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Das Streben nach Demokratie: Eine Familie in Rheinpreußen
Das Streben nach Demokratie: Eine Familie in Rheinpreußen
Das Streben nach Demokratie: Eine Familie in Rheinpreußen
eBook338 Seiten4 Stunden

Das Streben nach Demokratie: Eine Familie in Rheinpreußen

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Über dieses E-Book

Es ist die Zeit nach den napoleonischen Kriegen, die Zeit von 1820 bis 1870, die Zeit in der es Freud und Leid für eine Familie in der Eifel gibt. Familienmitglieder machen das Hambacher Fest mit, erleben die deutsche Revolution 1848/49 und zwei Kriege, die nur Leid bringen, wie der deutsch-dänische Krieg und der deutsch-deutsche Krieg. Es ist die Zeit des Strebens nach Demokratie, des Strebens nach Einigkeit, Recht und Freiheit. -- Deutschland, das Land der Dichter und Denker, das Land bekannter Komponisten, es ist somit ein Land in dem es nicht nur Freud gibt.

Es ist eine Familiensaga, die nach wahren Begebenheiten geschrieben wurde.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum20. Sept. 2023
ISBN9783384025319
Das Streben nach Demokratie: Eine Familie in Rheinpreußen
Autor

Egon Harings

Egon Harings wurde in Düsseldorf geboren. Nach Schulbesuchen in der ehemals französischen und britischen Besatzungszone machte er eine Ausbildung als Industriekaufmann. Später studierte er Betriebswirtschaft und war in der Stahlindustrie beschäftigt. Heute ist er Rentner und lebt mit seiner Frau in der Nähe von Düsseldorf. Mit dem Schreiben von Büchern begann er um 2010. Veröffentlicht wurden bereits Werke von ihm in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten. In Deutschland erfolgte im Jahre 2013 die erste Veröffentlichung in deutscher Sprache.

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    Buchvorschau

    Das Streben nach Demokratie - Egon Harings

    1

    Man schreibt das Jahr 1815. Es ist August, als preußische Beamte in der Stadt Schleiden, in deren Nähe Yannick Harings auf einem Bauernhof mit seiner Familie lebt, erscheinen, um die Amtsgeschäfte von den Franzosen zu übernehmen. Kaum ist das geschehen, kommen auch schon preußische Beamte auf Yannicks Hof und teilen ihm mit, dass er und seine Familie nun Preußen seien und sich in der Stadt registrieren lassen müssten. Gegen Preußen hatte er kämpfen müssen und nun sollte er und seine Familie zu dem Volk gehören, das doch eigentlich zu seinen Feinden zählte? Yannick versteht die Welt nicht mehr. Ihm wird aber bewusst, dass sich Zeiten schnell ändern können; und wie schnell, dass muss er jetzt erfahren.

    Wir schreiben das Jahr 1816. Das ehemalige Deutsche Reich besteht aus 39 selbständigen Staaten. Deutschland ist ein Flickenteppich und wird nur durch eine lockere Föderation zusammengehalten. Allen Deutschen ist bewusst, dass sie sich nicht in einem Bundesstaat national geeinigt befinden, sondern in einem Staatenbund zersplitterter souveräner Einzelstaaten als Untertanen. Die deutschen Länder hatten sich nicht über den Entwurf einer Staatenbund-Verfassung, die von England, Russland und Frankreich festgelegt worden war, einigen können. Die beiden größten deutschen Staaten sind Österreich und Preußen. Und Yannick lebt in der neuen preußischen Rheinprovinz. Er ist somit mit seiner Familie ein Preuße geworden und das gegen seinen Willen.

