Alles schick in Kreuzberg: Unter Touristen, Pennern Gentrifizierten
Von Klaus Bittermann
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Einen Reim kann er sich nicht darauf machen, aber er weiß ganz sicher: Das alles wird sich irgendwann mal aufklären.
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Buchvorschau
Alles schick in Kreuzberg - Klaus Bittermann
Klaus Bittermann
Alles schick in Kreuzberg
Unter Touristen, Pennern, Gentrifizierten
FUEGO
- Über dieses Buch -
Und wieder versucht Klaus Bittermann herauszufinden, wie weit die Gentrifizierung in seinem Viertel in Kreuzberg gediehen ist. Er beobachtet eine wundersame Vermehrung junger Franzosen, Engländer und Spanier, er ist den »Miethaien« auf der Spur, die sich als harmlose Rentner tarnen, er bestaunt eine Schießerei auf dem Spielplatz vor seiner Tür, in der es sehr alttestamentarisch zugeht, er schlägt sich im Wellness-Bereich des Berliner Zolls durch, er isst kontaminiertes Sushi, um erleuchtet zu werden, er lernt einen Mann kennen, der mit Teelichtern heizt, er demonstriert vor dem Springer-Hochhaus, wo Bild die rote Karte gezeigt wird, und er recherchiert in einem Tätowierstudio. Einen Reim kann er sich nicht darauf machen, aber er weiß ganz sicher: Das alles wird sich irgendwann mal aufklären.
»Für jemanden, dem vor Berlin so graut wie mir, ist dieses Buch ein Quell der Freude: Berlin kann ja auch komisch und menschlich sein!!! Mit Bittermanns Blick fahre ich jetzt wieder gern hin.«
Elke Heidenreich
»Bittermann schreibt, wie Zille zeichnete. Und das liest sich, als würde man Tom Waits hören. Wunderbare Miniaturen des Alltags. Klaus Bittermann ist ein manchmal melancholischer Chronist, der grinsend durch sein Berlin streift.«
Bernd Gieseking
»Bittermann setzt der Welt, wie sie ist, eine Haltung des unbeugsamen Eigensinns entgegen. Bittermann, der ewig junge, rebellische Weltzuschauer, schweift umher und beweist im absichtslosen Nebenbei, wofür das Leben wirklich lohnt.«
Brigitta Lindemann, WDR
Für Tania
Bierflaschenhalter
Seitdem mich jemand als einen »Walter Benjaminschen Flaneur« bezeichnet hat, bin ich etwas gehemmt, denn meine Kontrollgänge durch das Viertel sind ganz profan, außerdem geht ein richtiger Flaneur mit einer Schildkröte an der Leine spazieren, während ich es meistens recht eilig habe. Ich wüsste gar nicht, wo ich so eine Schildkröte herkriegen sollte. Ich meine eine Galapagos-Schildkröte, die ein bisschen auffällt, denn sonst denken die Leute nur: »Steht halt ein Mann rum«, weil sie die Schildkröte gar nicht sehen, oder sie denken, wenn sie die Schildkröte doch sehen: »Was macht denn die Schildkröte auf der Straße?«
Ich versuche mich trotzdem mal als Walter Benjamin’scher Flaneur. Als Erstes fällt mir auf, dass in einigen Ecken unauffällig Rentner sitzen. Sie bewegen sich nicht, befinden sich aber in Begleitung eines Hackenporsches. Es ist sehr kalt, weshalb ich denke, dass die Rentner ganz schön abgehärtet sind. Die jüngere Generation ist das nicht. Sie ist nicht zu sehen, nicht mal auf der Admiralbrücke, obwohl man dort inzwischen bequem seine Bierflasche in einen Bierflaschenhalter stecken kann und die Hand wieder in die warme Hosentasche.
Der Bierflaschenhalter kann mindestens zwanzig Bierflaschen halten und ist angekettet, damit ihn niemand mitnehmen kann. Er erinnert mich an den Flaschentrockner von Marcel Duchamp, aber zu dieser Berühmtheit wird es der Bierflaschenhalter wohl nicht bringen.
