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Schlangencurry
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eBook272 Seiten3 Stunden

Schlangencurry

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Über dieses E-Book

Lukas ist in Thailand als Sohn einer Amerikanerin und eines Thai-Chinesen geboren Er landet in einem Waisenhaus und wird nach Deutschland adoptiert. Ungewöhnlich früh entdeckt er seine Sexualität, für deren Erfüllung er solange bezahlt, bis er herausfindet, dass es auch umgekehrt geht. Fortan lässt er sich von älteren Männern aushalten.
Derweil hat sein leiblicher Vater – durch einen Autounfall zeugungsunfähig geworden - sich auf die Suche nach seinem einzigen Sohn gemacht, weil – nach seinem Glauben – das spirituelle Fortleben der Familie nur durch einen Sohn möglich ist. Einem Detektiv gelingt es, Lukas aufzuspüren und nach Thailand zurückzuholen, wo ein großes Erbe auf ihn wartet.
Lukas aber will nichts anderes, als seiner sexuellen Obsession frönen, und dabei ist ihm jedes Mittel recht, sogar ein Mord.
Die Story entwickelt sich zum Thriller, wobei hier nur soviel verraten werden soll: Ein köstlich zubereitetes Schlangencurry ist sehr bekömmlich, wenn es nicht mit Gift versetzt ist, und Krokodile haben Menschen zum Fressen gern.
Spannung pur – bis zur letzten Seite.
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum1. Aug. 2009
ISBN9783942441643
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    Buchvorschau

    Schlangencurry - ce-eff Krueger

    „Es gibt drei Arten,

    die Kindespflicht zu vernachlässigen;

    die schlimmste ist,

    keinen Sohn für die Ahnenverehrung zu zeugen."

    (nach Konfuzius)

    Kapitel 1

    Keiner der Mönche des kleinen abgelegenen Klosters konnte oder wollte sich später daran erinnern, wann er die „weiße Frau" das erste Mal auf dem Tempelgelände gesehen hatte. Einige behaupteten sogar, sie vorher noch nie bemerkt zu haben. Irgendwann war sie mit ihrer kleinen Staffelei aufgetaucht, hatte die Metallspitze ihres einbeinigen Hockers in die Erde gerammt und zu malen begonnen. Alle paar Tage wechselte sie den Platz und suchte sich ein neues Objekt oder eine neue Perspektive für ihre Motive. Trotz ihrer auffälligen Erscheinung passte sie sich in diese beschauliche Idylle ein, als gehörte sie schon immer dazu. Vielleicht lag das an der Ruhe, die sie selbst ausstrahlte. Oft saß sie stundenlang bewegungslos und fixierte mit zusammengekniffenen Augen ein bestimmtes Detail, einen Ausschnitt des Bildes, an dem sie gerade arbeitete, bevor sie zu einigen bedächtigen Strichen ansetzte, um gleich darauf wieder in meditativer Betrachtung ihres Objektes zu versinken. Dann wirkte sie wie eine der luftigen Frauengestalten in den sommerlichen Gartengemälden von Claude Monet. Ihr langes weißes Kleid umfloss wie ein weicher Schleier ihren schmächtigen Körper, und die bunten Bänder ihres breitkrempigen weißen Sommerhutes, unter dem lange blonde Haare hervorquollen, flatterten im kühlen Wind, der von Norden über die Berge strich und die Luft mit dem Aroma von Sandelholz und Jasmin erfüllte. Die Mönche hatten sie zweifellos zur Kenntnis genommen, schenkten ihr aber weiter keine Beachtung, zumal es zu dieser Zeit nicht den geringsten Hinweis auf das unglückselige Geschehen gab, das sie auslösen sollte. Touristen verirrten sich nur selten in diese abgeschiedene Gegend im Nordwesten Thailands, und die Dörfler der Umgebung, selbst ihre neugierigen Kinder, wahrten einen scheuen Abstand zu dieser seltsamen fremden Frau, weil sie spürten, dass sie nicht gestört werden wollte. So verharrte sie tagelang, schweigend in ihre Arbeit vertieft, und schien mit sich und der Welt im Einklang.

