Stimmen des Alltags
Von Stefan Wehner
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Über dieses E-Book
Es geht um das Leben in einer kleinen Großstadt, um Lärm, Kultur und Kleingeistigkeit. Aber auch um Kindheit, Oldtimer, Gesundheit und grundsätzliche Fragestellungen und Werte.
"Stimmen des Alltags" ist eine Sammlung von Geschichten und Texten zu unterschiedlichen Themen aus den letzten 10 Jahren. Einige Texte müssen in der Entstehungszeit gesehen werden, andere Themen sind zeitlos und haben einen generellen Aktualitätsbezug. Die Auszüge aus dem Roman "Klangspuren" sind allesamt bisher unveröffentlicht.
Stefan Wehner
Stefan Wehner wurde 1972 in Ostwestfalen als Kind einer Arbeiterfamilie geboren, zog nach dem Abitur nach Norderney, machte eine Tischlerausbildung in Bremen, studierte Innenarchitektur in Hildesheim und eröffnete dort eine Musikalienhandlung bevor er sieben Jahre als Geschäftsführer in einem soziokulturellen Zentrum tätig war. Wehner lebt mit seiner Familie am Randes des Galgenbergs in Hildesheim.
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Buchvorschau
Stimmen des Alltags - Stefan Wehner
Der Anschlag
Was bilden Sie sich eigentlich ein?!« Davids Gesicht wird dabei leicht von der Spucke des Herbergsvaters benetzt. »So eine schlampige Arbeit! Dass Sie sich nicht schämen!« Der Herbergsvater hat sich vor David aufgebaut und blökt ihn an. Ihre Nasen berühren sich fast. David bleibt ausdruckslos.
Stein des Anstoßes ist ein frisch lackierter Türrahmen. Während die Herbergseltern auf dem Festland weilten, sollten die Zivildienstleistenden eine Liste von Reparatur Aufgaben abarbeiten. Die Holzbetten der Schlafräume gründlich abwischen, dabei vorher alle Matratzen ins Winterlager stapeln. Die Fußböden bohnern, Fenster putzen und einige Türrahmen neu lackieren. Vorher natürlich sauber abschleifen.
David hatte mit seinen Anfang 20 zum ersten Mal einen Holzrahmen abgeschliffen und dann mit einem Pinsel lackiert. Zugegeben, die Nasen liefen nur so am Rahmen herab. Man wollte halt auch fertig werden, denn schließlich ließ sich die Sonne am Strand besser genießen als in der Jugendherberge.
Aber er war grün - von weitem deutlich erkennbar. Tatsächlich aber eine wirklich schlampige Arbeit. Es war nicht nur Unkenntnis, die David zu diesem Ergebnis brachte, sondern auch eine tiefe Abneigung gegenüber dem Herbergsvater.
Den Kriegsdienst zu verweigern war eine der wenigen Sachen, die für David recht früh klar waren und wo auch nicht lange hin und her überlegt werden musste. Dienst an der Waffe, Wehrdienst, mit anderen jungen Herren in Mehrbettzimmern wohnen und strapazierende Übungen im Freien ausüben - da sah sich David überhaupt nicht.
Der Zivildienst war zwar zeitlich länger, dafür hatte man freie Ortswahl. In diesem Lebensabschnitt sprach auch sonst nichts dagegen, den Heimatort zu verlassen.
In der Jugendherberge auf Norderney ließe sich der Zivildienst bestimmt angenehmer rumkriegen als im Altersheim am Bachschemm, in diesem kleinen unbedeutendem Geburtsort der lediglich durch die Ansiedlung eines sehr großen Buchverlages auf sich aufmerksam machte.
Die Jugendherberge hatte seit kurzem neue Herbergseltern, die seit kurzem ihre ostdeutschen Rahmenbedingungen verlassen konnten.
Sympathiepunkte zog David jedoch nicht wegen der Herkunft ab, sondern wegen des überaus cholerischen Verhaltens des Herbergsvaters und der bis ins Unhygienische führenden Sparsamkeit der Herbergsmutter.
