Der Taxifahrer: Eine Novelle in Kurzgeschichten
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Buchvorschau
Der Taxifahrer - Adolf Jens Koemeda
IMPRESSUM
© 2023 Münster Verlag, Zürich
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.
Umschlaggestaltung: Adolf Jens Koemeda
Gestaltung und Satz: Corinne Lüthi
Lektorat: Pablo Klemann (Unterwegs Verlag, Singen)
Druck und Einband: CPI books GmbH, Ulm
Verwendete Schriften: Novel Pro, Brown Pro
Papier: Umschlag, 135g/m2, Bilderdruck, glänzend, holzfrei; Inhalt, 90g/m2, Werkdruck bläulichweiss, 1,75-fach, holzfrei
ISBN 978-3-907301-59-3
Printed in Germany
www.muensterverlag.ch
VORWORT
Adolf Jens Koemeda, der in Ermatingen lebende Schriftsteller und Psychiater aus Prag, hat verschiedene Rollen im Theater seines Lebens gespielt. Als Leichtathlet (Diskus) warf er die Scheibe weit. Er war sogar Mitglied der Jugend-National-Mannschaft der damaligen Tschechoslowakei. Fuhr er zufällig auch mal Taxi? Ja, aushilfsweise als Medizinstudent. Bei der Konzeption von «DER TAXIFAHRER», seiner hier vorliegenden «Novelle in Kurzgeschichten und drei Erzählungen», muss sich da etwas in seinem Unterbewusstsein bewegt haben.
Ein Taxifahrer bekommt ja nolens volens allerhand mit von seinen Gästen, auf der hinteren Sitzbank oder dem Beifahrersitz, spontane und unzensierte Dialoge und Monologe – privat, intim, authentisch. Da bietet uns Koemeda eine originelle und spannende Erzähl-Konstruktion an. Vlado heißt der Taxifahrer, er ist der Erzähler und gleich zu Beginn erfahren wir: Seine Frau bittet ihn, seine Mithör-Erlebnisse aufzuschreiben. Und die lesen wir jetzt. Der Taxifahrer, emigrierter Pole, seit zwei Jahren in München, legt los. Deutsche, ein Pole, ein Russe, ein Tscheche und andere – Koemeda stellt sie attraktiv gemischt auf Vlados Taxi-Bühne.
Hör-Bilder privater und politischer Erlebnisse und Ansichten der Fahrgäste wechseln einander in der Taxi-Novelle ab. Auch hoch aktuelle Themen wie Putins Ukraine-Verbrecherkrieg tauchen auf. Etwa in «Streit», wo zwei bayerische Brüder sich in die Haare geraten darüber, ob Putin die Ost-Erweiterung der Nato nicht doch zu Recht als Provokation empfinden durfte. Geradezu surreal erscheint die «Stadtrundfahrt». Ein seltsamer Gast steigt zu Fahrer Vlado ins Taxi und antwortet auf die Frage «Wohin?» mit «Wohin Sie wollen». Schließlich verlässt er das Taxi an der Stelle, wo er eingestiegen ist. War das sein Ziel? Rätselhaft. Bewegend! Im Kapitel «Vater» wägen in Vlados Taxi ein Pole und ein Tscheche die Erlebnisse ihrer beiden Väter vor und nach 1945 gegeneinander ab.
An individuellen Schicksalen macht unser Autor so immer wieder aus verschiedenen Sichtweisen Zeitgeschichte lebendig. Die Erinnerungen der Söhne um die beiden Väter spiegelt er ineinander – und verschränkt sie raffiniert noch einmal mit dem, was Vlado zuhause seiner Frau Wanda über seinen Vater erzählt. Menschenmaler Koe-meda mischt da auf seiner Erzählpalette abwechslungsreich noch weitere, bunte menschliche Charakter-Farben: Virtuell sitzen wir in Vlados Taxi zusammen mit einem jungen Paar, einem Betrunkenen, einer älteren Dame, der Bücher alles bedeuten, und manchem mehr, und erfahren von ihren Sorgen durch die Augen und Ohren des meist stummen Beobachters.
In den Porträts und Erinnerungen der Taxigäste sowie den aktuellen Ansichten und Einsichten des emigrierten polnischen Taxifahrers Vlado schöpft der Prager Koemeda aus dem Vollen - vor dem Hintergrund dessen, was er selber ähnlich erlebt hatte. Im «Ostblock» erleben musste.
