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Heinrich Töpfer und die Jubelkugel: Die magische Harry-Potter-Parodie
Heinrich Töpfer und die Jubelkugel: Die magische Harry-Potter-Parodie
Heinrich Töpfer und die Jubelkugel: Die magische Harry-Potter-Parodie
eBook763 Seiten9 Stunden

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel: Die magische Harry-Potter-Parodie

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Über dieses E-Book

Die Welt der Magie ist vom Untergang bedroht. Schon wieder!
Doch Ambos Schwurbelbart, der Direx der geheimnisvollen Zaubererakademie Hochwärts, weiß Rat: Der Junge mit dem Blitz auf der Stirn muss her! Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände landet stattdessen jedoch der völlig ahnungslose Heinrich Töpfer in Hochwärts. Das allein wäre ja nicht das Schlimmste, wenn er denn wenigstens Zaubern könnte! So schlägt sich Heinrich mit Hilfe seiner neuen Freunde Rum und Lärmine mehr schlecht als recht in einer ihm unbekannten Welt durch und hat keine Ahnung, wie er wieder nach Hause kommen soll.
Gerade als er einen Weg zurück gefunden zu haben scheint, geschehen merkwürdige Dinge in Hochwärts und Heinrich fragt sich, ob er seine Freunde in dieser Situation im Stich lassen kann: Wer ist in den Verbotenen Versorgungstrakt des Schlosses eingebrochen, und was hat es mit der geheimnisvollen Jubelkugel auf sich, die dort verborgen liegt? Weiß der greise Rektor Schwurbelbart mehr, als er zugeben will? Welche Rolle spielen die Schwylerins, die Heinrich von Anfang an durch ihr eigenartiges Verhalten aufgefallen sind? Oder steckt hinter allem vielleicht doch der fiese Zauberer Walmart, besser bekannt als Wie-heißt-er-doch-gleich?
Und dies ist erst der Beginn einer atemlosen Achterbahnfahrt durch eine Serie von absurden Begebenheiten, Zufällen und Verwechslungen. "Heinrich Töpfer und die Jubelkugel" verbindet die Welten von Harry Potter, dem Herrn der Ringe, Star Trek, Star Wars und anderen zu einer beispiellosen Parodie – oder mit anderen Worten: Zu einem schönen Durcheinander.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum4. Jan. 2018
ISBN9783742757166
Heinrich Töpfer und die Jubelkugel: Die magische Harry-Potter-Parodie

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    Buchvorschau

    Heinrich Töpfer und die Jubelkugel - Detlef Köhne

    1

    Als der kleine Ambos Schwurbelbart gerade sieben Jahre alt war, nahm sein Vater ihm den Rasierpinsel und den Nassrasierer weg und schenkte ihm stattdessen eine Bartbürste. Als Ambos daraufhin protestierte und anklagend auf sein Spiegelbild wies, sagte er: »Vergiss die Rasiererei, mein Sohn. Es ist ein hoffnungsloser Kampf. Du stehst erst am Beginn eines wachsenden Problems, du wirst sehen. Spätestens in drei Jahren reicht dir der Bart bis auf die Brust und in fünf bis an den ... äh, du weißt schon wo.«

    Und als er ihm über die Schulter blickte und ihn zufrieden lächelnd im Spiegel betrachtete, sagte er zu ihm: »Junge, du siehst ganz genauso aus wie mein Schwager. Nur den Bart, den hast du von deiner Mutter.«

    Sätze wie diese hört man nicht alle Tage, dachte der kleine Ambos und starrte missgelaunt in den Spiegel. Ein milchgesichtiger siebenjähriger Hosenscheißer mit wüstem Stoppelkinn und Oberlippenbart starrte zurück.

    »Große, weise Magier tragen ellenlange Bärte. Das liegt in den Genen, weißt du? Alle in unserer Familie sind so. Seit Generationen.«

    Ja, nur du nicht, dachte Ambos grinsend, vielleicht solltest du dir einmal Gedanken machen, warum ich meinem Onkel ähnlicher sehe als dir.

    »Und dennoch gibt es Leute, die sagen, Zaubererbärte hätten gar nichts mit Genetik zu tun, sondern seien bloß ein abgedroschenes Klischee. Ha! Die haben doch keine Ahnung. Als würden in Fantasygeschichten jemals Klischees bedient! Und jetzt komm, lass uns essen. Die Kürbisse werden kalt.«

    Ja, klar, dachte Ambos bitter, und die Scheißkürbisse haben auch überhaupt nichts mit Klischees zu tun, sondern wir essen sie andauernd, weil sie so lecker sind. Warum nur? Warum hatte die Magic Cuisine in den Jahrtausenden ihrer Entwicklung nie etwas Schmackhafteres hervorgebracht, als ausgerechnet Kürbisse? Kürbiskuchen, Kürbismarmelade, Kürbisbrot, Kürbisschokolade, Kürbissaft, Kürbiscola, Kürbisbier, Kürbisjoghurt, Kürbispizza, Kürbisdöner, Kürbispopcorn ... ›Es wird von den Leuten einfach erwartet, dass in einer Zaubererwelt von Jedermann pausenlos Kürbisse gegessen werden‹, hieß es immer. ›Das ist so Tradition.‹ Quatsch! Stünde es nur in seiner Macht, er, Ambos Schwurbelbart, hätte umgehend den Anbau und die Weiterverarbeitung dieses faden Gemüses unterbunden. Genauso wie dieses absurde, aus grauer Vorzeit überlieferte Bartträgerbrauchtum. Wer hatte das bloß eingerichtet, dass ein weiser Magier gefälligst einen meterlangen grauen Bart zu tragen hatte, uneingedenk der Tatsache, dass der beim Pinkeln ziemliche Scherereien bereiten konnte? Bestimmt war es eine Hexe gewesen, als Rache dafür, dass sie zwar mitunter ebenfalls zu ziemlich unattraktivem Bartwuchs neigten, weswegen sie in Märchen und Fantasygeschichten immer die Bösen und die Hässlichen spielen mussten, die Rollen großer, mächtiger und edler Zauberer hingegen seit Ewigkeiten traditionell mit Männern besetzt wurden.

    Aber so war das halt mit Traditionen. Irgendwann im Nebel der Vergangenheit begründet, über Generationen hinweg überliefert, als Klischee gepflegt und zäh verteidigt, weil es die Leute nun mal so erwarteten, und unmöglich wieder loszuwerden. Doch eines Tages, wenn er endlich in der richtigen Position dafür wäre, dann würde er, Ambos Schwurbelbart, mit diesen Zuständen schon aufräumen.

    2

    Einige Jahrzehnte waren seit diesen Begebenheiten vergangen, doch an dem Tag, an dem unsere Geschichte eigentlich erst beginnt, wurden sie Ambos Schwurbelbart wieder ins Gedächtnis gerufen.

    Und zwar von dem schmuddeligen Typen, der geradewegs vor ihm in einem hohen Ohrensessel saß und versonnen, mit schwerer Zunge vor sich hin brabbelte. »Ich sehe, ich sehe ... Einen großen und mächtigen Zauberer. Einen Zauberer, der schon seit langem in der richtigen Position dafür ist, mit alten überkommenen Traditionen aufzuräumen, es aber nicht tut. Ja, Ambos Schwurbelbart, du siehst genauso aus wie jemand, der sich längst mit den Zuständen arrangiert hat und die Klischees unbeschadet durch eine weitere Generation hindurch tragen und an die Nachwelt überliefern wird.«

    »Wie? Was faselst du?«, fragte Schwurbelbart verwirrt, transportierte den Kürbisdrops in seiner Backe von einer Seite auf die andere und warf sich den meterlangen Bart über die Schulter.

    »Ich spreche von dem Bart und den Kürbissen, Ambos Schwurbelbart,« grummelte das Orakel mit geschlossenen Augen, während sein Zeigefinger auf Schwurbelbart deutete.

    »Quark«, knurrte Schwurbelbart, der nicht gern angesprochen wurde auf dieses Thema. Die Zaubererakademie verdiente gut an den Kürbisrezepten ihrer Küche und an den bartlastigen Merchandising-Produkten zu Halloween. »Der Bart liegt bei großen, weisen Magiern in den Genen. Weiß doch jeder. Und die Kürbisse esse ich nur, weil die so lecker sind.

