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Der streitbare Prophet: (The Battling Prophet)
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Der streitbare Prophet: (The Battling Prophet)
eBook283 Seiten3 Stunden

Der streitbare Prophet: (The Battling Prophet)

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Über dieses E-Book

Der berühmte Meteorologe Wickham ist den Behördeb ein Dorn im Auge. Kein Wunder, daß man nach seinem Tod munkelt, er sei aus politischen Gründen ermordet worden.
Kriminalinspektor Napoleon Bonaparte - seine Freunde nennen ihn ›Bony‹ - untersucht den Fall nach seiner unfehlbaren Methode. Er konzentriert sich auf Motiv, Gelegenheit und Mittel zu diesem angeblichen Mord. Und er deckt dabei erstaunliche Geheimnisse auf...
Schauplatz: der südaustralische Busch
SpracheDeutsch
HerausgeberETT Imprint
Erscheinungsdatum1. Okt. 2023
ISBN9781923024625
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    Buchvorschau

    Der streitbare Prophet - Arthur W. Upfield

    1

    Der Reiseleiter im Überlandbus war ein junger Mensch, schneidig in der grauen Uniform seiner Firma und wortgewandt. Offensichtlich fanden die weiblichen Fahrgäste ihn beunruhigend, und im Geist verführten ihn vielleicht diejenigen, die nicht mehr viel zu hoffen hatten, und jene, deren Manner mit ihrem Latein am Ende waren.

    Seine Stimme klang im Lautsprecher angenehm, ein paar grammatische Fehler waren leicht zu verzeihen. Im Ton hatte sie nichts von dem gelangweilten Schnarren der Fremdenführer, vielmehr sprach er fast die ganze Zeit wie mit guten Freunden, und das waren tatsächlich auch die meisten Passagiere geworden, denn sie hatten Sydney auf dieser Tour nach Adelaide schon vor zehn Tagen verlassen und befanden sich jetzt auf der Rückfahrt. In Adelaide war nur einer zugestiegen.

    »Wir nähern uns nun der Murraybrücke«, verkündete der Reiseleiter. »Wie sie alle wissen, fahren wir nach Melbourne zurück über den Princes Highway, und an der Murraybrücke machen wir Rast für den Morgentee. Ich weiß, Sie haben Verständnis dafür, daß wir uns strikt an die Fahrzeiten halten müssen, also wandern Sie bitte nicht weit abseits.«

    »Höchstens, wenn Sie mich begleiten, Captain«, sagte eine Frau in mittleren Jahren, von der sich am Ende der Tour ein stattliches Trinkgeld erwarten ließ.

    Als sie wieder unterwegs waren, sagte ein Mann: »Das Land sieht ja furchtbar trocken aus, sogar so weit im Süden!« Und die Stimme im Lautsprecher antwortete: »Seit siebzehn Jahren das trockenste Jahr. In ganz Südaustralien und Victoria und weit nach Neusüdwales hinein sind die Landleute schwer geschlagen. «

    »Unser alter Ben Wickham hat wieder mal recht gehabt«, sagte eine Frau, deren Begleiter hinzufugte: »Seit Jahren hat er schon richtig prophezeit, aber diesmal hat ihm jeder Farmer geglaubt. Ein Jammer, daß er sterben mußte.«

    Vor und hinter Border Town, dem nächsten größeren Ort, war die Wirkung der Dürre deutlich erkennbar. Es war nicht frisch gepflügt worden, auf den Koppeln stand das Gras braun gebrannt, viele Stellen waren kahl, und keine grüne Feldfrucht war zu sehen, als sei der Sommer bereits vorüber und das ganze durstige Land warte auf den Herbstregen. Dabei war es Frühlingsanfang, die Zeit, in der eigentlich alles vor Fruchtbarkeit strotzen mußte. Rundum herrschte die braune Farbe, unterbrochen nur durch das Dunkelgrün der Kiefernpflanzungen und der gepflegten Gärten bei den wohlgeordneten Höfen. Vieh war im ganzen Gebiet kaum zu erblicken, von menschlicher Tätigkeit kein Anzeichen.

