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Symbiose: Der Biopunk-Roman
Symbiose: Der Biopunk-Roman
Symbiose: Der Biopunk-Roman
eBook242 Seiten2 Stunden

Symbiose: Der Biopunk-Roman

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Über dieses E-Book

Kröten, Käfer, Knutbälle: Gendesignte Hybridwesen, den Menschen zu Diensten. Lebendig, billig, biologisch abbaubar.
Der brave Konsument Aric Ekloppos, verliebt in die Weltkaiserin, entrinnt knapp einem unschönen Tod. Er trifft auf berühmte Talkmaster, verdrehte Politiker, stählerne Untergrundkämpfer und einen galaktischen Weltraumhai, der die ganze Erde verschlingen will. Um ihn aufzuhalten, besteigt er einen Sternenkäfer, und für Aric stellt sich die alles entscheidende Frage:

Wird es ihm gelingen, das Herz der Kaiserin zu erobern?


Schräge Ideen, schrille Figuren, scharfzüngiger Humor: SYMBIOSE ist Biopunk à la Post.

Platz 2 beim Deutschen Science Fiction Preis 2010

E-Book-Neuausgabe mit völlig neu geschriebenem Schluss, Januar 2020

Uwe Post wurde 2011 ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis und dem Kurd-Laßwitz-Preis. "Symbiose" war sein erster SF-Roman, zuletzt vergriffen, hiermit ist er wieder erhältlich.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum31. Dez. 2019
ISBN9783748725039
Symbiose: Der Biopunk-Roman

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    Buchvorschau

    Symbiose - Uwe Post

    Vorweg

    Uwe Post

    Symbiose

    Der Biopunk-Roman

    © 2008-2020 Uwe Post

    Symbiose

    Durchgesehene Neuausgabe mit völlig neu geschriebenem Schluss

    Januar 2020

    Die ursprüngliche Version erreichte Platz 2 beim Deutschen Science-Fiction-Preis 2010.

    Cover-Illustration: Uwe Post mit Mandelbulb3D,

    siehe auch https://www.deviantart.com/beweglichebilder/art/Symbiosis-789683475

    Mehr vom Autor: https://post-sf.de

    Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet.

    Mark Twain

    1 Krönung

    »Zur Krönung! Der Körper der Kaiserin! Für alle!« Die Rufe der Spamtauben hallten von den Wänden der Glasfassaden am Neurasia-Platz wider. Verlangen wallte in Aric hoch. PromiSym hatte sich frühzeitig die Rechte am Erscheinungsbild Tigas gesichert und bot die ihr nachempfundenen Erosyms zu horrenden Preisen an. »Auch günstige Ratenzahlung möglich«, gurrte eine hektisch flatternde Spamtaube direkt vor Arics Gesicht. Der junge Mann verscheuchte den schillernden Vogel mit einer unwilligen Handbewegung und suchte nach einer Stelle mit guter Sicht. Natürlich hätte er die Krönung gemütlich zu Hause via Web3D verfolgen können, aber er hatte das untrügliche Gefühl, dass er heute Abend hautnah dabei sein musste, wenn die neue Kaiserin die Weltkrone aufgesetzt bekam. Ein paar Hunderttausend andere Weltbürger empfanden ähnlich. Die Regierung hatte offenbar nicht mit einem solchen Andrang gerechnet – selbst die breiten Straßen von Amsterdam 2.0 waren zu schmal, um die Schaulustigen zu bewältigen. Sonderzüge waren überfüllt wie sonst nur die stahlalten Vorortbahnen von Mumbai, Shanghai und Teheran. Alle wollten ihrer Kaiserin nahe sein, egal was es Körper und Konto kostete.

    Die johlende Menge schob sich um die nächste Ecke und erhaschte den ersten Blick auf die Projektionsfläche an der Arena, in der die Zeremonie stattfand. Aric legte den Kopf in den Nacken, als ein Schwarm Warbirds schnatternd und erhaben vorbei glitt und einen Schweif goldenen Feuerwerks an den abendlichen Himmel spritzte. Dann sah er wieder zur Projektionsfläche. Die Kamera schwenkte über ein Feld aus goldenen und bunten Fahnen, die das Meer des Friedens bildeten, aus dem die Kaiserin auf den Thron steigen würde. In der Ecke der riesigen Bildfläche entfaltete sich eine Einblendung, die einen Blick hinter die Kulissen warf. Tiga trug eine weiße Toga mit blitzenden Sternen und winkte lachend in die Kamera. Sprechchöre »Ti-ga, Ti-ga« tönten über den Platz.

