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HORROR 005 Buchausgabe: Todesfalle Afrika: »Fünf Fortsetzungsromane gesammelt in einem Buch!«
HORROR 005 Buchausgabe: Todesfalle Afrika: »Fünf Fortsetzungsromane gesammelt in einem Buch!«
HORROR 005 Buchausgabe: Todesfalle Afrika: »Fünf Fortsetzungsromane gesammelt in einem Buch!«
eBook454 Seiten5 Stunden

HORROR 005 Buchausgabe: Todesfalle Afrika: »Fünf Fortsetzungsromane gesammelt in einem Buch!«

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Über dieses E-Book

HORROR Buchausgabe 005: Todesfalle Afrika  

  1. A. Hary und Thorsten Grewe: »Fünf Fortsetzungsromane gesammelt in einem Buch!«

 

Dieses Buch beinhaltet insgesamt fünf Fortsetzungsromane des Autorenduos W. A. Hary und Thorsten Grewe, wie sie ursprünglich in der Romanheftreihe HORROR erschienen als Band 25 bis Band 29.

 

Der Religionswissenschaftler Thorsten Grewe hat zusätzlich Anmerkungen hinzugefügt, die den Bezug schaffen zwischen der Realität des Kontinents Afrika und den Fiktionen dieser Romane.

 

Impressum:

Copyright dieser Ausgabe 2016 by HARY-PRODUCTION * Canadastraße 30 *  66482 Zweibrücken * ISSN 1614-3299

 

Buchgestaltung: Anistasius

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum21. Aug. 2023
ISBN9783755450580
HORROR 005 Buchausgabe: Todesfalle Afrika: »Fünf Fortsetzungsromane gesammelt in einem Buch!«

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    Buchvorschau

    HORROR 005 Buchausgabe - Wilfried A. Hary

    HORROR Buchausgabe 005: Todesfalle Afrika

    HORROR 005:

    Todesfalle

    Afrika

    W. A. Hary

    und Thorsten Grewe

    Impressum:

    Alleinige Urheberrechte: Wilfried A. Hary

    Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

    ISSN 1614-3310

    Erstauflage: 2004

    Diese Fassung:

    © 2016 by HARY-PRODUCTION

    Canadastr. 30

    D-66482 Zweibrücken

    Telefon: 06332-481150

    www.HaryPro.de

    eMail: wah@HaryPro.de

     Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

     Covergestaltung: Anistasius

    Prolog

    Belgisch-Kongo 1879

    Jan Koopmans blinzelte in die Sonne, die gerade wie ein alles verschlingendes weißes Auge aus dem Horizont hervorschmolz. Die Feuchtigkeit, die sich in der etwas erträglicheren Nachtkühle auf die Blätter gelegt hatte, stieg jetzt wie ein wehender Vorhang aus Chifon aus den Baumkronen auf. Ein Schwarm grellbunter Vögel flatterte lärmend aus dem Unterholz hervor und begrüßte den Morgen.

    Er zügelte sein Pferd und ließ die zu Fuß folgende Kompanie aufschließen. Sein Pferd schüttelte die Mähne und verscheuchte die scheinbar allgegenwärtigen Mücken. Wie eine undurchdringliche, grüne Mauer breitete sich der Dschungel vor ihnen aus. In sanften Wellen zog sich der Urwald die Innenseite des Talkessels hinauf. Ein Fußweg, wohl eher ein ausgetretener Trampelpfad, führte in das wogende, grüne Meer hinein, gähnte wie ein bläulicher Schlund herüber und schien die heranrückende Armee zu verspotten.

    Koopmans fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und rückte den Tropenhelm zurecht. Die afrikanische Hitze und die gottverfluchte Luftfeuchtigkeit des Urwalds bekamen ihm nicht. Jetzt begann er schon damit, sich Dinge einzubilden. Was hatte ihn bloß in diesen gottverlassenen, verbrannten Kontinent getrieben? Seine Gedanken flossen acht Jahre zurück, kehrten auf das mit zerfetzten Leibern und zertrümmerten Geschützen übersäte Schlachtfeld zurück. Als viel zu junger Lieutenant hatte er damals die Kraft seines linken Arms in dem Gemetzel zurückgelassen. Er hatte das Morden überlebt, hatte sogar irgendeinen Hügel gestürmt, was ihn zum Helden werden ließ. Er blickte auf seinen nutzlosen linken Arm, den er seitdem wie ein spiegelverkehrter Napoleon in die Uniformjacke steckte - er fühlte sich nicht als Held, sondern als Krüppel. Alle blechernen Orden und goldenen Epuletten, die man ihm hinterher mit einer Beförderung zum Capitaine angeheftet hatte, konnten ihm keinen brauchbaren Arm wiedergeben. Für ein menschenwürdiges Leben hätte die schmale Pension, die ihm nach den paar Dienstjahren zugestanden hätte, wahrlich nicht gereicht. Zum Leben eben zu wenig und zum Sterben zuviel, wie man sagte. Außer Hügel zu stürmen und herumzukommandieren, hatte er nichts gelernt. Da blieben nicht viele Alternativen übrig - noch dazu für einen Flamen, der in den Augen der hochnäsigen Walonen ohnehin nur ein Belgier zweiter Klasse war. König Leopold II. hatte sich den Kongo zu seinem höchsteigenen Privatspielplatz erkoren. Für diesen Tummelplatz königlicher Eitelkeit und Geldgier brauchte der Monarch ständig frischen Nachschub aus dem Mutterland, viele tausende Siedler, Missionare und Soldaten, um den königlichen Selbstbedienungsladen urbar zu machen und das letzte Jota an Reichtum und Bodenschätzen herauszupressen. Es schien der einzige Ort zu sein, wo ein verkrüppelter Capitaine noch sein Glück machen konnte. Und nun hockte er in diesem Talkessel im Katangagebirge mit dem blumigen Namen Petiteville und führte auf Befehl des Oberkommandos des Kolonial-Hauptquartiers in Leopoldville eine Kompanie Infanterie gegen einen wahnsinnig gewordenen Großgrundbesitzer. Dies brütendheiße Land fraß sie alle auf, Grundbesitzer und Besatzungssoldaten gleichermaßen. Der Kongo war ein Moloch und niemand konnte ihm entgehen. Das war Koopmans' feste Überzeugung.

