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Die Pferdereiter von Asteron
Die Pferdereiter von Asteron
Die Pferdereiter von Asteron
eBook302 Seiten3 Stunden

Die Pferdereiter von Asteron

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Über dieses E-Book

»Weil ich dein Bruder bin. Durch unsere Adern fließt das gleiche Blut.«

 

Die Zwillingsbrüder Fargon und Aiden finden nach dem grausamen Tod ihrer Eltern in der Königsstadt Astoria die Chance auf eine hoffnungsvolle Zukunft.

Schon bald haben die beiden das höchste Ziel: Sie wollen Pferdereiter des Königs werden. Allerdings geht dieser Traum nur für einen von ihnen in Erfüllung, während der andere voller Groll der neuen Heimat den Rücken kehrt.

Einige Sommer später treffen sie wieder aufeinander, und schnell wird klar, dass auch nach all der Zeit derselbe Unmut zwischen den Brüdern herrscht.

Während Fargon noch immer an seinem Traum hängt, Pferdereiter zu werden, sucht seine Frau nach ganz eigenen Wegen, ihm diesen zu verwirklichen. Schon bald lebt die Fehde zwischen den Brüdern wieder auf, obwohl sie das geringste Problem ist, dem sich die Zwillinge stellen müssen.

Nach einem schweren Reitunfall des Königs scheint alles ins Verderben zu stürzen. Vertrauen geht verloren, aus Brüdern werden Widersacher und der Feind wartet vor den Stadtmauern.

Aiden ahnt, was hinter all dem steckt, und auch Fargon bekommt langsam die ersten Zweifel …

 

Zwei Brüder, zwei Schicksale – eine Geschichte, die unter die Haut geht.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum12. Sept. 2022
ISBN9783755419228
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    Buchvorschau

    Die Pferdereiter von Asteron - Bettina Auer

    Impressum

    © August 2022 Seidl, Bettina

    Rosenstraße 2

    93086 Wörth an der Donau

    auer.bettina@web.de

    www.bettinaauer.com

    Alle Rechte vorbehalten.

    Lektorat/Korrektorat: Teja Ciolczyk - Lektorat Gwynnys Lesezauber, www.gwynnys-lesezauber.de

    Umschlaggestaltung: Katja Hemkentokrax, www.cover-atelier.de

    Illustration (Weltkarte): Vicky Hamen

    Illustration (Pferd): Herzkontur - Linda Grießhammer, www.herzkontur.de

    eBook-Vertrieb: Bookrix

    Karte von Asteron

    Erster Teil – Freunde

    Zwillinge

    Schon aus der Ferne war der graue Rauch zu sehen. Er stieg in den Himmel, der sein schwarzes Nachtgewand abgeworfen hatte und der leichten Röte des beginnenden Tages Platz machte.

    Der Geruch von Asche, Blut und Verwesung schwebte durch die kalte Morgenluft. Pferdehufe hatten die Grassteppe umgepflügt und tiefe, erdige Scharten gezogen. Einige herrenlose Pferde durchstreiften das taufrische Grün und labten sich daran.

    Je näher der Mann zum Ursprungsort des Qualms kam, desto mehr offenbarte sich ihm der Schrecken, den die Nacht hinterlassen hatte. Der Geruch des Todes drang deutlich an seine Nase und die Leichen, die in der Ferne wie verlorene Bündel ausgesehen hatten, nahmen ihre wahre Gestalt an.

    Fliegen schwirrten bereits um die Körper, krabbelten über das tote Fleisch und legten ihre Eier in die frischen Wunden. Er verzog verächtlich das Gesicht und richtete sich im Sattel auf, sein Pferd schnaubte nervös.

    Er war der Siedlung nun ganz nahe. Immer mehr Gefallene säumten seinen Weg und auch der ekelerregende Gestank nahm zu. Der Mann hustete und hielt sich den Unterarm vor die Nase. Sein Pferd brachte er nur mühsam am Brunnen in der Mitte des Dorfes zum Stehen, denn es scheute vor dem allgegenwärtigen Tod zurück.

    Auch hier gab es nichts. Es war kein Anzeichen von menschlichem Leben auszumachen.

    Eine Ziege blökte, die direkt auf ihn zusteuerte, und ihn dabei mit großen schwarzen Augen ansah. Der Mann stieg vom Pferd und strich dem Tier über dem Kopf. Es blökte erneut und machte sich von dannen; es hatte wohl auf Futter gehofft.

