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Schwarzer Mond
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eBook266 Seiten3 Stunden

Schwarzer Mond

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Über dieses E-Book

Niemals hätte Tarae gedacht, dass sie eines Tages in der Lebensschuld eines Elben stehen würde, der noch dazu alle Menschen als Abschaum bezeichnet. Doch Rhéyd ist an der tödlichen Elbenkrankheit Schwarzer Mond erkrankt und braucht Taraes Hilfe, um ein Heilmittel dagegen zu finden. Zusammen machen sie sich auf, die sagenumwobene Drachenquelle zu finden, und dabei ahnt keiner von ihnen, dass sie auf ihrer Suche nicht nur die entdecken ...

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum13. Juli 2022
ISBN9783755415060
Schwarzer Mond

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    Buchvorschau

    Schwarzer Mond - Bettina Auer

    Impressum

    © Juli 2022 Seidl, Bettina

    Rosenstraße 2

    93086 Wörth an der Donau

    auer.bettina@web.de

    www.bettinaauer.com

    Lektorat/Korrektorat: Teja Ciolczyk - Lektorat Gwynnys Lesezauber, www.gwynnys-lesezauber.de

    Umschlaggestaltung: Ria Raven Coverdesign, www.riaraven.de

    Illustration: Herzkontur - Linda Grießhammer, www.herzkontur.de

    eBook-Vertrieb: BookRix

    Tarae

    »Tarae!«

    Der Klang ihres Namens ließ sie den Kopf heben. Ihre kleine Schwester Neila stand nicht unweit von ihr entfernt in der Nähe eines Busches und winkte ihr aufgeregt zu.

    »Tarae! Kannst du das gebrauchen?«, rief sie und deutete auf die goldenen Beeren, die kaum in dem Dickicht des Strauches zu erkennen waren.

    Tarae zog die Stirn kraus und wischte sich die dreckigen Hände an ihrer Hose ab. »Das sind Goldmädchen. Ich würde sie an deiner Stelle nicht anfassen - sie sind hochgiftig.«

    Neila zog sofort ihre Hand weg und sprang sogar vor Schreck einen Schritt zurück. Hinter sich konnte Tarae das helle Lachen ihrer älteren Schwester Samah vernehmen, die neben sie trat und ihr leicht mit den Ellenbogen in die Seite stieß.

    »Hör auf, das Kind jedes Mal so zu erschrecken«, neckte die Mittlere der drei Schwestern und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

    Neila hatte das natürlich gehört, sie streckte ihr frech die Zunge raus. Die Schwestern sahen sich daraufhin für einen kurzen Augenblick stillschweigend an, ehe sie in Gelächter ausbrachen.

    Samah, Tarae und Neila glichen sich nicht nur rein äußerlich durch das goldblonde Haar und die tiefgrünen Augen, die fast schon smaragdfarben leuchteten, sondern teilten auch die gleiche Art Humor. Die Schwestern waren seit dem plötzlichen Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren unzertrennlich und hatten fortan, neben ihrer artistischen Arbeit im Zirkus ihres Vaters, noch viele häusliche Aufgaben übernehmen müssen.

    Samah zählte mit ihren zweiundzwanzig Jahren als die Älteste und war für das Kochen und Kontrollieren der Sauberkeit zuständig.

    Tarae, gerade achtzehn geworden, kümmerte sich um all die Verletzungen, die in einem Zirkus passieren konnten, da sie das Talent ihrer Mutter für Heilkunde geerbt hatte. Außerdem fiel zusätzlich die Tierversorgung in ihren Zuständigkeitsbereich.

    Neila war mit ihren dreizehn Jahre die Jüngste, sie hatte bisher nur die Aufgabe erhalten, ihre Schwestern tatkräftig zu unterstützen, was ihr nicht immer sonderlich leicht von der Hand ging.

    Dennoch schlugen sich die Mädchen tapfer. Selbst wenn sie zusammen aufbrachen, um Heilkräuter, Feuerholz und Essbares in der Umgebung zu suchen, vergaßen sie gerne, wie beschwerlich ihr Leben eigentlich war.

