Ruf der Magier - Das verlorene Artefakt: Band 1 des High Fantasy Abenteuers
Von Isabel Lieshoff
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Über dieses E-Book
Ein König, der sein Volk um jeden Preis beschützen will.
Ein Feind, der auf Rache sinnt.
Eine junge Kriegerin, auf deren Schultern das Schicksal eines ganzen Reiches lastet.
Nyah wird von den Magiern nach Avalan entsandt, um das gestohlene vierte Artefakt zu finden und in die Dunkellande zurückzubringen.
Doch auf wessen Seite wird sie kämpfen, wenn die Grenze zwischen Freund und Feind plötzlich verwischt?
Ähnlich wie Ruf der Magier - Das verlorene Artefakt
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Buchvorschau
Ruf der Magier - Das verlorene Artefakt - Isabel Lieshoff
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Alle Rechte vorbehalten
Für Corvin –
Because we only print morally grey characters in black and white.
Inhalt
Teil 1:
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Teil 2:
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Teil 3:
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Triggerwarnung:
Dieses Buch nutzt Inhalte, die bei einigen Leserinnen und Lesern Unwohlsein hervorrufen oder eventuelle persönliche Trigger darstellen könnten. Eine genaue Auflistung der inbegriffenen Themen bzw. Szenen ist am Ende dieses Buches zu finden, da sie explizite Spoiler zur Geschichte enthält.
Teil 1:
Die Novizin
Prolog
Nyah
Dunkellande
Der Thronsaal lag schwarz wie die Nacht vor ihr, doch die Dunkelheit machte Nyah nichts aus. Die Schatten begrüßten sie wie einen alten Freund, gehorchten ihr bereits, seit sie ein kleines Mädchen war.
Ihre Schritte hallten von den Wänden wider. Sie nahm nur ihren eigenen Atem und ein leises Keuchen wahr. Durch die Schwärze hindurch konnte Nyah eine Gestalt erkennen, die an ein Podest gekettet war.
Die müden Augen waren blutunterlaufen, der Körper erschlafft. Nyah biss sich auf die Lippe und spürte die Kälte der schwarzen Magie in ihrem Nacken. Sie ließ sie erschaudern.
Ein letzter Test, flüsterten die vertrauten Stimmen in ihrem Kopf. Sie gehörten ihren Meistern – den Magiern. Aus der Finsternis manifestierten sich vier lautlose Schatten, gehüllt in rissige, graue Umhänge. In ihren schemenhaften Klauen hielten sie drei magische dunkle Schwerter. Die Artefakte.
Das vierte fehlte.
Sie hatten keine Gesichter, waren nicht länger menschlich. Als Kind hatte Nyah ihr Anblick immer Angst eingejagt. Die Magier hatten ihr jegliche Schwäche ausgemerzt, sie stark und widerstandsfähig gemacht.
Lektionen, die Nyah niemals vergessen würde.
Und jetzt würden sie sich endlich auszahlen.
Bestehe die Prüfung und du bist bereit.
Entschlossen griff Nyah nach dem Dolch, der in ihrem Gürtel steckte, schnitt sich damit in die Handfläche und ließ das Blut auf die schwarzen Fliesen des dunklen Turms tropfen. Es glänzte rot und mächtig, genau wie sie sich in diesem Moment fühlte.
Tue es, Magiertochter.
Nyah erschauderte. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft und legte sich auf ihre Zunge.
Das Blut eines sterbenden Elementiers.
Sie beugte sich über die Gestalt, die an das Podest gefesselt war. In der Dunkelheit schimmerte die Klinge ihres Dolches rötlich, doch selbst der Anblick der Waffe schüchterte den Elementier nicht ein. Er würdigte Nyah, trotz ihres eng anliegenden, schwarzen Kleides, keines Blickes. Sie hatte es anlässlich ihres letzten Tests ausgewählt, um ihre Meister zu beeindrucken.
Im Gegensatz dazu trug der Elementier einen blauen Umhang - wie alle Wassermagier in der Gilde. Auch Nyahs Schultern würde der blaue Stoff bald zieren.
Die Ketten des Mannes klirrten, als sie ihm den Dolch an die Kehle presste. Nyah würde ihn nicht nach seinem Namen fragen. Es war ihr egal, wer er war oder aus welchem Dorf er stammte. Er war ein Mitglied der Elementiergilde von Avalan und das war alles, was sie wissen musste. Das machte ihn zum Feind.
