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Coaching – zum Wachstum inspirieren: Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch
Coaching – zum Wachstum inspirieren: Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch
Coaching – zum Wachstum inspirieren: Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch
eBook973 Seiten10 Stunden

Coaching – zum Wachstum inspirieren: Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch

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Über dieses E-Book

"Dieses Buch stellt Coaching in seiner heutigen Vielfalt vor, die sich aus den unterschiedlichen Wurzeln in diversen Disziplinen und Grundorientierungen ergibt. Die übergreifende Leitidee des Wachstums verbindet wirtschaftliche mit menschlicher Entwicklung. In drei Sektionen werden relevante, unterschiedliche Perspektiven auf Coaching, Beratung und Führung und die einschlägigen Schulen dargestellt. Die Leser:innen erhalten einen orientierenden Überblick und so die Möglichkeit, den eigenen Professionalisierungsprozess gemäß individuellen Präferenzen und Perspektiven zu intensivieren."

Prof. Dr. Jürgen Kriz, Universität Osnabrück
Multiperspektivität als Kompetenz im Coaching


Bücher über Coaching und Coachingmethoden gibt es zuhauf. Leider präsentieren die meisten nur den bevorzugten Ansatz der jeweiligen Autor:in oder wiederholen die formale Struktur von Coachinganlässen und -prozessen.

Dieses Handbuch bietet die Gelegenheit, diverse wissenschaftlich fundierte Ansätze und Schulen jeweils aus der Sicht einer Vertreter:in kennenzulernen. Es führt bereits Gedachtes, Erprobtes und Bewährtes zusammen zu einem inter- und transdisziplinären, schulenübergreifenden Gesamtwerk. Ziel ist es, die Grundlagen, Haltungen und Methoden des Coachings zu verstehen, aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und sie gegebenenfalls in ein eigenes Coachingkonzept zu integrieren.

Mit Beiträgen von Elke Berninger-Schäfer • Daniela Blickhan • Leonie Derwahl • Margret Fischer • Franz Josef Geider • Rolf Göppel • Carolin Graßmann • Rainer Hundsdörfer • Carsten Kärcher • Axel Koch • Peter Kosarz • Thomas Kretschmar • Jürgen Kriz • Sebastian Lerch • André Niggemeier • Matthias Ohler • Julia Perlinger • Yvonne Reyhing • Dirk Rohr • Lara Felisa Rubbel • Gunther Schmidt • Bernd Schumacher • Stefan Stenzel • Antje Tschira • Henrik Weitzel • Andrea Wurst • Monika Zimmermann.
Die Herausgeberin:
Monika Zimmermann, Prof. Dr.; Diplom-Erziehungswissenschaftlerin; Pädagogin; Professorin an der Internationalen Berufsakademie, Studiengänge Soziale Arbeit & Management und Soziale Arbeit, Management & Coaching; Personal und Business Coach; Systemische Beraterin/Therapeutin (Internationale Gesellschaft für systemische Therapie – igst); Senior Coach, Sachverständige, Gutachterin und Mitglied im Fachausschuss Forschung im Deutschen Bundesverband Coaching e.V. (DBVC); Educational Provider for Business Coaching und Scientific Coaching Expert der International Organization for Business Coaching e.V. (IOBC); Lehr-Coach und zertifizierter Coaching-Weiterbildungsanbieter (DBVC und IOBC); Gründerin und Inhaberin des Zentrums für interdisziplinäres Coaching; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Oskar-Patzelt-Stiftung (Großer Preis des Mittelstands).
SpracheDeutsch
HerausgeberCarl-Auer Verlag
Erscheinungsdatum5. März 2024
ISBN9783849784362
Coaching – zum Wachstum inspirieren: Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch

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    Buchvorschau

    Coaching – zum Wachstum inspirieren - Monika Zimmermann

    Einleitung

    Monika Zimmermann

    E.1 Die Ausgangslage – Warum ein weiteres Buch zu Coaching?

    E.2 Zum Credo dieses Bandes

    E.3 Zusammenfassung des Inhalts und der einzelnen Beiträge

    Literatur

    E.1 Die Ausgangslage – Warum ein weiteres Buch zu Coaching?

    Bücher zum Thema Coaching mit den immer gleichen Inhalten gibt es genug. Es ist Zeit für eine Erinnerung daran, wie vielfältig das Meer an möglichen Bezugsdisziplinen, Ansätzen, Modellen und Schulen ist, aus denen sich (auch angehende) Coaches¹ im Rahmen ihrer Professionalisierung inspirieren lassen können. Eine solche Inspirationsfundgrube will dieser Band sein, indem er viele verschiedene Ansätze/Schulen integriert, alle der Überzeugung folgend, dass es eben nicht die eine theoretische Grundlage für Coaching gibt.

    Unzählige Bücher zu den Themen Coaching, Coachingausbildung, Coachingmodelle und -methoden sind auf dem Markt. Fast jeder Coach, der sich am Markt platzieren möchte und sein Unternehmen stabilisieren will, erschafft ein weiteres Buch – allerdings mit ähnlichen Inhalten und Gliederungen wie jene, die es bereits gibt. Aus der Hand von renommierten Expert:innen bieten die »großen« Handbücher zum Thema Coaching einen sog. aktuellen und fundierten Überblick. Dabei handelt es sich augenscheinlich um das Phänomen »Mehr vom selben«, werden doch tatsächlich immer wieder (nur jeweils von anderen Autoren) die verschiedenen Handlungsfelder, Einsatzzwecke, verschiedene Coachingansätze, Coachingprozesse, Tools im Coaching und ausgewählte methodische Zugänge als vermeintlich erschöpfender disziplinärer Korpus dargestellt. Das trägt wenig zur angestrebten Professionalisierung von Coaching bei. Es scheint, als würde es nicht darum gehen, neues Wissen oder Verstehen in die Welt zu bringen oder den Auszubildenden und Studierenden Entscheidungskriterien an die Hand zu geben, sondern darum, bereits vielfach Gedachtes und Geschriebenes unter neuem Namen für eigenes ökonomisches Interesse zu sichern. Diese wenig wissenschaftlich anmutende Tradition hat eine Inflation des Begriffs und, viel schlimmer, der gesamten Profession zur Folge, in der es scheinbar nur darum geht, einfach die immer gleichen, allgegenwärtigen Vorstellungen und Binsenweisheiten zum Thema Coaching erneut zu sammeln und umzuformulieren.

    Das vorliegende Gemeinschaftswerk zielt darauf ab, mit dieser Tradition zu brechen.

    Trotz einer Vervielfachung der Zahl der Handbücher, die sich mit den Praktiken und Methoden des Coachings befassen, wurde in jüngster Zeit nur wenig dazu beigetragen, unser Wissen über das Wesen des Coachings inter- und transdisziplinär sowie schulenübergreifend zu öffnen, zu vertiefen oder zu erneuern.

    Der vorliegende Band will dazu inspirieren, diverse wissenschaftlich fundierte Ansätze und Schulen jeweils aus der Sicht eines Vertreters kennenzulernen und sie als mögliche Fundierung eines individuellen Coachingkonzepts in Betracht zu ziehen. Anstatt die von angehenden Coaches zu lernenden Inhalte, Konzepte, Ansätze und Methoden unkritisch als Wissenskanon zu präsentieren, soll hinterfragt werden, wieso solche Methoden und Ansätze gebraucht werden, inwiefern sie zum Coach-Werden beitragen und wie professionelle Coaches letztendlich überhaupt »sein« sollen/können. Ziel ist es also, Grundlagen, Haltungen und Ziele des Coachings zu verstehen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

    Hieraus folgt eine Neuzentrierung, um uns auf jene Aspekte des Coachings zu fokussieren, die tatsächlich grundlegend und im optimalen Fall handlungsleitend sind und somit Raum zum Neuorientieren und -erfinden eröffnen. Durch den interdisziplinären Ansatz bietet dieser Band wissenschaftlich fundierte und bewährte Ausgangspunkte, um Coaching zu konzeptualisieren und zu lehren.

    Nicht »Mehr vom selben« soll produziert, sondern bereits Gedachtes, Erprobtes und Bewährtes zusammengeführt werden in ein inter- und transdisziplinäres, schulenübergreifendes Grundlagenwerk, das zu eigenständigem Denken, individuellem Fokussieren und zur Ausbildung einer individuellen professionellen Haltung anregt.

    Die Leser:innen lernen Coaching nicht als unverstandenes Lernpensum kennen, sondern bringen ihr Verstehen selbst zustande. Somit wirkt das selbstregulierte Lernen in Freiheit Scheinwissen (in Anlehnung an Wagenschein 1999, S. 66) und »Blindheit« entgegen.

    Im Vordergrund stehen Diskurs und Dissens, nicht redundanter Einheitsbrei. In den bereits vorhandenen »Grundlagenwerken« werden folgende Aspekte als fundamental definiert: die Geschichte des Coachings, definitorische Abgrenzungen von Coaching zu therapeutischen Interventionen und anderen Beratungsformaten, Varianten, Durchführungsmodi und Settings von Coaching, Kataloge von sog. Coachkompetenzen und Aspekte der Qualität im Coaching.

    Natürlich lässt sich darüber streiten, was unter Grundlagen einer Profession, einer Disziplin zu verstehen ist. Das vorliegende Vorhaben versteht unter Grundlagen eines erweiterten Coachingverständnisses epistemologisches, philosophisches, ethisches, anthroposophisches, humanistisches, wissenschaftstheoretisches, interdisziplinäres Gedankengut, das in seiner Gesamtheit – jedoch über die Summe der einzelnen Teile hinaus – Impulse zur Coach-Werdung bereithält. Es kann die Grundlage für die (Aus-)Bildung eines umfassend gebildeten Profis im Bereich Coaching schaffen. Jeglicher totalitäre Wahrheitsanspruch wird damit negiert.

    Die Inhalte dieses Herausgeberbandes sind auf der Grundlage von Paradigmen entwickelt worden, die ihrerseits aus zentralen Bezugstheorien der Beratungswissenschaften abgeleitet werden. Diese Theorien bilden kein konsistentes Wissenssystem, sondern unterschiedliche, teils auch widersprüchliche oder komplementäre Bezugspunkte der Theoretisierung von Beratung. Gleichwohl lassen sie sich im Sinne interdisziplinären Denkens in interferierenden Wissenssystemen erkenntnisförderlich aufeinander beziehen. Dazu zählen die Theorien der humanistischen Psychologie (z. B. Rogers, Frankl u. a.) und der Psychoanalyse (Freud, Adler, Jung u. a.), kommunikations- und systemtheoretische Ansätze (Bateson, Luhmann u. a.), sozialkonstruktivistische (Berger, Luckmann u. a.) ebenso wie poststrukturalistische Theoriebezüge (Foucault u. a.) sowie aktuelle theoretische Modelle aus den Neurowissenschaften (Ryba, Roth, Bauer u. a.) und ausgewählte Denkmodelle aus Philosophie und Ethik (Sokratiker, Stoa u. a.).