    Samah hatte einen Stapel Feuerholz an ihre Brust gedrückt. Mit einem Schmunzeln sagte sie an ihre kleine Schwester gewandt: »Was das angeht, solltest du besser immer auf Tarae hören, Neila. Sie weiß von uns allen am besten darüber Bescheid.«

    Plötzlich war ein Rascheln zu hören, unweit entfernt von Neila. Diese zuckte merklich zusammen und blickte hastig in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

    »Ähm ...«, brachte sie zögernd hervor, »Was denkt ihr, ist das?«

    »Bestimmt nur ein Hase oder ein Fuchs.« Tarae verdrehte die Augen. »Wir sind im Wald, schon vergessen?«

    »Ja! Das ist mir bewusst, aber es gibt doch auch Wölfe im Wald und … Bären«, setzte die Jüngste nach und selbst Samah konnte ein genervtes Aufstöhnen nicht unterdrücken.

    »Neila! Hör auf, ständig irgendwo einen Dämon an die Wand zu malen! Du kennst doch sicher noch die Geschichte mit dem Mädchen, dass immer Drache schrie, bis man ihr irgendwann nicht mehr glaubte, mhm? Dir wird es eines Tages genauso ergehen«, schimpfte die Älteste und warf Tarae einen genervten Blick zu.

    »Aber…«, weiter kam Neila nicht. Im Unterholz ertönte ein gewaltiges Knacken, ein riesiger, dunkler Schatten sprang daraus hervor. Sie kreischte entsetzt auf, lief zu ihren Schwestern und krallte sich an Samahs Rockzipfel fest, als der große Schwarzbär vor ihnen zum Stehen kam.

    »Wie war das noch gerade eben?« Neila plärrte, und Tarae gab ihr mit einem Wink zu verstehen, dass sie ruhig sein sollte. Panik verschlimmerte die Sache nur.

    »Hast du ein Messer dabei?«, flüsterte Tarae ihrer älteren Schwester zu.

    Sie nickte. Mutige Entschlossenheit spiegelte sich in Samahs Blick wider. Sie würde den Bären auch mit bloßen Händen angreifen, um ihre Schwestern zu schützen. Sie übergab Tarae das kleine Messer, deren Mut sofort wieder sank. Ein Buttermesser. Mit dem würde sie nicht weit kommen.

    Aber vielleicht, wenn ich es werfe ...

    Bevor der Bär reagieren konnte, der geifernd die Lefzen zurückgezogen hatte, steckte das Messer bereits in seinem linken Auge. Er brüllte vor Schmerzen auf und ein Gemisch aus Blut und klarer Flüssigkeit rann aus der Wunde. Unbeholfen versuchte das Raubtier, mit seinen riesigen Pranken die Klinge herauszuziehen.

    »Lauft!«, brüllte Samah, die zuerst wieder aus ihrer Starre erwachte.

    Das ließen sie sich die Schwestern nicht zweimal sagen und rannten davon. Obwohl sie ihre eigenen Herzen laut pochen hörten und ihr Atem gehetzt ging, vernahmen sie bald, dass ihnen der Bär folgte.

    »Wir müssen uns aufteilen!«, rief Tarae panisch und warf einen Blick über die Schulter zurück. »Nur so können wir…«

    Ein Pfeil zischte an ihr vorbei, so dicht, dass ihr die Federn des Schaftes in die Wange schnitten. Das Silbergeschoss traf genau zwischen die Augen des Bären. Allerdings drang es nicht tief ein, denn das Tier brüllte seine Frustration hinaus und rannte noch schneller. Nur noch zwei Armlängen, dann würde er sie und ihre Schwestern packen!

    Ein dunkler Schemen sprang unverwandt von einem der Bäume herab, und Tarae meinte schon, ihr letztes Stündlein hätte endgültig geschlagen, als das diffuse Sonnenlicht auf die silberne Klinge eines Schwertes traf.

    »Duck dich!«, zischte der fremde Mann, ganz in Schwarz gehüllt.

    Tarae gehorchte ihm. Unmittelbar darauf sauste das Schwert über sie hinweg, genau in die Brust des Bären.

    Das Tier brüllte auf, wand sich. Blut troff aus dessen Wunde, spritzte umher und benetzte sie. Schnell rollte sie sich weg und kam flink wieder auf die Beine, weil das Untier drohte, sie unter sich zu zerquetschen. Mit einem dumpfen Aufprall blieb es schließlich regungslos am Boden liegen.

    Tarae atmete schwer, hob den Blick von dem toten Schwarzbären und wandte ihn ihrem Retter zu. Obwohl er eine Kapuze über den Kopf trug, war er eine außergewöhnliche Erscheinung.