    Zweimal täglich erfuhr der Ablauf ihres Tages eine kurze Unterbrechung, wenn der alte Lebensmittelhändler aus dem nahen Dorf mit seiner mobilen Garküche vorbei kam. Mit schnell zubereiteten Speisen und kalten Getränken versorgte er regelmäßig die Arbeiter im Wald und auf den Feldern, und auch die „weiße Frau", die er respektvoll mit Miss Anne anredete. Teilnahmsvoll erkundigte er sich stets nach ihrem Befinden und sprach mit ihr über seine Familie, über das Geschäft oder über den neuesten Klatsch im Dorf. Wenn er sich dann nach wenigen Minuten wieder auf den Weg machte, geschah dies nie, ohne dass er sich vorher kurz über die Staffelei beugte und ihre Kunst lobte:

    „Miss Anne ist die größte Malerin, die ich kenne, sagte er jedes Mal mit großem Ernst. „Dieses Bild wird bestimmt ein Meisterwerk.

    Anne antwortete dann lachend: „Und Khun1 Nop hat ganz bestimmt wieder zuviel Zuckerrohr genascht, denn es tropft ihm schon aus dem Mund."

    Sie winkte dem Alten nach, der ihr aus frühen Kindertagen vertraut war, als sie mit ihren Eltern regelmäßig die Schulferien in deren Jagdhaus verbrachte, das auf einer Anhöhe in der Nähe dieses Dorfes lag. Ihr Vater hatte, als amerikanischer Diplomat, mit ihrer Mutter in Bangkok gelebt, während sie in den Staaten aufgewachsen war. Nachdem ihre Eltern vor einigen Monaten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, hatte sie sich hierher zurückgezogen, um mit Hilfe der Malerei den Schock zu verarbeiten, den das Unglück bei ihr ausgelöst hatte. In der Stille dieser friedvollen Tempeloase überwand sie langsam ihren Seelenschmerz und fand zurück zu ihrer natürlichen Ausgeglichenheit und inneren Zufriedenheit, die ihr bisheriges Leben bestimmt hatten. Inzwischen konnte sie wieder lachen, und die Farben ihrer Bilder wurden leuchtender. Als das Jahr voranschritt und die Tage heißer wurden, brachte sie zum Schutz gegen die Sonne einen großen Schirm mit, dessen Schattenkreis sie nicht verließ, bis die Dämmerung sich von den bewaldeten Höhen über den Tempel und die Kutis2 der Mönche senkte und sie den Heimweg antrat.

    * * *

    Als Anne an diesem Abend das Jagdhaus betrat, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten, traf sie, entgegen allen Gewohnheiten und Vereinbarungen, das Hausmädchen Toy an, das auf der Veranda hockte und auf sie wartete. Beim Anblick der Herrin des Hauses erhob sie ihre Hände zum Wai3 und bat um einen Vorschuss auf ihren Lohn. Anne runzelte ärgerlich die Stirn. Sie wusste, dass Toy mit Geld nicht umzugehen verstand. Entweder verspielte sie es oder, was noch schlimmer war, sie setzte es in billigen Khao-Lao um, in den von einigen Dörflern selbst gebrannten Reisschnaps, mit dem sie ihr Elend zu betäuben versuchte, das darin bestand, dass ihr Mann sie nach der Geburt des dritten Kindes einfach sitzen gelassen hatte.

    „Wenn ich dir heute deinen Lohn bezahle, gibst du ihn in wenigen Tagen aus, und im nächsten Monat werden deine Kinder Hunger leiden." 

    Toy widersprach mit einer Heftigkeit, die Anne verwunderte. Obwohl Toy mit ihren achtundzwanzig Jahren vier Jahre älter war als Anne, wirkte sie doch im Vergleich zu ihr fast kindlich. Zu ihrer unterwürfigen Art gesellte sich eine Schüchternheit, die sie nur durchbrach, wenn der Alkohol ihre Sinne berauschte. Jetzt aber war sie völlig nüchtern, und sie setzte allen Mut und alle Kraft ein, um Anne von der Notwendigkeit ihrer Bitte zu überzeugen.

    „Damit meine Kinder keinen Hunger leiden, habe ich beschlossen, meinen Ältesten ins Kloster zu geben. Dort wird er gut ernährt und bekommt eine Ausbildung, die ich ihm niemals bieten kann. Übermorgen feiern wir das Fest Asanha-Bucha4. Denn soll er als Novize in die Gemeinschaft der Mönche aufgenommen werden, und dafür brauche ich das Geld. Ihre Stimme nahm einen flehenden Ton an: „Bitte, Miss Anne, helfen Sie mir. Sie tun damit ein gutes Werk. Mein kleiner Gai wird es Ihnen danken und im Tempel für Sie beten.

