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WILD PALMS: Der Roman zur legendären Cyberpunk-Serie von Oliver Stone
WILD PALMS: Der Roman zur legendären Cyberpunk-Serie von Oliver Stone
WILD PALMS: Der Roman zur legendären Cyberpunk-Serie von Oliver Stone
eBook388 Seiten4 Stunden

WILD PALMS: Der Roman zur legendären Cyberpunk-Serie von Oliver Stone

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Über dieses E-Book

Das Jahr 2007: Ein machtbesessener Politiker lässt das Fernsehen der Neuen Realisten Wirklichkeit werden. Mit Hilfe von hochentwickelter Computer-Technologie erscheinen lebensechte Personen als synthetische Hologramme in den Wohnzimmern Amerikas und der Welt.

Senator Tony Kreutzer ist der Mann, der mit den ungeahnten Möglichkeiten dieser Technologie viel mehr erreichen will: die Weltherrschaft und das ewige Leben für sich persönlich.

Harry Wyckoff ahnt nicht, dass er in den geheimen Plänen des Senators eine wichtige Rolle spielt. Bevor Harry in der Lage ist, das grausame Intrigenspiel zu durchschauen, verliert er den Bezug zur Wirklichkeit. Nichts ist mehr so, wie es zu sein scheint. Und genau das lehrt Synthiotics: »Es existiert mehr als nur eine Realität...«

»Wild Palms gleicht dem Fantasiegebilde eines LSD-Freaks […] Die schiere Dichte von Wild Palms kann stellenweise undurchdringlich erscheinen. […] Haben Sie sich mal etwas anderes als das Übliche gewünscht? Hier ist es. Und zufällig ist Wild Palms auch noch grandios!« – John J. O'Connor, The New York Times

Wild Palms ist die Roman-Adaption des TV-Ereignisses aus dem Jahr 1993 – die 5teilige Cyberpunk-Serie von Oliver Stone (basierend auf den Comics von Bruce Wagner und Julian Allen) setzte ähnlich wie David Lynchs Twin Peaks Maßstäbe, welche sich nachhaltig auf die US-amerikanische TV-Landschaft auswirkten. In den Hauptrollen: James Belushi, Dana Delany, Robert Loggia, Kim Cattrall, Angie Dickinson und David Warner (und William Gibson, der sich in einem Cameo-Auftritt selbst spielt).

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum8. Jan. 2019
ISBN9783743892583
WILD PALMS: Der Roman zur legendären Cyberpunk-Serie von Oliver Stone

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    Buchvorschau

    WILD PALMS - Horst Friedrichs

    Das Buch

    Das Jahr 2007: Ein machtbesessener Politiker lässt das Fernsehen der Neuen Realisten Wirklichkeit werden. Mit Hilfe von hochentwickelter Computer-Technologie erscheinen lebensechte Personen als synthetische Hologramme in den Wohnzimmern Amerikas und der Welt.

    Senator Tony Kreutzer ist der Mann, der mit den ungeahnten Möglichkeiten dieser Technologie viel mehr erreichen will: die Weltherrschaft und das ewige Leben für sich persönlich.

    Harry Wyckoff ahnt nicht, dass er in den geheimen Plänen des Senators eine wichtige Rolle spielt. Bevor Harry in der Lage ist, das grausame Intrigenspiel zu durchschauen, verliert er den Bezug zur Wirklichkeit. Nichts ist mehr so, wie es zu sein scheint. Und genau das lehrt Synthiotics: »Es existiert mehr als nur eine Realität...«

    »Wild Palms gleicht dem Fantasiegebilde eines LSD-Freaks […] Die schiere Dichte von Wild Palms kann stellenweise undurchdringlich erscheinen. […] Haben Sie sich mal etwas anderes als das Übliche gewünscht? Hier ist es. Und zufällig ist Wild Palms auch noch grandios!« – John J. O'Connor, The New York Times

    Wild Palms ist die Roman-Adaption des TV-Ereignisses aus dem Jahr 1993 – die 5teilige Cyberpunk-Serie von Oliver Stone (basierend auf den Comics von Bruce Wagner und Julian Allen) setzte ähnlich wie David Lynchs Twin Peaks Maßstäbe, welche sich nachhaltig auf die US-amerikanische TV-Landschaft auswirkten. In den Hauptrollen: James Belushi, Dana Delany, Robert Loggia, Kim Cattrall, Angie Dickinson und David Warner (und William Gibson, der sich in einem Cameo-Auftritt selbst spielt).