    Im stoischen Gleichschritt kamen die Infanteristen heran. Die aufgepflanzten Bajonette fingen die sich durch das Blättergrün verirrenden Sonnenstrahlen und verwandelten sie in irisierende Lichtreflexe. Der Capitaine winkte dem Mann in dem schwarzen Anzug, der am Ende des Zuges geritten war und nun seinen Braunen neben Koopmans' Pferd zügelte. Die kleinen, beständig hin und her ruckenden Augen des Mannes taxierten die Umgebung, als erwarteten sie jederzeit eine Attacke aus dem Hinterhalt. Seine runde Nickelbrille, die ihm die Seriosität eines Buchhalters verlieh, konnte nicht gänzlich über die füchsische Listigkeit in seinen Zügen hinwegtäuschen. Capitaine Koopmans wusste nicht, was er von der Anwesenheit des Priesters auf dieser Strafexpedition halten sollte. Die Kolonialverwaltung in Leopoldville hatte darauf bestanden, dass die Kompanie erst dann aufbrechen durfte, wenn der Geistliche aus Brüssel eingetroffen war. Er warf dem Mann mit dem gehetzten Gehabe und dem in der aufsteigenden Hitze völlig unpassenden schwarzen Anzug, der diesen nicht im mindesten zu beeinträchtigen schien, einen Blick zu: „Wenn ich die Karte richtig im Kopf habe, kann es von hier aus nicht mehr weit sein, Hochwürden."

    Der Priester verzog sein spitzes Fuchsgesicht zu einem süffisanten Grinsen. Unruhig rutschte er im Sattel hin und her. Die Aussicht, bald mit de Maldorac, dem das gesamte Tal tyrannisierenden Grundherrn, aufeinander zu treffen, bereitete ihm sichtliche Vorfreude.

    „Ich weiß, ich weiß, mon Capitaine. Die ungesunde Ausstrahlung dieses Teufels, ist schon wie eine pestilenzisch heranziehende Wolke zu spüren. Er kniff die Knopfaugen zusammen, als könne er so das ungehemmt wuchernde Grün des Urwalds durchdringen. „Also vorwärts!

    Mit einem Schnalzen drückte er seinem Braunen die Absätze in die Flanken und preschte in die grüne Hölle hinein. Irritiert blickte der Offizier dem Exorzisten nach. Er ließ sein Pferd antraben und bedeutete seiner Kompanie, ihm zu folgen. Keine Zeit mehr fürs Grübeln, jetzt war es Zeit zu kämpfen - für den König und Belgien! Und wenn es gegen den Teufel persönlich ginge...

    Begehrlichkeiten

    Für russische Verhältnisse war die Nacht ungewöhnlich mild.

    Effektvoll positionierte Scheinwerfer tauchten die in Weiß und Blau gehaltene Fassade des Sommerpalasts von Zarskoje Selo in strahlende Taghelligkeit. Über die Front des gesamten Katharinenpalasts - wie das eindrucksvolle Gebäude auch genannt wurde - entlang hatte man Diener mit weiß gepuderten Perücken und prunkvollen Livreen aufgereiht. Fast schien der Pomp der Zarenzeit zu neuem anachronistischen Leben erwacht.

    Allein die schier nicht enden wollende Reihe der modernen Luxuslimousinen und Nobelkarossen, die für diesen besonderen Abend aus dem 25 Kilometer nördlich gelegenen St. Petersburg hier herausgefahren waren, holte die Szenerie wieder in die Gegenwart zurück.

    Wie das geschäftige Treiben am Eingang eines Bienenstocks eilte das Personal die breite Freitreppe des Hauptportals hinauf und hinab, hielt Autotüren auf, überprüfte Einladungen und Presseausweise, geleitete die geladenen Gäste zu den Garderoben und wies den Chauffeuren den Weg zu den hinter dem Gebäudekomplex, von vorn nicht einsehbar angelegten Parkplätzen.

    Kunstmäzene und Geschäftsleute, Politiker und Diplomaten aus aller Herren Länder, Kunstkritiker und Gelehrte, Kamerateams und Journalisten sowie zuletzt die unumgänglichen Stars und Sternchen aus der Glitzerwelt des Films und der Gazetten für das nötige, schmückende Beiwerk ergossen sich in die Festsäle.