    Er klopfte seinem edlen Reittier auf den Hals und sah sich abermals um.

    »Heda! Ist da wer?«, rief er laut in der Hoffnung, auf sich aufmerksam zu machen, doch es rührte sich nichts. Verwundert runzelte er die Stirn. Sein Gefühl sagte ihm, dass nicht alle tot waren. Irgendjemand hatte diesen grausamen Raubzug überlebt - und er würde denjenigen finden.

    Wahllos betrachtete er die Häuser, die größtenteils nur noch Ruinen waren. Er wählte das Gebäude außen auf der linken Seite. An den verbrannten Holzbalken konnte er erkennen, dass eine Scheune als Anbau gedient hatte.

    Sicherheitshalber legte er seine rechte Hand auf den gerillten Schwertknauf. Der Mann erkannte vor sich eine Wohnstube. Besser gesagt das, was davon übrig war. Auf der rechten Seite musste sich einstmals eine Feuerstelle befunden haben, zudem fielen ihm weitere Überreste auf, die davon zeugten, dass hier eine Familie gelebt hatte. Aber da war nichts Außergewöhnliches zu erspähen.

    Doch, da! Da war etwas!

    Sein Körper spannte sich an, während er den Schwertgriff fest umklammert hielt. Seine braunen Augen huschten umher und alles in ihm war zum Kampf bereit.

    Da!

    Erneut sah er einen schnellen Schatten aus dem Augenwinkel und zog sein Schwert. Die Klinge blitzte auf und er vernahm ein Poltern, gefolgt von einem Aufschrei.

    Schnell eilte er in den Nebenraum. Dort lagen mehrere morsche Fässer, Holzbalken, nasses Stroh und feuchte Wolldecken durcheinander.

    Der Fremde wühlte sich durch das Gerümpel, ohne sein Schwert fallen zu lassen. Plötzlich spürte er einen Lufthauch von hinten, doch da war es schon zu spät.

    Ein Holzbrett wurde ihm mit voller Wucht auf den Rücken geschlagen, und er stieß einen Schrei aus. Er wirbelte herum und bekam mit seiner linken Hand den Kragen eines Kindes zu fassen.

    »He!«, brüllte und tobte der Junge, als der Fremde ihn zu sich herumdrehte.

    Helle, grüne Augen starrten ihn aus dem verdreckten vom Ruß geschwärzten Gesicht an. Die dunkelbraunen Haare hingen ihm leicht in die Stirn. Der Junge trug ein Hemd aus Leinen, das an einigen Stellen zerschlissen und wohl früher einmal weiß gewesen war. Zudem war er in braune, knöchellange Hosen gekleidet. Die nackten Füße dreckig und von Schnittwunden übersäht.

    »Sind noch andere hier?«, fragte der Krieger und hatte keine Mühe damit, den Jungen mit nur einer Hand festzuhalten. Der Bursche starrte ihn wütend an, seine Augen loderten vor Hass. »Antworte mir, Bengel! Zuerst schlägst du mir ein Brett über das Kreuz und dann kriegst du deinen Mund nicht auf!«

    Der Junge schwieg beharrlich, doch diesmal zeigte er eine Regung. Er spuckte ihm ins Gesicht. Der Mann blickte ihn ausdruckslos an, wischte sich den Speichel weg, und stieß ihn angewidert von sich.

    Das Kind landete unsanft auf dem Steinboden. Noch immer wütend blickte es ihn an.

    Der Mann baute sich vor ihm auf, hob an, zu sprechen – doch ehe er zu Wort kam, rief jemand: »Haltet ein, Herr! Er meint es nicht so!« Ein Poltern ertönte und ein zweiter Junge erschien zwischen all dem Unrat. Er sprang leichtfüßig vor das andere Kind und sah dem Fremden fest in die Augen.

    Die Ähnlichkeit der Kinder war verblüffend, sie waren eindeutig Brüder, wenn nicht sogar Zwillinge. Alles an ihnen war gleich: die Haare, die Augen, die heruntergekommene Kleidung und derselbe aufsässige Ausdruck in ihren Gesichtern.

    »Es tut ihm leid, Herr. Fargon hat so etwas noch nie getan! Bitte, tut ihm nichts!« Die Panik war deutlich aus der Stimme des Kindes zu vernehmen.