    WILD PALMS

    Die Hauptpersonen

    Harry Wyckoff

    Ein Rechtsanwalt, der sich immer nur für seine berufliche Karriere und seine Familie interessiert hat. Mit Politik wollte er nie etwas zu tun haben.

    Grace Ito-Wyckoff

    Eine Ehefrau und Mutter mit Geheimnissen. Sie weiß von Dingen, die sie Harry auch nach zwölf Ehejahren noch nicht anvertrauen mag.

    Coty Wyckoff

    Ein zwölfjähriger Junge, der seinen Eltern durch extreme Gefühlskälte auf fällt.

    Deirdre Wyckoff

    Harrys Lieblingstochter, die selbst im vierten Lebensjahr noch kein einziges Wort gesprochen hat.

    Senator Tony Kreutzer

    Heißt eigentlich Anton, war früher Science-Fiction-Autor und begründete die Church of Synthiotics. Sein persönlicher Jungbrunnen ist der Go-Chip; ihn sucht er, um Unsterblichkeit zu erlangen.

    Josie Ito

    Graces Mutter. Nach der Ehe mit einem japanischen Software-Tycoon behielt Josie dessen Namen.

    Paige Katz

    Nach fünfzehn Jahren taucht sie plötzlich wieder in Harry Wyckoffs Leben auf. Nur, um ihm Rätsel aufzugeben?

    Eli Levitt

    Ein Mann, der für das Gute auf der Welt zu kämpfen scheint.

    Seine Anhänger sind die Friends, die erbitterten politischen Gegner der Fathers.

    Tabba Schwartzkopf

    Als Schauspielerin ist sie eine Berühmtheit, und als Favoritin des Senators wird sie als erstes synthetisches Hologramm durch den Fernsehsender Channel Three ausgestrahlt.

    Tommy Laszlo

    Ein sanfter schwarzer Riese - Harry Wyckoffs Freund seit der gemeinsamen Schulzeit.

    Tully Woiwode

    Ein Maler, der die Politik nicht scheut. Seine Undurchschaubarkeit wirft für Harry Wyckoff viele Fragen auf.

    Dr. Tobias Schenk

    Psychotherapeut. Bei ihm lädt Harry seine Probleme ab. Dr. Schenk ist ein geduldiger Zuhörer - vor allem dann, als sich für Harry Fragen über Fragen auf türmen.

    Chickie Levitt

    Der junge Einstein der Computer-Animation. Seine Welt ist der Cyberspace. Es heißt, dass er Zugang zum Go-Chip hat.

    Gavin Whitehall

    Public-Relations-Manager bei Channel Three. Ein humorvoller Mensch, der Harry auf Anhieb sympathisch ist.

    Chap Starfall

    Die Glanzzeit als Sänger hat er schon hinter sich. Aber seine alten Frank-Sinatra-Songs sind wieder gefragt.

    Peter

    Ein Junge, der sich in der Wirklichkeit auskennt. Die Stadtpläne, die er verkauft, führen zu den Häusern der Stars.

      Vorwort

    Kalifornien war schon immer Amerikas Land der Träume gewesen. So war es möglicherweise kein Zufall, dass sich eben dort einige der kühnsten Menschheitsträume zu verwirklichen begannen. Unter den Palmen Kaliforniens hatte sich bereits im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts eine Entwicklung abgezeichnet, die das Leben auf der Erde verändern sollte.

    Silicon Valley ebnete den Weg.

    Und wurde zur Legende.

    Silicon Valley war Sinnbild für den ersten großen Boom in der Computergeschichte. Dort, unter den Palmen Kaliforniens, legten Techniker und Wissenschaftler den Grundstein für die Verbreitung des Mikrochips. Die Weltbevölkerung erlangte Zugriff auf eine Technologie, die bis dato großen Unternehmen und der Staatsmacht Vorbehalten geblieben war. Nachdem der Personal-Computer seinen Siegeszug bis in private Haushalte, Studentenbuden und Kinderzimmer angetreten hatte, war das die Plattform für unglaubliche Fortschritte.

    Schon in den neunziger Jahren begegneten die Menschen den faszinierenden Effekten der Computeranimation. Auf der Kinoleinwand und auf Fernsehbildschirmen wurden Wesen lebendig, die ein Menschenauge noch nie zu sehen bekommen hatte. Saurier bewegten sich auf diese Weise in der Neuzeit, als seien sie nicht vor fünfundsechzig Millionen Jahren ausgestorben. Cro-Magnon-Menschen und Neandertaler geisterten durch Filmstudios. Und schließlich waren es die alten Hollywood-Stars, die aus ihren Gräbern auferstanden und gemeinsam mit ihren jungen Kollegen von heute in neuen Filmen mitspielten.

