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Am Nelsonstrom: Indianerroman
Am Nelsonstrom: Indianerroman
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eBook355 Seiten4 Stunden

Am Nelsonstrom: Indianerroman

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Über dieses E-Book

Mit sengender Glut brannte die Sonne auf die Tausende von Geviertmeilen von Muskeg hernieder, der sich mit geringen Unterbrechungen nördlich und südlich des Nelsonstromes weit in das Land hinein dehnte, und lag in blendendem Widerschein auf den grauen, schlammigen Wassern, die sich träge der Hudsonbai zuwälzten ...

Coverbild: © Red monkey / Shutterstock.com

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Apr. 2019
ISBN9783730915356
Am Nelsonstrom: Indianerroman

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    Buchvorschau

    Am Nelsonstrom - Emil Droonberg

    Zum Buch + 1. Die Fußspur auf der Klippe

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    Am Nelsonstrom

    Emil Droonberg

    Coverbild: © Red monkey / Shutterstock.com

    1. Die Fußspur auf der Klippe

    Mit sengender Glut brannte die Sonne auf die Tausende von Geviertmeilen von Muskeg hernieder, der sich mit geringen Unterbrechungen nördlich und südlich des Nelsonstromes weit in das Land hinein dehnte, und lag in blendendem Widerschein auf den grauen, schlammigen Wassern, die sich träge der Hudsonbai zuwälzten.

    Ich saß auf einem breiten Streifen festen Sandes, der hier das Nordufer des Stromes bildete, und beobachtete müßig meinen Gefährten, einen alten Siouxindianer, der nur wenige Schritte von mir entfernt auf einem über das Wasser hinausragenden Baumstumpfe hockte, beschäftigt, einige Fische für unsere Abendmahlzeit zu angeln. Der Hauptteil meiner Aufmerksamkeit war aber in Anspruch genommen durch die Abwehr der Moskitoschwärme, die wie dicke braune Wolken höllischen Unheils die Luft erfüllten.

    Sie sind der Fluch des kanadischen Nordens und Alaskas, diese Moskitos. Und leider trägt auch der Umstand, dass man die unausgesetzten und unerhörten Quälereien nur durch das schönere Geschlecht dieser Ausgeburt der Hölle erleidet, nicht das Geringste zu ihrer Milderung bei.

    Der männliche Moskito ist ein völlig harmloses Geschöpf, das nur Nektar und Ambrosia aus den Blumen saugt, sich aber im Übrigen ausschließlich um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Seine bessere Hälfte zeigt aber blutsaugerische Amazoneninstinkte von dämonischer Verruchtheit.

    Das Seltsamste dabei ist, dass diese Quälgeister nicht etwa nur eine Plage der tropischen Länder sind, wie vielfach angenommen wird, sondern dass sie im Gegenteil noch viel schlimmer in den kalten und kältesten Zonen auftreten.

    In Sibirien wie in Kanada und Alaska kommen sie zum Vorschein, sobald der Schnee weggetaut ist. Dann brütet die Tundra mit ihren Sümpfen solch unglaubliche Massen von ihnen aus, dass sie die Luft wie Rauchschwaden füllen und Rentiere, Pferde, Schlittenhunde und oft genug auch die Menschen buchstäblich zu Tode peinigen.

    In Alaska versuchen die meisten Tiere das Waldes ihnen dadurch zu entfliehen, dass sie, wie zum Beispiel die Herden Hunderttausender von Karibus, immer gegen den Wind ziehen, gleichviel wohin, oder dass sie immer weiter nach Norden, bis an die Schneegrenze, abwandern. Aber auch das hilft meist nicht sehr viel, denn der unerbittliche Feind folgt ihnen bis auf die höchsten Berge und dort bis über die Vegetationslinie hinauf. Die Moskitos töten Wapitis und Hirsche, indem sie über diese unglücklichen Geschöpfe in solchen Massen herfallen, dass sie ihre Körper leer saugen von Blut. Bären werden rasend vor Qual, erblinden unter den Stichen ins Auge, verkriechen sich bis zur Nasenspitze im Schlamme der Sümpfe und verhungern dort oft lieber, als dass sie es wagen, herauszukommen. Tiere, die der Quälerei nicht erliegen, zeigen ein von dem eingedrungenen Gifte völlig verfärbtes Fleisch, und selbst das Mark in den Knochen ist in Blut und Wasser zersetzt. Männer, die unter keiner Entbehrung, keiner Anstrengung und keiner Erschöpfung zusammengebrochen wären, findet man oft unter der unausgesetzten, Tag und Nacht währenden Qual mit ihren Nerven so weit fertig, dass sie weinen vor hilfloser Wut.

