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Sunrise: Deeper, more, eternal
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eBook511 Seiten7 Stunden

Sunrise: Deeper, more, eternal

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Über dieses E-Book

Die Liebesgeschichte von Susan und Mike geht in die dritte Runde und obwohl Susan mittlerweile in London bei Mike lebt, befinden sie sich Lichtjahre von einer normalen Partnerschaft oder gar Alltag entfernt. Sie erleben die Tournee durch Skandinavien, Susan eröffnet ihr Geschäft. Ein Anruf verändert alles.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Aug. 2023
ISBN9783910537217
Sunrise: Deeper, more, eternal
Autor

Susanne Erhard

Susanne Erhard, 1966 in Paris geboren, ist gelernte Buchhändlerin, arbeitet allerdings seit vielen Jahren als freischaffende Autorin und Therapeutin in der Nähe von Memmingen, wo sie mit ihrem Mann, Pferden, Eseln und Katzen auf einem Bauernhof lebt. Bisher hat sie verschiedene Krimis veröffentlicht, mehrere Liebesromane, sowie einen historischen Roman, die alle im Allgäu spielen, außer dem siebenbändigen "Sunrise"-Zyklus. Im Oktober 2022 gründete sie ihren eigenen Verlag edition sunrise.

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    Buchvorschau

    Sunrise - Susanne Erhard

    1

    Tief Luft holend klappte ich meinen Laptop zu und legte ihn auf den Beistelltisch vor mir. Meine Hände konnte ich nicht von ihm lösen, er war für diesen Augenblick das letzte Stückchen Verbindung zu Mike. Ich drückte sie platt auf die glatte, graue Oberfläche.

    Die plötzliche Stille hatte das Gewicht einer Betonplatte, die mich gnadenlos unter sich begrub. Minutenlang widerstand ich dem schier übermächtigen Drang, Mike sofort wieder über Skype anzurufen.

    Es war weit nach dreiundzwanzig Uhr, er war erst vor zwei Stunden heimgekommen. Gary hatte ihn am Flughafen abgeholt, fassungslos, dass ich nicht dabei war. In diesem Moment war ich ebenfalls fassungslos. Wie bescheuert musste man sein, um seine große Liebe immer und immer wieder allein zu lassen.

    Gequält versuchte ich erneut durchzuatmen, doch mein Brustkorb schien spontan versteinert oder jemand hatte mir unbemerkt einen Stahlring drumherum geschmiedet, ich keuchte. Seit ich vom Flughafen zurückgekommen war, hatte ich hier gesessen, die Katze auf dem Schoß und seltsam reglos Mikes Poster an der Wand angestarrt.

    „Das Beste, was uns beiden ab Montag passieren kann, ist, dass du in ein richtig bodenlos tiefes, finsteres Loch voll Einsamkeit, Sehnsucht, Heimweh, Liebeskummer fällst und du endlich nichts dringender willst, als möglichst schnell zu Mrs. Peters, James, London und vor allem zu mir zurück zu kehren. Du und die Katze werdet uns herzlich willkommen sein."

    Seine Worte vom Samstagnachmittag würde ich sicher niemals wieder vergessen und auch nicht das zärtliche Lächeln in seinen Augen, als er sie sprach. Verwirrenderweise war ich bei seiner Abreise jedoch nicht in ein Loch gestürzt, sondern innerlich erstarrt. Ich fühlte mich wie eine leere, in sich zusammen gesunkene Hülle. Und um abermals seine Worte zu verwenden: „Als hätte jemand den Stöpsel gezogen und alle Luft aus mir herausgelassen."

    Es tat nicht besonders weh. Es war eher grau, still, ein bisschen tot.

    Mit der Katze im Arm stand ich auf, eine mechanische Bewegung und ließ mich auf das Sofa sinken, zog die Wolldecke über uns. Ich war furchtbar müde, furchtbar abgespannt, aber unfähig mein Bett zu machen. Allein schlafen schien ein Ding der Unmöglichkeit.

    Die Zeit in London war einfach zu schön gewesen, um diesen Umschwung irgendwie zu verkraften. Ich brauchte Urlaub, dachte ich zynisch und es war ja nicht das erste Mal, dass es mir nach seiner Abreise komisch ging.

    Nochmal, ich hätte es anders haben können. Schon beim ersten Mal. Ich kniff meine brennenden Augen zusammen, nicht heulen. Liebeskummer zeigte sich in erstaunlich vielen Varianten. Vielleicht war es auch das falsche Wort für diese Gefühle, ähnlich wie bei dem Wort Sex, das so gar nicht zu dem passte, was wir füreinander empfanden, wenn wir uns liebten. Liebeskrank? Auch nicht richtig. Die Liebe war nicht das Problem. Auch nicht das Fehlen von Liebe.

    Damals im November fühlte es sich an wie sterben. Der Schmerz der Einsamkeit zermürbte mich, die Sehnsucht zehrte mich auf. Verlassenheit machte alles in mir finster.

    Nach der Gala war ich ein Nervenbündel. Aufgescheucht, überdreht, panisch, verwirrt, überfordert und unglaublich ratlos. Nichts passte mehr in meinem geliebten Alltag. Meine Basis war Schrott. Eine neue wäre nur mit Mikes waghalsiger Entscheidung möglich gewesen.

    Was mich seit drei Stunden ereilte, wusste ich noch nicht. Aber es war grässlich. So grässlich, dass ich es kaum die nächsten sechs Wochen bis zum Tourneebeginn aushalten würde. Aber das würde ich müssen, wenn mir nicht bald eine vernünftige Lösung einfiel oder ich endlich mutig genug wurde, eine unvernünftige zu fällen.

    Völlig erledigt suchte ich am nächsten Morgen meine Sachen für die Arbeit zusammen. Mike II und ich hatten die Nacht auf dem Sofa verbracht. Es war mir unmöglich gewesen, mein Bett zu machen. Das Bett, in dem ich die Nacht zuvor an Mikes Seite geschlafen hatte.