    Und gleichzeitig lernten die Menschen eine andere Variante der virtuellen Realität kennen - jener scheinbaren Wirklichkeit, die der Computer zu schaffen imstande war:

    Cyberspace.

    Eine Scheinwelt, zusammengefügt aus den Erkenntnissen der Kybernetik und den sich selbst übertreffenden Fähigkeiten der Elektronengehirne.

    In den Anfängen war das noch ein Spiel. Man setzte einen besonderen Helm auf, streifte spezielle Handschuhe über und wechselte Zeit und Raum. Hinterher, wenn die Menschen aus der vom Computer geschaffenen Welt zurückkehrten, sahen sie etwa so aus wie ihre Urgroßeltern, wenn sie auf dem Jahrmarkt aus der Geisterbahn gewankt waren. Doch wie die Menschen sich an die Geisterbahn gewöhnt hatten, gewöhnten sie sich an die immer gewaltigeren Leistungen der Prozessoren in ihren immer kleiner werdenden Computern.

    Es war im Jahr 2007, als ein weiterer Menschheitstraum in Kalifornien Wirklichkeit zu werden begann.

    Der Traum von der Unsterblichkeit.

    Doch Tod und Verderben begleiteten den Weg derer, die jenen Traum mit aller Macht verwirklichen wollten - ohne Rücksicht selbst auf die, die ihnen nahestanden.

    Harry Wyckoff war einer von denen, die in den Sog des Geschehens gerieten.

    Verheerende Kräfte entfalteten sich mit dem alleinigen Ziel, alles niederzuwalzen, was sich ihnen in den Weg stellte:

    Ihnen, die als Unsterbliche die Welt beherrschen wollten.

      Erstes Kapitel: Der erste Abend

    Es begann mit einem Alptraum.

    Ein schwarzblauer Nachthimmel drang in Harry Wyckoffs Unterbewusstsein ein. Die Dunkelheit und das Silberlicht der Sterne ergriffen Besitz von seinen Gedanken. Das Unbekannte, das seine Traumwelt beherrschte, ließ ihn mächtige Palmen sehen, wie sie sich im Nachtwind bogen. Silberlicht von Mond und Sternen überflutete die Palmwedel und ihre filigranen Blätter.

    Es war, als ob die majestätischen Bäume ein Eigenleben entwickelten. Die Blätter fächerten an schlangengleichen Armen, nicht länger auf den Wind als treibende Kraft angewiesen. Etwas Lockendes und zugleich Majestätisches ging von ihnen aus, als handelte es sich um die betörende Darstellungskunst einer orientalischen Tänzerin.

    Die Palmen riefen ihn.

    Sie übten eine magische Anziehungskraft auf ihn aus. Er spürte es mit allen Fasern seiner Sinne. Er wollte zu ihnen. Mit aller Macht. Aber da war etwas, das ihn festhielt. Verzweifelt kämpfte er dagegen an. Die überirdische Schönheit der Palmwedel war verheißungsvoll. Ein Geheimnis verbarg sich dahinter. Er wollte es ergründen, um jeden Preis. Aber die Kraft, die ihn zurückhielt, ließ es nicht zu. Er strengte sich immer mehr an.

    Und verzweifelte.

    Es führte dazu, dass er die Augen weit aufriss. Er war schweißgebadet. Keuchte. Sekundenlang lag er regungslos, horchte auf das Hämmern seines Herzens und starrte in die weiße Weite des Schlafzimmers. Es war nicht völlig dunkel. Das Licht von Mond und Sternen drang herein.

    Als sich sein Herzschlag beruhigte, schlug er die Decke beiseite, stand auf. Grace bemerkte es nicht. Sie schlief tief und fest, auf ihrer Seite des breiten weißen Betts. Auf nackten Sohlen tappte er hinaus, nur mit den leichten Bermudas bekleidet. Es war mäßig kühl im Haus. Die Klimaanlage arbeitete nachts mit geringerer Leistung.

    Mildes Mondlicht und bleierne Wärme empfingen ihn auf der Terrasse. Er nahm an, dass es die Zeit zwischen Mitternacht und Morgen war. Der Nachtwind, der ihn umfächerte, hatte keine Abkühlung gebracht, und die Schweißperlen auf seiner Haut wollten nicht trocknen. Er ging an den Gartenmöbeln vorbei, auf den Swimmingpool zu. Es war kein Wasser im Becken. Die Fliesen glänzten klinisch rein unter dem Sternenhimmel.