    In Mount Gambier herrschte stets reges Leben, die Stadt hatte neben anderem auch Bedeutung durch ihre Polizeidirektion. Der in Adelaide zugekommene Passagier stieg hier in einen alten Bus um, der Mount Gambier mit dem Fischerdörfchen Cowdry verband. Die Straße lief über die niedrigen Hügel und stieg stark an bis zum Niveau des berühmten Blauen Sees, in den, wie der Chauffeur spöttisch sagte, die Einwohner von Mount Gambier jedes halbe Jahr tonnenweise Waschblau schütteten. Hinter diesem friedlichen Teich durchquerte der Weg ein kahles Hochplateau, wo selbst die spärlich vertretenen Bäume wie abgestorben aussahen.

    »Deprimierend, nicht wahr?« bemerkte der Mann aus Adelaide, der sich dicht hinter den einheimischen Fahrer gesetzt hatte.

    »Ja, sieht bitter schlecht aus«, stimmte der ihm zu. »Doch jeder Streit darüber ist zwecklos, der alte Wickham hat die Dürre vorausgesagt, und den Leuten, die ihm nicht glauben wollten, ist ganz recht geschehen. Manche Leute haben ihn ja zum Kuckuck gewünscht, weil er Trockenheit ansagte, aber viele waren ganz seiner Meinung. Hätte ihm Freude gemacht, das zu wissen, wenn er noch lebte.«

    »Soviel mir bekannt ist, hat er an dieser Straße gewohnt«, sagte der Mann aus Adelaide.

    »Ja, auf einem Besitz von zwanzigtausend Morgen. Mount Marlo heißt das Gut. Da, genau rechts von der Kiefernreihe können Sie es liegen sehen. Seine Leiche haben sie zum Verbrennen nach Adelaide geschafft, die Asche brachten sie im Flugzeug zurück und verstreuten sie über Mount Marlo. Sieht von der Straße hübsch aus, das Gut. Ich werde gleich anhalten, dann können Sie einen Blick 'rüberwerfen. Sie wollen bei John Luton wohnen, sagten Sie doch? Dann müssen Sie bei der Brücke aussteigen.«

    »Danke schön, Ja, Mr. Luton hat mich für ein paar Tage zum Angeln eingeladen. Schrieb mir, daß die Königsfische da sind.«

    »Kommen schon ran, ja. Bißchen früh dieses Jahr. Woher stammen Sie denn?«

    Auf diese offene Frage antwortete der Passagier mit einer Lüge, denn die Neugier des Fahrers war reine Gewohnheit. Sie kamen an eine Reihe Fichten am Straßenrand, die für das dahinter liegende Weideland einen vorzüglichen Windschutz bildete. Plötzlich entdeckten sie in der Baumreihe die weißen Sandsteinpfeiler eines Tores, vor dem der Bus anhielt.

    Von hier aus konnte man ein Stück von Mount Marlo sehen.

    Das schmiedeeiserne Tor stand weit offen, der Fahrweg lief schnurgerade zwischen Randbeeten mit üppig blühenden Narzissen bis zu dem stattlichen Gutshaus, das einen Hügel krönte. In dem großen offenen Lichthof waren Leute. Die schrägen Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Chrom mehrerer Autos, die sich von einer grünen Wand aus Kletterpflanzen abhoben. Rechts von dem im Kolonialstil erbauten Hause lag ein Observatorium breit und massiv, als habe es am Himmel gar kein Interesse, und weiter rechts ein langes Gebäude, flankiert von Reihen weißer Kästen auf Gestellen und weißgestrichenen Rohren, die wie Zementfässer dastanden.