    Außerdem bezahl ich dich nicht, um über meine Unzulänglichkeiten belehrt zu werden, sondern für eine Weissagung über unsere Zukunft. Was mir heute Abend nämlich erheblich größere Sorgen bereitet als Kürbisse und Bärte, ist ein ganz anderes alt hergebrachtes Klischee, und zwar das, dass in einer Zaubererwelt niemals alles Friede, Freude, Kürbiskuchen ist, sondern dass sie natürlich, weil die Leute das so erwarten, stets von irgendwoher mit dem Untergang bedroht wird, ausgehend von irgendwelchen Drachen, Dämonen, bösen Hexen oder Feen, Kobolden, Gnomen, seelenlosen Zombies, dunklen Magiern, der Addams Family, den Bundys oder dem Finanzamt. Oder auch von bloßen Gegenständen wie Ringen, verzauberten Schwertern, Bannen, die gebrochen werden müssen, oder Gegenständen – selbstverständlich meist goldenen – die verschwunden sind und dringlichst wiederbeschafft werden müssen.

    Und wir bilden mit unserem kleinen Reich da keine Ausnahme, wie mir zu Ohren gekommen ist. Ich will wissen, was es diesmal ist, damit ich die geeigneten traditionellen Gegenmaßnahmen einleiten kann, nach der sich ein in Bedrängnis geratenes Zauberreich stets auf das Erscheinen eines strahlenden Retters berufen darf, der das Böse in die Schranken weist und so das traditionelle Gleichgewicht der Kräfte beim Kampf Gut gegen Böse wahrt und dafür sorgt, dass am Ende gesagt werden kann ›Und so lebten sie glücklich bis an das Ende ihrer Tage.‹ Schließlich erwarteten die Leute das so, hörst du?«

    O ja, Ambos Schwurbelbart war wild entschlossen, gerade diese letzte Tradition zu wahren.

    Seit damals, seit dem Tag, an dem sein Vater seinen Rasierpinsel ins Klo geworfen und ihm die erste Bartbürste geschenkt hatte, war er in der Tat unaufhaltsam zu einem der mächtigsten Zauberer des Reiches aufgestiegen. Seit einiger Zeit leitete er gar die sagenhafte Zaubererakademie Hochwärts und arbeitete gegen üppige Beraterhonorare dem Ministerium für das Ignorieren logischer Zusammenhänge bei der Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen zu. Warum aber eine Schule mehr Bedeutung und Gewicht hatte als das Ministerium selbst, und warum er als deren Direktor sich um das Wohlergehen des Reiches zu kümmern hatte, wussten allein die Götter. Oder die Autoren dieser verrückten Geschichte.

    Doch wie sollte er überhaupt eine Errettung des Landes vor dem Bösen arrangieren, wusste er doch weder, aus welcher Richtung die Gefahr drohte, noch welcher Retter strahlend genug wäre, ihr adäquat begegnen zu können? Darüber hinaus hatte der Fachkräftemangel den Arbeitsmarkt für professionelle Helden fest im Griff.

    Ohnehin hoffte Schwurbelbart inständig, ohne zusätzliches Personal auskommen zu können, schließlich war die Haushaltslage angespannt wie eh und je. Seine schwer verdienten Ministeriumshonorare zu opfern, kam gar nicht in Frage. Und Kürbismarmelade und Halloween-Bärte zu verkaufen reichte nun mal nicht aus, um ein riesiges Schloss nach den gültigen Denkmalschutzstandards zu erhalten und nebenbei auch noch ein teures Lehrerkollegium zu finanzieren, das pro Mitglied nur ein einziges Fach für eine Handvoll Schüler ein paar Stunden pro Woche unterrichtete, und obendrein auch noch freie Kost und Logis im Schloss genoss.

    Für einen funktionierenden Auslandsnachrichtendienst blieb da erst recht kein Geld übrig. Also bediente der Direktor sich nach alter Zauberertradition eines geheimnisvollen Orakels. Und er, Ambos Schwurbelbart, konnte sich brüsten, nicht nur über eines der geheimnisvollsten, sondern auch eines der besten Orakel überhaupt zu verfügen – wenn auch mit einem kleinen Haken ...

    »Hexen, Geister, Elfen, Bärte und Kürbisse, alles ist im Fluss. Und der ganze Rest eventuell auch. Das Leben, so wie ihr es kennt, wird möglicherweise zu Ende gehen, vielleicht aber auch nicht. Womöglich verändert es sich auch nur in einer Weise, die sich unter Umständen als dramatisch nachteilig für manche der Betroffenen erweist«, leierte die Stimme des Orakels, das nicht nur eines der besten und geheimnisvollsten, sondern leider auch eines der vieldeutigsten war, nebulös durch die Räume der Orakelagentur. Schwerzüngig und verwaschen verkündete es die Umstände des kommenden Unheils: »Die Dämonen, die dem inneren Kreis entsteigen, werden ... ähm, ganz schön dämonisch und zudem ziemlich ungezogen sein, und die Gifte, die sie in eure Welt speien, werden ... äh ... giftig sein. Zusammenfassend würde ich mal sagen: Eure Welt geht astrein den Bach runter. Ihr alle seid ...«

    »Ja ja ja, wir sind in Gefahr, dem Tod geweiht, bla bla bla. Das habe ich allmählich kapiert, Mann. Ich brauche mehr Details.« Ambos Schwurbelbart umkreiste ungeduldig den Ohrensessel, auf dem sein Orakel saß, allem weltlichen entrückt und, von jeder Kritik unbeeindruckt, ausdruckslos in die Luft stierend. Sein Kopf kullerte erneut zweimal von der rechten auf die linke Schulter und wieder zurück, bevor es sich zu weiteren Aussagen durchrang. »Es sind die Ringgeister, die sich gegen euch erheben werden. Die ›Naspuhl‹, die ...«

    »Die Naspuhl? Die Naspuhl sagst du? Die neun Ringgeister? ›Neun Ringe, gegeben den Menschenherrschern‹ und so weiter? Aber die gehören doch gar nicht in diese Story! Die sind doch aus ›Der Ringe ihr Herr‹ oder ›Dem Herrn sein Ring‹ oder wie das heißt.«

    »Na und?«, muckte das Orakel auf. »Wen schert das schon? Schließlich ist dies eine Parodie! Und immerhin stamme ich aus der gleichen Story wie die Ringgeister. Ich bin Labergrog, Laberthrons Sohn, genannt Streichler, der Waldläufer. Und bis ich eines Tages endlich König des Landes Gondel werden kann, verweile ich in der Rolle des geheimnisvollen Orakels als Gast in dieser Geschichte. Und wart nur ab, wer noch alles zu Besuch kommt!«

    »Jaja, ist ja schon gut, die neun Ringgeister, die Naspuhl also«, murmelte Schwurbelbart und zerbiss nervös seinen Kürbisdrops, während er den Sessel Streichlers, des Orakels, umkreiste. »Okay, nach allem was ich über die Ringgeister weiß, ist es ihnen nicht möglich, selbst hierherzukommen. Abgesehen davon, dass sie viel zu faul sind, etwas eigenhändig zu tun, fehlt ihnen die Fähigkeit, ihre Zuflucht zu verlassen und sich in unserer Welt zu bewegen, egal, ob sie auf ihren schwarzen Zossen unterwegs sind oder auf ihren geflügelten rasierten Riesendackeln. Also, Streichler: Wessen Hand werden sie sich bedienen? Wer sind ihre irdischen Paladine

    »Du wirst es nicht mehr verhindern können. Rette so viele du kannst.«

    »Blödsinn! Natürlich werden wir es verhindern können. Wir können es immer verhindern. Das ist so Tradition«, rief Schwurbelbart erbost.

    Streichlers Hände krallten sich in die staubigen Lehnen des gewaltigen Chintz-Sessels. Sein Kopf begann wieder haltlos hin und her zu pendeln. »Hüten Sie sich in Geldangelegenheiten vor Gebrauchtwagenhändlern«, murmelte er unbestimmt. »Die beste Zeit für die Liebe ist nächsten Donnerstagnachmittag zwischen der Tagesschau und dem Beginn des nachfolgenden Fußball-Länderspiels.«

    »Scheiß Horoskop«, knurrte Schwurbelbart. »Das habe ich nicht bestellt.«

    »Der Krieger Mars steht im Haus Jupiters. Doch keine Bange, liebe Astrologiefreunde, der Aszendent Rottweiler steht hinten im Garten und hält die Wacht. Er wird Mars den Pöter aufreißen.«

    »Mumpitz!«, rief Schwurbelbart. »Erzähl mir gefälligst etwas über die Naspuhl! Wofür bezahl ich dich?«

    »Und zum Schluss das Wetter: Nach Durchzug einer Gewitterfront in den Abendstunden ist das Hereinbrechen der Nacht nicht auszuschließen. Die weiteren Aussichten: leicht unbeständig.« Streichlers Augen verblassten allmählich. »Vielen Dank, dass Sie Dirk Streichlers Orakeldienst gewählt haben. Für die Nutzung des Dienstes nach 20 Uhr werden Spätzuschläge berechnet.« Streichlers Kopf sank zur Seite und kurz darauf verrieten gleichmäßige Atemzüge, dass er eingeschlafen war.