    Arics Blick fiel auf den unteren Rand der Projektion: 10. März 2134, das historische Datum, das die Zukunft nie vergessen wird – der Beginn der Regentschaft Tigas, der wahrhaft Goldenen.

    Ein Infostrauß baute sich langbeinig vor Aric auf, fixierte ihn mit schelmischem Blick. »Genieße auch du einen herrlichen Ruhestand an den Traumstränden auf Vyrroc. Ein Geschenk an deine eigene Zukunft kann kein schlechtes sein.«

    »Nein danke«, sagte Aric fröhlich, »aber hast du eine Swosh?«

    »Sehe ich aus wie ein Getränkeautomat? Ich rufe dir einen, wenn ich dir ein Beratungsgespräch vermitteln darf.«

    Aric grinste. »Einverstanden.« Der Strauß nickte zufrieden und winkte mit einem Stummelflügel. Diese Geste war rein symbolisch, denn der per Funk herbeigerufene Trinkuin kam von der anderen Seite. Er watschelte eilig heran und strahlte angenehme Kühle aus. Name und Aussehen des Symbionten erinnerten an einen Pinguin, aber Körpergröße und Werbelogos waren die eines knallbunten Kühlschranks auf Füßen.

    »Was darf‘s sein?«, fragte der Trinkuin und ließ den Werbejingle von Swosh hören. Aric schnippte mit den Fingern. »Eine Swosh.«

    »Natürlich.« Der Symbiont öffnete das Ausgabefach an seinem Bauch, und eine glitzernde Flasche kam zum Vorschein. Aric griff zu, im gleichen Moment machte sein Geldbeutel Pingpingping. »Preise erhöht, wie?«

    »Aufgrund der erforderlichen Einsatzkapazitäten war eine Kostenanpassung unvermeidbar«, schnarrte der Trinkuin, klappte den Bauch zu und verschwand zwischen bunt gekleideten Körpern.

    Aric wurde mit der Menge weiter geschoben. Er nahm einen Schluck aus seiner Flasche und empfand kurz darauf die dicht gedrängten Körper als warm und willkommen. Sogar, als ein unangenehm riechender Kerl neben ihm eine Klokröte rief und sich in den herbei geeilten Allesfresser übergab, kicherte Aric belustigt. Der Symbiont gluckerte davon, um dem nächsten Kunden zu Hilfe zu eilen.

    Eine Gruppe Vyrroc stand regungslos abseits an einem Hauseingang und beobachtete die Krönung und das bunte Treiben. Die Außerirdischen trugen passend zum Anlass bunte Schleifen an den Armen, hielten sich aber vornehm im Hintergrund, als würde sie die ganze Sache nichts angehen.

    »He«, machte Aric, als ihn jemand von hinten kräftig schob. Zahlreiche Körper nahmen ihm den Raum zum Atmen, aber das war erst der Anfang.

    Die nächste Einblendung erschien auf der Wandfläche. Eine der Zofen der neuen Kaiserin entblößte kurz ihren Oberkörper, als sie ihr blaues Kleid richtete. Sofort wurde die Einblendung gezoomt und füllte, mehrfach in Zeitlupe wiederholt, die gesamte Bildfläche aus. Grölen und Klatschen wogten durch die Masse. Jemand stieß Aric kräftig von hinten an, er verlor seine Flasche Swosh. Mit einem »Macht ja nichts« bückte er sich mühevoll nach ihr, erhielt einen weiteren Stoß und verlor das Gleichgewicht. Er hielt sich an irgendjemandem fest, rutschte ab und lag plötzlich auf dem Bauch. Die Menge füllte lautstark die Lücke. Eine Welle aus feiernden Menschen schlug über ihm zusammen. Ein Stückchen weiter lag die Swosh-Flasche. Jemand zertrat das weiche Plastik. Arics Knochen teilten dieses Schicksal kurz darauf.

    2 Frösche

    Das Scallaway fiepte zufrieden, als Leop es auf seinem Kopf platzierte. Der einem Gecko ähnelnde, graue Symbiont klammerte sich mit winzigen Klauen an den schwarzen Haaren fest und fing an, mit seinen geschickten Lippen Schuppen abzukratzen und zu vertilgen.