    Nun ein Preuße zu sein, fällt Yannick schwer. Mathilde, seine Frau, hat damit kein Problem, und der gemeinsame Nachwuchs kann sich noch nicht vorstellen, wie grausam die Welt sein kann. In der Eifel herrscht jetzt Frieden. Es ist eine Zeit, die Yannick mit seiner Familie genießt. Walter und Karl, seine beiden Söhne toben vor dem Wohnhaus des Gehöfts, auf dem er neben seiner Frau Mathilde und Elisabeth, seiner Schwägerin, nach dem Tod seines Bruders während des Russlandfeldzugs, der von Napoleon gegen den Zaren geführt wurde, das Sagen hat, herum. Es ist Frühling und die Blumen auf den nahen Wiesen blühen und verbreiten einen Duft, den der Wind zum Gehöft trägt; einen Duft, den Yannick gerne riecht. Er lebt in einer Kulturlandschaft, die von Menschen geschaffen wurde, die schon vor Jahrhunderten hier lebten. Im Ringen mit einer übermächtigen Natur haben sie diese Landschaft einst gestaltet, aber nicht verunstaltet. Eine gewachsene Harmonie kennzeichnet das Mosaik der Wiesen, Felder und Weiden des näheren Umlands, in welchem das Gehöft wie selbstverständlich eingebettet ist. Viele wilde Tiere finden hier einen Lebensraum, den man anderswo suchen muss. Das Wort Kultur stammt im Übrigen aus dem lateinischen Wort colere, was pflegen, bebauen heißt. Die Kulturlandschaft, in der Yannick lebt, ist also eine von Menschenhand gepflegte Landschaft, aber nicht eine Landschaft, die dem Menschen alleine gehört. Diese Landschaft stellt vielmehr eine Verschmelzung des menschlichen Kulturschaffens mit den Wirkkräften der Natur dar.

    Auf der nahen Weide grasen jetzt die Kühe, die Yannick nach der langen Winterzeit aus den Stallungen dorthin geführt hatte, wobei ihm der Knecht, die einzige männliche Hilfskraft, die es auf dem Hof noch gibt, geholfen hatte. Yannick kennt bereits die Dreifelder-Wirtschaft, die Grundlage für eine traditionelle Landwirtschaft. Getreide und Hackfrüchte, zu denen die Kartoffeln und die Rüben gehören, bilden die ersten zwei Felder, das dritte Feld ist das Brachland.

    Jetzt im Frühjahr holt Yannick das Pferd aus dem Stall, das er vor dem Pflug spannt, um dann das Feld zu beackern, das er für die Ernte der Kartoffel, das Hauptnahrungsmittel in Preußen seit der Zeit von Friedrich den Großen, vorgesehen hat. In größerer Entfernung, auf einem Baumstumpf am Rande des Vorhofs des Bauernhauses, sitzt ein Mäusebussard und beobachtet ihn. Er nimmt den Menschen wahr, fürchtet ihn aber nicht. Er ist keine Gefahr für ihn, weshalb er sich ruhig verhält. Er ist ein Vogel, den Yannick oft am Waldrand beobachtet hatte, wenn er langsam, kreisend oder rüttelnd über der Beute flog, bevor er niederstieß, um eine Maus, eine Schlange, irgendein Insekt oder Würmer zu schnappen, die alle zu seiner Nahrung gehören. Aber auch Aas und andere kleinere Wildtiere gehören hin und wieder zu seiner Nahrung, wie Yannick mal feststellte. Dieser Vogel, der nun auf einem Baumstumpf sitzt, ist gleichmäßig schwarzbraun, auf dem Schwanz gebändert und hatte in Süddeutschland überwintert, wo ihm das Wetter mehr behagt als im Norden der Eifel. Er, der mit seiner Partnerin, die jetzt nicht zu sehen ist, auf hohen Bäumen nistet, gehört zu den nützlichen Vögeln, die sich in der Nähe des Gehöfts aufhalten, obwohl er sich im vergangenen Jahr mal ein Huhn vom Hof geholt hatte. Auch sah Yannick im Vorjahr, dass er einen Hasen fing und Rehkälber als Nahrung nicht verschmähte.