    Entsprechend war ich nicht nur furchtbar müde, sondern auch total gerädert. Der Kaffee schmeckte nicht, die Katze war mies drauf und draußen regnete es in Strömen. Perfekt. Seltsam resigniert tippte ich Mike eine Guten-Morgen-Nachricht und verließ meine Wohnung.

    Ich parkte den Wagen im Hof, wuselte mit eingezogenem Kopf, die Katze im Arm und meiner Tasche durch den Regen zur Hintertür des Hauses, schloss den Eingang zu meinem Büro auf. Schnaufend ließ ich die Katze auf den Boden, musterte die vertraute Unordnung, atmete den vertrauten Geruch von Seide und Kleber und erschrak schier zu Tode, als Karin durch die gegenüberliegende Tür eintrat. Sie strahlte mich an, breitete die Arme aus.

    „Wo kommst du schon her?", keuchte ich atemlos vor Schreck. Karin war Zeit unserer Zusammenarbeit immer zu spät zur Arbeit gekommen. Das war längst Gewohnheitsrecht bei ihr.

    Sie lachte und umarmte mich. „Willkommen zurück, auch wenn ich das auf der einen Seite echt Scheiße finde. Ich war die letzten drei Wochen für dein Geschäft verantwortlich, Susie, da kann selbst ich mal pünktlich sein."

    „Ich finde es auch richtig Scheiße, erwiderte ich, „aber danke für dein Willkommen.

    „Ganz nebenbei siehst du auch scheiße aus, Susie, sie musterte mich mit zusammen gekniffenen Augen. „War keine gute Nacht, oder?

    Ich seufzte und lehnte mich gegen die Schreibtischkante. „Nein, keine gute Nacht. Es war laut auf der Straße."

    Das war es tatsächlich gewesen. Kein Vergleich zu der Stille in Hounslow, wo morgens die Vögel und die Kirchenglocken die einzigen Geräusche waren.

    „Und Mike hat gefehlt", ergänzte Karin durchaus mitfühlend.

    Hilflos hob ich die Schultern. „Ja, und Mike hat gefehlt."

    Sie nickte bedächtig und trat wortlos in den Geschäftsraum zurück. Ich hörte die Kaffeemaschine surren und musste unwillkürlich lächeln, als sie mit einem Becher zurückkam, den sie mir mit einem aufmunternden Schmunzeln reichte.

    „Ein kleiner Hauch von Mike. – Du hättest einfach dableiben sollen."

    Genervt schloss ich die Augen, schnupperte an dem Kaffee, den ich eigentlich nicht trinken wollte. Mein Magen hatte den Frühstückskaffee schon doof gefunden. Auch etwas, was ich bisher nicht kannte. Kaffee ging immer.

    Meine Lider flatterten überrascht, denn ich roch Kardamom und Zimt und nicht nur rabenschwarzen Kaffee. Fragend blickte ich auf, nippte ungläubig an der Tasse.

    „Ich habe ein wenig recherchiert, erklärte Karin auf meine stumme Frage hin, grinste breit. „Das klang echt lecker, was du von Mikes Kaffeemischung geschrieben hast. Insgesamt habe ich deine Nachrichten sehr genossen und mich über all die Fotos gefreut. Diese Kaffeepads sind sündhaft teuer und nur jemand, für den Geld keine große Rolle spielt kann sich so etwas leisten, aber ich habe uns mal eine Packung gegönnt. Super lecker, ich liebe es.

    Ich lachte, obwohl mir gleichzeitig die Tränen in die Augen schossen und trank den Kaffee. Im gleichen Moment brummte mein Handy, ich zog es halb aus meiner Jackentasche. Mike. Karin schnaufte, bedachte mich mit einem kleinen Kopfschütteln und verließ das Büro.

    „Hi, Dear, hauchte ich ins Telefon, versuchte die Tränen in meiner Stimme zu unterdrücken. „Schön, dass du anrufst.

    „Nein, das ist nicht schön, erwiderte er müde. „Ich habe mich so daran gewöhnt, real mit dir zu sprechen, wann immer ich das will, dass ich dieses Telefon fast hasse. – Wie geht es dir?

    Da war er wieder, der Stahlring um meine Brust. Ich atmete angespannt, nicht heulen. „Bald wieder, murmelte ich steif. „Mir geht es ganz gut. Wie geht es dir?

    „I feel lousy, er murrte entsprechend. „Und lüg mich nicht an, Susan. Ich bin nicht taub. Hier regnet es in Strömen, es stürmt, es ist kalt. Kaum bist du weg, schon ist die Welt scheiße. – Wir treffen uns nachher für die ersten Proben. Ist im Geschäft bei dir alles okay?

    „Hier ist es auch über Nacht Herbst geworden. Ich seufzte abgrundtief. „Du fehlst mir, Mike. Aber Karin hat das auf den ersten Blick echt gut gemacht. Sie hat uns sogar deine Kaffeemischung beschafft.

    Er lachte wider Erwarten. „Und schmeckt es so wie hier?"

    „Nein, aber es ist etwas tröstlich. Schon dich, Mike, wenn ihr nachher probt, bitte."

    „It´s promised, my love. Rufst du mich heute Abend an?"

    „Natürlich, darauf warte ich den ganzen Tag." Wieder schluckte ich an meinen Tränen und hatte dieses verstörend stumpfe Gefühl in mir.

    „Ich liebe dich, Mike, take care."

    „Ich liebe dich auch und sag mir, wenn du keine Lust mehr auf das finstere Loch hast. Ich komme dich holen. Bye, Susan."

    Er war weg, bevor ich reagieren konnte. Vielleicht gut so. Erschöpft ließ ich meine Hand mit dem Handy sinken und trat zu Karin in den Verkaufsraum, begrüßte zwei Kunden.

    Es war perfekt aufgeräumt, sauber, geschmackvoll dekoriert. Ich runzelte die Stirn und schaute mich um, schwankend zwischen Unmut und Anerkennung. Ich war selten die ordentlichste. Offensichtlich hatte ich auch Karins Kreativität unterschätzt. Unsicher kam sie um den Kassentresen herum, stellte sich neben mich.