Mit glasigen Augen starrte der Wassermagier auf seine Fesseln, sein Blick ausdruckslos, besiegt und gebrochen. Nyahs Gesicht würde das letzte sein, was er jemals sah. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor, dort, wo sie ihm mit der Spitze des Dolches langsam, aber sicher die Kehle aufschlitzte.
Der Mann gab nicht einmal einen Laut von sich. Mit letzter Kraft jedoch umklammerte der Elementier Nyahs Handgelenk.
»Irgendwann wirst du dafür b-bezahlen, Mädchen«, krächzte er, während Blut seine Mundwinkel hinabrann. »I-ich bin ein Mentor ... der Elementiergilde. Damit wirst du nicht ... nicht d-durchkommen.« Sein Körper erschlaffte und sackte leblos in sich zusammen.
Nyah wischte den Dolch an ihrem Umhang ab.
Eine Verschwendung.
Die Worte des Elementiers überraschten sie nicht sonderlich. Es war das Flehen eines Sterbenden, ein weiteres Opfer auf ihrer langen Liste. Dabei hatte das Blutvergießen doch gerade erst begonnen. Sie fürchtete die Dämonen hinter dem Schleier nicht.
Gut gemacht, lobten die Magier ihre Tochter. Du weißt, worin deine Aufgabe besteht. Bringe uns das vierte Artefakt zurück.
Nyah verbeugte sich mit einem triumphierenden Lächeln. Das tat sie immer, um der Dunkelheit ihren Respekt zu erweisen.
Dann zog sie sich die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf und steckte den Dolch, auf dessen Klinge das Elementierblut bereits getrocknet war, zurück in ihren Gürtel.
Mit leisen Schritten verschwand Nyah aus dem Thronsaal, bereit, sich mit den Schatten zu vereinen, die sie schon ihr ganzes Leben begleiteten. Nun war es an der Zeit, sie auf die Welt loszulassen.
Kapitel 1
Ràn
Avalan
Ràn war auf dem Weg in seine Gemächer. Er wusste, dass etwas nicht stimmte, und seine Vermutung bestätigte sich, als er Senator Alecor in seinen Gemächern vorfand.
Der Senator saß auf einem Stuhl, die Hände auf dem hölzernen Esstisch vor ihm verschränkt. Normalerweise suchte er ihn selten zu so später Stunde auf, schließlich leuchtete der Mond bereits hell am Himmel. Was auch immer er Ràn mitteilen wollte, es musste dringend und ihm sehr wichtig sein.
»Ich ... habe von dem verschwundenen Wassermagier gehört«, sagte Ràn. »Wir haben im Briswich Forest nach ihm gesucht, doch es gibt keine Spur von ihm.«
»Das habe ich bereits befürchtet.«
Alecor seufzte. Er war der Senator der Elementiergilde von Avalan, doch trotz seines hohen Ranges hatte Ràn, seit er ein kleiner Junge war, ein enges Verhältnis zu ihm. Ràn war gemeinsam mit Alecor und seinem Bruder aufgewachsen. Der Anführer der Gilde war fast so etwas wie ein Vater für ihn. Und Ràn wusste, dass Alecor ihn ebenso sehr schätzte wie er ihn.
»Wir vermuten, dass er entführt wurde«, erwiderte der Senator und stand auf. Er machte einen Schritt auf Ràn zu.
»Entführt? Von wem?«, fragte Ràn.
»Das weiß ich leider nicht. Ich habe gehofft, dein Quartett könnte mehr herausfinden.«
Ràn hasste es, den Senator zu enttäuschen, doch er konnte Alecor keine Antworten geben. Er hatte nichts zu berichten. Mal wieder hatte er versagt. Das war in den Augen der Gilde nichts Neues für Ràn, denn er war schon immer belächelt worden. Die Elementier tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Natürlich nicht vor dem Senator, denn Alecor würde es niemals zulassen, dass sie einen seiner Soldaten öffentlich schikanierten, doch seit dem Tod seines Bruders hatte sich für Ràn vieles geändert. Er hatte sich zurückgezogen, sich in die Einsamkeit geflüchtet.
Die einzigen Elementier, denen er vertraute, waren die Soldaten seines Quartetts. Keno, Aria und sein bester Freund Jero waren ihm gegenüber nicht nur loyal, sondern ihm auch eine dringend gebrauchte Stütze während seiner Trauer gewesen.