    Anne ließ sich in einen Sessel fallen. Sie würde dem Drängen von Toy kaum widerstehen können. Zuvor aber wollte sie noch einiges geklärt wissen:

    „Dein Sohn Gai ist doch noch viel zu jung, um Mönch zu werden. Soviel ich weiß, ..."

    „Er wird im nächsten Monat zwölf Jahre alt, unterbrach Toy sie, „und es wird Zeit, dass er etwas lernt. Bisher ist er noch keinen Tag in die Schule gegangen.

    „Ist er denn damit einverstanden? Ich meine, er ist doch noch ein Kind."

    Toy strahlte über das ganze Gesicht, als sie antwortete: „O, Miss Anne, Sie glauben ja gar nicht, wie sehr er sich darauf freut, endlich etwas lernen zu dürfen. Bisher musste er jeden Tag auf den Feldern arbeiten, um sich sein Essen zu verdienen".

    Anne war einen Moment lang versucht, darauf mit einer unfreundlichen Bemerkung zu antworten, denn sie bezahlte ihrer Hausangestellten weiß Gott genug, damit deren Kinder ausreichend versorgt werden konnten. Aber dann besann sie sich und fragte stattdessen:

    „Wie viel Geld brauchst du?"

    Toy nannte einen Betrag, der ihren Monatslohn bei weitem überstieg. Als sie merkte, dass Anne darüber verstimmt war, beeilte sie sich zu erklären:

    „Der Tag der Ordination ist für einen Thai der bedeutsamste seines Lebens. Er muss würdevoll begangen werden. Zum Abschied aus dieser Alltagswelt müssen alle Familienangehörigen, Freunde und Nachbarn eingeladen und bewirtet werden. Außerdem ist es erforderlich, dass der Novize weiß eingekleidet wird, ganz abgesehen von den Opfergaben und..."

    Ehe Toy mit ihrer Aufzählung fortfahren konnte, fiel Anne ihr ins Wort:

    „Schon gut, Toy. Ich gebe dir das Geld. Nicht als Vorschuss auf deinen künftigen Lohn, sondern als Spende für deinen Sohn. Aber sollte ich dahinter kommen, dass du auch nur einen Baht5 davon für dich abzweigst, dann ..."

    „O, Miss Anne, das werde ich Ihnen nie vergessen, jubelte Toy und sprang auf. „Ich wusste es: Sie haben ein gutes Herz.

    Anne ging ins Haus und entnahm dem Safe einige Geldscheine, die sie in einen Umschlag steckte, den sie Toy überreichte, nicht ohne sie noch einmal zu ermahnen, das Geld nur für den vorgesehenen Zweck zu verwenden.

    * * *

    Milchweiß und rund leuchtete der Mond am sternenklaren Himmel, als die ersten Händler und Besucher sich auf den Weg zum Wat6 machten. Bei Sonnenaufgang hatten sich nicht nur die meisten Dorfbewohner auf dem Gelände versammelt, sondern auch einige aus Chiang Mai angereiste Gäste. Die Leute saßen in größeren Gruppen beieinander, aßen und tranken, und in ihrer Mitte hockte, stumm und ergeben wie ein Opferlamm, jeweils ein junger Mann in weißem Gewand, der heute, am Fest Asanha Bucha, um die Aufnahme in den Sangha, die Gemeinschaft der Mönche bitten wollte. Im ganzen Land, in fast allen Tempeln finden an diesem Tag die feierlichen Ordinationen der Novizen statt. Gleichzeitig markiert dieser Tag den Beginn der dreimonatigen Regen- und Fastenzeit, in der die Wandermönche sich zur Meditation in ihre Klöster zurückziehen.