    Leop genoss das sanfte Kraulen und wandte sich wieder seinem Rechenblatt zu. Sein Zeigefinger malte Gesten auf die graugrüne Oberfläche, bis der papierdünne Computer Tabellen und Grafiken anzeigte.

    Als Symbioniker am Heidelberger Biotools-Institut war Leop ununterbrochen damit beschäftigt, die Schöpfungsparameter geplanter Neuentwicklungen zu prüfen und zu optimieren. Leops momentane Aufgabe bestand darin, die Parameter eines Reinigungsegels dahingehend zu modifizieren, dass das Tier auch Schmutz unter Fingernägeln entfernen konnte. Allerdings war es kein leichtes Unterfangen, die Beißwerkzeuge entsprechend umzubauen.

    Leop schüttelte langsam den Kopf und ließ das Rechenblatt sinken. Heute fehlte es ihm einfach an Inspiration. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Ideen wie Bläschen in einem Glas Bier in ihm hochgestiegen waren, zu kreativem Schaum, den er nach Belieben abschöpfen konnte; doch das Getränk war schal geworden, stand zu lange sinnlos in einer einsamen Bar herum. Früher waren ihm Gedanken abhanden gekommen, weil sie von neuen, besseren Ideen überrumpelt wurden, heute verursachte ihm ausbleibende Inspiration Bauchgrimmen, Sodbrennen und Verstopfung. Glücklicherweise bot das Wunder der Symbiose Abhilfe. Leop war froh, an den Segnungen der Gegenwart teilhaben zu können und streichelte seine Telefonschnecke, die hinter seiner Ohrmuschel wartete. Die Schnecke bildete sofort zwei Tentakel, schob den einen hinunter zu Leops Kehlkopf und den anderen in den Gehörgang.

    »Bestellhotline«, sagte Leop, und die Schnecke stellte über das Funk­netz eine Verbindung her.

    »Was wünschen Sie, Herr Leop?« In Leops Ohr erklang eine warme Stimme, die wie eine spärlich angezogene Studentin klang, in Wirklichkeit aber eine festgewachsene Meerkatze mit direktem Anschluss an den Zentralrechner des nächsten Universalbringdienstes war. Leop war selbst am Design dieser Symbiontenart beteiligt gewesen.

    »Eine Packung Psyfrogs bitte.«

    »Mit Chili- oder Schokogeschmack?«

    »Pfefferminz, wenn‘s geht.«

    »Ist schon unterwegs«, flötete die Meerkatze. »Darf ich Ihnen eine Probierkröte Sweetdream-Erdbeer beilegen?«

    Leop verzog das Gesicht. »Auf gar keinen Fall«, entgegnete er und tippte seine Telefonschnecke an, die daraufhin ihre Tentakel zurückzog.

    Süße Träume hatte Leop schon genug. Meist spielte darin seine Kollegin Mooha die Hauptrolle. Leop war kein Schuljunge, aber in Bezug auf Mooha benahm er sich wie einer. Verliebt wie mit Sechzehn. Sinnlos, chancenlos, zyklisch schmerzend und in jedem Traum aufs neue erotisch. Vielleicht lag das Problem darin, dass Leop seine Pubertät hauptsächlich mit Psyfrogs verbracht hatte, wenn er nicht gerade im Web3D Vorlesungen über Symbionten-Design schwarz hörte. Seit seinen ersten Wachträumen, in denen er Einhörnern und Drachen begegnete, wusste er eines: Er wollte nicht nur Konsument sein. In ihm steckte ein Schöpfer.

    Dieses Ziel hatte er zweifellos erreicht, obwohl er weder Einhörner noch Drachen erschaffen durfte, denn die hatte Disney mit einem undurchdringlichen Stacheldrahtverhau aus Patenten umgeben. Deshalb bereiteten ihm nur blöde Reinigungsegel Kopfzerbrechen.

    Nachdenklich starrte Leop aus dem Fenster. Seine Wohnung befand sich in einem Altbau, der nur mit der nötigsten symbiontischen Ausstattung versehen war: Versorgungsstrang zum Muttersystem, luminiszierende Wandflechten, Moosteppich. Im Gegensatz zu modernen, vollsymbiontischen Wohnungen, gab es hier noch ein klassisches Glasfenster, bloß der alte Heizkörper war nicht mehr in Betrieb, weil Moos, Flechten und Klimawandel für ständig angenehme Temperaturen sorgten.

