Letzte Ausfahrt Mekka: Nach einer wahren Geschichte
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Über dieses E-Book
Marie erzählt in diesem Buch einfühlsam die Wandlung ihres Schützlings Isa, der Halt in seinem Glauben sucht und damit die enge Bindung, die über mehrere Jahre hinweg bestanden hat, löst. Durch die Ereignisse auf der Pilgerfahrt bekommt Marie Kontakt zu Isas Familie in Syrien und einen Einblick in sein Leben, bevor er nach Deutschland geflohen ist.
Ines Allerheiligen
Ich bin in Bremen Nord geboren und mein ganzes Leben lang der kleinen Vorstadt von Bremen treu geblieben. Hier wohne ich mit meiner Familie und unseren zwei Hunden. Nach dem Abitur habe ich eine kaufmännische und eine medizinische Ausbildung gemacht und hatte damit die Möglichkeit, in verschiedenen beruflichen Bereichen zu arbeiten. Ich hatte immer Schwierigkeiten, mich in eine berufliche Sparte drängen zu lassen. Seit zwei Jahren arbeite ich in einem Übergangswohnheim für geflüchtete Menschen. Eine Arbeit, die alles, was ich bisher beruflich gemacht habe, auf irgendeine Weise vereint und auch meine private Leidenschaft einbezieht. Seit drei Jahren schreibe ich Bücher, mit den unterschiedlichsten Themen.
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Buchvorschau
Letzte Ausfahrt Mekka - Ines Allerheiligen
Oktober 2021
Es war früher Morgen und die Wolken hingen tief. Ab und zu ließen sie ein paar Regentropfen frei, die wie in einem feinen Nebel auf die Erde fielen.
Ich hatte die Scheibenwischer meines Autos auf Intervall gestellt und die Fenster an beiden Seiten leicht geöffnet, damit sie nicht beschlugen. Trotz der düsteren Stimmung war es ein milder Oktobertag.
Isa saß neben mir, verlor kaum ein Wort. Allerdings hatten wir alles seit Wochen geplant und so gab es auch nicht viel zu besprechen.
Er wirkte ruhig und entspannt. Tief in ihm aber, da musste es brodeln vor Glück, das wusste ich.
Wir waren auf dem Weg zum Bahnhof. Seine erste Reise, seitdem er vor genau drei Jahren in Deutsch-land angekommen war. Er hatte lange darauf warten müssen. Der Ausbruch von Corona hatte diese Reise in den letzten eineinhalb Jahren unmöglich gemacht und ihm monatelanges, unerträgliches Warten beschert.
Die notwendigen Vorbereitungen waren schon seit vielen Wochen abgeschlossen: eine Meningokokken Impfung, die zwei benötigten Covid-19 - Impfungen, sowie diverse Unterlagen, die gebraucht wurden, um ein Visum zur Einreise nach Saudi – Arabien zu beantragen.
Nachdem ich einige Runden am Bahnhof gedreht hatte, fand ich endlich einen Parkplatz nicht allzu weit vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt. Genau hier hatte ich geparkt, als Isa vor drei Jahren angekommen war. Hundert Meter weiter hatte der FlixBus, der ihn nach Hamburg gebracht hatte, gehalten.
Wir hatten uns drei Jahre zuvor im Internet kennengelernt. Es lagen drei turbulente Jahre hinter uns mit vielen Höhen und Tiefen. Er war nur einer von vielen Geflüchteten, die in den letzten Jahren in Deutsch-land angekommen waren. Für mich aber war seine
Geschichte eine ungewöhnliche Geschichte. Ich wollte sie unbedingt festhalten und begann damit das Erlebte aufzuschreiben. Für mich ist dieses Buch wie eine Therapie. Eine Selbsttherapie die ich brauchte, um alles zu verarbeiten.
Als ich gerade dachte, dass alles gut werden würde, sind Dinge passiert, die das bisher Erlebte und meine Gedanken und Erinnerungen tief erschüttert haben. Dies ist eine wahre Geschichte. Alles hat sich genauso zugetragen, wie ich es in diesem Buch erzähle.
Rückblick
Im Juni 2018 hatte ich Isa im Internet kennengelernt. Ich erinnere mich noch ganz genau daran. Ich stand in der großen Küche des „Herrenhauses Schwanenberg" und packte meine mitgebrachten Taschen für unsere bevorstehende Feier am Wochenende aus.
Mein Mann inspizierte die Bar und räumte einige Flaschen ein, die wir schon im Vorfeld besorgt hatten. Wir hatten das „Schlösschen" für unsere Silberhochzeit gemietet, die wir hier am Samstag feiern wollten. Es war eine wunderschöne Location mit verschiedenen Räumen. Es gab einen großen Speisesaal, eine Bar mit Sitzgelegenheiten, eine große alte Küche sowie ein Kaminzimmer mit einer Tanzfläche und gemütlichen Sofas direkt vor dem Kamin.
Die ganze Familie und viele Freunde waren eingeladen. Unsere Kinder waren schon beide so gut wie erwachsen. Die Große lebte in ihrer eigenen Wohnung und die Kleine war auch schon recht selbständig, so dass wir langsam unabhängiger in unserem Leben wurden und wieder für uns zwei planen konnten, ohne viel Rücksicht auf die Mädels nehmen zu müssen.
