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TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 61 bis 70 der laufenden Serie!“
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TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 61 bis 70 der laufenden Serie!“
eBook1.158 Seiten14 Stunden

TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 61 bis 70 der laufenden Serie!“

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Über dieses E-Book

 

TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation

  1. A. Hary (Hrsg.): „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 61 bis 70 der laufenden Serie!“

 

Enthalten in dieser Sammlung:

 

61: Willkommen im Geisterwald

62: Die Hölle speit Feuer

63: Die Feuerinsel

64: In der Falle des Teufels

65: Die Flut des Grauens

66: Totenland

67: Manu

68: Asmodis

69: Das Böse lebt

70: Der Magier

 

Die Serie TEUFELSJÄGER Mark Tate erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Bis Band 20 wurde sie von HARY-PRODUCTION neu aufgelegt und ab Band 21 nahtlos fortgesetzt! Jeder Band  ist jederzeit nachbestellbar.

 

Nähere Angaben zum Autor siehe auf Wikipedia unter dem Suchbegriff Wilfried A. Hary!

 

Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie Teufelsjäger Mark Tate: Wilfried A. Hary!

 

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch)

by HARY-PRODUCTION

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum6. Aug. 2023
ISBN9783755448990
TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 61 bis 70 der laufenden Serie!“

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    Buchvorschau

    TEUFELSJÄGER - Wilfried A. Hary

    TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation

    TEUFELSJÄGER:

    Die 13.

    Kompilation

    W. A. Hary (Hrsg.)

    Impressum:

    Diese Kompilation beinhaltet Bände aus der laufenden Serie rund um Mark Tate, natürlich für das Buchformat optimiert.

    Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

    Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen

    (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.haryproduction.de

    Copyright dieser Fassung 2018 by www.HARYPRODUCTION.de

    Canadastr. 30 * D66482 Zweibrücken

    Telefon: 06332481150

    eMail: wah@HaryPro.de

    Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von HaryProduction.

    Covergestaltung: Anistasius

    Die Serie TEUFELSJÄGER Mark Tate erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Bis Band 20 wurde sie von HARY-PRODUCTION neu aufgelegt und ab Band 21 nahtlos fortgesetzt! Jeder Band ist jederzeit nachbestellbar.

    Es ist kein Wunder, dass sich Kompilationen, also Sammlungen von mehreren Büchern und Texten in einem einzigen Band vereint, immer größerer Beliebtheit erfreuen. Immerhin bieten sie eine Fülle von Lesestoff für einen kleineren Geldbeutel. Unsere Kompilationen gibt es für jede Serie, und darin sind die Romane und Texte in ihrer richtigen Reihenfolge geordnet, so dass jeder seine Lieblingsserie nach Belieben zusammenstellen und sie am Ende vollständig besitzen kann. Sowohl als eBook, erhältlich über wirklich alle relevante Plattformen, als auch (natürlich!) als gedruckte Bücher, ebenfalls über alle maßgeblichen Plattformen erhältlich.

    Wie zum Beispiel dieser Band aus der Serie rund um Mark Tate:

    TEUFELSJÄGER: Die 13. Kompilation

    W. A. Hary (Hrsg.): „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 61 bis 70 der laufenden Serie!"

    Enthalten in dieser Sammlung:

    61: Willkommen im Geisterwald

    62: Die Hölle speit Feuer

    63: Die Feuerinsel

    64: In der Falle des Teufels

    65: Die Flut des Grauens

    66: Totenland

    67: Manu

    68: Asmodis

    69: Das Böse lebt

    70: Der Magier

    Die Bände 61 bis 70

    61:

    Willkommen im Geisterwald

    „…und spüre den eiskalten Hauch des Todes!"

    Wir flogen über einem Wolkenmeer, das sich scheinbar über ganz Deutschland ausbreitete, so weit das Auge reichte. Aber uns, an Bord der Fokker 28, kümmerte das wenig. Wir vertrauten den Piloten, die für uns sicher den Weg zum Frankfurter Flughafen finden würden.

    Wir kamen aus Saarbrücken, wollten in Frankfurt umsteigen und von dort zurück in die Heimat London fliegen.

    Wir, das waren May Harris, meine Lebensgefährtin, das Ehepaar Kathryn und Tab Furlong und meine Wenigkeit: Mark Tate...

    1

    Nach all den Ereignissen der letzten Tage und Wochen langweilte ich mich ehrlich gesagt ein wenig. Ich hatte einen Fensterplatz und betrachtete die bizarren Wolkenformationen. Über den Wolken herrschte ewig schönes Wetter. Hier schien gewissermaßen jeden Tag die Sonne.

    Meine Linke spielte mit dem Schavall, jenem geheimnisvollen Amulett, das ich stets an einer Silberkette um den Hals trug. Da löste sich der Schavall von der Silberkette.

    Stirnrunzelnd betrachtete ich den Schaden. Die Kette war beschädigt.

    Ein Kettenglied hatte sich aufgebogen.

    Ich gab May den Schavall, die neben mir saß, und machte mich daran, die Kette zu reparieren.

    In diesem Augenblick traf das Flugzeug ein furchtbarer Schlag. Wir wurden alle nach vorn geschleudert. Angeschnallt waren wir nicht. Hier oben war das normalerweise nicht notwendig.

    Alarmiert sah ich nach draußen. Ein paar der Passagiere schrien erschrocken auf. Sie hatten es ebenfalls gesehen: Etwas raste über das Wolkenmeer genau auf uns zu. Es war nicht ein anderes Flugzeug, das sich auf Kollisionskurs befand, sondern etwas anderes: Ein Streitwagen, ungefähr wie ihn die alten Römer benutzt hatten, um ins Feld zu ziehen. Doch dieser Streitwagen hier wurde nicht von Pferden, sondern von schnaubenden Böcken gezogen! Sie senkten tief ihre Hörner und preschten über die Wolken heran.

    Über die Wolken!

    Im Streitwagen saß eine mächtige, bärtige Gestalt, mit glühenden Augen und in der Rechten einem großen Hammer.

    Ich kannte nur eine Figur in den nordischen Sagen und Legenden, die ein solches Erscheinungsbild hatte. Höher im Norden wurde sie einst Thor genannt, aber hier, in Mitteleuropa, war dies der Gott Donar gewesen, der Donnergott!

    Ich traute meinen Augen nicht. Schließlich hatte ich schon viel erlebt, aber dies hier war selbst für mich einmalig.

    Donar ließ seine Böcke galoppieren und den Streitwagen über die Wolken ziehen. Die Räder erzeugten grollenden Donner, als wollte die Welt aus den Fugen gehen. Donar schwang den Hammer, das Attribut seiner göttlichen Macht. Er schmetterte ihn nieder und erzeugte damit einen Blitz, der uns entgegenraste, das Flugzeug traf und eine der Tragflächen reißen ließ.

    Ich sah, daß sich die Tragfläche vollends lösen würde. Dann würde die Fokker unaufhaltsam abstürzen.

    Und doch wollte ich es nicht glauben. Es ging einfach nicht. Es war doch unmöglich. Ich konnte doch wohl nicht wirklich einen germanischen Gott über die Wolken heranpreschen sehen? Einen, der es offensichtlich auf das Flugzeug abgesehen hatte?

    Unsere Lufwege trennten sich vorübergehend. Donar war von schräg vorn gekommen. Die Piloten mußten ihn ebenfalls sehen. Und sie reagierten, indem sie abdrehten.

    Sie versuchten, mit dem Flugzeug zu fliehen!

    Ich saß da, mit staubtrockener Kehle, und ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen.

    Es war wie ein Traum, ein verdammter Alptraum, und doch traf der nächste Blitz die Maschine und ließ weiter hinten ein Loch entstehen.

    Die Menschen schrien durcheinander. Eine Panik brach an Bord aus.

    Ich schaute mich um nach May und den Furlongs.

    Da saßen sie. Als einzige waren sie ruhig. Aber wie sahen sie denn aus? Sie waren wie Tote. Ihre Blicke waren starr nach vorn gerichtet. In ihren Augen war kein Leben.

    Was ging mit ihnen vor?

    Unendlich langsam wandte Tab den Kopf. Ich wußte, daß Tab Furlong gegen Schwarze Magie immun war, wenn er es nur wollte. Er blinzelte verwirrt, betrachtete mich. Leben kehrte in seine Augen zurück.

    Ich wandte mich an May. Ich schrie sie an, das Geschrei der anderen Passagiere übertönend. Aber May antwortete nicht. Ihr starrer Blick blieb. Ich tastete nach ihrem Puls.

    Nichts!

    Als wäre May tatsächlich tot!

    Genauso wie Kathryn.

    »Mark!« sagte Tab. Es klang verzerrt, wie in die Länge gezogen. Eher ein dumpfes Grollen als ein Wort.

    Ich verstand es trotzdem.

    Das Donnern draußen verstärkte sich. Ich schaute hinaus. Donar war schneller als das Flugzeug. Mit seinem riesigen Streitwagen preschte er heran. Er schwang seinen Hammer. Seine Augen glühten.

    Und jetzt stieß er ein brüllendes Lachen aus.

    Es gellte in der Passagierkabine des Flugzeuges wider und ließ sie erdröhnen. Luft zischte durch Löcher herein. Ein Wunder, daß das Flugzeug noch nicht abgestürzt war.

    Eine Frage der Zeit. Vielleicht eine Frage von Sekunden?

    Da dachte ich erst wieder an meinen Schavall. Ich hatte ihn kurz vorher May gegeben. Weil ich die Silberkette hatte reparieren wollen. Die Ereignisse hatten mich davon abgelenkt.