    Unten in der Seitenstraße spielten Kinder johlend Knutball. Dabei musste ein weiches, kugeliges Biotool irgendwie ins gegnerische Tor bugsiert werden, was gar nicht so einfach war, weil der Knutball ständig seine Beinchen ausfuhr und die Richtung nach Belieben wechselte. So ein Symbiont war überaus robust, bloß durfte man nicht mit Schuhen dagegen treten (weswegen die Kinder barfuß spielten) oder mit spitzen Gegenständen hantieren. Trotzdem hatten Knutbälle eine geringe Lebenserwartung – aber die Spielzeug-Massenzucht konnte die Biotools zu sehr günstigen Preisen anbieten. Das Exemplar, um das die Kinder sich gerade balgten, hatte schon ziemlich viel mitgemacht, denn seine Farbe unterschied sich kaum von jener der staubigen Straße, wohingegen Knutbälle im Auslieferungszustand leuchtend weiß waren. Leop konnte sich gut daran erinnern, wie er selbst als Kind viel Zeit damit verbracht hatte, den Mädchen klar zu machen, dass der Knutball nicht zum Kuscheln gemacht war, dafür gab es schließlich Kleinhörner, Guckis und andere rosa Kuschelviecher ...

    In diesem Moment zwitscherte die Wohnungstür. Sie öffnete sich von allein und ließ eine kleine, dürre Elfe herein, die eine bunte Schachtel unter dem Arm trug. Im gleichen Moment ging die Tür der Wohnung gegenüber auf.

    In der Öffnung erschien Frau Terpitsch, Leops Nachbarin. »Buntes Brot heute«, rief die alte Dame und gestikulierte mit dem Stielschwamm, den sie in der Rechten hielt, offenbar im Putzrausch.

    »Zweifellos«, entgegnete Leop, der es aufgegeben hatte, die Geheimsprache seiner Nachbarin zu entschlüsseln.

    »Der Alkoven, kann sein, von früher«, murmelte Frau Terpitsch, winkte ab und knallte ihre Wohnungstür donnernd zu.

    Leop zuckte mit den Schultern und ließ die Elfe herein. Lächelnd stellte der aus verschiedenen Affenarten entwickelte Symbiont das Päckchen vor Leop auf den Tisch. Das biotronisch gesteuerte Hirn der Elfe war nicht menschlich, aber darauf programmiert, so zu wirken. Außerdem besaß diese Symbiontenart ein Ortungssystem, optimiert für ihren einzigen Daseinszweck: Botengänge.

    Nein. Leop verbesserte sich, als er den aufgemalten Schriftzug auf der Stirn der Elfe las: »Nimm mich! 20 Euro.«

    Dieser Symbiont verfügte also noch über eine zweite Funktion – offenbar betrieb der Botendienst eine Art Zuhältergeschäft, indem er den Kunden ermöglichte, die Elfe mal eben flachzulegen.

    Leop schüttelte den Kopf und wartete, bis die Elfe mit wippendem Schwanz über straffen Po-Muskeln die Wohnung verlassen hatte.

    Für kurze Zeit schloss der Symbioniker die Augen, um sich zu entspannen.

    Dann öffnete er die Schachtel mit den Mini-Psyfrogs. Er ließ sich viel Zeit mit dem Aussuchen. Seine Wahl fiel schließlich auf ein rot-gelb-gestreiftes Exemplar. Vorsichtig nahm er den Symbionten aus der Packung und schloss den Deckel. Dann lehnte er sich zurück, schob sich den Psyfrog unter die Zunge und senkte die Lider.