    Hier hatte Ben Wickham gewohnt und gearbeitet, ein Mann, der viele Feinde, aber auch viele Anhänger hatte. Ein berühmter Meteorologe, mit dessen Tod eine stürmische Karriere beendet wurde, die gekennzeichnet war durch berufliche Eifersucht, Sturheit der Regierung und scharfe Opposition kommerziell und finanziell interessierter Gruppen. Von diesem Mount Marlo aus waren trotzige Herausforderungen und scharfe Proteste gegen seine Widersacher in die Welt gegangen, und hierher hatten im Geist, mit ständig wachsendem Vertrauen, Farmer und Viehzüchter von ganz Australien geblickt.

    Ben Wickham hatte für das vorige Jahr eine große Trockenheit in bestimmten Gebieten prophezeit und die Tage vorausgesagt, an denen nur geringer, nutzloser Regen fallen würde. Es traf so ein. Für dieses Jahr hatte er katastrophale Dürre in genau bezeichneten Landstrichen prophezeit, und seine Angaben hatten sich als haargenau richtig erwiesen. Und dann, als er die Menschen auf dem Lande von dem riskanten Spiel mit dem Wetter befreit hatte, war er gestorben.

    Die Umstände bei seinem Tode waren, das darf gesagt werden, für einen Mann von seinem Ansehen und Ruf nicht respektabel gewesen, und keine Zeitung berichtete darüber. Der Hausarzt stellte ohne Zögern den Totenschein aus, und die Verwandten erfüllten sogleich bereitwillig die letzten Wünsche des Verstorbenen, wie mit seiner Asche verfahren werden sollte. Wenn man den Zeitungen glauben darf.

    »Ja, schöner Besitz«, wiederholte der Fahrer, indem er den sanften Hang neben der Fichtenreihe hinab auf die Brücke zufuhr, die einen herrlichen Fluß überspannte. »Hier müssen Sie raus, Sir. Da auf dem Seitenweg kommen Sie zu Lutons Haus. Knapp ein Kilometer. Auf Wiedersehen!«

    Der Fahrgast blieb am Rand der Chaussee stehen, beobachtete noch, wie der Wagen über die Brücke fuhr, nahm seinen ramponierten Handkoffer vom Boden und schlug den am Flußufer entlangführenden Feldweg ein. Hier wuchsen große Eukalyptusbäume, zwischen deren Stämmen das im Sonnenschein schimmernde Wasser seinen Blick auf sich zog. Er bemerkte auch das abgefallene Laub und Geäst und die Ameisen, die dicht bei ihren Haufen arbeiteten, denn nach Sonnenuntergang war mit Kälte zu rechnen.

    Der Fluß strömte versteckt hinter Bäumen und Dickicht dahin, der Weg weitete sich plötzlich zu einem offenen Platz, wo drei Riesenbäume in gleichem Abstand wie Wächter am rechten Ufer des Flusses standen und ein weißgestrichener Lattenzaun ein kleines, holzverschaltes Landhaus schützte.

    Zwei Hunde sprangen, sobald der Fremde in Sicht kam, von der breiten Veranda und rannten bellend zum Tor. Es klang nicht feindlich, eher wie ein Willkommensgruß. Als der Fußgänger sprach, wanden sie sich vor Freude wie Schlangen und begleiteten ihn auf dem mit Kies bestreuten Weg zwischen den Gemüsebeeten. Vor der Veranda angekommen, bellten sie wieder, und jetzt hatte ihr Gebell den warnenden Unterton der treuen Hauswächter.

    Dann öffnete sich die Haustür, und auf die Veranda trat ein Mann.

    Er schien um die Hälfte größer als der Reisende und zweimal so schwer, und er war bestimmt doppelt so alt. Sein kurzgeschnittenes weißes Haar war noch dicht, der volle weiße Schnurrbart konnte den strengen Mund und das gefurchte Kinn nicht verbergen. Die meisten Männer beginnen mit vierzig zu altern, doch dieser fing mit achtzig noch nicht an.