    Er hatte den Schutz des Bungalows verlassen. Die wuchtigen weißen Wände und das blasse Rot der Dachziegel schützten ihn nicht mehr. Er fühlte sich ausgeliefert, und er wusste nicht, warum.

    Erst im nächsten Moment, als er schweißüberströmt an den Beckenrand trat, traf es ihn wie ein donnernder Schlag.

    Er erstarrte. Seine Augen weiteten sich. Sein Mund öffnete sich, seine Lippen formten den Schrei. Doch er brachte keinen Laut hervor.

    Das Tier stand im Schwimmbecken.

    Ganz hinten, wo es am tiefsten war.

    Ein Rhinozeros.

    Harry hatte den Eindruck, als reckte es ihm sein gewaltiges spitzes Horn entgegen. Aber der Eindruck mochte ebenso täuschen wie jener, dass die kleinen Augen bösartig und tückisch aus der Panzerhaut des massigen Schädels funkelten. Das Tier war ein Koloß, mit Beinen wie Pfeilern. Eine Drohung ging von ihm aus, die sich nicht in Worte kleiden ließ. Nur das Ergebnis war spürbar, messbar: die Angst, wie sie sich in Harrys Eingeweide fraß und dort für alle Zeiten einnistete. Dieses Gefühl hatte er jedenfalls. Er war überzeugt, sich von der Angst niemals aus eigener Kraft befreien zu können.

    Er hörte sich flüstern, hörte seine eigene heisere Stimme wie die eines Fremden.

    »So fängt es also an...«

    Plötzlich gellte ein Schrei aus dem Haus.

    »Daddy!«

    Harry wirbelte herum.

    »Daddy hilf mir!« schrillte die Stimme seines Sohnes in höchster Not. »Daddy! Komm schnell! Hilfe!«

    Harry löste sich aus seiner Erstarrung. Er rannte los, überquerte die Terrasse mit Riesensätzen. Er war fit, wenigstens körperlich, und er traute sich einiges zu. Was es auch war, das seinen Sohn in panische Angst versetzte - er würde damit fertig werden. Er, Harry Wyckoff, fürchtete sich vor dem Rhinozeros. Aber wenn es darum ging, seine Familie zu beschützen, fürchtete er weder Tod noch Teufel.

    Er rannte den Korridor hinunter, an dessen Ende sich die Kinderzimmer befanden. Cotys Tür stand weit offen. Ein seltsamer Lichtschein fiel heraus. Grelles Licht.

    Es malte ein Kreuz auf die Wand gegenüber von Cotys Zimmer.

    Das Kreuz der Christen.

    Harry schrie vor Entsetzen.

    Er fuhr im Bett hoch. Sitzend, mit weit geöffnetem Mund, rang er nach Atem. Und Grace war neben ihm. Sie strich fürsorglich über seinen Nacken, legte ihren Arm um ihn. Er brauchte lange, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sein Verstand konnte sich nur allmählich damit abfinden, dass er weder das Bett, geschweige denn das Haus verlassen hatte. Was er so furchteinflößend real erlebt hatte, war ein Alptraum gewesen, nichts weiter.

    Unter der sanften Hand seiner Frau beruhigte er sich.

    Der strahlende Sonnenschein des neuen Tages entschädigte Harry Wyckoff für die Schrecken der Nacht. Als er sich zum Frühstück in die Küche begab, empfing ihn der Duft frisch aufgebrühten Kaffees. Allein der Duft wirkte schon belebend. Es war ein Morgen, der ihn heiter stimmte.

    Und war er nicht der glücklichste Mensch der Welt?

    Er war mit der schönsten Frau der Welt verheiratet. Grace Ito-Wyckoff. Schwarzhaarig wie eine Römerin, zierlich wie eine Japanerin, humorvoll wie eine Engländerin. All das war aus der Ehe einer Amerikanerin mit einem Japaner hervorgegangen. Josie Ito, Graces Mutter, war Witwe. Ihr verstorbener Mann war ein japanischer Software-Tycoon gewesen. Grace war Modedesignerin. Ihr gehörte eine Boutique an der Melrose Avenue, mit Namen Vestiges. Zu ihren Kunden gehörten viele junge Berühmtheiten. Fernsehstars vor allem.

    Harry hatte die prächtigsten Kinder der Welt.

