VENUS FLIRTET MIT DEM TOD: Der Krimi-Klassiker!
Von Pierre Apesteguy
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Venus saß mit Victor im Parkett des fast leeren Zuschauerraumes. Die junge Frau interessierte sich nicht für den Film. Sie hatte ihren Kopf auf die Schulter des Inspektors gelegt und biss ihm zärtlich ins Ohr. Victor hätte am liebsten wie ein Kater geschnurrt, doch er tat so, als gälte seine ganze Aufmerksamkeit der Leinwand.
Sie hatten sich durch den vielversprechenden Titel Peau lisse zu diesem Film verleiten lassen, der, wie es schien, genau das Richtige für Victor Sauvage, das Ass Nummer 1 der Interpol, und seine Angebetete Marie-Caroline Demilot, genannt Venus, zu sein versprach...
Der Roman Venus flirtet mit dem Tod des französischen Schriftstellers Pierre Apesteguy (* 12. September 1902 in Biarritz; † 17. November 1972 in Cagnes-sur-Mer) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der französischen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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VENUS FLIRTET MIT DEM TOD - Pierre Apesteguy
Das Buch
Venus saß mit Victor im Parkett des fast leeren Zuschauerraumes. Die junge Frau interessierte sich nicht für den Film. Sie hatte ihren Kopf auf die Schulter des Inspektors gelegt und biss ihm zärtlich ins Ohr. Victor hätte am liebsten wie ein Kater geschnurrt, doch er tat so, als gälte seine ganze Aufmerksamkeit der Leinwand.
Sie hatten sich durch den vielversprechenden Titel Peau lisse zu diesem Film verleiten lassen, der, wie es schien, genau das Richtige für Victor Sauvage, das As Nummer 1 der Interpol, und seine Angebetete Marie-Caroline Demilot, genannt Venus, zu sein versprach...
Der Roman Venus flirtet mit dem Tod des französischen Schriftstellers Pierre Apesteguy (* 12. September 1902 in Biarritz; † 17. November 1972 in Cagnes-sur-Mer) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der französischen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
VENUS FLIRTET MIT DEM TOD
Erstes Kapitel
Venus saß mit Victor im Parkett des fast leeren Zuschauerraumes. Die junge Frau interessierte sich nicht für den Film. Sie hatte ihren Kopf auf die Schulter des Inspektors gelegt und biss ihm zärtlich ins Ohr. Victor hätte am liebsten wie ein Kater geschnurrt, doch er tat so, als gälte seine ganze Aufmerksamkeit der Leinwand.
Sie hatten sich durch den vielversprechenden Titel Peau lisse zu diesem Film verleiten lassen, der, wie es schien, genau das Richtige für Victor Sauvage, das As Nummer 1 der Interpol, und seine Angebetete Marie-Caroline Demilot, genannt Venus, zu sein versprach.
Glücklicherweise hatte Inspektor Sauvage damals, als er Venus kennenlernte, nicht den Auftrag gehabt, die junge Abenteurerin Venus zu verfolgen. Er hatte keine Ahnung gehabt, womit sie sich die Zeit vertrieb. Die Offenheit der jungen Frau hatte ihm einerseits sehr genützt und ihn andrerseits gehemmt, sich ihr gegenüber undankbar zu zeigen: Hatte sie ihm nicht zum Erfolg seiner schwierigen Mission verholfen und ihm vielleicht sogar das Leben gerettet? Geliebte und schreckliche Venus!
Die junge Frau ihrerseits konnte es noch kaum fassen, der Umarmung eines Polizeibeamten erlegen zu sein. Ausgerechnet sie! Wer hätte das gedacht? Natürlich, Victor war ein Engel, doch gleichzeitig einer jener Würgeengel, einer jener Geheimagenten, die sie früher über die Grenzen hetzten. Gut, er hatte ihr die Handschellen erspart, ihr aber letztlich Ketten um Arme und Beine gelegt. Ach!, wie angenehm war es doch, von ihm gefesselt zu sein.
Welch paradoxes und charmantes Schicksal hatte also die beiden Menschen, die einst dazu bestimmt waren, sich zu bekämpfen, in seligem Glück vereint!