    Schwurbelbart ließ resigniert die Schultern fallen und seufzte. Er wusste, wenn Streichler erst einmal dieses Stadium fortgeschrittener Entspannung erreicht hatte, brachte ihn so schnell nichts ins Bewusstsein zurück.

    Was nun? Nervös zwirbelte der Direktor einzelne Strähnen seines lästigen Wallbartes zwischen den Fingern seiner Rechten. Mit einem letzten Blick auf das Orakel wandte er sich schließlich ab und eilte zur Tür. Es war Eile geboten. Das Beste wäre, für morgen früh sogleich den Schulrat einzuberufen und Gegenmaßnahmen zu beraten.

    Er hatte bereits die Hand auf die Türklinke gelegt, als Streichlers Stimme, diesmal ungewohnt kalt und präzise, ihn plötzlich erstarren ließ.

    »Es ist der Gelbe«, brachen sich die Worte aus Streichlers Mund Bahn. Eisig, scharf, so als seien es gar nicht seine. Er hatte sich aufgerichtet, die weit aufgerissenen Augen nach vorne gerichtet, starr, aber blicklos. Der Direktor ging langsam auf Streichler zu. Er wagte nicht, ihn anzusprechen, ihn anzurühren, oder sonst irgendwie zum Weiterreden zu bewegen, obwohl ihn die Anspannung schier die Luft anhalten ließ.

    »Ich sehe den Gelben«, wiederholte Streichler schneidend. »Er ist hierher unterwegs. Eile ist geboten! Du weißt, was du zu tun hast, Ambos Schwurbelbart. Das Land ist in Gefahr.«

    »Aber ich ...«

    »Hol den Jungen! Den Jungen ..., du weißt schon welchen. Den Jungen mit dem Blitz auf der Stirn. Und jetzt ...«, er fiel zurück in den Sessel, seine Stimme verschwamm, »jetzt, hlps, hätte ich gerne was zu trinken.«

    3

    Ambos Schwurbelbart, ausführender Direktor der Zaubererakademie Hochwärts, hob sein Frühschoppenbier vom Kneipentisch, hielt es ins diffuse Licht der staubverkrusteten Öllampen, und starrte sinnierend hindurch.

    »Dann ist es also wahr, Ambos?« Conserva McGummiball, stellvertretende Direktorin der Akademie, rückte nervös ihre Brille zurecht.

    »Ja, Conserva«, nickte Direktor Ambos Schwurbelbart, setzte sein Bierglas ab, sammelte einige verlorene Haare seines gewaltigen grauen Bartes heraus und schaute besorgt in die Runde. »Leider ist es wahr. Die guten Nachrichten, aber auch die schlechten. Es ist die Gemeinschaft der neun Übel, die sich gegen uns erhebt. Kein Leben wird vor ihnen sicher sein. Sie werden Finsternis und Verzweiflung über das Land bringen, Anwohnerparkzonen einrichten und, wenn es ganz dicke kommt, sogar die Öffnungszeiten für die Weihnachtsmärkte verkürzen und ›Gute Zeiten schlechte Zeiten‹ absetzen.«

    »Die neun Übel?«, fragte Professor Margarina Kraut, ihres Zeichens Fachhexe für magische Flora und Fauna an der magischen Akademie Hochwärts, dessen Schulrat hier an diesem sonnigen Mittag konferierte.

    »Huchnein«, machte Professor Zerberus Ziep, ein weiteres Mitglied des Schulrates, und hielt sich die Hände vors Gesicht.

    »Was waren jetzt eigentlich die guten Nachrichten?«, fragte Professor McGummiball.

    »Ähm, ich hatte gehofft, das ergäbe sich noch irgendwie.«

    McGummiball schnaubte missvergnügt. »Nun gut, belassen wir es dabei. Diese neun Übel, Ambos … Wer sind sie?«

    Alle am Tisch sahen den Direktor mit fragenden Gesichtern an. Das heißt, bei zwei Personen, die sich so weit auf ihren Stühlen zurückgelehnt hatten, dass ihre Gesichter unkenntlich im Schatten des Kneipendunkels lagen, und die ihre Teilnahme am Schulrat nur durch gelegentliches Nippen an ihren Getränken bekundeten, konnte man höchstens raten, ob ihre Gesichter gerade fragend waren. Dirk Streichler jedoch, des Direktors vielsagendes Orakel, der bisher mit auf den Armen liegendem Kopf fest geschlafen hatte, fuhr bei McGummiballs Frage hoch wie vom wilden Dämonen gebissen und starrte McGummiball mit irrlichternden Augen an. »Die Neun?«, schrie er hysterisch. »Wer die Neun sind, fragt Ihr?« Er schaute sich gehetzt um und dämpfte die Stimme. »Fürchtet Ihr euch?«, flüsterte er. »Nun, das solltet Ihr auch. Es sind die Nassguh... Nass..., nein, Naspuhl, ja, so war 's. Die Naspuhl! Einst waren sie, hlps – M...menschen, doch jetzt sind sie Geister ... Ring... Ringgeister, ähm, G-Geisterringer! Ja, Ringer. Die ringen und ringen und ... ähm, hauen Euch den Kopf zwischen den Ohren raus. Jawohl.« Er sank zurück auf die Tischplatte.

    »Huchnein«, japste Zerberus Ziep erneut. »Welch Auftritt! Wer ist dieser staubige Kerl eigentlich?« Der Professor rümpfte empfindsam die Nase.

    In der Tat war Streichler heute noch um einiges derangierter als am Vorabend, als er dem Direktor seine Weissagung über die dem Land drohenden Gefahren gemacht hatte. Er sah aus, als sei er zwischendurch weit und lange gereist, viel, viel länger, als die geringe Anzahl an Stunden, die seitdem vergangen waren, vermuten ließ, und als habe er während dieser Zeit weder Wasser und Seife noch ein Bett zu Gesicht bekommen: das schwarze Haar um mehrere Zentimeter gewachsen, lang und strähnig wie die Ohren eines Cockerspaniels, der im Regen gestanden hatte, die Bartstoppeln struppig und verkrustet, der lederne Reiseumhang an vielen Stellen eingerissen und so speckig, dass er im schummrigen Licht der staubigen Petroleumlampen glänzte. Jedes Mal, wenn er schnarchend einatmete, sog er außer rauchgeschwängerter Kneipenluft eine seiner langen Haarsträhnen mit ein und hustete im Halbschlaf.

    »Das ist Labergrog, Laberthrons Sohn«, erklärte Schwurbelbart mit gesenkter Stimme. »Er war in der vergangenen Nacht noch für mich unterwegs, um aktuelle Informationen zu sammeln.«

    »Das ist Labergrog, der Nachkomme Isoliers und Thronerbe Gondels?«, fragte McGummiball skeptisch.

    »Naja, davon ist er jedenfalls selbst felsenfest überzeugt«, sagte Schwurbelbart, »aber eigentlich ist er ein Nachkomme Klementines, der Wäscherin unten an der Ecke, und Thronerbe von Ostwestfalen. Und er ist staatlich geprüfter Waldläufer und der Betreiber des Orakelservices ›Mysteryscout24‹. Sein richtiger Name ist Dirk Streichler.«

    »Waldläufer? Sieht mir eher aus wie ein Quartalssäufer. Ist er denn überhaupt vertrauenswürdig?«

    »Unbedingt«, sagte Schwurbelbart im Brustton der Überzeugung. »Man sollte lediglich die Hand auf der Brieftasche lassen, wenn er wach ist.«

    »Na schön«, murmelte McGummiball und klang wenig überzeugt, »berichtigen Sie mich, wenn ich was Blödes sage, aber haben streng genommen nicht weder er noch die Naspuhl irgendetwas in dieser Geschichte verloren?«

    »Tja, genau das habe ich ihm gestern Abend auch gesagt. Wissen Sie, was er darauf geantwortet hat? – Dies sei doch schließlich eine Parodie, hat er gesagt, und ...«

    »Und abwarten ihr solltet, wer zu Besuch noch alles kommt«, vollendete eine röchelnde Stimme aus dem Nichts Schwurbelbarts Satz.