    »Sei still, Aiden!«, zischte Fargon seinem Bruder zu und trat nach ihm.

    Der wich jedoch geschickt aus und wandte sich wieder an den Soldaten. »Herr, bitte …!«, er verstummte, als sich der Mann zu ihm hinunterbeugte und ihn eindringlich musterte.

    »Wie alt seid ihr?«, fragte er, die Kinder nicht aus den Augen lassend.

    »Wir sind beide elf Sommer alt«, beeilte sich Aiden, dem fremden Krieger zu antworten.

    Der nickte knapp und richtete sich schweigend wieder auf, ehe er den Blick umherschweifen ließ. »Mein Name ist Terrebin. Was ist hier passiert?«

    »Die Nomaden haben uns angegriffen, alle getötet und unser Dorf niedergebrannt! Grundlos und ohne darauf zu achten, ob Frau oder Kind! Und dabei haben sie auch nicht davor Halt gemacht, Magie zu benutzen!«, spie ihm Fargon voller Zorn entgegen.

    Terrebin überraschten angesichts dieser Taten weder Wut noch Hass, die der Junge in sich trug.

    So jung noch und klein, aber die Abscheu schon tief im Herzen verwurzelt, dachte er wehmütig.

    »Ihr könnt hier nicht bleiben.«

    »Und wohin sollen wir dann gehen? Dies ist unser Zuhause, zumindest das, was noch davon übrig ist«, sprach Aiden niedergeschlagen, woraufhin er einen bösen Blick von seinem Bruder erntete.

    »Wir können es wieder aufbauen, Aiden! Bestimmt leben noch andere, und selbst wenn nicht, wir schaffen das gemeinsam.«

    Terrebin kniff leicht die Augen zusammen. Er könnte die Kinder belügen, doch was würde es nützen? Sie hatten niemanden mehr auf dieser Welt; alle, die sie gekannt hatten, waren tot. »Es tut mir leid, euch enttäuschen zu müssen, aber meine Männer und ich haben bisher keine Überlebenden gefunden.«

    »Er lügt, Aiden!«, kam es sofort von Fargon, der noch auf dem Hosenboden saß und den älteren Mann anstarrte, als wäre er ein Dämon.

    Terrebin seufzte tief. »Ich kann euch anbieten, mich und meine Männer zu begleiten. Euch wird kein Leid geschehen, versprochen. Ihr werdet ein neues Zuhause bekommen.«

    Die beiden Brüder warfen sich misstrauische Blicke zu. »Wieso sollten wir Euch glauben?« Fargon hatte skeptisch die Stirn krausgezogen und stand nun langsam auf.

    Terrebin verstaute sein Schwert, dass er noch immer in der Hand hielt. Er hätte den Kindern natürlich kein Leid zugefügt, dennoch hieß es, wachsam zu sein. Die Nomaden konnten mit ihrer Magie alles bewerkstelligen.

    Vielleicht sogar die Gestalt von Kindern annehmen, um uns zu täuschen?, sinnierte er, doch er schob den Gedanken weit von sich. Nein, diese Kinder vor ihm waren wirklich die Söhne von Bauern.

    Terrebin ging in die Hocke und holte ein Siegel hervor, das um seinen Hals an einer goldenen Kette lag. Ein Pferd, aufgerichtet auf zwei Beinen, war darauf zu sehen. »Wisst ihr, was das ist?«, fragte er die Burschen, die verneinend ihre Köpfe schüttelten. »Das ist das Königssiegel von Astoria, dem Herrscher ganz Asterons. Ich bin der König, und ich schwöre euch bei meinem Siegel, dass euch kein Leid geschehen wird.«

    Zwei Augenpaare starrten ihn an. Ein breites Lächeln stahl sich auf die Gesichter der Kinder.

    »Wirklich? Ihr seid ein König, der König von Asteron?«, fragte Aiden atemlos.

    »Ja, das bin ich. Kommt.« Er bedeutete den Jungen, ihm zu folgen, die nun willig gehorchten. »Habt ihr Dinge, die ihr mitnehmen wollt?« Betrübt senkten die Brüder ihre Köpfe. Hier gab es nichts mehr für sie. Still liefen sie hinter dem König her nach draußen.

    Kurz blieben beide Knaben stehen, als sie das prächtige Streitross sahen. Dessen schneeweißes Fell glänzte in der Sonne, dunkle Metallplatten schützten seinen Körper. Es schüttelte mit dem Kopf und warf wiehernd die Mähne nach hinten.