Alecor räusperte sich. »Verzeih mir. Ich möchte dich zu so später Stunde nicht damit belasten. Hast du nach deiner Mutter gesehen? Geht es ihr gut?«
Ràn nickte. Er hatte mit seiner Mutter zusammen gegessen und ihr dann geholfen, ein paar Kräuter wegzuräumen. Jetzt schien das weißlich-kühle Licht des Mondes in seine Gemächer, erinnerte ihn daran, dass er sich ausruhen sollte, doch an Schlaf war nicht zu denken.
»Sie hat erwähnt, Ihr hättet mit ihr gesprochen«, erwiderte Ràn.
Alecor nickte.
»Sie macht sich Sorgen um dich. Und das tue ich auch. Seit dem Tod deines Bruders bist du nicht mehr derselbe, Ràn.«
Ràn schnaubte. »Es geht mir gut.«
»Bist du sicher? In letzter Zeit hast du deine Gemächer kaum verlassen.«
Alecor legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte vor der Berührung zurück. Ràn hasste es, dem Schmerz ins Gesicht zu sehen. Das Mitleid des Senators brauchte er nicht.
Er wusste selbst, dass er versagt hatte.
Ràn wollte nicht an den schmerzlichen Verlust seines Bruders erinnert werden.
Elijah.
Wie sehr er sich wünschte, die Zeit zurückdrehen und ihn in der Abschlussprüfung retten zu können. Doch dieser Wunsch würde ihm auf ewig verwehrt bleiben.
»Es ist keine Schande zu trauern«, sagte Alecor sanft. »Ich vermisse Elijah auch.«
Ràn wusste, dass er nicht der Einzige war, in dessen Herz Elijahs Verlust eine klaffende Wunde hinterlassen hatte. Seine Mutter und der Senator trauerten ebenfalls. Im Stillen.
Lijana hatte mehrfach versucht, Ràn dazu zu überreden, sie nach Harloth, in die Hauptstadt Avalans, zu begleiten, doch er hatte das Angebot jedes Mal abgelehnt. Seine Gemächer waren ein sicherer Hafen für ihn. Hier fand er Ruhe vor dem regen Treiben. Ruhe vor den neugierigen Blicken. Jeder Wimpernschlag im Schloss war ein Urteil über sein Versagen.
Ràn war ein Feigling.
Das leugnete er nicht. Er hatte seinen Bruder sterben lassen.
Seit seinem Tod vor fünf Jahren versuchte er, seinen Fehler wiedergutzumachen, war in Elijahs Fußstapfen getreten und kämpfte im Namen der Gilde. Doch das war nicht genug, würde niemals genug sein. Der Schatten seines Bruders verfolgte Ràn unaufhörlich. Er konnte nicht akzeptieren, dass Elijah für immer fort war. Ràn wollte ihn stolz machen, aber er fürchtete, sein Bruder wäre enttäuscht, wenn er ihn jetzt sehen könnte.
»Wenn Ihr wollt, dass ich wieder zur Barriere reite ...«, begann Ràn, doch Alecor hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen.
»Nein. Ich habe eine andere Aufgabe für dich. Eine, die deine Anwesenheit hier im Schloss erfordert.«
Ràn begegnete Alecors Blick. Der Senator war in seiner Anwesenheit selten so ernst. Ja, er wirkte beinahe einschüchternd. Die Gilde munkelte, er sei ein Feuermagier, doch Ràn hatte ihn seine Macht nur selten nutzen sehen. Sie war anders als die der restlichen Feuermagier in der Gilde und deutlich mächtiger. Angeblich brannten Alecors Flammen heißer, verglühten zu einem gleißenden Licht, das Heilkräfte besaß. Das wahre Ausmaß seiner Macht offenbarte der Senator nur wenigen Elementiern. Ràn schätzte sich glücklich, zu ihnen zu gehören.
Sein seltsames Verhalten beunruhigte ihn jedoch mehr, als Ràn jemals zugeben würde. Welche Neuigkeiten der Senator ihm wohl überbringen würde?
Was immer Alecor ihm sagen wollte, es würde Ràn nicht gefallen.
»Rasmus sollte einen Elementier ausbilden. Er ist ein Mentor und die neuen Novizen treffen bereits in zwei Tagen im Schloss ein.«
Alecor atmete tief durch und presste Daumen und Zeigefinger auf seine Nasenwurzel.