    „Okay so?"

    Ich grinste sie schief an. „Das steht wohl außer Frage, oder? So ordentlich war das hier noch nie und ich kann dir sagen, wer zukünftig die Deko macht. Ich bin es nicht mehr. Danke, Karin."

    Impulsiv legte sie die Arme um mich, ich hielt sie mit meinem Kaffeebecher in der Hand fest. „Danke, Susie. Ich habe echt gehofft, dass du bei Mike bleibst, aber ich habe es auch befürchtet. Du hast mir gefehlt."

    „Ich gehe nicht, ohne hier alles vernünftig zu organisieren, Karin. Ich lachte leise. „Es ist wirklich erleichternd, dass ich sicher sein kann, dass du den Laden super managst. Wahrscheinlich werden wir das nicht mehr lange aushalten mit der Fernbeziehung.

    „Mike hält das doch schon lange nicht mehr aus, konterte sie mit einem Stirnrunzeln. „Und du eigentlich auch nicht, du bist nur zu stur, es zuzugeben. Als würdest du dir etwas vergeben, wenn du zu dem Mann ziehst, der dich abgöttisch liebt.

    Ausweichend trank ich den gewürzten Kaffee. Nein, definitiv, er schmeckte nicht so gut, wie wenn ich Mike dabei im Arm halten durfte.

    „Warum bist du nicht geblieben, Susie? Warum tust du euch das an? Echt, bei der Gala, da warst du unfassbar entzückend an Mikes Seite, ihr wart so verliebt, so strahlend. Aber am Samstag da wart ihr ein Paar. Unglaublich stark, so vertraut miteinander, so einträchtig. Es war irre. Mike hatte nur Augen für dich und du hast wahrscheinlich niemand anderes gesehen als ihn."

    „Doch, knurrte ich unwirsch. So etwas wollte ich heute nicht hören. „Günther. Leider. Den hätte ich allerdings nur zu gern übersehen. Lass es einfach, Karin. Ich habe heute Morgen vergessen wasserfesten Mascara zu verwenden.

    Es wurde nicht wirklich besser. Allerdings auch nicht gravierend schlechter. Ich hing in einer Art Vakuum. Diese graue Leere füllte mich aus. Wenn wir skypten, sah ich in Mikes Augen dieselbe Erschöpfung, dieselbe Leere und Hilflosigkeit wie in meinen. Den Blick in den Spiegel vermied ich entsprechend.

    Die Tage zogen sich schwerfällig dahin. Ich war irgendwie so mit meinem Alltag beschäftigt, dass ich gar nicht dazu kam, die Situation positiv zu verändern. Oder ich verdrängte einfach nur wieder alles und nahm meinen Alltag als Alibi für meine Tatenlosigkeit. Immerhin war einer meiner ersten Handlungen, die Katze den britischen Vorschriften entsprechend zu impfen, chipen.

    Mike ließ sich noch in der gleichen Woche nach seiner Rückkehr, auf meinen Wunsch hin, im Krankenhaus erneut röntgen, denn die Schmerzen wurden nicht besser. Aber der Bruch heilte gut, nur der Stiefel musste angepasst werden, der Schmerz ließ sofort nach. Das beruhigte mich.

    Gary würde nach der Tour für drei Monate nach Helsinki gehen, um mit den Finnen das neue Album einzuspielen, womit Mike dann allein war. Das wiederum beunruhigte mich sehr. Ich hoffte, dass Sarah in der Zeit oft mit ihm zusammen sein würde. Dass wir das kommende Frühjahr gemeinsam erlebten, wagte ich weiterhin zu bezweifeln.

    Am Samstag nach dem Spendenevent traf ich mich mit meiner Bekannten, die Goldschmiedin war, und sie entwarf mir in der Kneipe am Tresen, auf einem Quittungsblock des Wirtes, einen Ring für Mike und einen für mich, beide aus der goldbraunen Muschel in Gold gefasst. Sie versprach mir, sie rechtzeitig zu Weihnachten fertig zu haben.

    Für eine Nacht fühlte ich mich glücklicher.

    Karin hatte das Geschäft wirklich hervorragend geführt, ein paar Verbesserungen vorgenommen, auf die ich nie gekommen wäre. Alle Bestellungen erledigt, den Weihnachtseinkauf vorbereitet, den ersten Entwurf einer Personalplanung für die Tourneewochen ausgetüftelt. Die Buchhaltung war auf dem aktuellen Stand.

    Damit hatte ich nicht gerechnet, aber ich hatte ihr auch nie wirklich Gelegenheit gegeben, sich in der Form einzubringen. Flora Design war immer mein Ding gewesen.

    Jetzt war es irgendwie unseres. Das fühlte sich die ersten Tage zwiespältig an, aber dann wurde mir klar, dass mir nichts Besseres passieren konnte, wenn ich irgendwann nach London gehen würde.

    Nebenbei waren die Umsätze seit dem miesen August, zum Vorjahr deutlich gestiegen, unsere Kundschaft veränderte sich. Bei einem gemeinsamen Glas Bier in unserer Stammkneipe kamen wir darauf, dass meine Beziehung zu Mike daran schuld sein könnte.

    Ohne Frage waren wir in den letzten Monaten zu oft in der Zeitung gewesen und vermutlich wusste mehr als halb Köln, wer Mike Hamonds Freundin war und was sie machte.

    Mitte der folgenden Woche rief Michael mich an, um mich für den Samstag einzuladen. Christine wollte das Wochenende mit einer Freundin zum Wellness, was es mir leicht machte, die Einladung anzunehmen.

    „Ich schicke dir meinen Fahrer, bot er an, „er bringt dich natürlich auch nach Hause zurück. Dann können wir gemütlich meinen neuen schottischen Whisky probieren. Und zieh dich warm an, wir machen ein Lagerfeuer am Rheinufer, wenn du das nicht albern findest.