    Deirdre, seine kleine Tochter, war ein Engel. Er liebte sie über alles, und wenn sie ihn mit ihren großen schwarzen Augen ansah, konnte er alles um sich herum vergessen. Sie war vier geworden, aber sie hatte noch immer kein Wort gesprochen. Doch sie lächelte oft, und sie weinte nie. Das war ein Ausgleich für Harrys Sorge um ihre Sprachlosigkeit. Grace und er nannten sie Little Buddha, weil sie manchmal stundenlang dasaß und irgendetwas anstarrte - den Fernseher meist, wenn ihr Bruder eine seiner heißgeliebten Comicsendungen eingeschaltet hatte.

    Coty war zwölf Jahre alt, und Harry fragte sich in letzter Zeit immer öfter, wie der Junge das geschafft hatte. Harry musste vor sich selbst gestehen, nicht sehr viel von Cotys Entwicklung mitbekommen zu haben. Er hatte zu wenig Zeit für den Jungen gehabt. Das musste er leider zugeben.

    Es war die Zeit gewesen, in der er an seiner Karriere gebastelt hatte. Durch seinen Beruf hatte er es zu überdurchschnittlichem Wohlstand gebracht. Er war Anwalt, arbeitete bei der Firma Baum, Weiss & Latimer. Seine Vorgesetzten hatten versprochen, ihn zum Partner zu machen - bald, irgendwann. Sie hatten ihn immer wieder vertröstet, in den Jahren. Irgendwie hatte er sich an diesen Zustand gewöhnt: Er wartete geduldig darauf, Teilhaber der großen, renommierten Anwaltskanzlei zu werden. Vielleicht wartete er vergeblich - und freute sich deshalb über das gute Geld, das man auch als angestellter Rechtsanwalt verdiente.

    Er besaß ein Traumhaus im besten Wohngebiet der Stadt. Das zweigeschossige Gebäude im mediterranen Stil hatte weiße Wände und eindrucksvolle Portalbogen. Eine Villa, wenn man so wollte. Drei Garagen boten ausreichenden Platz für den Familien-Fuhrpark. Der bestand zurzeit aus einer fünfundvierzig Jahre alten Corvette, perfekt aufgearbeitet, und einem Jeep Wagoneer jüngeren Datums.

    Harry setzte sich auf seinen Stammplatz am Küchentresen. Die Platte bestand aus hochglänzendem Granit. Grace hantierte mit der chromblitzenden Espressomaschine. Harry nahm die Zeitung zur Hand, blätterte, ohne etwas Lesenswertes zu finden. Er fühlte sich blendend. Nach dem Alptraum hatte er noch ein paar Stunden geschlafen. Wie ein Murmeltier. Er war fertig angekleidet, brauchte nur noch das Jackett überzustreifen, bevor er losfuhr. Das weiße Hemd, die Krawatte und die schwarze Weste saßen ausgezeichnet. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die nur ein paar Jahre älter waren, hatte er noch keine Probleme mit seiner Figur. Auch der Stehkragen machte ihm nichts aus. Manche fanden die Vatermörder-Mode beklemmend und einengend - im wahrsten Wortsinn. Harry störte sich nicht daran; schließlich waren die Männer zu Beginn des vorigen Jahrhunderts auch schon mal so rumgelaufen, und statt eines kragenbedingten Erstickungstodes waren sie durchaus in der Lage gewesen, ihren Beitrag zum Fortbestand der Menschheit zu leisten.

    Grace setzte die Dampfdruckdüse der Espressomaschine in Betrieb. Harry blickte von der Zeitung auf und sah seiner Frau bewundernd zu, wie sie die Milch in einem Edelstahlbecher aufschäumte. Nicht, weil dies eine Tätigkeit war, die besondere Fähigkeiten verlangt hätte. Nein, Harry bewunderte seine Frau wegen all der Eigenschaften, die sie so perfekt miteinander verband. Als Geschäftsfrau hatte sie großen Erfolg. Was sie aber nicht daran hinderte, eine gute Mutter und eine gute Hausfrau zu sein.

    Außerdem war Grace die perfekte Ehefrau. Was den Punkt anbelangte, war Harry in letzter Zeit überzeugt, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Als Liebhaber hatte er sich zum Versager entwickelt. Sein Psychiater, Dr. Schenk, sah die Gründe in beruflichem Frust. Harry war von der Theorie allerdings nicht überzeugt. Ebenso wenig davon, dass seine nächtlichen Alpträume Bestandteil eines Teufelskreises waren, aus dem er sich befreien musste. Er hatte die unerklärbare Ahnung, dass er die Ursache für die Alpträume finden musste. Dann erst würde er in der Lage sein, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Vielleicht war es auch nur eine Hoffnung, an die er sich klammerte. Vielleicht wollte er einfach nicht, dass Dr. Schenk Recht hatte.