»Und jetzt wollt Ihr, dass ich seinen Platz einnehme«, schlussfolgerte Ràn.
»Ich weiß, welche Bürde auf deinen Schultern lastet«, entgegnete Alecor. »Gerade nach dem Verlust deines Bruders wird es nicht einfach für dich sein, einen Novizen auszubilden, aber ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.«
Alecor schenkte ihm ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte.
»Könnt Ihr nicht einen anderen Elementier fragen?«, erwiderte Ràn, schärfer als beabsichtigt. »Einen, der das Element Wasser beherrscht, so wie Rasmus?«
»Alle anderen Wassermagier unter den Mentoren haben bereits einen Rekruten.« Alecor seufzte. »Zudem bist du einer der besten Krieger der Gilde. Von deinem Element einmal abgesehen, könntest du den Novizen viel beibringen.«
Ràn seufzte ebenfalls. »Lasst mich raten? Das war die Idee meiner Mutter. Darüber habt Ihr mit ihr gesprochen.«
O, Ràn kannte seine Mutter gut genug, um das zu wissen. In den letzten Jahren hatte er oft darüber nachgedacht, das Schloss zu verlassen, doch sie war die Einzige, die ihn davon abhielt. Ràn brauchte seine Mutter ebenso, wie sie ihn brauchte. Es würde ihr das Herz brechen, auch noch ihren zweiten Sohn zu verlieren.
»Ganz recht«, antwortete Alecor. »Das war ihre Idee. Lijana denkt, es wird dir guttun, wieder mehr unter Menschen zu kommen. So musst du nicht den Rest deiner Tage in diesen Gemächern verbringen.«
Ràn hätte beinahe laut aufgelacht.
»Ihr wisst, dass ich noch immer meine Pflichten an der Barriere zu erfüllen habe, oder? Ich bin ein Soldat, Alecor. Ich ... muss ein Quartett anführen.«
»Das habe ich natürlich nicht vergessen.« Der Senator lächelte. »Und deine Pflichten an der Barriere werden nicht zu kurz kommen, das verspreche ich dir.«
Ràn biss sich auf die Lippe. Er zwang sich, tief durchzuatmen. Blieb ihm denn eine andere Wahl? Alecors Bitte glich einem Befehl und er wusste, früher oder später würde der Senator einen Weg finden, ihn dazu zu zwingen.
»In Ordnung«, sagte er und presste sich seine geballte Faust auf die Brust. »Ich tue, was Ihr von mir verlangt.«
Alecor schien erleichtert.
»Es besteht kein Grund, so förmlich zu sein«, erwiderte er. »Ich vertraue dir, Ràn. Die Ausbildung eines Novizen ist keine Kleinigkeit. Als Mentor trägst du die Verantwortung für deinen Schützling. Er muss sich jederzeit auf dich verlassen können.«
Ràn nickte. »Ich werde Euch nicht enttäuschen, Senator. Ihr habt mein Wort.«
»Nichts anderes habe ich von dir erwartet.« Alecor drückte Ràns Schulter. »Die Aufnahmeprüfung findet in zwei Tagen statt. Bis dahin solltest du dich ausruhen. Ich zähle auf dich, Ràn.«
Ràn sah Alecor nach, der mit erhabenen Schritten seine Gemächer verließ. Sein eindringlicher Blick hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.
Missmutig betrachtete er sich im Spiegel und strich seinen weißen Umhang glatt. Er zeichnete ihn als Luftmagier aus.
Und nun wäre Ràn gezwungen, einen Wassermagier auszubilden.
Er wünschte, der Senator hätte ihm mehr Informationen gegeben, um wen es sich handelte. Wie alt die auszubildende Person war. Alecor verkündete die Namen der Novizen jedoch erst am Tag der Aufnahmeprüfung und bis dahin wäre Ràn genauso ahnungslos wie die restlichen Mentoren.
Vor ein paar Tagen hatte er beobachtet, wie der Senator ein Pergament mit ihren Namen und Elementen unterzeichnet und seinem Kommandanten gegeben hatte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er es nicht als wichtig erachtet und jetzt ...
Ràn schluckte.
Was, wenn er der Aufgabe nicht gewachsen war? Es war eine Ehre, als Mentor auserkoren zu sein. Ihnen wurde in der Gilde großer Respekt entgegengebracht.