    »Guten Taaag«, sagte der Reisende in der Sprechweise der Binnenlandbewohner. »Sind Sie Mr. John Luton?«

    »Heute früh, als ich aufwachte, war ich's noch«, erwiderte Mr. Luton, der außergewöhnlich klare und lebensvolle Augen hatte. »Ich glaube zu wissen, wer Sie sind, aber sagen Sie's mir.«

    »Ich bin natürlich Inspektor Napoleon Bonaparte.« Die leichte Verbeugung, von der diese Information begleitet wurde, schien Mr. Luton gar nicht zu bemerken, der in herzlichem Ton sagte: »Erfreut, Sie kennenzulernen. Kommen Sie herein, dann wollen wir uns Tee machen.«

    Die Hunde gingen zur Seite, so daß Bony frei ins Vorderzimmer treten konnte. Es war ein einfacher Raum, der offensichtlich zum gemütlichen Sitzen an Winterabenden diente. Die einzigen bemerkenswerten Gegenstände waren mehrere vergrößerte Fotos von Ochsengespannen vor hoch mit Wolle beladenen Rollwagen und zwei große Ochsenpeitschen, an einer Wand wie gekreuzte Schwerter aufgehängt. Über dem kleinen Radio auf dem Kaminsims hing erstaunlicherweise ein Ochsenjoch.

    Bonaparte wurde in die dahinter liegende Wohnküche geführt, wo Mr. Luton aus einer Wasserleitung einen Kochtopf füllte und den Elektrokocher einschaltete. Vom erkalteten Ofen trug er eine Teekanne zur Hintertür und warf die Blätter hinaus, mit denen er beinah eine riesige schwarzweiße Katze getroffen hätte, die nun mit steilgesträubtem Rückenhaar hereinkam, dem Besucher weniger freundlich gesonnen, als die Hunde sich gezeigt hatten.

    »Sie haben also meinen Brief erhalten«, bemerkte Mr. Luton, indem er Tee in die Kanne löffelte.

    »Woher wußten Sie, daß ich in Adelaide war?« fragte Bony. »Sah Ihren Namen in der Zeitung. Die schrieb, Sie hätten mit der Aufklärung einer Schmuggelaffäre zu tun. Erfreulich, daß Sie hergekommen sind, Inspektor. Ich habe mir nämlich, wie ich schrieb, über Ben Wickham viel Gedanken gemacht. Er war ein feiner Kerl. Männer wie ihn bringt unsere Zeit nicht mehr hervor.«

    Mr. Luton stand mit dem Rücken zum Ofen, er wirkte wie ein Riese gegen den sitzenden Bonaparte, der sich eine Zigarette drehte.

    »Entschuldigen Sie die Frage«, sagte Bony, »aber - wie alt sind Sie?«

    »Ich? Vierundachtzig. Habe mich in keiner Beziehung verweichlicht. Ben Wickham aber auch nicht, und der war fünfundsiebzig. An einem Herzfehler soll er gestorben sein, hat der Quacksalber gesagt. Infolge Alkoholvergiftung. Alkoholvergiftung! Sind Sie schon mal im Delirium gewesen?«

    Die nußbraunen Augen betrachteten Bony erwartungsvoll. Es waren die Augen eines Menschen, der Land und Meere bereist hat, gewohnt an weite Horizonte und vom Alter nicht geschwächt. Welche Eindrücke sie jetzt empfingen, ließ sich an den verwitterten Gesichtszügen nicht ablesen, doch in Gedanken schätzte Luton den Besucher aufmerksam ab, dessen hellbraune Gesichtsfarbe, die blauen Augen, die gerade Nase mit den schmalen Flügeln, die geraden Brauen, das glänzend schwarze, zurückgekämmte Haar. Selbst nach europäischen Malistaben mußte das weibliche Gegenstück dieses ungewöhnlichen Menschenbildes eine schöne Frau sein. Als Mr. Luton den Elektrokocher abschalten mußte, sagte Inspektor Bonaparte: »In meine mannigfaltigen persönlichen Erfahrungen ist das Delirium tremens nicht eingeschlossen. Ihr Brief deutet an, daß Sie dieses Thema studiert haben.«