    3 Vyrroc

    Selbst wer kein Wort der verschiedenen Vyrroc-Sprachen verstand, konnte kaum abstreiten, dass die fremdartigen Laute in Gedichten überaus angenehm klangen. Die Sprechwerkzeuge der beiden unterschiedlich großen Vyrroc-Rassen bestanden aus Hornplatten, die aneinander geschabt wurden. Das verband die Außerirdischen vom zweiten Planeten von Tau Ceti mit einheimischen Grashüpfern. Nicht nur das: Auch Vyrroc verfügten über ein Exoskelett aus einem Material, das Chitin ähnelte. Dieser graublaue, löchrige Panzer bedeckte aber nur die dünnen Beine und den Unterleib. Der sehnige Oberkörper ähnelte jenem eines überaus sportlichen Menschen, wohingegen der Kopf hauptsächlich aus Zähnen und Kauplatten bestand. Wegen der anderen Lichtverhältnissen auf der Heimatwelt der Außerirdischen trugen sie auf der Erde so gut wie immer dunkle Sonnenbrillen – je modischer, desto besser. Das war nur einer der Gründe, wieso sich Menschen und Vyrroc recht schnell angefreundet hatten. Der Hauptgrund war ein anderer: Mit importiertem Kram vom jeweils anderen Planeten ließen sich florierende Geschäfte machen – egal ob es sich um Chilischnaps und Baumwürstchen in die eine, oder um Miniatur-Eiffeltürme und Popstars in die andere Richtung handelte.

    Eine weltweite Imagekampagne, die auf Plakaten und in Werbespots stets Menschen und Vyrroc in einträchtigem Miteinander zeigte, hatte jegliche Phobie im Keim erstickt. Rechte Populismus-Gurus, die Fremdenfeindlichkeit predigten, verschwanden spurlos und keiner vermisste sie. Weniger offensichtlich, aber mindestens so wichtig für das gegenseitige Verständnis, war ein umfangreicher Forscher-Austausch. Aniaa Karim, geboren in einem Stuttgarter Vorort, aufgewachsen im kapitaldemokratischen Dubai, der Weltraum-Metropole, war im Rahmen eines fünfjährigen Stipendiums auf Vyrroc gewesen, um Details der dortigen Biosphäre verstehen zu lernen. Inzwischen war sie zurück, schrieb ihr drittes Buch über ein kaum erforschtes Vyrroc-Baumvolk und beherbergte gerade eine chitinhaltige Studentin namens Pschist-i, die für zwei Jahre nach Tübingen gekommen war, um nähere Bekanntschaft mit Goethes Werk zu machen.

    »Möchtest du auch etwas Apfel?«, fragte Aniaa leise, legte ihre Notizen beiseite und gönnte der Kritzelmaus eine Pause.

    »Fichlich gechne«, machte Pschist-i und verzog die Mundplatten zu einem Gesichtsausdruck, der entfernt an menschliches Lächeln erinnerte. Grimassen waren wie Sprache: Ein falsches Detail, und man wurde leicht missverstanden. Da oft das eine nicht ohne das andere auskam, hatten die Menschen im Zeitalter der Internet-Aufklärung kleine Gesichter in ihre Texte eingefügt, um ihre Gefühle auszudrücken, selbst wenn sie im gleichen Augenblick einen völlig anderen Gesichtsausdruck trugen, den ihre Gesprächspartner freilich nicht sehen konnten. Die tatsächlich erlebte Emotion unterschied sich von jener, die der Kommunikationspartner durch die Grimasse wahrnehmen sollte. Etwa so zwiegespalten musste sich Pschist-i fühlen, wenn sie lächelte, dachte Aniaa. Sie erinnerte sich sehr gut an ihre Schwierigkeiten, auf Vyrroc ein Mindestmaß an Freundlichkeit an den Tag zu legen, indem sie ständig die Nase rümpfte und die Augen zu kniff. Das hatte ihr eine chronische Bindehautentzündung eingebracht, die sie nachhaltiger an die Distanz von zwölf Lichtjahren erinnerte, als es jeder astronomische Aufsatz gekonnt hätte.

    Aniaa stand auf, streckte sich und schlich auf Zehenspitzen in die Küche, um Schiut-e nicht zu wecken. Ihr Gast hatte kurz vor ihrer Ankunft auf der Erde ein Baby zur Welt gebracht und zog es vor, es hier aufwachsen zu lassen, statt es daheim einer der staatlichen Zuchtanstalten anzuvertrauen. Die Vyrroc hielten nicht viel davon, die Erziehung den Familien zu überlassen, die schließlich keinerlei Ausbildung für diese wichtige Aufgabe genossen hatten. Die Entwicklung des Nachwuchses derartiger Unsicherheit auszusetzen, war nach Ansicht der Vyrroc-Weisen in etwa so riskant, wie weltfremde Despoten mit Atombomben spielen zu lassen. Wie es sich für eine viele hundert

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