    Harry wusste, dass in seiner Gedankenwelt ein ständiger Verdrängungswettbewerb stattfand. Die eine innere Stimme war immer zaghafter geworden, meldete sich kaum noch zu Wort. Es war die Stimme, die ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, wie sehr er in Wahrheit darunter litt, bei Baum, Weiss & Latimer noch immer kein Partner zu sein. Seine andere innere Stimme hatte alles niedergebrüllt. Mit schlagenden Argumenten: Sei zufrieden mit dem, was du hast! Du lebst in Wohlstand. Dir fehlt es an nichts. Also hör auf, ständig mehr zu erwarten!

    War es vielleicht dieser ungelöste innere Zwist, der zu seinen Alpträumen führte?

    Nein, ausgeschlossen.

    Er hatte noch nie etwas darüber gelesen oder gehört, dass Männer in ähnlichen Situationen anfingen, ein Nashorn in ihrem Swimmingpool zu sehen. Oder ein Kreuz aus Licht, projiziert aus dem Zimmer ihres Sohnes.

    Verdammt, er war ein komplizierter Einzelfall. Darauf lief es leider hinaus. Nüchtern betrachtet. Ohne Selbstmitleid. Und ohne den Ehrgeiz, der hypochondrische Wunderknabe des Jahrzehnts zu werden. Niemand nahm ihn ernst. Nicht mal seine Freunde und Kollegen, und sogar Dr. Schenk schien sich ein Grinsen zu verkneifen, wenn er die Geschichte von dem Schwimmbad-Rhinozeros hörte.

    Grace versuchte immerhin, ihn zu verstehen. Sie gab sich alle Mühe, ihn zu trösten, wenn er aus den Alpträumen erwachte. Aber ihn zu verstehen, war auch für sie schwer.

    An diesem Morgen trug sie ein weinrotes Kleid mit gekreuzten Trägern. Ein sportliches, saloppes Design. Es unterstrich die Stimmung, in der Grace sich befand. Morgens war sie unternehmungslustig, energiegeladen, gutgelaunt, fit für den neuen Tag. Die Tage, an denen er sie anders erlebt hatte, konnte er an den Fingern einer Hand abzählen.

    »Mmmh!«, machte Harry, als sie den Cappuccino für ihn zubereitete, indem sie einen Teil der aufgeschäumten Milch in eine Tasse mit nachtschwarzem italienischem Kaffee füllte. »Das sieht ja gut aus! Ist es koffeinfreier Kaffee?«

    Grace hatte den Cappuccino schon halb um den Tresen herum getragen. Sie stoppte ihre Schritte und machte kehrt. »Möchtest du koffeinfreien?«, fragte sie, während sie auf dem Rückweg zur Espressomaschine war.

    »Nein, nein, nein!«, wehrte Harry rasch ab. »Ist schon in Ordnung!«

    Grace wandte sich abermals um und trug die Tasse auf die andere Seite des Tresens.

    »Mmmh!« schwärmte Harry abermals, indem er sich schnuppernd über die Tasse beugte. »Was für ein Schaum! Ich muss sagen, Darling, auf dem Gebiet hast du wirklich was drauf!«

    »Du weißt, ich bin Hausfrau mit Leib und Seele!« Grace lachte voller Selbstironie. »Die Bagels sind gleich fertig.« Sie eilte zum Herd und brachte den Teller mit gekochten Eiern.

    Harry rührte Zucker in seine Tasse. Genussvoll trank er einen Schluck Kaffee durch den Schaum hindurch. »Das war vielleicht eine Nacht«, sagte er.

    »Erinnerst du dich an deinen Traum?«, erkundigte sich Grace, während sie ihm den Salzstreuer und die Pfeffermühle brachte.

    »Es war schrecklich - so viel weiß ich noch.«

    »Du hast mir vielleicht Angst eingejagt.« Grace setzte sich mit ihrem eigenen Cappuccino neben ihren Mann.

    »Wo sind die Kinder?«, fragte Harry.

    »Little Buddha wird gerade gebadet. Coty hat sich, glaube ich, was weggeholt. Deshalb habe ich gesagt, er soll zu Hause bleiben.«

    Harry schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, warum der Junge so eine Anziehungskraft auf Bazillen hat!«

    »Wahrscheinlich fühlen sie sich bei ihm besonders wohl.« Grace hob den Kopf. »Oh, übrigens - der Regisseur, der mit ihm den Zahnpasta-Werbespot machen will, hat zurückgerufen!«

    Harry ging nicht darauf ein. Er schlürfte seinen Kaffee. »Meinst du, dass wir mal seinen Bauch untersuchen lassen sollten?«

    »Er hat nur einen nervösen Magen. Wie sein alter Herr.« Grace beugte sich zu Harry hinüber, um ihn zu küssen.