Am Kanal treffe ich doch noch Einen aus der jüngeren Generation. Er trägt Bart und lange Haare und ist ebenfalls unauffällig, bis er auf einmal anfängt, wild mit den Armen zu rudern und tänzelnde Schritte zu machen, wobei beide Bewegungen eher disharmonisch sind. Mit einer Schildkröte hätte ich mir das jetzt genau angucken können, ohne dass es aufgefallen wäre, so aber will ich nicht einfach stehenbleiben und den Mann anglotzen, der dann wahrscheinlich denken würde, ich hätte sie nicht mehr alle.
Miethaie raus
Fup und ich stehen am Straßenrand und gaffen. An uns vorbei ziehen Demonstranten, die gegen Mieterhöhung in Kreuzberg demonstrieren. Die Demonstranten rufen: »Leute, lasst das Gaffen sein, kommt herunter, reiht euch ein!« Also lassen wir das Gaffen sein und reihen uns ein. Bleibt einem ja nichts anderes übrig, denke ich, obwohl das natürlich nicht stimmt, aber früher habe ich das selbst mal gerufen, und weil da nie jemand auf mich gehört hat, denke ich, muss jemand mal mit gutem Beispiel vorangehen. Zum Beispiel ich. Und Fup. Schließlich will man ja die Demonstranten nicht unnötig frustrieren, indem man ihnen demonstrativ zeigt, dass man einfach weiter gafft.
Früher waren es allerdings »Bürger« statt »Leute«, die man aufgefordert hat, sich einzureihen, und bei den Bürgern ist es eigentlich kein Wunder, dass sie nicht auf mich gehört haben, denn die wollten, dass ich »nach drüben« ginge. Inzwischen gibt es kein »drüben« mehr, und außerdem habe ich den Eindruck, dass es auch keine Bürger mehr gibt.
Wir laufen hinter einem Wagen her, auf dem Hip-Hop gespielt wird. Das gefällt Fup. Aber es werden auch politische Ansprachen gehalten. Alle sollen in ihren Wohnungen bleiben dürfen, auch die Alkoholiker, nur die »Miethaie« sollen verschwinden. Und Parolen werden gerufen: »Mietenstopp – hopphopphopp!«
Die Anarchisten der FAU tragen rote Fahnen, auf denen schwarz FAU steht. Die SDAJ hat auch rote Fahnen mit ihrem Namen drauf, damit man sie nicht verwechselt. Viele Leute tragen aber lieber Pappschilder. Auf denen steht »Miethaie raus« und »Die verdammte Miete ist zu hoch«.
FotografieAm Straßenrand stemmt sich ein etwas nachlässig gekleideter Mann gegen den Demonstrationszug und verteilt ganz kleine blaue Zettel, auf denen er für ein »Gratiseinkommen« eintritt. Ein Mann in bunten Freizeithosen trägt mit seiner Freundin ein Transparent, das von hinten aussieht wie eine Tapete, vorne aber steht drauf: »Bonze, wir wissen, wo dein Auto steht!« Bonze? Von dem habe ich ja schon lange nichts mehr gehört. Bestimmt schon seit dreißig Jahren nicht mehr. Der war so tot wie der Bürger heute. Und jetzt fährt er plötzlich wieder Auto. Und die Leute wissen sogar, wo es steht. Verrückt, denke ich, aber irgendwie auch toll.
Fup gefällt Hip-Hop immer noch.