    Und jetzt suchte ich den Schavall. Er war weg, verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Ich suchte verzweifelt danach. Vergeblich. Und nur mit dem Schavall hätte ich das Böse abwenden können, das uns durch Donar widerfuhr. Nur mit dem Schavall, denn dieser war mächtig genug dazu. Ohne ihn waren wir verloren.

    Mit brüllendem Gelächter kam Donar über die Wolken heran. Er schwang seinen Hammer. Donar war ein Riese gegenüber dem Flugzeug, das jetzt eher wie ein Spielzeugmodell mit winzigen Menschen wirkte.

    Die Winzlinge waren wir, und Donar ließ seinen Hammer auf die Fokker niedersausen. Das Flugzeug brach entzwei, ganz in meiner Nähe.

    Ich hielt mich mit aller Kraft irgendwo fest. Aber was nutzte das letztlich?

    Es ging senkrecht abwärts. Wir tauchten inmitten von großen Wrackteilen in die Wolken.

    Uns hielten sie nicht auf. Für uns waren sie nicht fest und stabil wie für Donar, den Donnergott.

    Er stieß sein brüllendes Gelächter aus und schwang ein letztes Mal seinen Hammer. Der Blitz fuhr mitten in den herabregnenden Trümmerhaufen von einem Flugzeug hinein, ohne noch jemanden zu treffen.

    Die Menschen schrien, bis ihnen der Atem weggerissen wurde.

    Wir erreichten die Unterseite der Wolken. Im Dunst lag ein schwarzer Wald. Es war das Gebiet vom Pfälzer Wald. Das erkannte ich.

    Und wir stürzten mit dem zerstörten Flugzeug mitten hinein. Ein Sturz, der Sekunden dauerte, doch für uns dehnten sich diese Sekunden zu schrecklichen Ewigkeiten.

    Wir rasten immer schneller dem sicheren Tod entgegen.

    Kein Haus gab es dort unten. Man würde lange suchen, bis man die Wrackteile und — unsere Leichen fand.

    Seltsame Gedanken für einen, der dem Tode geweiht war.

    Ich schloß die Augen und erwartete den Aufprall.

    Und dann kam er.

    Ein furchtbarer Schlag, der alles auslöschte — mit meinem Leben alle Angst und alle Pein. Aber auch alles Schöne, was mir in diesem Leben noch widerfahren wäre...

    *

    Hustend erwachte ich.

    Ja, ich erwachte!

    Verwirrt blinzelte ich. Rauch hüllte mich ein und reizte mich abermals zum Husten.

    Ich lebte!

    Das Husten wurde unterbrochen von einem gotteslästerlichen Fluch.

    Es war nicht meine Art, laut herumzufluchen, aber jemandem, der soeben erst aus großer Höhe mit dem Flugzeug abgestürzt war und danach wieder hustend zu sich kam..., dem stand das Fluchen ja wohl noch zu!

    Ich fluchte, was das Zeug hielt, und dabei befreite ich mich aus den Wrackteilen, zwischen denen ich eingeklemmt war. Meine Kleidung hatte sehr unter dem Absturz gelitten, aber meine Haut zeigte nicht einmal den kleinsten Kratzer.

    Ich war völlig wohlauf. Nur die qualmenden Wrackteile ließen meine Augen tränen und reizten mich immer wieder zum Husten.

    Nicht nur mich!

    Ich sah im allgegenwärtigen Rauch Schatten, wie Geister im Nebel. Auch dort wurde gehustet und geflucht.

    Ich arbeitete mich durch die Trümmer hindurch, trat das Feuer aus, wo es gierig am Pflanzenbewuchs nagte, versuchte, dem Rauch zu entfliehen.

    Und dann schaffte ich es.

    Gleich mir taumelten auch andere ins Freie. Das Flugzeug war offensichtlich genau in den Wald gestürzt, hatte einige Bäume umrasiert, hatte große Löcher geschlagen und ein Feuer entfacht. Aber die grünende Natur erstickte bereits die Flammen. Danach würde nicht einmal mehr der Rauch bleiben.

    Wir sahen uns betroffen an. Ich versuchte, unter all den rußgeschwärzten Gesichtern diejenigen von May, Kathryn oder Tab zu finden.

    Vergebens. Es war, als hätte ich von unserer Gruppe als einziger überlebt.

    Schon wollte ich in die Trümmer zurück, um nach ihnen zu suchen, aber da drang das grausame Gelächter an meine Ohren, das ich bereits kannte. Es war das Gelächter von Donar!

    Mein Kopf flog herum.

    Da stand er, am Rande der Lichtung. Breitbeinig, angetan mit hohen Fellstiefeln, gehüllt in zottelige Kleidungsfetzen. So mußten die Germanen herumgelaufen sein, als sie bereits so etwas wie Kleidung gekannt hatten.

    Sein Gelächter brach ab. Er wog den Hammer in der Rechten. Donar war ein Riese, gewiß zwei Meter groß. Er setzte sich in Bewegung und kam genau auf mich zu.

    Auf halbem Weg stoppte er. Donar ließ den Hammer sinken. Seine Augen glühten. Seine Miene drückte Haß und Verachtung aus.

    »Mark Tate!« sagte er verächtlich. Er spuckte zu Boden. »Teufelsjäger Mark Tate!«

    Ich legte den Kopf schief. Angst zeigte ich keine. Ich hatte zwar keine Ahnung, was wirklich mit uns geschehen war, aber ich dachte auch nicht mehr darüber nach. Das hob ich mir für später auf. Jetzt war es wichtiger, mit diesem Riesen mal ein paar Takte zu reden.

    »So viel Aufwand für mich? Oh, zuviel der Ehre«, sagte ich bissig.

    Donar lachte trocken. »Wir kennen uns, Mark Tate!«

    »Gewiß. Nennen dich die Dämonen nicht Sohn von Donar?«

    Er nickte. »Ja, ich entstamme dem alten Göttergeschlecht. Ich bin ein waschechter Ase.« Abermals spuckte er zu Boden. Eine Geste, die ich haßte. »Obwohl mein Vater mich als entartet bezeichnen würde.« Jetzt lachte er wieder sein gehässiges Lachen.

    »Würde!« betonte er. »Aber ich war stärker als er.«

    Er schlug den riesigen Hammer in die linke Hand.

    »Stärker, verstehst du?«

    »Das Geschlecht der Götter?« fragte ich ihn.

    Er grinste mich an. »Aha, Mark Tate, jetzt würdest du wohl gern mehr darüber erfahren, nicht wahr? Nun, denke doch mal darüber nach. Du kennst das Geschlecht der Dämonen, die sich größtenteils im Schwarzen Adel zusammengeschlossen haben. Ich gehöre ebenfalls dem Schwarzen Adel an. Ich bin Fürst Donar — ein wahrhaft Schwarzer Fürst. Ich war ein Ase, einer vom nordischen Göttergeschlecht. Damals wachten die Götter über die Menschen, es war lange nach der Zeit, da die Goriten die Macht des Bösen über die Welt gebrochen hatten.«

    »Die Götter?« echote ich. Ich grübelte nach. Ich, Mark Tate, hatte mindestens tausend Leben gelebt. Ich war einst als Gorite geboren worden. Ich gehörte dazu, als die Macht des Bösen vom Stamme der Goriten gebrochen wurde und als fast alle Dämonen dorthin verbannt wurden, wo sie hingehörten: ins Zwischenreich der Dämonen. Später war der Stamm der Goriten spurlos verschwunden. Niemand wußte warum. Ich auch nicht, denn irgendwann damals starb ich. Doch meine besondere Fähigkeit war die Seelenwanderung. Wenn ich starb, gab es für mich jedesmal eine Wiedergeburt - als ein anderer. Ich kam als Baby zur Welt, wuchs heran und erinnerte mich erst als Erwachsener irgendwann daran, wer ich wirklich war.

    Es war der Lauf der Dinge, und deshalb grübelte ich jetzt darüber nach, ob ich jemals mit so etwas wie »Götter« konfrontiert worden war. Ich mußte diese Frage verneinen.

    Doch Donar sagte: »Wenn es die Dämonen gibt, dann doch auch ihr Gegenstück — Wesen halt eben, zu denen die Menschen Götter sagen. Obwohl man mit solchen Begriffen eher vorsichtig umgehen sollte.«

    Er lachte mal wieder. Ich wartete ab, beobachtete aus den Augenwinkeln die anderen Menschen. Sie standen herum und wußten nicht, was sie tun sollten. Sie konnten einfach das Geschehene nicht verkraften.

    Oder hatte ihre Neutralität andere Ursachen? Standen sie im Banne von Fürst Donar?

    Donar hob den Hammer und schwang ihn über den Kopf.

    »Genug geplaudert, Mark Tate. Wir kennen uns von der Riviera. Dort hattest du einen Kampf zu bestehen. Ich war ebenfalls dabei. Du hast den Kampf gegen den Schwarzen Fürsten gewonnen. Aber nur, weil ich nicht so tun konnte wie ich gern getan hätte. Nun ist das anders. Hier regiere ich, hörst du? Und ich werde mein Reich vergrößern, nachdem du es sogar geschafft hast, Kehmil das Handwerk zu legen.«

    Es war schade, daß ich das Thema nicht weiter erörtern konnte.

    Götter? Wer waren sie? Und vor allem: Wo waren sie?

    Ich konnte nicht daran glauben, obwohl es logisch war, was Donar sagte. Doch mir hatte noch nie einer von diesen angeblichen Göttern geholfen.

    Ich hatte stets selber sehen müssen, wie ich klarkam. Ganz im Gegenteil:

    Das Böse lebte. Es war allgegenwärtig und ständig bemüht, uns das Leben schwerzumachen. Auch wenn die meisten Menschen eher dazu neigten, die Augen davor zu verschließen und sich einzubilden, sie wären nicht betroffen.