    Blitzlichtgewitter spritzten Myriaden Reflexe über die kristallenen Sektgläser. Dort ein geliftetes Lächeln für die Kameras, hier ein mit Fremdworten bestücktes, kunstbeflissenes Statement, drüben ein kurzes Interview, da hinten ein hastiges Kaviar- oder Lachs-Hors d'Oeuvres.

    Niemand, der sich auch nur im Geringsten einbildete, wichtig zu sein, hätte es sich nehmen lassen, diesem Ereignis beizuwohnen - der Eröffnung des wiederhergestellten Bernsteinzimmers am 300. Jahrestag der Grundsteinlegung von St. Petersburg.

    Seit 1979 hatten 52 Handwerker, Tischler, Künstler und Steinschneider bis vor wenigen Tagen elf Stunden täglich mit Hochdruck daran gearbeitet, das legendäre, in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verlorene Kunstwerk nachzubauen. Grundlage dafür waren die etwas über zweihundert Farbfotografien gewesen, die von deutschen Soldaten 1941 bei der Demontage gemacht worden waren. Zweihundert mit der Zeit verblasste Zeugnisse des sogenannten „achten Weltwunders".

    In dieser Nacht präsentierte sich das Bernsteinzimmer wieder an jenem Ort, an dem es zwei Jahrhunderte lang zuhause gewesen war. Die 58 Jahre seit dem Krieg, in denen es verschollen war, schmolzen im Glanz der funkelnden Edelsteinwände zu einem bedeutungslosen Intermezzo.

    *

    Mordechaj Mistelczwyg schritt durch den 100 Quadratmeter großen Saal und ließ seinen Blick über jedes Detail des auf 125 Millionen Dollar geschätzten Kunstwerks gleiten - die Wandpaneele aus leuchtend oran­genem Bernstein, die eingelegten Intarsien aus gelbem, weißem, grünem und schwarzem Stein, die aus glühendrotem Stein geschnittenen Zierleisten, die 24 Wandspiegel aus venezianischem Glas, die Florentiner Steinmosaiken, die vergoldeten Leuchter. Hier und dort strich der massige Geschäftsmann über den unter seinen fleischigen Fingern so kühlen und doch so lodernd funkelnden Edelstein. Mistelczwyg hatte ein Imperium von erlesenen Unterhaltungs-Etablissements aufgebaut. Phantasievoll gestaltete Casino-Hotels und bizarre Schickimicki-Clubs erwirtschafteten kaum abschätzbare Vermögen. Einen Gutteil diese Geldes investierte der Unterhaltungs-Tycoon in den Erwerb ausgesuchter Stücke für seine Kunstsammlung. Der Wiederaufbau des Bernsteinzimmers hatte ebenso von seinem Mäzenatentum profitiert wie auch der schlanke junge Mann in dem unverschämt eng sitzenden, schwarzen Samthemd und ebensolcher Cordhose, der ihn begleitete. Mistelczwygs „Neuerwerbung" hieß Andrej Roschenkow und war der gefeierte, neue Star am Himmel des Bolschoi Balletts. Seitdem er den 'Faun', Nijinskis Paraderolle, nackt getanzt hatte, war er zum weltweiten Liebling der Kritiker und zum Schwarm aller pubertierenden Mädchen avanciert.

    An Mistelczwygs Arm hatte sich eine Frau mit olivfarbener Haut und schulterlangem, brau­nem Haar untergehakt.

    „Es ist bis aufs i-Tüpfelchen absolut genau wie damals", flüsterte der Geschäftsmann seiner eleganten Begleiterin zu. Das aufregend ärmellose Abendkleid mit Rollkragen von Chanel hob die Vorzüge ihrer vollendeten Figur dezent hervor. Mit ihrer imposanten Statur überragte sie Mistelczwyg um einiges.

    „Kannst du dich so genau erinnern?" Ihr zwangloser Plauderton verriet, dass sie weit mehr war als nur die Geschäftsführerin seiner Unternehmenskette.

    „Ja, es ist mir, als wäre es gestern gewesen, Beltaine." In einer fast zärtlichen Geste berührte er ihre Hand, als könne er die Britin damit Anteil an den Bildern nehmen lassen, die vor seinem inneren Auge abliefen.

    Beltaine DuLac lächelte: „Es war Anfang des 18. Jahrhunderts, nicht wahr?"

    „1701, um genau zu sein, meine Liebe. Mistelczwyg schmunzelte. „Ich brachte König Friedrich I. auf die Idee, der Tradition, dass sich Preußen von den Deutschrittern herleitete, einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Der Reichtum des Deutschen Ritterordens basierte nämlich auf dem in den Ostgebieten gefundenen Bernstein. Die Legende wusste zu erzählen, dass der Bernstein der Ostsee von dem unter den Fluten des Meeres gelegenen Schloss einer Meeresprinzessin stammt. Also schlug ich dem König vor, ebenfalls ein Schloss aus Bernstein zu besitzen. Das muss wohl die Eitelkeit Friedrichs angestachelt haben. Jedenfalls erteilte er mir den Befehl, das Bernsteinzimmer zu entwerfen.

    „Nanntest du dich damals nicht David Viscumius?" warf Beltaine ein.