    Zur theoretischen Durchdringung der Kontexte von Beratung bzw. Coaching werden darüber hinaus betriebswirtschaftliche, rechtliche, organisations- und arbeitssoziologische, sozialpädagogische, erziehungswissenschaftliche, therapeutische und gesellschaftswissenschaftliche Konzepte herangezogen. Auf dieser breiten theoretischen Bezugsbasis können im Prozess der Professionalisierung zum Coach weiterführende Inhalte ansetzen bzw. verschiedene Coachingansätze vertiefend behandelt werden.

    Ein weiterer Grund für die Umsetzung dieses Werkes war für den Carl-Auer Verlag und mich als Herausgeberin, dass in den führenden, dem Coaching verschriebenen Gemeinschaften die Meinungen kultiviert werden, die Psychologie sei die Bezugsdisziplin für Coaching, und hier sei wiederum der gesprächstherapeutische und systemische Ansatz allein evidenzbasiert leitend. Dieser Fehleinschätzung aus unserer Sicht – siehe das Elefantengleichnis (Kap. 2.2) –, wollen wir unsere Meinung, unser Plädoyer für ein anderes, ein modernes Wahrheitsverständnis als weitere Option gegenüberstellen:

    Ein interdisziplinäres, offenes Verständnis der Bezugsdisziplinen für Coaching und der diversen Schulen, die nebeneinander bestehen und die jede auf ihre Art einen Beitrag zu einer Professionalisierung des Coachings zu leisten vermögen.

    Viele Disziplinen und »Schulen« können einen wertvollen Beitrag zur Professionalisierung von Coaching leisten (Abb. E.1).

    Abb. E.1: Disziplinen und Schulen (© Zentrum für interdisziplinäres Coaching)

    Der vorliegende Band hat zum Ziel, die jeweiligen Ansätze und Beiträge möglichst aussagekräftig, aber doch komprimiert gegenüberzustellen, um damit ein Grundlagenwerk zum Themenfeld wissenschaftlich fundierte, »wahrhaft« ganzheitliche, interdisziplinäre Coachingausbildung zu schaffen. Anhand von relevanten Kriterien wie Definitionen, Zielen, Methoden, Einsatzfeldern oder Limitationen soll eine Übersicht am Ende die Gemeinsamkeiten und Unterschiede lesefreundlich aufzeigen. Letztendlich soll der Band in einer Zusammenführung für ein erweitertes Vorverständnis von Coaching münden, das sowohl die gefundenen Gemeinsamkeiten enthält, aber auch auf ggf. komplementäre Unterschiede in der Ausprägung von Coaching hinweist.

    E.2 Zum Credo dieses Bandes

    Sicherlich kann ich nicht verstehen, ohne etwas zu wissen, aber ich kann vieles wissen, ohne etwas zu verstehen.

    Coaching ist mehr als die Summe von ausgewählten Einsatzbereichen und Tools, und es kann – neben Bildung im Allgemeinen – durchaus dazu beitragen, uns in eine von Sinn, Bewusstsein und Weisheit getragene interdisziplinäre Wissens- und »Verstehensgesellschaft« zu führen.

    Dafür reicht eine ausschließlich am Markt und an Methoden und Techniken orientierte Ausbildung nicht aus. Was genau braucht es, damit sich Menschen zu wirksamen Coaches entwickeln, das heißt professionalisieren können? Welches Wissen, welche Erfahrungen, welche Selbst- und Fremderkundungen, welches Menschen- und Weltverständnis triggert ihre individuelle »Coach-Werdung«?

    »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.«

    Antoine de Saint-Exupéry

    E.2.1 Coaching – Ein begriffliches Vorverständnis

    Coaching stellt eine prozessbezogene, professionelle Begleitung von Klient:innen im Kontext von Bildung, persönlichen Entwicklungsprozessen und Beruf und/ oder Beschäftigung dar. Methodologisch ist Coaching inter- und transdisziplinär und legt ein konstruktivistisches und interdisziplinäres Wahrheits- und Wissenschaftsverständnis zugrunde. Das Vorgehen im Coaching orientiert sich an wissenschaftlich begründeten Rahmenmodellen. Ein Coach berücksichtigt soziale, gesellschaftliche, institutionelle, ökonomische und ethische Rahmenbedingungen und stellt die Beziehung zum Coachee ins Zentrum des Coachings. Zum professionellen Selbstverständnis des Coachs gehört die regelmäßige Evaluation des Coachings sowie der eingesetzten Methoden, um Wirksamkeit und Outcome stetig zu verbessern.

    Coaching ist immer:

    ressourcenorientierte Autonomieermöglichung, die zielorientiert und proaktiv individuelles Lösungspotenzial aktiviert.

    ein systematisches, zielorientiertes und ausbalanciertes Angebot (eine am Fall orientierte Kombination) aus diversen Formaten, Beratungsformen, didaktischen Settings (verstanden als hilfreiche Interventionen), theoretisch fundiertem Coaching, Beratung, Lehr- und Trainingseinheiten, Supervision, das meist in mehreren Phasen stattfindet und letztlich auf Handlungsfähigkeit zielt, wofür Coaches den Aufbau handlungsleitender Wissensbestände prozessbegleitend moderieren.

    ein wertungsfreies, zielgerichtetes Angebot von Struktur, Orientierung und Prozessbegleitung. Es fördert die Reflexionsfähigkeit und die Selbst- und Fremdwahrnehmung, verändert die Problemtrance in eine Lösungstrance und erhöht die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit.

    Die Ziele des Coachings liegen in der Entwicklung und Stärkung der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Coachees, der Förderung ihrer Selbstorganisation und Problemlösefähigkeit sowie in der Hilfe zur Selbsthilfe. Indem bei Klient:innen Selbstwahrnehmung und -reflexion durch entsprechende Interventionen gefördert werden (vgl. Kap. E.3.1 und Kap. 1 zum Begriffsverständnis von Zimmermann u. Niggemeier), führt dieser Prozess zu ihrem selbstverantwortlichen Handeln.

    Der Begriff »Coach« stammt aus der englischen Sprache und bedeutet dort Kutsche (vgl. Doppeldeckerbus in Abb. 21.6). Er beschreibt also ein Instrument, das es Menschen ermöglicht, von einem (imaginären oder tatsächlichen) Ort zum anderen zu gelangen und/oder gebracht zu werden. Erste entlehnte Verwendungen des Wortes Coach fanden im Sport statt. Dort ist der Coach nicht nur Trainer der sportlichen Fertigkeiten, sondern darüber hinaus ist er Begleiter, Motivator etc. Er kann somit auch verstanden und eingesetzt werden als Trainer der mentalen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

    Der Coach geht davon aus, dass Klient:innen die beste Lösung bereits in sich tragen, und stellt Gewohnheiten, Sichtweisen, Lebenseinstellungen und bestehende Strukturen infrage, um von Klient:innen gewünschte oder mit ihnen erarbeitete Veränderungen zu ermöglichen. »Ein Merkmal guter Coachings ist gemäß Looss (1999) dadurch gekennzeichnet, dass sich die Problemsicht verändert und es neben dem Zugewinn an Lösungspotenzial für das ursprüngliche Problem einen Lerneffekt gibt, der darüber hinausreicht« (Mäthner, Jansen u. Bachmann 2005, S. 56). Coaching kann vor diesem Hintergrund als Entwicklungsinstrument zur Kompetenzerweiterung und Persönlichkeitsentwicklung verstanden werden. Der Coach versteht sich als Spezialist für Prozess und Beziehung, jedoch nicht als Spezialist für Fachinhalte; eine Ausnahme bildet hier besonderes Führungscoaching, in dem der Executive Coach selbst breite Führungserfahrung mitbringt und so auch in die Rolle des Supervisors schlüpfen kann.

    Coaching unterstützt Menschen dabei, ihre Wahrnehmung zu erweitern und entscheidungsfähig zu werden. Folgerichtig muss eine Coachingausbildung fundiert dazu beitragen, dass angehende Coaches selbst ihre Wahrnehmung für die vielen Facetten menschlicher onto- und phylogenetischer Entwicklungshintergründe und -möglichkeiten erweitern und vertiefen. Das Rollenverständnis eines Coachs, der nach diesem Prinzip denkt und handelt, ist gekennzeichnet durch das Bewusstsein für menschliche Entwicklungspotenziale und deren Grenzen, die eigene professionelle Expertise und die Relativität des Wahrheitsbegriffs. Da es die Wahrheit – auch im naturwissenschaftlichen Bereich – nicht geben kann, kann der Coach mit eigenen Wissens- und Verständnislücken souverän umgehen und ist in der Lage, Erklärungsansätzen, Deutungsmustern und Wertvorstellungen der Klient:innen mit bedingungslosem Respekt, wie Rogers sagen würde: »unconditional regard«, zu begegnen. Deren Äußerungen werden in Bezug auf ihre subjektive Wahrheit hin angenommen und akzeptiert. Coaches sind hier mitunter Lehrende, immer jedoch Förderer der Erkenntnisentwicklung der Klient:innen, aber keine Expert:innen für deren individuelle Problemlösungen. Ein Erkenntnisprozess wird durch »konstruktive Verunsicherung« ausgelöst. Diese dem Konstruktivismus entlehnte Irritation wird zur Grundlage für die Entwicklung von selbstständigen Bewältigungs- und Lösungsstrategien.

    E.2.2 Wahrheit und Wissen gibt es nicht – Eine hermeneutische Grundannahme zur Gestaltung des Professionalisierungsprozesses von Coaches

    Grundlegend für diesen Band ist ein modernes Wahrheitsverständnis, demzufolge es »die Wahrheit« nicht geben kann. Stattdessen wird die Relativität des Wahrheitsbegriffs und – in Anlehnung an den Konstruktivismus – die Koexistenz subjektiver Wahrheiten postuliert.