Heute, am Spätnachmittag, hatte Marie-Caroline Demilot ihren Simca-Ariane auf dem großen Parkplatz neben dem Hauptgebäude der internationalen Polizei abgestellt. Victor war pünktlich zum Rendezvous erschienen. Manchmal hielt ihn ein wichtiger Auftrag davon ab, seine Freizeit der jungen Frau zu widmen. Aber als sie ihn in stolzer Haltung und festen Schrittes auf sich zukommen sah, wusste Venus, dass der Arbeitstag des Inspektors zu Ende war. Er würde also bei ihr bleiben können. Ein freudiges Schauern durchlief sie. Wie am ersten Abend, als sie auf der Terrasse des Casinos in Monte Carlo mit ihm zusammengeprallt war, schlug ihr auch heute wieder das Herz bis zum Halse. Welch eine Erscheinung! Einen Meter fünfundachtzig groß, schwarze Augen mit buschigen Brauen und Wimpern, die für einen Mann unverschämt lang waren, einem Gesicht wie das des heiligen Michael, der den Drachen bezwingt, und braunem, kurz geschnittenem Haar. Ruhig und selbstsicher, unwahrscheinlich männlich, unerhört gut gebaut und immer elegant und dezent gekleidet.
Der Polizeioffizier brachte Venus die gleiche Leidenschaft entgegen. Wie langsam kroch ein Tag ohne sie dahin...! Als er die Tür des Wagens öffnete, war er für einen Moment durch die Erscheinung der atemberaubenden jungen Frau mit ihrem tizianroten - Haar, den jadefarbenen Augen, der kleinen, schmalen Nase und den sinnlichen Lippen, wie gelähmt... Venus! Ihr Körper machte ihrem Namen Ehre. Sie brauchte nicht zu fürchten, mit der Venus im Louvre verglichen zu werden. Im Gegenteil! Die Venus von Victor hatte ihrer berühmten Namensschwester ein recht wichtiges Detail voraus - sie hatte Arme und war nicht aus Marmor!
Temperamentvoll und mit sprühendem Humor begabt, war sie im Geben ebenso anspruchsvoll wie im Nehmen. Ihre Abenteuer von gestern und ihre Liebe von heute waren dafür der beste Beweis.
Leider bestand der Film, der für sich in Anspruch nahm, zur Nouvelle Vague zu gehören, aus einer infantilen Aneinanderreihung alter Kamellen und war recht unerträglich. Venus gähnte hingebungsvoll. Sie legte ihren Arm Um Victors Schultern. Der Inspektor erwiderte ihre Höflichkeit und umfasste zärtlich ihre Taille. Sie waren glücklich, zusammen zu sein. Der Film interessierte sie von Minute zu Minute weniger. Sie hätten auch ebenso gut Weggehen können, dachten jedoch nicht daran.
Schließlich überkam Venus eine fast unbezwingbare Lust zu rauchen. Doch sie hütete sich davor, diesen Wunsch ihrem Begleiter gegenüber zu erwähnen. Das Rauchen war im Kino verboten. Aber die junge Frau hatte die Handfertigkeit ihrer früheren Beschäftigung noch nicht verlernt. Warum sollte sie um eine Zigarette bitten, wenn sie sie sich nehmen konnte? Außerdem wäre es amüsant, dem anerkannt schlausten Fuchs der Interpol etwas aus der Tasche zu klauen.
Mit heimtückisch zärtlichen Fingern ließ sie ihre Hand über den Arm Victors gleiten. Sie war so geschickt, dass er nicht merkte, dass ihre Liebkosung nicht direkt ihm galt. Leider! Keine Zigaretten. Sie fühlte lediglich ein hartes Stück Papier, vielleicht eine Postkarte oder etwas Ähnliches. Schon wollte die ausgelassene junge Frau ihre Suche aufgeben, als sie es sich anders überlegte. Die weibliche Neugierde ging mit ihr durch.
Im nächsten Augenblick befand sich das Corpus delicti in Venus’ Handtasche. Die Nouvelle Vague hatte ihr beigestanden: Victor Sauvage schlief mehr als er wachte. Venus war wenig befriedigt von ihrer Beute. Was sollte sie nur damit anfangen? Da sie ihrer alten Gewohnheit nicht hatte widerstehen können, wollte sie sieh wenigstens anschauen, was sie Victor abgenommen hatte, und dann die Karte mit der gleichen Geschicklichkeit wieder in seine Tasche zurückstecken.