    »Wie oft ich es schon gehabt habe, Inspektor, gebe ich nicht zu, da das meiner Bescheidenheit widerspricht. Ich könnte über die verschiedenen Erscheinungsformen und ihre Auswirkungen ein Buch schreiben.« Mr. Luton schüttelte den Teetopf heftig, damit die Blätter zu Boden sanken. »Vielleicht wird mir der Beweis ziemlich schwer, aber beweisen werde ich's.«

    »Sie sehen nicht aus wie ein Alkoholiker.«

    »lm Augenblick wohl nicht, Inspektor.« Mr. Luton lächelte, wobei er gleich fünfzig Jahre jünger aussah. »Sie würden meine Behauptung aber gewiß nicht bestreiten, waren Sie zufällig dabei, wenn ich über den Zapfen haue.«

    Der Tee war eingeschenkt und ein Teller mit süßen runden Kuchen in Reichweite des Besuchers gestellt.

    »Ich habe ein schmerzhaftes Hühnerauge am großen Zeh, Inspektor, sonst fehlt mir nichts. Ich kann meine Zeitung ohne Brille lesen und das Radio bei leiser Einstellung hören. Kann mich, wenn ich Lust habe, ins Delirium trinken, und kann auf Alkohol ganz verzichten, wenn ich will. Kann mich mit einem Glas vor dem Schlafengehen begnügen, aber es auch auf drei Flaschen Rum pro Tag bringen - wenn ich ein bißchen geübt habe.

    Mein alter Freund Ben Wickham war in jeder Beziehung genauso tüchtig wie ich. Als er starb - an etwas, das ihm eingegeben wurde -, hatte er kein Leiden außer ein bißchen Hexenschuß. Es wird behauptet, er sei im Delirium durch Alkoholvergiftung gestorben. Das Delirium hat er auch gehabt, wir hatten es beide gleichzeitig, aber gestorben ist er daran nicht. Das habe ich dem Quacksalber gesagt. Auch dem Polizisten. Und zum Dank für meine Bemühung bedrohen sie mich, ich sollte ins Altmännerheim in Adelaide.«

    »Sie glauben, mich überzeugen zu können?«

    »Ja, darauf wette ich.«

    »Und worauf stützen Sie Ihren Glauben?«

    »Daß Sie buschkundig sind, wie ich selber. Solche Leute wissen viel, Inspektor. Ben war kein sehr großer Buschkenner, aber immerhin auch kein Laie. Bitte glauben Sie nicht, daß ich leeres Zeug rede. Sehe ich vielleicht aus wie einer, der 'n Klaps hat?«

    »Im Gegenteil. Nicht Ihre These über den Alkoholismus hat mich dazu bewogen, Urlaub für zehn Tage zu erwirken. Der Arzt hat einen großen Ruf bei den Leuten, die ärztliche Tüchtigkeit beurteilen können, und der Polizist hat eine tadellose Führung. Ihr Ruf dagegen, Mr. Luton, ist - wollen wir uns einigen - nun, ein bißchen getrübt.«

    »Ich habe noch keinen Menschen beraubt!« rief Mr. Luton mit blitzenden Augen. »Ich schulde auch niemandem Geld! Ich habe stets ... «

    Die hochgewölbten Brauen, die ihn kalt betrachtenden Augen, die eben noch warm und freundlich geblickt hatten, hemmten Mr. Lutons zornigen Ausbruch.

    Er saß seinem Gast gegenüber, führte ein Streichholz an seine Pfeife und gab ruhig zu: »Sie haben ungefähr recht, Inspektor, ich bin in der Gegend nicht sehr angesehen. Trotzdem, ich habe niemandem Unrecht getan, nicht einmal Ben. Ich weiß, was ich weiß, und das wird mir kein Mensch glauben - höchstens ein Buschkenner. Der kann ja andere Buschkenner und ihr Verhalten begreifen. Also habe ich noch Hoffnung.«

    »Sie werden mich zumindest verständnisvoll finden, Mr. Luton.« Und Mr. Luton dachte daran, wie erstaunt er gewesen war über das, was ihm diese tiefen blauen Augen gesagt hatten, und war jetzt erleichtert, daß sie wieder Herzlichkeit ausstrahlten.

