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Mein Sommer als Unsichtbarer: Gay Erotic
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eBook343 Seiten4 Stunden

Mein Sommer als Unsichtbarer: Gay Erotic

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Über dieses E-Book

Als Jakobs Beziehung zerbricht, ist er am Boden zerstört. War zu wenig Sex das Problem, oder zu viel? Und was soll er jetzt mit seiner neuen Freiheit anfangen - ganz ohne Liebe? Doch Jakob bleibt nicht viel Zeit zu trauern. denn ein Unfall stellt sein Leben noch weiter auf den Kopf: Bei einem Zwischenfall in einem Forschungsreaktor wird er unsichtbar. Und plötzlich steht ihm die ganze Welt offen.  Jakob nutzt die Gelegenheit zu einer Reise in die Vergangenheit, zu verpassten Chancen und alten Sehnsüchten. Und gleichzeitig begibt er sich auf eine Reise zu sich selbst...

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum18. Juli 2017
ISBN9783743802216
Mein Sommer als Unsichtbarer: Gay Erotic

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    Buchvorschau

    Mein Sommer als Unsichtbarer - Kim Eisenheide

    Ich wurde...

    Der Strand war schier endlos. Ein paar Hundert Meter weiter rechts sah ich Menschenmassen im Wasser, auf Handtüchern und im Kreis stehen. Alte, Junge, Dicke und Dünne. Nackt. Manche wie Walrösser, manche mit glatter Haut.

    Philipp.

    Ich war nicht der gewesen, den er sich vorgestellt hatte. Ich war jemand anders gewesen. Viel zu spät hatte ich es verstanden. Wie es ihm jetzt wohl ging? Ob er an mich dachte?

    Der junge Mann, mit dem ich mich vor einer halben Stunde im Restaurant wie selbstverständlich über meine Essgewohnheiten unterhalten hatte, setzte sich zu meinen Füßen in den Sand und lehnte sich nach hinten auf die Ellenbogen. Er wusste einiges über mich, ich wusste nur, dass er wartete. Jetzt wollte ich mehr über ihn erfahren. Frag. Interessier dich. Es fiel mir überraschend leicht.

    »Wann kommen deine Freunde?«

    »So wie ich sie einschätze, sind sie schon gekommen.«

    »Schade.«

    »Wir sind um Acht verabredet. Bis dahin können wir uns noch die Zeit vertreiben.«

    »Und wie?«

    Er schloss die Augen und reckte die Brust in die Sonne. Gleichzeitig legte er die Hand in den Schritt. »Worauf hättest du Lust?«

    Ich schluckte trocken. »Meine Liste ist ziemlich lang.«

    Er blinzelte zu mir herauf. »Ich sehe, dass bei dir noch etwas Anderes ziemlich lang ist.«

    Ich sah an mir herab. Den Anblick hatte ich nicht ertragen. Wochenlang. Fast einen ganzen Sommer lang. Jetzt konnte ich mich wieder ansehen, ohne mich dabei schlecht zu fühlen.

    »Gefällt dir, was du siehst?«

    »Und dir?«

    »Klar.«

    Ich zögerte einen Augenblick, starrte zu ihm hinunter, der seine Hand langsam auf und ab bewegte. Kein Platz für Fantasie.

    Ich war also am Ziel. Das Ende einer langen Reise zu mir selbst, die im Juni begonnen hatte.

    Verändert

    1.

    Ich hatte als freier Wissenschaftsjournalist in Berlin gearbeitet. Wildschutz durch Computer, Gesichtsscanner am Flughafen, Geothermiekraftwerk in Brandenburg – die Themen fanden sich im gleichen Maße leicht, wie sie schwer zu verkaufen waren. Meine Beiträge versuchte ich auf den Wissenschaftsseiten der Tageszeitungen unterzubringen, aber die Konkurrenz war groß, das Geld knapp, die Arbeit unbefriedigend.