    »Mh, mh, mh!«, wehrte er ab, den Kaffee noch im Mund. Er schluckte hinunter, zeigte auf den Toaster aus Edelstahl. Das dickbauchige Gerät war einem preisgekrönten Design aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nachgebaut worden. Originalgetreu bis auf die letzte Schraube. Technische Erinnerungsstücke aus der Zeit vor der Computer-Ära waren heute der letzte Schrei, regelrechte Kultobjekte für die Küche. So, wie es als schick galt, restaurierte Auto-Veteranen aus den fünfziger und sechziger Jahren zu fahren.

    »Bedienung!«, rief Harry. »Ich glaube, mein Bagel brennt.«

    Grace stieß einen erschrockenen Laut aus. Rasch drückte sie die Hebel, und die beiden rauchenden Hälften des süßen Brötchens floppten aus den Toasterschlitzen.

    »Ach, du liebe Güte!« Grace hob die Bagel-Hälften auf und betrachtete sie. »Die sehen aber ziemlich verkohlt aus.«

    »Macht nichts«, sagte Harry. »Ich mag sie so.«

    Grace nahm einen frischen Bagel. »Ich mache dir einen neuen«, sagte sie.

    »Willst du wohl gehorchen, Frau!«, knurrte Harry. »Ich habe gesagt, ich mag sie so! Also her damit!«

    Grace warf die verkohlten Dinger auf einen Teller und befolgte seine Anweisung. »Was bist du doch für ein unausstehlicher Kerl!« schmunzelte sie.

    Das Kindermädchen kam herein. »Hier ist sie!« Deirdre war in ein großes Badetuch gehüllt, aus dem nur ihr Gesicht und die lockige Haarpracht hervorlugten.

    Grace sprang auf, klatschte vor Freude in die Hände, während Harry die rabenschwarzen Bagelhälften begutachtete.

    »Oh, da ist ja unser kleiner Schatz!«, rief Grace. »Direkt aus der Wanne!« Sie nahm dem Kindermädchen ihre kleine Tochter ab, die sich mit leuchtenden Augen an sie schmiegte. Grace wiegte sie auf den Armen. »Was ist unser Kleiner Buddha heute wieder kuschelig!«

    Harry stand auf, nachdem er beschlossen hatte, seinen Kohle-Bagel nun doch nicht zu essen. »Ich sehe mal nach unserem magenkranken Junior«, teilte er mit. Er verließ die Küche zusammen mit dem Kindermädchen.

    In Cotys Zimmer lief der Fernseher. Der Apparat war immer auf denselben Sender eingestellt, den Kinder-Channel. Das Wort hatten sie mit Hilfe der deutschen Sprache zurechtgebastelt, wie so manches heutzutage. Der Sender brachte Comics rund um die Uhr. Coty zog ihn den anderen Kinder-Kanälen vor, die vierundzwanzig Stunden pro Tag alte Actionfilme oder Computerspiele brachten.

    Harry schaltete den Apparat aus, als er das Zimmer betrat. Coty lag auf dem Bett, auf dem Rücken. Harry ging neben dem Bett in die Knie.

    »Ich hab mich angesteckt«, sagte Coty.

    »Tatsächlich?« Harry fühlte nach der Stirn des Jungen. Dann lächelte er aufmunternd. »Also, ich bin sicher, dein Abwehrsystem ist fit genug, um die Bazillen in die Flucht zu schlagen!«

    »Ich hab dich lieb, Daddy«, sagte Coty. Er drehte sich auf die Seite, als Harry das Zimmer verließ.

    Coty schloss die Augen. Einen Moment danach öffnete er sie wieder, und Harry Wyckoff hätte einen Fremden vor sich geglaubt, wenn er das Gesicht seines Sohnes jetzt gesehen hätte. Ein metallischer Glanz bildete sich in Cotys Augen. Seine Miene war von eisiger Härte, spiegelte etwas, das aus dem Kindergesicht das eines Erwachsenen machte - auf eine Weise, die Furcht einflößen konnte.