    Die Idylle, die dieser Sommernachmittag, den wir hier in voller Muße am Ufer des gewaltigen Stromes verbrachten, für uns hätte sein können, war also nicht ganz ohne Beeinträchtigung.

    Mein indianischer Gefährte schenkte der Moskitoplage übrigens viel weniger Beachtung. Das konnte er um so eher, als die Indianer darunter zwar ebenfalls zu leiden haben, aber doch nicht in dem Grade wie die Weißen. Vielleicht sind sie durch die dauernde Aufnahme des Moskitogiftes in ihr Blut bis zu einem gewissen Grade gegen die Moskitostiche immun geworden.

    Wir waren vor zwei Tagen nach einer mehr als dreiwöchigen Kanureise von Winnipeg über den langen Winnipegsee und das sich an diesen anschließende System von Wasserläufen hier eingetroffen. Ich hatte die Reise im Auftrage des Chefredakteurs der ‚Daily News‘ unternommen. Von The Pas, im nördlichen Manitoba, nach Port Nelson, an der Mündung des gleichnamigen Stromes in die Hudsonbai, wurde nämlich eine Bahn gebaut, und die Partei, der das Blatt gehörte und die zu der augenblicklichen Regierung in Opposition stand, glaubte Gründe zu der Annahme zu haben, dass diese oder doch eine Gruppe von ihr nahestehenden Politikern die günstige Gelegenheit zu einem umfangreichen ‚Graft‘ benutzt hatten. Der Chefredakteur hatte mir daher den Vorschlag gemacht, nach Port Nelson zu reisen, die Zweckmäßigkeit des ganzen Projektes an Ort und Stelle zu prüfen und eine Reihe von Artikeln darüber zu schreiben. Er hielt es für ratsam, eine politisch ganz und gar unbescholtene Person, wie mich, mit dieser Aufgabe zu betrauen, damit diese Berichte nicht von vornherein als parteipolitisch voreingenommen verdächtigt werden konnten. Trotzdem schien er überzeugt, dass seine Partei ausnahmsweise diesmal auch bei einer solchen Art von Berichterstattung auf ihre Kosten kommen würde. Und in der Tat mussten einige seltsame Umstände, auf die er mich im Einzelnen aufmerksam machte, wenn sie sich bewahrheiteten, den Bau der neuen Linie in einem recht merkwürdigen Lichte erscheinen lassen.

    Mein Gefährte, der Sioux, war ein alter Bekannter von mir. Er war der Häuptling der Touchwood Hills Reservation in der Provinz Saskatchewan und trug den etwas sonderbaren Namen Dead Body, also ‚Leichnam‘, den er einem Ereignis aus dem letzten Indianeraufstande im Jahre 1885 verdankte. Das Indianische Amt in Ottawa hatte ihm durch den Agenten, dessen Aufsicht seine Reservation unterstand, mitteilen lassen, dass er und sein Stamm die Touchwoodberge verlassen müssten. Man sei aber bereit, ihnen ein gleich großes Stück Land an der Hudsonbai anzuweisen, über dessen genaue Lage man Vorschläge von ihnen in Erwägung ziehen würde. Einen bestimmten Grund für diese Maßnahme hatte man ihm nicht genannt; es war ihm aber bekannt, dass die umwohnenden Farmer die Regierung schon seit langer Zeit drängten, das Land, das sie als Weide für ihr Vieh benötigten, freizumachen.