    Hätten sie es nicht getan, würde es keine Teufelsjäger mehr geben müssen.

    Und ich würde hier nicht herumstehen, um mich von Fürst Donar auslachen zu lassen! dachte ich mürrisch.

    »Du willst mich töten?« fragte ich.

    »Nein, nicht ich!« antwortete er hart. »Das wäre zu gering für dich, armseliger Mensch. Sieh mich an. Ich stehe vor dir und erscheine selber wie ein Mensch. Aber du weißt, daß ich keiner bin. Ich bin ein Schwarzer Fürst. Ich bin kein lebendiges Wesen, sondern bestehe nur aus Kräften des Bösen. Ich repräsentiere nicht nur das Böse, sondern ich bin das Böse! Und du wirst noch erkennen müssen, was das heißt.«

    Er deutete mit dem Hammer auf die Umstehenden.

    »Das hier sind deine Feinde, Mark Tate. Sie stehen alle in meinem Bann. Ich habe das Flugzeug abstürzen lassen, mit allen Insassen. Ich habe dafür gesorgt, daß ihr alle überlebt, daß ihr unbeschadet in meinem Geisterwald landet.«

    Er hob seine Stimme und brüllte über die rauchenden Trümmer des abgestürzten Flugzeuges hinweg:

    »Willkommen im Geisterwald, alle miteinander!«

    Die Menschen mit den rußgeschwärzten Gesichtern, noch vor Minuten friedliche Bürger in einem Linienflugzeug zwischen Saarbrücken und Frankfurt gewesen, rissen jetzt die Arme empor und jubelten dem Schwarzen Fürsten zu.

    »Willkommen im Geisterwald!« brüllte der Schwarze Fürst.

    Der Jubel der Menschen kannte keine Grenzen.

    Und ich zog mich derweil heimlich zurück. Ich hatte auf einmal ein ungutes Gefühl, das mir sagte, daß es besser wäre, gleich das Weite zu suchen.

    Diese hier würden meine Feinde sein? Wie meinte Donar das?

    »Ich gebe hiermit die Jagd im Geisterwald frei!« brüllte Donar. »Das Wild heißt Teufelsjäger Mark Tate. Er wird gejagt, bis er zu Tode kommt. Die Geister vom Geisterwald sind auf eurer Seite, ihr Jäger des Bösen. Möge Mark Tate halten, was ich mir von ihm verspreche. Möge die Jagd besonders spannend sein, denn ich verfolge natürlich jede Phase. Ich lasse mir nicht das geringste entgehen.«

    Ich gab Fersengeld. Ich rannte um mein Leben, ehe man mich dazu zwang. Das schallende Gelächter des Schwarzen Fürsten mit Namen Donar verlor sich genauso hinter mir wie der Jubel der sogenannten Jäger des Bösen.

    Ehemals friedliche Bürger, Männer und Frauen — und nur um mich zu jagen, würde Donar sie zu reißenden Bestien machen.

    Und während ich rannte, dachte ich an meine Gefährten. Waren nun May, Kathryn und Tab unter denen oder nicht? Wenn nicht — wo waren sie sonst? Tot?

    Ich hätte fast gewollt, ich wäre nicht wieder zwischen den Trümmern erwacht. Dann hätte ich jetzt nicht mehr um mein Leben rennen müssen...

    2

    Was es hieß, daß die Geister vom Geisterwald auf der Seite der Jäger waren, das erfuhr ich bald am eigenen Leibe.

    Ich rannte in die Ungewißheit hinein und kam plötzlich zu einer Lichtung. Sie war kreisrund. Der dunkle Wald stand regungslos, denn kein Lüftchen bewegte die Blätter und Zweige.

    Zögernd trat ich auf die Lichtung. Nur einen einzigen Schritt. Mein Mißtrauen war erwacht. Ich traute der Stille nicht. Sie kam mir fast vor wie die Ruhe vor dem Sturm.

    Ich beobachtete die grellbunten Blüten. Ja, ein Blumenmeer. Die Blumen hatten unterschiedliche Größen. Ich kannte mich zwar in der Pflanzenwelt kaum aus, aber ich war sicher, daß ich solche Blumen noch nie zuvor gesehen hatte.

    Ein wahrhaft exotischer Garten inmitten dieses Waldes.

    Aber Fürst Donar hatte den Wald Geisterwald genannt. Da mußte man doppelt vorsichtig sein.

    Hinter mir wurde Gejohle laut. Meine Verfolger! Sie wollten mich in Stücke reißen — im Namen von Fürst Donar. Dabei machten sie von weitem schon mehr Krach als eine Herde von Elefanten. Und genauso rücksichtslos bewegten sie sich auch durch den Wald.

    Es blieb mir nichts übrig, als die Lichtung zu umgehen. Ich spürte eine unerklärliche Scheu davor, das Blumenmeer zu betreten.

    Ich lief am Waldrand entlang und warf immer wieder einen Blick über die Blüten.

    Und da erstarrte ich. Erst hatte ich an eine Täuschung geglaubt, aber jetzt wurde es offensichtlich: Die Blumenkelche folgten meinen Bewegungen! Sie schauten mir nach, als hätten sie Augen, mit denen sie mich beobachten konnten!

    Ich blieb stehen. Meine Kehle wurde staubtrocken. Ich schluckte schwer.

    Und dann rannte ich genau in das Blumenmeer hinein. Mir blieb nichts anderes übrig, denn die Verfolger waren schon viel zu nahe.

    Außerdem wollte ich es endlich wissen: Was war das für eine exotische Lichtung?

    Ich rannte hinein, nur ein paar Schritte. Weiter kam ich nicht. Kaum hatte ich die Blütenpracht betreten, als ein schmatzender Laut ertönte. Ich warf erschrocken den Kopf zurück. Die Blumen schnellten auf mich zu. Ihre Kelche waren wie Saugnäpfe, die sich an meinem Körper festsaugten. Dabei schmatzten sie ekelerregend.

    Und die Ränder der Lichtung klappten nach oben!

    Die ganze Lichtung war ein einziges Wesen, das mich jetzt gefangen glaubte und nun wie ein großer Sack zusammenklappte.

    Ich war in seinem Innern. Und schon stieg ein beizender Geruch in meine Nase: So etwa ähnliches wie Magensaft, um mich zu verdauen! Und die Blumenkelche hielten mich fest, damit ich auch ja nicht verlorenging.

    Die Säure bildete sich unter mir.

    Schon hatte sich die Lichtung vollends geschlossen. Ich saß im Dunkeln. Um mich herum entstand Bewegung. Die Blumen, die mich festhielten, gaben mich an andere weiter, damit ich tiefer geriet. Sie wollten mich offensichtlich in die Magensäure hineintauchen. Bei lebendigem Leibe würde ich verdaut werden.

    Und da begann ich schallend zu lachen.

    Ja, jetzt lachte ich!

    Und ich war überzeugt davon, daß Donar alles genau verfolgte - wie er es versprochen hatte. Er würde sich in diesem Moment schrecklich wundern, was ich in meiner Situation denn noch zu lachen hätte, denn nach Lage der Dinge gab es für mich kein Entrinnen mehr.

    Ich dachte daran, daß die Geister dieser Welt alle Gestalt annehmen mußten, um sich überhaupt im Diesseits halten zu können. Es sei denn, sie besetzten Menschen, Tiere oder — Dinge.

    Die meisten Geister nahmen durchaus menschenähnliche Gestalt an. Ein Geist, der auf die Form verzichtete, versank zurück in die Welt, von wo er seine Kraft bezog: in das Zwischenreich der Dämonen.

    Ja, daran dachte ich, denn ich wußte genau, daß auch Geister sich den Naturgesetzen nicht völlig entziehen konnten. Ihre Magie stellte nicht etwa die Naturgesetze auf den Kopf, sondern sie gehörte selber zu den Naturgesetzen!

    Das waren eherne Grundsätze.

    Und genauso wie die Schwarze Magie den Geistern erlaubte, auf "Erden zu wirken, so gab es die sogenannte Weiße Magie als Gegensatz.

    Außerdem gab es keine weißmagischen Formeln, die so wirksam sein konnten wir goritische Formeln.

    Ich selber war einmal vor Jahrtausenden ein Gorite gewesen. Ich sprach die Sprache der Goriten heute wieder wie meine Muttersprache, und in der Goritensprache war jedes einzelne Wort magisch wirksam.

    Ich versetzte mich halb in Trance, um die Wirkung der Formeln zu verstärken, und sagte sinngemäß: »Ich geriet in die Falle des Bösen. Doch eine solche Falle ist nicht wirklich, denn sie lebt und wirkt nur durch das Böse selbst. Es ist so sicher und gleichzeitig unbestimmt wie alles, was nicht gegenständlich ist. Das Böse hat eine Form angenommen, eine Gestalt. Es ist die Gestalt einer Blumenlichtung. Die Blumenlichtung will mich verspeisen. Doch das kann sie nicht, wenn ich nicht will. Denn ich bin das Gute. Wenn die Kraft des Bösen Form und Gestalt annimmt, so soll das Gute durch mich wirken. Ich bin ein Mensch, aber ich wecke die Weiße Magie mit meinen Gedanken. Ich unterbinde den schwarzmagischen Fluch, der mich töten will.

    Ich unterbinde! Ich banne! Weiche!«

    Immer noch halb in Trance breitete ich die Arme aus. Ich spürte keinen Widerstand. Meine Trance half mir, die Umgebung zu ignorieren. Als wäre ich in eine andere Welt versunken. Es war eine andere, eine innere Welt! Es war die Welt meiner Gedanken. Halb spürte ich noch meine Körperlichkeit, halb noch die wahre Natur meiner Umgebung. Aber ich sah, hörte und spürte nicht mehr die Falle des Bösen.