    Der Mäusebussard auf einem Baumstumpf

    „Summ, summ, summ, Bienchen summ herum. Es ist Karl, der kleine Sohnemann von Yannick, der das sagt und dabei auf seinen Vater zuläuft. Als er seinen Vater, der sich unweit des Wohnhauses des Gehöfts befindet, erreicht, wird er von ihm sofort gepackt, in die Höhe genommen und gefragt: „Karlemann, woher hast du denn diese Worte? „Papa, ich höre nur noch Summen, da fiel mir das ein. „Ja, mein kleiner Sohn. Wir haben Frühlingszeit, und da schwirren unsere kleinen Arbeiter aus, um uns den Honig zu produzieren, den du so gerne magst. – Ja, es ist die Zeit der Insekten, die jetzt aus ihrem Winterschlaf erwachen. Sie bilden die artenreichste Tiergruppe, die es im preußischen Rheinland überhaupt gibt. Und zu diesen Insekten gehören die Honigbienen, die jetzt im Frühling zu den nahen Wiesen und Gärten ausschwirren, um für ihre Königin, die in einer sogenannten Weiselzelle im Bienenstock heranwächst, die nötige Nahrung, die sie für ihr Wachsen braucht, heranbringen. Und Yannick verfügt über vier Bienenstöcke, die sich alle am nahen Waldrand befinden. Es sind die Arbeiterinnen der vier Bienenvölker, die Yannick besitzt, die für ihre Königinnen das Lebensnotwendige herbeischaffen. Diese Arbeiterinnen leben nur einige Wochen. In dieser Zeit durchlaufen sie ganz bestimmte Stadien ihrer Arbeitstätigkeit; zu denen gehören das Reinigen des Stockes, der Bau von Zellen, das Füttern der Larven, die aus den Eiern geschlüpft sind, die von der Königin vorher gelegt wurden und sich nun in den aus Bienenwachs errichteten Wabengebilde befinden, sowie das Eintragen von Pollen und Nektar. Danach sind sie verbraucht und sterben schnell. Es ist also nicht der Mensch alleine, der hin und wieder Grausamkeiten verübt; nein, auch die Natur kann grausam sein.

    Yannick befindet sich mit dem Ackergerät, das sein Pferd zieht, auf dem Feld und beackert es. Der Pflug hinterlässt tiefe Ackerspuren, in die Yannick später die Saatkartoffeln pflanzen will. Für die Saatkartoffeln hatte er vorher den mittelschweren Boden unweit des Gehöfts gewählt, damit sich die Knollen ungehindert ausbreiten können. Er ist alleine auf dem Feld und hat gute Laune. Aus dem Walt hört er den Kuckuck rufen. Er denkt an das Kinderlied, das seine liebe Frau in den vergangenen Jahren zur Frühlingszeit oft sang.

    Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald

    Lasset uns singen, tanzen und springen

    Frühling, Frühling wird es nun bald

    Frühling ist es bereits, aber keiner kennt das Lied, nur Mathilde. Wie soll es auch anders sein, denn der eigentliche Text mit ähnlichem Wortlaut schreibt Hoffmann von Fallersleben, der Lyriker, der 1798 in Fallersleben geboren wurde und 1874 in Corvey sterben wird, erst im Jahre 1835, und wir schreiben jetzt erst das Jahr 1820. Mathilde ist also ein Mensch, dem etwas einfällt, was erst Jahre später verwirklicht wird. Yannick hatte schon oft in der Vergangenheit deshalb zu ihr gesagt: „Meine liebe Frau, du bist ein Wundermädchen, weißt schon etwas im Voraus, was die Welt erst Jahre später erfahren wird."

