Das Juwel der Harpyien
Von Martin Kern
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Über dieses E-Book
Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise, bei der sie den Harpyien auf der Spur sind. Diese bösartigen Kreaturen wollen mithilfe eines einzigartigen Relikts ein Ritual vollziehen, welches unbedingt verhindert werden muss.
Martin Kern
Martin Kern wurde 1991 im bayrischen Tegernsee geboren. Bereits in seiner Kindheit war er fasziniert von Geschichten über Magie und tauchte in viele fantastische Welten ein. Im Jahr 2011 schloss er seine Lehrzeit im Schreinerhandwerk ab und erwarb vier Jahre später seinen Meistertitel. Fast zeitgleich entdeckte er seine Leidenschaft zum Schreiben. Ausführliche Informationen unter: Web: www.martin-kern-autor.de Facebook: Martin Kern Autor Instagram: mar.tin.kern
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Buchvorschau
Das Juwel der Harpyien - Martin Kern
DANKSAGUNG
Ein herzliches Dankeschön an meine Familie. Ihr habt
mich stets ermutigt, motiviert und unterstützt. Das half
mir, niemals das Ziel aus den Augen zu verlieren.
Inhaltsverzeichnis
PROLOG
ABSCHNITT 1: DIEB
DAS ELSTERNNEST
DIE HÄNDLERTOCHTER ELISA
ZURÜCKGESTUFT
GRETAS GEHEIMER SCHATZ
RENDEZVOUS AN DER KÜSTE
DER GEHEIMNISVOLLE GANTO
DER VERRAT
KRALLES URTEIL
DIE FLUCHT AUS DEM KERKER
ABSCHNITT 2: NOVIZE
EIN NEUER LEBENSABSCHNITT
VORBEREITUNGEN
DIE AUSBILDUNG BEGINNT
EINE UNGEDULDIGE GRÄFIN
DIE BLUTANALYSE
DIE HARPYIE ISABELLA
DIE BELOHNUNG
ABSCHNITT 3: ADEPT
GETRENNTE WEGE
DIE VERGANGENHEITSDÄMONEN
DIE MAGIE ERWACHT
EIGENSTUDIUM
DIE FESTUNG ALTUNAS
DER MEISTER DER RUNEN
EIN NEUER RIVALE
ERDE UND LUFT
EIN EBENBÜRTIGER KAMPF
AUFBRUCH ZU ZWEIT
EIN UNERWARTETES WIEDERSEHEN
DIE ZEIT ZU ZWEIT
ARIANS WANDEL
DAS HARPYIEN-TRIO
FLYNTS ABSTAMMUNG
AELLAS OPFER
FREUNDSCHAFT
UMGARNT
LUANAS LEKTION
WIEDER VEREINT
EINE NEUE MITSCHÜLERIN
LUANAS LAUNEN
DER DORNSTEIN-CLAN
KRALLE
LIRONS VISION
ABSCHNITT 4: MEISTERSCHAFT
ZURÜCK IN WIESENHOF
CALAENAS EINFLUSS
LUANAS ENTSCHEIDUNG
ERNEUT IN ALTUNAS
DIE RUNENVERSIEGELUNG
DIE SUMPFLANDE
KAMPF DER VAMPIRE
CALAENAS ERLÖSUNG
DIE ZUKUNFT ALTUNAS
EPILOG
PROLOG
Ein Donnerschlag außerhalb der Hütte ließ Aellas ganzen Körper zusammenzucken. Die junge Mutter huschte schnell zum anderen Ende des Raumes, um die knarrenden Fensterläden zu schließen. Nicht aus Angst, dass der Lärm ihren kleinen Schatz ängstigen würde, nein. Sie selbst war es, die am ganzen Leib zitterte. Dennoch gab sie ihr Bestes, um dies vor ihrem Sohn zu verbergen.
Aellas Hände hatten sich förmlich um die Fenstergriffe gekrallt. Sie rechnete damit, in der Dunkelheit etwas Gefährliches zu erspähen. Erst das sorgenfreie Glucksen hinter sich, ließ sie wieder entspannen.
Der kleine Flynt saß aufrecht auf einem Fell vor dem Kamin und betastete eine merkwürdig geformte Wurzel. Er führte sie sich langsam zum Mund, doch ließ er sie abrupt fallen, nachdem seine Mutter laut aufgeschrien hatte.