    Da die Sioux nicht zu den Vertragsindianern gehören, sondern erst im Jahre 1876 nach dem blutigen Gefecht gegen die amerikanischen Truppen unter General Custer am Little-Big-Horn-Flusse als Flüchtlinge aus den Vereinigten Staaten nach Kanada gekommen waren, hat sie die kanadische Regierung immer nur im Lande geduldet und niemals irgendwelche Verpflichtungen gegen sie anerkannt. Es blieb Dead Body daher auch nichts anderes übrig, als sich der Entscheidung zu fügen, denn sie ergab sich aus dem Umstande, dass die Farmer bei der Wahl Stimmen abzugeben hatten, er und sein Stamm aber nicht.

    Ich hatte ihn zufällig auf dem Indianischen Amte in Winnipeg getroffen, wohin ich gegangen war, um vor meiner Abreise einige Karten einzusehen. Da er eine Reise nach der gleichen Gegend vorhatte, beschlossen wir sofort, sie zusammen zu unternehmen.

    Wie alt Dead Body eigentlich war, habe ich niemals ganz genau feststellen können, denn darüber war er sich selbst im Unklaren. Er berechnete sein Leben nicht nach Jahren, sondern nach den bedeutsameren geschichtlichen und sonstigen Ereignissen, die er miterlebt hatte. Danach musste er sich jetzt etwa in der Mitte der Siebzig befinden. Seine Kleidung war die übliche der Indianer, die in Kanada auch heute noch vielfach von ihnen getragen wird. Sie bestand aus engen, hirschledernen Beinkleidern mit breiten blauen Streifen an den Seiten, ebensolchen Mokassins, blaugestreiftem baumwollenem Hemd und grauem Filzhut mit breitem flachem Rande. Das lange und nur ganz wenig ergraute Haar fiel in zwei Zöpfen über seine Schultern herab.

    Es lag eine gewisse Tragik in seiner Erscheinung, hervorgerufen oder doch zumindest auffälliger gemacht durch die Unbeweglichkeit der wie aus Erz gegossenen Züge seines kupferbraunen faltigen Gesichts und den fast stets in die Ferne gerichteten Blick seiner dunklen Augen, der nach dem Lande zu suchen schien, das die in die Wildnis vordringende Zivilisation seinem Volke geraubt hatte. Er war ein völlig einsamer Mann, und die letzte Überlebende seines Geschlechts, seine Enkelin Minnehaha, befand sich als Nonne im Kloster zu Lebret.

    Außerdem gehörte noch ein Halbblut zu uns, das ich in Selkirk als Guide angeworben hatte. Über seine Eignung dazu konnte ich mich freilich nur auf die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Angaben stützen, und schon in den ersten Tagen unserer Reise fand ich Veranlassung, in diese einige Zweifel zu setzen. Augenblicklich weilte er in unserem Lager, das wir eine halbe englische Meile stromabwärts in einer Waldlichtung aufgeschlagen hatten, wo er mit den mannigfachen Lagerarbeiten beschäftigt war.

    „Dein Stamm wird einen guten Tausch machen, wenn er hier eine Reserve erhält, bemerkte ich zu meinem Gefährten in der Siouxsprache, die ich ziemlich gut beherrschte. „Der Boden ist vorzüglich hier. Und hast du die vielen Tierspuren gesehen?

    „Meine Augen waren offen und haben gesehen, was mein weißer Bruder gesehen hat", erwiderte er.

    „Das gibt also gute Aussicht für das Trappen im Winter, während in den Touchwood Hills, wie du mir oft geklagt hast, die weißen Farmer alles leer getrappt haben."

    Eine Antwort erhielt ich nicht sogleich, denn in diesem Augenblick erfolgte ein heftiger Ruck an der Angelschnur, die er eiligst einzuholen begann. Ein Hecht von wenigstens drei Pfund erschien zappelnd über dem Wasser. Er tötete ihn, indem er den Kopf des Fisches gegen einen Baumstamm schlug, und warf ihn dann mit einem gutberechneten Wurfe zu zwei anderen von nahezu gleicher Größe, die er bereits gefangen hatte und die zum Schutze gegen die Moskitos und Fliegen an einer schattigen, durch ein paar Steine abgegrenzten Stelle im Wasser lagen.