Das war Ràn natürlich bewusst und er bewunderte die Ausbilder für das, was sie taten, aber das machte ihn noch lange nicht zu einem geeigneten Lehrer. Er war auch nicht gerade dafür bekannt, ein guter Anführer zu sein, obwohl Keno, Jero und Aria ihm widersprechen würden.
Ràn schaffte es ja kaum, sein Quartett zu beschützen. Wie sollte er es dann hinkriegen, einen Novizen auszubilden? Was hatte Alecor sich nur dabei gedacht?
Wenn sein Schützling während der Initiation starb, wenn Ràn genauso versagte, ihn zu beschützen wie seinen Bruder, würde er sich das niemals verzeihen.
Kapitel 2
Nyah
Das Blackrock Castle ragte in all seiner Pracht vor Nyah auf. Der Ritt von den Dunkellanden bis zum Hauptsitz der Gilde hatte sie zwei Tage gekostet, wobei sie die Nacht im Briswich Forest verbracht hatte.
Erst kürzlich war sie an der Stadtmauer von Harloth entlang geritten.
Hinter ihr erstreckten sich nichts weiter als der dichte Wald und die schimmernde Barriere, welche das Land Avalan von Nyahs Zuhause trennte. Als Elementierin konnte sie sie genau wie die Domestiken überqueren. Nur ihre Meister waren seit zwanzig Jahren hinter dem Schleier gefangen.
Nyah würde die Dunkelheit vermissen. Sie hatte ihr seit ihrer Kindheit Kraft gegeben. Nun lag es an ihr, diesen Kampf allein fortzuführen. Die Magier hatten sie auf diesen Tag vorbereitet, den Tag, an dem Nyah sich als Elementierin in die Gilde einschleichen würde.
Sie sollte das verlorene vierte Artefakt finden.
Die Waffe wurde vor Jahrzehnten von Soldaten der Elementiergilde gestohlen. Und jetzt war es Nyahs Aufgabe, sie zurückzuholen.
Die Tarnung als Elementierin fiel ihr nicht schwer. Sie war ein geringes Opfer im Vergleich zu der Macht, die sie bald in ihren Händen halten würde.
Nyah würde gemeinsam mit den Magiern über Avalan herrschen.
Eine verlockende Vorstellung, die sie nicht zum ersten Mal zum Lächeln brachte. Doch zuerst musste sie die Ausbildung in der Gilde bestreiten. Das avalanische Volk bezeichnete sie als Initiation. Nyah hatte alles darüber gelesen. Es war die perfekte Strategie, um Zutritt zur Elementiergilde zu erlangen.
Niemand würde sie als Spionin verdächtigen. Sie war nichts weiter als eine einfache Novizin.
Entschlossen umklammerte Nyah die Zügel ihrer Stute Sierra, stieg aus dem Sattel und lief das letzte Stück bis zum Burggraben des Schlosses.
Das Blackrock Castle war ein prächtiges Bauwerk. Der graue, fast schwarze Stein wurde vom Sonnenlicht in ein warmes Gold getaucht. Nyah starrte fasziniert zu den hohen Türmen hinauf, an deren Spitzen Fahnen im Wind wehten. Sie zierten das Wappen der Gilde — die ausgebreiteten Schwingen eines Greifs, die in ihrer Mitte ein glänzendes Schwert flankierten.
Nyahs Blick blieb daran hängen. Es wirkte fast so, als würde der Vogel sie beobachten und die dunkle Magie in ihrem Inneren spüren.
Sie riss sich vom Anblick des Wappens los und ihr Pferd zog den Kopf ein, als Nyah es über die Zugbrücke führte und mit ihm vor den gewaltigen Torbögen zum Stehen kam.
»Halt!«, ertönte eine Stimme, und plötzlich war Nyah von drei Soldaten umzingelt. Einer von ihnen presste die Klinge seines Schwertes an ihren Hals. »Wer bist du?«, fragte der Wachmann. »Was führt dich ins Blackrock Castle?«
Er musterte Nyah aus schmalen Augen, so als würde er ihr nicht trauen.
»Mein Name ist Nymeria«, antwortete Nyah und benutzte bewusst ihren vollen Namen, der auch auf dem Pergament in ihrer Hand stand. »Ich bin eine Novizin der Gilde.«
»Zeig mir deine Geburtsurkunde«, verlangte der Mann, und Nyah überreichte ihm das sorgfältig zusammengefaltete Schriftstück. Sie hatte es in den Dunkellanden gefälscht, wusste aus alten Büchern, die sie im dunklen Turm gelesen hatte, wie die offiziellen Dokumente der Gilde aussahen. So täuschend echt wie die Urkunde wirkte, würden die Soldaten niemals dahinterkommen, wer sie wirklich war.