    Die hier dargebotene interdisziplinäre, ergebnisorientierte Herangehensweise folgt der Annahme, dass mehrere theoretische Ansätze aus divergierenden Wissensgebieten in der Lage sind, gemeinsam etwas Neuartiges zu erzeugen, zu dem die jeweiligen Ansätze allein nicht imstande gewesen wären. Es eröffnet sich hierdurch ein Büffet an Grundlagen, Bezugsdisziplinen, theoretischen Bezugsrahmen, Leitgedanken, Haltungen, wodurch individuelle Optionen und Spezialisierungen im Rahmen von Professionalisierungsprozessen möglich gemacht werden.

    Der Professionalisierungsprozess wird auch bestimmt durch die Qualität der bekannten und zugrunde liegenden wissenschaftlichen Ansätze. Die Qualität von Erkenntnis- und Verstehensprozessen wird wiederum gesteuert von der Beschaffenheit des zur Verfügung stehenden Lernmaterials. Erkenntnis- und lerntheoretisch wird so der individuelle Verstehensprozess optimiert; es steht umfangreicheres und interdisziplinäres Erfahrungswissen zur Verfügung. Dieses kann z. B. bei der Entwicklung von Fallverständnis und Problemlösungen die Grundlage für kognitive Synergieeffekte, ein erweitertes Verstehen darstellen und zu erweiterten Denk- und Handlungsmöglichkeiten führen. Letztlich kann auf diese Weise die Nachhaltigkeit in Bezug auf eine personelle Ressourcennutzung gesteigert werden.

    Das Elefantengleichnis – eine buddhistische Weisheit: Die Blinden und der Elefant² (Abb. E.2)

    Es war einmal ein Sehender, der rief zu seiner Belustigung etliche von Geburt an Blinde zusammen und setzte einen Preis aus für denjenigen, der ihm die beste Beschreibung eines Elefanten geben würde. Rein zufällig geriet der erste Blinde, der den Elefanten untersuchte, an dessen Bein, und er berichtete, dass der Elefant ein Baumstamm sei. Der zweite, der den Schwanz erfasste, erklärte, der Elefant sei wie ein Seil. Ein anderer, welcher ein Ohr ergriff, beteuerte, dass der Elefant einem Palmenblatt gleiche, und so fort. Aber anstatt ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen untereinander friedlich auszutauschen, begannen die Blinden untereinander zu streiten …

    Abb. E.2: Die Blinden und der Elefant (© Zentrum für interdisziplinäres Coaching)

    Dieser Band hat zum Ziel, unterschiedliche »Teile des Elefanten« – die »Wahrheit« über die Essenz und mögliche theoretische Grundlagen und Ansätze von Coaching – zu beleuchten. Diese diversen Grundlagen und Phänomene bedingungslos anzunehmen und in ein ganzheitliches Verständnis von Coaching zu integrieren, will den Coach nicht nur in seiner Profession stärken, sondern ihn vielmehr als humanistisch gebildeten, weisen Entwicklungspartner fördern, der auch imstande ist, existenzielle Fragen zu entdecken und diese gemeinsam mit Klient:innen zielführend und sinnstiftend zu beleuchten.

    Das Elefantengleichnis vermittelt, dass es zu Streit kommen kann, wenn jeder nur seine eigenen Wahrnehmungen vom Elefanten abgibt und jene für wahr hält, ohne einen Blick auf das große Ganze geworfen zu haben. Erstaunlicherweise stimmt jede der Aussagen aus dem jeweiligen Blickwinkel! Doch würde die Beschreibung der Blinden aus der Geschichte jemandem, der noch nie zuvor einem Elefanten begegnet ist, wirklich helfen, einen solchen zu erkennen? Wie also können die unterschiedlichen Blickwinkel zusammengeführt werden? Gelingt dies, wird die eigene Perspektive erweitert, um dadurch etwas mehr vom großen Ganzen zu sehen.

    Übertragen auf die Konzeption von Coachingausbildungen heißt dies also, dass ein interdisziplinärer Ansatz stets mehrere Fachrichtungen, Schulen und Standpunkte in die Lösungsfindung integriert, neue Blickwinkel eröffnet und so dem Erkenntnispotenzial einer Coachingausbildung zugutekommt.

    In unserer sich sehr schnell verändernden Umwelt ergeben sich neue Entwicklungsherausforderungen für jeden Einzelnen, für Gesellschaften und die Menschheit als Ganzes. Dafür bedarf es einer besonderen Weise des Lernens, Begreifens, Verstehens und Begleitens von Entwicklungsaufgaben. Wenn das Lernen lösungsorientiert, kreativ, selbst- und sinnbestimmt und schulenübergreifend ablaufen kann, stellen sich in aller Regel die besten Lernerfolge und Umsetzungsmöglichkeiten ein.

    Wie ermöglichen wir als Ausbildende/Lehrende/Coaches diesen Prozess? In welcher Beziehung stehen Bildung und Coaching? Und wie können wir andere überhaupt zu etwas befähigen?

    Bildung umfasst den lebenslangen Prozess des Menschen, in dem er seine geistigen, kognitiven, kulturellen, emotionalen, sozialen, beruflichen und lebenspraktischen Fähigkeiten entwickelt. Es geht bei dem Prozess der Bildung nicht um die bloße Anhäufung und Aneignung von Wissen, es geht darum, den eigenen Geist auf besondere Weise zu schulen, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Im Zentrum stehen die Fähigkeit und der Mut zum Selbstdenken, zu selbstverantwortlichen Entscheidungen in moralischen Fragen. Auch die Entfaltung und Verfeinerung des Wahrnehmungs- und Gestaltungsvermögens gehören dazu. Hier sehe ich einen tragfähigen Konsens zu meinem Coachingverständnis.

    Unser Bildungsprozess ist immer auf das Engste mit Beziehungsprozessen verbunden. Beziehungen zu Angehörigen und Bezugspersonen prägen vom Anbeginn unseres Lebens die Beschaffenheit und die Zielrichtung unseres Bildungsprozesses. Meiner Ansicht und vor allem meiner Erfahrung nach ist das eine explizite Parallele zu Coachingprozessen.

    Anstelle von Linearität konstituiert dabei die Individualität jeden einzelnen Bildungs- und Entwicklungsweg. Grundsätzlich kann man sagen, dass Lernvorgänge immer ähnlich stattfinden, besonders wenn es um das Gewinnen von neuen Erkenntnissen geht. Und nur mancher Entwicklungssprung beruht auf kognitiven reflexiven Vorgängen.

    Ein nachhaltig wirksamer Bildungsprozess kann viel eher als Spirale beschrieben und visualisiert werden (Abb. E.3), weil sich mit jeder Umdrehung der iterativen Schleife im Gehirn, Geist und im Bewusstsein etwas weiterentwickelt, eine neue Stufe erreicht werden kann. Die iterative Schleife macht einerseits die Kreisartigkeit dieses Vorgangs sichtbar mit dem Weg nach oben und in stetiger Entwicklung. Hinzu kommt die geistige Höherentwicklung, die sich nicht über Nacht vollzieht, sondern ein lebenslanger Prozess ist.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bildung idealerweise gleichzeitig auf mehreren Ebenen bzw. in mehreren Bereichen stattfindet. Das Herz ist immer aktiv dabei. Zumindest sollte das so sein, um wahrhaft nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Passende Kognitionen sind zwar notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingungen, um wahrhaft gebildet zu sein bzw. sich diesem Zustand anzunähern. Denn vielmehr als ein bloßes »Sein« ist Bildung gemäß der Natur des Menschen ein kontinuierliches »Werden«.

    Abb. E.3: Bildungsspirale (© Zentrum für interdisziplinäres Coaching)

    E.2.3 Vielfalt und Perspektiven statt Hoheitsanspruch und Rezepte – Interdisziplinarität als Wesen von Coaching(ausbildungen)

    Coaching wird verstanden als eine per se interdisziplinäre professionelle Kompetenz. »Interdisziplinarität«³ im Sinne von interdisziplinärem Lehren und Lernen steht für die Kooperation von Forschenden und Anwendenden verschiedener Disziplinen mit dem Ziel, Inhalte und Methoden zur Lösung ausgewählter Problemstellungen zu erarbeiten. Interdisziplinäres, ergebnisorientiertes Forschen ergibt sich somit genau dann, wenn mindestens zwei Personen aus divergierenden Wissensgebieten in der Lage sind, gemeinsam etwas Neuartiges, z. B. eine Problemlösung oder ein tieferes Verständnis einer Fragestellung, zu erzeugen, zu dem sie jeweils allein nicht imstande gewesen wären.

    Wir haben eine Wissenschaftskultur, in der jede einzelne Disziplin ihre eigene Sprache und ihre eigenen Begriffe hat. Es gilt – im Sinne erforderlicher Problemlösungen – eine Einheit zu finden, ohne die vorhandene Vielfalt zu zerstören. Genau auf diesen Weg macht sich dieser Band. Er ist dabei so gestaltet, dass die Leser:innen Kapitel von Expert:innen aus verschiedenen Fachdisziplinen und »Schulen« lesen können. Die speziellen Anforderungen an den Beruf Coach, wie z. B. eine hohe Ambiguitätstoleranz sowie die Fähigkeit zur bewussten Einnahme verschiedener Perspektiven und zur kritischen Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten, Theorien und Methoden, machen unserer Ansicht nach eine interdisziplinäre Herangehensweise unabdingbar.

    Im Zentrum der Arbeit als Coach stehen Fragen nach dem bzw. den Menschen. Vor dem Hintergrund differenter Perspektivierungen dieser Fragen zielt der vorliegende Band darauf ab, die Leser:innen mit ihren unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und Zielen mit ebenso unterschiedlichen Ansätzen, Fachtraditionen, thematischen Schwerpunkten und Methoden vertraut zu machen und in konstruktiver Auseinandersetzung damit eigene interdisziplinäre Kompetenzen zu erarbeiten. Das zentrale Ziel des Buches ist also die Vermittlung von Wissen, das für ein echtes interdisziplinäres Coaching und ebenso für nachhaltige professionelle Gestaltungskompetenz bedeutsam ist. Es soll gezeigt werden, wie wirksam es sein kann, komplexe intra- und interindividuelle Problemstellungen ganzheitlich zu betrachten und die Perspektiven verschiedener Disziplinen förderlich zu verstehen und anzuwenden.