    »Sie sagen es, Professor Jota. So ungefähr waren seine Worte«, bestätigte der Direktor seufzend die körperlose Stimme, die ihren Quell eindeutig unter dem Kneipentisch hatte. Sodann schob sich eine zu der Stimme gehörende klauenartige grüne Hand auf den Tisch und tastete nach einem dickwandigen Glas, in dem dampfend eine glutrote, sämige Flüssigkeit schwappte. Die Klaue fand das Glas und zog es langsam über die Tischkante. Sie beförderte Schlucke der roten Flüssigkeit in einen viel zu großen grünen Kopf, von dem nur zwei fledermausartigen Ohren und ein Büschel Haare, dick wie die Fransen an einem Bucharateppich, über die Tischkante lugten. Nur wenn es sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte das koboldhafte Kerlchen mit Müh und Not über die Tischkante blicken. Ab und zu war das nötig, denn der Direktor machte sich ständig einen Spaß daraus, das Glas mit der roten Flüssigkeit außer Reichweite zu schieben, wenn der kleine Professor danach tastete.

    McGummiball sah den Direktor dann jedes Mal missbilligend über die Brillengläser hinweg an. Schließlich winkte sie nach der Kellnerin. »Roswitha, können wir nicht einen Kinderstuhl für Professor Jota bekommen?«

    »Tut mir leid, Conserva, aber die sind leider alle am Stammtisch der Hobbels in Gebrauch.«

    »Es gut sein lass, Conserva«, ertönte Professor Jotas Stimme unter dem Tisch. »Schon geholfen mir wäre, wenn unter meiner Nase dieser stinkende Müllsack seine Füße nicht parken würde. Und interessieren mich würde, mehr zu erfahren über die besagten neun Übel.«

    Mit dem stinkenden Müllsack war Streichler gemeint, der an dieser Stelle plötzlich ein Geräusch wie eine Tankersirene machte und sich schlafend eine Haarsträhne aus dem Gesicht blies.

    Schwurbelbart rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her und räusperte sich. »Nun ja, seit der Sache mit dem Ring ist er ein wenig durch Wind. Aber er ist unser einziger Informant in diesem Fall, und was er über die neun Übel herausgefunden hat, ist für uns von existenzieller Bedeutung. Es sind die Naspuhl, die neun Ringgeister aus dem Lande Mordort, ehemals Könige der Menschen, die vom Dunklen Herrscher verraten wurden. ›Ein Strick, sie zu binden und nie mehr zu finden‹ und so weiter. Diese alte Geschichte mit dem Ring, ihr wisst schon, geschmiedet vom dunklen Herrscher Saujung in den Feuern des Trübsalberges, auf den Aufgusssteinen der Welt größten Dämonensauna. Ansonsten wissen wir nicht viel über sie. Es heißt, nach der Vertreibung aus Mordort hätten sie sich in eine andere Welt geflüchtet, eine Parallelwelt zu unserer, ähnlich der der Nupsis, nur heißer, und hätten dort eine neue Schreckensherrschaft etabliert.«

    »Heißer?«

    Schwurbelbart nickte. »Viel heißer. Man sagt, dort seien selbst die Bürostühle teflonbeschichtet, damit man seinen Hintern wieder davon losbekommt. Es ist eine Welt, die die Katholiken und wir am ehesten mit der Hölle vergleichen würden. Angeblich folgt selbst die Zeit dort anderen Gesetzmäßigkeiten und vergeht unendlich langsam. Aufgrund der immensen Zeitausdehnung sind die Naspuhl zu einer Art bürokratischen Sekte verkommen und verbringen die meiste Zeit damit, sich unsinnige Verwaltungsvorschriften auszudenken. Naja, man sagt ja immer, alles Übel ginge von den Behörden aus und die Zeit vergehe dort unglaublich langsam. An genauere Informationen zu kommen ist schwierig. Man kann nur in ihre Welt hinüberwechseln, wenn man einen Termin hat, und wer die Behörden kennt, weiß, dass das fast unmöglich ist. Unser Freund Streichler ist der Einzige, dem es gelingt, heimlich hinüberzugehen und für uns zu spionieren. Er ist einer der Dunnemals, einer Magiergilde, der die Fähigkeit verliehen ist, zwischen den Welten zu wandeln. Auch ihm ist dadurch ein unnatürlich langes Leben verliehen und er kennt Saujung und die Naspuhl noch aus früheren Tagen.«

    Beim Wort ›Saujung‹ fuhr Streichler erneut aus dem Schlaf auf. »Saujung!«, rief er schrill. »Es sind die ... Nasssuhl! Nein, Schlammpfuhl, so war 's. Die Schlammpfuhl! Einst waren Sie, ähm ... Sie waren ... Oger! Ja, genau, Oger. Einst waren sie Oger und heute sind sie ... kleine grüne Schlammwesen, die in unseren Kanalisationen herumwuseln und aus den Toiletten schmutzige Lieder singen, hlps, die kleinen Teufel.« Wieder kippte er vornüber und driftete hinüber in die Schattenwelt.

    »Die Wandelei zwischen den Welten scheint ganz schön aufs zentrale Nervensystem zu schlagen«, sagte McGummiball mit Blick auf den Waldläufer und rieb sich das Kinn.

    »Ja, speziell wenn das Wetter umschlägt. Wir sollten diese alte Geschichte mit Saujung besser nicht mehr erwähnen.«

    »Daran gelegen mir wäre«, rief Professor Jota unter dem Tisch hervor. »Beim letzten Anfall seinen versifften Stiefel in die Seite gerammt er mir hat.«

    »Nun ja, das Tröstliche ist, dass die Hölle auch für die Naspuhl eine Welt ohne Wiederkehr ist. Sie können aus ihr nicht entkommen.«

    »Aber wenn sie kaum etwas tun und nicht zu uns kommen können, wo liegt dann das Problem?«

    Schwurbelbart seufzte tief. »Ach, Conserva, wenn Sie wüssten ... Unter dem Gesichtspunkt nahezu unendlicher Zeitausdehnung sind sie leider alles andere als untätig. Angefangen bei der Vertreibung aus dem Paradies bis hin zum 5:1 der Engländer gegen Deutschland beim Länderspiel 2001 in München und dem Sieg von Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest sind sie für nahezu alle Katastrophen verantwortlich, die wir aus der Geschichte kennen. Und genauso wie wir, können auch sie sich irdischer Helfer bedienen, um ihre Übel in die Welt hinauszusenden. Und gestern Abend, in einem seiner wacheren Momente«, er ruckte mit dem Kopf in Streichlers Richtung, »da hat er mir mitgeteilt ... hat mir mitgeteilt, dass ...«

    Alle am Tisch sahen Schwurbelbart erwartungsvoll an.

    »Und?«, fragte McGummiball, als er auch nach einer Minute nicht weitersprach und fortwährend aus dem blind gewordenen Kneipenfenster blickte. Jetzt zuckte er zusammen, als habe er die Anwesenheit der anderen zwischendurch völlig vergessen. Mit sorgenvoller Miene wandte er McGummiball das Gesicht zu. »Sie werden versuchen, den Unaussprechlichen zu rekrutieren.«

    Einer der beiden Anwesenden, die bisher im Dunkeln gesessen hatten, beugte sich überrascht ein wenig vor, bevor er, als sei er sich der plötzlichen Bewegung bewusst geworden, innehielt und sich rasch wieder ins Dunkel zurücksinken ließ. Nur kurz war im Licht der Petroleumdeckenlampe das sanfte Schimmern eines silbrigen Kopfschmucks sichtbar gewesen. »Faszinierend«, murmelte er interessiert.

    McGummiball hingegen war sichtlich erschrocken. »Ihn-dessen-Name-mir-gerade-nicht-einfällt? Ich dachte, er sei für immer aus unserer Welt getilgt.«

    »Leider nicht«, erwiderte Schwurbelbart. »Das ist nur, was ich die Presse damals glauben ließ.«

    »Das bedeutet ...«, begann McGummiball verstehend.

    »Ja, Conserva, ich fürchte, um damit fertig zu werden, werden wir ihn brauchen.« Schwurbelbart seufzte tief und ein wehmütiger Blick trat in seine Augen. »Wir brauchen den Jungen mit dem Blitz auf der Stirn.«

    4

    »Aber Ambos, sind Sie sicher, dass wir ausgerechnet ihn nehmen sollten?« Conserva McGummiball schien alles andere als begeistert von der Idee, einen minderjährigen Bengel mit der Errettung ihrer Welt zu betrauen.

