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Supervision mit größeren Gruppen und Teams
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eBook274 Seiten2 Stunden

Supervision mit größeren Gruppen und Teams

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Über dieses E-Book

Wie groß darf ein Team für eine Supervision sein? Die gängige Fachliteratur blendet diese Frage weitgehend aus. Klaus Antons geht ihr gemeinsam mit fünf Kolleginnen aus der Praxis in diesem Buch nach.

Systematisch wird untersucht, was aus der Theorie für Großgruppen brauchbar ist für die supervisorische Praxis. Dabei werden psychoanalytische Konzepte ebenso herangezogen wie die sozialpsychologische Feldtheorie. Als noch sinnvoll erweist sich eine "große Kleingruppe" mit zehn bis zwanzig Personen.

Das Buch zeigt auf, was die supervisorische Arbeit mit einem sozialen System dieser Größe spannend und ergiebig macht. Neben 30 praxiserprobten Übungen liefert es viele methodische und technische Anregungen, wie man sinn- und fantasievoll mit großen Kleingruppen und Teams arbeiten kann. Auch die Auswirkungen der Pandemie auf Supervision wird untersucht.
SpracheDeutsch
HerausgeberCarl-Auer Verlag
Erscheinungsdatum5. Okt. 2022
ISBN9783849783983
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    Buchvorschau

    Supervision mit größeren Gruppen und Teams - Klaus Antons

    1Psychoanalytische Großgruppentheorien

    Was kann helfen, mit großen Kleingruppen supervisorisch zu arbeiten? Will man dieser Frage nachgehen, ist es dienlich, sich zu vergegenwärtigen, welche Theorien über die Arbeit mit Großgruppen und welche Praxen es überhaupt gibt. Denn große Kleingruppen partizipieren an der Großgruppendynamik ebenso wie an der Kleingruppendynamik. In diesem ersten Kapitel werden die ältesten Theoriebildungen fokussiert: die der Psychoanalyse.

    1.1Le Bon und Freud

    Psychoanalytisches Denken über Großgruppen geht zurück auf den soziologischen Klassiker von Gustave le Bon, Psychologie des foules (1895, dt. 1912 etc.). Die Anzahl der Wiederauflagen macht deutlich, dass das Werk Aktualität besitzt. Le Bon postulierte als Erster, dass dort, wo sich Individuen in großer Zahl zusammenfinden, das Individuum seine Persönlichkeitseigenschaften und moralischen Werte der Masse unterwerfe, um Teil eines großen, amorphen Ganzen zu werden. Diese Verhaltensänderung, bestehend aus Reduzierung der Über-Ich-Funktionen und damit von Schuld und Angst, verdanke sich einem Gefühl von Macht und Stärke, das die Menge verleihe. Paradox an diesem Postulat sei, so Schneider und Weinberg (2003, p. 14), dass mit dem Gefühl von Macht und Stärke gleichzeitig die Macht und Verantwortlichkeit des Individuums sinke und es ein machtloses und anonymes Wesen in der Masse werde.

    Wie sehr solche Zuschreibungen im Laufe der Zeit sich ändern, mag Abbildung 1 verdeutlichen. Was früher als blinder Herdentrieb wahrgenommen und abgewertet wurde, bekommt heute eine andere Bedeutung. Ein genaueres Hinschauen auf Tiere im Plural zeigt Formen kollektiver Intelligenz, die auch für uns Menschen von nachahmenswertem Interesse sind.

    Ein Vierteljahrhundert später setzt sich Sigmund Freud in seinen kulturkritischen Schriften, insbesondere Massenpsychologie und Ichanalyse (1921) mit le Bon auseinander und reflektiert das Verhältnis von Masse und Gruppe. Bemerkenswert ist, dass dieses Werk im Englischen als Group psychology and the analysis of the ego übersetzt ist. Masse und Gruppe haben im Englischen offenbar keine Äquivalente und werden bis heute durcheinandergeworfen – unsere großen Kleingruppen liegen jedenfalls zwischen Masse und Gruppe.

    Abb. 1: Herdentrieb oder Schwarmintelligenz?

    Wie auch in der Gruppendynamik verdankt sich die weitere Entwicklung von Theorie und Praxis der Großgruppe dem Exodus der kreativsten Geister aus Nazi-Deutschland und dem von dort ausgelösten Zweiten Weltkrieg: Die meisten der zu nennenden Autoren waren Juden. – Die englischen und amerikanischen Heerespsychiater wurden gegen Ende des Krieges derart von traumatisierten Soldaten überrollt, die sich per Krankheit von der Front und aus dem sinnlosen Morden verabschiedeten, dass sie gewissermaßen aus der Not heraus die Gruppenpsychotherapie erfanden.

    1.2Die Tavistock-Schule und ihre Definitionsversuche

    Die Pioniere dieser Bewegung, Maxwell Jones (1953) und Tom Main (1946) experimentierten mit therapeutischen Gemeinschaften, bei denen das Moment der Großgruppe inhärent gegeben war. Der Erste, der für diese Arbeit theoretische Formulierungen lieferte, war Wilfred R. Bion (orig. 1961, dt. 1971), mit seinen Erfahrungen in Gruppen, die so etwas wie Vorreiter für nachfolgende Phasenmodelle in Gruppen wurden (kritisch dazu vgl. Antons, Ehrensperger u. Milesi 2019, S. 352). Sein konzeptueller Gegenspieler wurde Sigmund H. Foulkes mit seinem Matrixkonzept; beide waren wesentliche Köpfe der mit A. K. Rice und Pat de Maré zusammen begründeten Tavistock-Schule, benannt nach der bekannten englischen psychiatrischen Klinik.

