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Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt: Wie ich gelernt habe, die Heimat in mir zu finden
Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt: Wie ich gelernt habe, die Heimat in mir zu finden
Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt: Wie ich gelernt habe, die Heimat in mir zu finden
eBook245 Seiten3 Stunden

Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt: Wie ich gelernt habe, die Heimat in mir zu finden

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Über dieses E-Book

Das Folgebuch des Bestsellers "Wenn der Jasmin auswandert" trifft zielgenau mitten ins Herz.

Jad Turjman erzählt, wie es ihm erging, nachdem seine Flucht aus Syrien gelang und er in Österreich eine neue Heimat fand. In seiner Reflexion über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Kulturen erzählt Jad Turjman, in welche Fettnäpfchen ein Syrer durch den Mangel an Sprachkenntnissen treten kann und mit welchen Rassismen er konfrontiert ist. Turjman fragt, wie ein Mensch traumatische Ereignisse verarbeiten kann, und beschreibt seine persönlichen Therapieerlebnisse. Das Folgebuch von "Wenn der Jasmin auswandert" ist vielschichtig, humorvoll und tiefgehend. Nach einem tödlichen Unfall des Autors ist das vorliegend Buch als sein Vermächtnis zu lesen.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum13. Sept. 2022
ISBN9783701746842
Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt: Wie ich gelernt habe, die Heimat in mir zu finden

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    Buchvorschau

    Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt - Jad Turjman

    Österreich ist ein wunderschönes Land. Du wirst schnell Freunde finden

    »Du kannst dich jetzt anziehen. Und warte hier, wir kommen wieder«, teilte mir einer der beiden Polizisten mit, ehe sie die Zelle verließen. Zuvor passierte etwas Unangenehmes: Ich wurde nackt abgetastet, was ich zuvor noch nie erlebt hatte. Ich bin normalerweise gschamig, aber in dieser Situation blieb ich eiskalt. Die Polizisten nahmen alles mit, bis auf die versteckten fünfzig Euro in der Tasche in meiner Unterhose, die meine Schwester an dem Abend, bevor ich Damaskus verließ, provisorisch mit der Hand eingenäht hatte. Ich fragte mich, was wäre, wenn sie das Geld entdeckt hätten? Dann wäre mein Vermögen um fünfzig Euro geschrumpft, also von fünfzig Euro auf null. Es war ein verdammt befreiendes Gefühl, von den Trümmern der Welt nur fünfzig Euro übrig zu haben. Ich fühlte mich so leicht, ich musste mir keine Sorgen um die Zukunft machen. Ich brauchte keine Pläne, wofür ich mein Geld ausgeben würde. Ich zog mich wieder an und setzte mich auf das kleine Metallbett, den einzigen Einrichtungsgegenstand in der Zelle. Ich blickte aus dem Fenster. Es war dunkel geworden. Die Straße war ruhig, einige Laternen beleuchteten sie notdürftig. Sie war auch auffallend sauber. Das war kein üblicher Anblick für meine Augen. Das der Polizeistation gegenüberliegende Gebäude war ein Wohnhaus. Ich beobachtete einige Menschen in ihren Wohnungen. Eine Familie aß gerade in der Küche das Abendessen. Es wirkte fast befremdlich, aber auch beruhigend, Menschen zu beobachten, die einen normalen Alltag lebten.

    Erleichterung erfasste mich. Ich hatte das Gefühl, die Reise, die Flucht, ist beendet. Obwohl ich in diesem Land keinen Menschen kannte, spürte ich eine tiefe Ruhe in mir. Ich hatte kein Bedürfnis weiterzuziehen. Ich bleibe hier. Der ältere Polizist, der mich im Zug aufgegriffen hatte, sagte auf Englisch: »Österreich ist ein wunderschönes Land. Du wirst schnell Freunde finden.« Mit dieser Prophezeiung hatte der Polizist vollkommen recht. Er irritierte mich allerdings mit dem Namen des Landes, Austria. Was ist das? Das Land heißt auf Arabisch Al-Nimmsa. Er sprach den Namen das erste Mal so undeutlich aus, dass ich für einen Augenblick dachte, ich würde schlafen und träumen. Australien? Das kann nicht wahr sein! Das ist viel zu weit weg!

