarschierte, musste ich zu meinem Gram feststellen, dass außer mir noch eine überschminkte Teenagergöre anwesend war.

    Sie tippte abwechselnd hektisch auf ihrem Handy herum und ließ ihren Blick kritisch über die Regale schweifen.

    Ich tat so, als würde ich die dunkelgrauen Scampi begutachten, die in der Kühltruhe zu meiner Linken lagerten. Unfassbar, sowas. Die armen Tiere waren völlig umsonst aus dem Ozean gefischt worden; welcher Mensch mit einem Funken Verstand würde sich Meeresfrüchte in einem Vakuumbeutel kaufen, an dem kein einziges Etikett klebte? Schließlich prallte die bescheuerte Tussi in mich rein. Ich musterte sie gereizt.

    »Sorry«, sagte sie, ohne von ihrem iPhone aufzusehen. Mein Blick fiel auf ihr Dekolletee, beziehungsweise, auf den Schmuck, der dort auflag; eine filigrane, goldene Kette mit einem kleinen C als Anhänger.

    »Kein Problem«, behauptete ich, und versuchte, Blickkontakt herzustellen, indem ich ihr wieder ins Gesicht starrte. Währenddessen überlegte ich, wie sie heißen könnte: Cornelia, Caroline, Camilla.

    Meine Taktik funktionierte, sie sah mich an und ließ nun ihren kritischen Blick an mir hoch- und runtergleiten. Wahrscheinlich wirkte ich auf sie wie ein Alien, so ganz in schwarz gekleidet und ohne ein mobiles Empfangsgerät in der Hand, dafür mit einer Tasche behängt, auf der kein Markensymbol prangte.

    »Können Sie mir helfen?«

    Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dieser Frage.

    Kurzzeitig zog ich in Erwägung, sie umzubringen anstelle von Murali. Ich stellte mir vor, wie ich ihren schwarzglänzenden Schopf packte und ihre Stirn auf die Kühltruhe donnerte. Stattdessen antwortete ich: »Klar«, und war mir plötzlich ziemlich sicher, dass sie Carmen hieß. Das wäre zwar etwas hochtrabend, aber alles andere passte einfach nicht zu ihrer theatralischen Erscheinung.

    Sie lehnte ihre Hüfte gegen die Truhe, verdeckte mir damit die Sicht auf die Scampi, und schnatterte drauflos. »Weil meine Schwester heute Geburtstag hat, habe ich ihr versprochen, dass ich für sie koche. Ich habe sie gefragt, was sie will, und sie sagte, indisch.«

    »Aha.«

    »Ja, aber ich finde hier irgendwie nichts.«

    »Was suchst du denn?«

    »Kurkuma. Und Kreuzkümmel. Ich habe versprochen, dass ich Dal kochen werde.«

    »Und was soll das sein?«

    Carmen seufzte und streckte mir ihr Handy vors Gesicht. Indisches Linsengericht: Dal, stand da.

    »Guck dir doch ein Tutorial an«, sagte ich. Sie zog Handy und Hand aus meinem Gesichtsfeld und sah mich an, als hätte ich ihr vorgeschlagen, sich auszuziehen.

    »Wozu das denn?«

    »Na, damit du weißt, wie man das Gericht kocht.«

    »Wie man kocht, weiß ich, dazu brauch ich kein Tutorial. Ich brauche bloß die Zutaten.« Sie wusste also, wie man kocht. Bravo, Carmen.

    »Na denn. Warum fragst du nicht einfach den Verkäufer, ob er dir helfen kann? Immerhin ist er Inder.«

    Sie zögerte kurz, dann machte sie einen Ausfallschritt nach rechts und streckte sich, um in das kurze Ende des Ls zu blicken, wo Murali sich gerade unbeeindruckt über ein dramatisches Schluchzen hinwegräusperte.

    »Nein«, sagte sie dann, »der ist beschäftigt.«

    »Beschäftigt? Er guckt sich doch bloß eine Serie an. Es ist sein Job, Kunden zu beraten. Geh hin und frag ihn, ob er diese Gewürze hat.«

    Anstatt mir zu antworten, zuckte sie resigniert mit den Achseln und widmete sich wieder ihrem Bildschirm. Ich verspürte Selbstmitleid. Meinen ersten offiziellen Arbeitstag hätte ich mir wirklich geschmeidiger gewünscht. Für mein Vorhaben brauchte ich Fokussiertheit, kein krampfiges Gespräch mit einer Jugendlichen, die ihre Schwester mit einem aberwitzigen Menü beeindrucken wollte.

    »Na ja«, sagte ich, »du könntest auch einfach zu diesem indischen Restaurant in der Seebachstraße gehen, das ist nur fünf Minuten von hier, und dort zwei Portionen Dal zum Mitnehmen bestellen.«

    Carmen seufzte schon wieder. Ratlos betrachtete sie ihr Handy, dann schob sie es in ihre durchfallfarbene Louis-Vuitton-Tasche und meinte: »Ja.« Ja? Was für eine Antwort. Ja. Was sollte das heißen? War’s das jetzt wenigstens endlich, oder was?

