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Lachdiebe: Roman
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eBook128 Seiten1 Stunde

Lachdiebe: Roman

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Über dieses E-Book

Graz. Stadt des Sacher-Masoch. Privat gescheitert, beruflich etabliert, nimmt ein Mann Anfang vierzig das Angebot einer Redaktion an und zieht als Fotograf und Bildbearbeiter in die für ihn neue Stadt. Der Versuch, mit seinem geografischen Wechsel ein neues Leben zu beginnen, entpuppt sich als fataler Trugschluss. Während tausende Bilder (der Welt) über seinen Bildschirm gleiten, verliert er sich mehr und mehr in belanglosen Frauenbekanntschaften und virtuellen Freundschaften in sozialen Netzwerken, verliert er nach und nach den emotionalen Bezug zur Realität.
Präzise und nüchtern erzählt, zugleich bissig und zum Teil bitterböse in der Betrachtung der Welt.
SpracheDeutsch
HerausgeberLimbus Verlag
Erscheinungsdatum23. Okt. 2012
ISBN9783902534736
Lachdiebe: Roman

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    Buchvorschau

    Lachdiebe - Rainer Juriatti

    Rainer Juriatti

    Lachdiebe

    Roman

    If I‘m sick enough to think it,

    then I‘m sick enough to say it.

    Eminem

    It’s so fucked up now.

    Adam Duritz

    Dass er gefällig war, das galt es zu ändern.

    Er dachte oft darüber nach, wie sich ein bescheidenes, kleines Quantum an Sinn erkennen lassen könnte, und sei es nur, um den Schmerz zu lindern. Es blieb ungewiss, ob es über die verdampfenden Oberflächen, die einzelnen Bilder hinaus irgendeinen objektiv begründbaren, unabhängigen und dadurch schmerzlindernden Sinn geben konnte.

    Dass er Charme besaß, wollte er nicht missen, besonders hinsichtlich der Frauen.

    Mantrisch bemühte er das Bild des Meeres, ganz der Kant’schen These über die Mystik verpflichtet. Kant, der gemeint hatte, die Mystik sei ein Meer ohne Ufer, nirgendwo könne man sich festhalten. Wir schwimmen über tausend Wellen, betete er nahezu in Anlehnung an Kant, stets im Bemühen, die Nase über Wasser zu halten, wohingegen es sich wahrscheinlich lohnen würde, tief einzuatmen, um endgültig abzutauchen in uns sonst unbekannt bleibende Welten. Vielleicht war dort Tiefe zu finden?

    Dass Glück Einstellungssache sei, daran wollte er nicht mehr glauben.

    Eines, wusste er, blieb gewiss: All die gelesenen Bücher halfen nicht, auch andere schwimmende Ertrinkende halfen nicht. Man blieb allein auf dem Grund der Sinnlosigkeit, kein Ufer weit und breit, kein Halt, keine letztgültige Antwort war geboten. Eine schier ausweglose Ausgangslage, der er sich ausgeliefert sah.

    Dass er gerne las, das wollte er sich nicht nehmen lassen.

    Das Nichtvorhandene hatte seinem alten Leben jeden Atem genommen. Das Nichtvorhandene hatte den Beginn seiner Reise begründet. Das konkrete Nichtvorhandene blieb Symptom all des Nichtvorhandenen, dachte er später. Ein nicht vorhandener Schal, der Tod des Ganzen. Im Grunde hatte ein läppischer Schal Schuld daran zu tragen, zugleich wusste er, einem Schal die Schuld zuzuschreiben war nichts weniger als ein kindischer, ja abartig dummer Zugang, sich alles davor Stattgefundene nicht eingestehen zu müssen. Die einzige Beruhigung, schien ihm, war die Tatsache, mit seiner Geschichte nicht allein zu sein.

    Dass er am Rauch seiner Zigaretten sterben würde, daran glaubte er entgegen jeder Propaganda nicht.

    Ein temporär nichtvorhandener Regionalzug, das Wissen um dessen Nichtvorhandensein, es hätte ihn nicht retten können. Er wusste, es wäre absurd, all das Spätere an Denkweisen wie diesen aufzuhängen. Regionalzüge, so schien es, besaßen die lästige Eigenschaft, stets dann pünktlich abzufahren, wenn man selbst spät dran war. Das war er an diesem Morgen gewesen, nicht spektakulär verzögert, dennoch zeitlich knapp. Er mühte sich ab, jeden Handgriff passend zu setzen. Schuhe, Mantel, Mütze und eben sein Schal. Der lag nicht dort, wo er zu liegen hatte, worauf sich ein Dialog entspann, dem er zeitweise ernsthaft geneigt war, die Schuld an all dem Folgenden zu geben.