Bis es knallt
Nach viereinhalb Stunden mit der Deutschen Bahn bin ich reif für ein Sanatorium. Ich bin mit Hertha-Fans in einem Abteil eingepfercht. Die Klimaanlage ist ausgefallen, vielleicht aber schafft sie es einfach nicht mehr, die ganzen Ausdünstungen zu entsorgen, die sehr viele Hertha-Fankörper absondern. Viele liegen auf dem Boden herum und essen aus kleinen Schachteln und Tüten, auf denen McDonald’s steht. Noch mehr haben Bierdosen in der Hand, und wenn sie auf dem Boden keinen Platz mehr gefunden haben, lehnen sie sich an andere Hertha-Fans, die auch Bierdosen in der Hand halten, zur Not lehnen sie sich auch an Reisende, die so aussehen, als würden sie zum ersten Mal mit Hertha-Fans zu tun haben und bei denen es unschwer zu erraten ist, dass ihnen unablässig: »Das Grauen, das Grauen«, durch den Kopf geht, obwohl sie Joseph Conrad gar nicht kennen.
Ein Hertha-Fan, der dieser Vorstellung vom Grauen sehr gut entspricht, hat sein Hertha-Shirt ausgezogen und zeigt seine zahlreichen Tätowierungen. Sein Gesicht ist scharf geschnitten, und wenn er grinst, kommt eine intakte Zahnleiste mit viel Gold zum Vorschein. Er erzählt mir etwas, aber ich verstehe ihn nicht. Ich nicke zustimmend mit dem Kopf, weil es mir nüchtern schwerfällt, mich mit jemandem zu unterhalten, der breit wie ein Moschusochse ist. Zusätzlich wird unsere Kommunikation dadurch erschwert, dass ich nach fünf Versuchen der Kontaktaufnahme immer noch nicht weiß, worum es geht. Als sich unsere Wege trennen, ruft er mir hinterher: »Ich hab heute noch Sex. Und zwar jaaanz lange.« Dabei zeigt er seine Zähne und lacht.
An der Bushaltestelle stehe ich mit jungen Leuten zusammen, die gerade eine Polizeiausbildung machen. Einer erzählt, wem er als Erstem »die Fresse polieren« würde, und dass er in der Gosse gelandet wäre, wäre er nicht bei der Polizei gelandet.
Im Bus steigen drei ältere Herren in Freizeitkleidung hinzu. Sie befinden sich gerade auf der Rolle. Sie sind Vertreter auf der Suche nach ein bisschen Spaß. Ein Vertreter erklärt dem anderen Vertreter, wie man Bus fährt: »Und jetzt das Ding ganz langsam in den Schlitz schieben, bis es knallt.« Die drei lachen, und einer wiederholt zur Sicherheit noch mal: »Bis es knallt.« Und dann lachen sie noch mal.
Draußen in der Dunkelheit rauscht ein großes Plakat vorbei, auf dem mich Wowereit angrinst und behauptet, er würde »Berlin verstehen«. Viel Spaß, denke ich, und schließe Augen und Ohren.
Kontaminiertes Sushi
Ich sitze bei einem Japaner auf dem Kottbusser Damm und bestelle kontaminiertes Sushi. Eigentlich nur Sushi, ohne Kontaminierung, aber die soll es ja angeblich gratis dazugeben. Und noch eigentlicher bestelle ich weder Sushi noch kontaminiertes Sushi, sondern die 140. Sechs Stück. Vor dieser 140 sitze ich also, ein bisschen in der Erwartung, erleuchtet zu werden, was natürlich Quatsch ist, aber man passt sich der Gegend an, in der man sich gerade befindet. Und wenn ich mich auf dem Kottbusser Damm befinde, dann gehen mir eben solche völlig unnützen Gedanken durch den Kopf. Und auf dem Kottbusser Damm wiederum befinde ich mich, weil ich ja auch ab und zu aus dem »Graefekiez« raus muss, in dem jeder Zweite die Grünen wählt und sogar der neben mir wohnende Müntefering einer Minderheit angehört, und ich als PARTEI-Wähler noch mehr, obwohl die PARTEI mit 2,8 Prozent im Viertel ein Traumergebnis erzielt hat.
»Haste mal 50 Cent? Ick hab heute noch nichts gegessen«, sagt eine Frau, die man nicht für eine Bettlerin halten würde, wenn sie nicht bettelte. Sie wiederholt ihren Spruch mit einer kaum kaschierten Aggressivität und in erstaunlicher Geschwindigkeit, als wollte sie sich keinen der zahlreich an ihr vorbeihastenden Passanten durch die Lappen gehen lassen.