    Die Katze hatte sich vor dem kalten Ofen niedergelassen, die beiden Hunde hatten sich so hingesetzt, daß sie ihren Herrn und seinen Besucher beobachten konnten. Bony zündete sich eine Zigarette an, pustete das Streichholz aus und legte es dem Jagdhund auf die Nase. Der Hund verstand Spaß, er bewegte nur den Schwanz.

    »Sie wissen mit Hunden fein umzugehen«, bemerkte der alte Mann ein wenig ungeduldig. »Ich hoffe, Sie bleiben mein Gast.«

    »Vielleicht, Mr. Luton. Sogar der Busfahrer hat mir versichert, daß der Fischfang gut sei. Ah, da kommt jemand.«

    2

    Vor der offenen Tür erschien ein Mann, der rief: »He, John, bist du drin?« 

    Schon trat er in die Küche, ein großer hagerer Mensch mit verwitterter Haut. Er trug einen Baumwollanzug, der so oft gewaschen war, daß er aussah wie grauer Stein mit blauen Adern. Lächelnd, offenbar verlegen, setzte er sich auf einen Stuhl dicht bei der Tür und begann die Hunde zu streicheln.

    »Das«, bemerkte Mr. Luton, indem er mit dem Pfeifenstiel auf ihn zeigte, »das ist mein Nachbar, der ein Stückchen flußaufwärts wohnt. ›Knocker‹ Ranis heißt er, der ›Schläger‹. Glaubt an nichts und niemand. Den Rat, Ihnen den Brief zu schreiben, hat er mir gegeben, Inspektor.«

    »Ja, ich bin das«, bestätigte ›Knocker‹ Harris. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Neffe Frank Lord, dem Sie lebenslänglich verschafft haben, hat immer gesagt, daß Sie ein prima Detektiv sind, und wenn er nicht gewissermaßen zufällig den Goldsucher im Busch erschossen hätte, dann hätten Sie nicht den Job gekriegt und er wäre nicht geschnappt worden. Na, da haben wir uns gedacht, daß Sie der richtige Mann sind, zu verstehen, was John übers Delirium denkt. Daß Ben ermordet wurde, ist ganz klar. Ist nämlich den Politikern zu gefährlich geworden. Habe ihm mehr als einmal gesagt, er sollte vorsichtig sein, aber er ließ sich ja nie beirren.«

    »Du redest zuviel«, erklärte Mr. Luton streng. »Ja, leider«, gab Mr. Harris zu.

    » ›Knocker‹ stellt nämlich gern wilde Behauptungen auf«, sagte Luton vorwurfsvoll. »Ich bin aber lieber ein bißchen vernünftiger, sonst sagen die Leute noch, wir waren alt und nicht mehr klar im Kopf. Sie haben gehört, daß ›Knocker‹ behauptet, die Regierung hätte Ben umgebracht. Schließlich könnten's auch andere getan haben, um seine Ausarbeitungen in die Hand zu bekommen. Ben war ja kein Durchschnittsmensch, so wie wir.« Bony verzichtete im Geist bereits auf das Angeln.

    Er sagte: »Mr. Wickham scheint Sie über seine Arbeiten einigermaßen informiert zu haben.«

    »Während der letzten fünfzig Jahre, so ungefähr«, erwiderte Mr. Luton. »Wenn Sie Zeitungen lesen, werden Sie wissen, daß er vor drei Jahren bekanntgegeben hat, er könnte, wenn ihm die Wetterberichte von fünfzig Jahren zugänglich gemacht würden, mit Sicherheit das Wetter für vier, fünf oder sechs Jahre voraussagen. Ganz egal, in welcher Gegend von Australien oder wo sonst in der Welt, vorausgesetzt, er hätte die Unterlagen für fünfzig Jahre. Nicht nur, wie das Wetter wahrscheinlich würde, sondern wie es bestimmt sein wird, an jedem beliebigen Tage und auch nachts. Er hat die jetzige Dürre prophezeit, sogar die Tage, an denen Regen zu kommen schien, aber nicht niederging. Sie wissen ja, was geschehen ist?«

    »Was denn?« gab Bony zurück.