    Zögernd biss ich mir auf die Lippen, stimmte dann aber zu. „Danke, Michael, das ist eine gute Idee und super lieb von dir. Lagerfeuer finde ich klasse. Ich freue mich."

    Das tat ich wirklich, denn die Stunden, die ich allein mit mir und Mike II verbrachte, hatten nicht einmal mehr im Ansatz die Qualität, die sie früher besessen hatten. Wochenenden wurden zum Angstgegner. Die Stille wurde immer schwerer und immer giftiger, Mikes Blick in der Webcam immer müder und leerer. Wir schwiegen oft minutenlang, seltsam erstarrt. Er drehte sich abwesend seine Zigaretten, ich kraulte die Katze.

    Dabei war es nicht so, als hätten wir uns nichts mehr zu sagen. Die Webcam reichte nur einfach nicht mehr und auch nicht die Aussicht auf zwei Wochen gemeinsame Tournee im November. Nicht nach unserer Zeit in London. Ich sehnte mich nach ihm. Manchmal tat das fast weh.

    Nebenbei hatten wir beide richtig viel Arbeit, die uns zunehmend Kraft kostete.

    Natürlich erzählte ich ihm von Michaels Einladung, er freute sich mit mir, zumindest sagte er das.

    „Er schickt mir seinen Fahrer, erklärte ich zögernd. Das fand ich einerseits übertrieben, andererseits seltsam intim und ich war mir nicht sicher, wie Mike das auffassen könnte. „Der holt mich ab und bringt mich heim. Wir machen Lagerfeuer am Rheinufer. Ist das okay für dich?

    „Klar ist das okay, Darling, erwiderte er mit einem müden Zwinkern und drehte sich mal wieder eine Zigarette. „Sehr umsichtig von ihm. So brauchst du nicht selbst zu fahren.

    „Naja, ich zuckte matt die Schultern, „im Zweifelsfall hätte ich die Straßenbahn nehmen können.

    Mit gerunzelter Stirn blickte er halb auf. Er trug tiefe Schatten unter den Augen, seine Wangen wirkten hohl mit den dunklen Bartstoppeln.

    „Was? Straßenbahn? Spinnst du?"

    Verunsichert schüttelte ich den Kopf. „Warum nicht? Ich fahre schon mein Leben lang mit der Straßenbahn. Was ist dabei?"

    „Fuck, Susan. Er hob fassungslos die Hände und warf sich in seinem Sessel zurück. „Du hast festgestellt, dass unsere Beziehung sich mittlerweile sogar auf dein Geschäft auswirkt, du bist meinetwegen ansatzweise bekannt und willst nachts mit der Straßenbahn durch die Gegend rumpeln? Nicht dein Ernst, oder? Ich möchte dich weder im Kühlfach vom Leichenschauhaus wiedersehen noch in Einzelteilen geliefert bekommen oder halb tot auf einem Erpresservideo. Du fährst ab jetzt Taxi, wenn du ohne Auto unterwegs bist! Wag dich nachts mit der Straßenbahn zu fahren oder zu Fuß durch die Stadt zu latschen, dann rauschen wir derb zusammen.

    Das waren genau die Sätze, die ich gut leiden konnte. Genau die Ansagen, die mich zu allem animierten, aber sicher nicht zur Einsicht. Befehlen oder drohen ließ ich mir grundsätzlich nicht. Von niemandem. Auch nicht von Mike.

    „Wird sich schon jemand finden, der mein Lösegeld zahlt, murrte ich, wohl wissend, dass ich das Gespräch damit ungünstig schürte. „Und bis du aus London angereist bist, hat mich sicher schon jemand anderes im Kühlfach identifiziert. Deswegen musst du dich nicht bemühen.

    Sein Gesicht auf dem Bildschirm wurde blass, seine Augen dunkel. Mit einer kontrolliert zornigen Bewegung beugte er sich vor, drückte seine Zigarette aus, er saß im Tonstudio.

    Es war fast Mitternacht und eigentlich waren wir beide todmüde. Aber er war erst kurz zuvor von einer der vielen Tourbesprechungen nach Hause gekommen und ohne mit ihm zu skypen, konnte ich nicht ins Bett gehen. Wir schliefen beide schlecht und viel zu wenig, da machte das dann auch nichts mehr.

    „Ich versuche deinen letzten Satz unter schlechter Laune und komischem Anfall von Sehnsucht zu verbuchen, zischte er aufstehend. „Deswegen lasse ich das jetzt unkommentiert. Aber übertreib es nicht, Susan, sonst habe ich zackig die Schnauze voll von dem Theater, das wir seit Monaten veranstalten. Gute Nacht.

    Er drückte mich weg, ich starrte den blauen Bildschirm an, vergaß zu atmen, bis mir schwindelig wurde. Dann holte ich schluchzend Luft.

    Panisch klickte ich auf Anruf, doch er nahm mich nicht mehr an, also riss ich mein Handy vom Tisch, erreichte aber nur seine Mailbox, der ich nichts zu sagen wusste. Mir wurde schwarz vor Augen. Welches Theater hatte er gemeint? Wollte er Schluss machen? Hatte Karin mich nicht schon vor Monaten gewarnt? Genug der Hinhaltetaktik?

    Halb blind vor Tränen und kurz vor einem Kreislaufkollaps tippte ich eine Nachricht an ihn.

    Es tut mir leid, bitte lass uns kurz telefonieren.

    Es dauerte gefühlte Stunden, bis eine Antwort kam, dabei waren es nur wenige Minuten.

    Nein, ich hatte einen echt harten Tag. Wenn wir jetzt telefonieren, dann vergesse ich mich und ich will mich nicht mit dir streiten. Ich hatte immer Verständnis für dein Bedürfnis nach Unabhängigkeit. Aber, Susan, ich kann das so nicht mehr, lass dir endlich etwas einfallen. Ich melde mich, wenn ich mich wieder im Griff habe, aber das kann dauern. Lass mich so lange in Ruhe. Bitte!