    „Hast du gesehen, von wie vielen Bäumen die Rinde dicht über dem Boden abgenagt ist?, nahm ich das Gespräch wieder auf. „Es muss also eine Menge wilder Kaninchen hier geben. Und wo die sind, gibt’s Marder und Wölfe und Luchse. Da liegen auch Bärentrauben, obgleich kein Strauch in der Nähe ist. Die kann nur ein Bär hierher verschleppt haben. Dort ist übrigens seine Fährte in den Sand eingedrückt: der breite Fuß mit den fünf Zehen. Der Kerl ist jedenfalls auf den Baum geklettert, auf dem du sitzt, denn die Rinde ist zernagt.

    „Mein weißer Bruder hat ein scharfes Auge, entgegnete Dead Body etwas spöttisch über meinen Hinweis auf so augenfällige Dinge, „wenn er noch etwas genauer beobachtet hätte, müsste er auch die Nerz- und Waschbärenfährten bemerkt haben.

    „Ich sehe eine Waschbärenspur, versetzte ich, nachdem ich mit meinen Augen der Richtung seiner Blicke gefolgt war und die betreffende Stelle des Ufers ein Weilchen betrachtet hatte. „Sie ist bereits eingetrocknet, aber doch deutlich. Das Tier ist in der vergangenen Nacht hier gewesen und hat Hummer oder Krebse geangelt.

    Der Indianer hatte seine Angelschnur längst wieder in Ordnung gebracht und ausgeworfen. Er blickte jetzt noch einmal auf die Fährte, als ob er meine letzte Bemerkung nachprüfen wollte. Ich begann sie daher zu begründen:

    „Du weißt, dass der Waschbär die Eigenschaften der Tiere, die auf den Zehen laufen wie die Katze, mit denen der anderen, die auf den Sohlen gehen wie der Bär, verbindet. Wenn der Waschbär steht oder langsam geht, setzt er seine Füße mit der ganzen Sohle auf den Boden. Wenn er aber schnell läuft, berührt er den Boden nur mit den Zehenspitzen. Hier ist die ganze Sohle zu sehen. Das beweist, dass er mindestens langsam gegangen ist. Da der Eindruck aber sehr deutlich ist, so kann man annehmen, dass er längere Zeit unbeweglich auf derselben Stelle gestanden hat. Aus der Richtung der Spur geht außerdem hervor, dass sein Rücken dabei dem Wasser zugekehrt war. Zu der Zeit, wo er sich hier befand, wird es dicht bis an die Spur herangereicht haben. Zu welchem anderen Zwecke würde er sich aber wohl längere Zeit unbeweglich mit dem Rücken gegen das Wasser stellen, als um zu angeln? Es gelingt nicht oft, einen Waschbär dabei zu beobachten. Einmal hatte ich aber doch dazu Gelegenheit. Es war am Rande einer Lagune. Dort sah ich einen Waschbär, der seinen Schwanz in das Wasser hängen ließ. Krabben und Hummer waren in der Lagune genug vorhanden, das wusste ich. Sonst hätte er die Stelle wohl kaum gewählt. So dauerte es denn auch gar nicht lange, bis sich eine große Krabbe in dem Schwanze festgekniffen hatte. Als er das merkte, sprang er mit einem Satze auf, schleppte sie hinter sich, vielleicht vier oder fünf Schritte vom Wasser fort, und als sie dann ihren Halt fahren ließ und eiligst wieder nach dem Wasser zurückflüchten wollte, hatte er sie auch schon in seinem Maul, und zwar so geschickt, dass sie ihm mit ihren Scheren nichts anhaben konnte. Übrigens liegt dort auch ein Stück Krabbenschale. Das wird ein Rest der Mahlzeit sein, die er sich geholt hat."

    Die Stille um uns wurde plötzlich von einem der nahen Uferfelsen herab durch den Ruf einer Spottdrossel unterbrochen. Fast im gleichen Augenblicke flog ein Tannenzapfen dicht an meinem Kopfe vorüber.

    Ein kurzes helles Lachen folgte dem Wurfe.

    Überrascht sprang ich auf und blickte nach der Richtung, aus welcher der Tannenzapfen gekommen war, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die Büsche auf der Felsenklippe hinter einer menschlichen Gestalt schlossen.

