Alarmstufe Weiß: Kurzgeschichten in Schräglage
Von Loti Kioske
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Über dieses E-Book
Provokant und gallig führt er dem Leser mit feiner Ironie und fataler Präzision die Menschen in seiner Umgebung vor: scheintote Kleinstadtpassanten, Konsumterroristen und Endverbraucher in provinziellen Supermärkten - Menschen, die im Kollektiv Richtung geistiges Niemandsland treiben.
Er gewährt Einblicke in ein Leben, das zum Glück nicht jeder führt und lässt den Außenstehenden irgendwo zwischen Lachen und Heulen, Schadenfreude und Bestürzung allein zurück ...
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Buchvorschau
Alarmstufe Weiß - Loti Kioske
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Neue Welt. Impressionen
Fitte Schweine
Alarmstufe Weiss
Jeder jeden Tag mit guter Bilanz
Mit IGUANA nach MONTANA
Besuch in der Dunkelheit
Der Furz der alten Frau
Thomas ist kein Boxenluder
Vom Mensch zum Verbraucher
König am Sonntag
Hund im Nebel
Shotover – Der nahe Tod
Endstation 42
Der Bürgermeister von Rostock
Jeder Kiwi-Deutsche am Samstag auf die Koitsche
Frühjahrsputz im Bienenhaus
Liebeserklärung
Unser Haus Israel
Urlaubsgrüße aus Holland
Urlaubsgrüße aus Jugoslawien
Loti Kioske
Alarmstufe Weiß
Kurzgeschichten in Schräglage
Verlag Neue Literatur 2013
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig.
© by Verlag Neue Literatur
www.verlag-neue-literatur.com
2. Auflage | Illustrationen: Joshua Folaji | Gesamtherstellung: Satzart Plauen
ISBN 978-3-940085-08-5
Gewidmet allen politisch unkorrekten Freigeistern, allen Menschen, die die Wirklichkeit lieben, und besonders meinem Bruder Uwe.
Spezieller Dank gilt Grit Werner, Joshua Folaji, Peter Dörmer, Thomas Hönel, Götz Friederich und meinen Zittauer Freunden.
Vorwort
Die Ideen für die Geschichten in diesem Buch sind der erlebten Wirklichkeit des Autors entnommen. Er schrieb sie in den Jahren von 2005 bis 2010. Viele von ihnen werfen ein Schlaglicht auf das einfache Leben im östlichen Teil Deutschlands, wo Loti Kioske geboren wurde und viele Jahre lebte.
Zittau, gelegen im Dreiländereck Deutschland, Tschechien, Polen, steht in seiner gegenwärtigen Situation stellvertretend für viele ländliche Regionen rechts des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Die meisten Texte porträtieren und kolportieren Nachwirkungen und soziologische Hinterlassenschaften des DDR-Sozialismus’. Manche mögen sich etwas böse oder verletzend lesen, sie sind aber nicht so gemeint. Es ist besser, man versteht sie als Satire.
Da Zittau zwei Grenzübergänge zu Polen hat, sind natürlich auch Abenteuer und Zwischenfälle bei unseren Freunden im Nachbarland Bestandteil dieses Buches. Außerdem hat Loti Kioske gute Freunde in Albanien. Erlebnisse in Tirana, der Hauptstadt dieses weitestgehend unbekannten Balkanlandes, verarbeitete er ebenfalls in einer Geschichte …
Neue Welt. Impressionen
Anfang des Jahres 2010 hat es mich nach Brandenburg verschlagen. Und zwar nicht im Rahmen einer Wochenendflucht aus der Oberlausitz, sondern dauerhaft. Und nicht an irgendeinen Ort in den entmenschten Weiten der Mark Brandenburg mit ihren Alleen, auf denen gepiercte Siebzehn-, Achtzehnjährige mit ihren Tuningmonstern gern öfters in die Bäume gurken, sondern direkt ins Herz des derzeit friedseligen preußischen Militarismus’, nach Potsdam.
Die Verbundenheit zur malerischen Oberlausitz möchte ich ab sofort lieber aus der Ferne genießen. Wie ein Soldat, der – fernab der heimatlichen Scholle stationiert – ab und zu seiner Freundin gedenkt. Nur, dass der Wehrdienst hier keinen Entlassungstermin mit finaler Heimreise und Hochzeitsfeier vorsieht. Höchstens aller paar Wochen Kurzurlaube über Samstag/Sonntag, die bei der NVA mit KU abgekürzt wurden, beziehungsweise mit VKU, verlängerte Kurzurlaube, bei denen man den Zug schon am Freitag mit dem Schnapsflaschenbeutel besteigen durfte. Manchmal bedeutet Liebe eben auch, dass man sich gegenseitig in Ruhe lässt. Hält die Beziehung der Trennung stand, so hat sie Kern und Mark, zerbricht sie daran, dann kullern vielleicht Tränen, aber das legt sich. Kürzlich las ich in einer Potsdamer Kneipe auf einer hinter dem Tresen angepinnten Postkarte: Das Leben ist hart, aber es geht vorbei.
Nun denn.