    Nein, offenbar nicht. Sie betrachtete mich konzentriert, als sei ich ein Verkaufsobjekt, von dem sie entscheiden musste, ob es ihr von Nutzen sein könnte oder nicht, und dann sagte sie, offenbar über jegliche Selbstzweifel erhaben: »Okay, gute Idee, das mache ich. Musst du zufällig auch in die Richtung und kannst mir zeigen, wo das ist?«

    Bitte, was? Hatte ich akustische Halluzinationen?

    »Du fragst mich, ob ich es dir zeigen kann?«

    »Ja.« Schon wieder dieses Ja. Brüsk und präzise wie ein Pfeil, der einem einen Strich durch die Rechnung, beziehungsweise den eigenen Wortschatz, machte. Sie sah mich erwartungsvoll an. Die Kleine schien das ernst zu meinen. Ob das an meinem neuen Job lag? Hatte ich eine andere Aura als sonst? Wirkte ich auf Frauen auf einmal unwiderstehlich, jetzt, wo ich eine klare, unverrückbare Vision hatte? So direkt war ich jedenfalls noch nie nach einem Date gefragt worden und daher zugegebenermaßen erstmal sprachlos. Carmen hingegen starrte mich unverwandt herausfordernd an und klapperte mit ihren manikürten Fingernägeln auf dem Truhendeckel herum. Im Grunde wäre ich tatsächlich sehr gerne mit ihr zu diesem indischen Restaurant gegangen, warum auch nicht, ich war Single und hatte heute noch nichts Anständiges in den Magen bekommen, aber ich wusste, was ich hier zu tun hatte, also sagte ich: »Tut mir leid, ich habe leider keine Zeit.«

    Sie nickte, sagte: »Okay, dann nicht«, und im nächsten Atemzug hatte sie ihre Hüfte auch schon von den Scampi gelöst und an mir vorbeigeschoben. Ich hielt instinktiv den Atem an und verspürte den Impuls, irgendeine groteske Bewegung auszuführen, mir zum Beispiel in den Arm zu kneifen oder in den Schritt zu fassen, zwecks Übersprungshandlung, aber ich konnte mich zusammenreißen.

    Das Glöckchen über dem Eingang verkündete Carmens Abgang. Ich trat aus dem Nudelgang und sah durch das ranzige Fenster, wie ihr wohlgeformter Körper sich Richtung Park davonbewegte. Gerade als ich mich wieder meiner Arbeit widmen wollte, drehte sie sich nochmals um und blickte zum Laden zurück. Zu mir. Ihre Augen suchten meine und fanden sie. Ein winziges Lächeln, halb herablassend, halb umwerfend, dann war sie weg.

    Und da geschah etwas Seltsames mit mir: Von einer Sekunde auf die andere war sämtliche Nervosität wie weggeblasen und stattdessen wallte ein pulsierendes Gefühl der Siegesgewissheit in mir auf. Ein jäher Schwall Glückshormone, die ausgeschüttet wurden, gepaart mit Adrenalin. Ein Gefühl, das ich schon ewig nicht mehr gehabt hatte.

    Es musste daran liegen, dass mir in diesem Augenblick bewusstwurde, dass heute eine neue Ära für mich angebrochen war. Eine Ära, von der ich lange geträumt und tief in meinem Innern gespürt hatte, dass sie auf mich wartete. Heute war der Tag meiner selbstgeschaffenen Neugeburt. Ab heute wäre ich nicht mehr der durchschnittliche Hector Fober, der irgendwelchen Idioten eine Garantieverlängerung für ihren Handstaubsauger andrehte und dabei daran denken musste, dass sie alle nach Verlassen des Ladens sein Gesicht wieder vergessen würden, sondern ich war Hector, der Mord-Blogger. Der einzigartige Influencer Hector Fober, den fremde, gut aussehende Mädchen zum Essen einladen wollten.

    Von nun an würde mich nie wieder irgendwer verkennen. Seelenruhig schlenderte ich zur Tür, vor der ich noch einen Hauch von Carmens Duft wahrzunehmen glaubte, und wollte gerade das Offen-Schild umdrehen, als mir etwas einfiel.

    Ich war ein Trottel. Nein, ich war genial, aber kurzzeitig meines Verstandes beraubt gewesen aufgrund von vergessen geglaubten, niederen Trieben, die Karine in mir abgetötet oder die ich zumindest konsequent verdrängt hatte. Zum Glück hatte ich mich umgehend wieder im Griff und wusste, dass ich jetzt auf gar keinen Fall mein Projekt starten konnte, nachdem Carmen mich hier gesehen hatte. Denn selbst, wenn sie zu doof wäre, um später einen Zusammenhang zu ziehen zwischen meiner Anwesenheit und dem Mord an Murali – oder sie von jenem nichts mitbekommen würde – war das Risiko zu groß, weil sie gewiss ihren Freundinnen von mir erzählte. Voll krass, gestern Nachmittag habe ich meinen Traumtypen im Inderladen getroffen, würde sie

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