Für die Erzählsituation bietet sich im Taxi vor allem der Dialog an. Koemeda benutzt ihn hier und auch sonst in seiner Prosa oft – virtuos, knapp, dynamisch. Warum? Im Gespräch betont er, in der Fremdsprache Deutsch könne er zum Beispiel nicht mit sensiblen Naturschilderungen brillieren. Daher viel Dialog. Und der sitzt. Man behält die ausgefeilte Rhythmik im Ohr, im lebhaften Hin-und-Her der Emotionen und Argumente.
Als Emigrations-Motiv ist im Taxi auch von «Freiheit» die Rede - Hoffnung der Flüchtlinge. Das kann ganz einfach Konsum-Freiheit sein, insgesamt ein besseres Leben, dazu funktionierende Infrastruktur, keine Angst vor einer Verhaftung bei einem falschen Wort und ein breites politisches Spektrum. Koemeda selbst trieb die schwer lastende Unfreiheit in die Flucht aus Prag; die russengesteuerte Grausamkeit des damaligen Tschechoslowakei-Regimes. Ein Onkel Koemedas wurde zur Zwangsarbeit in Uran-Minen verurteilt, kam als Wrack heim und verstarb bald kontaminiert.
Nichts wie raus aus diesem Staat! Koemeda gelingt die «Republik-Flucht». Auf Umwegen landet er in der Schweiz. Gut integriert bleibt er hier, quasi als «Edel-Flüchtling». Aber «Heimat ist Heimat», wie der polnische Taxifahrer Vlado einmal betont. Sie lässt auch Koemeda in der komfortablen «Zweitheimat» nicht los. In seiner großen Emigrations-Roman-Trilogie Die Absicht/Sandul/Die Helferin steht der junge Bosnier Simmi zentral. Wir erleben die dramatische Emigrations-Zeitgeschichte aus der Ich-Perspektive Simmis - und erfahren, was das abstrakte «Emigrantenschicksal» für den Einzelmenschen bedeutet.
Diese Unmittelbarkeit durchströmt ebenso die Novelle des Taxifahrers. Auch hier führt der Ich-Erzähler ja ins Innere seiner selbst und seiner Fahrgäste, indem er aufschreibt, was er im Taxi hört und beim Hören fühlt.
Schriftsteller und Psychiater – beide sind Seelenkundler. Sie brauchen Empathie, um in unser Ich zu blicken. Bei Koemeda haben wir beide Berufe quasi im Doppelpack. Ein Glücksfall für seine Haupt-Thematik von der Emigration. Er hat etwa straffällige Emigranten fürs Gericht begutachtet. Und er, der seit seinen Prag-Jahren Russisch beherrscht, kann sich heute auch mit ukrainischen doppelsprachigen Emigranten unterhalten.
Als Zeit-Zeuge/Schreib-Zeuge steht Adolf Jens Koemeda mitten in unserer Zeit, einer schlimmen Zeit. Ich möchte deshalb schließen mit dem Motto von Michael Bahnerth, das der Autor seinem Roman «Die Helferin» vorangestellt hat: «Es spielt keine Rolle, ob es am Ende des Tunnels ein Licht gibt. Wichtig ist, dass die Sehnsucht nach ihm nicht erlischt.»
DER TAXIFAHRER
DIALEKT
Ich komme aus Polen und bin als Taxifahrer unterwegs, seit mehr als zwei Jahren bei der gleichen Firma angestellt, in München. Zufrieden? Na ja, nicht vollkommen unzufrieden, aber vorläufig möchte ich alles so lassen, wie es ist.
Meine Frau stammt auch aus Polen, sie kam viel früher hierher als ich. Sie sieht Vieles anders und möchte mich von ihrer Sicht überzeugen, fast täglich ist sie am Ball; nicht optimal, ich habe mich allerdings daran gewöhnt. Der Vollständigkeit halber noch dies: Zuhause sprechen wir Deutsch, wegen unserer Kinder.
Wanda, meine Frau, meint: Taxifahrerei sei ein schwerer und gefährlicher Job. Einverstanden, als Zwischenlösung akzeptabel, aber nichts auf Dauer. Vlado, du hast doch studiert!
Stimmt, habe ich, zuerst Soziologie, dann sattelte ich auf Geschichte um, brachte es allerdings nicht bis zum Abschluss; ich musste weg. Warum? Nun, das ist eine andere Story, hier nur ein Stichwort: Freiheit. Die spielte eine ganz wichtige Rolle. Später komme ich vielleicht auf dieses Thema zurück.
Nach einem Nachtdienst erzähle ich zu Hause oft etwas von dem, was während meiner Arbeitszeit passiert ist. Die Idee kam von meiner Frau: – Wenn du schon so ein Dickkopf bist, sagte sie, – schreib zumindest die interessantesten Geschichten auf, einige von deinen Taxifahrer-Stories sind wirklich spannend.