Apropos »nun denn«. Um Haaresbreite wäre Hamburg mein neues Domizil geworden. Im letzten Jahr habe ich mich eine Woche lang in einem schnuckeligen Hotel im Nobelstadtteil Sankt Georg einquartiert, um die Lage in der Hansestadt vor Ort zu peilen. Täglich landete ich spätabends in dieser Kaschemme direkt gegenüber des Hotels. Jede Nacht geisterten dort dieselben Gestalten durch die Zigarettenqualmschwaden und jeden Abend hockte dieselbe Frau am Tresen. Blaue Augen. Aber blau waren nicht nur ihre Augen. Bevor sie anfing mit Saufen, muss sie mal ’ne hübsche Dirn gewesen sein. Jetzt mit vielleicht Ende dreißig waren nur noch Reste vom Putz haften geblieben. Als ich mich mal über die Tresenecke zu ihr rüberbeugte, entdeckte ich unter ihrer noch recht raumgreifenden Brust einen in Hochpotenz raumgreifenden Arsch, der den halben Gang hinter ihr versperrte und den sie auf ihrem Barhocker ständig hin und her balancieren musste, um nicht plötzlich unterzugehen – was ihr leider nicht durchgehend glückte. Immer wenn ich reinkam, lächelte sie mich an mit ihrem Zehn-doppelte-Wodka-Orange-Gesicht und sagte:
»Ich bin die Petra. Und wer bist du?«
Ich antwortete stets:
»Hallo Petra. Ich bin Erik.«
Daraufhin schnaufte sie jedes Mal tief wie eine Stute, hob ihr Glas und seufzte:
»Nun denn … Prost.«
Dieses Frage-Antwort-Ritual wiederholte sich aller zehn bis fünfzehn Minuten und, wie gesagt, allabendlich in dieser Woche. Nun denn. Hamburg wurde es nicht.
Wenn Helmut Kohl nach dem Mauerfall die verzauberten DDRler in blühende Landschaften zu führen versprach, so sind die heute im Falle Potsdams Wirklichkeit. Überall regt sich Bildung und Streben. Es ist beinahe erschreckend und es kann einem richtig Angst machen. Die Freundlichkeit, Offenheit und Entspanntheit der Menschen, mit der man sich hier als im ostsächsischen Blinddarm sozialisierte Kreatur konfrontiert sieht. Während in der Oberlausitz pausenlos Rentner ihre Rollatoren durchs Bild schieben, so schieben in Potsdam fröhliche Mütter ihre Kinderwagen. Das kann doch nicht wahr sein! Da gibt es wirklich Leute, die lächeln mich auf der Straße an! Meinen die das ernst? Ich glaub es nicht. Wollen die mir irgendwas? Ringsum nur erwachsene Menschen. Nirgends geplagte DDR-Bürger mit ihrem öffentlichen Gejammer und Gefuchtel im BILD-dir-deine-Meinung-Modus. Wo sind die dahergelatschten Knilche, die mich mit ihren Schießschartenaugen mustern, als wäre ich der Mann vom Mond, der gefälligst wieder verschwinden soll? Wo sind die dicken Piercingschweinchen, die sich dauernd auf die Lippen beißen? Wo die sitzen gelassenen Mittvierziger-Muttis, die mich in der Kassenschlange im KAUFLAND anstieren mit jener typischen Gesichtsmaske aus Enttäuschung, Neid und Vorwurf – so als trüge ich persönlich die Schuld an ihrem vermasselten Schicksal? Wo sind die verbarteten Helden der Baustelle, die mittags im Fleischerimbiss weder »Guten Tag«, noch »bitte« und »danke« herausbekommen und der Verkäuferin mit Brummbass und Händen in den Hosentaschen ein »Nudeln, Gulasch!!!!« zugrunzen? Wo?? Hier ist alles so unheimlich schön und nett! Überall schöne, nette Menschen. Okay, ich war noch nicht im Neubaustadtteil Schlaatz. Ich müsste gleich mal eine Forschungsreise dorthin unternehmen. Vielleicht gibt es da noch Restpopulationen des Homo Sozialismus’, die sich in den zwanzig Jahren seit dem Mauerfall erfolgreich von der Außenwelt abschotten konnten. Denen es gelungen ist, immer unter sich zu bleiben und die bis heute die Kommunikation mit fremden Menschen nicht erlernt haben …
Die Potsdamer hätten auch ihre Macken, so sagen meine neuen Freunde in der unscheinBAR bei mir um die Ecke. Ich würde das schon noch merken. Sicher, nach einem halben Jahr ist man noch nicht ganz drin und irgendwas ist ja bekanntlich immer. Aber wo soll das sein? Ich werde suchen müssen, denn ich brauche dringend wieder Hass! Hass, die Triebfeder aller Kreativität, allen Strebens, allen Lebens. Lieber Gott, gib mir neuen Hass!
Manchmal, wenn ich die Oberlausitz vermisse, fahre ich in die Kleinstädte im Brandenburger Umland. Dort wird mein Phantomschmerz gelindert. Zum Beispiel während der letzten Fußball-WM. Da rollten sie wieder Patrouille, die jungen Mehrfachbeflaggten, und