    E.3 Zusammenfassung des Inhalts und der einzelnen Beiträge

    Die Struktur des Bandes greift die bewährte didaktische Strategie der Herausgeberin auf, welche aus den drei Phasen »Begeistern – Bewusstmachen – Befähigen« besteht. Die Kapitel, die sich in jedem der Sektionen I–III des vorliegenden Buches versammeln, stellen ausgewählte Perspektiven und Grundlagen des Coachings nacheinander vor, diversifizieren und spezifizieren sie:

    In Sektion I, »Begeistern«, werden die Herangehensweise und die vielfältigen Möglichkeiten von Coaching sowie dessen interdisziplinäre Grundlagen vorgestellt, um Lust auf mehr machen.

    Die Kapitel von Sektion II, »Bewusstmachen«, stellen unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze vor, die wirksam und gewinnbringend verknüpft werden können.

    In Sektion III, »Befähigen«, geben die Autor:innen konkrete Handlungsimpulse für die Ausbildung, Haltungsfindung und Praxis von Coaches.

    Die abschließende Sektion IV, »Synopse«,

    Zur Orientierung der Leser:innen folgt eine kurze Beschreibung der einzelnen Kapitel in Form von Abstracts.

    E.3.1 I Begeistern

    1. Was ist Coaching?

    Ein Vorverständnis aus nationaler und internationaler Perspektive

    Monika Zimmermann & André Niggemeier

    Vor dem Hintergrund heterogener Coachingverständnisse in Literatur und Praxis erarbeitet Kapitel 1 ein integratives Coachingverständnis sowie eine damit einhergehende integrative trans- und interdisziplinäre Coachingdefinition. Dazu grenzt der Beitrag das Coaching in einem ersten Schritt von anderen Beratungs- und Interventionsformen ab. Anschließend sichten und analysieren die Autor:innen Coachingdefinitionen aus der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur der Disziplinen

    1) Betriebswirtschafts- und Organisationslehre

    2) Sozial- und Erziehungswissenschaften

    3) Psychologie

    4) Psychoanalyse bzw. Psychodynamik sowie

    5) Management.

    Eine komplementäre (berufs)praktische Perspektive nimmt die Analyse von Coachingdefinitionen und -verständnissen nationaler und internationaler Coachingverbände in diesem Beitrag ein. Als Synthese entwickeln die Autor:innen abschließend ein integratives Coachingverständnis und eine darauf aufbauende Coachingdefinition. Dass die Frage »Was ist Coaching?« letztlich nicht linear, sondern nur rekursiv und iterativ beantwortet werden kann, ist die zentrale These dieses Beitrags.

    2. Coaching als eine Form der Beratung

    Dirk Rohr

    Kapitel 2 bietet eine Einordnung des Coachings in das Feld der systemischen Beratung und dient unter anderem (angehenden) Coaches als Orientierung im derzeit diffusen Coachingdschungel.

    Für ein gemeinsames Verständnis ist der Fokus auf grundlegende Aspekte des Coachings von besonderer Relevanz. Hierfür wird neben einer Charakterisierung der Beratung die Coachingpraxis definiert, und spezifische Grundprinzipien werden erarbeitet. Um den Professionalisierungsprozess des Coachings voranzutreiben, werden in diesem Kapitel darüber hinaus maßgebliche Kompetenzen, Haltungen und Techniken für Coaches aufgegriffen und die dafür passenden Settings, in welchen Coaching durchgeführt werden kann, erläutert.

    Es stellt sich heraus, dass Coaching als eine Form der Beratung angesehen werden kann, welche sich besonders auf berufliche Anliegen spezialisiert hat. Neben den fachlichen und methodischen sind hier persönliche Kompetenzen und eine angemessene Haltung unabdingbar.

    Um die steigende Professionalität und Qualitätssicherung im Coachingterrain gewährleisten zu können, sollten sich Weiterbildungen an den Standards der Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB) orientieren.

    3. Interdisziplinarität als notwendige Grundhaltung im Coaching?

    Sebastian Lerch & Henrik Weitzel

    Kapitel 3 behandelt die Frage nach einer notwendigen Grundhaltung zur Ausbildung im Coaching vom Standpunkt der Interdisziplinarität aus. In einer begriffsbestimmenden Analyse von »Coaching«, »Haltung« und »Interdisziplinarität« wird festgestellt, dass der Coachingbegriff von Natur aus interdisziplinäre Charakteristika aufweist. Interdisziplinarität als solche kann im Kern als das Zusammenwirken von Personen unterschiedlicher Disziplinen verstanden werden, bei welchem der Haltungsbegriff als innere Grundeinstellung eine zentrale Rolle einnimmt. Durch eine bestimmte innere Einstellung oder eine bestimmte äußere Körperhaltung werden bewusste oder unbewusste Reaktionen und Aktionen ausgelöst. Daher müssen Coaches sich ihrer eigenen sowie der Haltung des Gegenübers zu jeder Zeit bewusst sein und diese reflektieren können. Grundpfeiler des (systemischen und personzentrierten) Coachings sind zudem in einer achtsamkeitsbasierten, wertschätzenden und vorurteilsfreien Haltung zu finden. Ebenso beinhaltet die Ausbildung zum Coach durch ihre Ansiedlung in verschiedenen Fachgebieten und Ausbildungsschulen einen sehr interdisziplinären Charakter. Die Zusammenarbeit von Coach und Coachee stellt durch die Behandlung verschiedener, teils komplexer Themen und Fragestellungen im Coaching bereits eine höchst interdisziplinäre Interaktion dar. Zusammengefasst liegt der Schlüssel des interdisziplinären Coachings in einer offenen und vorurteilsfreien Grundhaltung sowie in deren bewusster Reflexion.

    4. Über das Verhältnis von Bildung, Beratung und Coaching

    Rolf Göppel im Gespräch mit Monika Zimmermann

    In dem Gespräch werden zunächst unterschiedliche Facetten des Bildungsbegriffs präsentiert und diskutiert: Bildung als geistige Formung des Menschen, als individuelle Entsprechung dessen, was Kultur auf kollektiver Ebene ausmacht, als Weltoffenheit, als sinngebender Schlüsselbegriff der Pädagogik, als Maßstab zur Bewertung der Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen in der empirischen Bildungsforschung, als Lebenselixier der Demokratie, als Anspruch an die humane Gestaltung des eigenen, individuellen Lebens …

    Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass das zwischenmenschliche Gespräch eine humane Fundamentalkategorie darstellt und Bildung immer auch eine dialogische Angelegenheit ist, also immer auch etwas mit intensivem persönlichen Austausch zwischen Menschen zu tun hat. Mit Bezug auf diesen werden die unterschiedlichen Spezifika, Zielrichtungen und Ansprüche jener Gespräche diskutiert, die mit den Begriffen »Beratung«, »Therapie«, »Supervision« und »Coaching« unter professionellen Ansprüchen stattfinden. Als Gretchenfrage im Hinblick auf das Coaching als einer spezifischen Gesprächsform, die sich heute in beruflichen Zusammenhängen breit etabliert hat, wird schließlich formuliert: Dient Coaching der Humanisierung der Arbeitswelt? Oder dient es eher der Optimierung und Effizienzsteigerung von firmeninternen Kommunikationsprozessen und Organisationsstrukturen? Führt es letztendlich zu erhöhtem Druck und stärkerer Selbstausbeutung der arbeitenden Menschen, die sich durch Coaching noch fitter machen wollen, um sich in Konkurrenz zu anderen einen Vorteil zu verschaffen?

    5. Aktueller Stand der Coachingforschung im Bereich Aus- und Weiterbildung

    Monika Zimmermann & Margret Fischer

    Bis heute bleibt der deutschsprachige Markt der Coachingausbildungen unübersichtlich und heterogen. Nach wie vor gibt es von Anbieter zu Anbieter starke Unterschiede im Aufbau, in den Inhalten und der Wirksamkeit von Coachingausbildungen. Auch die Vielzahl von verfügbaren Zertifizierungen und Angeboten verschiedener Verbände mit divergenten Ansprüchen trägt eher zur Unübersichtlichkeit bei, als dass sie diese reduzieren. Im letzten Jahrzehnt haben Wissenschaftler wiederholt versucht, einen Überblick über den Ausbildungsmarkt zu geben und fundierte Wirkfaktoren sowie Qualitätsmerkmale von Coachingausbildungen festzulegen. In diesem Kapitel schildern die Autorinnen den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Aus- und Weiterbildung im Bereich Coaching. Fokussiert werden dabei die Qualitätsanforderungen an solche Ausbildungen und an die Forschung zur Coachingausbildung. Diese Übersicht soll eine Orientierung für Interessierte an einer Coachingausbildung bieten und Wissenschaftler wie Anbieter von Coachingausbildungen sensibilisieren, sich weiter fundiert mit Aus- und Weiterbildung im Bereich Coaching auseinanderzusetzen.

    6. Evidenzbasiertes Coaching: Beitrag der Forschung zur Coachingpraxis

    Carolin Graßmann

    Kapitel 6 gibt einen Überblick darüber, was unter evidenzbasiertem Coaching verstanden wird und wie dieses angehende Coaches in ihrer Coachingpraxis und ihrer Selbstentwicklung als Coach unterstützen kann. Es folgt eine kurze Einführung in die Coachingforschung als eigenständiges Forschungsfeld und ein erster orientierender Überblick darüber, welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen auf Basis von Daten im Bereich Coaching möglich sind. Dazu zählen die beiden zentralen Fragen, was Coaching bei Klient:innen bewirken kann und warum manche Coachingprozesse erfolgreicher verlaufen als andere. Angehende Coaches sollen zudem erfahren, woran sie erkennen, welche Schlussfolgerungen wann möglich sind, und wie sie diese in ihre eigene Coachingpraxis integrieren können.

    7. Coachen ist ein Verb – Philosophieren im und über Coaching

    Matthias Ohler

    Dass coachen ein Verb ist, ist einerseits so trivial wie andererseits viel zu unbeachtet.

    Aus einer an Ludwig Wittgensteins sprachphilosophischen – genauer gesagt: grammatischen – Vorgehensweisen orientierten Sicht ergibt die Betrachtung des Begriffs Coaching eine wichtige Prüfung damit einhergehender Angebote zum Professions- und Auftragsverständnis von Coaches bzw. Coaching und zum Beziehungsangebot von Coach und Coachee. Es zeigt sich die Tendenz zu einem eigenartigen Widerspruch zwischen den eher heterarchisch angelegten Ideen von Augenhöhe und Autonomie einerseits und eher hierarchische Strukturen anbietenden Märkten von »Tools« oder »Methoden« andererseits.