    Einen Moment blieb Mistelczwyg stehen. Seit über anderthalb Jahrhunderten hatte ihn niemand mehr so genannt. „Zuerst wurde das Bernsteinzimmer im Schloss Char­lottenburg eingebaut, später wan­derte es ins Berliner Stadtschloss. Friedrich Wilhelm I, der Soldatenkönig, hatte beileibe nicht soviel Sinn für Kunst. 1716 schenkte er mein Meisterwerk Zar Peter dem Großen - im Tausch gegen 55 Grenadiere für seine Truppe 'langer Kerls'."

    Mordechaj schüttelte den Kopf. Noch immer konnte er den ästhetischen Unverstand des Monarchen nicht nachvollziehen.

    „Peters Tochter, die Zarin Elisabeth, ließ das Bernsteinzimmer zunächst in den Winterpalast einbauen, dann aber in den neu erbauten Sommerpalast, hier in Zarskoje Selo. Ich überredete den 'Alten Fritz' dazu, die nötigen Ergänzungen für den jetzt viel größeren Raum zu liefern. Ich konnte mein Werk nach Herzenslust erweitern."

    „Wie gut, dass du gerade Geheimrat der Zarin warst", warf Andrej mit gespieltem Spott ein.

    „Ein paar Jahrzehnte später konnte ich mich als der von Robespierre nach Russland entsandte Botschafter Revolutions-Frankreichs davon überzeugen, wie sehr das Bernsteinzimmer Elisabeths Nachfolgerin, Katharina der Großen, ans Herz gewachsen war. Es war ihr Lieblingszimmer. Mistelczwygs Blick schien nach innen gerichtet. Verträumt strich er durch seinen King Arthur Bart. „Ich war gern Thermidor Sanguine. Es war eine schöne Zeit am russischen Hof... und mit Katharina.

    Beltaine tätschelte seine Hand: „Ich weiß noch, wie schwer es dich getroffen hat, als du davon erfuhrst, dass die Wehrmachts-Heeresgruppe Nord das Bernsteinzimmer 1941 demontiert und nach Königsberg verbracht hatte."

    Der massige Geschäftsmann seufzte. „Der Verlust eines eigenen Kindes könnte nicht schlimmer sein. Auf eine gewisse Weise war das Bernsteinzimmer ja mein Kind. Als ich 1945 nach Königsberg kam und nur noch die zerbombte und ausgebrannte Schlossruine vorfand, war von meinem 'Kind' nichts übriggeblieben außer den 200 Fotos. Damals konnte ich nicht ahnen, dass man das Zimmer bereits vor den Bombenangriffen in 27 Kisten verpackt hatte, um es rechtzeitig auszulagern. Du weißt ja selbst, wie ich erst Jahre später erfuhr, wer sich den Transport in dem Durcheinander der letzten Kriegstage unter seine raffgierigen Klauen gerissen hatte!"

    Kaum wahrnehmbar legte Mrs. DuLac einen Finger auf den Mund. Zielstrebig steuerte ein Pärchen auf Mistelczwyg und seine Begleiter zu.

    „Nein, so eine Überraschung! Wenn ich gewusst hätte, dass Sie sich heute Abend auch die Ehre geben..."

    Mistelczwyg wechselte einen vielsagenden Blick mit seiner Geschäftsführerin. „Die Geschwister di Sospiro, Mariluisa und Marioluca, zischte Beltaine, „Kunstkenner. Sie haben uns vor zwei Jahren den Ankauf des Jean Giraud vermittelt.

    Dunkel erinnerte sich Mistelczwyg an das Geschwisterpaar. Wie die meisten seiner Transaktionen war auch der Erwerb des Giraud-Gemäldes damals von Beltaine erledigt worden. Ganz der weltgewandte Geschäftsmann setzte er eine vor Charme nur so triefende Miene scheinbaren Wiedererkennens auf und lächelte: „Die Welt ist wahrlich klein! Mariluisa, Marioluca - wie schön, Sie zu sehen."

    Die Ähnlichkeit der di Sospiros war verblüffend. Tiefschwarze, zart bläulich schimmernde Locken umrahmten die länglichen, schlanken Gesichter der Zwillinge mit den hohen Wangenknochen. Beide besaßen auffällig ausdrucksstarke, goldbraune Augen. Identisch gekleidet in karmesinrote, engantaillierte Herrenanzüge hatten die Geschwister etwas Androgynes. Man war versucht, Mariluisa für einen schönen jungen Mann zu halten, ihren Bruder hingegen für eine herbere junge Frau. Der Anblick war verwirrend.

    Mit ihrer beider Wirkung kokettierend blieb Mariluisa in einer etwas zu lässigen Pose vor Mistelczwyg stehen. Ihr Bruder lehnte sich mit verschränkten Armen auf ihre Schultern. Sein stechender Blick galt Mistelczwygs Mündel Andrej. Unverhohlen sog er die athletische Figur des Tänzers mit den Augen in sich auf. Anzüglich fuhr er sich mit der Zunge über die vollen, blass rosé Lippen.

    „Wie man so hört - Sie kennen ja das Getratsche - haben Sie eine gehörige Stange Geldes für den Wiederaufbau des Bernsteinzimmers beigesteuert. Mariluisa di Sospiro lächelte süffisant und entblößte eine Reihe makellos weißer Zähne. Mariolucas Blick war noch immer starr auf Andrej Roschenkow geheftet. In einer aufdringlichen Geste fuhr er mit der Zunge die Konturen der Ohrmuschel seiner Schwester entlang. Sie schien es nicht zu bemerken: „Waren Sie es nicht, Mr. Mistelczwyg, der seinerzeit dazu beigetragen hat, dass eine Truhe und ein Mosaik aus dem originalen Bernsteinzimmer wieder aufgetaucht sind?