    »Wunderschön …«, entfuhr es Fargon, ihm klappte der Mund auf. Aiden tat es seinem Bruder gleich.

    Terrebin lachte. »Na? Noch nie ein richtiges Schlachtross gesehen?«, sagte er und klopfte der Stute auf den Hals. »Kommt. Wir reiten zurück. Steigt auf.«

    Nur zögerlich traten die beiden Brüder an das Pferd heran. Während Fargon es noch anstarrte, streckte Aiden die Hand nach seinen Nüstern aus. Das Tier schnüffelte daran, dann leckte es ihm über die Handfläche. Er kicherte.

    »Sie mag dich. Es scheint, du kannst gut mit Pferden. Wisst ihr«, sagte König Terrebin nun an beide Jungen gewandt, »wenn ihr klug seid und gut lernt, könnt ihr eines Tages Pferdereiter in meinen Diensten werden.«

    »Eure Pferdereiter?«, fragte Fargon nach und bot dem Pferd nun ebenfalls seine Hand dar. Jedoch sah es nicht mal in seine Richtung.

    »Die Pferdereiter sind meine Leibwächter. Sie begleiten mich überall hin, beschützen mich und kümmern sich um die Sicherheit des Landes. Sie sind die Elitesoldaten des Reiches.« Der König sah in den Augen der Kinder, dass sie vollends begeistert waren. Er hatte in ihnen wohl einen Traum erweckt. »Und jetzt kommt! Ein Teil meiner Männer wartet dort auf mich, während die anderen das Dorf durchsuchen. Sie sind hinter dem Hügel. Da! Seht ihr die Standarte?«

    Ein Banner flatterte im Wind: zwei Pferde auf rotem Hintergrund. Der König setzte die Kinder in den Sattel des Pferdes, während er die Stute am Zügel nahm und sie den Hügel hinaufführte. Dort angekommen warf er den beiden Jungen einen kurzen Blick zu und ein Lächeln schlich sich auf seine Züge.

    Aidens Augen wurden noch größer, als er die Pferdereiter sah. Es waren mindestens dreißig Mann, alle saßen auf einem Streitross. Das Metall ihrer Rüstungen glänzte in der Sonne und ihre roten Gewänder hatten die Farbe von frischem Blut.

    »Eines Tages werde ich Pferdereiter«, flüsterte Aiden so leise, dass es niemand hörte.

    Hoffnung

    Während sein kleiner Bruder diese neue Welt mit großen, neugierigen Augen betrachtete, war Fargon skeptisch. Die Männer, in deren Obhut sie sich befanden, waren zwar allesamt freundlich und anständig, aber er wusste, was sie über ihn und Aiden dachten.

    Sie waren einfache Bauernsöhne, die zu nahe an der unsichtbaren Grenze der Nomadenstämme lebten. Nicht selten kam es vor, dass ihre unliebsamen Nachbarn durch die Dörfer streiften und von den Bewohnern forderten, was ihnen angeblich zustand. Stets hatten sie mit viel Widerwillen diese Abgaben geleistet, um Streit mit den Nomaden zu vermeiden, doch seit einigen Mondläufen hatten sie begonnen, grundlos mit Gewalt gegen die Dörfler vorzugehen. Sie benutzten sogar offen ihre Magie, obwohl dies in ganz Asteron verboten war.

    Aber solch ein Pack wie die Nomaden hält sich natürlich nicht an Gesetze, dachte er voller Wut und ballte die Hände zu Fäusten.

    Fargon hatte seinen Vater dazu befragt, wieso sie plötzlich so brutal vorgingen, aber selbst dieser hatte keine Antwort darauf gewusst. Und jetzt konnte er ihn nie wieder etwas fragen …

    Sie hatten alle Einwohner getötet, nur ihn und Aiden nicht. Sie hatten sich versteckt, während sich ihre Eltern mit den anderen Dorfbewohnern gegen die Übermacht gerüstet hatten.

    Die beiden Brüder hatten die Schreie der Sterbenden vernommen, das Geräusch, wenn Stahl auf Stahl traf, wenn Fleisch und Knochen durchtrennt wurden.

    Nie wieder würde er diese Klänge vergessen.

    »Hast du Hunger?« Einer der Männer fragte ihn plötzlich und hielt ihm ein Stück Brot und Käse entgegen.