    Das klassische Verständnis von Philosophieren als Sorge um sich wird von dort her herangezogen, um die Sorge um sich als Sorge um die anderen und um die eigene Verantwortung für die anderen und mit ihnen aufzuzeigen. Die Reflexion auf das eigene Professionsverständnis als – in diesem Sinne – Sorge um sich könnte davor schützen, zum Tooligan zu werden …

    8. Gefährt:innen einer Reise durch die Sinnlandschaft des Menschen – Logotherapeutische Sichtweisen und methodische Ansätze in Therapie und Coaching

    Carsten Kärcher

    »Der Mensch ist immer mehr als sein Problem, er ist der, der es gestalten kann« – das sagte Viktor E. Frankl, Begründer von Logotherapie und Existenzanalyse. Diese Aussage zielt bereits auf eine Erweiterung des Sichtfeldes, in dem der Logotherapeut den Menschen sieht, und zugleich beinhaltet sie eine ganz bestimmte Haltung und Perspektive im Hinblick auf die Verwirklichung von Sinnmöglichkeiten im Leben eines Menschen. Der Mensch besteht, dem logotherapeutischen Menschenbild nach, nicht nur aus der Kombination von Körper und Psyche. Frankl fügte eine weitere, essenzielle Dimension hinzu: die sog. geistige Dimension oder auch geistige Person, durch die der Mensch überhaupt erst fähig wird, Distanz zu seinen Symptomen einzunehmen, Stellung zu seinem Schicksal zu beziehen, sein Leid verantwortungsbewusst in die Hand zu nehmen, es zu gestalten und ihm bestenfalls Sinnvolles abzugewinnen. Der Sinn steht als heilsames Therapieziel im Zentrum der logotherapeutischen Begleitung, die mit ihrem dreidimensionalen Menschenbild die herkömmlichen Paradigmen zu vervollständigen weiß.

    9. Eine systemische Perspektive auf Coaching

    Monika Zimmermann im Gespräch mit Bernd Schumacher

    Im Gespräch mit Monika Zimmermann expliziert Bernd Schumacher seinen systemischen Blick auf Coaching und die vielen Stellen, an denen Coaching an die systemische Therapie anknüpft. Viele der theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie, so etwa die Vorstellung von Problem und Problemlösung sowie ein auf der Kybernetik der zweiten Ordnung basierendes Beratungsverständnis, sind auf das Coaching übertragbar. Unter Bezugnahme auf das Konzept der Pathologisierung grenzt Bernd Schumacher Coaching auch klar von systemischer Therapie ab, indem er darauf verweist, dass Coaching nicht zum Ziel hat, Pathologien zu diagnostizieren oder zu »behandeln«. Zudem verweist er auf Disziplinen, Fähigkeiten und allen voran eine »Haltung der distanzierten Engagiertheit«, die für Coaches mit systemischer Ausrichtung relevant sind. Dem liegt sein Coachingverständnis zugrunde, demzufolge Coaching formal ist, nicht inhaltlich: »Ich treffe keine Entscheidungen für Führungskräfte, aber ich arbeite daran, dass sie sich als entscheidungsfähig erleben.«

    10. Coaching und Führung – zum Wachstum inspirieren: Erfahrungsberichte und Führungsverständnisse

    Rainer Hundsdörfer & Monika Zimmermann

    In Kapitel 10 befassen sich die Autor:innen mit der Frage, inwiefern Wachstum und Erfolg eines Unternehmens durch dessen Mitarbeiter:innen begründet werden und welche handlungsleitenden Schlussfolgerungen sich hieraus für die Mitarbeiterführung ergeben.

    Beide Autor:innen berichten zunächst von ihren langjährigen Erfahrungen aus der Mitarbeiterführung, Zimmermann zusätzlich aus den Bereichen Therapie und Coaching, in denen sie sich intensiv mit den Stilmitteln gelingender Kommunikation und wertschätzenden Verhaltens sowie deren Auswirkungen auf das menschliche Verhalten befasst. Hieraus ergeben sich zwei individuelle und im Ergebnis doch kongruente Sichtweisen auf gute Führung und gutes Coaching sowie wertvolle Schlussfolgerungen für einen zeitgemäßen Führungsstil.

    Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum eines Unternehmens werden danach durch motivierte Mitarbeiter:innen geprägt. In dem Umfang, in dem wir diese nicht nur als Ausführende betrachten, sondern vielmehr als Mitunternehmer:innen, sie zu Kreativität und Innovation ermutigen und auch Fehler als unabdingbaren Teil eines vorwärts gerichteten Entwicklungsprozesses verstehen, werden wir Unternehmen erfolgreicher und für junge Talente attraktiver in die Zukunft führen.

    Erfolgreiche Führungskräfte sind weniger Manager:innen als vielmehr Coaches ihrer Mitarbeiter:innen. Wer versteht, dass er primär den Mitarbeiter:innen dient zur freien Entfaltung ihrer Stärken und Potenziale, ihnen diejenige Unterstützung angedeihen lässt, die es zum Ermöglichen individuellen Erfolgs und Zufriedenheit braucht, wird den Mitarbeiter:innen und letztlich dem Unternehmen den größten Dienst erweisen. Und dadurch selbst einen Zustand höchster Zufriedenheit erreichen.

    11. Das Coaching-Business zu Wachstum und Veränderung inspirieren – Neuausrichtung an der Lebens- und Arbeitswelt der Klient:innen von morgen

    Stefan Stenzel im Gespräch mit Monika Zimmermann

    Liegen die Anfänge des Business-Coachings in Deutschland in den 1980er-Jahren, hat sich seitdem – im Gegensatz zum Coaching bzw. den »Veränderungsbegleitern« selbst – im Business viel getan. Zudem suggerieren die Zahlen der Studien der International Coaching Federation (ICF) seit Jahren, dass das Produkt zeitgemäß und für die Klientel immer noch attraktiv ist. Arbeitet diese Klientel zudem im (Top-)Management, wird die dabei befragte Alterskohorte (35–50) jedoch ab 2035 die Unternehmen schrittweise verlassen. Gegebenenfalls werden Generationen nachrücken, die als Digital Natives ihr Leben digital organisieren und deren Aufmerksamkeitsspannen vermeintlich kürzer geworden sind. Infolge der Coronapandemie arbeiten diese Wissensarbeiter:innen nun eher im Homeoffice, in einem Co-Working-Space oder aber im Café nebenan. Die hybriden Arbeitsformen haben jedoch Konsequenzen sowohl für die Führung ihrer über Deutschland oder global verteilten Mitarbeiter:innen als auch ihre eigene Person. War bis vor 3 oder 4 Jahren den meisten Coaches der Begriff »Plattform« unbekannt, wird vor allem den Neulingen im Markt immer bewusster, dass der Vertrieb ihrer Services nicht mehr (ausschließlich) über die eigene Homepage laufen wird, sondern auch das Business gewinnorientierter Plattformbetreiber ist. Diese und andere Beobachtungen sind Hintergrund und Thema für das Gespräch von Monika Zimmermann mit dem Führungskräfteentwickler und Coachingverantwortlichen der SAP SE, Stefan Stenzel.

    E.3.2 II Bewusstmachen

    12. Den eigenen Stil als Coach entwickeln … oder: Worum bist du gewickelt?

    Antje Tschira

    Dieser Beitrag beleuchtet die Zusammenhänge zwischen einem auf persönlicher Stimmigkeit ausgerichtetem Stil der Ausübung der Tätigkeit des Coachings und der eigenen professionellen Wirksamkeit. Er geht der Frage nach, wie ein Profil entsteht und worin es sich von anderen Profilen unterscheidet. Als ein wesentlicher Teil dieses Stils werden Theorien und daraus resultierende Denkfolien, die der Erklärung und Bewertung von Situationen dienen, betrachtet. Fallbeispiele und die Reflexion der Theoriesäulen der Autorin verdeutlichen einen möglichen Weg der Stilbildung. Theorie und Praxis bedingen sich gegenseitig und führen in der jeweils zielführenden Kopplung zu hilfreichen Lösungen.

    13. Empathie – die Schlüsselkompetenz schlechthin im menschlichen Miteinander?

    Franz Josef Geider

    Im Coaching und in der Therapie gibt es den wichtigen gemeinsamen Nenner der hilfreichen zwischenmenschlichen Kommunikation. Hier konnte der personzentrierte Ansatz (Carl R. Rogers; vgl. Kap. 15.2) drei unverzichtbare Bedingungen für das Therapeuten- bzw. Coachingverhalten formulieren, die als therapeutische Basisvariablen Eingang in viele Therapieschulen gefunden haben. Empathie ist eine dieser drei Basisvariablen. Sie kann als Schlüsselkompetenz im menschlichen Miteinander gesehen werden. Warum sie so wichtig ist und wie man sich darin weiterbilden kann, ist Inhalt dieses Beitrags.

    14. Nur etwas für Verkäufer? Nutzen und Stellenwert des NLP für modernes Coaching

    Daniela Blickhan

    Kaum eine Coachingmethode polarisiert seit Jahrzehnten so stark wie das Neurolinguistische Programmieren, kurz NLP. Dieser Beitrag zeigt, warum NLP auch heute noch eine wertvolle und wirksame Coachingmethode darstellt und mehr als eine Toolbox ist. Die Wurzeln des NLP in den wilden Siebzigern Kaliforniens werden kurz beschrieben, um den atheoretischen, wissenschaftsfernen Ansatz einzuordnen. Daran schließen sich die Definition der Methode NLP und die zentralen Grundannahmen ihres Menschenbildes an, das auf der humanistischen Psychologie basiert. Um den Stellenwert dieser nach wie vor kritisch diskutierten Methode für modernes Coaching zu zeigen, werden detailliert und nachvollziehbar Coachingmodelle und -strategien des NLP beschrieben sowie wichtige Anforderungen an NLP-Coaches und ihre persönliche Haltung. Ein Ausblick in die Zukunft des NLP rundet den Beitrag ab.

    Die Autorin ist Gründungsmitglied des Deutschen Verbands für NLP (DVNLP) und im deutschsprachigen NLP seit der ersten Stunde dabei.

    15. Von der Lösungs- zur Wachstumsorientierung – Positive Psychologie im Coaching

    Daniela Blickhan

    Positive Psychologie als Wissenschaft des gelingenden Lebens ist eine ideale Basis für modernes, ganzheitliches Coaching. Dieser These geht der Beitrag nach und beleuchtet zunächst, was die positive Psychologie ist – und was nicht. Warum die positive Psychologie nicht nur lösungs-, sondern wachstumsorientiert ist und damit eine ideale Ergänzung darstellt für Coaching aller Schulen, die auf der humanistischen Psychologie basieren, wird anhand des GROW-Modells diskutiert.