    Und im heißesten Frühling seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (darüber musste man einfach eine Reportage schreiben, das dachten sich jedenfalls meine Konkurrenten) machte sich der Frust über meine berufliche Situation auch in meiner Beziehung zu meinem langjährigen Freund David bemerkbar.

    Nur seinetwegen war ich nach Berlin gezogen, weil er einen unglaublich guten Job in einem Bundesministerium bekommen hatte. Er bezahlte unsere Wohnung, unseren Urlaub, unser Leben. Und ich hoffte auf den Aufstieg in einer Branche, die von Selbstausbeutung lebte.

    Es war der Abend vor einer neuen Recherche, als er seinen Koffer packte und aus unserer stickigen Wohnung auszog. Der Schnitt, so überraschend er auch gezogen war, folgte einer schmerzvollen Konsequenz. David hatte sich nicht in einem Ausbruch von Wut und Enttäuschung für die Trennung entschieden: Dieser Schritt war wohlüberlegt. Kein Schreien, kein Flehen ging unserem Abschied voraus.

    Mit einer nüchternen Analyse, wie ich sie von David erwartet hatte, bilanzierte er die letzten Monate und zog daraus den logischen Schluss. Ich hatte versagt, hatte mit dem Schwanz gedacht und nicht mit dem Kopf, hatte nur daran gedacht, mit anderen Männern ins Bett zu steigen und so zu werden wie mein Vater. Mit dem kleinen Unterschied, dass er den Frauen hinterhergerannt war, bis meine Mutter ihm den Laufpass gegeben hatte.

    Als David ging, brach die Welt noch nicht zusammen. Das tat sie erst ein paar Stunden später in der Hitze der Nacht. Ich hatte gesoffen, in der Schwulenkneipe die Straße runter, in der jetzt nur noch Heteros die Exotik suchten, und jeder Flirt ertrank dabei in einem neuen Bierglas. Einem Typen, der nicht sofort gegangen war, nachdem ich begonnen hatte, ihm mein Leid zu klagen, hätte ich an Ort und Stelle einen geblasen, wenn ich nicht zu voll gewesen wäre.

    Während ich von der mühsamen Jagd nach Themen berichtete, spürte ich die permanente Unsicherheit, wie so häufig, wenn ich mit einem mir unbekannten Menschen redete. Ich analysierte jedes von mir gesagte Wort, wollte mich noch im Redefluss korrigieren und verhaspelte mich dabei. Es war wie ein Radwechsel in voller Fahrt.

    Der Typ hatte mir schließlich auf die Schulter geklopft und begonnen, von seiner Frau zu erzählen und dass er jetzt gehen müsse.

    Lasst mich doch alle in Ruhe, hatte ich nur gedacht und nicht gesagt, denn niemand war am Ende da gewesen, um mit mir zu ficken. Also hatte ich den Rest der Nacht im Internet nach Pornos gesucht, bis mir die Hand und der Arsch wehtaten. Der Alkohol betäubte nur meinen Schwanz, nicht den Schmerz.

    Hohl und leer legte ich mich in unser, in mein Bett, in das leere Bett.

    Die Nacht zog schmierige Schlieren, die hektisch zitternd verblassten.

    Ich war frei, nein, ich war verlassen. Ich konnte alles tun, was ich wollte, konnte endlich, konnte was? Ich war wie mein Vater, ich war unfähig zu einer Beziehung, ich war unfähig, mit etwas anderem als mit meinem Schwanz zu denken.

    Schluchzend wälzte ich mich auf einem schweißnassen Laken, spürte eine nie gekannte Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit. Schlaflos starrte ich zum Mond, der durch das offene Fenster unseres Schlafzimmers schien. Warme Luft an meiner Haut. Mein Leben würde nie wieder so sein, wie es war.

    Pläne hatten ihre Gültigkeit verloren. Abmachungen waren wertlos geworden. Ficken, mit allem ficken, was jetzt in meine Nähe kam - das konnte ich noch, doch was hatte das für einen Sinn?