    »Ich fürchte, uns bleibt keine andere Wahl, Conserva«, erwiderte Schwurbelbart. »Hochwärts steht vor gewaltigen Herausforderungen. Nicht nur die Akademie, nein, alles, was wir kennen, ist vom Untergang bedroht, falls wir nicht schleunigst etwas unternehmen. Und Streichlers Prophezeiung was den Jungen angeht, war unmissverständlich.«

    »Aber warum müssen wir uns um so etwas kümmern? Schließlich sind wir nur eine Schule, und wir haben ein Ministerium mit Hunderten Beamten. Warum hört man von denen nur, wenn es um Schülervergehen bei unerlaubter Zauberei geht?«

    »Weil es das Ministerium für gelegentliche unwichtige Nebenhandlungen ist und die Schule der Nabel der Welt.«

    »Aber ...« McGummiball rang die Hände und suchte offenbar fieberhaft nach Gegenargumenten. »Wenn es gegen die Naspuhl geht ...«

    Streichler schlug sein trübes Auge auf. »Nas... hlps«, hickste er. »Es sind die Nasbohr ... Stahlrohr, meine ich. Sie waren ... einst waren sie ... Schweißer! Jawohl, einst waren sie Schweißer. Ringschweißer, um genau zu sein. Und sie schweißten lange Stahldrähte zu Ringen. In den Feuern des ... hlps, Trübsalberges, wohljawohl.« Er winkte der Bedienung nach etwas zu trinken. »Hübsche Gegend, der Trübsalberg«, murmelte er und sank wieder auf den Tisch.

    »- wenn es gegen die neun Übel geht«, hob McGummiball neu an, »warum fragen wir nicht zum Beispiel Trollo Däumling, der einst schon einmal Mordort und das Lummerland von ihrer und der Bedrohung Saujungs befreite, indem er den Einen Ring im Klo runtergespült hat?«

    »Trollo Däumling? Das dürfte schwierig werden. Trollo ist damals mit meinem alten Kumpel Faselralf und einem ganzen Kahn voll scharfer Elbenschnallen nach Ibiza abgesegelt, erinnert ihr euch? Ich fürchte, wir haben nicht viel zu bieten, was Trollo dazu bewegen könnte, von dort zurückzukommen und es noch einmal mit der dunklen Seite aufzunehmen. Ich würde es an seiner Stelle auch nicht tun. Habt ihr mal gesehen, was an den Stränden der Anfurten für Bräute herumlaufen?« Der Direktor fächelte vielsagend mit der Hand und pfiff mit einem ›Huiuiuiui‹-Gesichtsausdruck durch die Zähne.

    »Nun gut, Trollo Däumling fällt also flach«, lenkte McGummiball ein. »Aber es gibt doch noch andere. Da war doch damals dieser Bengel, der praktisch im Alleingang das Erste Galaktische Imperium aus der Galaxis gekegelt hat ...«

    »Pups Windelkacker ihr meint«, ließ sich Professor Jotas Stimme vernehmen. »Eine teure Angelegenheit das werden könnte. Seit Lars Vaders zweiten Todesstern abgebrannt er hat, untergetaucht er ist, weil zu Schadensersatzzahlungen von acht Trillionen Spacemücken verdonnert er wurde und so ziemlich jeden Versicherungsagenten der ›Empire Rück‹ auf den Fersen er hat. Zurzeit angeblich als Wookiewärter im städtischen Zoo von Moos-Eistee er sich verdingt.«

    »Nun gut, der also auch nicht. Wie wär 's dann mit ...«

    »Streichlers Prophezeiung war eindeutig«, beharrte Schwurbelbart. »Abgesehen davon sehe ich auch keine Alternativen.« Der Direktor zählte an den Fingern ab. »Superman nimmt gerade an einem Austauschheldenprogramm auf Krückton teil, Warzenegger ist als König von Kalifornien mehr als genug beschäftigt, der Typ in dem fleckigen Unterhemd liegt nach einem Kollaps beim Dreh von ›Siech langsam 9 ¾‹ im künstlichen Koma, und die Volksfront von Judäa ist führungslos, seit Reg in Rente gegangen ist. Nein, ich schätze, wir kommen an dem Jungen nicht vorbei. Die Prophezeiung besagt, er allein kann Ihn-dessen-Namen-wir-fast-nie-aussprechen bezwingen. Außerdem hat er es schon einmal getan.«

    »Ich weiß nicht, Ambos ... Er war damals noch ein Baby. Kein Mensch weiß, wie er die Kiste überhaupt gedeichselt hat. Und erinnern Sie sich daran, wie erpicht wir damals alle darauf waren, den nervigen Bengel los zu werden und ihn bei seinen Verwandten abladen zu können.«

    »Ohne das Feuer man den Drachen nicht bekommt«, philosophierte Jota unter dem Tisch.

    »Was für eine doofe Metapher ist das denn schon wieder?«, schnappte McGummiball gereizt.

    »Wir brauchen ihn, Conserva! Denken Sie an die Prophezeiung! Wir müssen darauf vertrauen, dass er es schafft, wenn wir ihm all unseren Schutz und unsere Unterstützung zuteilwerden lassen.«

    Endlich gab McGummiball ihren Widerstand auf. »Jaja, die Prophezeiung«, seufzte sie. »Na schön, versuchen wir es: Wir holen den Jungen mit dem Blitz.«

    Auch von den anderen Personen am Tisch kam zustimmendes Murmeln oder Kopfnicken.

    Schwurbelbart rieb sich geschäftsmäßig die Hände. »Fein. Dann legen wir mal los. Am Besten wäre es wohl, wenn wir ihn als gewöhnlichen Schüler aufnähmen, so bliebe sein Inkognito gewahrt.«

    »Hm. Das Schuljahr beginnt bereits nächsten Montag. Das sind nur noch drei Tage. Wie sollen wir es bis dahin bewerkstelligen, ihn aufzutreiben, auszurüsten und herzubringen?«

    »Ha, alles kein Problem«, frohlockte Schwurbelbart. »Lasst mich euch kurz erzählen, wie ich mir die Sache gedacht habe ...«

    5

    Heinrich Töpfer war kein Junge, der den großen Auftritt liebte. Er stand ungern im Mittelpunkt, schwamm am liebsten in der Gruppe mit und überließ es anderen, sich in den Vordergrund zu spielen. Er war ruhig und bescheiden, und die meisten seiner Mitschüler mochten ihn so wie er war. Bei den Lehrern eckte er selten an, tat für die Schule was notwendig war, um mit seinen Leistungen weder nach unten noch nach oben herauszustechen. Die Mädchen in seiner Klasse interessierten sich recht wenig für ihn, obwohl er, der beinahe zwölfjährige Sechstklässler, ein durchaus gut aussehender Junge war, mit strubbeligen schwarzen Haaren, klugen, blaugrünen Augen und ein paar gewitzten Wangengrübchen. Wenn er wollte bekam er sogar ein ziemlich draufgängerisches, schäbiges Grinsen hin, von dem er überzeugt war, es müsse die Mädels einfach umhauen. Das klappte aber nur heimlich zu Hause vor dem Spiegel. Wenn er im richtigen Leben die Mädels derart angrinste, dachten die immer, er habe eine partielle Gesichtslähmung oder so etwas. Also überließ er auch dieses Feld leichten bis mittelschweren Herzens den anderen Paschas auf dem Pavianfelsen und lebte sein beinahe beschaulich unaufgeregtes Gymnasiastenleben. Und da sich alles so wunderbar fest gefügt hatte und er alles in allem auch einigermaßen zufrieden damit war, bestand wenig Gefahr, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde. Oder etwa doch?

    Die Situation, in der er sich gerade jetzt in diesem Augenblick befand, sah jedenfalls alles andere als nach Vermeidung von Rampenlicht aus. Im Gegenteil, er stand mittendrin! Bildlich gesprochen. Aber wäre ein Dutzend echter Filmscheinwerfer auf ihn gerichtet gewesen, sein Gesicht hätte nicht stärker glühen können als jetzt unter dem Druck der Blicke der Umstehenden. Aller Augen waren erwartungsvoll auf ihn allein gerichtet, und die pure Anspannung stand nicht nur in seinem, sondern auch in ihren Gesichtern.

    Zum Beispiel in dem des sommersprossigen Jungen mit der leicht verrutschten, feuerroten Pumucklperücke zu seiner Rechten, der ihm gerade aufmunternd zunickte; oder in dem des Mädchens mit der Löwenmähne zu seiner Linken, das offenbar gerade etwas Anfeuerndes sagen wollte, dann aber nur zwei herzhafte Nieser herausbrachte, die ihr die Haare übers Gesicht fliegen ließen; und auch aus denen der übrigen kleinen Schar von Getreuen, die sich dezent im Hintergrund hielten und begierig die Hälse reckten.

    Sie alle schauten auf Heinrich Töpfer! Denn er war der Junge mit dem Blitz auf der Stirn! Und sie warteten darauf, dass er es zu Ende brachte! – Und sie endlich in den wohlverdienten Feierabend gehen konnten.

    Stein des Anstoßes war der finstere Typ, der geradewegs vor ihnen stand, boshaft lachend lässig den Zauberstab schwang und mit dramatischer Geste seinen viel zu großen Umhang bauschte.

