Mariengrotte: Gerard Mullers neuer Fall
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Gerard Muller hat sich auf seinem neuen Posten eingelebt. Man kann es aushalten im beschaulichen Neuf-Brisach. Aber als eine Marienfigur verschwindet, rührt dies am Elsässer Herzen des Stadtpolizisten.
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Buchvorschau
Mariengrotte - Urs-Jan Barlander
Urs-Jan Barlander
Mariengrotte
Gerard Mullers neuer Fall
Liebes Elsass, irgendwann komme ich, um zu bleiben!
BookRix GmbH & Co. KG
81371 München
Mariengrotte
„Jetzt gehörst du mir. Mir ganz allein. - Vorsichtig stülpte er den großen Leinensack über die alte Skulptur, die er im Schein der kleinen Kerzen und seiner Taschenlampe nur kurz betrachtet und gleich von ihrem angestammten Platz oben auf dem kleinen Fels genommen hatte. „Keiner wird dich mehr bespucken, nie mehr. Bei mir bist du in Sicherheit.
Die Leiter, die er sich von der Felswand hinter der Grotte ausgeliehen hatte, stellte er genau wieder so hin, wie er sie vorgefunden hatte. Er musste jetzt nur noch aufpassen, dass kein Auto auf der Straße aufkreuzte. Bis zwei Uhr in der Nacht hatte er gewartet. Das Licht an seinem Velo blieb ausgeschaltet. Es war gar nicht so einfach, ohne zu fahren, obwohl er diesen Weg doch seit seiner Kindheit kannte. Mein Gott! Wie lange war das her? 92 war er jetzt. An Mamas Hand war er das erste Mal hierher gekommen. Da war er fünf oder sechs gewesen. Papa war gerade gestorben. Dieser hässliche Unfall. Der Gaul war einfach durchgegangen, als Papa den schweren Eisenpflug einschirren wollte. Er war gestürzt und das schwere Gerät hatte ihn am Kopf getroffen. Mama war nie mehr dieselbe Frau gewesen. Wie oft erzählte sie später, dass sie Papa vor dem hinterhältigen Hengst gewarnt hatte? Vorsichtig spannte er die kleine Gestalt aus Gips auf den Gepäckträger. Wie praktisch doch diese Gummiseile mit den Haken waren. Jetzt konnte nichts mehr herabfallen. Er musste nur langsam fahren und den Schlaglöchern ausweichen. Aber seine Augen waren noch immer scharf. Nicht einmal zum Lesen brauchte er eine Brille. Wenn nur die Dunkelheit nicht gewesen wäre. Er hatte sich diese mondlose Nacht im Kalender schon vor Wochen angestrichen. Langsam radelte er los. Hoffentlich kam kein Auto des Weges. Ohne Rücklicht würde ihn kein Fahrer erkennen. Aber er wollte ja genau das. Bloß nicht erkannt werden! Der Skandal wäre gewaltig. Bestimmt würde man ihn auf seine alten Tage noch einsperren. Genau wie es damals die Männer in den schwarzen Uniformen getan hatten. Oben in den Vogesen hatten sie ihn eingesperrt mit tausend anderen. Langsam nahm sein altes Velo Fahrt auf. Er konnte die Spur immer noch gut halten. Vorne sah er schon die Straßenlaternen von Widensolen. Gleich würde er da sein. Das Versteck hatte er längst präpariert. Hinter dem Schopf hatte ein Maulwurf im letzten Jahr seinen Gang gegraben. Der Hund hatte die kleine Schermaus irgendwann aufgespürt und gepackt. Aber das Loch war noch da. Dort sollte sie ruhen, seine Mutter Gottes. Und niemand würde sie mehr bespucken.
Man konnte die Uhr danach stellen. Punkt acht Uhr klingelte Commissaire Mullers Telefon. Das ging nun schon ein halbes Jahr lang so. Muller drückte seine Gitanes im Aschenbecher aus, griff nach dem Hörer und wartete gar nicht ab, bis sich jemand meldete. „Bonjour, Madame Weber. Wie geht´s Ihnen heute früh? - Die alte Dame rief seit Mullers erstem Tag als Chef der Police Municipale in Neuf-Brisach jeden Morgen an. Sie war fast neunzig Jahre alt, lebte allein in einem kleinen Stadthäuschen am Stadtausgang und litt, wie so viele in ihrem angeblich beneidenswerten Alter, unter jener Krankheit, die die Grenzen zwischen heute und gestern aufhob. Wie jeden Morgen erklärte sie dem Commissaire, dass jemand ihr Fahrrad gestohlen hatte. Mullers Antwort blieb stets die gleiche: „Wir kümmern uns sofort darum. Seien Sie unbesorgt, wir finden Ihr Velo wieder.
Natürlich stand das Rad wieder vor dem kleinen Carrefour-Supermarkt, den Madame Weber an jedem Tag der Woche gegen Abend aufsuchte. Und wie jeden Tag so hatte sie auch gestern vergessen, den alten Drahtesel wieder mitzunehmen. Stattdessen lief sie mit ihrer kleinen Einkaufstasche quer über den Place des Armes, tratschte mit hundert Leuten, an deren Namen sie sich nicht mehr erinnern konnte und schaffte es irgendwie, am Ende ihr Haus wieder zu finden.
Langsam trudelte die Mannschaft der kleinen Polizeiwache zum Dienst ein. Immerhin hatte Muller es in einem halben Jahr geschafft, dass die