    Ich sank zu Boden, und unter mir gab es keine stinkende Magensäure mehr, die mich auflösen wollte, sondern nur schwarzen Sand, der auf der Haut brannte.

    Ich blinzelte und vertrieb damit den Rest des Alpdrucks, der noch auf mir lastete.

    Erschöpft richtete ich mich auf. Ich stand auf einer kahlen Lichtung. Es gab nur den schwarzen Sand, der stellenweise das Licht reflektierte, ein seltsames Glitzern erzeugte, als würde es sich um reinen Quarzsand handeln.

    Ich legte den Kopf in den Nacken. Das Johlen der Verfolger war gefährlich nahe. Ich blickte zum Himmel. Eine schwarze Wolke hatte sich dort zusammengebraut. Rollender Donner entstand, und ich sah einen Blitz, der genau auf mich zuraste.

    Die Luftschichten, die zwischen Wolke und mir lagen, lenkten den Blitz ab. Er konnte keine gerade Bahn verfolgen und schlug am Rande der Lichtung ein.

    Er hatte keinerlei Wirkung auf mich. Denn mit diesem Blitz und dem anschließenden Donnergrollen gab Donar nur seiner Wut Ausdruck.

    Ich hatte den ersten Kampf glimpflich überstanden. Doch das sollte mich nicht zuversichtlich stimmen, denn es stand mir gewiß noch mehr bevor.

    Begriffen hatte ich eines: Donar würde nicht mehr persönlich in das Geschehen eingreifen. Obwohl er die Regeln des grausamen Spiels selber aufgestellt hatte, würde er sich daran halten. Bis zum Schluß. Er wollte schließlich die Jagd auf seinen Todfeind Mark Tate genießen. Für ihn war das nur ein Spiel. Obwohl ich keinerlei Illusionen hatte, was den Ausgang des Spieles betraf: Selbst wenn ich bis zum Schluß durchhielt, würde mich Donar doch töten. Er konnte es sich nicht leisten, einen Todfeind freizulassen, denn er wußte genau, daß ich jede Gelegenheit nutzen würde, um ihm alles heimzuzahlen.

    Ich lief trotzdem weiter, vor den Verfolgern her, denn ich wollte alles tun, um mein Leben möglichst zu verlängern. Denn der Mensch gibt die Hoffnung niemals auf, selbst wenn alles aussichtslos erscheint...

    *

    Ich verließ die Lichtung und kämpfte mich in den dunklen Wald. Vielleicht zehn Sekunden später hatte die Meute ebenfalls die Lichtung erreicht. Sie mußten meine Fußspuren entdecken.

    Das brachte mich wieder auf den Gedanken, wie sinnlos es im Grunde genommen war, vor der Übermacht einfach davonzulaufen. Gab es denn keine andere Möglichkeit? Ich brauchte doch nur einmal zu stolpern — und schon holten sie mich ein und fielen über mich her wie reißende Raubtiere.

    Gedacht, getan. Ich bückte mich und suchte den Boden ab. Es lag genug Kleinholz herum. Ich ergriff einen mittleren Knüppel und wandte mich dann meinen Verfolgern zu. Nicht, um mit ihnen den Kampf aufzunehmen, sondern um durchzubrechen.

    Kaum hatte ich mich umgedreht, hörte ich in der ehemaligen Fluchtrichtung ein verräterisches Knacken: Jemand war auf einen Ast getreten. Also gab es auch dort Verfolger. Sie hatten mich wahrscheinlich im Halbkreis gejagt. Es erklärte auch ihre Lautstärke. Möglicherweise sollte der Lärm mehr Verfolger vortäuschen als es in Wirklichkeit waren. Die eigentlichen Gegner lauerten derweil in Fluchtrichtung.

    Ich gratulierte mir zu dem weisen Entschluß, die sinnlose Jagd vorläufig zu unterbrechen. Dann stellte ich mich hinter einen Baum und wartete.

    Die Verfolger waren bald heran. Es kam nur ein einziger so nahe vorbei, daß er mich sehen mußte.

    Ehe er sich von seiner Überraschung erholt hatte, landete der Knüppel auf seinem Schädel.

    Er sank lautlos zu Boden. Doch auch wenn er lauthals dabei geschrien hätte, wäre es für mich nicht gefährlich geworden: Die anderen machten einen solchen Lärm, daß sie es glatt überhört hätten.

    Ich behielt den Knüppel als brauchbare Waffe in den Fäusten und rannte nun in die umgekehrte Richtung, um gleich darauf wieder die Lichtung zu erreichen.

    Der schwarze Sand hatte sich verändert. Die Fläche war uneben, als wären darunter Wühlmäuse emsig bei der Arbeit.

    Tatsächlich, der schwarze Sand geriet in Bewegung. Und da schaffte sich ein Wurzelende ins Freie.

    Ich war überzeugt davon, daß diese Blütenpracht erneut entstehen würde - tödlich gefährlich für mich, aber nicht für meine Verfolger.

    Der Geisterwald stand auf der Seite der Jäger. Ich durfte das niemals vergessen.

    Ich rannte weiter, in der Hoffnung, daß die neu erwachende Geisterpflanze noch nicht so weit entwickelt war, daß sie den Verfolgern einen Tip geben konnte.

    In den Wald hinein, der hier so dicht war, daß man den Eindruck gewann, die Nacht würde hereinbrechen. Es war eine andere Richtung als die, aus der ich ursprünglich gekommen war.

    Und ich geriet so unvermittelt aus dem Waldstück heraus, daß ich erschrocken stehenblieb. Vor mir war nicht etwa eine neue Lichtung, sondern hier war der Wald offensichtlich zu Ende!

    Ich hatte vorausgesetzt, daß der Geisterwald, eingebettet im riesigen Gebiet des Pfälzer Waldes, zumindest für mich kein Ende haben würde. Und deshalb war ich auch so erschrocken, als ich nun freies Feld vor mir sah.

    Wenige Schritte vor mir begann eine Obstplantage. Die Bäume waren schön symmetrisch gepflanzt und hingen voll mit Äpfeln. Ich duckte mich, um zu sehen, was hinter dem Obstbaumfeld lag. Aber es war nichts zu sehen. Der Boden war zu uneben.

    Ich lauschte kurz. Die Verfolger waren weit genug entfernt. Ich konnte es wagen, das freie Feld zu betreten.

    Die Linie des Waldrandes verlief schnurgerade und bog erst nach schätzungsweise vierhundert Metern in das freie Feld hinein. Auf beiden Seiten. Das Obstfeld hatte nicht ganz diese Länge. Hundert Meter von mir entfernt begann ein Kornfeld, voll mit leicht im Wind sich wiegenden Ähren. Die Oberfläche wirkte wie ein leicht bewegtes goldenes Meer.

    Ich ging zu den Apfelbäumen und blieb unter einem Baum stehen. Abermals lauschte ich: Weil ich etwas vermißte.

    Allmählich wurde mir klar, was es war: Es fehlte das Zirpen von Grillen und auch das Zwitschern von Vögeln. Ich sah die Wirkung des Windes, hörte aber auch ihn nicht. Es fehlte das Rauschen in den Bäumen. Nur die Blätter bewegten sich. Das einzige Geräusch überhaupt in dieser Umgebung waren mein beschleunigter Atem und meine Schritte, wenn ich weiterging.

    Ich überquerte das Obstfeld.

    Es war breiter als erwartet. Die Bäume standen in schnurgerader Reihe, aber nach der fünften Reihe konnte ich ihr Ende nicht mehr absehen. Dunst verbarg es.

    Wo kam er her? Bodennebel oder was?

    Ich traute der ganzen Sache nicht. Ich erwartete eine neue Teufelei der zitierten Geister.

    Gewiß, Donar hatte diese Umgebung vollkommen im Griff. Es gab keine Menschenseele, die mir freundlich gesonnen war. Dafür hatte er gesorgt.

    Ich ging weiter, mit erhöhter Aufmerksamkeit und unterdrücktem Atem, um vom eigenen Atemgeräusch nicht abgelenkt zu werden.

    Und dann hatte ich die letzte Baumreihe hinter mir. Vor mir öffnete sich ein weiter Park, umgeben von einer hohen Weidenhecke. Ich sah knapp über die Hecke hinweg. Auf der anderen Seite, mitten im Park, stand ein bizarres Gebäude. Wie ein Mammutbaum, den jemand innen ausgehöhlt hatte. Selbst das Dach schien wild gewachsen zu sein, ohne die planende Hand eines Menschen. Etwa wie das Dach eines Pilzes, nur nicht so regelmäßig geformt. Es war rot und paßte zum bizarren Gebäude.

    Der Park wurde von exotischen Pflanzen beherrscht. Jetzt war plötzlich Windstille. Nichts regte sich. Das Ganze wirkte wie das Bild eines surrealistischen Malers, der sich damit einen makabren Scherz geleistet hatte, denn von dem Bild ging eine ungewöhnliche Spannung aus.

    Diese Spannung erzeugte Angst!

    Trotzdem trat ich langsam näher. Längst war das Grölen der Verfolger nicht mehr zu hören. Das machte mich nicht etwa unvorsichtig, aber es gab mir die Möglichkeit, mich mehr auf den Park zu konzentrieren.

    Ich hatte den Weidenzaun noch nicht ganz erreicht, als sich auf einmal zwei Hände hindurchschoben. Sie zögerten sekundenlang. Dann teilten sie den Zaun.