    Atemlos las ich die Zeilen, einmal, zweimal, dreimal, aber sie wurden nicht besser. Ich sollte ihn in Ruhe lassen? Dabei hatte ich doch ohnehin schon vierundzwanzig Stunden am Tag Sehnsucht nach ihm. Wie sollte das gehen? Was sollte ich mir einfallen lassen?

    Was war vorhin eigentlich in mich gefahren, dass ich einen solchen Schwachsinn gelabert hatte?

    Wieso hatte ich ihn wissentlich verletzen wollen?

    Ich zog die Knie hoch und rollte mich auf dem Sessel zusammen, heulte haltlos, schluchzte und plärrte. Krampfhaft hielt ich das Handy fest, wartete den Rest der Nacht auf ein Zeichen von ihm, bis ich frühmorgens vor Erschöpfung im Sessel einschlief.

    Mein vibrierendes Handy weckte mich kurz nach Sonnenaufgang. Ich hatte die Augen noch nicht ganz auf, da tippte ich schon wild, in der Hoffnung, dass Mike geschrieben haben könnte.

    Tatsächlich, ich heulte sofort wieder los, konnte entsprechend kein Wort entziffern. Eine Nachricht von ihm hieß nicht, dass alles wieder gut war. Im Gegenteil.

    Vielleicht beendete er genau mit dieser Nachricht unsere Beziehung. Grob rieb ich mir die Tränen aus den Augen, kniepte angestrengt.

    Good morning, Susan

    las ich erschrocken. Das war nicht die liebevolle Anrede, die ich sonst von ihm gewohnt war.

    Wahrscheinlich hast du genauso wenig geschlafen wie ich. Nein, ich will nicht Schluss machen und ich will dich nicht verlieren. Ich will so aber auch nicht mehr weitermachen. Genau genommen weiß ich gerade nicht, was ich will. Ich brauche Abstand. Gib mir bitte etwas Zeit. Mike

    Seine zweite Nachricht war ein Foto. Schmerzhaft schluchzte ich auf. Sonnenaufgang auf der Tower Bridge. Was sollte ich ihm antworten? Wollte er überhaupt eine Antwort?

    Unentschlossen starrte ich das Bild an, Sehnsucht flutete mich, panische Angst, Hilflosigkeit. Meine Finger wollten ihm unbedingt schreiben, besser noch, ihn anrufen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Nein, er hatte um Abstand gebeten, Zeit für sich. Der mickrige Rest Verstand in mir gab alles, um einen weiteren Fehler zu vermeiden. Ich durfte ihn nicht anrufen, ihn nicht bedrängen.

    Hysterisch presste ich mir meine Fäuste auf die Augen. Er wollte nicht Schluss machen, hatte er geschrieben, mich nicht verlieren und er stand auf unserer Brücke. Das musste als Hoffnung reichen. Mehr bekam ich nicht mehr. Zu viel Theater in den vergangenen fast zwölf Monaten. Zu viele Chancen verspielt.

    Hatte ich nicht kurz vor unserem Abflug in London selbst festgestellt, dass ich es vielleicht nur auf die harte Tour lernen würde? Das Ziel hatte ich ja perfekt erreicht. Nur mit dem Lernen haperte es noch immer. Ich schluckte, rang nach Luft und schaute wieder das Foto an.

    Guten Morgen, Mike

    Es fiel mir unendlich schwer so distanziert zu schreiben, aber es musste sein. Ihm zuliebe.

    Nein, ich habe nicht sehr viel geschlafen und ich will dich nicht verlieren. Es tut mir sehr leid, dass ich gestern so mies war. Natürlich werde ich deinen Wunsch nach Abstand respektieren. Take care.

    Steif wuchtete ich mich aus dem Sessel, mir tat alles weh. Das war noch einmal eine andere Nummer, als damals im November, wo ich schon sicher gewesen war, dass man diesen Schmerz nicht toppen konnte. Doch. Schlimmer ging tatsächlich immer.

    Mein Magen war genauso steif wie ich, unfähig meinen gewohnten Kaffee zu verkraften, Essen ging gleich zweimal nicht in mich hinein.

    Mit einem letzten Blick aus dem Küchenfenster in den grauen Nebelmorgen, fragte ich mich, wieso ich mich, wegen Mikes zugegebenermaßen krasser Ansage, so angepisst gefühlt hatte? Die Botschaft dahinter war an sich sehr liebevoll gewesen, er hatte Angst um mich, war besorgt. So wie ich wegen seines Beines besorgt gewesen war.

    Er hatte deswegen allerdings keine dämliche Szene veranstaltet, sondern mir meinen Wunsch erfüllt und war zum Arzt gegangen. Ich dagegen hatte ihn verbal massiv vor den Kopf gestoßen und sicher sehr verletzt. Meine Einsicht kam mal wieder viel zu spät.

    Bedrückt stapfte ich mit der Katze ins Geschäft. Dieser Freitag war Karins freier Tag, sie würde morgen am Samstag arbeiten. Einerseits war ich erleichtert, dass sie mich so nicht sah, andererseits hätte ihre trockene Sicht auf die Dinge mir vielleicht mal wieder weiter geholfen. So war ich allein mit meinem verstört rotierenden Hirn.

    Und Mike schwieg. Keine Nachricht, kein Anruf, keine E-Mail. Mein Handy legte ich nur zur Seite, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ und als ahnten meine Kunden, dass mein Geschäft heute kein angenehmer Ort war, hatte ich entnervend wenig zu tun und zu viel Zeit zum nutzlosen Nachdenken.

    Mehrfach war ich auch nahe daran, Michael für den morgigen Abend abzusagen. Ich war übel mies gelaunt und so wie ich durchaus froh war, dass Karin meinen Kummer nicht mitbekam, so war ich mir nicht sicher, ob ich Michael mit dem verheulten Gesicht unter die Augen treten wollte. Garantiert würde er es sehen. Es sei denn, ich leistete mir einen Visagisten.

    Letztlich kam ich zu dem Schluss, lieber kurz klarzustellen, dass Mike und ich Stress miteinander hatten, als den Abend daheim zu leiden.