    Der Mann war komplett in Schwarz gekleidet - zum Teil war seine Ausstattung von solch edlem Leder, wie es Tarae bisher nur selten zu Gesicht bekommen hatte. Selbst bei den reichen Zuschauern war so etwas ungewöhnlich. Auch das silberne Schwert, von dessen Spitze noch das Blut des Bären tropfte, und der Bogen mitsamt Köcher, waren von edler Machart.

    »Ich … danke«, würgte Tarae endlich hervor, noch unter Schock und abgelenkt durch den Fremden.

    »Tarae!« Sie wandte den Kopf nach rechts, Neila stürmte auf sie zu. »Samah ist zum Zirkus gelaufen, um …« Plötzlich verstummte sie und sah auf den toten Bären. »Oh. Wie hast du das denn geschafft?«

    »Ich? Er war es doch«, entgegnete Tarae und deutete auf den Fleck, auf dem der Krieger stand – allerdings war der nicht mehr da.

    Neila runzelte die Stirn und warf ihrer Schwester einen skeptischen Blick zu. »Geht es dir gut? Bist du hingefallen?«

    »Nein, da war gerade noch ein Mann! Er hat mich gerettet.«

    »Tarae, da ist aber niemand. Vielleicht solltest du deine kleinen Heilmittelchen einmal bei dir selbst ausprobieren, sobald wir wieder zurück sind.«

    »Sieh dir das Biest an, Neila! Ich habe ihn nicht getötet! Zuerst ein Pfeil und danach ein sauberer Stich mit dem Schwert. Wie hätte ich das mit einem Buttermesser bewerkstelligen sollen?!«, echauffierte sie sich und pustete eine störende Strähne aus ihrer Stirn.

    Plötzlich erklang ein Geräusch; es war nicht dasselbe, das der Bär verursacht hatte, als er aus dem Unterholz gestürmt war. Vielmehr klang es nach …

    Tarae schob Neila hastig beiseite und eilte davon. Ihre kleine Schwester schrie ihr nach, doch sie ignorierte sie. Sie rannte an mehreren Bäumen vorbei, bevor sie zu einer Stelle mit dichtbewachsenen Brombeersträuchern kam – und genau hinter dem dornigen Gestrüpp fand sie ihn.

    »Was ist passiert?«, fragte sie atemlos, als sie ihren Retter erreichte. Er hatte das Schwert fallen lassen, atmete heftig, unkontrolliert und zitterte wie Espenlaub. Er hielt sich mit beiden Händen am Stamm einer Fichte fest, seine Kapuze war verrutscht. Hastig hob er den Kopf, wandte ihn in Taraes Richtung. Sie stockte, als sie den hasserfüllten Ausdruck in seinen dunkelbraunen Augen sah.

    Nein …

    Die Züge ihres Gegenübers waren viel zu fein für einen Menschen, die Haut ungewöhnlich bleich und die Ohren liefen oben leicht spitz zu.

    »Du bist ein Elb!«, entfuhr es ihr laut, Tarae riss vor Erstaunen die Augen auf. So weit in den Nordwesten, in die Menschenreiche, wagten sich die Spitzohren in der Regel nicht.

    Sie hassten die Menschen!

    Zwar beruhte dies nicht auf Gegenseitigkeit, aber Taraes Rasse war den Langlebigen gegenüber auch nicht gerade aufgeschlossener, da es vieles gab, worum sie die Elben beneideten.

    Dennoch, er hatte ihr das Leben gerettet.

    »Was ist mit dir?«, fragte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.

    Der Elb jedoch antwortete mit einem Knurren. »Bleib da stehen, Abschaum!«, presste er schmerzerfüllt zwischen zusammengebissen Zähnen hervor.

    »Bist du verletzt? Hat dich der Bär…«

    Er schrie so laut auf, dass es Tarae jedes Härchen am Körper aufstellte. Sie überlegte nicht lange, rannte zu ihm und kniete sich zu ihm auf den Boden.

    Seine Atmung ging inzwischen heftiger, das Zittern war unkontrollierbar geworden und sie bemerkte, wie er krampfhaft versuchte, die Hände an seinen Hals zu legen.

    »Warte, ich helfe dir!« Tarae suchte in ihrer Umhängetasche, die sie bis eben vergessen hatte, ein kleines Fläschchen mit einer grüngoldenen Flüssigkeit. Sie entkorkte es und zwang den Elben, daraus zu trinken. Sobald der erste Tropfen seine Lippen benetzte, wurde er ruhiger und in seinen Augen vermischten sich seine Emotionen zu einem Wirbel aus Erstaunen, Flehen und Zorn.