    Yannick pflügt mit Hilfe seines fleißigen Helfers, dem Pferd, das den Pflug zieht, weiter den Acker. Es ist eine Fläche, die durch erb- und besitzrechtlich bedingte Aufteilung engmaschig geworden war, ein nur noch wenige Meter breiter Feldstreifen also. Ein Feldrain, der schon von Weitem gut erkennbar ist, zeigt die Grenze zu dem Brachland, das dem Nachbarbauern gehört und mit anderen brachliegenden Flächen, die daneben liegen, sich zu einem dichten Netzwerk verbinden – das tragende Netzwerk ökologischer Stabilität der Kultur-Landschaft, das einen Artenreichtum an Insekten aufweist. Yannick lebt in einer Landschaft, die Menschen Erholung bieten kann, was auch eine wichtige Funktion des ländlichen Raumes sein könnte, wenn es der Mensch will. Aber will er es? Yannick zweifelt daran. Überhaupt darüber nachzudenken, findet er sinnlos jetzt, während er den Pflug führt, den sein Pferd zieht.

    Ganz in Gedanken versunken, wird Yannick plötzlich aufgeschreckt. Er hört die Stimme von Mathilde, obwohl es zwischen dem Feld, das er gerade beackert und dem Wohnhaus, in dem er mit seiner Familie wohnt und von wo seine Frau laut ruft, eine größere Entfernung liegt. Mathilde ruft nach ihren Kindern. Walter und Karl sind im Wald verschwunden und melden sich auch nicht, als jetzt nach ihnen laut gerufen wird. Mathilde ist besorgt.

    Walter ist mit seinem Bruder tief in den Wald gelaufen und hat dabei die Orientierung verloren. Überall raschelt es. Beide haben Angst. Walter erinnert sich an die Schaudermärchen, die seine Mutter ihm in den Wintermonaten am Herdfeuer erzählte, während sein kleiner Bruder bereits im Bett lag. Es waren Märchen, die in die Literatur eingedrungen waren und hier eine kunstmäßige Ausbildung gefunden hatten. Schon 1250 v.Chr. fand sich in einem ägyptischen Papyrus ein ausführliches Märchen von zwei Brüdern, die sich Anup und Bata nannten, und im zweiten Jahrhundert n.Chr. flocht der Römer Apulejus in seinen Roman das griechische Märchen von Eros und Psyche ein. In Italien verwerteten dann Straparola und Basile die im Volke umlaufenden Märchen zu den Novellenzyklus Piacevoli notti (1550-1553) und Pentamerone (1634-1636) und in Frankreich gab Perrault 1694 seine berühmten Contes de ma mère l`oye heraus. Aber all das war nicht vergleichbar mit den Gruselgeschichten, die Mathilde ihrem Sohn erzählte. Walter war schon alt genug, um gedanklich den Geschichten folgen zu können, die seine Mutter ihm erzählte; für Karl, seinen kleinen Bruder, wären diese Geschichten nichts gewesen. Er hätte in seinem Alter den Sinn des Erzählten seiner Mutter nicht verstanden. Aber jetzt, im tiefen Wald, hat auch er die Angst, die seinen Bruder befällt. Er hatte sich auf den Älteren verlassen, der nun seine Orientierung verloren hat, nicht mehr den Weg zurück zum Gehöft findet, in dem sie wohnen. Und dann geschieht auch schon etwas Grausames. Eine Bache mit Frischlingen kreuzt ihren Weg. In diesem Moment erinnert sich Walter an ein Märchen, das seine Mutter ihm vor Weihnachten erzählte, als in der guten Stube das Holz im Kaminfeuer knisterte. Es war ein Wildschwein, das gerne das Fleisch kleiner Kinder fraß, die sich im Wald verlaufen hatten. Kinder, die unachtsam waren, tötete es, um ihr Fleisch anschließend zu genießen. Böse schaut ein solches Wildschwein, die Bache, nun in die Richtung, wo zwei kleine Menschen stehen, die ihren Heimweg nicht mehr kennen. Sein Nachwuchs scheint ihm aber wichtiger zu sein, als die beiden Wurzelzwerge, die es bibbernd in einiger Entfernung wahrnimmt. Aus diesem Grund zieht es vor, sich ins Dickicht zu verziehen, dahin, wohin die beiden kleinen menschlichen Gestalten nicht folgen können. Walter atmet auf, als er sieht, wie die Bache mit den Frischlingen aus seinem Blickfeld verschwindet. „Brüderchen, dieser böse Waldbewohner ist verschwunden und taucht hoffentlich nicht mehr auf, um uns ein Leid zuzufügen. Nun müssen wir nur noch den Weg nach Hause finden, denn Mama wird sich sicher schon Sorgen machen, wo wir bleiben, zumal es auch schon langsam dunkel wird."