    Ich blickte auf Dead Body und sah, wie er seine Angelschnur einzuziehen begann.

    „Komm!, rief ich. „Wir sind offenbar hier belauscht worden und müssen sehen, wer es war. Die Sache sieht zwar nur aus wie ein Scherz, aber ich dachte, wir befinden uns hier in einer ganz menschenleeren Gegend. Wenn wir aber doch Nachbarn haben, so möchte ich ihre Bekanntschaft machen.

    Wir schritten nach der Klippe, von der herab das Lachen erklungen war, umgingen diese aber erst am Fuße in entgegengesetzten Richtungen, bevor wir sie erstiegen, um nach möglichen Spuren Ausschau zu halten. Das blieb aber vergeblich. Der unbekannte Beobachter hatte keine besonderen Schwierigkeiten gehabt, seine Spuren zu verbergen, denn die Felswände bestanden fast aus nacktem Gestein, und nur in einigen Ritzen und Nischen kämpfte niedriges Gestrüpp um ein dürftiges Dasein.

    Als wir zuletzt auf der Höhe der Klippe von nahezu entgegengesetzten Seiten anlangten, konnten wir beide dort keine Spur der Anwesenheit eines menschlichen Wesens entdecken, obwohl kaum zwei oder drei Minuten vergangen waren, seit ich, allerdings nur in ganz unbestimmten Umrissen, die menschliche Gestalt zwischen den Büschen hatte verschwinden sehen. Dass ich mich nicht getäuscht hatte, wurde übrigens durch einige abgebrochene Zweige von Erlenbüschen bewiesen, deren Bruchstellen erst nach ungefähr zwei Stunden eine rote Färbung annehmen. Die Bruchstellen waren noch weiß.

    Ein Ausruf des Indianers unterbrach mein weiteres Suchen. Er deutete auf eine kleine muldenartige Einsenkung in dem Gestein, die zum Teil mit weicher und ziemlich feuchter Erde angefüllt war. In dieser zeigte sich deutlich der Abdruck eines kleinen, schmalen, mit einem Mokassin bekleideten Fußes. So weit und so scharf wir aber auch die Umgebung mit unseren Blicken absuchten, denn der Gipfel der Klippe war nur von geringem Umfang, es blieb die einzige Spur, die wir zu entdecken vermochten. Und doch hatte ich das Gefühl, dass irgendwoher ganz in der Nähe ein paar spähende Augen jeder unserer Bewegungen folgten.

    „Es ist die Spur einer Squaw", sagte ich zu meinem Begleiter.

    Er nickte nur und zeigte dann nach der Stelle, an der sich die große Zehe in die Erde eingedrückt hatte. Der Mokassin war hier ausgebessert gewesen. Die Spuren davon konnte ein geübtes Auge deutlich erkennen.

    2. Ich erhalte eine Warnung

    Wir hatten unseren Rückweg nach dem Lager angetreten.

    Schon von Weitem schimmerte uns das graue Segeltuch unseres Zeltes durch den hier nicht sehr dichten Wald entgegen. Ich war froh, seinen Schutz aufsuchen zu können, denn zwischen den Zweigen der Balsamtannen und den schlanken Birkenstämmen hindurch zeigte sich die Sonne bereits tief am westlichen Himmel, und die Moskitos begannen daher, ihren Gewohnheiten entsprechend, zu einer unerträglichen Plage zu werden. Der Aufenthalt in einem Raume, wo man vor ihren Angriffen geschützt war, hatte daher entschieden etwas Verlockendes.

    Das Zelt war größer, als es für drei Personen unbedingt nötig gewesen wäre, und besaß auch zwei große mit Moskitogaze verschlossene Fensteröffnungen, die bei Regenwetter durch außen angebrachte Schutzdecken aus Segeltuch dicht gemacht werden konnten. Ich hatte mir hierbei einen gewissen Luxus gestatten können, da wir im Kanu reisten und ein paar Pfund Mehrgewicht nicht viel Unterschied machten. Wir waren darin wenigstens einer von Moskitos nicht gestörten Nachruhe sicher.

