Es ist unangenehm im Sonnensystem
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Über dieses E-Book
"Ich hätte meinen Schmerz am liebsten idiotisch.
Ich würde mit ihm um die Wette schrein.
Den Nachbarn würd ich sagen, ich lern Gotisch.
Und meine Katzen (sag ich) quietschen oft allein."
Amanshauser schickt seine literarischen Miniaturen, in denen er Großes verhandelt, aus allen Ecken der Welt, bleibt in Herz und Feder aber immer österreichisch – also skeptisch – und auf dem Boden, den Artmann, Jandl & Co. einst bereitet haben. Durchzogen von feinem Witz, einer guten Portion Selbstironie, realistischer Melancholie, immer scharf beobachtend, schreibt er sich durch die Welt und lässt die Lesenden teilhaben am Allgemeingültigen aus seinem Gefühlskosmos. Was dabei entsteht, sind Texte, die auf jedem Planeten verständlich sind. Aber keine Sorge: Martin Amanshausers Lyrik bleibt stets erfrischend erdverbunden. Wenn sie uns nicht gerade einen Schlag auf den Kopf versetzt.
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Buchvorschau
Es ist unangenehm im Sonnensystem - Martin Amanshauser
(1) Kein Roman vom armen M. A.
ich wollte nie eine kneipe eröffnen
ich wollte nie eine kneipe eröffnen
kein restaurant kein lokal keine disko
keinen fahrradverleih an der kurischen nehrung
keinen waschsalon am prenzlauer berg.
kein riesenrad aus der arabischen wüste stampfen
keine sprungschanze in die alpen oder anden platzieren
ich wollte nie würstchen verkaufen in westafrika
keinen eiswagen durch den sommer bielefelds schieben.
ich wollte niemals ein kultcafé betreiben
keinen swinger-club in der innenstadt
möchte kein boutiquehotel auf den malediven führen
kein guesthouse auf trinidad und tobago, please.
nur eine lesung in hallein, straßwalchen, mattighofen,
hall in tirol, klagenfurt, beim alex in linz,
im bierstindl, in kremsmünster, mistelbach, scheibbs,
beim neumann, in kapfenberg, im literaturhaus salzburg
und mattersburg (wann laden die mich endlich ein)
in amstetten, saalfelden, in rauris eine lesung
in haugsdorf, schwaz, in krems und in tulln,
wollte immer dorthin und will, wenns mich wolln.
ottakring, 7. 1. 11
diese nacht, in der das daylight saving endet
hotel-klobrille: evtl genmanipuliert aufgequollene
tropfen, oder halt die rostige pisse eines vorgängers
alcatraz blickt hinter schokoladentafelhohen türmen hervor
eine sirene schlägt an, unglaubwürdig amerikanisch
ich frage mich, ob meine beiden mobilen geräte
die zeitzone fühlen, und ob sie unter zwei jetlagen leiden
möwen schlucken idylle, speichel und sourdough-brot
vom fenster aus beobachte ich eine robbe im wasser
die robbe wirkt krank, derartig müde, ich fasse zutrauen
sie entpuppt sich als längliche, graue plastikplane
gerade noch sonne, inzwischen knattern feuchte fahnen
durch den abend, durch die nacht, in der das daylight saving endet
ich maile mit einem müller, eigentlich unfassbarer name,
die ersten zwei silben von müllabfuhr, und plötzlich
scheint mir so ungewiss, unvorstellbar
dass mein vorname martin lauten soll
san francisco, 6. 11. 10
Kein Roman vom armen M. A.
Vergnügt euch bitte mit ein paar Gedanken an den M. A.,
der aufwuchs auf dem feuchten Waldabhang unter dem Bollwerk.
Ein Regenvorhang senkte sich aus tiefliegenden Wolken.
50 Groschen kostete (Konditorei Klug) ein Stollwerk.
Der Klug hatte im Sommer Kugeln aus Erdbeer, Zitrone
und für die Cremeeis-Schwächlinge Schokolade, Vanille.
Einmal sah ich über den Krauthügel ein Ziesel rennen.
Mein Vater trug trotz Kurzsicht nie (er hasste sowas) Brille.
Kurzsicht tat ich ihm später nach. Laut ihm war alles
ohnedies sinnlos. Ein Atomkrieg würde uns vernichten.
Die Kultur sei am Ende, dunkle Zeiten stünden bevor.
Dafür am Ungeeignetsten? Schriftsteller mit Geschichten
oder mit Lyrik. Ein derart sterbendes Fach!
Die übrigen Berufe? Verkommen, hoffnungslos.
Die Mehrheit der Tätigkeiten kunstlos getarnte Verbrechen.
Arzt? Mörder, Halsabschneider. Meist ahnungslos.
Beamten? Dumm und dümmer. Am dümmsten Lehrer.
Techniker? Bauten Bomben. Juristen? Verdrehten.
Butter und Milch ohnehin ein Abklatsch von früher.
Wein schmeckte sauer. Fisch bestand aus Gräten.