    Zögernd nahm Fargon das Essen an und dankte leise artig. Der Soldat wandte sich ab und widmete sich wieder seinen eigenen Angelegenheiten.

    Fargon saß zusammen mit den Männern am Lagerfeuer, während sein Bruder bei den Pferden stand und einem der Soldaten half, sie zu füttern.

    Seit Aiden die Tiere gesehen hatte, war er Feuer und Flamme. Es gab keinen Augenblick, in dem er sich von ihnen losriss. In ihrem Heimatdorf hatte es zwar auch einige Pferde gegeben, aber so prachtvoll, wie die Tiere der Soldaten, waren sie nicht gewesen.

    Würde mich nicht wundern, wenn er von nun an sogar bei ihnen schläft.

    Aiden war schon immer leicht zu begeistern gewesen. Er konnte ausdauernd gegen imaginäre Feinde kämpfen, mit gefundenen Käfern spielen und sich in seiner Traumwelt verlieren. War es das, worum Fargon seinen Bruder so sehr beneidete? Im Spiel einfach alles um sich herum vergessen zu können?

    Er jedoch war nicht so. Er konnte das, was während der letzten Tage passiert war, nicht so leicht verarbeiten. Ihm war bewusst, dass er auch in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde.

    »Schmeckt es dir nicht, Junge?«, fragte ihn der bärtige Mann zu seiner Linken freundlich.

    Fargon sah ihn aus dem Augenwinkel misstrauisch an. Er hatte den Namen des Kerls schon längst wieder vergessen, auf dessen Pferd er mitreiten durfte. Und soweit er sich erinnerte, war es das erste Mal, dass er direkt zu ihm sprach.

    »Doch. Ich habe nur keinen Hunger«, sagte er wahrheitsgemäß, biss aber dennoch ein Stück von dem Brot ab.

    Plötzlich ließ sich Aiden neben ihn fallen, sein Bruder strahlte über das ganze Gesicht. »Hast du noch etwas für mich übrig?«

    Wortlos brach Fargon seinem Bruder ein Stück Brot ab und gab es ihm. Der schlang es genüsslich hinunter. Fargon stieg dabei der Geruch nach Pferdemist in die Nase und er verzog das Gesicht. »Geh dich am Bach da vorne waschen! Ich mag nicht, wenn du stinkst wie ein Stallbursche!«

    »Ich werde sowieso gleich wieder zu den Pferden gehen. Eines hat sich etwas im Huf eingefangen und ich möchte Gorn dabei helfen.«

    »Gorn?«

    »Ja!« Aiden zeigte auf den bulligen Mann, der gerade einen Rappen absattelte.

    Fargon betrachtete ihn genauer. Der Mann war riesig, breit wie ein Schrank. Mit einer seiner Pranken könnte er einem den Schädel zerdrücken. »Der sieht für mich eher so aus, als würde er den Pferden wehtun, anstatt ihnen zu helfen«, grummelte Fargon verdrießlich.

    Aiden verneinte jedoch laut. »Gorn weiß viel über Pferde und die Soldaten des Königs! Er sagt, er möchte einmal Hauptmann der Garde werden.« Aiden schlang das letzte Stück Brot hinunter und eilte dann zurück zu besagtem Gardisten, der ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken gab.

    Fargon seufzte tief und schüttelte den Kopf. Danach stand er auf, entfernte sich etwas von den lärmenden Soldaten und legte sich zum Schlafen hin, den Blick weiterhin auf Aiden gerichtet, der mit einem freudestrahlenden Lächeln Gorns anleitenden Worten lauschte.

    Wieso weinst du nicht, Bruder? Trauerst nicht, wie ich es tue? Alles, was uns etwas bedeutet hat, ist zerstört. Tot. Und du tust so, als wäre die ganze Welt in Ordnung. Wieso? Verrate es mir.

    *

    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Fargon erwachte. Doch er war nicht der Einzige, der keinen Schlaf mehr fand. An dem Lagerfeuer, das nur noch schwach brannte, saß mit dem Rücken zu ihm einer der Männer. Es war der König, der einen tiefen Schluck aus dem Trinkschlauch nahm. Dicht neben ihm lag sein Schwert.

    Fargon gähnte und der Mann drehte sich halb zu ihm um.

    »Ah. Du bist wach. Komm her, Junge«, bat er ihn freundlich, und Fargon folgte der Anweisung.