»Flynt, nein!« Mit zwei Sätzen war Aella bei ihrem Sohn und brachte die Wurzel in Sicherheit. »Die ist giftig, verstehst du?«
Flynt war ein ungewöhnlich besonnenes Kind. Doch die Panik, die er in den Augen seiner Mutter sah, ließ ihn schluchzen.
Aella setzte sich zu ihm und beruhigte ihn mit einigen Grimassen. Dabei ließ sie ihren Blick in der Hütte umherschweifen und murmelte geistesabwesend: »Wo ist sie denn, wo steckt sie nur ...? Da!«
In der hinteren Ecke des Raumes war etwas aufgeblitzt. Eine Murmel – das Lieblingsspielzeug von Flynt. Aella schnappte sich erleichtert die bläuliche Kugel und rollte sie ihrem Sohn entgegen. Dafür erntete sie ein herzerwärmendes Lächeln.
Eine Weile sah Aella ihm beim Spielen zu, ehe sie sich wieder dem Topf auf der Feuerstelle zuwandte. Dort brodelte eine trübe Flüssigkeit, in die sie jetzt die Wurzel, die sie Flynt abgenommen hatte, am Stück hineinwarf. Im Anschluss rührte sie mit der Kelle, bis sich der Inhalt allmählich moosgrün färbte.
Ein lauter Donnerschlag erhellte erneut den ganzen Nachthimmel. Aella riss ihren Kopf um die eigene Achse, um zum Fenster zu spähen. Dabei bemerkte sie zwischen den kaputten Lamellen die Konturen einer Person, ehe die Dunkelheit wieder einsetzte.
Die junge Mutter ließ die Kelle zurück in den Topf fallen und eilte zur Eingangstüre. Kaum hatte sie diese geöffnet, da peitschten ihr dicke Regentropfen ins Gesicht. Dem folgte ein Taubheitsgefühl, welches sie aber ignorierte. Zu groß war die Erleichterung, denn jetzt erkannte sie die Umrisse des näherkommenden Mannes.
»Hektor!«, rief sie erleichtert, kaum war er in Hörweite. »Was bin ich froh, du bist wohlauf.« Sie schloss ihn in die Arme.
Der durchnässte Mann erwiderte die Umarmung und gab Aella einen Kuss auf die Stirn. Nachdem die junge Mutter ihn aber nicht aus der Umklammerung freigab, da packte er sie an der Hüfte und marschierte gemeinsam mit ihr über die Schwelle. »Na, so anhänglich kenne ich dich ja gar nicht, meine Liebe«, meinte er lachend und streifte sich den Schlamm von den Stiefeln.
Endlich löste sich Aella und stemmte ihre Fäuste in die Hüften. »Du hast mir versprochen nur drei Tage fort zu sein. Ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet. Schon vergessen, wir sind auf der Flucht?!«
Hektor kämpfte sich aus dem schweren Mantel, der seine ohnehin breite Statur um ein Vielfaches gewaltiger wirken ließ. Im Anschluss schenkte er seiner Geliebten einen gütigen Blick, der sie etwas milder stimmte. »Verzeih mir, aber ich habe Mutter zuletzt vor vier Jahren gesehen. Da war es nicht leicht sich loszureißen. Zumal es das erste Mal war, dass ich ihr von dir und dem kleinen Flynt erzählen konnte. Wo wir schon dabei sind ...«
Hektor spähte an Aella vorbei und entdeckte seinen Sohn. Er stapfte durch Raum, packte ihn mit beiden Händen und wirbelte ihn wild durch die Luft. Flynt gluckste und lachte vor Entzückung. Der liebliche Klang ließ Aellas Wut verebben. Sie kam nicht drum herum ebenfalls in das Gelächter miteinzustimmen.
Das Brodeln, das von der Feuerstelle kam, erinnerte die junge Mutter an ihre eigentliche Aufgabe. Sie wandte sich wieder dem Kessel zu. Ein Blick ins Innere genügte, um zu erkennen, dass der Trank fertig war. Sie verteilte den Inhalt auf zehn kleinere Fläschchen, die sie auf den Esstisch gestellt hatte.
Hektor bemerkte dies und dabei huschte ihm ein Schatten übers Gesicht. »Du trinkst das Zeug also noch immer, hm?«
Ein stummes Nicken.