    Jetzt konnte ich, doch jetzt wollte ich nicht mehr. Ich ekelte mich vor mir selber, vor dem Mann, der nur Schwanz war und nicht Kopf.

    Davids letzte Worte klangen wie die Warteschleife in einer Telefonanlage. »Ich habe versucht, dir zu helfen, aber du suhlst dich in deinem Selbstmitleid«, sagte er immer und immer wieder.

    Selbstmitleid. Wenn es nur das wäre. Ich hasste mich.

    Bald wich das Dunkel über der Stadt einem blassen Schimmer und einem hässlich heißen Morgen. Ich zog mich schwankend an, schlich die Treppe hinunter auf die Straße, kaufte mir einen Kaffee und setzte mich mit brennenden Augen in die S-Bahn. Mein Blick wollte ins Leere gehen und fing sich doch als blasse Reflexion in der Scheibe des Wagens.

    Das Gesicht kam mir seltsam fremd vor. 

    2.

    Ein paar Monate früher: Wissenschaftsjournalist.

    Nachdem ich Dutzende von Bewerbungen geschrieben, verschickt und versucht hatte, irgendeine Festanstellung zu bekommen, wusste ich nur, was man mit einem Soziologiestudium alles nicht machen konnte. Auf Wissenschaftsjournalist wäre ich nie gekommen, bis mich ausgerechnet das Netzwerk von David auffing: Er kannte einen Redakteur im Ressort Wissen einer Berliner Tageszeitung. Die Redaktion beschäftigte immer wieder Freelancer. Jetzt sollte ich als freier Autor Themen vorschlagen.

    Also setzte ich mich mit meinem PC in eine stickige Bürogemeinschaft von zwei jungen, dynamischen und ehrgeizigen Arschlöchern, einem Architekten und einem Kulturmanager, die so unerträglich produktiv waren, dass ich ihnen kaum bei der Arbeit zusehen konnte, und suchte nach Themen.

    Manchmal ging ich ins Büro, obwohl ich weder einen Artikel zu schreiben, noch Lust hatte, nach neuen Themen zu recherchieren. Nur Davids Ahnung, dass ich zuhause versumpfen würde, ginge ich nicht jeden Morgen vor die Tür, trieb mich an.

    Er sah die 50 Euro für den Arbeitsplatz als eine gute Investition in mein Selbstbewusstsein, bestellte mir Visitenkarten und gab immer wieder Tipps, wenn er von einer Geschichte gehört hatte, die seiner Meinung nach einen guten Artikel ergab. Erdmagnetfeldsimulatoren. Kryobiologie. Wildwechsel-überwachung per Webcam. What the fuck.

    Erstaunlicherweise bekam ich nach einer Reihe von Themenvorschlägen die Aufgabe, über neue Methoden bei der Bekämpfung von Schuppenflechte zu schreiben, nach denen an der Charité geforscht wurde. In einer Sekunde hatte ich das Gefühl, voranzukommen, ein Ziel zu haben. Noch überraschender: Mein Artikel wurde gedruckt, zwar stark gekürzt und an mehreren Stellen umgeschrieben, aber David war begeistert, ich dagegen sah es nur als eine Verzögerung vor dem Fall, als das retardierende Moment.

    Drei Tage später zertrümmerten drei abgelehnte Exposés, dumme Rechtschreibfehler und eine schludrige Recherche mein Selbstbewusstsein wie ein Vorschlaghammer einen Kieselstein.

    Ich war kein Wissenschaftsjournalist, ich war nicht mal Autor, ich war gar nichts, nur ein elender Hochstapler. Ich sagte auch nicht, ich sei Wissenschaftsjournalist, sondern ich sagte, ich würde als Wissenschaftsjournalist arbeiten. Ein kleiner, aber wie ich fand, feiner Unterschied. Meine Texte waren oberflächlich und schlecht geschrieben, sonst hätte der Redakteur sie nicht eigenhändig verändert.