»Du stammst von der Barriere?«, fragte der Wachmann und betrachtete die entfaltete Schriftrolle skeptisch. Eine tiefe Furche bildete sich auf seiner Stirn. Jedes Dorf, welches sich in unmittelbarer Nähe zur Barriere befand, stellte ein Risiko für Avalan dar, das wusste Nyah.
»Ich bin in einem Waisenheim in der Nähe des Briswich Forest aufgewachsen«, erwiderte sie. Eine einfache, glaubwürdige Geschichte, die halbwegs der Wahrheit entsprach. Die Magier hatten ihr erzählt, dass ihre Familie aus einem Dorf im Briswich Forest stammte. Nyah war jedoch zu jung, um sich daran zu erinnern und sie hatte ihre leiblichen Eltern nie kennengelernt.
Seit sie denken konnte, waren die Magier ihre Familie. Sie hatten Nyah als Waisenkind in ihre Obhut genommen und sie in der schwarzen Magie ausgebildet. Als sie alt genug war, um eine Waffe zu führen, hatten sie ihr auch den Schwertkampf beigebracht.
Die kräftezehrenden Lektionen würde Nyah niemals vergessen. Sie hatten sie stark gemacht.
Der Wachmann warf einen letzten Blick auf das Pergament, dann faltete er es sorgfältig wieder zusammen und signalisierte seinen Soldaten, sich zurückzuziehen.
»Der Zutritt sei dir gewährt, Nymeria. Willkommen in der Gilde, Novizin.«
Zusammen mit ihrer Stute folgte Nyah den Kriegern, die sie in den Schlosshof des Blackrock Castles führten. Ein Grinsen umspielte ihre Mundwinkel.
Sie betrat das Herz des Feindes.
Bedienstete eilten umher, säuberten den Hof. Ein junges Mädchen nahm Nyah glücklicherweise ihr Pferd ab und brachte es in die Stallungen.
Sie sah sich um. Weitere Soldaten waren auf der hohen Mauer postiert, die die einzelnen Türme miteinander verband, während andere an der Treppe standen, die ins Schloss hineinführte. Steinsäulen gaben den Blick auf einzelne Gänge frei, hinter denen Nyah einen grünen Garten entdeckte. Ein Brunnen stand in der Mitte des Hofes, aus dem Diener Wasser schöpften.
An der Tür zum Haupteingang durchsuchten Nyah zwei weitere Gildekrieger und nahmen ihr ihre Dolche ab.
»Du wirst im Versammlungssaal erwartet«, verkündete einer von ihnen.
Nyah nickte und betrat lächelnd den Hauptsitz der Elementiergilde.
Elementier waren magiebegabte Menschen, die Feuer, Wasser, Erde und Luft beherrschten. Sie hießen Nyah als Novizin in ihren Reihen willkommen, ohne den geringsten Verdacht zu schöpfen.
Dass sie damit ihren eigenen Untergang besiegelt hatten, ahnten sie nicht.
***
Der Versammlungssaal verschlug Nyah regelrecht die Sprache. Sie war nur ihre kleine, stickige Kammer im dunklen Turm gewohnt. Zwischen kahlen, grauen Wänden hatte sie ein Schattendasein geführt, doch hier entdeckte sie leuchtende Farben, wo immer sie hinsah.
Banner waren an den Wänden befestigt, alle mit dem Wappen der Gilde bestickt.
Nyah bemerkte die verschiedenen Umhänge der Elementier, passend in den Farben ihrer Elementmagie. Rot für Feuer, Blau für Wasser, Grün für Erde und Weiß für die Luft.
Der Raum war in eine vordere, beinah kreisrunde Arena und ein hinteres Podium mit mehreren Sitzreihen unterteilt. Sie waren noch leer, doch Nyah wusste bereits jetzt, dass einer der Plätze von Senator Alecor eingenommen werden würde. Er war der Anführer der Elementiergilde und einer der Gründe, wieso sie hier war. Nur er wusste, wo sich das vierte Artefakt befand. Und Nyah würde es sich nicht entgehen lassen, sich an ihm zu rächen. Dieser Mann hatte ihre Familie auf dem Gewissen.