    Mariluisas Frage war weniger eine Frage als eine Feststellung.

    „Das Glück des Sammlers. Sie wissen ja selbst, wie das ist, Signora di Sospiro. Man hört so allerlei im Kunstgeschäft." Die Gegenwart der di Sospiro Geschwister war Mordechaj zutiefst unangenehm. Er konnte es sich selbst nicht erklären, aber er meinte geradezu fühlen zu können, wie eine negative Ausstrahlung von ihnen ausging.

    Beltaine spürte das Unbehagen ihres Freundes und zog ihn mit sich fort: „Oh, schau nur, in der Vitrine dort hinten hat man Fabergé-Eier ausgestellt. Wie wunderbar. Komm - die muss ich mir ansehen."

    Mistelczwyg warf den di Sospiros ein gut gespieltes entschuldigendes Lächeln zu und ließ sich von Beltaine zu der Vitrine mitziehen.

    „Fabergé-Eier! Das ist interessant." Die karmesinroten Geschwister schienen sich nicht abschütteln zu lassen. Ungeniert folgten sie dicht auf. Marioluca hielt die Hand seiner Schwester und saugte an ihrem Mittelfinger. Dabei ließ er Andrej keinen Moment aus den Augen. Scham zählte offensichtlich nicht zu seinen hervorstechendsten Eigenschaften.

    „Just neulich las ich von Peter Carl Fabergé in einer Biographie eines seiner Zeitgenossen. Mariluisa di Sospiro schob sich dichter an Mistelczwyg heran, als habe sie ihm ein brisantes Geheimnis zu offenbaren. „Ich stieß zufällig beim Stöbern in einem ungarischen Antiquariat darauf. Eigentlich beschäftigte mich die Suche nach einem antiken Folianten, der den Zugang zur Hölle durch acht oder neun Pforten beschreibt. Krauses Geschreibsel eines abergläubische Geistes eben. Als teilten sie ein gemeinsames okkultes Wissen, zwinkerte sie dem Unterhaltungs-Tycoon zu.

    „Wie gesagt fand ich stattdessen zufällig besagte Biographie. Sie machte eine Kunstpause, um die Dramatik ihrer unumgänglich zu erwartenden Offenbarung zu erhöhen. „Es ist unglaublich, aber es hieß darin, die Anregung für die künstlerischen Kleinode, die Fabergé von 1884-1917 für die Zarenfamilie entworfen hat, sei eine bereits ältere Serie von Schmuck-Eiern gewesen. Diese seien im Atelier eines gewissen Juweliers und Uhrmachers namens 'Moosberg' entstanden, wo Fabergé einige Lehrjahre verbracht habe.

    Sie bedachte Mistelczwyg und Beltaine mit einem bedeutungsschwangeren Blick und flüsterte im Verschwörerton: „Es soll fünf 'Moosberg-Eier' geben, heißt es. Wahre Meisterwerke der Feinmechanik und Goldschmiedekunst. Sie gelten als verschollen. Ihr Verbleib ist ebenso geheimnisumwittert wie das Ende ihres Schöpfers." Ihre geflüsterten Worte waren jetzt kaum mehr als ein Hauch.

    „Fünf Eier. Und jedes einzelne mehr wert als alle Fabergé-Eier zusammen..."

    Mistelczwyg schluckte. Nun war er ernstlich beeindruckt.

    Marioluca schien kein Interesse an den Enthüllungen seiner Schwester zu finden. Man mochte spekulieren, ob er psychisch gestört war. Mit Ausnahme der auf Andrej Roschenkow gezielten Anzüglichkeiten, wirkte er beinah autistisch.

    „Es liegt demnach vollständig im Dunkeln, was aus den Moosberg-Eiern geworden ist?" Mistelczwygs Sammlerleidenschaft war geweckt. Wie ein unstillbarer Hunger nagte es in ihm, schrie wie ein gebundenes Tier. Vor seinem geistigen Auge drehte sich spöttisch ein Reigen fünf eiförmiger Kunstwerke. Höhnisch glitzerten sie, gleißten hämisch. Sie nicht berühren, nicht mit Händen greifen zu können, schoss wie eisigquälendes Feuer durch sein Innerstes.

    „Natürlich habe ich meine Fühler ausgestreckt. Hier und dort unauffällig nachgehorcht. Beziehungen spielen lassen. Mariluisa di Sospiro betrachtete ihre Fingernägel. „Kurz nach Moosbergs mysteriösem Tod haben sich damals schon die ersten Schatzjäger auf die Suche nach den Eiern gemacht. Einen belgischen Edelmann soll es dabei bis in die Tiefen des schwarzen Kontinents verschlagen haben...

    Zärtlich streichelte sie die Wange ihres Bruders. Sein fiebriges Grinsen schien an dem durchtrainierten Körper des Ballett-Tänzers festgeschweißt zu sein.

    „Nun ja, mit seinen fleischigen Händen winkte Mistelczwyg einen livrierten Kellner heran, „Immerhin ist uns die Schönheit der vollendeten Schöpfungen Fabergés erhalten geblieben.