    Manchmal stellte ich mir vor, wie ich etwas Großartiges tat, etwas Unfassbares greifen konnte. Mir kam es häufig so vor, als würde ich nur darauf warten, dass ich meine Bestimmung fand. Irgendwo musste es das Leben geben, das für mich gemacht war, zu dem ich passte. Irgendwo musste ich doch zeigen können, was in mir steckte. Irgendwo musste es einen Platz geben, an dem meine Narben kein Makel, sondern der Schlüssel waren.

    Saß ich an meinem alten PC im Büro, hatte ich das Gefühl, als seien meine Hände mit Helium gefüllt. Zwei Minuten war das Maximum. Länger konnte ich mich nicht am Stück konzentrieren, konnte ich nicht über Kryobiologie nachdenken, weil nach zwei Minuten worldsex.com interessanter und jeder Klick geiler waren und jeder andere Gedanke als der an meine Arbeit mehr Befriedigung versprach.

    Manchmal dachte ich, ich würde die Daten aus dem Internet nur herunterladen, weil ich es konnte. Aber das war nur eine lahme Ausrede. In diesen Tagen kam es mir vor, als säße ein anderer Mensch an meinem Arbeitsplatz, ein Mensch, der sich konzentrieren konnte. Manchmal sah ich ihn dort sitzen, während ich meine Nägel feilte, weil mal wieder mein Rechner abgestürzt war. Dort saß ein dicklicher Typ und machte meine Arbeit, während ich aus dem Fenster starrte, weil mir nichts einfiel. Er schrieb weiter, während ich in der Küche stand und Kaffee trank, weil mir zu warm war. Er suchte nach Themen, während ich auf Spiegel Online surfte, weil die Struktur des Textes laut Word plötzlich fehlerhaft war.

    Ich war nicht wirklich da, ich war nicht in dieser Welt. Nur wenn ich unbeobachtet auf Pornoseiten surfte, um mich für einen einzigen klaren Gedanken zu belohnen, wenn die Kollegen meiner Bürogemeinschaft gingen und ich blieb, um meine Hose auszuziehen, fühlte ich die Wirklichkeit durch mein Hirn schwemmen. Nur dann konnte ich mich konzentrieren, nur dann war es, als würde ich aufwachen. Doch nach jeder Rückkehr in die Welt der mit Helium gefüllten Hände wurde mein Denken immer unschärfer, konnte ich nicht mehr klarsehen. Es war wie ein ständiger Schwindel. Ich schwebte über allem, konnte nicht mehr zuhören, nicht richtig auf eine Frage eingehen, weil ich mit den Gedanken ständig bei den Files war, die ich noch runterladen musste.

    Wie krank muss man sein, wenn jedes Wort eine Assoziationskette auslöst, an deren Ende etwas steht, das mit Sex zu tun hat? Aus Arztpraxis wird Arztstuhl wird Doktorspielchen wird Latexhandschuh wird Faustfick. Aus Sommer wird Skater wird Shorts wird Beule wird Schwanz. Aus Autowerkstatt wird Hebebühne wird Schmiermittel wird Gleitmittel wird Analverkehr.

    Ich war so dauergeil und erregt – ich konnte an nichts Anderes mehr denken als an Sex. Ich fühlte mich wieder wie ein Motor, der auf vollen Touren im Leerlauf dreht; fühlte mich, als hätte ich eine lose Schraube im Kopf. Ich wusste nicht, ob ich wach war oder träumte, fühlte mich müde und zugleich aufgekratzt, wollte mir ständig und überall einen runterholen. Auf dem Fahrrad, in der U-Bahn, in der Parkanlage, im Supermarkt, beim Telefonieren.

    Wo geht man hin, wenn die Reize nicht mehr aufhören? Ich spürte, wie mein Denken ausfranste. Mein Hirn war zu einem unübersichtlichen Schrottplatz geworden, in dem die Gedanken keine Ordnung mehr hatten, alt und rostig und nutzlos waren. Spürte, wie meine Gedanken nicht mehr greifbar waren, wie ein Sandsturm, ein Schwarm Bienen, und wollte zugleich für mich alleine sein, meine Gedanken glätten wie Putz an der Wand.