    Ein Mann schob sich hindurch. Er hatte lädierte Kleidung eines Mannes an, der gleich mir mit dem Flugzeug abgestürzt war.

    Einer der Verfolger!

    Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich blieb stocksteif vor Schrecken stehen und erwartete, daß im nächsten Augenblick weitere Verfolger auftauchten.

    Aber es zeigten sich keine.

    Ich wartete ab. Der Mann schob sich ganz durch die Lücke und blieb vor der Hecke stehen. Sein rußgeschwärztes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

    Ich wertete es als ein Zeichen des Triumphes und schaute über die Schulter zurück.

    War ich in der Falle? War ich bereits von den Verfolgern umzingelt, ohne die geringste Chance, zu entrinnen?

    Ich wog den Knüppel in den Händen, obwohl er als Waffe gegenüber der Übermacht der Verfolger eher lächerlich wirken mußte.

    »Mark!« sagte der Mann.

    Es war die Stimme von Tab Furlong - die Stimme meines Freundes!

    »Mark!«

    Mir schwindelte. Ich glaubte an einen verdammten Betrug. Man wollte mich nur in Sicherheit wiegen, während in Wirklichkeit...

    »Mark!« Ich schaute dem Mann ins Gesicht, und da erkannte ich ihn.

    Er war es tatsächlich, wenn auch mit arg lädiertem Anzug und so schmutzig, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte...

    *

    Ich wollte auf den Freund zugehen, aber meine Beine versagten mir den Dienst.

    »Mark«, sagte Tab Furlong eindringlich. »Denke genau nach! Mach keinen Fehler! Ich...« Er brach ab, wandte sich um und tauchte in der Lücke unter.

    Der Weidenzaun zitterte dort noch ein wenig. Ansonsten: Tab war verschwunden.

    »Tab!« schrie ich und rannte hinüber. Meine Füße verhakten sich im Gestrüpp, das ich da gar nicht vermutet hatte. Ich taumelte weiter, streckte die Arme vor und tauchte zwischen die Hecken. Sie zerkratzten Hände und Gesicht, aber ich zwängte mich einfach hindurch.

    »Tab!«

    Er war nicht mehr da. Im gepflegten Rasen gab es auch keine Fußspuren. Tab war scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht und dorthin wieder zurückgekehrt.

    Ich warf einen Blick über den Zaun zurück.

    Die Verfolger! Sie tauchten zwischen den Obstbäumen auf, schweigend, verbissen. Blitzschnell verteilten sie sich. Ihre Front zog sich auseinander, damit ich ihnen auch ja nicht mehr entging.

    Ich rannte am Weidenzaun vorbei. Der weiche Rasen federte meine Schritte ab. Irgendwie hoffte ich, daß sich Tab in der Hecke versteckte.

    Diese Hoffnung erfüllte sich leider nicht.

    War es nur ein Trick von Donar gewesen? Wurde der Park von Geistern beherrscht, die mir was vorgaukelten?

    Nein, warum hätten sie die Erscheinung von Tab wählen sollen? Es hatte sich nichts geändert. Ich wäre ohnedies hier hereingekommen.

    Wieder einen Blick über den Zaun.

    Die Verfolger machten meine Bewegung mit. Ein paar lachten gehässig. Ich konnte ihnen nicht entgehen. So nicht!

    Ich blieb keuchend stehen und schloß sekundenlang die Augen. Ich mußte meine Gedanken sammeln, sonst drehte ich noch durch. Ich versuchte, die Erscheinung von Tab zu verstehen.

    Es gelang mir nicht. Ich konnte mit seinen Worten: ich sollte genau nachdenken und keinen Fehler machen, nichts anfangen. Ich war der Teufelsjäger Mark Tate. Es wurde behauptet, ich würde mich in magischen Dingen besonders gut auskennen. Bis jetzt hatte ich auch meistens Erfolg im Kampf gegen das Böse, egal in welcher Form und in welcher Gestalt es sich mir auch präsentiert hatte. Und trotzdem stand ich nun auf dem »Schlauch«.

    Ein Geräusch klang auf, als würde jemand einen Motor anwerfen. Das Zirpen und Tuckern wurde zu einem allesbeherrschenden Brummen, das offenbar seinen Ursprung beim Haus hatte.

    Die Verfolger reagierten auf ihre Weise darauf: Sie blieben jenseits des Zaunes stehen und näherten sich nicht mehr. Also war ich gezwungen, mich dem Haus zu nähern. Das gefiel mir zwar nicht sonderlich, aber es blieb mir nichts anderes übrig.

    Ich betrat den gepflegten Rasen. Links war ein Blumenbeet. Die geöffneten Blüten folgten meinen Bewegungen und erinnerten mich an mein grausiges Erlebnis auf der Lichtung, wo ich beinahe von der fleischfressenden Pflanze verspeist worden wäre.

    Ich konnte es nicht lassen. Ich ging zum Beet und betrat es. Die Blumen erzitterten, als würden sie erschrecken. Sie rollten sich blitzschnell zusammen, als wollten sie sich einigeln.

    Genau umgekehrt war diese Reaktion wie auf der Lichtung.

    Ich verließ das Blumenbeet und ging weiter. Hinter mir normalisierte sich alles wieder. Die leuchtenden und duftenden Blumen sahen mir nach.

    Ich bekam eine Gänsehaut dabei.

    Das Brummen im Haus wurde lauter und deutlicher. Ich hatte nur noch zwanzig Meter zu gehen. Rechter Hand eine sorgfältig gestutzte Heckenanordnung. Erinnerte an eine moderne Skulptur. Voraus noch so ein Gebilde. Das war deutlicher zu erkennen: Die obszöne Darstellung eines Liebesaktes.

    Noch ein paar Schritte. Ich ging an dem Gebilde aus Hecken vorbei und blieb kurz stehen.

    Bäume warfen mit ihren hohen Kronen Schatten über das Gebäude. Das Haus war größer als ich erwartet hatte, und die Bäume waren höher. Vor dem Haus, erst jetzt für mich zu erkennen, gab es eine freie Fläche aus festgetrampelter Erde. Neben dem Gebäude stand ein Schuppen, der in dieser Umgebung völlig deplaziert wirkte.

    Ein Mann trat daraus hervor. Er hatte die größte Heckenschneidemaschine in den Händen, die ich jemals gesehen hatte. Der Mann war riesenhaft gebaut.

    Die Ärmel seines Arbeitskittels waren abgeschnitten. Der Mann hatte Oberarme wie Filmheld Conan. Kein Wunder, daß er mit dem riesigen Gerät so leicht umgehen konnte.

    Das Gerät war es auch, was das Motorengeräusch verursachte.

    Mit maskenstarrem Gesicht kam der Mann auf mich zu. Er war bartlos. Seine Haut wirkte wächsern, irgendwie unnatürlich. Die Augen waren wie Glasmurmeln.

    Er kam mit der Schneidemaschine auf mich zu. Als er nur noch fünf Meter entfernt war, grollte er im tiefen Baß: »Komm nur näher, Mark Tate, ich möchte dich streicheln, wie meine geliebten Hecken. So gefällst du mir nicht. Ich werde dich zurechtstutzen.«

    Ich schaute unwillkürlich auf die schwingenden Messer und bekam prompt eine Gänsehaut.

    Streicheln nannte er das? Es war der wahnsinnigste Wunsch, den ich jemals gehört hatte.

    Der riesenhafte Kerl stampfte weiter auf mich zu. Ich wartete, bis er mich erreicht hatte. Er streckte die Maschine vor. Die Messer schwangen vor meiner Nase rasend schnell hin und her. Ich tauchte darunter hinweg, sprang neben den Kerl und hieb ihn mit beiden Fäusten in den Nacken.

    Es war ein Schmerz, als hätte ich beide Arme gebrochen. Der Nacken des Kerls war so hart wie Marmor.

    Ruckartig wie eine Marionette drehte er sich mir zu. Er grinste abscheulich und wollte mir unbedingt mit der Motorschere an den Leib.

    Ich wich abermals aus und trat ihm in den Unterleib.

    Dies hier war kein Mensch. Er sah nur so ähnlich aus. Er schien aus Stein gebaut zu sein. Dem konnte ich nicht einmal einen Schmerz zufügen.

    Da waren mir die Verfolger außerhalb des Parkes doch noch lieber.

    Ich drehte mich herum und floh vor der Heckenschere. Doch in diesem Augenblick stolperte ich und fiel der Länge nach hin.

    Geistesgegenwärtig streckte ich die Arme vor, um den Sturz abzufangen.

    Ich drehte mich auf den Rücken.

    Der Kerl war über mir, die Motorschere in seinen Händen kreischte überlaut. Die rasenden Messer senkten sich auf mich nieder...

    3

    Im letzten Moment rollte ich zur Seite. Die Motorschere verfehlte mich knapp und bohrte sich tief in die Erde, daß der Dreck hoch aufspritzte.

    Ich kam taumelnd auf die Beine und floh weiter.

    »Bleib ruhig stehen«, murmelte der Unmensch und verfolgte mich mit der Motorschere. Ich warf einen Blick zurück, der Kerl war schneller als erwartet. Er holte rasch auf. Die kreischende Motorschere war schon ganz nahe. Bald schon würde sie mich erreichen.

    Ich schlug einen Haken und ließ den Unhold an mir vorbeilaufen.

    Aber so ging das nicht weiter. Ich konnte nicht ewig dieses grausige Spiel treiben. Irgendwann würde mir die Puste ausgehen. Dann war ich verloren.

    Ich lief zum Heckenzaun. Die Verfolger warteten jenseits, stumm und geduldig. Sie warteten darauf, daß ich das Parkgelände wieder verließ.