Hektor setzte Flynt wieder ab und gesellte sich zu seiner Geliebten. Voller Verachtung starrte er auf den mittlerweile leeren Kessel. »Du weißt, dass dich das Gebräu Jahre deines Lebens kosten wird!«
Die junge Mutter verdrehte ihre Augen. »Und du weißt, was passiert, wenn ich ihn nicht trinke. Meine Vergangenheit – sie würde wieder zum Vorschein kommen.«
Hektor sah sie nur wortlos an.
»Außerdem«, fuhr Aella fort, »würde ich selbst ohne Trank kein hohes Alter erreichen. Zwar verändert er mein Äußeres, aber sie werden mich finden und -«
»So weit lasse ich es nicht kommen«, fuhr er ihr ins Wort. »Ich werde dich und Flynt beschützen, immer!«
Zum ersten Mal zeichnete sich ein aufrichtiges Lächeln auf Aellas Gesicht ab. Dennoch setzte sie eines der Fläschchen an und trank den Inhalt, ohne die Miene zu verziehen. Kurz darauf krächzte sie und ballte schmerzverzerrt ihre Hände zu Fäusten. Aellas Knochen knackten und verformten sich. Ihre Gestalt wurde zierlicher und Haut und Haare glätteten sich – eine Schönheit, wie sie im Buche stand, kauerte jetzt am Boden. Hektor beobachtet diese Verwandlung ausdruckslos.
Aella atmete schwer auf und betrachtete ihre geglättete Haut. Dann rückte sie näher an ihren Geliebten heran und sagte: »So ist es besser, Liebster. Es wäre mir ansonsten unmöglich, mein normales Spiegelbild zu ertragen.«
Eine Weile saßen die beiden stumm da und beobachteten Flynt beim Spielen. Es war ihnen ein kleiner Trost, dass er all die Probleme nicht begriff, die sie hatten.
»Deine Mutter ...«, murmelte Aella, ohne von ihrem Sohn aufzublicken, »wird sie ihn nehmen?«
Hektor nickte stumm.
Jetzt wandte sie den Blick gänzlich ihrem Geliebten zu. Sie wartete ab, doch er sagte nichts mehr. Daher bohrte sie nach: »Hast du ihr von meiner Vergangenheit ...« Sie brach ab, nachdem Hektor ihren Blick erwiderte.
»Ich habe Mutter nur das erzählt, was notwendig ist. Über deine Herkunft und unseren Verfolgern braucht sie nichts zu wissen.« Er zögerte kurz. »Sie hat mir versprochen, Flynt in zwei Tagen zu holen.«
Aellas Blick sank in ihren Schoß. Sie weinte nie – selbst jetzt nicht, da sie ihren Sohn vermutlich bald nie wieder sehen würde. Dennoch stand ihr die Trauer ins Gesicht geschrieben. Sie ballte erneut ihre Fäuste. »Und der Juwel ... ist er bei ihr sicher?«
Flynts kleine Glasmurmel rollte Hektor vor die Füße. Er nahm sie zwischen Damen und Zeigefinger und betrachtete die verzerrte Spiegelung seines Antlitzes. »Es ist bei ihr auf jeden Fall besser aufgehoben. In unseren Händen wäre das Risiko deutlich größer, dass es ihnen in die Finger fällt.«
»Aber was, wenn sie es doch verkauft?«, wandte Aella verkniffen ein. »Du hast selbst gesagt, dass sie in ärmlichen Verhältnissen lebt.«
»Mutter würde es nie verkaufen«, antwortete er prompt. »Ja, sie ist arm, aber sie ist auch eine genügsame Frau. Sie hat mir versprochen das Juwel zu verwahren und niemandem davon zu erzählen.« Hektor hob die Murmel gegen das Licht und betrachtete die bläuliche Spiegelung. Er rollte sie zurück zu Flynt und wandte sich wieder seiner Geliebten zu. »Hast du ein Duplikat angefertigt?«
Aella nickte und schritt zu einer Truhe. Kurz darauf präsentierte sie ihm eine steinerne Feder, in dessen Mitte ein Saphir eingelassen war.