    Kam ich nach Hause, legte ich mich auf die Couch, drehte ABBA voll auf und versuchte, die Bilder aus dem Kopf zu bekommen. Ich hörte wieder und wieder das gleiche Lied, S.O.S. in Endlosschleife, manchmal zehnmal hintereinander. Ich konnte damit nicht aufhören. Die Musik hüllte mich wie eine warme Decke ein. Bilder einer an die Schläfe gehaltenen Pistole, mein Finger am Abzug. Ich spürte den Schlag der Kugel am Schädel.

    Aussitzen, wie Helmut Kohl die wichtigen Themen, damals als Kanzler, aussitzen musste ich diese Phase, bis die Stimmen verschwanden, bis der schiefe Schuh wieder gerade gelaufen war, ich mich wieder konzentrieren, mit Begeisterung einer Sache widmen konnte.

    Irgendwann musste der Knoten platzen, bis dahin musste ich das Monster unter Kontrolle haben, es nicht aus seinem Käfig lassen oder zumindest in der virtuellen Gefangenschaft halten.

    Beruflich trat ich monatelang auf der Stelle. Kämpfte mit der Stagnation. Ein Artikel pro Monat, viele Anrufe und E-Mails an neue Redaktionen und so viel Mühe, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Zu meinem Glück hatte mich noch niemand entlarvt.

    Der Crash im Straßengraben war vorprogrammiert.

    Ich merkte es, wenn ich bei meinen Interviewpartnern saß und falsche Fragen stellte. Jedes meiner Worte war mühsam über meine Lippen gekommen und ich hatte gefürchtet, jeden Augenblick als der enttarnt zu werden, der ich war: ein Hochstapler, ein Usurpator, ein Nichtschwimmer beim Iron Man auf Hawaii. Immer wieder spürte ich, wie ich langsam nach hinten kippte, wie der Horizont nach unten abtauchte und erst der blaue Himmel meine ganze Sicht einnahm, bevor von oben der harte Boden in mein Blickfeld stieß und ich die Orientierung verlor, in die Tiefe trudelte und den Aufprall erwartete.

    Wann merkten die Redakteure eigentlich, dass ich ein Hochstapler war? David war glücklich in seinem Job, scheffelte Kohle, kaufte sich einen Laptop und bekam Bestätigung. Mich hingegen brauchte niemand. Diese Unzufriedenheit machte sich endlich auch in unserer Beziehung bemerkbar. Nicht zugeschraubte Zahnpastatuben, zu hohe Telefonrechnungen, Socken auf dem Fußboden.

    Manchmal schrie mich David an, weil ich mein Handy nicht angeschaltet hatte und er vergeblich versuchte, mir den Einkaufszettel für den Abend zu diktieren.

    Ich schrie zurück, weil er mir immer das Gefühl gab, ein Idiot zu sein. Nein, er gab mir nicht das Gefühl, er entlarvte mich. Und dennoch starb meine Liebe nicht, sie änderte sich nur. Ich spürte immer häufiger, dass ich ihn umso mehr liebte, je weiter weg er war. War er auf Dienstreise, hatte ich Sehnsucht nach ihm, stellte mir vor, wie es sich anfühlen musste, einen geliebten Menschen neben mir im Bett zu haben und morgens neben diesem aufzuwachen.

    Lag er neben mir, spürte ich seine unausgesprochenen Vorwürfe und wünschte mich weit weg.