    Anne hatte sich abseits in den Schatten eines alten Feigenbaumes gesetzt und beobachtete interessiert das lebhafte Treiben. Acht weiß gekleidete Novizen zählte sie, darunter Gai, den Sohn ihres Hausmädchens. Er war bereits kahl geschoren und fühlte sich in seiner hervorgehobenen Rolle unsicher und verlegen. Scheu sah er sich immer wieder nach allen Seiten um und suchte Blickkontakt zu seiner Mutter, die ihm aufmunternd zunickte. Drei weitere junge Burschen aus dem Dorf konnte Anne ausmachen, die heute die vorläufige Mönchsweihe empfangen wollten. Die vier anderen Novizen waren Fremde, wahrscheinlich aus Chiang Mai. Einer fiel ihr besonders auf, der wie ein siamesischer Prinz gekleidet war. Seine Gefolgschaft bestand nur aus einer Handvoll Leuten, die offensichtlich der Oberschicht entstammten und sich deutlich aus der Menge abhoben. Die Männer trugen dunkle, europäisch geschnittene Anzüge, weiße Hemden und feine Krawatten, während die einzige Frau in dieser Gruppe, vermutlich die Mutter des Novizen, ein kostbares blaues Seidenkleid trug und mit reichlich Gold behangen war.

    Khun Nop, der alte Lebensmittelhändler kam auf Anne zu und sagte, indem er auf die Gruppe zeigte, die sie gerade im Blick hatte: „Reiche Leute aus Chiang Mai, Thai-Chinesen. Einer von ihnen ist sogar ein Minister."

    Anne war fasziniert von dem Anblick des jungen Mannes, der im Begriff war, seine Prinzenrolle gegen die eines Bettlers einzutauschen. Sie fühlte sich in ihren Gedanken von Khun Nop gestört, der sensibel genug war, das zu bemerken, und sich unauffällig zurückzog. Anne hatte kein Auge für die vornehmen Begleiter des jungen Mannes. Sie sah nur den Novizen in ihrer Mitte, der ernst und gefasst, als hätte er sich von seiner Umgebung schon verabschiedet, ins Leere blickte. In Anne entstand das Bild des Prinzen Siddharta Gautama, der einst seinen fürstlichen Hof verließ, um die Erlösung aus der Welt des Leidens zu erfahren und darüber zum Erleuchteten, zum Buddha wurde.

    Ein Pickup, der neben ihr zum Stehen kam, unterbrach sie in ihrer Betrachtung. Musiker in traditioneller Kleidung sprangen von der Ladefläche und eilten mit ihren Instrumenten zur Sala7, wo sie von einem alten Mönch empfangen wurden. Anne wandte ihr Augenmerk wieder dem Novizen im Prinzenkostüm zu. Sie schätzte sein Alter auf höchstens fünfundzwanzig Jahre. Er hatte eine hohe Stirn, die seine Kopfform schlank, weniger rund als die seiner Begleiter erscheinen ließ, und große mandelförmige Augen. Kahlgeschoren und ohne Brauen wirkte er wie eine antike Statue, ernst und asketisch. Anne bildete sich ein, ihn ganz genau sehen zu können, was bei der Entfernung kaum möglich war. In ihrer Vorstellung begann sie ihn zu malen. Sie entdeckte oder erfand feinste Details: Ein winziges Loch in einem der eng anliegenden Ohren ließ darauf schließen, dass darin früher ein Anhänger befestigt war. Die Augen, das rechte schien ihr um eine Nuance kleiner als das linke, waren samtig braun. Je länger sie darauf starrte, umso mehr fühlte sie sich geradezu in sie hineingezogen. Aber da waren noch die vollen Lippen. Feucht und sinnlich wölbten sie sich um den fein geschnittenen Mund, unter dem ein markantes Kinn hervorstach.

    Während Anne sich ganz auf den Anblick dieses jungen Mannes konzentrierte, traf sie plötzlich wie ein Schlag die Erkenntnis, dass er sie genau so anstarrte wie sie ihn. Und dieses Treffen ihrer Blicke empfand sie wie eine intime Begegnung, als öffneten sie sich gegenseitig in blindem Vertrauen, als gäben sie sich einander preis in ihren Hoffnungen und ihrem Verlangen.

    Natürlich geschah das alles nur in ihrer Einbildung. Wahrscheinlich hatte der junge Mann sie gar nicht bemerkt. Sie hatte nur geträumt. Dennoch fühlte sie sich von diesem Vorgang in einem Maße aufgewühlt, dass sie beschloss, heimzugehen und auf die Teilnahme an der feierlichen Ordination zu verzichten.