    Zentrale Themenfelder im »positiven Coaching« werden benannt, und der Coachingprozess wird mit einer Metapher beschrieben. Das Fokusthema für die praktische Anwendung, das für jeden Coachingprozess relevant ist, umfasst positive Emotionen. Was an Emotionen eigentlich positiv und negativ ist, wird ebenso beleuchtet wie die Frage, warum negative Gefühle schneller und stärker wahrgenommen werden und welche Rolle der Emotionsdifferenzierung im Coaching zukommt. Eine der zentralen Theorien der positiven Psychologie, »Broaden and Build«, steht im Mittelpunkt der Frage, wie Klient:innen ihre Emotionen wahrnehmen und konstruktiv nutzen können, um ein gelingendes, erfüllendes Leben zu führen.

    16. Psychodynamisches Business-Coaching – Einblicke in unbewusste Prozesse für interessierte Coaches

    Andrea Wurst, Julia Perlinger, Leonie Derwahl & Thomas Kretschmar

    Psychodynamisches Business-Coaching verbindet das fundierte Wissen psychodynamischer Denker:innen mit den Anforderungen, die sich in einem komplexen Arbeitskontext zeigen. Kapitel 16 ermöglicht einen ersten Einblick in den Ansatz psychodynamischer Coaches und beantwortet relevante Fragen: Was bedeutet eigentlich Psychodynamik? Welche Relevanz hat sie im Arbeitskontext? Wie zeigen sich unbewusste und bewusste Dynamiken bei Führungskräften, Teams und Organisationen? Und wie werden Veränderungsprozesse vor diesem Hintergrund in einem Coaching angestoßen und nachhaltig begleitet?

    Das Selbstverständnis professioneller psychodynamischer Coaches umfasst immer ein tiefgehendes Verständnis für intra- und interpsychische sowie bewusste und unbewusste Prozesse. Wir Autor:innen wünschen uns, mit unserem Beitrag das Interesse der Leser:innen für diese spannenden und vielleicht manchmal überraschenden Zusammenhänge zu wecken.

    17. Impulse aus der personzentrierten Systemtheorie – »Angemessene Verstörung« als Essential für Wandlungsprozesse im Coaching

    Jürgen Kriz

    Wir alle wissen, dass zwischen dem Reparieren einer Maschine und der hilfreichen Unterstützung menschlicher Veränderungsprozesse wesentliche Unterschiede bestehen. Unsere Modelle, mit denen wir die Wirkung unserer Vorgehensweisen (Tools) in Therapie, Beratung und Coaching verstehen und erklären, ähneln aber allzu oft noch den klassischen Reparaturmodellen. Radikal im Kontrast dazu steht die personzentrierte Systemtheorie: Sie trägt sowohl der Nichtlinearität von Entwicklungsverläufen Rechnung als auch der Interpretationsfähigkeit des Menschen als Subjekt. Im Zentrum von Kapitel 17 steht eines der zentralen Konzepte der personzentrierten Systemtheorie, die angemessene Verstörung. Diese findet sich als Grundprinzip bereits in jahrhundertealten Weisheitslehren wieder, lässt sich aber im Lichte moderner Systemtheorie neu verstehen und so auch anwenden.

    18. Verhaltenstherapie und ihre Implikationen für Coaching

    Peter Kosarz

    Der hier vorgestellte verhaltenstherapeutische Coachingleitfaden berücksichtigt viele der Coachingkompetenzen, die Rauen und Steinke (2021) im Coach Competence Model (CCM) gefordert haben. Verhaltenstherapeuten sollten über Persönlichkeit (Selbstkompetenz), sozialkommunikative Kompetenz und Methodenkompetenz verfügen. Diese Kompetenzen gehören zu ihrem therapeutischen Handwerkszeug. In den Bereichen Sachkompetenz sowie Feld- und Funktionskompetenz besteht allerdings erheblicher Nachholbedarf. Um der mehrfach beschriebenen Gefahr zu entgehen, anstelle eines erfolgreichen Coachings Anpassung zu bewirken, ist es notwendig, die verhaltenstherapeutischen Kompetenzen um die Kenntnis der Organisationstheorie und vor allem um wirtschaftswissenschaftliche und juristische Ressourcen sowie Ressourcen der Coachingforschung zu erweitern.

    Andererseits fehlen in Coachings, die nicht auf einer verhaltenstherapeutischen Grundorientierung fußen, wesentliche Methoden zur Identifikation und Bearbeitung persönlicher Probleme. So wie Coachingansätze, die sich aus psychotherapeutischen Grundkonzepten ableiten, Gefahr laufen, lediglich Anpassungsleistungen zu bewirken, indem sie versuchen, strukturelle Probleme auf individueller Ebene zu lösen, laufen diese Ansätze Gefahr, individuelle Probleme zu ignorieren oder auf die Ebene institutioneller Dynamiken und Problematiken zu verschieben und verfehlen damit ebenso Thema und Ziel. Erfolgreiche Coaches müssen in der Lage sein, sowohl die Ebene der Organisation, des Unternehmens mit seinen jeweiligen Anforderungen, als auch die Ebene der Person mit ihren individuellen Defiziten oder, ressourcenorientiert ausgedrückt, Besonderheiten zu sehen und mit beidem zu arbeiten. Solche Coaches müssen also jederzeit einen Wechsel der Perspektiven vornehmen können.

    19. Coaching und Embodiment: Körper und Geist in Verbindung

    Lara Felisa Rubbel

    Der Körper und mit ihm die körperliche Wahrnehmung sind grundlegende Ressourcen, die jedoch oft erst beachtet werden, wenn ein Teil nicht wie gewohnt funktioniert.

    Wie hängen Körper und Geist zusammen? Welchen Mehrwert hat der Einbezug des Körpers für die Coachingarbeit? Auf Basis des Embodimentkonzepts wird die Verbindung zwischen körperlichen und kognitiven Prozessen in Bezug auf Coaching betrachtet.

    Wie zahlreiche Studien aus der Embodimentforschung belegen, beeinflussen sich körperliches und kognitives Erleben gegenseitig. Ein vitaler und wacher physischer Zustand hebt das Gemüt, eine schlechte Stimmung wirkt sich auf das körperliche Wohlbefinden aus. Körper und Geist bilden ein untrennbares Wechselspiel.

    Im Coaching bietet der Körper insbesondere für die Selbstwahrnehmung, das Spüren der eigenen Bedürfnisse und die daraus resultierenden Handlungs- und Wahlmöglichkeiten Zugänge, die rein kognitiv nicht genutzt werden können. Daher stellt dieser Beitrag einen interdisziplinären Ansatz dar, in dem Körper und Geist gleichrangig betrachtet und genutzt werden.

    20. Coaching als kooperative Konstruktion von Lösungswirklichkeiten für einzigartige Menschen in einzigartigen Kontexten – Hypnosystemische Coachingkonzepte

    Gunther Schmidt

    Der Beitrag beschreibt, wie mit hypnosystemischen Konzepten kompetenz- und ressourcenaktivierende Kooperationsprozesse mit Menschen gestaltet werden können, die ein Coaching aufsuchen. Als Begründer des hypnosystemischen Ansatzes stellt der Autor zunächst dessen theoretische Grundlagen vor: Das hypnosystemische Konzept integriert als lösungsorientiertes, kompetenzfokussierendes und ressourcenaktivierendes Modell die systemisch-konstruktivistischen Ansätze, insbesondere mit den Modellen der ericksonschen Hypnotherapie. Dementsprechend geht der Autor besonders auf die Bedeutung von Tranceprozessen in der Problemwahrnehmung sowie von Hypnose in der Beratung ein. Erläutert werden unter anderem zentrale Konzepte wie Priming, Utilisation, Pacing. Im Anschluss werden die praktischen Interventionsschritte eines hypnosystemischen Vorgehens beschrieben – auch in Abgrenzung zu anderen Coachingschulen. Der letzte Abschnitt des Beitrags illustriert Schritt für Schritt die typischen Phasen eines hypnosystemischen Coachings.

    E.3.3 III Befähigen

    21. Handlungsbefähigung als zentrales Ziel der Coachingausbildung – Vom Wissen zum Handeln

    Monika Zimmermann

    In vielen Lehrbereichen besteht eine fundamentale Diskrepanz zwischen dem Wissen um professionelle Handlungsweisen und der konkreten Umsetzung in der beruflichen Praxis. Besonders unter Zeitdruck wird oft auf tief verankerte Handlungsmuster zurückgegriffen, wodurch sich das praktische Erlernen und Trainieren neuer professioneller Handlungen als schwierig gestaltet. Jede effiziente Fortbildungsmaßnahme muss dieses Theorie-Praxis-Transferproblem bewältigen. Kapitel 21 behandelt einen theoriegeleiteten Professionalisierungsweg für angehende Coaches, um vom Wissen zum nachhaltig kompetenten Handeln zu gelangen. Eine Absicht allein bestimmt noch keine Handlung. Was sind die Voraussetzungen für handlungsrelevante Wissensbestände, damit in der Praxis wirksam auf diese zurückgegriffen werden kann? Am Prinzip des »pädagogischen Doppeldeckers« erfahren und reflektieren die Auszubildenden durch die Modellfunktion des Lehrenden die Bedeutung und praktische Anwendung ausgewählter theoretischer Konzepte. Auf der in der Coachingausbildung didaktisch vorstrukturierten Lernreise auf dem Weg von professioneller Absicht zur professionellen Handlungsfähigkeit gibt es mehrere Etappen. Diese führen von einer schnellen Situations- und Handlungsauffassung über die richtigen motivationalen Bedingungen und bewussten Kognitionen hin zum Aufbau positiver Erklärungsmuster. In diesem Beitrag werden dafür diverse theoretische Grundlagen erörtert und in einen Zusammenhang gebracht, insbesondere Motivations- und Zieltheorien, das Johari-Fenster, die positive Psychologie und die Selbstkongruenz, das Modell der Kompetenzstufen und fehlertheoretische Grundannahmen. Diese flankieren die Auszubildenden, um ihr handlungsrelevantes Wissen kognitiv abzuspeichern, zu bündeln und abzurufen.