    Er setzte sich neben Terrebin, aber nicht ohne gebührenden Abstand. Vor ihrer Begegnung hatte er noch nie einen König gesehen, woher denn auch? Sein Dorf war unbedeutend gewesen. Nicht einmal auf der Landkarte Asterons verzeichnet. Ein Adeliger hätte sich niemals dorthin verirrt.

    »Du heißt Fargon, richtig?«

    »Ja, Herr.«

    Terrebin sah ihn unverwandt an, der Blick seiner braunen Augen lag prüfend auf ihm. »Du bist anders als dein Bruder. Obwohl du gerade sehr schweigsam und nachdenklich wirkst, bist du innerlich voller Zorn«, sagte der König und strich sich über den Bart.

    »Kann schon sein«, erwiderte Fargon ausweichend. Ihm behagte es nicht, dieses Gespräch zu führen. »Was habt Ihr mit uns vor, Herr?«, wagte er dennoch, mit zitternder Stimme zu fragen.

    Der König überlegte. »Ich werde euch beide als Mündel bei mir aufnehmen. Etwas anderes wäre unvernünftig. Ihr habt keine Eltern, kein Zuhause mehr. Euch nach diesem schrecklichen Vorfall in ein Waisenhaus zu geben, kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.«

    »Wir brauchen Euer Mitleid nicht!«, entfuhr es Fargon jähzornig, kalte Wut wallte in ihm auf.

    »Ist es das? Mitleid? Ich sehe das anders.« Terrebin blieb ruhig und freundlich, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. »Aiden und du seid jeder auf eure eigene Art etwas Besonderes. Obwohl ihr alles verloren habt, habt ihr immer noch Euch. Ihr seid Brüder; Zwillinge. Das ist ein Band, das niemand durchtrennen kann. Ihr solltet stets daran festhalten. Ich möchte euch beiden ein neues Heim geben. Eine neue Zukunft. Findest du es falsch, dass ich euch helfen möchte?«

    Die Wangen des Jungen brannten und er wandte beschämt den Kopf ab. Er sah zu Aiden, der tief und fest schlief – natürlich in der Nähe der Pferde.

    »Ich habe Angst, Herr. Nicht nur um mich selbst, sondern auch um Aiden. Wie Ihr sagt, haben wir beide nur noch uns und … ich will ihn nicht auch noch verlieren.«

    Der König legte ihm die Hand auf die Schulter, Fargon sah zu ihm auf. »Das wirst du nicht. Das verspreche ich dir. Ihr werdet ein neues Zuhause bekommen. Eine vielversprechende Zukunft.«

    Fargon sah wieder zu Aiden und nickte schließlich dankbar, denn er verstand endlich, welche Möglichkeit der König ihnen da bot. Er schenkte ihnen Hoffnung. Zum ersten Mal an diesem Tag betrachtete Fargon den Mann genauer. Er war groß, wirkte nicht älter als Mitte dreißig und hatte dichtes, kurzes schwarzes Haar sowie dunkelbraune Augen. In seinen Iriden lag ein lebenslustiges Funkeln und seine Gesichtszüge strahlten Freundlichkeit aus.

    Er hatte sich einen König immer andersvorgestellt: alt, dennoch bullig wie ein Stier und voller Härte. Es überraschte ihn insgeheim sehr, dass sein Gegenüber nichts davon erfüllte. »Ich danke Euch, König Terrebin. Wir werden versuchen, Euch nicht zu enttäuschen.«

    Freundschaft

    Aiden und Fargon kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus, als die Türme Astorias immer näher kamen. Die Stadt war auf einem Berg errichtet worden, umschlossen von einem Fluss, und so sah es aus, als würde sie auf einer eigenen Insel stehen.

    Die Brüder rutschten unruhig auf den jeweiligen Rücken der Pferde hin und her, auf denen sie mitreiten durften. Sie konnten es kaum erwarten, mit ihren schmutzigen Füßen über die Straßen der Stadt zu laufen. Auch die Pferdereiter wurden mit jedem Schritt nervöser, der sie Astoria näherbrachte.

    Sie waren mehr als einen Mondlauf durch Asteron gezogen und jetzt, da die Heimat direkt vor ihnen lag, überschlugen sich ihre Gedanken vor Freude. Sie wollten nichts sehnlicher als ein gemütliches Bett, ein kühles

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