    * * *

    Zu Hause setzte sie sich an ihre Staffelei und malte ihren Prinzen aus dem Gedächtnis. Wie unter Zwang malte sie den ganzen Tag und die ganze Nacht. Erst bei Sonnenaufgang legte sie den Pinsel aus der Hand und betrachtete müde aber beglückt ihr Werk. Was da aus ihrer Fantasie heraus entstanden war, glich ihrem Prinzen aufs Haar. Oder bildete sie sich das nur ein? War es ein Traumbild, aufgetaucht aus der Tiefe ihrer Sehnsucht nach einem Mann, der sie aus ihrer Einsamkeit erlösen, ihrem Leben wieder einen Sinn, eine Richtung geben würde? Ihr Herz schlug heftig beim Anblick ihres Bildes. Dieses Porträt entsprach so sehr ihren Wunschvorstellungen von dem Mann, nach dem sie sich sehnte, dass sie sich über die Staffelei beugte und einen Kuss auf die noch feuchte Farbe seiner Lippen hauchte. Beseligt und gleichzeitig angstvoll gestand sie sich ein verliebt zu sein.

    * * *

    Als sie einige Stunden später erwachte, erschrak sie heftig beim Anblick des Gemäldes. Die Augen des Mannes blickten sie kalt an, und ein zynisches Lächeln, das sich von den Mundwinkeln über sein Gesicht ausbreitete, ließ sie frösteln. Nein, das war nicht der Prinz, der wie ein Versprechen vor ihrem inneren Auge stand. Aber warum hatte sie dem Bildnis diese Züge verliehen? Was hatte sie dazu veranlasst, entgegen ihrem Wunschbild dieses Zerrbild zu schaffen? Und weshalb hatte sie während des Malens diese entstellenden Abweichungen nicht bemerkt? Oder hatte das Bild sich verwandelt während sie schlief? 

    Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass eine unsichtbare Hand den Pinsel geführt haben könnte, um sie zu warnen. Aber wovor? Sie schüttelte diese unsinnige Vorstellung wie ein lästiges Insekt ab und brühte sich einen Kaffee auf.

    1 Anrede für Herr, Frau, Sie, du

    2 Mönchsunterkunft

    3 Traditionelle thailändische Begrüßung

    4 Dieses Fest erinnert an die erste Predigt Buddhas bei Vollmond im Juli

    5 Thailändische Währung

    6 Tempel- oder Klosteranlage

    7 Offene Halle auf dem Tempelgelände für Pilger etc.

    Kapitel 2

    Anne war längst in ihrem Haus angekommen, als Somchai, ihr Prinz, immer noch wie gebannt auf die Baumgruppe starrte, hinter der die „weiße Frau" seinen Blicken entschwunden war. Er richtete seine Gedanken solange auf ihre äußere Erscheinung, bis sie wie ein überirdisches Wesen in ihrem langen weißen Gewand vor seinem inneren Auge erschien, vertraut lächelnd, als sei sie nach einer Zeit der Trennung zu ihm zurückgekehrt.

    Diese geistige Begegnung vollzog sich wie selbstverständlich und überzog sein Gesicht mit einem Ausdruck friedlicher Gelassenheit, den seine Eltern als meditative Einstimmung auf den Weg in die Gemeinschaft der Mönche deuteten. Stolz blickte der Vater auf seinen Sohn, während die Mutter sich mit einem kleinen Tuch heimlich ein paar Tränen der Rührung von den Augen tupfte. Die Brüder des Vaters nickten anerkennend. Somchai würde der Familie Ehre machen und für das zukünftige Karma8 ihrer Mitglieder Verdienste erwerben, die sie nach eigener Einschätzung dringend benötigten, denn auf ihrem Weg zu Macht und Einfluss waren die drei Brüder der chinesisch-stämmigen Familie Rasipornharn wenig rücksichtsvoll vorgegangen.