    »Harhar, mickriger Zauberlehrling!«, tönte drohend der halbwegs dunkle, jedoch deutlich minderjährige Lord. »Du siehst haargenauso aus wie dein Vater! Und zwar nachdem ich den Fußboden mit ihm aufgewischt habe! Und ich habe die Augen deiner Mutter. Nämlich in einem Glas Formaldehyd auf meinem Nachtkästchen!«

    Höchste Zeit für Gegenmaßnahmen, dachte Heinrich fiebrig. Sie hatten doch alles Hunderte Male durchgesprochen! Wie ging das noch? Der taktische Rückzug war nicht vorgesehen und hätte ihn auch etwas blass aussehen lassen. Außerdem hatte er sich mehr oder weniger freiwillig für diese Mission entschieden. Reichlich spät also, es sich jetzt noch anders zu überlegen. Nein, hier und jetzt musste es entschieden werden.

    »Stirb, Wicht!«, rief der Lord soeben drohend aus und stakste mit ungelenken Schritten und angriffsbereit erhobenem Zauberstab auf Heinrich zu. »Har har, ich werde auch alle frikassieren und die Reste an meinen Hausdrachen verfüttern.«

    Jetzt wurde es aber echt eng! Er musste diesem Kerl, der höhnisch lachend näher rückte, den Arm hoch erhoben, bereit, den Todesfluch zu sprechen, irgendetwas entgegensetzen! Doch ihm, dem minderjährigen Zauberlehrling mit der Schar der Schutzbefohlenen um sich herum, wollte partout nichts einfallen. Außer ... vielleicht einem Griff in die Trickkiste!

    Heinrich setzt alles auf eine Karte: »Mensch, pass auf!«, rief er dem Dunklen Lord entgegen. »Du hast da einen fetten Riss im Zauberstab! Der platzt dir ja gleich! Hier, probier lieber mal meinen.« Er reichte dem Finsterling seinen Zauberstab.

    Der Dunkle Lord stutzte. Sein mit dem Zauberstab niedersausender Arm hielt mitten in der Bewegung inne – dann griff er wie mechanisch nach Heinrichs Zauberstab und streckte ihm seinen eigenen entgegen, da ihm ein Austausch wohl fair vorkam. Doch mit einer raschen Handbewegung hatte Heinrich den Zauberstab geschnappt und reckte nun beide siegreich in die Höhe. »Ha, reingefallen«, rief er triumphierend, zerpflückte den Pappzauberstab des Lords in kleine Stücke und warf sie ihm wie Konfetti um die Ohren. »Na, was sagst du jetzt?«

    Der Lord sah sich überrumpelt. »Mein Zewa-Zauberstab«, stotterte er entsetzt.

    »Stopp, aus!«, rief eine ferne Stimme, ging aber unter im schallenden Gelächter, das sich in der Gruppe der Getreuen um Heinrich herum und in einer Anzahl in dunkle Betttücher gehüllter Unholde, die bisher stumm abseitsgestanden hatten, erhoben hatte. Der Dunkle Lord jedoch war unter seiner bleichgrünen Schminke zornesrot angelaufen, was ihm eine sehr ungesunde Gesichtsfarbe verlieh. Er stieg von seinen Dosenstelzen herunter und kickte sie erbost in die Ecke. Erst ein zweiter, diesmal megaphonverstärkter Ruf, hielt ihn davon ab, sich im nächsten Augenblick auf Heinrich zu stürzen.

    »Stopp! Aus! Aus! Aus! Schluss damit!«, dröhnte der Ruf über das Tohuwabohu hinweg.

    Allmählich verebbte das lautstarke Gewieher. Verwirrt wendeten die Schüler die Köpfe und hielten Ausschau nach dem energischen, aber sehr verzweifelt klingenden Rufer. Es war Herr Flötotto, der Leiter ihrer Theater-AG, der am Rand der Bühne stand und drauf und dran war, sich büschelweise Haare aus dem ohnehin lichten Haarkranz zu raufen.

    Was hatte der nur? Gut, es war die erste Probe nach den Sommerferien und sie waren alle noch etwas eingerostet und wenig textsicher, aber warum unterbrach er ihre Aufführung gerade jetzt, wo sie so schön in Fahrt waren? Murrend ließen die Kinder die Pappzauberstäbe sinken, zogen sich die Betttücher über die Ohren und schauten ihren Lehrer fragend an.

    Flötotto war mit der künstlerischen Tiefe des Dargebotenen offenbar überhaupt nicht einverstanden. Er strich sich mit einer nervösen Geste die verbliebenen Haare glatt und sammelte sich. »Okay«, stöhnte er, »okay, ich hätte auf meine Frau hören und lieber die Hauswirtschafts-AG übernehmen sollen. Da steht höchstens mal ein Herd in Flammen, oder eine Klasse fällt aus wegen Lebensmittelvergiftung durch Gammeldöner. Aber, nun gut, ich wollte es ja nicht anders. Das Leid gehört zum Leben eines Kulturschaffenden einfach dazu.«

    Heinrich und die anderen schauten sich achselzuckend an, während Flötotto zur Entspannung ein paar Atemübungen machte. »Nun gut«, sagte er dann. »Kommen wir zur Einzelkritik. Patrick: sehr gute Performance als Lord Voldemort in der Angriffsszene. Dramatik, Gestik, Ausdruck – alles super. Allerdings solltest du vielleicht darauf achten, dich etwas lordmäßiger auszudrücken, falls du verstehst, was ich meine.«

    »Ich finde, ich sollte Voll-der-Lord spielen«, rief einer der betttuchbewehrten Statisten dazwischen. »Ich tu das viel besser draufhaben, mit dem lordisch reden.«

    »Ja, das hört man, Marcel. Kein ›tun‹ beim reinen Infinitiv! Und es heißt Voldemort und nicht Voll-der-Lord.« Flötotto wandte sich dem Jungen mit der roten Perücke zu, der sich immer noch vereinzelte Lachtränen aus den Augen wischte. »Timo, bis zu deinem Lachanfall war das in Ordnung. Viel geistreichen Text bietet die Rolle des ›Ron‹ ja eh nicht. Und du musst aufpassen, dass dir die Perücke nicht zu weit in die Augen rutscht.«

    Timo tat zerknirscht. Er knurrte etwas von ›Scheiß Pumucklperücke‹ und kickte den roten Mopp von der Bühne. Das Mädchen mit der Löwenmähnenperücke nieste derweil laut und wühlte in den Untiefen seiner Umhangtaschen vergeblich nach einem Taschentuch. Ihre Nase war ziemlich gerötet.

    »Lisa, ich hatte zwar gesagt, deine Rolle lässt Raum für künstlerische Entfaltung«, sagte Flötotto zu ihr, »aber ich wäre dir doch dankbar, wenn du ohne die dauernde Nieserei auskommen könntest, es sei denn, du möchtest damit etwas Kreatives herüberbringen, das mir bisher entgangen ist.« Das Mädchen nieste erneut und schaute Flötotto vorwurfsvoll an. Dann feuerte sie ihre Löwenmähnenperücke der roten von Timo hinterher, nieste noch zweimal kräftig und forderte lauthals einen Allergietest.

    Flötotto reichte ihr ein Papiertaschentuch und nahm sich dann Heinrich vor. »Tja, nun zu dir, Heinrich ... ich weiß, wir interpretieren den ›Harry Potter‹ in unserer Aufführung ziemlich frei, und es ist völlig in Ordnung, dass du improvisierst, wenn du deinen Text vergessen hast, aber für linke Taschenspielertricks lässt deine Rolle wenig Raum. Du verkörperst den berühmten Jungen mit dem Blitz auf der Stirn, da muss dir schon etwas Besseres einfallen, als dem Dunklen Lord den Zauberstab zu klauen! Emotion, Ausdruck, Drama, das ist es, was ich von dir erwarte! Es kommt gerade zum entscheidenden Kampf zwischen dir und dem Dunklen Lord. Er steht kurz davor, den Todesfluch auszusprechen. Die Narbe auf deiner Stirn bringt dich vor Schmerz fast um den Verstand. Das muss man deinem Gesicht auch ansehen! Wir haben dich für die Hauptrolle ausgesucht, weil das mit deinem Namen so schön passt, aber es gehört schon ein wenig mehr dazu, um der Junge mit dem Blitz auf der Stirn zu sein.«

    Flötotto sah Heinrich nachdenklich an, als zweifle er, das Notwendige noch irgendwann aus ihm herausholen zu können, und als würde er gleich zu ihm sagen ›Ich habe heute leider kein Foto für dich‹.