Sie betrachtete das gähnend leere Podium einige Minuten, prägte sich jedes noch so kleine Detail des Raums ein, bevor sie in die Arena hinunterkletterte.
Dort befanden sich bereits einige andere Novizen. Es waren mehr, als Nyah gedacht hatte, und zwischen den über fünfzig Rekruten fühlte sie sich beinahe wie in einem Käfig.
Keiner von ihnen schenkte ihr auch nur die geringste Beachtung. Nicht, dass Nyah darauf Wert gelegt hätte. Die Gilde war ihr nicht vertraut und es war besser, wenn sie keine Aufmerksamkeit erregte.
In den Dunkellanden hatte sie allein gekämpft. Hier würde sie Verbündete brauchen. Die Vorstellung behagte ihr nicht. In den zwanzig Jahren ihres Lebens hatte Nyah immer nur sich selbst vertraut. Die Elementier waren ihre Feinde. Sie würde diese Dämonen sicher nicht zu nahe an sich heranlassen.
»Achtung!« Die Stimme eines Gildekriegers riss sie aus ihren Gedanken. Eine Totenstille legte sich über die Arena.
Die Novizen drückten den Rücken durch. Jeder Einzelne starrte auf das Podium und presste sich die geballte Faust auf die Brust. Nyah wusste, dass es sich um eine Geste des Respekts handelte, die unter den Elementiern verwendet wurde. Sie bedeutete so viel wie jederzeit dazu bereit zu sein, das eigene Leben zu opfern. Koste es, was es wolle.
Als Teil ihrer Ausbildung bei den Magiern hatte Nyah die Traditionen und Bräuche der Gilde seit frühester Kindheit gelernt, daher war es für sie eine Leichtigkeit, sich den Elementiern anzupassen.
Die Faust auf ihr Herz gepresst, beobachtete sie, wie Krieger in silbernen Rüstungen das Podium betraten.
Das mussten die Mentoren sein, deren Aufgabe es war, die Novizen auszubilden. Einen Moment lang fragte sich Nyah, welcher dieser armseligen Bastarde sie wohl erwählen würde, doch schnell galt ihre Aufmerksamkeit der Person, die sich nun an den Rand des Podiums vorwagte.
Auf diesen Moment hatte Nyah lange gewartet. In ihren Träumen hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, ihm gegenüberzustehen. Er trug eine rote Robe und eine silberne Kristallkrone auf dem Kopf. Seine kohlschwarzen, langen Haare fielen ihm über die Schultern. Die Stirn des Mannes zierten bereits die ersten Falten. Ein glänzendes Schwert hing an seiner Hüfte, das mindestens genauso imposant wie das Artefakt wirkte.
Jetzt hatte das Monster, welches sie seit ihrer Kindheit verfolgte, endlich ein Gesicht.
Nyah starrte direkt in die pechschwarzen Augen von Senator Alecor, dem Anführer der Elementiergilde von Avalan und ihrem größten Feind.
Kapitel 3
Alecor
Alecor empfand es als große Ehre, die Novizen zu begrüßen. Seit seiner Ankunft war jedes Gespräch im Saal verstummt, das Gelächter der Anwesenden zu einem Flüstern abgeebbt. Obwohl die Novizen ihn nicht kannten, hatten sie Respekt vor ihm.
Alecor würde sein Bestes tun, dass sie sich willkommen fühlten. Doch er wusste, spätestens nach der ersten Elementprüfung würde er einige ihrer Gesichter nicht wiedersehen.
»Novizen«, begann er wie üblich seine Ansprache. »Wie jedes Jahr entscheidet eine erste Prüfung, wer von euch in die Gilde aufgenommen wird. Jeder, der diese Prüfung besteht, bekommt einen Mentor zugeteilt, der euch alles Weitere erklären wird.«
Alecor räusperte sich. Das war noch der einfache Teil. Schon sein Großvater hatte die Aufnahmeprüfung abgehalten. Sie war ein erster Test, um zu prüfen, welche Rekruten für das Schlachtfeld geeignet waren. Sein Vater hatte ihn gelehrt, im Krieg niemals zu zögern, im Kampf keine Angst zu zeigen, stets wachsam und mutig zu sein. Das waren Tugenden, die Alecor versuchte, an seine Soldaten weiterzugeben, aber nicht jeder Elementier war aus demselben Holz geschnitzt.