    Der Kerl mit der Motorschere war wieder hinter mir her. Kurz vor dem Weidenzaun schlug ich wieder einen Haken.

    Der Kerl war zwar schneller als ich, aber er konnte nicht rechtzeitig genug bremsen. Deshalb ging er an mir vorbei und drückte die Motorschere in die hohe Hecke.

    Der ganze Zaun geriet in Bewegung. Ich hörte ein Rauschen, das an einen verwehenden Schrei erinnerte, Der Kerl mit der Motorschere kam auf der anderen Seite wieder zum Vorschein. Ein Loch war entstanden.

    Er schrie auf, torkelte ein paar Schritte davon. Mit kreischender Motorschere wandte er sich um.

    Das Gehäuse platzte auseinander.

    Abermals dieses Rauschen in der Hecke. Ich war jetzt ganz sicher, daß es nicht vom Wind verursacht wurde.

    Als wäre die Hecke ein lebendiges, denkendes Wesen, das sich jetzt an dem Kerl mit der Motorschere für den zugefügten Schmerz rächte.

    Die Motorschere platzte vollends auseinander. Ein rauchender Scherbenhaufen, der sich aus den Händen des riesenhaften Kerles löste.

    Und dann begann sich der Kerl selber aufzulösen! Ja, so mußte man es nennen: Erst bekam sein Gesicht Risse wie das Gesicht einer Steinfigur, gegen das jemand mit dem Vorschlaghammer geschlagen hatte.

    Erstarrt stand er da. Die Risse überzogen auch seine mächtigen, muskelbepackten Arme.

    Und dann begannen sie zu bröckeln. Erst die Arme. Dann der Kopf, der Oberkörper kippte kopflos von den Beinen. Ein Steinklotz, der am Boden zerschellte.

    Auch der Rest fiel in sich zusammen.

    Ein gespenstischer Anblick, dem ich mich allerdings nicht mehr länger widmen konnte, denn die menschlichen Verfolger kamen näher.

    Sie waren mir nur deshalb nicht gefolgt, weil es einen anderen Gegner gegeben hatte. Jetzt hielt sie nichts mehr zurück.

    Ich wich von dem Weidenzaun weg. Die Lücke hatte sich wieder geschlossen. Die Verfolger erreichten den Weidenzaun und schoben sich hindurch.

    Ich schätzte ihre Zahl auf vierzig. Die Fokker hatte fünfundvierzig Plätze und war fast vollbesetzt gewesen.

    War May dabei? Und Kathryn? Ich konnte die rußgeschwärzten Gesichter nicht auseinanderhalten. Es war kaum erkennbar, wer Mann und wer Frau war. Die Kleider hingen in Fetzen. Die Körper waren total verschmutzt.

    Sie erschienen jetzt für mich nicht mehr wie Menschen, die dem Willen eines Dämons folgten. Eher wie selber zu Geister geworden.

    Ich blieb stehen. Den Knüppel hatte ich verloren. Ich hatte keine Waffe mehr, sondern mußte ihnen mit leeren Händen entgegentreten.

    Es machte mir nichts mehr aus. Ich wartete auf sie. Über den Rasen kamen sie auf mich zu. Ihre Front war weit auseinandergezogen.

    Ich wollte in diese schwarzen Gesichter blicken. Ich wollte an den Augen sehen, ob ich doch noch Menschen vor mir hatte.

    »Er flieht gar nicht!« sagte eine Frau. Es klang hysterisch.

    Eine andere: »Auf ihn!«

    Aber sie ließen sich Zeit. Sie waren sich meiner sicher.

    Ja, sie waren Menschen.

    Der mir am nächsten war, hob seine Hände. Es war ein kräftiger Mann mittleren Alters.

    »Ich breche ihm das Genick, diesem Bastard!« knurrte er drohend.

    »Warum?« fragte ich ruhig.

    »Du Narr, würdest besser abhauen. Du machst es uns zu leicht!« sagte einer an seiner Seite.

    »Ich habe keine Lust, dieses Spiel weiterzumachen. Hier endet die Jagd auf mich!«

    Meine Stimme klang immer noch ganz ruhig.

    Die Front stockte. Die Jäger waren irritiert.

    »Warum wollt ihr mich umbringen? Ich meine, was habt ihr davon? Ist es der Einfluß von Donar? Hat er euch in seinen magischen Klauen?«

    »Nein!« sagte der Kräftige. »Wir sind unbeeinflußt, Bastard. Aber wir kennen dich. Du bist eine Gefahr. Nicht nur für uns. Wir sind aufgeklärt. Wir wissen genau, daß wir hier in einer Art Hölle sind. Es ist wie eine Versuchsanordnung in der Wissenschaft.«

    »Sie sind Wissenschaftler?«

    »Ja, Bastard, ich war es! Bis zum Absturz. Jetzt bin ich einer der Jäger. Wir müssen es tun. Wir tun der Menschheit einen großen Dienst. Alles hier ist nur deinetwegen entstanden. Donar hat es uns gesagt. Er ist ein Fürst, verstehst du? Er gehört zu einer - Elite. Er ist ein echter Ase, also einer aus dem Königshaus, das unsere Vorfahren schon verehrten. Nicht nur die Germanen, sondern sämtliche nordischen Völker. Hast du dir einmal Gedanken darüber gemacht, wieso alle nordischen Völker dieselben Gottheiten hatten, nur mit verschiedenen Namen? Die einen sagten zu dem Donnergott mit dem Hammer Donar, die anderen Thor. Aber sie beschrieben ihn genau gleich. Das ist kein Zufall, Bastard. Was bist du nur für ein lächerlicher Zwerg, der sich gegenüber diesen Mächtigen erheben will. Du hast den Tod hundertfach verdient.«

    Ich dachte an die Szene bei den rauschenden Trümmern zurück. Während Donar mit mir gesprochen hatte, war die Beeinflussung erfolgt. Der kräftige Mann vor mir nannte es Aufklärung. Donar habe mit seiner Magie so etwas wie reinen Tisch gemacht.

    »Er hat euch versprochen, daß ihr mit meinem Tod eure Freiheit wiedererlangt, nicht wahr?« fragte ich.

    »Ja!« gab der Kräftige zu. »Nicht nur das allein, Bastard: Alles dies hier wird verschwinden. Man wird uns finden, auflesen, und dann wird alles wieder beim alten sein. - Es wird auch beim alten bleiben!« fügte er betont hinzu. »Du wirst nichts mehr an der Ordnung ändern. Die Menschen müssen Menschen bleiben, und die Mächtigen bleiben unter sich.«

    Ich nickte ihm zu. »Ganz recht, das ist der Wunsch dieser Mächtigen. Sie sind die Fürsten des Bösen. Sie sind die Dämonen der Hölle. Sie sind Wesen, die alle negative Kräfte in sich binden, weil sie diese negativen Kräfte selber sind!«

    »Dann rufe doch die positiven Kräfte zu Hilfe!« spottete der Kräftige. »Du muß verstehen, daß wir denen gehorchen, die mächtiger sind.«

    »Das haben Menschen zu allen Zeiten getan«, entgegnete ich bitter. »Wenn ich so die Welt betrachte, sehe ich, wohin das führt.«

    Ich schlug ohne Vorwarnung zu. Ich traf den Kräftigen genau an der Kinnspitze. Er kippte um wie ein gefällter Baum.

    Ich hatte kein Mitleid. Genauso wenig wie die mit mir. Ich hatte mich überzeugen wollen, ob ich es wirklich mit Menschen zu tun hatte.

    Diese Menschen hier waren unbeeinflußt, zumindest, was Magie betraf. Sie waren nur aufgehetzt. Ich konnte es nicht ändern. Ich konnte mich nur meiner Haut wehren.

    Jetzt tat ich das ohne Gewissensbisse. Ich trat und schlug, wie ich es gelernt hatte.

    Eine Waffe trug ich nicht bei mir. Ich haßte Schußwaffen. Wenn ich wirklich eine benutzte, dann vielleicht auf dem Schießplatz, oder wenn mir eine zufällig in die Hände fiel und ihr Gebrauch lebensnotwendig war. Ich würde jedoch kaum jemals auf die Idee kommen, eine Schußwaffe ständig mit mir herumzuschleppen. Dafür war ich zu sehr Engländer. Das war in mir fest verwurzelt. Zumal ich schon einmal als Konstabler meinen Dienst verrichtet hatte.

    Lange vor meiner Rolle als Teufelsjäger Mark Tate.

    Ich hatte keine Chance gegen die Übermacht, aber ich schaltete vier Gegner vorläufig aus. Sie würden in der nächsten Minute kampfunfähig sein. Dann wandte ich mich ab und lief zum Haus.

    Ich hatte das Bild des bizarren Gebäudes gut im Gedächtnis. Es gab mehrere Türen. Ich hoffte nur, daß sie nicht abgeschlossen waren. Die hohe Zahl der Türen ließ mich vermuten, daß das Innere eine Art Irrgarten war.

    Ich lief auf die nächste Tür zu.

    In die Verfolger kam Bewegung. Sie rannten mir nach, nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten. Offenbar hatten sie wirklich geglaubt, ich würde aufgeben.

    Ich kam am offenen Schuppen vorbei und erreichte die Tür. Es gab keine Türklinke im üblichen Sinne. Es gab nur eine Art Wurzel, die herausragte. Ich zog daran, versuchte auch, sie zu drehen.

    Die Tür war nicht zu öffnen, und ich hatte keine Zeit mehr, lange herumzuexperimentieren.

    Dieser Fluchtweg hatte sich jedenfalls als Sackgasse erwiesen.