Der Film schloss mit einem seichten Happy-End. Puh...! Victor stand bereits auf. Venus hielt ihn am Ärmel seines Jacketts zurück: Sie hätten weder die Wochenschau noch den Zeichentrickfilm gesehen, meinte sie, und er wisse doch, wie gern sie Walt Disney habe. Es seien schließlich nur fünf Minuten Pause. Der Inspektor ließ sich wieder in seinen Sessel fallen, und nun stand Venus auf.
»Ich will mir nur schnell die Lippen nachziehen«, sagte sie. »Ich bin sofort wieder zurück.«
Er blickte sie voll Nachsicht an.
»Eitelkeit - dein Name ist Weib«, sagte er lachend. »Du bist viel zu hübsch, um diese Kriegsbemalung nötig zu haben.«
»Typisch Mann«, erwiderte sie und. tätschelte ihm zärtlich auf die Wange.
Venus tänzelte davon. Als sie sah, dass der Inspektor die Taschen seines Jacketts abklopfte, überfiel sie leichte Panikstimmung. Doch Victor brachte eine Zeitung zum Vorschein, faltete sie auseinander und vertiefte sich in seine Lektüre. Venus atmete erleichtert auf. Das war wenigstens eine gesunde Beschäftigung, dachte sie; es ging nichts über eine Abendzeitung.
Im Vorraum der Toilette konnte sie ohne Furcht ihre Trophäe aus der Handtasche ziehen. Doch im selben Augenblick stieg ihr das Blut zu Kopf.
Das war doch der Gipfel: Sie hatte die Fotografie einer sensationellen Blondine in der Hand! Einer Blondine, mit herausforderndem Blick und Lächeln, mit einem mehr als großzügigen Dekollete, begehrenswerten Formen und Schultern, die denen von Venus in nichts nachstanden. Venus war zu schlau, um eine Rivalin, welche die Natur mit so unwiderstehlichen Reizen ausgestattet hatte, zu unterschätzen.
Sie drehte das Bild um und las auf der Rückseite die empörende Angaben:
DOLLY
Tel.: JASmin 40-02
Mittwoch, den 19., 17 Uhr
Zuerst rot vor Zorn, wurde Venus nun blass vor Eifersucht. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, die ihr in die Augen stiegen. Doch worum es sich hier auch immer handeln mochte, so war jetzt nicht der Moment, das Gesicht zu verlieren. Aber genaugenommen war es bereits soweit: Die Tränenspur, die ihr über beide Wangen lief, ließ sie einem Vamp aus der Stummfilmzeit gleichen.
Sie betrachtete sich im Spiegel. Ihr tizianrotes Haar nahm unter dem grellen Licht der Neonbeleuchtung einen ziemlich hässlichen Orangeton an. Zum ersten Male entdeckte sie einen bitteren Zug um ihre Mundwinkel. Die Patina der Liebe! Sie war schon immer viel zu sentimental gewesen. Andrerseits jedoch hatte sie diese Schwäche von den unheilvollen Bahnen abgebracht, auf denen sie früher gewandelt war. Venus war im Grund ihres Herzens nie unehrlich gewesen, sondern hatte sich nur an solche Leute herangemacht, die ihr Vermögen zu Unrecht erworben hatten. Sie hatte das Abenteuer wie einen gefährlichen Sport geliebt, der der Eintönigkeit des Lebens etwas Pfeffer gab.
Hatte es nicht genügt, dass sie Victor über den Weg gelaufen war, um sie zu der Frau zu machen, die sie in Wirklichkeit war? Seit dieser wundervollen Verwandlung hatte sie noch nie die Bilder ihrer aufregenden Odyssee in Monte Carlo mit solcher Schärfe gesehen wie im Moment. Obwohl sie dadurch ihr Leben aufs Spiel setzte, hatte sie nicht eine Sekunde gezögert, den neuen Weg einzuschlagen. Und das alles für ihn! Für Victor Sauvage! Gewinner des Großen Preises von Monaco. Natürlich hatte Venus damals noch nicht gewusst, dass das gefährliche Rennen dem Inspektor nur dazu gedient hatte, seine Gestalt als Agent der Interpol zu decken, dass es das einzige Ziel Victors gewesen war, sich um jeden Preis ihrer hübschen Person zu bemächtigen. Wenn sie nur eine Ahnung davon gehabt hätte, hätte sie sich sofort aus dem Staub gemacht.