    Im Innern hatte unser Guide, Jim Kennedy, aus frischen Tannenzweigen mit darüber gebreiteten wollenen Decken drei Lagerstätten errichtet.

    Er empfing uns mit der ihm eigenen Würde, die ihm zwar gestattete, mich als Gleichberechtigten zu behandeln, ihn aber auf Dead Body mit einer Geringschätzung blicken ließ, zu der er sich aufgrund des Umstandes berechtigt glaubte, dass in seinen Adern einige Tropfen weißen Blutes flossen.

    Am meisten fiel an ihm seine Größe von sechs Fuß drei Zoll auf, die aber im Verhältnis zur Breite seines Körpers stand. Seine Gesichtszüge mit den hohen Backenknochen, der lederfarbenen Haut und der Masse dicken schwarzen Haares, die das Gesicht umrahmte, verrieten deutlich den Halbblutindianer. Das Unschöne dieser Zusammenstellung milderten aber beträchtlich ein paar gutmütige braune Augen, die mit der Furcht, die man, wie er mir erzählt hatte, seiner herkulischen Körperkräfte wegen überall im Lande vor ihm hegte und die ihm auch bereits den Titel ‚terrible Jim‘ eingebracht hatte, etwas im Widerspruch zu stehen schienen. Die Bewegungen seines massigen Körpers waren ziemlich ungelenk, zumal da jedes einzelne Glied eine ausgesprochene Neigung verriet, seinen eigenen Bewegungsgesetzen zu folgen.

    „Was!, rief er empört, als Dead Body ihm die mitgebrachten Fische überreichte. „Ist das dein ganzer Fang, Rothaut! Und dazu brauchst du den ganzen Nachmittag? By gosh! Ich will mit einem Strick und einem krummgebogenen Nagel daran in der Hälfte der Zeit doppelt so viel fangen. Na, lass gut sein, old boy! Wenn wir mal Zeit haben, werd’ ich dir zeigen, wie man so etwas macht.

    Er hatte sich der Krisprache bedient, die die Sprache seiner indianischen Mutter war und die auch Dead Body gut kannte, da er lange Zeit Kristämme als Nachbarn gehabt hatte. Ich selbst beherrschte die Krisprache schon lange, während ich mich mit der Siouxsprache erst in der letzten Zeit vertraut gemacht hatte.

    Ohne wohlweislich eine Antwort hierauf abzuwarten, verließ er das Zelt, um draußen an unserem Feuerplatz die Fische zur Abendmahlzeit herzurichten. Nach einer halben Stunde saßen wir vor einem frugalen Abendbrot mit einem Appetit, den auch die selbst jetzt noch drückende Hitze nicht dämpfen konnte.

    „Ich denke wir werden morgen nach dem Arbeitercamp fahren müssen, das wir vorgestern, als wir den Fluss herunterkamen, drüben am anderen Ufer liegen sahen, bemerkte ich zu meinen beiden Gefährten, mich ebenfalls der Krisprache bedienend, da Dead Body nur ein paar Worte Englisch verstand. „Ich halte es wenigstens für ein Arbeitercamp, denn wie käme wohl ein Dorf von wenigstens fünfzehn Häusern hierher, die verschiedenen Zelte, die wir sahen, gar nicht zu rechnen?

    „Jim muss das wissen", meinte Dead Body.

    „Du dummer Indianer denkst wohl, es ändert sich nichts in einer Gegend? Ich weiß nur, dass das Camp noch nicht da war, als ich das letzte Mal in der Gegend hier war. Vielleicht ist es ein Posten der Hudsons Bay Co."

    „Das glaube ich nicht, entgegnete ich, „denn York-Faktorei an der Mündung des Hayes ist zu nahe, und es läge gar kein Grund vor, hier einen zweiten Handelsposten einzurichten. Nein, es kann nichts anderes sein als ein Arbeitercamp. Drüben auf dem südlichen Ufer wird die Strecke für die Hudsonbaibahn gebaut. Wo aber das Hauptquartier für die Bauarbeiter ist, da gibt’s auch Stores. Das interessiert uns augenblicklich am meisten, denn unsere Proviantvorräte sind gehörig zusammengeschmolzen.