    Aus allen Richtungen eilten die Jäger herbei. Männer und Frauen, tödlich entschlossen, mir den Garaus zu machen. Weil man ihnen eingeredet hatte, daß ich eine Gefahr war, und weil sie überzeugt waren, durch mich wieder zum normalen Alltag zurückkehren zu können.

    Über meine Leiche!

    Und ich stand mit dem Rücken an eine Tür gelehnt, die sich nicht öffnen ließ...

    *

    »Mark!« rief eine weibliche Stimme hinter den Angreifern.

    Ich hatte keine Zeit, darauf zu achten. Ich mußte nach einem Ausweg suchen.

    »Mark!« Es war die Stimme von May!

    Ich rannte zurück, zum Schuppeneingang, ehe es zu spät war, erreichte diesen vor den Angreifern, sprang ins Innere des Schuppens.

    May war da. Sie erschien hinter mir am Eingang und breitete die Arme aus.

    Die Menschen reagierten tatsächlich. Sie blieben stehen, ließen sich von May aufhalten.

    Sie erschien kaum anders als wir alle. Sie war genauso wie wir mit dem Flugzeug abgestürzt, ohne einen Kratzer abzubekommen, aber man sah uns trotzdem an, dass was passiert war: anhand der Kleider.

    »Laßt ihn!« rief sie mit schneidender Stimme.

    »Nein, keine Galgenfrist mehr!« schnauzte ein Mann sie an. »Wir haben ihn jetzt lange genug gejagt. Wir machen jetzt Schluß mit ihm.«

    »Das Spiel hat doch erst begonnen«, sagte May gefährlich leise zu ihm. »Siehst du nicht, daß er in der Falle sitzt?«

    Sie wandte sich an mich. War das wirklich meine May?

    »Du mußt dich wehren, Mark. Du mußt alles tun, um zu überleben, und gebrauche bitte den Verstand. Es ist wichtig. Genauso wichtig wie die Erfahrung. Merke dir, dies ist eine Art Versuchsanordnung. Von Donar geschaffen. Eigens zu dem Zweck, dich zu vernichten. Verstehst du? Ein Spiel für Donar, in dem er seine Findigkeit, Grausamkeit und Überlegenheit beweisen will. Vor dir, seinem schlimmsten Feind, weil du der Feind von allem Bösen bist. Vor seinen dämonischen Brüdern und Schwestern in aller Welt, denen er demonstrieren will, wie er mit Gegnern umzuspringen pflegt. Wenn er dich schafft, dann ist er ganz groß, unser Donar. Dann ist ihm etwas gelungen, was keinem Dämon bisher gelungen ist.«

    Warum sagte sie das alles? Was war mit May los? Was war mit Tab los? Wo befand sich Kathryn?

    Ich verstand überhaupt nichts mehr. Ich begriff lediglich, daß ich in tödlicher Gefahr war und griff mir eine Gartenhacke. Ich saß in der Falle, unentrinnbar. Draußen lauerten vierzig Gegner, die mich in Stücke reißen wollten.

    Und da sollte ich mit May diskutieren und mir Gedanken über dieses grausame Spiel machen? Wenn ich kurz davor war, mein Leben zu verlieren?

    Ja, wer konnte mir denn in einer solchen Situation verdenken, daß ich überhaupt nichts verstand - gar nichts verstehen wollte?

    Ich schwang die Gartenhacke und näherte mich dem Ausgang.

    »Schluß jetzt!« sagte der Mann an Mays Seite hart und schob May einfach beiseite.

    Die blutrünstige Meute stürzte herein.

    Ich ließ die Hacke kreisen. Als mich magische Kräfte ins Reich der Magie mit Namen ORAN verbannt hatten, war ich dort gezwungen gewesen, mit dem Schwert umzugehen. Sonst hätte ich frühzeitig schon mein Leben gelassen.

    Ich gebrauchte nun die Gartenhacke wie ein Schwert, und es erwies sich, daß ein solches Werkzeug eine tödliche Waffe sein konnte.

    Ich trieb die Hereinstürmenden damit zurück. Sie zogen die Köpfe ein, ehe ich auf sie eindrosch.

    Doch schon kam der erste Stein hereingeflogen. Er verfehlte mich knapp. Dabei war er dick und schwer genug, um mir das Bewußtsein bei einem Treffer zu rauben.

    Auch die Hacke war also keine geeignete Waffe gegen eine solche Übermacht.

    Der Erfolg des ersten Steinwurfs ermutigte die anderen. Sie lasen ebenfalls Steine auf.

    Ich ließ die Hacke sinken.

    Wo war May jetzt abgeblieben? Warum hatte sie überhaupt für eine Verzögerung gesorgt?

    Wieder diese Gedanken und diese Frage nach dem Sinn der Worte.

    Wütend warf ich die Hacke nach draußen und wandte mich um. Ich dachte an den Kerl mit der Motorschere. Er war von hier gekommen. Gab es vielleicht doch einen direkten Zugang von hier ins Haus?

    Zu schön um wahr zu sein! war mein nächster Gedanke.

    Und da entdeckte ich die Seitentür!

    Ich sprang hinüber, mit hämmerndem Herzen. Ich ergriff die ganz gewöhnliche Türklinke, die so vertraut in dieser unwirklichen Umgebung war, ließ die Tür aufschnappen, öffnete sie weit.

    Modrig, feucht und kalt wehte es mir entgegen. Auf der anderen Seite herrschte gähnende Leere. Kein Gang, sondern einfach nur Leere. Als würde sich das reine Nichts dort befinden.

    Wütend kam die Meute herein. Sie trieb mich in das Nichts. Mir blieb auch diesmal keine Wahl.

    Ich tat den entscheidenden Schritt und ließ die Welt hinter mir. Ich tauchte ein ins Chaos...

    4

    Das einzig Vertraute waren meine eigenen Gedanken, und deshalb hielt ich mich daran fest. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, war genauso ein Nichts wie meine Umgebung.

    Aber meine Gedanken waren da.

    Ich sah mich selber im Flugzeug nach Frankfurt. Die Szene mit der beschädigten Silberkette. Es mochte ein Zufall gewesen sein, aber Donar hatte mich irgendwie beobachtet, wie ich so im Flugzeug saß. Er hatte auf einen günstigen Moment gewartet, und der kam auch prompt, als ich meinen Schavall May übergeben hatte.

    Ich schöpfte aus meiner Erinnerung. Ich besaß ein fotografisches Gedächtnis und sah alles so, als würde vor mir ein Film ablaufen.

    Es waren meine Gedanken, und sie verliehen mir Halt im Nichts, damit ich nicht den Verstand verlor.

    Ich wollte systematisch vorgehen, gemäß den Empfehlungen von Tab und May — falls die es wirklich gewesen waren.

    Nur ein Ablenkungsmanöver von Donar, damit ich den eigentlichen Kern nicht erriet? Hatte Donar wirklich einen Schwachpunkt in seinem Spiel? Eine Chance für mich?

    Eins nach dem anderen: Erst die Szene mit Mav. Sie nahm den Schavall.

    Da geschah es. Der fürchterliche Schlag. Wir wurden nach vorn geschleudert. May! Sie ließ den Schavall fallen. Er flog durch die Passagierkabine davon. Ich verlor ihn aus den Augen und — aus dem Sinn. Ich dachte nicht mehr an den Schavall, sondern wurde vom heranpreschenden Donar abgelenkt und den folgenden Ereignissen.

    Nur einmal suchte ich nach dem Schavall. Vergebens. Ich suchte natürlich am falschen Platz. Ich hätte nach vorn gehen müssen, hätte mich durch die panikerfüllten Menschen kämpfen müssen.

    Sie alle waren dem Tode geweiht. Das wußten sie. Nicht erst als der eigentliche Absturz erfolgte.

    Und der gleiche Donar, der die Maschine zum Absturz gebracht hatte, rettete den Menschen das Leben.

    Damit verpflichtete er sie zum Dank, und ich, der ich sein Gegner war, wurde auch zu ihrem Gegner.

    Deshalb verfolgten sie mich so blutrünstig.

    Ich dachte es, und gleichzeitig begann ich zu ahnen, daß irgendwo ein Fehler war. Ein winziger Fehler zwar, aber groß genug, um mir diese winzige Chance zu geben, die ich mir erhoffte. Allein - ich kam einfach nicht darauf!

    Ich konzentrierte mich auf das Nichts, versetzte mich in Trance und dachte goritische Formeln. Es war das einzige, was mir noch übrigblieb.

    Da begann das Nichts zu schreien und zu stöhnen. Es geriet um mich herum in wilde Bewegungen.

    Aber das Nichts konnte doch nicht schreien und nicht stöhnen? Es konnte sich auch nicht bewegen.

    Es war etwas anderes. Es war eine Macht, die es fertig brachte, meine Gefühle zu neutralisieren, alle Wahrnehmungen. Sie hatte meine Gedanken von meinem Dasein getrennt, und jetzt konnte sie diesen Zustand nicht mehr halten.

    Sie spuckte mich regelrecht aus.

    Im nächsten Augenblick saß ich in einem diffus erleuchteten Gang. Der Boden war weich, genauso weich wie Wände und Decke. Das Stöhnen und Schreien verlor sich.

    Ich hatte den Eindruck, im Innern eines lebenden Geschöpfes zu sein, und das, was ich als Nichts verstanden hatte, war von demselben Wesen verursacht worden.

    Ich blickte mich um. Irgendwie war ich in diesen Gang geraten. Ich mußte annehmen, daß ich mich in dem bizarren Haus befand.

    Ein lebendes Haus? Ein denkendes Haus?