    »Was … war das?«, fragte er heiser, doch die Antwort erfuhr er nicht mehr, denn im nächsten Augenblick sackte sein Kopf zur Seite und er fiel in die rettende Bewusstlosigkeit.

    »Tarae!«, rief Samah erleichtert. Keine fünf Sekunden später war sie bei ihr und dem Fremden angekommen, zusammen mit drei Männern, die bei ihnen im Zirkus arbeiteten.

    »Tarae, geht es dir gut? Was ist … AH!« Der Redeschwall ihrer Schwester wurde von deren hohem Schrei beendet. Erschrocken schlug sie sich die Hand auf den Mund. »Das ist ein Spitzohr!«

    »Ja«, erwiderte Tarae ruhig und starrte den Elben an. »Er hat den Bären getötet und uns somit das Leben gerettet.«

    »Was? Ist er nicht ganz bei Trost?! Einer wie er hätte sich doch freuen müssen, wenn uns das Vieh erwischt hätte.«

    Tarae musste wegen Samahs fehlendes Feingefühl kurz die Augen verdrehen. Sehr schnell wurde sie wieder sachlich. »Samah, er ist krank.« Sie wandte ihr den Kopf zu, die nächsten Worte waren für ihre Zunge so schwer wie Blei. »Er leidet am Schwarzen Mond.«

    »Woher weißt du das?« Plötzlich flüsterte ihre ältere Schwester ängstlich, sie warf einen verwirrten Blick in die Runde.

    Tarae seufzte tief. »Die Anzeichen dafür sind eindeutig. Der krampfartige Anfall, das Zittern, die heftige Atmung, die Art und Weise, wie er versucht, die unsichtbaren Hände von seinem Hals zu nehmen. Es gibt keinen Zweifeln daran. Er trägt die tödliche Elbenkrankheit in sich.«

    Samah blies sich eine störende Strähne aus dem Gesicht. »Na gut, ich weiß, worauf das hinausläuft! Er hat uns zumindest das Leben gerettet. Außerdem ist es ohnehin egal, was ich sage, mhm?«, stichelte sie und Tarae warf ihrer Schwester einen zornigen Blick. Samah gab den Männern mit einem Wink zu verstehen, näher zu kommen. »Na los! Packt mit an!«

    Tarae schenkte ihr ein dankbares Nicken. »Gut. Zuhause werde ich mich um ihn kümmern.«

    Rhéyd

    Seinen Lungen brannten, als hätte er Lava eingeatmet. Der Schmerz fraß sich bis in den hintersten Winkel seines Seins und beraubte ihn jeglicher Fähigkeit. Sein Bewusstsein stürzte immer wieder in die Tiefe, um einem reißenden Strom gleich hin und her geworfen zu werden.

    Schaffte Rhéyd es, seine Augen zu öffnen, nahm er nichts als dunkle Schemen und helles Licht wahr. Er hörte Stimmen, verstand jedoch nicht, was sie sagten. Er konnte die Sprache der Menschen, die so hart und unnatürlich in seinen Ohren klang, dennoch war sein Kopf nicht imstande, mit den einzelnen Worten sinnvolle Sätze zu bilden.

    Stöhnende und schmerzerfüllte Laute gab er von sich, mehr gelang ihm nicht. Eine Stimme jedoch sprach oft zu ihm, sie war ruhig und sanft. Wenn seine Sinne wieder kurz davorstanden, in der Tiefe zu verschwinden, glaubte er, eine Elbin würde mit ihm reden.

    Doch das konnte nicht sein. Sein Verstand belog ihn.

    Nein – falsch.

    Schwarzer Mond hieß das Übel, das in seinem Inneren lauerte. Eine heimtückische Krankheit, die nur die Elben befiel und ihre Träger unbarmherzig in die Knie zwang.

    Der Ausgang war stets tödlich.

    Man starb daran allerdings nicht sofort, nein – der Prozess des Dahinsiechens dauerte mehrere Jahre. Woher die Krankheit stammte, war seit ihrem rätselhaften Ausbruch vor rund tausend Jahre noch immer nicht bekannt; es gab nur Vermutungen. Eine Theorie besagte, dass dieses Gebrechen gesandt worden war, um die Elben für ihre Überheblichkeit zu strafen, die unter anderem darauf beruhte, dass sie sich von all den Völkern auf Katós für das überragende hielten.