    Während die Waldbewohner den Platz für ihre Nachtruhe bereits aufsuchen, ergreift eine unsichtbare Hand die von Walter und führt ihn mit seinem kleinen Bruder auf den rechten Weg, der heimwärts geht. Es ist eine Fee, wie Walter sie aus den Märchen kennt, die seine Mutter ihm erzählte. Eine Fee, die kein Wort spricht, die er aber spürt, wie sie ihn durch den fast dunklen Wald führt. Als er mit Karl den Wald verlässt, der Mond mit seinem hellen Licht ihm den weiteren aber kurzen Weg zu dem Haus, in dem er mit seinem Brüderchen wohnt, zeigt, laufen ihnen schon die besorgten Eltern entgegen. „Wo bleibt ihr nur. Mama und Papa, der sofort mit dem Pflügen aufhörte, als ich voller Sorge nach euch rief, befürchteten schon, dass etwas passiert sein könnte, sagt Mathilde zu den beiden Streunern und nimmt Karl sofort auf den Arm, der auf seine Mutter zugelaufen war, als er sie sah. Yannick ergreift die Hand seines Ältesten und beginnt mit Vorwürfen, die Walter richtig wehtun. Er entschuldigt sich nun für das lange Fernbleiben von daheim und meint: „Papa, ich wollte nicht so lange von zu Hause sein. Aber ich verlief mich im Wald, fand den Weg nicht mehr zurück, hatte deshalb Angst. Aber da gab es ein Wesen, das ich nicht sah aber wahrnahm, das packte meine Hand und führte mich mit meinem Bruder auf den Weg, der nach Hause führte. Dieses Wesen ließ auch erst meine Hand wieder los, als wir jetzt den Wald verließen. Es sind Worte von Walter, die Yannick seinem Sohn nicht abnimmt. Von einer Bestrafung sieht er aber ab. Er ist nämlich glücklich, dass den beiden Streunern nichts passiert war, er sie wohlerhalten wieder in Empfang nehmen kann.