    Dann öffnete sich die Tür wieder. Es war derselbe alte Polizist vom Bahnhof. »I wish you very luck«, versuchte er mühevoll Englisch zu reden und gab mir die Hand. Ich sah in seinen Augen und an seinem Gesicht, dass er gerne noch etwas gesagt hätte, aber er war etwas nervös. So winkte er mir nur lächelnd zu und verließ den Raum. Da begann mein Erstaunen über die Freundlichkeit dieses Volkes. Von dieser Freundlichkeit werde ich dir, liebe:r Leser:in, später mehr erzählen. Ich habe dich schon geduzt, weil wir im Flachgau, meiner neuen Heimat, mit sympathischen Menschen, wie du einer bist, gerne per du sind. Als Araber hat mir diese Sie-Form große Verwirrung beschert. Es ist nicht so, dass es im Arabischen keine Höflichkeitsanrede gibt, aber nicht so wie im Deutschen. Man verwendet das Ansprechen in der dritten Person, der Höflichkeitsform, bei besonders hoch angesehenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wobei ich als Kind auch meinen Opa so ansprechen musste: »Wie geht es Euch, Opa, was habt Ihr heute gemacht?« Auf Deutsch verstand ich anfangs die Sie-Form als eine Art Anrede. »Sie, wie geht’s dir? Sie, kommst du mit? Sie, kann ich dich etwas fragen?« Ich glaube, das war nicht nur für mich verwirrend, sondern auch für meine Mitmenschen. »Du kannst nicht die Leser:innen so einfach duzen. Manche Menschen wollen das vielleicht nicht«, sagte mir eine Freundin, die Doris, beim Überarbeiten dieses Textes. Also werde ich dich, liebe:r Leser:in, wieder siezen. Ich höre jetzt aber eine:n Leser:in sagen: »Von mir aus kemma uns oba a duzen«. Dich werde ich ausnahmsweise duzen. Lass mich aber jetzt weitererzählen.

    Die Worte dieses alten Polizisten am Bahnsteig haben mir nachhaltig Hoffnung gegeben. Es war der erste Rückhalt, den ich in Österreich erfuhr. Hoffentlich erreichen ihn diese Worte. Man unterschätzt oft die Wirkung der eigenen Äußerungen. Auf Arabisch gibt es ein Sprichwort, das besagt: »Mit einem Wort kannst du einen Menschen töten oder ihn lebendig machen.« Ein anderes, welches von der Gastfreundlichkeit handelt, lautet: »Komm mir lächelnd entgegen, und gib mir nichts zu essen.« Das bedeutet, dass die Art, wie du mir begegnest, wichtiger ist als das, was du mir anbietest.

    Ungefähr eine Stunde später holten mich die Polizisten aus der Zelle und wir fuhren zum Erstaufnahmezentrum nach Thalham. Die Fahrt dauerte eine gute Stunde. Ich war erstaunt, wie respektvoll diese Polizisten mit mir umgingen. Das ist in Syrien gar nicht üblich. Vor lauter Erschöpfung schlief ich ein. Ich kann mich an diesen Abend schwer erinnern. Ich weiß nur, dass beim Ankommen die Polizist:innen des Erstaufnahmezentrums meine Fingerabdrücke nahmen und mich für den Asylausweis fotografierten. Wenn ich heute auf das Foto dieses Ausweises blicke, wird mir bewusst, in welchem Zustand ich damals war. Ich schaue wie ein verlassener Hund aus, der seit drei Wochen auf der Straße lebt. Am Ende der Aufnahmeprozedur bekam ich mein Handy zurück und wurde einem Achtbettzimmer mit sieben Männern aus Nigeria zugewiesen. Ich habe von den zwei Tagen in Thalham nur wenig Erinnerung, weil ich immer wieder stundenlang schlief. Ich kann mich an das gute, warme Essen erinnern. Auch an die nette Hausärztin, die mich von meinem Elend befreite. Mein Inneres war nach der Flucht versteinert, und ich konnte es nicht entleeren. Sie gab mir eine Wundermedizin, sodass ich den Rest des Tages auf der Toilette verbringen musste. Der Betreuer Tom hinterließ ebenfalls einen starken Eindruck in diesen zwei Tagen. Er merkte, dass ich in den Klamotten, die ich trug, auch nachts schlief, weil ich nichts zum Wechseln hatte. Daher brachte er mich in den Keller, in einen Raum voll gebrauchter Kleidung, die gespendet worden war. Am Anfang getraute ich mich nicht, etwas zu nehmen. Mein Stolz bremste mich. Aber Tom verstand das Spiel und mit Schulterklopfen meinte er: »Nimm es einfach, du brauchst es.« In Syrien legte ich viel Wert auf mein Aussehen, aber in diesem Lebensabschnitt hatten Mode und Farbkombinationen keine Priorität. Ich kam wie ein Clown wieder heraus, mit farbenfrohem

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