    Schon bald entstand die Notwendigkeit, die Gruppen je nach ihrer Größe zu unterscheiden. Foulkes machte 1964 erste Differenzierungen, de Maré prägte 1972 den Begriff »the Larger Group«, anderenorts auch als »Median Group« bezeichnet. Damit entstand ein erster Rahmen, der zwischen Kleingruppe (ab fünf, optimal sieben bis zwölf Mitglieder), mittelgroßen Gruppen (zwölf bis 20, anderen Autoren zufolge 15 bis 30) und großen Gruppen (von 25 an bis zu mehreren 100) unterschied. Schneider und Weinberg (2003, p. 13) monieren, dass es dabei geblieben sei und bis heute eine klare theoretische, technische und praktische Exposition dessen fehle, was denn nun eine große Gruppe ausmache. Zum besseren Verständnis sei ein ideengeschichtlicher und wissenschaftshistorischer Exkurs eingefügt.

    1.3Gute Kleingruppe, böse Großgruppe: die kleinianische Tendenz zur Spaltung

    1975 gab Lionel Kreeger einen bedeutenden Sammelband mit dem Titel The large group – dynamics and therapy (dt. 1977) heraus, der die Leitlinie für das nächste Vierteljahrhundert darstellte.

    Dieser Band enthält eine Reihe wegweisender Beiträge, die durchweg auf der Erfahrungsbasis der Tavistock Conferences mit ihren minimal strukturierten Großgruppen entstanden sind. Die Autoren sprechen zwar von »unstrukturiert«, in Wirklichkeit steckt jedoch eine ganze Menge an Struktur dahinter, die für die Teilnehmenden allerdings zunächst nicht sichtbar wird. Die Beiträge sind durchzogen von dem Zwist, der zwischen den Nachfolgern von Bion und Foulkes entstand. Gerhard Wilke (in Schneider und Weinberg 2003, p. 86–97) beschreibt, dass es in ihrer Nachfolgegeneration der Gruppenanalytiker, zwischen Kreeger und de Maré, deutliche Flügelkämpfe gab, die mit unserer Thematik durchaus etwas zu tun haben: Es ging darum, ob die Kleingruppe die »gute« und benigne Form von Gruppe – mit einer Tendenz zu Integration und Beziehung – sei, die Großgruppe hingegen mit ihrem Hang zur Desintegration und Fragmentierung die »böse« Art von Gruppe. Wilke meint, die Kleingruppe sei nicht nur gut und heilend, sondern könne auch böse und destruktiv werden (vgl. Antons 2015). Und auch die Großgruppe sei zeitweise ein gutes und nährendes Objekt. Die Autoren des Sammelbandes hätten nicht die Bedeutung der psychologischen Methoden berücksichtigt, die benutzt würden in der Absicht, die soziale Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten, die Spannung zwischen einem Gefühl von Selbst zu bewahren und gleichzeitig die vorhandene Interdependenz zu akzeptieren (Schneider u. Weinberg 2003, p. 91). Man möge in Zukunft sowohl Kreeger folgen in seiner Suche, bewusster mit der Pathologie der Großgruppe zu arbeiten, die ein Teil der unbewussten Interaktion in der Gesellschaft sei, als aber auch de Maré darin, dass Großgruppen dazu verhelfen können, demokratisches und gemeinschaftliches Verhalten in der Gesellschaft (fellowship) zu schulen.

    »Wenn dieses Tolerieren des Guten und des Bösen in der Objektbeziehung wiederholt verinnerlicht werden kann, dann kann die Großgruppe, wie die Gesellschaft selbst, Integrität halten und bekräftigen, und im selben Akt der Kommunikation und des Austausches den Geschmack von Fragmentierung bestätigen« (Schneider a. Weinberg 2003, p. 92; Übers.: K. A.).

    Um diese vielleicht etwas kryptisch klingenden Sätze und den dahinter liegenden Dissens zu verstehen, sei das Buch von Kreeger anhand einer verdichteten Darstellung von Schneider und Weinberg (2003, p. 18–21) näher vorgestellt.

    Die meisten der Autoren berufen sich in ihrer Theoriebildung auf die Arbeiten von Melanie Klein, deren wesentliche Unterscheidung die zwischen der paranoiden und der depressiven Position ist. Dem entsprechen die Formate Klein- und Großgruppe derart, dass die große Gruppe eindeutig die seelischen Zustände der paranoiden Position evoziert.

    Der dynamische Prozess in einer Großgruppe sei insofern von einem in der Kleingruppe zu unterscheiden, als die Großgruppe sehr viele (psychogenetisch) frühe Gefühle von Angst auslöse. Das hänge vermutlich mit den fließenden Grenzen und der scheinbar chaotischen Struktur der großen Gruppe zusammen. Sie erweckten eine regredierte, primär ängstliche Stimmung mit Gefühlen von Fragmentierung, Desintegration und Realitätsverlust. Ängste vor Isolation, Zusammenbruch und Vernichtung tauchten auf. Es sei eine Eigenart der Großgruppe, dass es am Anfang schwer ist, die anderen überhaupt zu hören und zu verstehen. Auch die anderen Sinne seien gestört und Gedankenprozesse blockiert.

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