    Der Sonntag allein würde bei meinem Zustand reichen. Ich hatte keinen Schimmer, wie lange Mike Abstand brauchte. Wann er sich melden würde? Ein paar Tage? Eine Woche? Würden wir erst wieder miteinander reden, wenn ich zum Tourneestart nach Kopenhagen flog? Das war in etwa vier Wochen. Unter glücklichen Umständen schon scheußlich lang, unter unglücklichen eine Ewigkeit.

    Mike II und ich schlichen am frühen Abend nach Hause. Ich hatte eine halbe Stunde im Geschäft zusätzlich vertrödelt, denn auf die Stille in meiner Wohnung hatte ich gar keine Lust. Aber irgendwann musste ich heim. Auch das eine ungute Erinnerung an den vergangenen Winter.

    Unfähig, mich auf irgendetwas zu konzentrieren, appetitlos und mit hektisch klopfendem Herzen saß ich den Rest des Abends wieder auf meinem Sessel, starrte abwechselnd mein Notebook an, oder das Display vom Handy und nichts passierte.

    Den fatalsten Fehler des Abends beging ich, als ich vor lauter Sehnsucht nach Mike und wider besseres Wissen auf YouTube den Mitschnitt vom Spendenabend und die Gala anschaute.

    Ich heulte, bis ich keine Tränen mehr hatte und erschöpft, spätnachts wieder auf dem Sessel einschlief. Und kein brummendes Handy weckte mich am folgenden Morgen. Keine Nachricht, kein Anruf.

    Irgendwie bewältigte ich den Tag, richtete mich zu früh für den Abend bei Michael her. Viel war an meinem Gesicht nicht mehr zu retten. Ich sah verheerend aus. Punkt 19 Uhr stand sein Fahrer vor dem Haus.

    Verschämt grüßend stieg ich hinten ein, setzte mich so, dass er mein verquollenes Gesicht nicht permanent im Rückspiegel sah. Überrascht stellte ich fest, dass der Tag recht sonnig gewesen sein musste, denn im Westen färbte ein traumhafter Sonnenuntergang den Horizont in warmen Tönen.

    Michael empfing mich mit einem strahlenden Lächeln an der breiten Tür seiner Landhausvilla. Respektvoll nahm er mich in die Arme.

    „Schön, dass du da bist, Susie. Sollen wir gleich zum Ufer hinuntergehen oder ist es dir zu kalt? Dann bleiben wir natürlich hier."

    Angespannt hob ich meinen Blick. Er müsste blind sein, um es nicht zu sehen. „Unbedingt ans Ufer, murmelte ich, schielte an ihm vorbei. „Ich war den ganzen Tag drin und habe mich auf den Abend mit dir am Wasser echt gefreut.

    Nur flüchtig kniff er die Augen zusammen, strich mir dann freundschaftlich über den Arm und nickte.

    „Unser Abend ist mein Highlight der Woche, um ehrlich zu sein. Das Feuer brennt schon und meine Haushälterin hat uns den leckersten Kürbiseintopf der Welt gekocht. Den wärmen wir über dem Feuer auf. Stockbrot ist auch schon vorbereitet. Danach gibt’s den Whisky. Okay?"

    „Super okay, danke."

    Bei Kürbiseintopf verkrampfte mein Herz schmerzhaft. Den letzten hatte ich in London nach der Pressekonferenz gegessen. Einträchtig mit Mike und Gary am Tisch in der Küche. Unwillkürlich zuckten die Bilder unserer zärtlichen Choreografie durch meinen Kopf, danach die erregende Dusche. In der Nacht davor hatten wir auch Streit. Damals war es Eifersucht gewesen. Was war es eigentlich heute?

    Schweigend stiefelte ich neben Michael durch das riesige Wohnzimmer, in dem wir im Frühjahr einen Teil jenes denkwürdigen Abends verbracht hatten, der mit Mike anfing und mit einem nächtlichen Fußmarsch durch Köln endete. Nur gut, dass er davon nichts wusste. Zu Fuß gehen oder mit der Straßenbahn fahren durfte ich ja nicht mehr.

    Wir traten in den Garten hinaus, liefen den sanften Hang zum Rheinufer hinunter, wo ich schon das Lagerfeuer lodern sah und das Wasser glitzern. Ich seufzte tief, die Sehnsucht nach Mike wurde in diesem Moment wieder schier unerträglich.

    Zwei gemütliche Korbsessel mit Wolldecken und Kissen standen am Feuer, der Topf und die Brotstöcke auf einem Tisch daneben und ein Tablett mit dem Whisky und Gläsern.

    „Nimm bitte Platz, Susie. Michael deutete auf die Sessel. „Mach’s dir bequem. „Ohne dir zu nahe treten zu wollen, er verzog das Gesicht zu einem unsicheren Grinsen, „aber, wenn du möchtest, dann kannst du gleich einen Whisky haben."

    Seufzend plumpste ich auf den rechten Sessel, spürte sofort die wohlige Hitze des Feuers, roch den würzigen Qualm und ein wenig den Fluss. Für einen Moment schloss ich die Augen, schaute ihn dann offen an.

    „Ja, danke, den könnte ich tatsächlich gebrauchen. Du trittst mir nicht zu nah. Wir haben Stress miteinander, ist ja nicht zu übersehen."

    Mit einem verkniffenen Seitenblick auf mich trat er zu dem Tablett und schenkte uns zwei Gläser ein.

    „Nein, ist nicht zu übersehen. Er reichte mir mein Glas und prostete mir zu. „Du siehst wieder aus wie ein angeschossenes Reh, genau wie damals, als wir uns kennenlernten.

    Unwillkürlich prustete ich. „Angeschossenes Reh? Wie geil, genau so fühle ich mich auch." Ich trank einen Schluck Whisky. Er war herausragend, mild, warm, angenehm holzig.

    „Wow, der ist fantastisch."

    Er schaute mich noch einmal wie beiläufig an, nickte dankend und stellte den Topf an den Rand des Feuers, steckte das Brot dazu.