    Das Jahr 1820, ein Jahr mit vielen Ereignissen. Im März wird in Preußen das Sporttreiben an Schulen und Hochschulen aus staatsrechtlichen Gründen rechtswidrig, was Yannick nicht versteht, als er das in der Zeitung liest. Im August wird die Zugspitze in den bayrischen Alpen zum ersten Mal von Menschen bestiegen. – In Troppau, eine Stadt in der mährisch-schlesischen Region von Österreich, kommen beim dortigen Fürstenkongress im Dezember der russische Zar Alexander I, Kaiser Franz I von Österreich und der preußische Thronfolger Friedrich Wilhelm überein, aufkommende republikanische Rebellionen in Europa zu bekämpfen. Als Yannick das an einem Abend in der Zeitung liest, regt er sich auf und wirft das Zeitungsblatt, auf dem das steht, wütend in die Ecke der guten Stube, wo er in einem Sessel sitzt. „Diese Menschen haben keinen Verstand. Sie wissen nicht, was Republik bedeutet, wissen nicht, was das Volk wünscht. Schon Napoleon hat den Willen des Volkes missachtet; hat oder wollte nicht den Willen des Volkes, das sich von der Willkür einer tyrannischen Obrigkeit gerade befreit hatte, respektieren, und machte sich zu einem Herrscher, der in seinem Sinne versuchte, die Welt zu verändern. Aufkommende republikanische Rebellion bekämpfen? Was soll das? Das Volk will Freiheit, will selbst bestimmen, wie es zu leben hat. Und das gibt es nur in einer Republik, in der es Volksvertreter gibt, die nach Volkswillen agieren, nach Volkswillen Gesetze verabschieden und nicht Fürsten, denen es nur nach ihrem Wohlwollen geht. „Yannick, reg dich nicht auf. Du alleine änderst die Welt nicht, in der wir leben, erwidert Mathilde, die sich auch in der guten Stube befindet. Sie sitzt vor einem Spinnrad, um das gesponnene Garn, das für die Herstellung von Tuchen benötigt wird, aus denen dann später Tischdecken und Bettlaken gemacht werden sollen, damit aufzuwickeln. „Ja, aber die Welt muss doch sehen was es heißt, wenn nur Fürsten das Sagen haben; Fürsten, denen es egal ist, was das Volk denkt und wie es ihm geht. War Napoleon dafür nicht ein Beispiel? Ich hab‘ seine Kriege mitgemacht, war in Schlachten, in denen Menschen geopfert wurden, nur um seine Machtgelüste zu befriedigen. Aber die da oben … nein … für sie gilt doch auch nur die eigenen Machtgelüste zu befriedigen … Das ist Wahnsinn. Sie ziehen uns damit in die Hölle … Was sind das überhaupt für Menschen, die das tun? Oder sind das keine Menschen, die über die Köpfe ihrer Untertanen hinweg bestimmen, wie sie sich zu verhalten haben? „Yannick, ich versteh dich. Du hast Schreckliches erlebt, hast den Russlandfeldzug eines Tyrannen mitgemacht. Aber bitte, bitte äußere dich nicht so, wenn sich andere Menschen in unserer Nähe befinden. Wer weiß, was dann mit dir geschieht. Denke bitte immer daran, frei sein wie der Wind wollen wir alle, aber deine Familie braucht dich auch, besonders ich, deine dich liebende Frau. Yannick nickt nur. Er hat verstanden, was Mathilde damit meint.

    Das Jahr 1821, ein Jahr, das anders verläuft als das des vorangegangenen Jahres. Im März beginnt die griechische Revolution gegen das osmanische Reich. Der Aufstand gegen die Türken soll acht Jahre dauern, bis dann Griechenland seine Unabhängigkeit wieder erreicht. Als Yannick nun vom Beginn des Aufstandes der Griechen, die genug von der Fremdherrschaft der Osmanen hatten, in der Zeitung liest, ist er begeistert. „Endlich wagt ein Volk es, sich von Unterdrückern zu befreien … Es wird nun höchste Zeit, dass dies auch bei uns geschieht. Als Mathilde das aus dem Mund ihres Mannes hört, ist sie entsetzt. „Männe, ich fühle mich nicht unterdrückt. Natürlich darf man bei uns nicht immer das in der Öffentlichkeit sagen, was einem auf der Seele liegt. Aber so muss es ja auch nicht sein. Mir genügt es schon, wenn ich dir meine Meinung sagen kann, dabei aber hin und wieder zu impulsiv bin, weil ich die richtige Mischung zum richtigen Zeitpunkt gerade mal nicht gefunden habe, erwidert Mathilde und lacht laut, so dass es ihre Kinder hören, die sich nicht in der guten Stube aufhalten wie sie und Yannick … „Mama, ist was? Mit diesen Worten stürmen Walter und Karl in den Raum, in dem sich ihre Eltern befinden. „Nein, meine beiden Herzjungen; nur Papa berichtete gerade über etwas, über das ich lachen musste, antwortet Mathilde. Mehr wollen die beiden Lausbuben nicht hören und verlassen auch schon wieder die gute Stube, um draußen, wo sie herumtobten, dies erneut zu tun.

