Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das alles wundert mich sehr: Gedichte, Erster Teil
Das alles wundert mich sehr: Gedichte, Erster Teil
Das alles wundert mich sehr: Gedichte, Erster Teil
eBook275 Seiten1 Stunde

Das alles wundert mich sehr: Gedichte, Erster Teil

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der dritte Band der "Texte aus dem Nachlass" versammelt etwa 140 Gedichte in fünf thematisch geordneten Kapiteln.
Seit seiner Lebensmitte hat Dietrich Koller gedichtet. Dabei handelt es sich zum wenigsten um Gebrauchstexte im Zusammenhang seiner pastoralen Tätigkeit oder Gelegenheitsgedichte für Familienangehörige und Freunde. Viel öfter finden Selbstreflexionen, Erfahrungen im Pfarrberuf, Wahrnehmungen im persönlichen und politischen, im sozialen und kulturellen Umfeld eine sprachliche und gedankliche Verdichtungen.
Dietrich Koller hat schon zu Lebzeiten vielfach Gedichte in Vorträge und Predigten eingebaut oder als selbständige Texte weitergegeben oder verschenkt. Den größten Teil dessen, was als sein poetisches Tagebuch bezeichnet werden kann, hat er aber bis zu seinem Lebensende in seinem Computer aufbewahrt. Sie werden hier erstmals veröffentlicht.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Nov. 2014
ISBN9783738664751
Das alles wundert mich sehr: Gedichte, Erster Teil
Autor

Dietrich Koller

Dietrich Koller (1932-2010) war evangelischer Pfarrer, Gestaltseelsorger, Geistlicher Lehrer und Begleiter. Er lebte zuletzt in Erfurt.

Ähnlich wie Das alles wundert mich sehr

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Das alles wundert mich sehr

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das alles wundert mich sehr - Dietrich Koller

    NOTIZEN

    Zur Tat des Wortes schreiten

    POETISCHE SELBSTAUSKÜNFTE

    DAS POETISCHE PROBLEM

    Zur Tat des Wortes schreiten

    kostet tausend Tage Schweigen

    Zweifeln Zaudern Reifen.

    Nie weiß ich

    soll ich warten

    auf den Kuß der andern Welt

    oder soll ich selber

    den Entschluß zum Küssen fassen.

    Den Mund zu öffnen

    und wenn die Lippen sich gespitzt

    dem Atem Worte geben

    ist das unerhörte Wagnis

    eines Eingriffs in die

    Genstruktur der Wahrheit

    und eine Welt der Liebe ist verspielt.

    Was erst würde kosten

    der viel größ’re Schritt

    der Versuch

    zum mißdeutbaren Wort der stummen Tat

    Herz, Hand und Fuß zu regen!

    SELBSTWAHRNEHMUNG

    Möchte alles sagen und beschreiben

    wie es ist, nicht wie es scheint,

    nicht wie man glaubt und wünscht und meint.

    Ich möchte immer neu am Neuen bleiben,

    das Sein vom Scheine scheiden.

    Möchte nichts bekämpfen, nichts bekennen,

    was da macht und lacht und weint,

    was da trügt und schönt und scheint,

    aber alles treu und laut benennen,

    Lob und Tadel meiden.

    Möchte alles sehen, nichts verschweigen,

    weiß es wohl, es ist Verrat,

    revolutionäre Tat,

    wenn die Kinder auf den Kaiser zeigen,

    des Kleiderscheins entkleiden.

    Wenn mir dies Unmögliche gelänge,

    käm der Umsturz jederzeit.

    Ja, ich bin dazu bereit,

    falls den verbot’nen Zutritt ich erzwänge,

    den Schwertstreich zu erleiden.

    ES GEFÄLLT MIR SO

    Es gefällt mir so,

    daß Du, eine Städterin,

    die nichts versteht

    von Waldböden

    Blumensamen und Setzlingen

    daß Du mit Deinen schreibenden Händen

    Deinen umblätternden Fingern

    schwarze Erde mengst

    irdene Töpfe füllst

    rötliche Sterne pflanzt

    und alles bewässerst

    wie Du es gelernt hast aus Büchern und Schulheften

    nein wie Du es gelernt hast

    als Du Kinder gebarst

    zwar künstlich eingeleitet

    und doch selbst empfangen

    und selbst ans Licht gebracht

    und mit dem eigenen Leibe ernährt

    und selbst aufgezogen

    Blumensternkinder

    freigelassene Gartenvögel

    nichtseßhafte heitere Reitermädchen

    und den bedächtigen Sandkastenmeister, den Hans.

    Das gefällt mir so,

    daß Du Dich verstehst

    eine Städterin

    auf Waldanemonen

    Landkinder

    Bauerntöpfe

    und mich

    den Laienpoeten.