    Nachts träumte ich wieder davon, im Haus meiner Eltern Pornohefte zu finden; Pornos, die ich immer gesucht hatte, die sie vor mir verstecken wollten. Pornos waren in den Träumen der heilige Gral und alles, was ich zum Glück brauchte. Wenn ich aufgewacht war, mit einer Erektion in der Schlafanzughose, hatte ich mich hohl und krank gefühlt. David hatte mich am Ende erwischt. Mein Browserverlauf hatte mich verraten. Es war nur der berühmte Tropfen. Wir waren uns fremd geworden. Kriegsparteien in einem Stellungskampf der Gefühle. Wir waren Minensucher, und der andere war das Minenfeld. Jede falsche Bewegung löste eine Explosion aus und nahm sich mehr von unserer Liebe. Früher wollte ich mich ändern, weniger dem Schwanz als vielmehr den Kopf das Denken überlassen, und früher wollte David sich ändern, sensibler mit mir umgehen.

    Doch um beim Bild zu bleiben: Seine Hände begannen immer mehr zu zittern, und mein Zünder reagierte immer sensibler auf Fehlgriffe. Ich reagierte explosiv, unbeherrscht, nichts konnte er richtigmachen, jede seiner Fragen war ein Vorwurf, jede Bemerkung ein Seitenhieb auf mein berufliches Versagen. Ich warf ihm Arroganz vor und Überlegenheitsgefühl, und war doch nur geprägt von Minderwertigkeitskomplexen und unzufrieden mit mir selbst.

    Und dann, eines Tages, am Vorabend zu meiner Recherche, hatte David die Taschen gepackt. Ich könne die Wohnung übernehmen, hatte er gesagt, aber eine WG sei vermutlich die bessere Alternative. Eine billigere Alternative für jemanden ohne richtigen Job – das hatte er eigentlich gemeint. Aber er schien es als einen letzten Dienst an mir zu verstehen, eine nette Geste, es mir nicht zu sagen. Ich war auch so von alleine draufgekommen.

    3.

    Im Hahn-Meitner-Institut in Berlin-Wannsee wurde ich erwartet. Vom Pförtner bekam ich eine Plakette, an der die Strahlungsbelastung abzulesen war. Eine Physikerin namens Horkheimer begrüßte mich. In einem Fahrstuhl fuhren wir in das dritte Untergeschoss.

    Es ging bei diesem Artikel um Forschungen an Bildern. Mittels einer speziellen radioaktiven Strahlung wollten Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Kunsthistorikern herausfinden, wie viele Farbschichten sich unter einem Bild von Tizian wirklich verbargen. Ich konnte den Erläuterungen von Dr. Horkheimer nicht zuhören.

    In Gedanken war ich ständig bei David. Der Kloß in meinem Hals schwand nicht. Wir gingen durch einige Türen und Gänge. Neonröhren an den Decken, grünes Linoleum auf dem Boden, weiße Wände. Schließlich gelangten wir zu einer schweren Stahlkammer. Das gelb-schwarze Zeichen für Radioaktivität darauf beeindruckte mich mehr als erwartet. Als sich die Tür hinter uns schloss, wirkte es wie das Finale in einem Film, wenn sich die letzten Menschen in einem Atomschutzbunker versteckten und die Atomraketen abgeschossen wurden.

    Fünf oder sechs Wissenschaftler wirbelten um den Forschungsreaktor herum. Der Kontrollraum hatte bemerkenswert wenig Ähnlichkeit mit dem, was ich aus Filmen erkannte. Keine große Schalttafel, sondern viele herkömmliche Computer, Monitore, unbekannte Maschinen. Ich musste zugeben – ich war schlecht vorbereitet auf dieses Experiment. Außerdem war mir übel.

    Ob die Menschen um mich herum bemerkten, dass ich noch immer besoffen war? Ich hatte keine Ahnung, was genau dort vor sich ging. Bei den Telefonaten mit Frau Dr. Horkheimer hatte ich die Pressemitteilung vorliegen, und ich verstand, was die Wissenschaftler dort machten. Aber vom Wie hatte ich keine Ahnung. Ich war Journalist, kein Physiker. Jetzt fehlten mir die Infos der Mitteilung, und außerdem fochten Bier und Tequila einen unfairen Kampf gegen mich.