    Mit einer angedeuteten Verbeugung reichte der Diener das Silbertablett mit den Krimsekt-Gläsern in der Runde herum.

    „Dann wollen wir auf Fabergé anstoßen", erhob Andrej sein Glas.

    „Und auf die Schönheit, ließ sich Marioluca vernehmen, „und auf die Schönheit!

    Kristallklar hallte der helle Ton der aneinander stoßenden Sektgläser von den glühendfeurigen Bernsteinwänden wider.

    Dunkle Schatten

    „Nein!" brüllte er und presste die Hände an die Ohren.

    Es hörte nicht auf, dieses Hämmern und Rumoren in seinem Schädel, als hausten darin tausend und abertausend Abbruchhämmer.

    Dies infernalische Röhren, das auf ihn eindrang, ihn geißelte, ihn nicht mehr losließ.

    Ein rasender Schmerz durchzuckte ihn: sein Zentrum war der Kopf, der von einer schrecklichen Macht traktiert wurde.

    Santiago Cabaral konnte sich nicht mehr halten. Ächzend ging er in die Knie. Seine Augen zeigten nur noch das Weiße. Sein Gesicht war zur grauenerregenden Grimasse verzerrt.

    „Santiago!" schrie jemand, packte ihn hart an den Schultern und schüttelte ihn.

    Doch das Röhren, das über den Dschungel herüberklang und in Cabaral Resonanz fand, übertönte alles. Es erinnerte an das Trompeten eines Elefantenbullen, obwohl der Urschrei eines Dickhäuters sich gegenüber diesem Laut mehr als ein süßes Säuseln ausgenommen hätte. Santiago Cabaral öffnete den Mund und schien sich zu bemühen, das Dröhnen nachzuahmen.

    Wieder wurde er geschüttelt. Wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimme. Er hörte Worte, sie wurden lauter und wieder leiser: „Santiago! Um Himmels willen, was ist mit dir los? Komm zu dir!"

    Und dann sah Santiago Cabaral den Giganten. Er war nicht mehr als ein mächtiger Schatten, der sich hinter der undurchdringlich wirkenden Kulisse der grünen Hölle erhob - schwarz, dunkeldrohend und gefährlich wie die Nacht. War es ein Wirrspiel des Lichts oder glommen dort zwei Punkte in dem Schatten, dort, wo sich die Augen befinden würden? Jetzt beugte er sich über Santiago Cabaral, der unter dem Gewicht des Mächtigen nach Luft schnappte und - sein Bewusstsein verlor.

    *

    Anique Bolenge betrachtete sich im Spiegel. Eine Sechzehnjährige schaute ihr entgegen - ein nougatbraunes, ebenmäßiges Gesicht, in dem das Leben noch nicht seine Jahresringe eingegraben hatte und Augen, die erwartungsvoll glommen.

    Anique war schlank, mit einer hübschen, unübersehbar voll entwickelten Figur, auf deren nackter Haut das Licht der Kerze spielte.

    Mit beiden Händen strich sie sich über Taille und Hüften. Es war eine mädchenhafte Geste und zugleich auch so viel mehr.

    Die vollen, sinnlich geschwungenen Lippen waren feucht. Ihre Nasenflügel blähten sich leicht. In einem heftigen Atemzug hob und senkte sich die Brust. Ein Dämon schien die Glut in ihren ausdrucksvollen Augen zu schüren.

    „Hörst du mich, Gebieter?" hauchte sie erschaudernd.

    Sie legte den Kopf schief, schien in die Stille ihres Zimmers hineinzulauschen.

    Da war ein fernes Wispern. Kam es vom Wind, der draußen am geschlossenen Fensterladen vorbeistreifte?

    „Gebieter! Ihre Stimme bebte, „Gebieter, bald werde ich bei dir sein, bald. Ich höre schon das Flüstern des Todes. Das Blut rauscht mir in den Schläfen - nur für dich, mein Gebieter...

    Für Sekunden war es ihr, als verzerrte sich das Spiegelbild. Ein düsterer Schatten glitt darüber hinweg. In Augenhöhe glühten zwei Punkte.

    Der Atem des Mädchens beschleunigte sich noch mehr. Feine Schweißperlen, die wie frischer Tau wirkten, traten auf ihre Stirn.

    „Gebieter!" flüsterte sie.

    Das seltsame Schattenbild verblasste. War es nur eine Einbildung ihrer Phantasie gewesen?

    Anique Bolenge schluchzte laut auf. Sie stützte sich gegen den mannshohen Spiegel, drückte sich gegen seine kaltglatte Oberfläche, tat, als wolle sie hineinkriechen. Schließlich sah sie die Sinnlosigkeit dieses Tuns ein und trat zurück.

    Weinend schlug sie die Hände vor das Gesicht und sank langsam auf die Knie.

    In diesem Moment drang ein Geräusch an ihre Ohren. Erschrocken fuhr sie auf. Die Stimme einer Frau, durch hölzerne Wände gedämpft.

    Gehetzt wirbelte sie herum. Für ihr Spiegelbild hatte sie jetzt keinen Blick mehr. Auf nackten Füßen lief sie zu dem schweren Wollvorhang, der die Kammer, in der sie schlief, vom Rest der Hütte abteilte. Sie starrte auf den schweren, grauen Wollstoff, als könne sie ihn mit Blicken durchdringen und lauschte.