    AN MEINE KINDER

    Nach dem Tode meines Vaters,

    eines sehr gewissenhaften Boten seines Amtes

    hörte ich, er habe heimlich lebenslang

    Gedichte und Geschichten aufgeschrieben

    und einem dicken Schreibheft anvertraut.

    Aber ich Unseliger, ich hatte

    meines Vaters Hinterlassenschaft

    nur ganz eilig überflogen und entsorgt.

    So hab ich übersehen und verloren einen Schatz.

    Was gäb ich drum, ich könnt ihn wieder holen.

    Ich bin der Wiedergänger meines Vaters.

    Ich bin, ein ungewissenhafter Bote meines Amtes,

    verpflichtet, das Dichter-Erbe zu erneuern.

    Seit vielen Jahren bin ich schon dabei,

    ganz ohne Selbstbewusstsein,

    ganz von selbst im Fluss der Gene.

    Es gibt ein Schreibbuch mit Computertexten.

    Wenn ich gestorben bin,

    und wenn jemand entsorgen wird,

    was hinterblieben ist

    und es so sträflich eilig macht wie ich –

    mir soll es recht sein.

    Es geht nichts verloren von allem, was verloren geht.

    Es ruht im Humus der Geschichte

    und ernährt die Mikrowelt

    vom unsichtbaren Jenseits her.

    Vielleicht, vielleicht, entsteht

    in fernen Zeiten erst aus unsren Genen

    ein langsam vorbereitetes Genie.

    Nicht geht es mir um Ruhm,

    es geht mir um gewissenhaft verbesserte

    Wahrnehmung unsrer Welt.

    ALTE ZEITEN

    Als es einst die Türmer gab,

    herrschte noch der Wachzustand

    mit dem Auftrag Lueg ins Land.

    Doch nun schläft im Seelengrab

    unser aller Sachverstand.

    Falls ein Türmer „Feuer!" schreit,

    regt sich dennoch keine Hand.

    Die da unten schlafen heut

    selbst beim höchsten Notgeläut.

    Jede Rettung kommt zu spät.

    Keiner in der Stadt bereut.

    Nur der Turm des Türmers steht.

    Alle Häuser sind verbrannt.

    Selbst die Asche ist verweht.

    Lueg ins Land, horch ins Land –

    ob da noch ein Türmer geht!

    HÄNGT GEDICHTE AUF!

    I

    Holt sie aus der Schublade,

    ladet sie herunter aus dem Speicher des Rechners,

    druckt sie als Wandzeitungen

    für die öffentlichen Wände!

    Schert euch nicht um die vielen,

    die achselzuckend sagen oder gar verächtlich denken:

    „Worte, Worte!"

    Sie wollen euch einschüchtern,

    diese blinden Aktivisten,

    diese Automaten ihrer Taten.

    „Taten wollen wir sehen!"

    sagen sie zu den Poeten und Propheten,

    diese Populisten und Parteienbosse.

    Knallgelb, dunkelrot, tiefschwarz, hellgrün sind ihre Farben.

    Mit ihren dicken Pinseln streichen sie dir

    sanft über die Augen,

    fahren sie dir grob über den Mund und sagen:

    „Nur Worte, Worte!" und machen doch selber nur Worte.

    Rosalux wäre die Farbe der Revolution.

    Sagen, was ist, das wäre der Anfang der Veränderung.

    Dafür kann dir dein Blut schon fließen

    in den Adern oder einst auf der Straße.

    II

    Also, ihr Poeten und Propheten:

    eure puren Worte sind eure puren Taten.

    Worte, erst innen gehört,

    dann außen im Mund zu Gehör gebracht.

    Worte können treffen, können vernichten,

    können Tote wie Schläfer aufwecken.

    Worte lösen Taten aus.

    Taten ohne Worte sind Untaten

    aufgrund von Schlagworten.

    Wer Worte nur als Worte nimmt,

    hat verstopfte Ohren.

    Bleibt bei eurem Wort!

    Es ist die einzige Alternative zu den bloßen Wörtern

    und zu den nur gutgemeinten Taten.,

    Euer Wort besteht zwar auch aus Wörtern,

    aber es ist ein Fleisch gewordenes Wort,

    quer zu allen gutgemeinten Meinungen.

    III

    Lest aber nicht nur die Worte

    eurer großen Dichter und Denker,

    hört oder lest auch meine kleineren Worte,

    aber wollt nicht gleich mit mir diskutieren,

    gönnt mir und Euch eine Zeit, eine Inkubationszeit.

    Eure raschen Widerworte würden das Wort töten,

    im Keim ersticken!

    Wörter treiben das Wort ab.