– Meinst du, Wanda? Eigentlich kein schlechter Vorschlag. Ich habe auch ein paarmal daran gedacht. Gut, mache ich! Vielleicht noch heute.
Ein alter Kunde. Ich meine, nicht wirklich alt, sicher unter fünfzig, mir aber seit Monaten bekannt: Ein ruhiger, angenehmer Mann, beim Bezahlen großzügig, rundet meistens schön auf; oft nicht ganz nüchtern. Wenn er genug intus hat, lässt er das Auto vor seinem Büro stehen und ruft mich an.
Vor etwa einer Woche fragte er sogar nach meinem Namen. Trotzdem sprach er mich dann nur mit «Chef» an; später gab er zu, dass er meinen Namen nicht mehr präsent habe.
- Vladimir, sagte ich, - bei Freunden nur Vlado.
- Klar, jetzt haben wir es, danke! Vladimir ... wie Majakowski oder Lenin.
- Richtig, lassen Sie aber den Lenin bitte bei Seite.
Er lachte und wollte wissen warum. Bei Gelegenheit müsse ich ihm den Unterschied erklären.
Ich nickte: - Tue ich gerne, den gibt es.
Unsere interessanteste Fahrt liegt drei Tage zurück. Die Abfahrtszeit: Abend, etwa acht Uhr; der Zustand: Halbnüchtern; die Gesprächsbereitschaft: Viel größer als bei den vergangenen Reisen.
- Herr Vladimir, sagte er, - heute bin ich Strohwitwer, diesmal stinkt es mir besonders, deshalb würde ich Sie gerne einladen. Zu einem Drink, Imbiss, von mir aus auch zu einem Abendessen ... wenn Sie Zeit haben, wenn es Ihr Dienst erlaubt. Ich kenne unterwegs ein paar Lokale, wir finden sicher etwas, das Ihnen gefällt ... ist das nicht eine gute Idee?
- Eine sehr gute. Danke! Es muss kein Imbiss sein, zu einem Drink will ich aber nicht nein sagen.
Er freute sich über die Zusage, tätschelte meinen Arm und meinte, jetzt haben wir nur die Qual der Wahl.
- Warum?, fragte ich. - Wir nehmen einfach das erste Lokal, das Sie gut kennen und in dem Sie sich wohlfühlen.
«Zum Bären». Ich kannte das Restaurant nicht. Halb leer, relativ ruhig. Es roch angenehm. Er entschied sich für einen Tisch an der Wand; wir saßen nicht vis-à-vis, sondern übers Eck, waren uns also relativ nah. Die Sitzordnung bestimmte mein Autogast, der demnächst auch mein Gastgeber werden wollte.
- Für den Anfang, meinte er, - wäre mir ein Bier recht, etwas gegen den Durst. Bei einem Bier soll es allerdings nicht bleiben. Die Küche ist hier gut, ich kenne den Wirt seit Jahren; natürlich, es hängt davon ab, wieviel Zeit Sie haben.
- Das ist der Punkt, sagte ich. - Heute nicht viel, eine halbe Stunde liegt aber drin.
Er wollte ein Pils, ich schloss mich an; ein kleines. Das Gewünschte stand in zwei Minuten auf unserem Tisch. Er freute sich.
- Also Prost, Herr Vladimir! Ich treffe oft Leute in meinem Büro, ab und zu auch in einem Lokal, das gehört zu meinem Beruf; Franzosen, Engländer, Südeuropäer eher selten. Mit einem Polen saß ich noch nie an einem Tisch.
- Gehört zu meinem Beruf, sagten Sie. - Darf ich fragen, welcher Beruf?
- Oh, Ihr Interesse freut mich! Ich bin Beamter, Beamter in einem Finanzamt. Hie und da betätige ich mich auch als Wirtschaftsberater, dann privat ... Sie schauen mich so ernst an, die Kombination ist heikel, ist mir ja bewusst. Ich kenne aber die Grenzen ... und Sie? Wie oft überschreiten Sie Ihre Grenzen? Ich meine es buchstäblich, die Staatsgrenzen; wie häufig fahren Sie in Ihre polnische Heimat?
- Nicht mehr so oft, etwa dreimal im Jahr. Am Anfang war es viel häufiger.
- München ist nicht gerade um die Ecke, fünf, sechs Stunden brauchen Sie wahrscheinlich.
- Eher mehr. Pausen sollte man miteinplanen, ohne die geht es nicht, nicht ohne Risiko.
Der Wirt kam. Mein Kunde kannte ihn offensichtlich gut, er sprach mit ihm im Dialekt und sehr schnell,