    „Ich wundere mich, dass uns noch niemand besucht hat, meinte Jim. „Gesehen müssen sie uns im Camp haben, als wir vorbeifuhren, denn es war noch ganz hell.

    „Sie haben uns wohl für Arbeiter gehalten, die nach Port Nelson gehen, erwiderte ich. „Dort werden die Hafenanlagen gebaut. Aber sag mal, Jim, was für Indianerstämme leben denn hier herum?

    „Es sind ein paar Reservationen von Kris hier und Ojibways, erklärte er, „und wahrscheinlich auch einige irreguläre Stämme, aber man weiß niemals, wo man die findet. Sie bleiben nur so lange in einer Gegend, als sie Nahrung finden, und das ist hier oben im Norden eine verdammt unsichere Sache. Die Karibuherden kommen zu Wintersanfang hier herunter. Aber sie können so dicht vor eurer Shanty vorbeiwandern, dass ihr tagelang nichts anderes hört als das Knacken ihrer Kniegelenke, oder auch so weit entfernt, dass ihr während des ganzen Winters nicht ein einziges Tier seht.

    „Es müssen Indianer hier in der Nähe sein, erwiderte ich. „Wir haben eine Mokassinspur gesehen – die Spur eine Squaw.

    „Vielleicht war es die Spur einer Weißen, die tragen ja auch oft Mokassins."

    „Ein weißes Mädchen in dieser Gegend wäre noch viel sonderbarer, war meine Antwort. „Nein, es war die Spur einer Indianerin. Die flache Sohle ließ darüber keinen Zweifel.

    Wir hatten inzwischen unsere Mahlzeit beendet. Ich steckte mir eine Pfeife an, dann stand ich auf und trat ins Freie. Wie lange mir freilich die Moskitos den Aufenthalt hier draußen gestatten würden, war fraglich. Andererseits wollte ich aber den schönen Sommerabend nicht im Zelte verbringen und war eben im Begriff, Jim aufzutragen, einige Smudges rund um das Camp anzuzünden, um den Aufenthalt im Freien einigermaßen erträglich zu machen, als mein Auge auf einen Zweig fiel, der gerade gegenüber dem Zelteingang und nur drei oder vier Schritte davon entfernt in der Erde steckte. Das obere Ende war gespalten, und in dem Spalt steckte ein zusammengefalteter Zettel.

    Überrascht schritt ich darauf zu.

    Das Ganze zeigte unverkennbar den Charakter des Absichtlichen, worauf auch die gewählte gebüschfreie Stelle deutete, die es sicher machte, dass der Zettel in kürzester Zeit gesehen werden musste. Ich wunderte mich nur, dass ich ihn nicht schon bemerkt hatte, als ich mit Dead Body von unserem Ausflug zurückgekehrt war. Wahrscheinlich hatte er sich da noch gar nicht hier befunden, war vielmehr erst gebracht und in dieser auffälligen Weise befestigt worden, während wir, mit unserer Abendmahlzeit beschäftigt, im Zelte weilten. Unwillkürlich blickte ich mich um und prüfte die Umgebung. Nichts war zu sehen, was auf die Anwesenheit eines fremden Menschen deuten konnte. Kein Zweig bewegte sich in den Büschen. Ich nahm ihn jetzt auf und faltete ihn auseinander. Verwundert las ich die folgenden Zeilen:

    „Ihr Vorhaben ist bekannt. Die Leute hier sind aufgebracht gegen Sie – und mit vollem Recht. Wenn Sie Ihr Leben schätzen, wie wir vermuten, so kehren Sie sofort dahin zurück, woher Sie gekommen sind. Diese Warnung erfolgt nicht in Ihrem Interesse, sondern wir haben nur den Wunsch, eine rasche Tat zu verhindern, für die dann vielleicht ein Mann büßen müsste, der wahrscheinlich besser ist als Sie."

    Was war das?

    Die Warnung war offenbar für mich bestimmt und hing wohl mit dem Auftrage zusammen, der mich hierher geführt hatte.