    »Die Farmer haben letzten Sommer und Herbst nicht gepflügt und in diesem Winter nicht gesät. Also haben sie auch kein Superphosphat oder andere Kunstdünger gekauft. Auch Maschinen schafften sie sich voriges Jahr nicht an und werden es auch in diesem nicht tun. Sie haben ihr Vieh verkauft und ihre Leute entlassen. Sogar auf den Weidegütern behielten sie nur ganz wenige Tiere. Und keiner von ihnen, weder Farmer noch Viehzüchter, knallte viel Geld für Löhne und Maschinen hin, das ihm die Sonne bloß zu Staub verbrannt hätte. Also ist keiner den Banken und Finanzgesellschaften in die Hände geraten. Anstatt sich durch die Dürre bankrott machen zu lassen, leben sie alle gemütlich von ihrem Fett.«

    Mr. Luton sah Bony ruhig und zuversichtlich an, und ›Knocker‹ Harris sagte: »Und deshalb ist Ben ermordet worden.«

    »Ermordet, weil er den Farmern und Viehzüchtern beistand?« fragte Bony, scheinbar zweifelnd.

    »Nein, ermordet, weil die Finanzgesellschaften, die Großkaufleute und die Banken den Farmern und Züchtern kein Geld leihen und sie nicht auf Jahre hinaus zu ihren Sklaven machen konnten, wie sie es früher nach einer Dürre immer getan haben.«

    ›Knocker‹ Harris schaltete sich wieder ein. »Und die Regierung steckt auch dazwischen, Bund und Staat. Weshalb wohl? Weil die Landwirtschaft Tausende arbeitslos machte. Die Maschinenfabriken haben auf ihren Höfen das rostende Eisen turmhoch gestapelt, die Kunstdüngerfirmen haben Berge von Superphosphat liegen, das sie für keinen Preis loswerden, und die Ölfirmen können kein Öl für Trecker verkaufen. Es ist doch so, Inspektor, wenn man weiß, wie das Wetter heute übers Jahr sein wird und heute über zwei Jahre, ist das doch verdammt nicht gut für eine Menge Leute, die eine Masse Geld haben, das sie den durch die Hitze geschädigten Farmern leihen mochten. Also haben sie den guten alten Ben erledigt, klar?«

    Mr. Luton erhob sich, um seine Pfeife am Ofen auszuklopfen.

    Bony rollte wieder ein Ding, das mancher vielleicht als Zigarette bezeichnen würde. Die zwei Männer beobachteten ihn so gespannt, als müßten seine nächsten Worte alles entscheiden.

    »Aus den Zeitungen entnehme ich«, sagte er, »daß Wickham in diesem Hause starb, und zwar frühmorgens. Der Arzt hat Herzkrankheit als Todesursache festgestellt und das entsprechend bescheinigt. Sie dagegen stützen einen mir privat zugegangenen Bericht, daß er während eines Trinkgelages am Delirium tremens gestorben sei. Nun?«

    »Wir hatten beide die ›Hu-jahs‹, haben also gewissermaßen weiße Mäuse und kleine Gestalten gesehen, aber damit wurden wir fertig, er wie ich«, erklärte Mr. Luton. »Wir waren schon über das Schlimmste hinaus an dem Morgen, als Ben starb. Er hatte die ›Hu-jahs‹ überstehen müssen wie bisher auch immer. Ebenso wie ich. Statt dessen starb er. Durch etwas anderes.«

    »Der Arzt sagt, es war Alkoholvergiftung«, warf Bony ein. »Ach, der Kurpfuscher kommt mir beinah vor wie die Eingeborenen mit

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