    Dass er Politiker allein ihrer weit überzogenen Gehälter wegen verabscheute, das unterschied ihn wenig von anderen Zeitgenossen.

    Auf Basis des nicht vorhandenen Schals stritten sie sich in üblicher Weise, wohingegen beide wussten, dass nicht der Schal gemeint sein konnte für Ausgesprochenes. Am meisten, begriff er später, hatte ihn das Nichtgesagte in Rage gebracht, ihr Mangel an Anteilnahme. Mit einem Tuch um den Hals stürmte er aus dem Haus und stapfte durch den frischen Schnee. Wenige Meter von der Tür entfernt bemerkte er, dass er sein Mobiltelefon auf dem Küchentisch liegen hatte lassen. Er wusste in diesem Moment, der Regionalzug war zu vergessen.

    Dass beide beim Betrachten ihrer Hochzeitsbilder gerne in Lachanfälle verfielen, war längst bittere Geschichte.

    Zurück im Haus zog er seine Schuhe aus, ging in die Küche, griff nach seinem Handy und traf in der Garderobe auf seine Frau, die in ihre Stiefel schlüpfte. Sie hatte den Schal gefunden. In ihrer Schublade. Dadurch wiederum entspann sich ein vollkommen sinnloser Dialog, der das Nichtergründbare zu ergründen gedachte, wie nämlich der Schal in ihre Schublade hatte kommen können. Ein sinnloser Dialog eines sinnlosen Morgens, ein sinnlos abgefahrener Regionalzug in Richtung sinnloser Tätigkeit. Ohne ihn abgefahren, auf der Strecke war er geblieben.

    Anderntags meinte sie, sie wisse was zu tun sei, und blieb dabei.

    Dass er nicht verstand, weshalb die Menschheit tat, was sie tat, war lange schon seinem Beruf entsprungen.

    Anderntags sah er sich vor einem Anwalt sitzen. Die Papiere verschwammen vor seinen Augen.

    Anderntags, einen bitteren Cocktail aus Flehen, Bitten, Betteln, sinnlosen Schreidialogen später, sah er sich aus einem Gerichtsgebäude kommen.

    Dass ihm in diesen Momenten alles Weitere klar vor Augen gestanden hatte, daran musste er später oft denken.

    Nachts stand er betrunken vor seinem Haus und betrachtete die Fassade, wobei er sich jedes Detail des Gebäudes einprägte. Nicht zu leugnende Verzweiflung überfiel ihn, eine kaum gekannte Wehmut im Erkennen des unweigerlichen Endes dieser Zeit, dieser Ära seines Lebens, in die er nie wieder würde zurückkehren. Alles hatte er verspielt, weggeworfen, ja verschenkt, entsorgt. Während er stand und starrte, bewegte sein Innerstes sich durch das Haus, leerte den Dachboden, den Keller, die Schränke und Truhen, entdeckte längst Vergessenes und verloren Vermutetes.

    Dass er beruflich gefragt war, schien ihm oft wie ein Rätsel.

    War dies sein Ende? Ein neuer Bildredakteur wurde gebraucht, man hatte ihn angerufen, lange schon. Trat in die Leere jedes Raumes ein weiteres Stück Traurigkeit? Er freute sich auf die neue Stadt. Bitter, dass er allein sein würde. So war das nicht gedacht gewesen. Würde er Erfüllung finden? Wo es grundsätzlich mangels geeigneter Tiefe keine Erfüllung geben konnte, wie sollte da auch nur ein Mensch Erfüllung finden?

    Er schrieb eine SMS an seine Frau, er stehe vor dem Haus, er wolle nicht weggehen von ihr. Und wartete.

    Anderntags reiste er ab.

    Anderntags sah er sich mit dem ersten Erlagschein für seine Kinder konfrontiert. Im Vakuum dazwischen lagen wenige Erinnerungen.

    Dass er seinen Job gut machte, daran hatte er lange gearbeitet.