Hatte sie nicht übrigens versucht, vor ihm davonzulaufen, allerdings aus anderen Gründen? Sie hatten sich gegen Mitternacht auf der Terrasse des Casinos getroffen. In der lauen Milde der monegassischen Nacht schwebten die Klänge eines Langsamen Walzers. Der Unbekannte hatte mit einladender Geste seine Arme geöffnet, Venus hatte sich an ihn geschmiegt und alles um sie herum vergessen. Wange an Wange hatten sie getanzt und nicht gewagt, den Zauber des Augenblicks durch Worte zu zerstören.
Als die Melodie verklungen war, hatte er sie noch fester in die Arme geschlossen und geküsst. Völlig durcheinander, hatte sie sich befreit und war davongelaufen. Aber umsonst. Schon am nächsten Morgen war sie dem Mann auf der Jacht der extravaganten Lady Casablanca wieder begegnet. Sie wissen doch, jene lose Millionärin, die aus dem Fürstentum Monaco ausgewiesen worden war und in allen Spielsälen lauthals zum besten gab, dass die Franzosen samt und sonders Idioten seien. Jene verrückte Millionärin, die ihren Rolls-Royce mit goldenen Stoßstangen hatte ausstatten lassen und die so nebenbei den protzigsten Diamantschmuck der Welt besaß. Nur noch ein Griff, und Venus hätte mit dem Collier und dem Diadem verschwinden können...
Ausgerechnet in dem Moment hatte Victor ihr seine Liebe gestanden, eine Liebe, die auch sie schon fast verzehrte. Unter tausend Gefahren hatte sie auf den Schmuck verzichtet und ihre Komplizen im Stich gelassen.
Sie wollte ihr neues Leben nicht mit Lügen beginnen. Das Geständnis über ihre Vergangenheit war ihr nicht leichtgefallen. Doch schließlich hatte sie den Mut aufgebracht, dem Mann, den sie liebte und den sie nicht verlieren wollte, alles zu erzählen. Die erschütternde Beichte der jungen Frau hatte Victors Bewunderung nur noch verstärkt. Er hatte ihre Geschicklichkeit bei den Vorbereitungen zu dem geplanten Diebstahl beobachten können. Hatte man nicht die Pflicht, so viel Schönheit, Talent und Esprit in den Dienst der Gesellschaft zu stellen? Eines Tages würde er ihr die Gelegenheit geben. Bis dahin - der Inspektor war sich seiner Verantwortung durchaus bewusst - würde die Akte Venus bei der Interpol anfangen zu vergilben.
Venus hatte sich inzwischen die Augen getrocknet und die Spuren ihrer Tränen verwischt. Sie seufzte auf. Mein Gott! Wie wenig Zeit schien seit damals vergangen zu sein! Und schon setzten die ersten Enttäuschungen ein.
Sie ging in den Zuschauerraum zurück. Die Wochenschau hatte eben begonnen.
»Du hast aber lang gebraucht, mein Liebling.«
Er drückte sie fest an sich. Diese Geste konnte natürlich degoutante Scheinheiligkeit sein... Sie tat so, als interessiere sie sich brennend für die Einweihung einer Hängebrücke, lehnte sich aber trotzdem zärtlich gegen die Schulter des Inspektors. Er nahm seine schwache Beute noch fester in den Arm.
»Du erstickst mich, mein Liebling.«
Victor wich ein wenig zurück, gerade genug, damit Venus die Fotografie der mondänen Dolly wieder mühelos in die Tasche des Inspektors stecken konnte.
Der Zeichentrickfilm war ausgezeichnet. Doch Venus fand ihn langweilig und blöde. Sie weigerte sich, ihn bis zu Ende anzusehen, stand auf, packte Victor an der Hand und verließ entschlossen das Kino. Victor setzte sich hinter das Steuer des Simca-Ariane und fuhr zu einem kleinen Restaurant, in dem die beiden häufig zu Gast waren. Obwohl die Fahrt nur kurz war, hatte Venus genug Zeit, darüber nachzudenken, wie sie sich in der Affäre Dolly, wie sie die Geschichte bereits nannte, verhalten sollte. Denn Venus war nicht die Frau, die sich aus dem Feld