    „Seit Samstag verstehe ich auch, warum du damals so gelitten hast. Mike ist ein toller Mann. Aber du bist auch eine sehr interessante Frau. Euch am Samstag zusammen zu sehen, war ein beeindruckendes Erlebnis. Ihr habt den Raum ausgefüllt mit eurer Liebe, eine unglaublich starke Verbindung. So etwas habe ich noch nie erlebt. Hat es etwas mit seiner Frage vom Samstag zu tun? – Möchtest du reden?"

    Er warf zwei Scheite Holz ins Feuer und setzte sich in den Sessel neben mir, starrte abwartend in die Flammen. Mein Herz raste wieder, mein Stahlring machte mir ehrlich zu schaffen und mir wurde ein wenig schwindelig. Hastig nippte ich an meinem Whisky, in der Hoffnung, dass er schneller wirkte, als jedes andere Kreislaufmittel und ich nicht im nächsten Moment peinlich mit den Füßen nach oben auf dem Boden liegen würde. Atmen, trinken, eine Antwort überlegen.

    „Ich weiß nicht, Michael, stotterte ich notgedrungen. Die Stille wurde für mein Empfinden bereits unangenehm. „Schön, dass du uns so erlebt hast. Am Samstag waren wir beide sicher nicht in Bestform. Mike hatte starke Schmerzen, mich hat der Abschied gedrückt. Unser Streit hat aber nichts mit seiner Frage zu tun.

    Ich zuckte nachdenklich die Schultern, versuchte es mit einem weiteren Schnaufer Sauerstoff. Reden war nicht meine Stärke, meistens stresste es mich mehr, als dass es mir weiterhalf. Aber etwas in mir hielt das allein nicht aus.

    „Oder vielleicht irgendwie doch. Schwierig."

    Er musterte mich schweigend, nickte mir aber aufmunternd zu. Schwerfällig rückte ich mich im Stuhl zurecht.

    „Ich will dich echt nicht nerven und ich bin nicht hier, um mich bei dir auszuheulen. Sorry."

    Seine rechte Braue ruckte belustigt und er stand auf, rührte kurz in dem Topf herum. „Weißt du, Susie, ich verwende das Wort Freund sehr sparsam, denn es ist etwas Besonderes. Aber dich würde ich gern Freund nennen und Freunden darf man alles erzählen, die nervt man nicht. Man muss nur im Zweifelsfall mit einer ehrlichen Antwort rechnen. Also, schieß los. Was ist passiert?"

    „Danke, Michael, deine Freundschaft nehme ich gern an. Für mich ist Freundschaft auch etwas Besonderes. – Passiert ist eigentlich nichts. Wahrscheinlich nur ein dämlicher letzter Tropfen, der bei ihm gezündet hat. Ich habe vorgestern Abend aus unerfindlichen Gründen, einer blöden Laune, auf Skype ein paar miese Sätze gesagt und da wir beide seit seiner Abreise komplett durchhängen, kamen die halt nicht so gut."

    Ich schlürfte an dem Whisky und schloss kurz die Augen. Durch meine geschlossenen Lider sah ich die Flammen flackern. „Seit wir uns kennen hat Mike immer klargestellt, dass er so schnell wie möglich mit mir zusammen leben möchte. Keine Fernbeziehung. Er hat mir unzählige Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir das in London machen könnten, mir Jobangebote gemacht, damit ich theoretisch von ihm unabhängig bin, weil das meine Forderung ist."

    „Aber du hast sie abgelehnt."

    „Richtig, ich habe alles abgelehnt, mit dem Argument, dass ich auch praktisch finanziell unabhängig sein möchte, nicht nur vordergründig. Das hat er immer mehr oder weniger akzeptiert. Karin hat mich schon vor längerem gewarnt, dass ich ihn aber eigentlich nur hinhalte."

    „Klingt ein bisschen danach. Ich kann dich trotzdem gut verstehen, denn du bist hier absolut unabhängig. Was möchtest du?"

    „Ich weiß es nicht." Gequält zog ich die Schultern hoch, wagte einen halben Blinzler in sein Gesicht. Sein Blick war überraschend mitfühlend.

    „Mit Mike ist alles anders. Eigentlich kann ich mir mit ihm alles vorstellen, aber anpacken kann ich es nicht. Meistens bin ich fassungslos, dass er mich anscheinend wirklich liebt. Er würde mich wahrscheinlich auch sofort heiraten, wenn ich das wollte. Mike hat mich an diesem Samstagmorgen auf der Tower Bridge gefragt, ob ich mir Kinder, eine Familie mit ihm vorstellen könnte."

    Michael lachte leise und stand erneut auf, um den Topf aus dem Feuer zu ziehen. Nachdenklich füllte er die Suppe in zwei Schalen, reichte mir eine, ein Stockbrot dazu. Es duftete fantastisch, mein Magen knurrte überraschend vehement. Michael hörte es, er grinste und ließ sich in seinen Sessel fallen.

    „Iss, Susie, ich habe am Spendenabend schon gedacht, dass du im Urlaub abgenommen hast, mittlerweile bist du wieder zu dünn."

    „Die letzten drei Wochen waren teilweise tatsächlich stressig. Das schlägt mir immer auf den Hunger. Guten Appetit und vielen Dank." Voll Genuss schob ich mir den ersten Löffel in den Mund, seufzte abgrundtief und Michael lachte wieder.

    „Das Kompliment hätte unsere Haushälterin sicher gern gehört. – Reden wir wieder über Mike und dich."

    Belustigt verdrehte ich die Augen, nickte dann ergeben. Ich hatte es so gewollt, ansonsten hätte ich den Mund halten müssen. Was Mike wohl gerade machte? Er fehlte mir so sehr.

    „Vor vier oder fünf Jahren habe ich mal ein Interview mit Mike gesehen. Michael bröselte ein Stück Brot von seinem Holzstab. „Der Moderator fragte ihn nach einem Partner in seinem Leben. Er tauchte ja immer und überall allein auf. Mike hatte damals dieses unglaublich charmante, schiefe Grinsen im Gesicht.