    Jetzt hörte sie auch eine Männerstimme. Anique griff nach der Kerze, blies sie aus - sofort wurde es dunkel. Allein durch die Blendladen fiel ein Streifen Licht, in dem feine Staubpartikel silbern tanzten.

    Es dauerte eine Weile, ehe sich ihre Augen an das Zwielicht im Zimmer gewöhnt hatten. War denn wirklich bereits die Sonne aufgegangen?

    Anique Bolenge lief zu dem knarrenden Pritschenbett zurück. Sekundenlang blieb sie daneben stehen und horchte. Ihr Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an.

    Es war still im Haus.

    Fröstelnd umfasste sie ihre Schultern. Dank der Fensterladen war es noch immer kühl im Zimmer. Doch unter ihrer Haut glühte sie.

    Mit der Zunge fuhr sie über die Lippen und legte den Kopf zurück. Ihr blauschwarzes Haar fiel in Wellen in den Nacken. „Oh, mein Gebieter, ihre Stimme war ein Flüstern, „warum quälst du mich so sehr?

    Draußen, vor der Kammer näherten sich jetzt Schritte. Aniques Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück. Blitzschnell schlüpfte sie unter die Decke. Der grobe Stoff war rau und kratzte. Die Schritte verharrten vor dem Vorhang. Als er beiseite geschoben wurde, raschelte es leise.

    Eine schwielige Hand langte herein und ließ das Licht der verloren unter der Zimmerdecke hängenden Glühlampe aufflammen. Anique rührte sich nicht. sie stellte sich schlafend.

    Jemand durchquerte die kleine Kammer mit dem gestampften Lehmboden und blieb vor dem Bett stehen. Die Decke wurde leicht zurückgezogen.

    „Anique! schimpfte eine keifende Stimme, „Anique, liegst du schon wieder ohne Nachthemd im Bett!? Du weißt, wie unzüchtig das ist. Schäm' dich!

    Anique tat, als erwachte sie.

    Sie streckte ihre Arme hoch, rekelte sich und blinzelte ins Licht. Das über ihr hängende Gesicht wirkte wie ein Schattenriss. Aufmerksam musterte das Mädchen die Gestalt. Wettergegerbte, fast ebenholzfarbige Haut und eine schwielige Hand, die sich gegen den schmallippigen Mund drückte. Der Gesichtausdruck wirkte hart, nicht wie der einer Vierzigjährigen.

    Jetzt waren die Augen vor Entsetzen geweitet.

    „Wie verdorben du bist, Anique. Schämst du dich denn überhaupt nicht vor der eigenen Mutter? Nein, diese Schande. Warte nur, bis Vater N'Gome davon erfährt!"

    Anique lächelte unergründlich. Mit einem Ruck warf sie die Decke beiseite und sprang aus dem Bett. Die derbe Frau warf die Arme in die Luft und flüchtete kreischend aus dem Zimmer. „Der Satan ist in sie gefahren, der Satan! zeterte sie. Anique Bolenge sah ihrer Mutter böse lachend nach. Sie schaute in den Spiegel: „Der habe ich es gegeben, Gebieter, nicht wahr? Einen ganz gehörigen Schreck habe ich ihr versetzt, stimmt's? Am liebsten würde ich so, wie ich bin, auf die Straße laufen. Alle sollen sie erschrecken.

    Verbissen hielt sie ein. Sie ballte die kleinen, zierlichen Hände zu Fäusten. „Ja, der Satan ist in mir murmelte sie, „der wirkliche Satan.

    Mit ausgebreiteten Armen himmelte sie den Spiegel an. „Gebieter, bitte sende mir ein Zeichen! Ist das, was ich vorhabe, richtig?"

    Da war nichts und niemand, der ihr eine Antwort gab. Abrupt wandte sie sich ab. „Egal, es wird getan, was getan werden muss. Alles ist vorbereitet. Für ein Zurück ist es jetzt zu spät!"

    Auf einmal wirkte sie fast traurig.

    Sie rückte den hohen Bastkorb, den sie vor dem Auftauchen ihrer Mutter vergessen hatte, wieder an seinen Platz vor dem Spiegel zurück. Der Mutter war der Spiegel gar nicht aufgefallen. Auch ihn hätte sie für ein Teufelswerk gehalten. Dann nahm sie den tönernen Krug und schüttete Wasser in eine Schüssel. Während sie damit begann, sich langsam zu waschen, weilten ihre Gedanken ganz woanders.