Die Silberhochzeit war irgendwie wie ein Wendepunkt. Mein Mann erzählte mir später, dass er das Gefühl gehabt hatte, es würde jetzt alles ruhiger werden.
Wir hätten die schlimmsten und anstrengendsten Phasen unseres Lebens hinter uns gebracht.
Bei mir sah es etwas anders aus. Ich war bis vor zwei Jahren zu Hause gewesen und hatte nur sporadisch mal gearbeitet. Die letzten Jahre hatte ich mich fast ausschließlich um den Haushalt und die Kinder gekümmert. Meine kleine Tochter litt jahrelang unter einer sehr schweren Neurodermitis, die wir nicht in den Griff bekamen. Mein Leben bestand zu dieser Zeit aus Arztbesuchen, wenig Schlaf und Eincremen. Regelmäßiges Arbeiten konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen.
Als sich ihre Haut besserte, fiel es mir schwer, mich wieder auf mich selber zu besinnen. Ich besuchte eine Fortbildung, um mich beruflich wieder auf den neuesten Stand zu bringen und bekam dann kurz vor Ende eine Teilzeitstelle als Integrationsfachkraft in einem Übergangswohnheim in Hamburg angeboten. Die Arbeit gefiel mir sehr gut und ich konnte endlich auch Kontakte außerhalb der Familie aufbauen. Ich merkte, dass ich einiges vermisst hatte in den letzten Jahren, blühte sichtlich auf, wurde unruhig und hatte das Gefühl, ich müsste so vieles nachholen.
Ich stand also in der Küche unserer Silberhochzeits-location und checkte mein Handy. Auf Instagram befand sich eine Nachricht, von einem Mann, den ich nicht kannte. Ich wollte sie später lesen, wenn ich Zeit dazu hätte.
Am Abend öffnete ich dann diese Nachricht: „Good evening, how are you". Das war die erste Nachricht, die mir Isa schrieb, die ich aus irgendwelchen unempfindlichen Gründen nicht löschte und auf die ich antwortete.
Mit diesem Satz begann die Geschichte seiner Flucht nach Deutschland, die fünf Monate später am Hamburger Hauptbahnhof ihr Ende fand.
Isa, ein syrischer junger Mann, hatte bereits eine Flucht aus Syrien in die Türkei hinter sich.
Er war in Manbij aufgewachsen, einer kleinen Stadt nahe der Grenze zur Türkei. Eine kleine Stadt, die während des Bürgerkrieges in Syrien durch die grenznahe Lage strategisch sehr wichtig wurde und zeitweise vom Islamischen Staat besetzt war, der dort ei-gene Gesetze einführte und die Bevölkerung unterdrückte.
Eine Stadt, die eigentlich kunterbunt war in ihrer Vielfalt der Religionen und Kulturen.
Unter der Herrschaft des Islamischen Staates aber wurden die Regeln streng. Die Frauen mussten sich verschleiern und die Männer trugen lange Bärte, die nicht geschnitten werden durften. In Wahrheit aber gab es unendlich viele Gesetze die beachtet werden mussten, um nicht in Ungnade zu fallen.
Isa hatte mit 18 Jahren seinen Wehrdienst in der syrischen Armee abgeleistet und war dann in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Kurz darauf erlitt er bei einem schweren Autounfall lebensgefährliche Verletzungen, die einen langen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Diese Geschichte schien schwer auf ihm zu lasten. Oft erzählte er mir davon, dass sein Vater damals auf eigene Kosten Spezialärzte kommen ließ, damit er die bestmöglichste Versorgung erhielt. Sein Leben hing lange Zeit am seidenen Faden. Aber nicht der Unfall selbst war das, was ihn so quälte, sondern die Tatsache, dass sein Vater täglich während seiner Genesung an seinem Bett saß und ihm vorhielt, wieviel Geld er für ihn ausgegeben hatte. Er selber war ans Bett gefesselt, nicht in der Lage zu Sprechen und musste diese Tortur hilflos über sich ergehen lassen.
Nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kehrte er ins Elternhaus zurück, hatte aber noch eine lange Zeit der Genesung vor sich, wozu auch eine wöchentliche Fahrt in den nahe gelegenen Libanon gehörte, zu einer speziellen physiotherapeutischen Behandlung.
Bei einer dieser Fahrten wurde er an der Grenze vom syrischen Militär gestoppt und direkt eingezogen.
Der Bürgerkrieg hatte zu dieser Zeit bereits begonnen. Durch die gesundheitlichen Probleme seiner Verletzung, die ihm nicht erlaubten auf dem Kriegsfeld zu kämpfen, wurde er in der Verwaltung der Armee eingesetzt.
Er erzählte mir, dass das Regime irgendwann begann die Bevölkerung mit Giftgas anzugreifen und er daraufhin aus der Armee zurück in seine Heimatstadt Manbij, floh.
Hier hatte aber mittlerweile der Islamische Staat Einzug gehalten und kontrollierte die Stadt. Manbij war für den Islamischen Staat sehr wichtig, da neuer Nachschub an Kämpfern ohne Probleme aus der nahegelegenen Türkei nach Syrien einreisen