    Wochen vergehen, und dann steht am 18. Juni in der Zeitung: Uraufführung der Oper Der Freischütz von Carl Maria von Weber in Berlin. – Carl Maria von Weber, ein Tondichter der 1786 in Eutin in Holstein geboren wurde, ist der Sohn eines Schauspieldirektors und war Schüler bekannter Musiklehrer. Im Jahre 1800 hatte er die Oper Das Waldmädchen, 1802 die Oper Peter Schmoll und seine Nachbarn und 1804 die Oper Rübezahl, von der allerdings nur die Ouvertüre fertig wurde, geschrieben. Wenige Jahre später schrieb er dann noch die Operette Abu Hassan und vertonte die Freiheitslieder Leier und Schwert eines bekannten Dichters. 1818 begann dann eine glänzende Zeit für ihn; seine Jubelouvertüre wurde zum ersten Mal aufgeführt. Weitere Werke von ihm sollen noch folgen. – Als Yannick nun in der Zeitung von der Uraufführung der Oper Der Freischütz liest, sagte er zu Mathilde: „Deutschland hat doch immer wieder Menschen, die die Menschheit mit ihrer Kunst begeistern. „Sprichst du von Carl Maria von Weber, dessen Bild ich in der Zeitung sehe, die du gerade so hochhältst, dass ich seinen Namen, der in großen Lettern geschrieben wurde, lesen kann? „Ja, den meine ich. „Ja, mein lieber Schatz, Deutschland hat aber auch noch den Komponisten Franz Schubert, der allerdings 1797 in Wien geboren wurde. „Wien, das ist für mich Ausland und nicht Deutschland. „Mein Schatz, das stimmt nicht. Wien ist die Hauptstadt Österreichs, und Österreich ist noch immer Deutschland, obwohl es das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht mehr gibt. „Wollen wir uns jetzt über Politik streiten?" „Nein, mein Schatz. Ich wollte auch nur sagen, Franz Schubert ist ein deutscher Komponist, der deutsche Kunstlieder schreibt. Er bringt die Stilreform, die Haydn, Mozart und Beethoven auf instrumentalem Gebiet vollendeten, auf dem der lyrischen Volksmusik zum Abschluss. Schubert schrieb viele Lieder; zu den gehören z.B. die Zyklen Die schöne Müllerin, Winterreise und Schwanenschwanz. Daneben stehen zahlreiche Klavierkompositionen, Kammermusikwerke und Symphonien. Seit einem Jahr ist auch sein Melodrama Die Zauberharfe bekannt. Und wie ich vermute, wird er sicher noch weitere große Werke schreiben, die seiner Berühmtheit guttun. „Du kennst dich ja aus, weißt viel über diesen Menschen. Du überraschst mich, meine Liebe. „Ja, mein lieber Mann, auch ich hab‘ etwas im Köpfchen und nicht nur du." Es ist eine interessante Unterhaltung, die beide nun über weitere deutsche Persönlichkeiten der Musikgeschichte bis spät in den Abend führen.

    Das nächste Jahr, es ist das Jahr 1822, in dem ein bekannter deutscher Schriftsteller der Romantik in Berlin stirbt. Es ist Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, der 1776 in Königsberg, Ostpreußen geboren wurde. Es ist die Syphilis, die bei ihm zu einer immer stärker werdenden Lähmung geführt hatte und ihn an einen Lehnstuhl fesselte. Seine Hände hatten den Dienst versagt; er konnte nur noch diktieren, aber nicht mehr schreiben. Nun, am 25. Juni, stirbt der große Meister, den man nur unter E.T.A. Hoffmann kannte, und die Zeitungen berichten über seinen Tod, so dass auch Yannick wieder etwas über einen großen deutschen Literaten, der sich ursprünglich zur Musik berufen fühlte, in der Zeitung lesen kann.