    22. Mythos Willenskraft – Warum eiserne Disziplin nicht für nachhaltige Veränderung reicht, und wie Transferstärkecoaching hilft

    Axel Koch

    Warum setzen Coachees gewonnene Erkenntnisse aus Coachingsitzungen oft nur mühsam um? Wieso tun sie sich schwer mit einer nachhaltigen Veränderung? Das liegt daran, dass der Blick in der Coachingpraxis vor allem darauf ruht, mit welchem Problem Coachees kommen und was sie verändern möchten. Wenig Beachtung hat dagegen die Perspektive, inwiefern Coachees gute Selbstveränder:innen sind. Typischerweise wird angenommen, Coachees müsste die Veränderung gelingen, wenn sie nur hinreichend motiviert sind und ein klares Ziel vor Augen haben, wie sie sich künftig verhalten wollen. Dieser Beitrag rückt die neue Perspektive der Transferstärke in den Mittelpunkt – nämlich die Frage, inwiefern Coachees die erforderlichen Einstellungen und Selbststeuerungsfertigkeiten mitbringen, die für eine nachhaltige Veränderung ihrer Gewohnheiten erforderlich sind. Und er zeigt auf, wie Entwicklungsthemen im Coaching genutzt werden, um zugleich noch die Transferstärke und damit die persönliche Veränderungskompetenz von Coachees zu stärken. Dieser eigenständige, neue Ansatz, der beides unter einen Hut bringt, heißt Transferstärkecoaching.

    23. Onlinecoaching – Zum Wachstum inspirieren, auch ohne reale Begegnung

    Elke Berninger-Schäfer im Gespräch mit Monika Zimmermann

    Professionalität im Coaching zeigt sich in der konzeptionellen Fundierung der Coaches, ihrer Grundhaltung, in ihrem ethischen Verständnis, ihrer Art, Coachingprozesse zu steuern, ihrem Methodenrepertoire und ihrer Qualitätssicherung. Bei manchen Konzepten spielt der Askesebegriff eine Rolle, so z. B. bei der Karlsruher Schule. Diese integriert klient:innenzentrierte, hypnosystemische und neurowissenschaftliche Ansätze und kann in Weiterbildungen zum »Business-Coach«, »Health-Coach«, »Agile Coach« und in »Onlinecoaching« erlernt werden. Eine Weichenstellung in diesem Konzept ist die Musterzustandsänderung. Hierbei begleiten Coaches ihre Klient:innen in emotional positive, ganzheitliche Zustände, die somatisch markiert sein müssen. Dieser Anspruch gilt auch beim Onlinecoaching. Im Gespräch wird darauf eingegangen, wie professionelles Onlinecoaching umgesetzt werden muss, sodass auch die emotionale und die physiologische Ebene im Coaching berücksichtigt werden können. Diese Ausführungen werden ergänzt um Ethikrichtlinien für das Onlinecoaching, weitere Kompetenzfelder und hilfreich Onlinetools.

    24. Die potenzierende Wirkung von Onlinecoaching in Verbindung mit einer Weiterbildung am Beispiel der Zielgruppe pädagogischer Fachkräfte

    Yvonne Reyhing

    Weiterbildungen, die durch Coaching begleitet werden, versprechen einen deutlichen Mehrwert gegenüber Weiterbildungen ohne Coaching (Markussen-Brown et al. 2017). Das Coaching selbst lebt dabei, wie bei jedem professionellen Coaching, von dem zugrunde liegenden Coachingkonzept. In diesem Beitrag wird ein innovatives Vorgehen mit einem besonderen Coachingkonzept vorgestellt. Die Verbindung des personzentrierten Ansatzes nach Carl Rogers mit dem Konzept der Interaktionsqualität nach La Paro, Hamre und Pianta (2012), welches aus dem pädagogischen Bereich stammt, bietet großes Potenzial für die Professionalisierung des Coachings.

    Dabei stehen die Interaktion und somit die Beziehung zwischen Coaches und Klient:innen im Zentrum. Dieses Interaktionsverständnis bietet eine Basis für die Ausgestaltung der Coachingbeziehung. Die Interaktionen zwischen Coaches und Teilnehmer:innen können dann als hochwertig und förderlich bezeichnet werden, wenn sie auf einer wertschätzenden, vertrauensvollen und unterstützenden Beziehung aufbauen sowie von Flexibilität, Anregung und Ermutigung geprägt sind.

    In diesem Beitrag wird dieses Konzept erstmalig auf die Coachingbeziehung übertragen. Dies bietet eine große Chance für die Gestaltung des Coachings, die individuelle Qualitätssicherung sowie zukünftige übergreifende Forschungsbemühungen und Qualitätsentwicklungsmaßnahmen. Im Beitrag wird die Weiterbildung mit ihren zahlreichen synchronen und asynchronen Coachingelementen vorgestellt sowie das Konzept der Interaktionsqualität im Coaching näher erläutert.

    25. Diagnostik im Coaching

    Margret Fischer

    Es funktioniert nicht, eine Diagnose zu stellen und dann zu Ärzt:innen, Therapeut:innen oder Coaches zu gehen mit dem Ziel, diese sollen einen Defekt reparieren. Ein wesentlicher Teil beim Aufspüren adäquater Lösungen im Coaching sind die Aktivierung von Selbstheilungskräften und Ressourcen sowie eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit.

    Während in der Medizin eine eingehende klinische Diagnostik durch die Untersuchung und das tatsächliche Berühren der Patient:innen erfolgt, wird beim Coaching das »Berühren« von Klient:innen mithilfe des diagnostischen Gesprächs ermöglicht. Dieses dient dazu, Coachees zu sensibilisieren, über den Prozess der Entstehung und Aufrechterhaltung eines bestimmten Zustands nachzudenken. Und ebenso in Erfahrung zu bringen, welche Umstände des Denkens, Fühlens und Handelns diesen Zustand verändern. In der Regel haben Coaches trotz genetischer Disposition und Gewohnheitsliebe eine eigenständige unterschiedsbildende Weise, Einfluss zu nehmen, die angeregt werden soll. Dann erleben sich Coachees gegenüber ihren Klient:innen nicht ausgeliefert, hilflos und ohnmächtig, sondern selbstwirksam, tatkräftig und stark.

    E.3.4 IV Synopse

    In diesem Kapitel wird eine erweiterte, interdisziplinäre Perspektive auf das Coaching verfolgt. Die Synopse, die auf der Grundlage einer deduktiv-qualitativen Inhaltsanalyse erstellt wurde, dient der Untersuchung institutionalisierter Interventionstypen wie Bildung, Therapie und Beratung sowie der Analyse der Komponenten beraterischer Professionalität, einschließlich operativen Wissens und Objekttheorien. Eine umfassende Analyse wird durchgeführt, um Gemeinsamkeiten in den Bereichen Wissenschaftlichkeit, Verständnis der Profession, persönliche Leitlinien im Coaching, dem zugrunde liegenden Menschenbild, den Zielen des Coachings und der damit verbundenen Rolle des Coaches zu identifizieren. Es wird angestrebt, die individuellen Coachingansätze, die in den verschiedenen Kapiteln identifiziert wurden, in einer einheitlichen Coachingmission und -vision zu artikulieren. Ein zentraler Fokus liegt auf der Ermittlung von strukturellen Ähnlichkeiten in den untersuchten Coachingansätzen und -perspektiven. Dieser wissenschaftliche Ansatz ermöglicht eine tiefgreifende Diskussion und Reflexion über das Verständnis und die Praxis des Coachings.

    Literatur

    Berendt, J.-E. (1996): Geschichten wie Edelsteine. Parabeln, Legenden, Erfahrungen aus alter und neuer Zeit. München (Kösel).

    Fatzer, G., K. Rappe-Giesecke u. W. Looss (1999): Qualität und Leistung von Beratung. Supervision, Coaching, Organisationsentwicklung. Köln (EHP).

    La Paro, K. M., B. K. Hamre a. R. C. Pianta (2012): Classroom assessment scoring system (CLASS) manual, Toddler. Baltimore, MD (Brookes).

    Markussen-Brown, J., C. B. Juhl, S. B. Piasta, D. Bleses, A. Højen a. L. M. Justice (2017): The effects of language- and literacy-focused professional development on early educators and children. A best-evidence meta-analysis. Early Childhood Research Quarterly 38: 97–115. DOI: https://doi.org/10.1016/j.ecresq.2016.07.002.

    Mäthner, E., A. Jansen u. T. Bachmann (2005): Wirksamkeit und Wirkfaktoren von Coaching. In: C. Rauen (Hrsg.): Handbuch Coaching. Göttingen (Hogrefe), S. 55–70.

    Neumüller, G. u. F. W. Niehl (1977): Konzepte. Materialien für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II (Gott und Gottesbilder, Bd. 2). Frankfurt a. M. (Diesterweg).

    Rauen, C. u. I. Steinke (2018): Was macht einen qualifizierten Business-Coach aus? Anforderungsprofil für Business-Coaching-Kompetenzen. Coaching-Magazin 2018 (2): 22–26. Verfügbar unter: https://www.coaching-magazin.de/beruf-coach/was-macht-einen-qualifizierten-business-coach-aus [25.12.2023].

    Wagenschein, M. (1999 [1968]): Verstehen lehren. Weinheim/Basel (Beltz).

    1 Gender-Hinweis: Häufig stellen nicht geschlechtsbestimmende Pluralformen wie »Coaches« oder »Klient:innen« sprachliche Auswege dar. Falls nicht vermeidbar, wird im Verlauf dieses Textes »der Coach« unter Vernachlässigung des grammatikalisch unzulässigen Femininums (»die Coach«, »die Coachin«) als geschlechtsneutrale englische Berufsbezeichnung verwendet. In den anderen Fällen wird der Genderdoppelpunkt verwendet.

    2 Leicht modifiziert nach Neumüller u. Niehl (1977, S. 1); vgl. auch Berendt (1996, S. 128).

    3 Lat. inter = »zwischen«, Disziplin = bestimmter Teilbereich der Wissenschaft, Fachrichtung.

    I Begeistern

    1Was ist Coaching? – Ein Vorverständnis aus nationaler und internationaler Perspektive

    Monika Zimmermann & André Niggemeier

    1.1 Einleitung

    1.2 Was ist Coaching?

    1.3 Coaching in der wissenschaftlichen Literatur

    1.4 Perspektive der Coachingberufsverbände im (internationalen) Vergleich

    1.5 Folgerungen für ein eigenes, integratives Coachingverständnis

    Literatur

    1.1 Einleitung

    So schillernd der Begriff Coaching auch sein mag, ist er doch bis heute nicht eindeutig definiert. Dabei mangelt es nicht an Definitionsversuchen, sondern vielmehr an einer eindeutigen Übereinkunft darüber, was Coaching genau ist. Die Gründe dafür, dass Coaching so schwer greifbar bzw. definierbar ist, sind auch darin zu sehen, dass so viele unterschiedliche Perspektiven auf Coaching existieren und es in der Praxis auf unterschiedliche Art ausgeübt wird. Um die Frage, was Coaching überhaupt ist, für sich beantworten zu können, sollte man sich ihr schrittweise annähern. Das ist ein Ziel dieses Beitrags. Ein zweites Ziel liegt in der begründeten Entwicklung eines interdisziplinären Gegenstandsverständnisses von Coaching.