    Bald tauchte die Mitarbeiterin der Gemäldegalerie mit dem Bild auf. Neben ihr ein muskelbepackter Wachmann. Und schließlich gerieten die Wissenschaftler in Wallung. Drückten hier einen Knopf und gaben dort Befehle ein. Als Frau Dr. Horkheimer ankündigte, die Untersuchung würde um eine halbe Stunde verschoben, verlor ich den Kampf. Die Stahltür öffnete sich nur für mich, ich wankte in den Korridor dahinter. Dann fiel die schwere Pforte wieder ins Schloss. Die Toilette war ein erstaunlich schmuddeliger Raum. Penible Wissenschaftler waren wohl nur zu Hause und im Labor penibel, nicht jedoch in fremden Toiletten.

    Das weiße Toilettenbecken nahm mir nur zu gerne meine Buße ab. Mit zitternden Händen umklammerte ich die Keramik und spürte, wie sich mein Magen wieder entkrampfte. Erschöpft hockte ich mich auf den Boden. Nach ein paar Minuten konnte ich mein Bild im Spiegel wieder klar fixieren, einen Schluck Wasser aus dem Hahn nehmen und mit festem Griff die Tür zum Korridor öffnen.

     Die roten Lichter auf dem Weg zurück zur Kammer fand ich zunächst nur überraschend. Als dann jedoch die Sirenen zu dröhnen begannen, packte mich die Panik. Die letzte Kurve vor der Stahltür nahm ich schon mit zitternden Knien.

    Mir brach der Schweiß aus. Was schiefgelaufen war, hat mich später nicht interessiert. Das Bild jedoch von der durchsichtigen Stahltür und den brennenden Menschen dahinter werde ich nie vergessen. Die Wissenschaftler, die Mitarbeiter, die Frau aus dem Museum, der Wachmann – sie alle rissen sich verzweifelt die lodernde Kleidung vom Körper. Ihre Haare brannten.

    Und die Stahltür: Sie war durchsichtig, doch man konnte die Konturen weiter erkennen. Sie wirkte wie aus Glas, brach das Licht, verzerrte die Perspektive auf das Drama dahinter. Der Schock riss mir fast die Füße weg. Als dann mein Hemd und meine Hose zu qualmen begannen, konnte ich nur noch mein Leben retten. Ich riss mir die schmelzenden Schuhe von den Füßen, zog mir das bereits brennende Hemd über den Kopf, warf die Hose ab.

    Die Menschen hinter der Stahltür waren zusammengebrochen, als ich das nächste Mal hinsah. Ich wollte fliehen und wusste nicht wohin. Meine Boxershorts wurden brennend heiß. Sie folgten als nächste.

    Das Linoleum unter meinen Füßen wurde warm, wellte sich, löste sich auf. Ich rannte nackt den Korridor hinauf, als ich den Knall hörte. Etwas riss mich von den Füßen, ich prallte gegen eine Tür. Diese sprang auf, ich stürzte in den dunklen Raum dahinter und stieß mir den Kopf. Dann verlor ich das Bewusstsein.

    4.

    Zitternd wachte ich auf. Anfangs wusste ich nicht, wo ich war, hielt einen Feudel für mein Kopfkissen und ein altes Handtuch für meine Decke. Dann spürte ich den Besen in meinem Rücken. Es war noch immer dunkel in der Besenkammer. Notbeleuchtung im Korridor. Rotes Blinken.

    Die Ruhe war brutal.

    Ich rappelte mich auf. An meinen Füßen spürte ich den warmen Boden, im Gesicht den heißen Luftzug im Korridor, ich schmeckte den Rauch in der Luft und roch meinen eigenen Schweiß. Ich wagte kaum, den Blick zurück in den Korridor zu werfen. Doch es war weniger schlimm als befürchtet.

    Dort, wo der Forschungsreaktor gewesen war, gähnte ein tiefes Loch, in dem ein kleines Feuer flackerte. Rohre, verbogen wie krumme Äste, ragten aus der Wand, Kabel griffen ausgefranst ins Leere. Keine verbrannten Reste von Menschen, kein Blut, keine Knochen.