An manchen Tagen war er amüsant. Er zauberte.
Auf Autodächern stand er Kopf, nicht auf den Füßen.
An andern Tagen starrte er durchs Fenster, in die Sonne:
»Ein schöner, wolkenloser Tag. Das wer’ma büßen.«
Das Ärgste waren Kaufleute, Geschäftemacher.
Bardamen ließ er gelten, denn sie verabreichten Wein.
Für minderwertig hielt er Journalisten.
Drum wollte ich eines Tags einer sein.
Die große, die anachronistische Form, die sollte
laut meinem Vater niemand schreiben, da sie keiner kann.
Er hatte Sympathie für alle Texte, alle Formen,
für alle (sogar Novelle), sieht man ab vom Roman.
Während seiner Krankheit kam ich 66 Mal vorbei.
Sah, wie er Pudding aß. Er wurde süßer mit den Jahren.
War wunderlich, lachte und redete vor sich hin.
Halluzinationen, seine beängstigenden Barbaren.
Autofahrer hasste er. Per Auto kam ich aus Italien, als er starb.
2006. Ich hörte ihn noch schnaufen, leise stöhnen.
Ich setzte mich mit dem Computer auf seinen Arbeitsstuhl.
Halb der reimende M. A., halb ein uraltes Beispiel von Söhnen.
Blind den Waldweg meiner Kindheit, jetzt ziesellos, aufwärts,
im Dunkeln knirschen Schnecken unter meinen Sohlen.
Bei Nebel sieht man manchmal seinen Geist im Garten
Stufen zurechtsägen, Hammer aus dem Grünen Kasten holen.
Dabei bezahlen sie mir den Roman besser als das Gedicht.
Nur schreibt er sich mühsam. Ich schreib wieder grad keinen.
Reime so rum, fürcht mich, werd langsam ein bisschen alt.
Und alle fragen mich nach einem.
Friedrichshafen, 9. 9. 18
Nebel
Nebel, ich stoße mit meinem Schädel
an die Mauer, die du verbirgst.
Ich ramme spielerisch – Tag ja, Tag nein –
die jeden Tag etwas höhere, graumelierte Mauer.
Bei Nebel überschwemmt mich schmerzliches Glück.
Die Antidepressiva möcht ich absetzen
wie einen Hut. Mich macht Schaden nicht schlauer.
Der undurchdringliche Nebel der Asthmabehandlungen
meiner Kindheit. Eine Mauer, hoch wie die Zahl π.
Hinter Nebel. Ich stoße mit meinem Schädel.
So war es immer, anders kann es nie werden.
In schlechten Momenten muss ichs zum Kotzen erbetteln
und kriegs nicht. In guten dreht sich im Kreis, was wir haben.
Nach dem Ableben deiner und meiner Person
nach dem Wegfallen sämtlicher Protagonisten
findet während Jahrzehnten keine Party mehr statt.
Zum Ende hin erhält jeder eine Sauerstoffmaske
intensivmedizinischer Überdruck, Sauerstofftoxikose,
daher besser gleich heute was anzetteln.
Zur Debatte steht ein Tee mit TH
und sämtliche anschließenden Ereignisse.
So ist es immer, anders wird es nie werden.
Der Nebel liegt in Schwaden über den rosa Dächern
und irgendwo draußen auf nassen Gänseblümchen.
Mauer ist derzeit noch keine zu sehen.
Salzburg 1983, Wien 2018
medical notes on climate, diseases, hospitals
an der spanischen treppe vor dem keats-shelley-haus
stehen uniformierte kinder mit feuerwaffen.
die keats-shelley-fensterscheibe, eine poetische leistung
so glatt würde mir privat nie etwas gelingen.
keats war wegen des milden klimas in rom
das seine lungenkrankheit beeinflussen sollte.
1821 gingen viele davon aus, dass tuberkulose
mit hemmungsloser masturbation zuammenhing.
dr. clark setzte keats auf eine diät mit sardellen
und einem stück brot täglich und auf regelmäßige aderlasse.
keats wollte einen grabstein mit »here lies one whose name
was writ in water«, nur war es letztlich shelley, der ertrank.
in der hosentasche shelleys, dessen leiche nach vorschrift
am strand verbrannt wurde, steckte ein buch von keats.
auf dem dach des hauses gegenüber landet ungeschickt
eine amsel, sie schlittert wie auf eislaufschuhen.
aus der dreihundertjährigen treppe, straße für termiten,
wachsen fleischberge mit cityrucksäcken.
3 monate lang ging keats im keats-shelley-museum zugrunde
sein freund und dr. clark verweigerten ihm das opium.
andere dichter sind voll von geheimnissen
nicht ich, ich nicht, hoffentlich nicht gerade ich.
von der straße unten erreichen mich
kurze befehle in fremden sprachen.
paprika unwahrscheinlich
daheim schreib ich kot ins tagebuch
mein kopfpolster hat deinen mundgeruch
ich