    Unsere Blicke trafen sich. Ich lächelte, es fühlte sich ungewohnt an, mein Gesicht war total verkrampft.

    „Wenn er lacht, geht die Sonne auf", stimmte ich zu. „Eigentlich müsste er Sunrise sein."

    Michael wedelte abwehrend mit der Hand. „Nein, das ist schon richtig für dich, du kannst das auch hervorragend. Aber Mike sagte damals, dass er jetzt lügen könnte und behaupten, dass seine Frau daheim sitzt und auf ihn wartet. Dem sei aber nicht so und er sei sich im Klaren darüber, dass dies der Preis für seine Musikerkarriere ist. Er hätte gern klassisch geheiratet, Kinder, Familie gehabt und wenn er geahnt hätte, dass der Preis so hoch ist, dann hätte er auf den Erfolg verzichtet und liebend gern nur seinen Kindern Schlaflieder auf der Gitarre vorgespielt, anstatt die Hitlisten anzuführen."

    Die Stille nach seinen Worten war verwirrend. Ich hörte nur das Feuer prasseln, das leise Plätschern der Wellen am Ufer, meinen aufgescheuchten Herzschlag. Die Schale in meinen Händen war warm, seltsam geborgen. Ich presste sie an meinen Bauch, dort, wo ich Mikes Kinder tragen würde, wäre ich nur etwas mutiger. Die Kinder, denen er Schlaflieder vorspielen könnte.

    Leise stöhnend, holte ich Luft, führte erneut einen erfolglosen Kampf gegen meine Tränen. Michael strich mir von seinem Sessel aus sanft über den Arm. Unsere Blicke trafen sich, er lächelte fast genauso schief und charmant wie Mike, ich wischte mir verschämt die Augen.

    „Wenn du dir mit ihm alles vorstellen kannst, Susie, sogar Kinder, dann mach. Warum nicht einfach mit ihm leben? Einfach zu ihm gehen? Was hält dich hier?"

    Im selben Moment brummte mein Handy, ich schrak zusammen, fürchtete und hoffte sofort auf eine Nachricht von Mike. Michael schmunzelte, zuckte bedauernd die Schultern.

    „Die Nachricht ist von mir. Ich habe dir etwas geschickt. Aber du könntest es an Mike weiterschicken. Ich glaube, das wäre eine gute Idee."

    Ich pustete den eingehaltenen Atem aus meinen Lungen und griff nach meinem Handy in der Jackentasche. Tatsächlich, ich runzelte erstaunt die Stirn. Michael hatte mir ein Foto geschickt. Mit einem argwöhnischen Seitenblick auf ihn wischte ich über das Display und verzog das Gesicht.

    Ein Foto von mir, wie ich ihm nur Minuten zuvor von meinem albernen Drama erzählte, Lagerfeuer, Suppenschale. Definitiv, ich sah aus wie ein angeschossenes Reh, eine grässlich passende Beschreibung. Davon abgesehen hatte ich nicht bemerkt, wie er mich fotografierte.

    Abwehrend schüttelte ich den Kopf und legte das Handy neben mich.

    „Nein, das werde ich ihm nicht schicken. Er hat mich gebeten, ihn in Ruhe zu lassen. Er möchte Abstand. Seit Freitagmorgen habe ich nichts mehr von ihm gehört und ich habe versprochen, dass ich warten werde, bis er sich wieder meldet."

    Michael schnaubte leise und spöttisch. „Mach’s einfach, Susie, glaub mir, er wird sich freuen. Zeig ihm, dass er dir wichtig ist."

    Ich biss mir unentschlossen auf die Lippen, fischte aber mein Handy wieder hervor, drehte es in meinen Händen. Er nickte mir ermunternd zu. Nur zu gern wollte ich ihm glauben, zumal alles in mir seit jenem fatalen Satz danach drängte, mit Mike zu reden.

    „Schick´s ihm, Susie, wiederholte Michael. „Ich halte meinen Kopf dafür bei ihm hin, wenn es schiefgeht.

    Innerlich verdrehte ich die Augen. Wie auch immer er das machen wollte. Wenn es schiefging, war vermutlich sowieso alles rum, da gab es dann nur einen Kopf, nämlich meinen, und der hielt nicht hin, sondern rollte tot am Boden.

    „Okay, tief einatmend, wischte ich über das Handy. „Sehr viel schiefer kann es nicht mehr gehen. Vielleicht hast du ja recht.

    Mit flattrigen Fingern tippte ich auf Senden und kippte den guten Whisky in mich hinein. Michael lachte, griff nach der Flasche, schenkte mir nach, während ich mein Handy hastig neben mich legte. Aus den Augen, hoffentlich auch aus dem Sinn. Der Gegenwind konnte heftig werden, denn ich rechnete nicht damit, dass Mike besonders erbaut war.

    Belustigt prostete Michael mir zu. „Schau nicht so aufgeschreckt, Susie, sonst muss ich noch mehr an das arme Reh denken. Und du solltest noch etwas essen. Darf ich dir die Schüssel nachfüllen?"

    Nur um nicht so dazusitzen, reichte ich ihm die Suppenschale und löffelte angespannt den heißen Kürbiseintopf. „Wann kommt Christine wieder?" Themenwechsel. Genug von Mike und mir geredet. Ich wollte jetzt normale Gespräche und Christine war entspannend unbedeutend.

    Dieses Mal verdrehte Michael die Augen. „Morgen Abend. Wir sind bei Günther eingeladen."

    Okay, ich schloss wieder die Augen. Das war dann ein Eigentor gewesen. Günther konnte ich genauso wenig gebrauchen. „Wie nett", murmelte ich ausweichend.

    „Fuck, da ist so gar nichts nett dran, erwiderte Michael erstaunlich griesgrämig. „Aber Christine findet ihn toll und mir fällt keine Ausrede ein, die mir erlaubt, ein Vorstandsmitglied meiner Hausbank zu versetzen.

    Bevor

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