    Und so werden manche Wortfrüchte

    auf den Müllberg der Worthülsen geworfen.

    Übrigens: laßt auch falsche Worte erst einmal stehen.

    Erst die Zeit erweist es, ob es wirklich falsche

    oder vielleicht sogar wahre Worte sind.

    Kraut und Unkraut sehen oft zum Verwechseln ähnlich aus.

    Ich erhebe nicht den Anspruch,

    zu jeder Zeit und an jedem Ort meines Lebens

    wahr und lauter zu sprechen.

    Ich bin ein fehlbares Lehramt.

    Ich bin ein ungerechter, ein voreingenommener Richter.

    Einer der vor dem letzten Urteil urteilt.

    IV

    Aber als Untersuchungsrichter der Wörter

    bin ich an allem interessiert.

    Nehmen wir einfach mal das Wort „Pflege-Versicherung".

    Wenn Pflege eine Art der Liebe ist,

    dann ist die Pflegeversicherung eine Art Liebesversicherung.

    Pflege ohne Liebe, das wäre weniger als Leichenwaschung.

    Jede Versicherung will Geld.

    Ist Geld so sicher, dass es Sicherheit garantieren kann?

    Liebesversicherung gegen Geld,

    Geld gegen Liebe,

    Liebe, die man kaufen kann, ist käufliche Liebe.

    Jetzt ruft jemand: „Stop! Du spielst mit Wörtern!"

    Ich erschrecke und sage dann:

    Ich übe mich mit dem Wort „Pflegeversicherung".

    Helft mir, seid keine Spielverderber,

    helft mir alte und kranke Worte zu pflegen,

    Schaut an die Pflege der falschen Sicherheit!

    Sicher ist nur der Tod.

    Übt mit mir das Spiel des Vertrauens,

    das Risiko der Liebe.

    Wer Liebe fordert, tötet sie.

    Wer Liebe erhofft,

    kann gewinnen, kann verlieren.

    Ich bin bereit, ein hoffnungsloser Pflegefall zu werden,

    jemand, der stirbt und niemand pflegt ihn.

    Das ist mir lieber, als zu Tode gepflegt werden -

    Lebensverlängerung um jeden Preis?

    Ich will sterben mit dem Wort:

    Ich habe gelebt und ich werde leben.

    V

    Oder untersuchen wir mal das Wort „Gewinnmaximierung".

    Es sagt: Höchstes Ziel ist der höchste Gewinn.

    Gewinn auf Kosten von wem oder was?

    Wo Gewinner sind, sind auch Verlierer.

    Das Geld wandert durch den Zaubertrick des Zinses

    aus den Taschen der Verlierer in die Taschen der Gewinner.

    Und jedes erreichte Ziel treibt an zu höheren Gewinnzielen.

    Es gibt kein maximales Finale.

    Die Sucht wächst mit jedem Gewinn.

    Der Zins ist ein wuchernder Krebs,

    der Todeskrebs wächst und frisst das Leben auf.

    So ist das Leben, sagen die erbarmungslosen Maximierer.

    Der höchste und letzte Zweck des Geldes

    ist nun mal das Geld.

    Geld nur, um Waren zu produzieren,

    nur, um Lebensmittel zu kaufen?

    Ist nicht das Kapital selbst das höchste Lebensmittel?

    Die maximale Ware ist doch das Geld!

    Geld ist Leben! Geldmaximierung ist Lebensmaximierung.

    Unser Geld soll nicht dienen, es soll herrschen!

    So sagen sie, die Tatmenschen,

    und tatsächlich, wir sehen es:

    Die Herrschaft des maximierten Geldes

    dient nicht dem Leben,

    sie bewirkt final den Tod,

    den Tod des Gewissens zuerst, dann den Tod der Seele,

    den Tod der Brüderlichkeit,

    den Tod der Wirtschaft für das Leben,

    den Tod der erschöpften Natur,

    den Tod der Maximalgewinner

    und den Tod der Maximalverlierer.

    König Midas konnte alles zu Gold machen, was er berührte.

    Er wäre in seinem Reichtum verhungert und verdurstet,

    aber er bereute.

    Hört und seht, das Wort Gewinnmaximierung,

    es ist ein Wort ohne Wert,

    es benennt eine wertlose Tat, einen wortlosen Mord.

    Die leuchtenden, die lustvollen Wertworte,

    die das Leben verheißen –

    hört, wie sie in Wahrheit heißen,

    schaut, ob sie nicht den Tod maximieren!

    VI

    Oder nehmen wir das Wort „Durchrassung".

    Ja, es ist wahr, wir sind durchrast von Rassen,

    die durch die Zeiträume und Kontinente rasen.

    Ich bin

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1