    Unsere Ankunft hier war also nicht so unbeachtet geblieben, wie ich vermutet hatte. Wer aber wusste etwas über den Zweck meiner Reise? Ich hatte nicht einmal zu Dead Body und dem Guide davon gesprochen.

    Lag hier nicht etwa ein Irrtum vor und verwechselte man mich mit einem anderen? Ich las die Warnung noch einmal.

    Es war kein Zweifel, dass sie für mich bestimmt war, und es ließ sich auch begreifen, dass der Zweck meines Hierseins, wenn er bekannt war, in gewissen Kreisen recht gemischte Gefühle auslösen würde. Aber wie konnte irgendeine Menschenseele hier davon Kenntnis haben? Überholt hatte uns niemand auf der Reise. Wir hatten nur in einem der Flussläufe nördlich vom Winnipegsee zwei Indianer in ihrem Kanu getroffen, die nach dem Norwayhause, einem Posten der Hudsons Bay Co., wollten und die entgegengesetzte Richtung verfolgten.

    Ich fand keine Erklärung für die Sache.

    Die Leute aufgebracht über mich, nachdem ich erst zwei Tage hier war, und noch bevor ich noch einen von ihnen zu Gesicht bekommen hatte?

    Das bewies jedenfalls, dass mein Kommen und sein Zweck schon vorher bekannt gewesen waren. Hier? Wo hier? Wo kam der Zettel her?

    Der einzige Platz, wo hier eine Gruppe von Menschen zusammenlebte, war das Arbeitercamp sechs oder sieben Meilen stromaufwärts, und so beantwortete sich diese Frage von selbst.

    Freilich, auch in Port Nelson befand sich ein Arbeitercamp. Aber Port Nelson lag dreißig Meilen weit westlich, und es war unwahrscheinlich, dass die Warnung dorther kam. Zu berücksichtigen war allerdings, dass sich dort die Unternehmer oder die in ihrem Golde stehenden Leiter der Arbeiten befanden. Ich konnte mir vorstellen, dass die ein Interesse an meinem Hiersein und vielleicht Grund hatten, unliebsame Enthüllungen zu fürchten.

    Das lieferte zwar eine Erklärung für einen gewissen Grad von Feindseligkeit, die mir von den Ingenieuren und Arbeitern vielleicht entgegengebracht wurde, aber nicht für den verächtlichen Ton der Warnung. Der Schreiber und nach seiner Meinung auch die Leute, von denen er sprach, schienen keineswegs das Gefühl zu haben, sich im Unrecht zu befinden und Enthüllungen zu fürchten. Die Rolle des Bösewichts im Stück spielte nach ihrer Meinung unbedingt ich.

    Ich prüfte den Zettel noch einmal. Er war in klarem, korrektem Englisch geschrieben, und die Schriftzüge verrieten eine Mädchenhand. Das machte die Sache noch rätselhafter. Wenn ich mir den Wortlaut vergegenwärtigte, so war kein Zweifel, dass auch darin ein weiblicher Einschlag zum Ausdruck kam. Kein Mann hätte eine Warnung und noch dazu eine Warnung, die sicher bitter ernst gemeint war, in dieser Weise abgefasst.

    Mit einem raschen Entschlusse kehrte ich in das Zelt zurück und wandte mich an Jim.

    „Hast du heute hier irgendeinen Fremden gesehen?, fragte ich ihn. „Irgendjemand war hier und hat eine Botschaft gebracht, die er an einem Zweige draußen befestigte.

    „Das ist nicht möglich, erklärte Jim mit Bestimmtheit, „ich habe das Camp keine Minute verlassen.

    „Es ist kein Zweifel an der Sache. Jemand hat sich hier herangeschlichen und den Zettel zurückgelassen. Ich möchte wissen, wer es war und woher er kam. Sehen wir, ob wir irgendwelche Spuren finden!"

    Wir begaben uns hinaus und begannen die Umgebung der Stelle, an der ich den Zweig mit dem Zettel entdeckt hatte, abzusuchen. Spuren waren genug vorhanden, aber es waren vermutlich unsere eigenen. Das niedrige trockene Gras machte sie jedenfalls ganz undeutlich.

    Dead Body hatte sich von mir

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