    Somchais Vater hatte die Tochter eines wohlhabenden Halbchinesen geheiratet und damit den Grundstein gelegt für eine ungewöhnlich erfolgreiche Karriere. Seine kleine Baustoffhandlung hatte sich in wenigen Jahren zum bedeutendsten Bauunternehmen Nordthailands entwickelt, wobei ihm jedes Mittel recht gewesen war, um die Konkurrenz auszuschalten. Mit seinem Geld hatte er seinen beiden jüngeren Brüdern eine steile Laufbahn beim Militär und in der Politik ermöglicht, und nachdem diese ihr Ziel erreicht hatten - der eine General, der andere Minister - sorgten sie dafür, dass er seine Geschäfte unter ihrem Schutz unkontrolliert ausdehnen konnte. Sie schanzten ihm staatliche Aufträge zu und sicherten mit ihrer Stellung das Imperium Rasipornharn gegen jeden Widerstand und jede Kritik von außen ab.

    Ihr Schicksal war ihre Kinderlosigkeit. Nach mehreren Ehen hatten die Ärzte ihre Zeugungsunfähigkeit festgestellt. Das war ein schweres Los. In den Augen ihrer Eltern kam es einer Katastrophe gleich, ohne Nachkommen sterben zu müssen. Seitdem richteten sich all ihre Hoffnungen auf Somchai, den einzigen Erben der Familie, der Zuhause nur „Thun gerufen wurde, „Kapital, und als solches wurde er auch betrachtet. In ihm sollten sich einmal der Wohlstand und das damit verbundene Ansehen des Hauses Rasipornharn bündeln. Er war dazu ausersehen, ihrem Namen ein Denkmal zu errichten und eines Tages als bedeutender Politiker in die Geschichte des Landes einzugehen.

    Der zukünftige Staatsmann saß indessen selig lächelnd auf einer ausgebreiteten Matte, tief versunken in Gedanken an eine „weiße Frau", deren Anblick ihn verzaubert hatte. So bemerkte er auch nicht den alten Abt, der, gestützt auf einen Stock und von zwei jungen Mönchen geführt, auf seine Familie zuging, die ihn ehrfurchtsvoll begrüßte. Sein Vater lächelte entschuldigend und stieß Somchai an, der erschrocken auffuhr und dem Klostervorsteher seinen Wai entbot.

    Die Ehre der persönlichen Begrüßung durch den Abt rührte daher, dass die Familie Rasipornharn der wichtigste Sponsor dieses Tempels war. Jeder der drei Brüder hatte in seiner Jugend einige Zeit als Mönch hier verbracht. „Wat Phra Mug Sawan"9 war sozusagen zum Haustempel der Familie geworden, deren großzügige Spenden die alte Anlage vor dem Verfall bewahrten. Schon zu der Zeit, als die drei Brüder sich hier dem Studium der heiligen Pali10-Schriften widmeten, war der Abt ein betagter Mann gewesen. Wie alt mochte er jetzt sein? Im ganzen Land wurde sein Name mit Ehrfurcht genannt, und im hohen Rat des Sangha11 versicherte man sich vor wichtigen Entscheidungen stets seiner Zustimmung. Unter seiner Führung hatte das Wat Phra Mug Sawan den Ruf erworben, dass hier alle Regeln und religiösen Vorschriften streng befolgt und die kleinsten Abweichungen mit dem Ausschluss aus dem Mönchsstand geahndet wurden.

    Das hielt den weisen Abt allerdings nicht davon ab, die üppig gewährten Zuwendungen der Familie Rasipornharn anzunehmen, obwohl ihm die Gerüchte über skrupellose Machenschaften, auf denen ihr Reichtum beruhen sollte, nicht verborgen geblieben sein konnten. Da diese Mittel jedoch gutes für den Tempel und für das Karma der Spender bewirkten, waren sie frei von allem Schmutz und aller Schuld. Außerdem hatte er diese Spenden weder erbeten noch sich dafür bedankt, sondern sich in seiner grenzenlosen Güte lediglich zur Entgegennahme bereit gefunden. Der Dank dafür lag ausschließlich bei den Gebern, die sich dadurch eine Verbesserung ihrer zukünftigen Daseinsform erhofften. So auch jetzt, als Somchais Vater einen Umschlag aus der Jackentasche zog und ihn mit einer ehrerbietigen Geste dem Abt reichte. Mit einer kaum sichtbaren Kopfbewegung wies dieser auf den Mönch zu seiner Linken, der den Umschlag mit regloser Miene entgegen nahm. Während die Familie noch in Dankesbezeugungen verharrte, machte sich der Abt mit seinen beiden Begleitern

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