    Ich glaubte nicht mehr, daß ich mich außerhalb des Geisterwaldes befand. Dieses Haus hier mit dem umgebenden Park gehörte durchaus dazu. Es war doch eine Lichtung, nur ungeheuer groß. Man würde sie trotzdem nicht von oben erkennen. Es war das Privatreich von Donar. Seine private Hölle. Seine Spielwiese. Sein Reich, über das er als unumschränkter Herrscher regierte.

    Die Geister dieses Reiches waren seine Untertanen, und das Reich mit Namen Geisterwald befand sich mitten in der Pfalz.

    Ob die Pfälzer das ahnen? dachte ich in einem Anflug von Galgenhumor.

    Ich schritt den gekrümmten und verwundenen Gang entlang. Er war hoch genug, daß ich aufrecht gehen konnte.

    Hinter der nächsten Biegung sah ich eine Verengung. Es handele sich um ein hauchdünnes Gebilde, das von der Decke herunterragte. Ich konnte es nicht lassen und griff danach.

    Es fühlte sich weich an wie aus Gummi. Ich konnte es hin und her biegen. Ich zog daran.

    Da öffnete sich an der Seite eine Tür.

    Tür? Was man hier so bezeichnen konnte! Es war eine Öffnung, wie wenn sich das Maul eines großen Fisches öffnete. Der Raum dahinter war heller als der Gang. Das Licht sickerte wie hier direkt aus Wänden, Decken und Boden.

    Ich trat ein. Von den Verfolgern war noch nichts zu hören. Vielleicht war ihnen der Zutritt dieses Hauses verwehrt? Jetzt befand ich mich zunächst einmal in den Klauen einer anderen Macht.

    Es war das lebende und denkende Haus, und ich durfte keinen Augenblick vergessen, daß dieses Haus mein Gegner war.

    Wie alle Geister - nicht nur im Geisterwald.

    Ergo durfte ich bei jedem Schritt, den ich unternahm, nichts Positives erwarten, sondern mußte stets auf das Schlimmste gefaßt sein.

    Dies galt auch für das Betreten eines unbekannten Raumes...

    Der hellerleuchtete Raum war wie eine andere Welt. Ich brauchte Sekunden, bis meine Augen sich an die ungewohnte Helligkeit gewöhnt hatten. Es war nicht wie strahlender Sonnenschein. Mir war es, als würde das Licht direkt in meinen Verstand eindringen.

    Ich rieb mir verwirrt über die Augen.

    Anfangs hatte ich den Eindruck, als wäre der Raum leer. Das stimmte nur zum Teil: Was ich vorher als den eigentlichen Raum angesehen hatte, war tatsächlich leer, aber dort, wo ich die Wände vermutet hatte, begann der wirkliche Bereich. Es gab eine klare Trennlinie. Der Raum war somit eine Art Insel inmitten eines strahlenden Reiches.

    Die Ausmaße dieses Reiches waren von mir nicht zu schätzen. Da gleißte und funkelte und leuchtete es. Da waren bizarre Gebilde von kaum zu beschreibender Form. Sobald ich einen Schritt machte, schienen sie diese Form zu verändern. Oder waren es nur optische Effekte?

    Die Beschreibung der Formen, diese Anhäufung von mir unbekannten Dingen, ringsherum, war für mich nicht so wichtig. Viel wichtiger erschien mir die Frage, welchem Zweck dies alles diente.

    Ich ging tiefer in den Raum, zu einem Punkt, von dem aus ich alles gut überblicken konnte, und da machte ich die Feststellung, daß es auch dort jenen Bereich gab, von wo ich gekommen war. Mit anderen Worten: Die Wand, die ich soeben passiert hatte, war nicht mehr da! Auch keine Öffnung!

    Anfängliches Entsetzen verwandelte sich bald in einen Verdacht. Ich wollte diesen Verdacht bestätigt finden und kehrte zurück zu der Stelle, an der ich den Raum betreten hatte. Ich streckte die Arme vor, näherte meine Hände der Trennlinie zu jener irren Anhäufung von funkelnden, glitzernden und gleißenden Formen.

    Und meine Hände stießen gegen einen Widerstand!

    Ich tastete den Widerstand ab. Wie eine durchsichtige Haut. Es war elastisch und pulsierte warm unter den Fingerkuppen, wie eine Membrane.

    Und da sah ich meinen Verdacht wirklich bestätigt: Was ich sah, war nichts anderes als eine optische Gaukelei. Deshalb auch mein Eindruck, das Licht würde direkt in meinen Verstand eindringen, denn die optischen Effekte wurden magisch erzeugt und verstärkt.

    Jetzt überzeugt davon, daß mir von den irren Formen keine Gefahr drohte, weil sie in Wirklichkeit gar nicht existierten, kehrte ich der Wand den Rücken und wandte mich meinem ursprünglichen Ziel auf der anderen Seite zu. Ich erreichte auch diese Trennlinie, tastete die weiche, durchsichtig erscheinende Membrane ab und konzentrierte mich auf einen bestimmten Punkt.

    Das Ding, das sich vor meinen Augen sozusagen stabilisierte, sah aus wie ein kauernder Bär. Sein Fell sträubte sich. Funken sprühten von den Haarspitzen. Es wandte den Kopf und sah mich an. Seine Augen wirkten wie Knopfleuchten. Ein Blitz löste sich daraus und raste auf mich zu.

    Ich wich nicht aus, sondern konzentrierte mich immer noch voll auf dieses Wesen.

    Das hatte einen bestimmten Grund: Ich versuchte, mit meinen Gedanken auf diese Form einzuwirken. Daß dieses Ding jetzt aussah wie ein glühender Bär, der mit den Augen Blitze verschleudern konnte, war ein von mir gewollter Effekt.

    Er zeigte deutlich, daß ich die Bilder beeinflussen konnte.

    Die Blitze endeten scheinbar jenseits der Membrane. Ich schloß konzentriert die Augen und versetzte mich in Trance. Es war eine magisch wirksame Trance, und ich ließ dabei das Bild auf mich einwirken, das ich eben noch mit meinen Augen gesehen hatte.

    Die scheinbar durchsichtige Membrane, die mich von einer anderen Welt trennte.

    Der Bär mit den zitternden Haaren seines gesträubten Felles, wie er sich aufrichtete, wie er sich mir voll zuwandte, wie seine Augen Blitze verschleuderten.

    Ich wollte, daß dieses Wesen verschwand, und tatsächlich verblaßte das Bild an dieser Stelle allmählich. Es entstand ein dunkler Fleck in dem leuchtenden und funkelnden und glitzernden Chaos.

    Ich dachte konzentriert an May Harris, an meine Lebensgefährtin. Vor meinem geistigen Auge tauchte ihr Gesicht auf. Sie schien zu schlafen. Das Gesicht war in jedem Detail sichtbar, als wäre sie tatsächlich vor mir.

    Ich projizierte ihr Gesicht in den dunklen Fleck hinein, begann, ihren ganzen Körper zu gestalten.

    Wie sie wirklich war.

    Und die Gestaltung gelang! Eine neue May Harris entstand inmitten der strahlenden und gleißenden Anordnung. Sie stand da in normaler Straßenkleidung: Ein knielanges, fließendes Kleid, das ihre schlanke, hochgewachsene sportlich gestählte Figur betonte.

    Jetzt öffnete sie die Augen und lächelte mich an.

    Ich zog meine gestaltenden Gedanken zurück und öffnete ebenfalls die Augen. Ich lächelte zurück.

    Ja, da stand sie, May, genauso wie ich sie kannte.

    Ich trug nichts mehr dazu bei, daß dieses Bild erhalten blieb. Es geschah auch nicht mehr durch mich, daß May den Mund öffnete und sagte: »Hallo, Mark!«

    Damit bewies dieser Raum seinen eigentlichen Sinn: Er war wie eine Art Projektionsraum. Man konnte die Projektionen, die ansonsten sehr willkürlich und deshalb chaotisch waren, mit seinen Gedanken steuern. Ich hatte meinen Wunsch präzise geäußert, und nun zeigte mir der Projektionsraum May Harris. Und er ließ mich mit ihr reden.

    Donar hätte es wohl gern verhindert, aber er hielt sich an seine eigenen Spielregeln und blieb neutral.

    Ich hatte in diesem Raum eine gute Möglichkeit entdeckt, mir einen allgemeinen Überblick zu verschaffen.

    Und ich hatte mir vorgenommen, diesen Vorteil nunmehr auch zu nutzen...

    *

    Bei der ganzen Sache gab es nur einen einzigen Haken: Dieses lebende Haus blieb ein Unsicherheitsfaktor. Was, wenn es etwas gegen mein Vorgehen hatte? Was, wenn es die Projektion beeinflußte und mir etwas vorgaukelte, was gar nicht von der echten May stammte?

    Es gab eine gute Methode, dies nachzuprüfen: Ich brauchte May nur etwas zu fragen, was nur sie wissen konnte.

    Ich lächelte sie immer noch an.

    »Hallo, May!«

    Ihr Gesicht wurde ernst. Sie runzelte besorgt die Stirn.

    »Du machst dir Sorgen um mich, May?«

    »Ja, Mark!«

    »Ich denke an meine Wohnung in Bayswater, May. Ich denke an das geweihte Schwert, das ich innen an der Tür aufgehängt habe. Es soll jeden Eindringling, der nicht guten Willens ist, draußen halten — allein mit seiner Magie.«

    May blinzelte verwirrt.

    Jetzt hatte ich sie. In meiner Behauptung war eine Frage versteckt. Die Macht des Bösen konnte nicht wissen, wie das Innere meiner Wohnung aussah. Das Appartement hatte zwar nur sechsundzwanzig Quadratyards, aber diese waren so angefüllt mit Dämonenbanner, daß man mit Schwarzer Magie niemals hier eindringen konnte. Selbst der Anblick der

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