    Um diese Ziele erreichen zu können, bedarf es einer multiperspektivischen Reflexion von Coachingdefinitionen und -verständnissen in Theorie und Praxis.

    Eine erste Annäherung an den Coachingbegriff erfolgt in Kapitel 1.2 durch Abgrenzung von strukturähnlichen Disziplinen wie Psychotherapie, Beratung, Training, Lehre und Mentoring, aber auch Counselling⁴, Consulting, Leading und Managing.

    Um ein differenzierteres Coachingverständnis zu gewinnen, wird der Coachingbegriff in Kapitel 1.3 aus der Perspektive der wissenschaftlichen Literatur verschiedener Fachgebiete dargestellt: Betriebswirtschaft, Sozial- und Erziehungswissenschaften, Psychologie, Psychodynamik und schließlich Managementliteratur.⁵ Inwiefern sich diese theoretischen Begriffssetzungen in der Praxis durchgesetzt haben, wird in Kapitel 1.4, das sich dem Coachingverständnis nationaler und internationaler Coachingverbände widmet, ansatzweise ersichtlich. Abschließend wird in Kapitel 1.5 auf der Grundlage der vorherigen Ausführungen ein eigenes, integratives Coachingverständnis entwickelt.

    1.2 Was ist Coaching?

    Wie und wo kann der Coachingbegriff also eingeordnet werden?

    Coaching kann verstanden werden als eine Form der Beratung. Im internationalen Diskurs wird Beratung (Counselling) als Oberbegriff für psychosoziale Beratung, Therapie, Coaching, Supervision, Organisationsberatung und Mediation verstanden (Rohr 2021). Diesem Verständnis schließen wir uns an.

    Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung, Unterstützung von Privatpersonen, Paaren, Gruppen und von Personen mit Führungs- bzw. Steuerungsfunktion in Unternehmen und anderen Organisationen.

    Als Sammelbegriff bezeichnet Coaching individuelle Formen von (personzentrierter) Beratung auf der Prozessebene. Coaching ist eine vertrauliche, auf Freiwilligkeit beruhende Einzelberatung von psychisch gesunden Menschen, die bewirken kann, dass Klient:innen eigenverantwortlich und aus sich heraus Lösungen für ihre Anliegen finden. Dabei bedient sich der Coach wissenschaftlich anerkannter Ansätze und Methoden mit philosophisch-psychotherapeutischen Wurzeln. Ziel des Coachings ist es, Klient:innen eine nachhaltige, dauerhafte Veränderung durch neue Perspektiven, Einsicht in die eigene Persönlichkeitsstruktur, das Aufspüren und Aktivieren von Ressourcen und das Lernen aus Erkenntnis und Erfahrung zu ermöglichen.

    Hierbei kann zwischen »Personal Coaching« und Business-Coaching differenziert werden. Da persönliche und berufliche Anliegen häufig eng miteinander verbunden sind, sollten Coaches stets beides im Blick behalten. Business-Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungsfunktionen und/oder und von Experten in Unternehmen oder Organisationen.

    Coaching arbeitet mit transparenten Interventionen und erlaubt keine manipulativen Techniken, da ein derartiges Vorgehen der Förderung von Bewusstsein und Eigenverantwortung prinzipiell entgegenstehen würde.

    Ist Coaching Psychotherapie? Im Gegensatz zur Psychotherapie richtet sich Coaching an »gesunde« Personen und widmet sich vorwiegend den Problemen, die aus der Berufsrolle heraus entstehen, die ohne entsprechendes Fachwissen des Coachs nicht bearbeitet werden können. Psychische Erkrankungen, Abhängigkeitserkrankungen oder andere Beeinträchtigungen der Selbststeuerungsfähigkeit gehören ausschließlich in das Aufgabenfeld entsprechend ausgebildeter Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen und medizinischer Einrichtungen.

    Ist Coaching Beratung? Coaches können keine Fachberater:innen (z. B. Unternehmensberater:innen, IT-Berater:innen, Arbeitsmediziner:innen, Rechtsanwält:innen usw.) ersetzen. Dennoch werden Coaches häufig auch als fachliche Ansprechpartner:innen bei bestimmten Anliegen gesehen und um Ratschlag oder eine persönliche Stellungnahme gebeten. Sofern dies für den Beratungsprozess sinnvoll ist und Coaches über die entsprechende fachliche Kompetenz verfügen, kann dies ein Teil von Coachingprozessen sein.

    Ist Coaching Training? Training dient dem gezielten Aufbau bestimmter Verhaltensweisen, das heißt, es steht meist das Erlernen eines »idealen« Ablaufmusters im Vordergrund. Die individuellen Bedürfnisse der Klient:innen sind dabei zwar maßgeblich, aber den Schwerpunkt bilden die Trainingsinhalte (z. B. bei Verkaufs-, Moderations-, Rhetoriktrainings u. v. m.). Training kann als Maßnahme im Coaching eingesetzt werden, z. B. um Verhaltensdefizite zu korrigieren. Das Coaching bietet dann den Anlass und den Rahmen, spezielle Fertigkeiten aufzubauen bzw. zu verbessern.

    Ist Coaching Lehre? Teilen Coaches mit ihren Coachees ihr Wissen z. B. über Persönlichkeitsentwicklung, menschliche Entwicklungsaufgaben, Entstehungsmuster von Problemen/Lösungsversuchen, um ein tieferes handlungsleitendes Verständnis beim Coachee zu bewirken, dann kann Coaching auch didaktische Lehrelemente (Psychoedukation) enthalten.

    Ist Coaching Mentoring? Mentoring meint die »Patenschaft« zwischen jungen bzw. zu einer Organisation neu hinzugekommenen Mitarbeiter:innen und erfahrenen Führungskräften. Aufgabe von Mentor:innen ist die Vermittlung organisationsspezifischen Wissens, die Bindung an die Organisation und teilweise auch eine karrierebezogene Beratung. Mentoring zielt darauf ab, »High Potentials« zu fördern, Fluktuationskosten zu reduzieren und Konflikte bei der Integration neuer Mitarbeiter:innen zu vermeiden. Coaching in unserem Verständnis kann somit eine zusätzliche Komponente im Rahmen einer Mentoringbeziehung darstellen.

    Zielsetzung von Coaching ist die Weiterentwicklung von individuellen oder kollektiven Lern- und Leistungsprozessen bezüglich beruflicher und privater Anliegen. Als ergebnis- und lösungsorientierte Beratungsform dient Coaching der Steigerung und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit, Gesundheit und der Verbesserung der Selbstregulationsfähigkeiten. Diese Hilfe zur Selbsthilfe wird u. a. durch die Förderung von Selbstreflexion und -wahrnehmung, Bewusstsein und ausgewählte Psychoedukationselemente erreicht. Als ein auf individuelle Bedürfnisse abgestimmter Beratungsprozess unterstützt ein Coaching die Verbesserung der beruflichen und/oder privaten Situation und das Gestalten von Rollen unter anspruchsvollen Bedingungen. Durch die Freisetzung der menschlichen individuellen Potenziale soll die wertschöpfende und zukunftsgerichtete Entwicklung des Individuums, des Unternehmens bzw. der Organisation gefördert werden. Coaching ist immer ressourcenorientierte Autonomieermöglichung, die zielorientiert und proaktiv individuelles Lösungspotenzial aktiviert. Coaching kann ein systematisches zielorientiertes, ausbalanciertes Angebot (eine Kombination) (= Coachingkonzept) aus diversen Formaten, Beratungsformen, didaktischen Settings (verstanden als hilfreiche Interventionen) sein: aus theoretisch fundiertem Coaching, Beratung, Lehr- und Trainingseinheiten, Supervision. Coaching findet meist in mehreren Phasen statt (»Begeistern, Bewusstmachen, Befähigen«) und zielt letztlich auf Handlungsfähigkeit, wofür die Coaches den Aufbau handlungsleitender Wissensbestände prozessbegleitend moderieren. Coaching als möglichst wertungsfreies, zielgerichtetes Angebot an Struktur, Orientierung und Prozessbegleitung fördert die Reflexionsfähigkeit sowie die Selbst- und Fremdwahrnehmung, verändert die Problemtrance in eine Lösungstrance und erhöht die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Handlungsfähigkeiten, innere Haltung bilden das Fundament, um für individuelle und gruppenbezogene Aufgabenstellungen erfolgreiche und nachhaltige Lösungskonzepte zu finden.

    In bisherigen Darstellungen des Coachings liegt der Fokus zumeist auf den Komponenten, Merkmalen und deren Ablauf bzw. Prozess. Für diejenigen, die erstmals mit dem Begriff in Berührung kommen, mehr über das Coaching erfahren möchten und der Praxis noch fern sind, wird das Verstehen von Coaching in seinen Tiefen und dessen, was es zu leisten vermag, in dieser Weise kaum ermöglicht. Es mangelt an Antworten auf die grundlegenden Fragen:

    Was ist das Coaching?

    Was ereignet sich konkret im Coaching?

    Welche Vorstellungen und Erwartungen können geformt werden?

    Warum wird Coaching überhaupt benötigt, wenn die Lösung doch in den Klient:innen selbst liegt?

    Auch international ist diese Problematik präsent (Rostron 2009, S. 83):

    »There still remains a lack of clarity and consensus as to what professional coaching is, and what makes for an effective and reputable coach. Globally, research needs to be conducted to determine what competences are necessary for the education and development of coaches worldwide, and what will be a definition of coaching that the global community will accept.«

    Diskrepanzen zwischen Denken, Fühlen und Handeln werden mangels Selbstreflexion häufig nicht (zielführend) erkannt und Gründe dafür nicht eindeutig identifiziert. Dadurch kann die Handlungsfähigkeit gehemmt werden. Wie soll etwas bearbeitet und weiterentwickelt werden, was im Dunkeln liegt und kaum oder nicht gesehen wird? Die

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