    Die Stahltür war verschwunden, meine Kleidung auf dem Boden zu Asche verbrannt und mit dem Linoleum verschmolzen. Meine Brieftasche ein schwarzer Klumpen. Als ich mich bückte und danach griff, fasste ich ins Leere.

    Und dann bemerkte ich es. Der Schock überrollte mich wie ein Güterzug. Ich glaubte erst an eine optische Täuschung, blinzelte, wollte mir mit der Hand die Augen reiben und wurde noch panischer. Mein Herz raste wie eine Ratte in ihrem Käfig. Da war keine Hand, waren keine Finger. Ich konnte meine Hände nicht sehen, nicht meine Füße, nicht meine Beine.

    Verblüfft fiel ich zurück auf meinen Hintern. Wieder blieb mir die Luft weg. Ich hob das, was ich als Hände spürte, vor meine Augen und sah durch sie hindurch. Ich führte sie näher an meine Augen und berührte plötzlich mein Gesicht. War ich tot? Ein Geist? Mein Herz klopfte, meine Knie zitterten, der Kater war verschwunden.

    Ich musste mich berühren, meine Hände kneten, um mich zu vergewissern, dass sie noch da waren. Ich fasste meine Füße an, meine Knie, meine Oberschenkel, tastete nach meinem Penis und meinen Hoden, spürte erleichtert das Schamhaar, beruhigend den Bauch, meine Oberarme, mein Gesicht, meine Haare.

    Langsam erhob ich mich und griff erneut nach meinem verkohlten Portmonee im Linoleum. Die Koordination einer unsichtbaren Hand stellte mein Hirn vor eine schwere Aufgabe. Zweimal, dreimal griff ich daneben. Dann schließlich konnte ich die Lücke im Bild ersetzen und den steinharten schwarzen Klumpen, in dem meine Kreditkarten, mein Ausweis, mein Leben steckten, ungläubig betasten.

    Mir wurde schwindelig. Schmerzen nur im Kopf, ansonsten ging es mir gut. Und jetzt? Wo sollte ich hin? Was sollte ich machen? Hier war ein Reaktor explodiert. Das mussten doch Feuerwehr und Polizei, Katastrophenschutz und THW bemerkt haben? Vorsichtig lief ich barfuß den Gang hinauf.

    Wie hatte das geschehen können?

    Warum war ich nicht verbrannt wie die anderen?

    Und wie konnte ein Atomreaktor Materie unsichtbar machen?

    So viele banale Fragen von einem, der keine Ahnung hatte. Ich zog eine Tür auf, ging durch einen weiteren Gang und stand schließlich wieder vor dem Fahrstuhl. Er war außer Betrieb. Ich wollte nur raus aus diesem Labyrinth, geriet beinahe in Panik und fand schließlich die Tür zum Treppenhaus.

    Als ich im Erdgeschoss anlangte, war noch immer niemand zu sehen oder zu hören. Der Empfang war geräumt. Doch draußen auf der Straße standen eine Menge Menschen etwa 100 Meter vor dem Gebäude des Instituts in der prallen Sonne. Ich sah sie durch die Glastüren der Lobby.

    Fahrzeuge der Polizei, der Feuerwehr, des THW, Ambulanzen, Sanitäter, Männer in Weiß, Grün, Blau sowie eine Menge Schaulustige. Durch eine offene Tür wehte heiße Sommerluft herein. Umschmeichelte mich.

    Da stand ich. Nackt. An einem Ort des größten anzunehmenden Unfalls. War am Leben und fühlte mich gut. Niemand konnte mich sehen.

    Mein Herz pochte bis zum Hals.

    Was würde passieren, wenn ich mich zu erkennen gab? Welche Experimente würde man mit mir machen? Wieder sah ich an mir herab und sah – nichts. Ich war unsichtbar. Ich war alleine. Ich hatte kein Geld, keinen Freund und keine Ahnung, wie es weitergehen

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