    »Vielleicht sollten wir in Erwägung ziehen, dich für eine andere Rolle zu besetzen«, sagte er stattdessen. »Die des ›Ron‹ zum Beispiel. Du könntest mit Timo die Rollen tauschen, was hältst du davon?«

    Heinrich tauschte einen Blick mit Timo, der feixend auf den Pumucklmopp deutete, der neben der zottigen Hermineperücke in der Ecke lag. Heinrich sagte nichts, aber der Vorschlag behagte ihm nicht.

    6

    »Tut mir leid, die Sache mit deinem Zauberstab«, sagte Heinrich. Er stand im Waschraum der Sporthalle vor dem Spiegel und versuchte, sich den in mühevoller Handarbeit aufgeschminkten Blitz von der Stirn zu rubbeln.

    Ein Waschbecken weiter stand Patrick Lennert, der Darsteller des Dunklen Lords, und wusch sich unter verschwenderischem Wassereinsatz die bleiche Theaterschminke herunter. Der kleine Streit auf der Bühne war längst vergessen.

    »Schwamm drüber«, gurgelte er. »Diese Küchenpapierrollen bringen 's sowieso nicht. Ich glaube, ich versuch's bei der nächsten Probe mal mit einem Zeichenpinsel oder, noch besser, mit einem Hammerstiel, der knickt wenigstens nicht gleich um, wenn man ihn einem über die Rübe zieht.«

    Timo Koll betrat lachend den Waschraum. »›Du hast da einen Riss im Zauberstab!‹«, wieherte er und patschte Heinrich im Überschwang auf den Rücken. »Das war echt geil, Mann. Ich dachte, Flötotto setzt gleich das Herz aus.«

    »Flötotto ist ein Idiot.«

    »Flötotto ist schon in Ordnung. Er ist nur etwas kunstversessen.«

    »Wenn er das, was er da mit uns zusammenschauspielert, für Kunst hält, kann er nur ein Idiot sein.«

    »Flötotto kann nichts dafür, dass er keine besseren Darsteller für seine Projekte findet«, gab Heinrich zu bedenken.

    »Okay, einigen wir uns darauf, dass er eine Kulturmeise hat.«

    Timo trat an ein freies Waschbecken, quetschte sich einen Klecks Haargel aus einer dunkelbauen Tube und begann, seine perückengeschädigte Frisur wieder auf Vordermann zu bringen. »Schade, dass du die Hauptrolle los bist, Heinrich. Ich finde, du hast es irgendwie immer geschafft, ihr so etwas Frisches, Unverbrauchtes abzugewinnen.« Timo traf Flötottos gelehrigen Tonfall exakt. Patrick und einige der übrigen Anwesenden lachten schallend.

    Schade? Diese Theater-AG war eine selten dämliche Idee gewesen, dachte Heinrich im Stillen. Und dann auch noch ausgerechnet die Hauptrolle! Ehrlicherweise musste er sich eingestehen, dass Flötotto völlig Recht hatte. Es war ihm schon immer schwergefallen, sich in andere Rollen hineinzufinden, sich glaubhaft zu verstellen oder jemanden zu verkörpern, der er einfach nicht war. Von der ungeliebten Aufmerksamkeit, die man zwangsläufig erhielt, wenn man eine Hauptrolle spielte, mal ganz abgesehen. Und wie hatte Flötotto gesagt? Es gehört etwas mehr dazu, der Junge mit dem Blitz auf der Stirn zu sein.

    »Tja, vielleicht bin ich mit einer anderen Rolle wirklich besser dran«, sagte er aus diesem Gedanken heraus und verstärkte die Rubbelei auf seiner Stirn, »aber die mit dieser bescheuerten Pumucklperücke muss es nicht unbedingt sein. Und seien wir mal ehrlich: Ron ist eine Lusche.«

    »Immerhin kriegt er im Buch am Ende das Mädchen,« gab Patrick zu Bedenken und kratzte sich einen Schminkerest vom Haaransatz. »Welche Rolle wäre dir denn lieber?«,

    »Ich weiß nicht, vielleicht einer der Geister. Mit dem Betttuch über dem Kopf fällt wenigstens niemandem auf, wenn du kein freundliches Gesicht machst.«

    »Abgesehen von der Perücke ist die Ron-Rolle gar nicht schlecht«, meinte Timo. »Man hat dadurch leichter mal Gelegenheit, in Lisas Nähe zu kommen.«

    Heinrich grinste etwas gezwungen. Lisa, die Hermine-Darstellerin, war eines der hübschesten Mädchen in der Theatergruppe. Für Heinrich war jedoch genau das ein weiterer Grund, sich insgeheim eine Nebenrolle zu wünschen. Lisa irritierte ihn irgendwie. Früher war es einfacher gewesen, da hatte er Mädchen einfach nur doof gefunden, doch mittlerweile bekam dieses einfache Weltbild deutliche Risse, er begann es mit anderen Augen zu sehen und manchmal ertappte er sich bei dem Gedanken, sein Leben könne allmählich ein wenig mehr Glamour vertragen. Und doch oder gerade deswegen machten Mädchen wie Lisa ihn unsicher und nervös. Angesprochen auf dieses Thema pflegte sein Vater stets recht unpräzise zu werden und wenig hilfreiche Sätze abzusondern, wie ›das kriegst du schon noch früh genug raus‹ oder ›damit hast du noch ein wenig Zeit‹.

    Patrick trocknete sich das Gesicht ab und packte sein Waschzeug zusammen. »Ich muss los, Jungs, meine Mum holt mich ab. Wie sieht's mit morgen aus? Schafft ihr es bis drei? Nils und Luka kommen auch.«

    »Mein Vater bringt mich gegen halb vier«, sagte Timo. »Hoffentlich kommt der nicht dahinter, dass wir eine Counterstrike-Party aufziehen. Er denkt, es geht um eine Hausaufgaben-AG.«

    »Hab ich meinem Vater auch erzählt«, sagte Heinrich.

    »Von mir wird es keiner erfahren«, grinste Patrick. »Na denn, bis morgen, Jungs.« Er schulterte seine Sporttasche und verließ den Waschraum.

    Timo prüfte mit kritischem Blick sein Spiegelbild. »Ich denke, so passt das einigermaßen. Was ist mit dir? Kommst du klar?«

    »Einigermaßen.« Heinrich rubbelte noch immer an seiner Stirn, die inzwischen knallrot geworden war. »Ich krieg diesen verdammten Blitz nicht ab. Blöde Schminke! Hartnäckig wie ein Tattoo.«

    »Kussechter Lippenstift, was?«

    »Sehr witzig. Naja, künftig wirst du derjenige sein, der sich die Birne bemalen darf. Ich bin jedenfalls durch mit dem Jungen mit dem Blitz auf der Stirn.«

    7

    Gleichzeitig, jedoch ein paar Millionen Meilen weiter, an einem Ort, wo Raum und Zeit gänzlich anderen Gesetzen folgten und wo die Feuer der Hölle heißer brannten als die Fritteusen bei Kentucky Fried Chicken, schickte sich soeben ein Mann namens Alfred Poloser an, die Welt zu erobern. Im eigentlichen Sinne war Alfred Poloser allerdings gar kein Mann. Genau genommen war er nicht einmal ein Mensch. Nein, Alfred Poloser war ein Diener. Kein gewöhnlicher Diener, versteht sich. Alfred Poloser war Dämon auf Probe und ein Diener der Finsternis. Und Alfred Poloser trug sich mit großen Plänen. Er wollte nicht sein ganzes untotes Leben lang Dämon auf Probe bleiben. Er wollte mitmischen im Konzert der Diplom-Dämonen, Pferdefüßigen und Gehörnten und dazu musste etwas Großes, etwas Überzeugendes her. Und so war das ›Welt erobern‹ durchaus wörtlich zu nehmen, denn mit nichts Geringerem befasste sich der Plan, den er in Händen – oder vielmehr: Hufen – hielt. Gerade eben erst hatte ihm dieser neue Bürobote, ein Typ, der zwar ziemlich abgewohnt und übernächtigt aber andererseits seltsam unhöllisch ausgesehen hatte, den druckfrischen Ordner aus der Druckerei gebracht.

    Doch verwirklichen konnte er den Plan nicht allein. Dazu war er ein viel zu kleines Tier. Es galt, die Kollegen von der Abteilung ›Praktische Tyrannisierung‹ von der Umsetzbarkeit des Plans zu überzeugen und sich ihre Unterstützung zu sichern, dann stünde der Karriere nichts mehr im Wege.