Ich schiebe mir gerade das zweite Stück 140 in den Mund, als es auch mich erwischt, aber da ich kein 50-Cent-Stück habe, blicke ich nur kurz auf und hebe bedauernd die Schultern. »Biste ‘n Spanner, oder wat?«, sagt sie und geht weiter. Das gibt mir zu denken, aber ich komme zu keinem Ergebnis.
Schließlich kommt sie zurück. Ich gehe in Deckung. Sie steht vor einer Haustür und drückt auf Klingeln. Ein älterer Türke kommt heraus. »Wie kommt man denn hier rein, wenn man in dem Hotel hier wohnen will?«, fragt die Bettlerin. Hotel? Bettelt, um sich ein Hotelzimmer leisten zu können? Warum nicht, denke ich.
Kaum aber hat der Türke den Mund aufgemacht, zischt sie: »Mit Ausländern will ich ja jetzt echt nix zu tun haben«, und verschwindet ein weiteres Mal.
Gottseidank hatte ich keine 50 Cent dabei. Die kann ruhig noch ein bisschen hungern.
Hit the Road, Jack
Morgens zur Zeitungslesezeit begebe ich mich zu »Monsieur Ibrahim«, um Zeitung zu lesen, diesmal jedoch nicht die übliche Presse, sondern das neueste Journal von Miss Trixie. Vierfarbig, kleinformatig und in nur einem Exemplar verfügbar. Ich lese in »Vermischtes«:
»In China stürzte sich ein Mann von einem siebenstockwertigen Hochhaus runter. Süchater hatten sich 4 Jahre lang um ihn gekümmert. Dass er wieder Lust am Leben hat. Die Süchater waren Profis und haben sich sehr Mühe gemacht. Experten fragen sich nun, warum es nicht geholfen hat. Wahrscheinlich war er unbeliebt, auch in der Schule. Man glaubt auch, dass er kranke Verwandte hat und sich Sorgen gemacht hat. Polizisten versuchen jetzt auch was herauszufinden.«
Ich bin hingerissen und deprimiert zugleich. Da versuche ich, lustige und hinterhältige Texte zu schreiben, und dann kommt eine zehnjährige Göre daher, noch dazu meine eigene Tochter, und zeigt mir mal ganz nebenbei, wie ein lustiger und hinterhältiger Text aussieht. Ich glaube, jetzt könnte ich auch einen Süchater gebrauchen.
Aber den könnten hier viele gebrauchen. Zum Beispiel der Mann vor Kaiser’s, der die Motz feilbietet wie ich das sonst nur von den Zeugen Jehovas kenne. Er hält sie stumm vor seine Brust wie ein Mahnmal der Anklage. Obwohl, bei dem würde ein Süchater auch nichts nützen. Geld würde schon reichen. Auch bei dem Mann, der aus einem Abfallkorb einen Coffee-to-go-Pappbecher herausfischt, den Deckel abmacht, den Kaffeerest ausschüttet und den Becher dann mitnimmt. Nur am Geld kann das nicht liegen, jedenfalls nicht im Sinne von: »Ich bräuchte jetzt einen Pappbecher, kann mir aber keinen leisten.«
In der U-Bahn-Linie 1 entern drei Spanier den Waggon. Zwei haben Trompeten dabei, einer ein Plastikharmonium, und dann haben sie auch noch eine fette Box mit Anlage dabei, die sie auf einem Hackenporsche hinter sich herziehen. Einer sagt irgendwas auf Spanisch, das ich nicht verstehe, außer »bruta«, und dann dröhnt »Hit The Road, Jack« von Ray Charles aus der Box. Sie tun so, als ob sie mitspielen würden, aber nur ein bisschen. Dann geht einer mit einem Coffee-to-go-Pappbecher herum. Es dämmert mir. Klar, wofür sonst