    Diesmal gibt es kein längeres Gespräch zwischen Yannick und Mathilde, für die der Verstorbene nicht die Bedeutung hat wie Schubert und Carl Maria von Weber. Dafür ist für sie das wichtiger, was im August in Verona geschieht und in der Zeitung steht. In dieser Stadt, die noch zu Österreich gehört, was sich später ändern soll, und sie eine italienische Stadt wird, beginnt die Konferenz der Heiligen Allianz, die bis kurz vor Weihnachten andauert. Es ist der letzte Kongress von Monarchen, der überhaupt stattfindet. Als Vertreter der Heiligen Allianz nehmen die Monarchen von Russland, Österreich, Preußen, Frankreich und England teil. Sie alle lehnen die Anerkennung der griechischen Unabhängigkeitserklärung ab, worüber sich diesmal Mathilde aufregt, als sie das zuerst in der Zeitung liest und zu Yannick sagt: „Diese Hunde, die sich in Verona getroffen haben, wollen nicht einsehen, dass ein Volk in Freiheit leben will und nicht von fremden Despoten beherrscht werden." Yannick kann verstehen, warum sich seine bessere Hälfte so aufregt, als auch er in der Zeitung nach der Arbeit auf dem Felde geblättert, und den Artikel über den Monarchen-Kongress gelesen hat. Aber so ist nun mal die Zeit, in der sie leben, die Zeit, in der die Monarchen die Macht ausüben, die auch das Sagen haben.

    Das Jahr 1823 ist ein Jahr, das wieder von vielen Ereignissen geprägt wird, die nicht alle im Sinne von Yannick und Mathilde sind. Das einzig erfreuliche Ereignis, das in der Zeitung steht und über das sie schmunzeln können, ist das was in Köln geschieht. Das Festkomitee des Kölner Karnevals hat im Februar den ersten Rosenmontagszug unter dem Motto Thronbesteigung des Helden Carneval in der Kölner Innenstadt gestartet. Ansonsten ist das ganze Jahr über die Zeitung voller Mitteilungen über deutsche Persönlichkeiten, die in diesem Jahr gestorben sind. Für Mathilde besonders traurig ist das, was sie im August in der Zeitung liest. Es ist der Tod von Papst Pius VII, der als Graf Luigi Barnaba Niccolò Maria Chiaramonti 1742 in Cesena, eine italienische Stadt in der Region Emilia-Romagna, geboren wurde. Als strenggläubige Katholikin geht ihr der Tod des Papstes ans Herzen. Sie sagt sich aber, "des Christen Tod ist nicht der Untergang eines guten, es ist der Aufgang eines besseren Lebens", ein Spruch, der ihr Trost bringt, ein Trost, den sie in ihrem Leben noch öfters braucht, ein Trost, der sie stärker macht.

    2

    Die Jahre fliegen nur so dahin. Man schreibt bereits das Jahr 1832. Walter ist zu einem jungen Mann herangewachsen und interessiert sich für das, was in der Welt geschieht. Besonders die Ereignisse in Deutschland erwecken sein Interesse. So liest auch er neben seinen Eltern in der Zeitung, dass in Hambach in der Rheinpfalz ein großes Fest stattfinden soll.

    Am 27. Mai strömen Menschenmassen auf den Schlossberg von Hambach in der Rheinpfalz, die zum Königreich Bayern gehört. Zu diesen Menschen, die auf den Schlossberg unweit von Neustadt an der Haardt (heute Neustadt an der Weinstraße) strömen, gehört auch Walter. – Deutschland ist keine Nation mehr, besteht nur noch aus unzähligen kleineren und größeren Staaten. Die Menschen, die jetzt zum Hambacher Schloss ziehen, fordern deshalb die nationale Einheit, Freiheit und Volkssouveränität, was bedeutet, das Volk ist der souveräne Träger der Staatsgewalt, was

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