    Harry fuhr den sonnendurchglühten Boulevard hinunter. Mächtige Palmen säumten die Fahrbahn, auf der kaum ein anderes Auto unterwegs war. Die Zeiten, in denen sich praktisch jeder einen Wagen leisten konnte, waren zum Glück vorbei. Der Abstand zwischen arm und reich war immer größer geworden, die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer. Und die Zahl der Armen war sprunghaft angestiegen. Von Autos und all den anderen feinen Sachen konnten sie nur noch träumen. Der Staat hatte ein System gefunden, die sozial Schwachen und Hilflosen aus dem Gesichtskreis der Reichen und Wohlhabenden zu verbannen. Die Privilegierten waren nun endlich wieder in der Lage, ihre Privilegien ungestört zu genießen.

    Harry Wyckoff musste zugeben, dass er sich über solche Zusammenhänge nie sonderlich viel Gedanken gemacht hatte. Beruf und Karriere hatten seine ganze Energie gefordert.

    Seine 62er Corvette glitt wie auf Samtpfoten über den Asphalt. Ein Prachtstück, dieser Wagen. Und er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Noch vor etwas mehr als zehn Jahren hätte man so etwas in einer doppelt und dreifach gesicherten Garage verstecken müssen. Heute wurden keine Autos mehr gestohlen. Der Staat hatte die Dinge im Griff. Der Staat war allgegenwärtig; Polizei und sonstige Ordnungskräfte funktionierten wie ein Uhrwerk. Dafür zahlte man zwar eine Menge Steuern. Aber es lohnte sich.

    Man konnte sich zurücklehnen.

    Man musste es nur schaffen, in den Kreis derer aufzusteigen, die den Ton angaben. Dann revanchierte sich der Staat für den Beitrag, den man leistete, und zwar fühlbar. Lästiger Kleinkram wurde einem abgenommen. Noch in den neunziger Jahren hatten die wohlhabenden Leute auf ihren Grundstücken einen Wahnsinnsaufwand mit Alarmanlagen treiben müssen. Manche hatten sogar Leibwächter einstellen müssen. Das war alles überflüssig geworden. Heute war es wieder so wie vor hundert Jahren. Man brauchte seine Haustür nicht abzuschließen, man brauchte sein Auto nicht abzuschließen. Das freieste Land der Welt hatte sich zum Paradies zurückentwickelt - jedenfalls für die Sorte Mensch, die der göttlichen Daseinsform am nächsten kam.

    Das war eine von Tommy Laszlos Formulierungen. Harry grinste bei dem Gedanken. Tommy war sein bester Kumpel, und er war heute noch genauso verrückt wie damals, als sie zusammen zur Beverly Hills High School gegangen waren. Tommy war Schwarzer - der Typ, den man für einen internationalen Basketballstar halten konnte. Wer Geld hatte, konnte Hautfarben und Rassenschranken ignorieren. Das war wohl auch schon früher so gewesen.

    Harrys Aufmerksamkeit wurde abgelenkt.

    Er rückte seine Sonnenbrille zurecht, als er eine Reihe von gepflegten Wohngrundstücken passierte. Bungalows, ein paar größere Häuser. Vor den Garagen und in den Einfahrten standen meist mehrere Autos. Limousinen unterschiedlicher Größe. Minivans. Hier lebte der gehobene Mittelstand von Los Angeles. Leitende Angestellte, aber auch Inhaber von Einzelhandelsgeschäften und kleineren Unternehmen. Die typische amerikanische Vorstadtsiedlung, wie sie das Hollywood der fünfziger Jahre auf die Kinoleinwand gebracht hatte, war auferstanden - glanzvoller als je zuvor.

    Was ihn ablenkte, sah Harry erst auf den zweiten Blick. Die mächtigen Palmenstämme verdeckten sein Blickfeld teilweise.

    Männer auf dem Gehsteig.

    Sie bewegten sich hektisch, unnatürlich. Ihnen fehlte die souveräne Gelassenheit, die diese Gegend ausstrahlte, die hier angebracht gewesen wäre.

    Harry runzelte die Stirn. Er nahm Gas weg.

    Vier Männer waren es. Im ersten Moment sah es aus wie ein Handgemenge, in das sie verwickelt waren. Oder zumindest in eine erregte Diskussion. Doch dann, im langsamen Vorbeifahren, erkannte Harry, was es wirklich war.

    Drei Männer schlugen auf den vierten ein.

    Die drei trugen dunkle Anzüge und Sonnenbrillen. Ihr Opfer war noch mit weißem Hemd und Weste bekleidet, hatte sein Jackett noch nicht übergezogen. Es sah fast so aus, als ob sie ihn vom Frühstückstisch weggeholt

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