    Allerdings fand Rhéyd das schwachsinnig. Er glaubte eher daran, dass irgendein fremdes Tier oder eine verunreinigte Wasserstelle die Seuche eingeschleppt hatte.

    Abermals überrollte ihn der Schmerz und er schaffte es nicht mehr, den Aufschrei zu unterdrücken.

    »Alles ist gut!«, vernahm er sofort den Klang der beruhigenden Stimme.

    Plötzlich fiel ihm ein, dass er sie schon einmal gehört hatte. Sie stammte von der jungen Frau, die er vor dem Schwarzbären gerettet hatte.

    Ich hätte sie dem Vieh überlassen sollen. Dann würde es mir jetzt nicht so beschissen gehen, dachte er verbittert und versuchte erneut, seine Augen für längere Zeit offen zu halten; und dieses Mal gelang es ihm.

    Er starrte an eine dunkle Holzdecke. Zuerst nahm er den bittersüßen Geruch von Kräutern wahr, die sich überall in Hängetöpfen befanden. Aus dem Augenwinkel bemerkte er schwaches Kerzenlicht, und als er den Kopf nach links wandte, blickte er aus einem niedrigen runden Fenster. Die Sonne ging bereits unter. Rhéyd biss sich auf die Unterlippe.

    Wie lange habe ich geschlafen?

    Er fasste sich an den Kopf und seufzte erleichtert auf. Kein Fieber, das hätte ihm gerade noch gefehlt. Vorsichtig richtete er sich auf und ließ abermals den Blick schweifen.

    Ein … Wagen?

    Rhéyd blinzelte verwirrt. Ja, er befand sich in einem aus Holz gefertigten, länglichen und überdachten Wagen – der so wirkte, als würde jemand darin wohnen. Überall sah er unnötigen Tand an den Wänden. Das Bett, in dem er lag, stand in der hinteren Ecke des Wagens. Sobald er sein Augenmerk nach vorne richtete, fand er noch mehr: eine Essecke, eine kleine Feuerstelle, unzählige Regale mit allerhand Töpfen, Tiegeln und … die Menschenfrau.

    Gedankenversunken stand sie mit dem Rücken zu ihm und hielt ein abgegriffenes Notizbuch in der Hand. Sie summte und tippte sich immer wieder gegen das Kinn.

    »Mhm. Ob Mutter damit recht hat?«, hörte er sie murmeln.

    Rhéyd runzelte die Stirn. Sie war zwar nicht die erste Frau ihrer Art, der er begegnete, dennoch war irgendetwas anders an ihr. Er konnte nicht genau sagen, was sie unterschied, aber tief in sich spürte er, dass dort etwas war.

    »Wo bin ich?«

    Die Fremde erschrak und er selbst auch. Seine Stimme klang ungewöhnlich kratzig, er unterdrückte ein Husten.

    »Warte!« Die Frau nahm sofort ein Glas Wasser zur Hand und reichte es ihm. Rhéyd betrachtete sie misstrauisch. Ihre Finger wiesen unzählige Schnittwunden auf und er bemerkte, wie stark sie zitterte. »Hier«, sagte sie aufmunternd und schenkte ihm ein zögerliches Lächeln.

    Der Elb entriss ihr förmlich das Gefäß. Nach einem vorsichtigen Schluck stellte er erleichtert fest, dass es wirklich nur reines, klares Wasser war. Die Unbekannte nahm ihm das leere Glas ab und stellte es auf einen kleinen Tisch unweit des Bettes.

    »Wie geht es dir?«, fragte sie ihn mit einem zaghaften Lächeln.

    Rhéyd unterdrückte ein abfälliges Lachen, kein Mensch interessierte sich für das Befinden eines Elben. »Wo bin ich? Und wie lange habe ich geschlafen?«, fragte er abermals mit Nachdruck und legte so viel Zorn hinein, dass die junge Frau kurz zusammenzuckte.

    »Du befindest dich im Wanderzirkus Phantasta. Du hast mich und meine Schwestern vor dem Bären gerettet, ehe du … zusammengebrochen bist. Das war vor knapp vier Stunden, und genauso lange hast du geschlafen«, erklärte sie leise.

    Rhéyd runzelte die Stirn. »Ein … Wanderzirkus? Und du bist?«

    »Tarae. Ich bin eine der Töchter des Zirkusdirektors. Ich kümmere mich um die Verletzten, aber ich habe auch selbst eine kleine Akrobatiknummer…« Sie brach ab, als

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