    *

    Seit einem Tag bahnten sie sich ihren Weg durch den Dschungel der Hochebenen Zaires, des ehemaligen Belgisch-Kongo: Floyd Maloy, Santiago Cabaral und ein paar farbige Träger. Ihr Ziel war der Talkessel, den man Petiteville nannte. Petiteville - der malerische Name täuschte darüber hinweg, dass es sich bei der Siedlung in einem langgestreckten, unwegsamen Tal des Berglandes von Katanga lediglich um eine Ansammlung grob gezimmerter Holzhäuser handelte, die sich um eine armselige Missionsstation drängten. Im 19. Jahrhundert hatte es einen Marquis de Maldorac in dies Nest am Ende der zivilisierten Welt verschlagen. Er schien auf der Suche nach irgendetwas gewesen zu sein, das er hier nun gefunden zu haben glaubte. Unter Aufbietung eines schier unerschöpflichen Vermögens und unter menschenverachtendem Verschleiß schwarzer Fronarbeiter hatte er seinen mittelalterlichen Familiensitz aus den belgischen Ardennen Stein für Stein verschiffen und durch den Dschungel transportieren lassen, um ihn an den Steilhängen des Talkessels von Petiteville wieder aufzubauen. Mit der Zeit war Herr de Maldorac zu einer weiteren skurillen Fußnote der Geschichte geworden. Nachdem der Kongo 1960 nach 81 Jahren belgischer Kolonialherrschaft die Unabhängigkeit errungen hatte, hatten die Bewohner von Petiteville die weißen Missionare vertrieben. Als Pater Roger N'Gome nach seinem Studium im Priesterseminar von Brüssel in sein Heimatdorf zurückgekehrt war, hatte er Kirche und Missionsschule nur noch verlassen vorgefunden. Er war geblieben. Sei es aus Sturheit, sei es aus Scham für die Bewohner des Ortes, aus dem auch er stammte. Er war geblieben und man hatte ihn geduldet. Die verwaiste Missionsschule war weitergeführt worden, als wäre nichts geschehen und die Bewohner von Petiteville hatten wie eh und je ihre Felder bepflanzt. Irgendwo hoch in den Hängen über dem Dorf klammerten sich die vergessenen Reste des Chateau de Maldorac in die vom dichten, grünen Urwald überwucherten Felsen. Maloy und Santiago versprachen sich großen Gewinn von ihrem Unternehmen, denn zur Zeit wagte sich niemand mehr in diese Gegend. Seitdem der Kontakt mit Petiteville vor ein paar Monaten abgebrochen war, hatte es zwar einige Versuche gegeben, die kleine vom undurchdringlichen Dschungel umgebene Siedlung auf dem Fußweg zu erreichen, doch die von den örtlichen Behörden losgeschickten Expeditionen waren allesamt gescheitert. Genauer gesagt, war keiner zurückgekehrt und es fehlte jeglicher Ansatzpunkt, was mit den Trupps geschehen sein konnte. Die einstige Kolonialstraße war bereits seit Jahren kaum mehr als ein kläglicher Trampelpfad. Eingestürzte Brücken und metertiefe Schlaglöcher als Vermächtnis vieler Regenzeiten machten diese Strecke selbst für die geländegängigen Militär-Jeeps unpassierbar. Die unberechenbaren Fallwinde an den Berghängen des Massivs von Katanga ließen auch die wagemutigsten Helikopter-Piloten zurückschrecken. So blieb nur der beschwerliche Fußweg für den Handelsverkehr mit Petiteville. Und der war vor rund einem Vierteljahr abgebrochen. Kein Einwohner Petitevilles hatte sich in der kleinen Handelsstation blicken lassen. Der wöchentliche Funkverkehr mit der quäkenden Funkanlage von Pater N'Gome war einem Rauschen gewichen. Es schien, als sei Petiteville von der Landkarte verschwunden.

    Floyd Maloy und Santiago Cabaral waren zwei Abenteurer, mit allen Wassern gewaschen - nur nicht mit Weihwasser. Wo das große Geld winkte, waren sie sofort zur Stelle. Egal, ob man sie gerufen hatte oder nicht. Wie Aasgeier schienen sie solche Gelegenheiten förmlich zu wittern. Sie scherten sich nicht um das, was im Handelsposten am Fuß des Katanga erzählt wurde. Es gab nicht mehr viel auf dieser Welt, was sie noch hätte schrecken können.

    Mit aller Vorsicht waren sie in den Dschungel eingedrungen. Der sich über die beständig ansteigenden Hänge des Gebirgszugs ausbreitende Urwald war bis jetzt wenig erforscht. Welcher Mensch wäre auch schon auf die Idee gekommen, hier sein Leben und seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen? Wer außer den Bewohnern von Petiteville? Doch für Cabaral und Maloy hieß der Antriebsmotor Geld und das war ein starker Antrieb. Die Regierung in Kinshasa stellte eine über Gebühr großzügige Entlohnung für die Klärung der seltsamen Vorkommnisse in Aussicht.

    Und nun das hier!

    Floyd Maloy verstand die Welt nicht mehr. Er blickte auf den zusammengebrochenen Freund und Partner hinab. Plötzlich hatte Santiago Cabaral zu schreien begonnen und war schließlich zusammengebrochen. Einen Grund hierfür sah Floyd nicht.

    Vielleicht ein Hitzekoller? So etwas sollte es ja geben. Aber ausgerechnet bei Santiago Cabaral, diesem Burschen, der nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen schien? Maloy beugte sich hinab. Er achtete im Moment nicht auf die einheimischen Träger. Er war zu besorgt um seinen Freund.

    Das war sein Pech, denn so entging ihm, dass die kleine Kolonne von Unruhe erfasst wurde. Einige ließen Ausrüstung und technische Geräte einfach zu Boden fallen. Sie bildeten einen Kreis, in dem leise diskutiert wurde. Immer wieder warfen sie ängstliche Blicke auf den regungslos am Boden liegenden Weißen.

    Santiagos Gesicht hatte sich wieder etwas entspannt. Es war ein markant geschnittenes Gesicht, umrahmt von dunklem, kräftigem Haar - momentan zwar unrasiert, aber anziehend, was besonders die Frauen fanden. Floyd Maloy wusste das aus Erfahrung, obwohl er

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