Getreu dem Motto ‘Wir hatten ja damals nichts’ wird gespart wo es nur geht: So kommen die Butterreste stets wieder zurück in den Buttereimer und Marmeladenreste wieder zurück in den Marmeladenkessel. Wurstscheiben werden von den Gemeinschafts Tellern wieder zurück in die Tupperdosen sortiert. (Allerdings nicht von Tupper sondern von einem unbekannten, günstigerem und daher sparsameren Hersteller.) Die Butter lässt sich dann später wieder einschmelzen und zu klotz artigen Riegeln formen. In Streifen geschnitten sieht sie so wieder aus wie neu. Bei der Marmelade ist es nicht ganz so einfach. Je nachdem mit welchen Resten die Marmelade wieder zurück in den Kessel kommt, wird es mit der Zeit schwieriger, ein reines Marmeladenschälchen für die Gäste zu portionieren. Immer kommt noch etwas Rest Butter oder Aufstrich mit ins Schälchen. Bis der Kessel dann doch irgendwann mit neuer Marmelade aufgefüllt werden muss. Diese Verschwendung gefällt der Herbergsmutter natürlich gar nicht und sie tobt dann vor Wut. »Was das alles kostet!« und »Wir müssen unseren Schnitt halten. Wie stehen wir denn sonst vor den anderen Herbergen da?«
Sobald der Herbergsvater von dem maßlosen Verschwendungswahn der Zivildienstleistenden erfährt, tobt auch er vor Wut. Bei ihm läuft dabei das Gesicht rötlich an und die Stimme droht sich zu überschlagen. David scheint er dabei besonders auf dem Kieker zu haben. Die Verweigerungshaltung in bestimmten Arbeitsabläufen bringt ihn immer wieder zur Weißglut. David hinterfragt stets eingespielte Routinen ob ihrer Sinnhaftigkeit. Egal ob es die Reihenfolge des Geschirrs beim Einräumen in die Spülmaschine ist oder die Art und Weise, wie das Brot geschnitten ins Körbchen kommt. Am Anfang war es noch Interesse, warum Abläufe so und so sein sollten - dann, später, war das ständige Nachfragen nur noch Vorsatz, um die Herbergseltern an ihre Grenzen zu bringen.
Außerhalb der Jugendherberge und den Arbeitszeiten hält man sich oft am Strand auf. Was naheliegend ist auf einer Nordseeinsel. Der Strand vor der Haustür! Tagsüber geht in der Regel jeder seinem eigenen Treiben nach und abends wird regelmäßig ein Halbrund aus Strandkörben aufgestellt, um sich in geselliger Runde bei Wein und anderen weichen Drogen zu treffen.
Gelegentlich gesellen sich auch die Kollegen aus der anderen Jugendherberge dazu. Die liegt weit in den Dünen am anderen Ende der Insel. Ein Abstecher in den Stadtkern lohnt sich während der Mittagspause nur selten und am Abend nur dann, wenn am nächsten Tag Dienstfrei ist.
David bewohnt ein Einzelzimmer in der Herberge. Mit Stockbett. So übernachten regelmäßig Gäste aus dem Strandkorb Halbrund in der unteren Koje. Marek ist etwas älter als David und achtet wesentlich mehr auf sein Äußeres. Oder sagen wir, er achtet anders auf sein Äußeres. David trägt in dieser Lebensphase gerne gestreifte oder gebatikte Stoffhosen, dazu ein Fischerhemd oder ein Langarmshirt mit offener Knopfreihe vor der Brust. Das Haar offen und lockig. Die hohe Stirn verrät aber schon den immer weiter schwindenden Haaransatz. Davids Vater war mit Mitte zwanzig schon komplett kahl. Dafür hat David noch ein paar Jahre Zeit.
Marek hingegen trägt außerhalb der Dienstzeiten einen Anzug, dunkel, die Haare schwarz und nach hinten gekämmt, geföhnt und nicht gegelt. An den Fingern Ringe, eine teuer aussehende