»Am Rand der Arena findet ihr Waffen«, fuhr er fort und deutete auf einen Tisch, auf dem verschiedene Schwerter, Dolche, eine Armbrust sowie ein Bogen und ein Köcher mit Pfeilen lagen.
»Wählt weise. Eure Wahl kann über Leben und Tod entscheiden.«
Alecor betrachtete jeden einzelnen der Novizen. Ihren Urkunden hatte er entnommen, dass viele von ihnen aus wohlhabenden Familien stammten. Auch der Sohn des Regenten von Scorchborough war unter ihnen, doch Alecor konnte ihn in der Menge nicht ausmachen. Ein paar der Novizen waren erst achtzehn Jahre alt, andere schon in ihren Zwanzigern. Er glaubte, die Tochter des Stadtoberhaupts von Port Barrow zu erkennen, die mit ihren blonden Haaren und der arroganten Haltung hervorstach. Der Senator sah einen Jungen mit Sommersprossen und ein dunkelhaariges Mädchen, das an seinen Fingernägeln knabberte. Der Junge neben ihr zitterte. Seine Knie schlotterten so stark, dass Alecor sich fragte, ob er überhaupt eine Waffe in der Hand halten konnte.
Sein Blick blieb an einem Mädchen mit einem schwarzen, geflochtenen Zopf hängen. Die Novizin starrte ihn an, musterte ihn ebenso eingehend wie er sie. Alecor spürte einen Stich in der Brust. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, doch er konnte nicht sagen, woher. Ihre Augen blitzten. Die Elementierin wirkte äußerst temperamentvoll. Sie strahlte keine Angst aus. Nein, Alecor vermutete, sie freute sich sogar auf den bevorstehenden Kampf.
»Mögen die Elemente mit euch sein«, sagte er und nickte einem Soldaten zu, der außerhalb der Arena stand und auf seinen Befehl hin ein Fallgitter öffnete. Das Rattern des Gitters ließ einige Novizen zusammenzucken.
Alecor trat einen Schritt vom Podium zurück und verschränkte die Hände im Schoß. Er setzte sich zwischen die Reihen der Mentoren.
Die meisten von ihnen kannte er schon seit Jahren. Sie waren enge Vertraute, nahmen regelmäßig an seinen Besprechungen teil. Alecor schätzte ihre Meinung sehr.
Als er sich umdrehte, entdeckte er Ràn einige Reihen hinter sich. Er hatte sich neben Jero niedergelassen, was Alecor nicht verwunderte, da die beiden seit ihrer Initiation beinahe unzertrennlich waren. Jero war der einzige Elementier, den Ràn nach dem Tod seines Bruders nicht von sich gestoßen hatte.
Alecor schmunzelte, als er die beiden Schwerter an Ràns Hüfte bemerkte. Ràn verließ seine Gemächer nie ohne seine Waffen, egal, ob er kämpfen musste oder nicht. Auch jetzt hielt er eine Hand am Schwertgriff, jederzeit in Alarmbereitschaft. Alecor zweifelte nicht daran, dass er ein guter Mentor sein würde.
Er widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen in der Arena. In diesem Moment trat eine Kreatur aus dem Fallgitter, deren Brüllen den gesamten Raum erzittern ließ.
Kapitel 4
Nyah
Nyah erstarrte.
Erschrocken stellte sie fest, dass ihre Hände zitterten, als das Brüllen der Kreatur durch die Arena hallte. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte.
Ihr Blick war geradewegs auf das Monstrum gerichtet, das mit schweren Schritten auf sie zukam.
Ein Junge schrie auf und zeigte mit vor Schreck geweiteten Augen auf zwei große Pranken, die zu einem kräftigen Körper mit schwarzem Fell gehörten.
Ein Bär.
Ein Schwarzbär war der Gegner, den sie in der Aufnahmeprüfung bekämpfen sollten. Seine roten Augen funkelten, zuckten hin und her, so als würde er seine Beute wittern. Speichel tropfte von seinen Lefzen, die eine Reihe scharfer Zähne entblößten, als er sein Maul aufriss.
Nun fühlte sich Nyah mehr denn je wie in einem Käfig. Aus der Arena entkam niemand.
Sollte sie sich bereits ein Schwert schnappen oder wäre es klüger, zu warten?
Ihr blieb keine Zeit, eine