    Poloser warf einen prüfenden Blick in den Spiegel aus poliertem Edelstahl neben seiner Bürotür, übte ein paar Grimassen und schnippte sich ein imaginäres Staubkorn vom rechten Hornansatz seiner noch giftgrünen Hörner. Er war nervös. Zu viel hing ab vom Gelingen dieses Plans. Sein Blick fiel auf den Kalender, der neben dem Spiegel hing: ›Dr. Liebermanns Beliebte-Bösewichte-Schurkenkalender‹. Das Gesicht des Schurken der Woche blickte ihm bemüht ernst, mit gerunzelter Stirn und albern geschürzten Lippen entgegen. ›George W. Bush, 43. Präsident der Vereinigten Staaten‹, war unter dem Bild zu lesen. ›Aufgenommen in Dr. Liebermanns Beliebte-Bösewichte-Schurkenkalender auf Vorschlag der weltlichen Rüstungsindustrie nach der gelungenen und unmerklichen Abschaffung mehrerer Freiheits- und Bürgerrechte in der Welt der Menschen. Gilt als Erfinder der Achse des Blöden und der scheindemokratischen Regierung ohne Wählermehrheit.‹ Poloser seufzte. Der Typ hatte es geschafft. Ob es ihm auch gelingen würde, irgendwann einmal in diesen Kalender aufgenommen zu werden? Er rang die Zweifel nieder, atmete noch einmal tief durch, nickte dem Schurken der Woche und seinem Spiegelbild entschlossen zu und verließ das Büro – nicht ohne zuvor die lodernde Esse in seiner Büroecke etwas kleiner gedreht zu haben. Kein Grund, Energie zu verschwenden, solange er nicht im Büro war. Die armen Teufel in der Abteilung Fegefeuer hatten auch so genug zu tun.

    8

    Dämonenanwärter Alfred Poloser biss sich auf die Unterlippe und beherrschte sich mühsam, während sein Gegenüber mit affektiert überlegenem Grinsen im Gesicht seinen Vermerk las. Abgesehen von Hörnern und Hufen sah der Kerl eigentlich nicht besonders dämonisch aus, eher bieder, wie ein gewöhnlicher Bürohengst. Ein bisschen grobschlächtig vielleicht, groß und breit, mit einem dicken Schmerbauch und tiefen Falten auf der haarlosen Stirn, aus der die beiden prächtigen Hörner hervorwuchsen. Mit dem rechten Huf trommelte er gelangweilt ein Requiem auf die Schreibtischplatte, während seine Augen über die Zeilen huschten. Insgeheim wünschte Poloser den Kerl zur Hölle, was völlig überflüssig war, denn sie waren ja ohnehin schon dort.

    »Tjaaaa«, sagte der Kerl schließlich gedehnt, »ich fürchte, Sie sind hier völlig falsch, werter Kollege. Das hier«, er wedelte mit dem Blatt Papier in seinem Huf, »ist ein Fall von Finsternis und Verderben, und dafür bin ich absolut nicht zuständig. ›Finsternis und Verderben‹ sind schräg gegenüber. Sie sind hier bei ›Chaos und Zerstörung‹.«

    »Ich weiß, Herr Dr. Schmelzer, aber ...«

    »Hören Sie, Herr ...?«, unterbrach Dr. Schmelzer.

    »Poloser. Alfred Poloser, Projektbüro.«

    »Ach ja, richtig. Projektbüro«, schnaubte Dr. Schmelzer verächtlich, worauf ihm ein paar glühende Funken aus den Nüstern stoben. Das Blatt mit Polosers Vermerk begann leicht zu kokeln. »Oh, Verzeihung«, murmelte Schmelzer und versuchte die Flämmchen mit feurigem Atem auszupusten, worauf das Blatt erst richtig in Brand geriet. Er warf das Papier in ein großes, mit siedendem Öl gefülltes Goldfischglas. Einige kross frittierte Fischlein schwammen darin herum. »Sie sollten sich aus dem Materiallager das asbestbeschichtete Papier besorgen, das bewahrt Sie künftig vor solchen Missgeschicken,« sagte Schmelzer und fischte die vom Öl tropfenden Reste von Polosers Vermerk aus dem Glas.

    Poloser schnappte nach Luft. War es etwa sein Fehler gewesen, dass der Vermerk jetzt aussah wie ein Bogen Backpapier, auf dem soeben die einhundertste Pizza aufgebacken worden war? Dieser Kerl konnte einen wahrlich zur Weißglut bringen. Für einen voll ausgebildeten Profidämon gehörte gerade das natürlich auch zum kleinen Leuteschinden-Einmaleins. Egal. Poloser sparte sich eine Erwiderung und beschränkte sich darauf, höflich in den Huf zu husten, als ihm ein schwefliger Schwall von Schmelzers heißem Atem in die Nase stieg. Verflixt, er hatte es immer noch nicht richtig drauf, ohne Sauerstoff zu atmen.

    »Na schön, Poloser«, hob Dr. Schmelzer neu an und glättete beiläufig die frittierten Papierreste. »Auch wenn wir bisher noch nie das Vergnügen miteinander hatten, bin ich sicher, haben Sie bereits von mir gehört -«

    Oh ja, gehört hatte Poloser allerdings einiges über Herrn Oberzerstörungsrat Dr. Schmelzer. Die besten Jahre lagen lange hinter ihm und er bereitete sich offenbar innerlich schon auf den Ruhestand vor. Ein echter Projektverhinderer, der immer der Erste in der Reihe war, wenn es in der Kantine Rippchen gab (vom frisch aufgebrochenen Kadaver), aber dafür kaum aufzufinden, wenn es um das tägliche Schreckensherrschaftshandwerk ging. Mit Sicherheit würde er als Nächstes versichern, wie gerne er doch helfen würde und dann, warum ihm das nicht möglich war.

    »- und ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, aber ...«

    Poloser seufzte. Als unterster Diener des Fürsten der Finsternis hatte man es wahrlich nicht leicht.

    Oberzerstörungsrat Schmelzer las nochmals den Text des Vermerkes in seinen Hufen durch. »Ziemlich große Nummer, die Sie da vorhaben, was? Etwas in der Größenordnung hatten wir seit der Sintflut nicht mehr. Naja, vielleicht noch die Pest damals, aber das war ein regional eng begrenztes Projekt. Im Wesentlichen gerade mal ein Kontinent.« Schließlich schüttelte er den Kopf und reichte Poloser das verschmierte Blatt zurück. »Klare Sache, Poloser: eindeutig eine Angelegenheit von Finsternis und Verderben. Ich kenn mich da aus. Und selbst Sie werden verstehen, dass ich den Kollegen da nicht einfach in die Zuständigkeiten pfuschen kann. Chaos und Zerstörung sind eine völlig andere Geschäftsgrundlage.«

    Alfred Poloser ergriff das ihm dargereichte Blatt nicht. So schnell durfte er nicht aufgeben. Dieses Projekt war sein großer Plan. Gut, wenn die Sache ein Erfolg werden sollte, würde sich die Lorbeeren dafür zweifellos jemand anders anstecken, jemand wie Dr. Schmelzer, er selbst war einfach noch ein zu kleines Licht, aber je größer das Projekt, desto mehr Lorbeeren gab es zu ernten, und falls er eine Teilprojektleitung bekam und seine Sache gut machte, könnte er am Ende wenigstens seinen Probestatus loswerden und vielleicht sogar befördert werden. Das hatte auch sein Chef, Direktor Hirnbrenner gesagt. ›Poloser‹, hatte er gesagt, ›Poloser, wenn Sie eine Teilprojektleitung bekommen und Ihre Sache gut machen, können Sie am Ende Ihren Probestatus loswerden und vielleicht sogar befördert werden.‹ Und wenn es um eine Beförderung ging, durfte man nicht zimperlich sein, selbst wenn der Preis dafür die Knechtschaft einer ganzen Welt war. Es war ja schließlich nicht seine Welt.

    9

    »Morgen, Heinrich! Warm, was?«

    »Kann man wohl sagen,« schnaufte Heinrich und setzte sich auf einen der Hocker an der Esstheke, an der sein Vater ohne aufzublicken damit fortfuhr, einen Berg Tomaten, Zwiebeln, Paprika und allerlei Grünzeug zu einem bunten Salat zu schnippeln. »Dürfte ich schon Bier trinken, würde ich jetzt eins wollen.«

    »Gute Idee«, grinste Heinrichs Vater, setzte seine Bierflasche an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. »Aaaah«, machte er zungeschnalzend, als wolle er seinem Sohn unmissverständlich klarmachen, dass ein kühles Bier, genossen an einem heißen Augusttag wie heute, ein keinesfalls zu überbietender Genuss war, und welch riesige Entbehrung es für seinen Sohn sei, dass ihm dieser Genuss noch über Jahre hinweg verwehrt bleiben würde.

    »Sadist«, murrte Heinrich, nahm sich ein Malzbier aus dem Kühlschrank, öffnete es mit einem herumliegenden Flaschenöffner,

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