    Die Garanten seines Wohlbefindens hatten sich sekündlich verflüchtigt, zurück blieben er und mit ihm seine Illusionen eines Lebens mit denen, die er geliebt und missachtet hatte. Mit großer Beklemmung erkannte er die Bedeutung des Schwundes und damit all dessen, was den Bildern der Angeschossenen, Verreckenden, Zugedröhnten, den Bildern der Toten entgegengestanden hatte. Täglich dem einen ausgesetzt, das andere allzu sehr in Selbstverständlichkeit hinnehmend, fuhr er nun allein fort. Fort mit seinem Leben. Bedauern konnte er es nicht, nicht einmal sich selbst.

    Die entscheidende Notiz hing an der Pinnwand, an seinem neuen Arbeitsplatz hinter den Glasfassaden des Redaktionsgebäudes, unter all den neuen Gesichtern, unter schlecht getränkten Blumentöpfen und kindischen Nippes der Redakteurinnen, schräg rechts des Bildschirms, über welchen Woche für Woche tausende Bilder glitten, die durch seine auszuführenden Mausbewegungen bearbeitet wurden und druckreif meist nicht länger als einen Tag von Relevanz waren, um anschließend in den Mülleimern und Altpapiercontainern der Stadt zu landen.

    Auf den Bittzettel des Todes schreibe ich, hing dort an der alten braunen Korkwand, sei gnädig, schreite überraschend um die Ecke.

    Er hatte die mit Tinte verfasste, auf Nietzsche bezogene Handnotiz von Schreibtisch zu Schreibtisch mit sich geführt, seit dem Jahr seines Reifezeugnisses, inzwischen ein tausendfach von Pinnnadeln durchlöchertes, altes Stück Papier voll verblassender Schriftzeichen.

    Auf den Bittzettel des Todes schreibe ich, sei gnädig, schreite überraschend um die Ecke.

    Sofern, dachte er beim aufmerksamen Studium der Notiz, jemand die Frechheit besäße, niemals mehr das Wort Tod in den Mund zu nehmen, so umwanderte dieser Mensch zugleich das Wort Liebe in all seinen Ausformungen und Facetten, so viel war sicher, niemand hatte ihm hier etwas vorzumachen. Wer sonst kannte den Schmerz der Trennung? Er liebte, unglücklich, verzweifelt in diesem Moment, doch er liebte, wobei er in deren verbaler Äußerung, deren empfindsamer Ergründung nie verstanden worden war. Die Missachtung konkreter verbaler Liebesäußerungen hatte ihn schließlich hierher geführt. Die Menschen, auch seine Exfrau, verbanden Liebe allzu sehr mit einer Art Abarbeitung ritueller Banalitäten, zugleich in vollkommener Überzogenheit sogar mit dauerhafter, sozusagen ewiger Bindung. Ein Manko.

    Der Mensch lebe nicht mit seinen Wünschen, sagte er manchmal, selten zwar, sehr selten seit seinem Umzug, nur ausgewählten Menschen gegenüber erlaubte er sich solche Äußerungen. Nicht mit Wünschen lebe man, vielmehr in Erwartung ihrer Erfüllung wolle man sich sehen. Wünsche hätten temporär zu sein, alles solle erfüllt sein, man halte das Wünschen nicht mehr aus. Niemand hatte Sätze wie diese wirklich verstehen wollen.

    Mit seinen Ansichten über den Tod war nicht das Sterben gemeint, es schien ihm vielmehr als gesichert zu gelten, dass es sich um die Haltung der Erschöpfung handle, die sich in einer innerlichen, heimlichen Zitierung des Götz von Berlichingen äußerte, ebenso die wohl unauffälligere Haltung der Korrektur, die Chefredakteure an den Tag zu legen pflegten, womit sie das Absterben jeglicher Motivation forcierten, nicht zuletzt um die generell geltende Haltung der Anonymitätsbewahrung, die sich darin äußerte, im öffentlichen Raum niemanden an sich heranzulassen, geboren aus der Angst, es könnte in irgendeiner Form unangenehm werden. Dies alles waren kleine Tode. Tode an jeder Straßenecke.

    Umso erstaunlicher erschien ihm jener Mann, der unvermutet eines düsteren Morgens an der Ecke des Redaktionsgebäudes stand. Im Hintergrund alarmte eine Straßenbahn, wodurch er einen Moment lang, in Erwartung eines Unfallgeschehens, dessen unmittelbarer Zeuge er geworden wäre, abgelenkt fast auf den an der Gehsteigkante platzierten Hut getreten wäre.

    „Kaiserlich das Wetter meiner Kindertage", sagte der Mann, „jungfräulich das Mädchen von nebenan,

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