Hektor prüfte den ungewöhnlichen Gegenstand, wie zuvor die Murmel. »Perfekt, nicht vom Original zu unterscheiden.« Er betastete den blauen Stein in der Mitte. »Schon faszinierend, dass dieses unscheinbare Objekt in den falschen Händen zu etwas Grausamen wird – das Juwel der Harpyien.«
In dem Moment fing der Wind draußen an bestialisch zu heulen und zerrte an den Mauern der Hütte. Aella wurde leichenblass und war kurzzeitig wie erstarrt. »Sie haben uns gefunden!«, formten ihre Lippen fast lautlos.
Hektor brauchte einen Moment, um diese Worte zu verarbeiten, ehe er aufsprang und zum Eingang stürmte. Er stemmte sich gegen die hölzerne Türe – keine Sekunde zu früh. Es gab einen gewaltigen Schlag dagegen, dessen Impuls den massigen Körper Hektors zum Erzittern brachte. »Schnell!«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Bring Flynt nach oben – verstecke ihn!«
Aella zwang sich gewaltsam aus ihrer Paralyse und schnappte sich ihren Sohn. Mit ihm im Arm rannte sie an ihrem Geliebten vorbei und stolperte die Treppe hinauf. Wieder ein Schlag, der Hektor zum Krächzen brachte. Lange würde er nicht durchhalten.
Aella stürmte in die Schlafkammer und riss die Kleiderschranktüre auf. Mit einer Hand tastete sie den Boden nach den losen Dielen ab. Der Hohlraum war groß genug, um darin ein Kleinkind zu verstecken. Vorsichtig legte sie Flynt hinein und schnappte sich ein Fläschchen, das zwei Regalbretter über ihr lagerte. Mit den Zähnen zog sie den Korken. Der kleine Flynt beobachtete dies mit äußerster Neugierde. Seine aufgeweckten grünen Augen zeigten nicht die Spur von Angst.
»Trink das, mein Kleiner.« Aella hob vorsichtig das Köpflein ihres Sohnes und flößte ihm den Inhalt des Fläschchens ein. Mit jedem Schluck wurden ihm die Lider schwerer, bis sie langsam zufielen.
Eine einzige stumme Träne rann Aellas Wange hinab. Sie würde ihn vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen, deshalb prägte sie sich ein letztes Mal diese rosigen Züge ein. »Keine Angst, mein Kleiner«, flüsterte sie ihm besänftigend zu. »Deine Großmutter wird dich in zwei Tagen abholen kommen. Du wirst so lange schlafen und wenn du erwachst, wirst du in Sicherheit sein.«
Ein Schrei drang zur Kammer hinein. Aella gefror das Blut in den Adern. »Hektor!« Sie verschloss die Schranktüre und eilte ihrem Geliebten zur Hilfe. Kaum hatte sie den Treppenabsatz erreicht, da rutschte ihr das Herz in die Hose: Der Vater ihres Sohnes lag bewegungslos in seiner eigenen Blutlache. Aber er war nicht tot – aus seinem Mund kamen krächzende Laute.
Aella stolperte die Stufen hinab und warf sich schützend über den geschändeten Körper ihres Geliebten. Ihr Gesicht vergrub sie in seinem Brustkorb, der sich kaum mehr bewegte.
Hinter sich hörte sie kratzende Schritte und kurz darauf wickelte sich etwas um ihren Hals und sie wurde gegen die Wand geschleudert. Bevor ihr schwarz vor Augen wurde, erspähte sie die Silhouette ihrer Peiniger: Drei Kreaturen mit Flügeln und Klauen – Harpyien!
ABSCHNITT 1: DIEB
(14 Jahre später)
DAS ELSTERNNEST
»Hey Fly, wach endlich auf! Oder hast du vor einen weiteren Tag zu verschlafen?«
Flynt gab ein schlaftrunkenes Stöhnen von sich. Er war es leid, fast täglich von seinem besten Freund Rik aus dem Bett geworfen zu werden. Er drehte sich seitwärts, um sich der Stimme abzuwenden. Dabei fuhr ihm ein stechender Schmerz die Wange entlang.
Vorsichtig tastete er das Gesicht ab. Seine Augen waren komplett zugeschwollen, sodass er lediglich die Silhouette seines Gegenübers erkannte: »Rik, was ist passiert? Und warum zum Geier bist du schon wieder so früh bei mir Zuhause?«
Rik gab ein amüsiertes Glucksen von sich. »Bei dir? Sieh dich doch mal genauer um, Fly. Du bist in meiner Baracke.«
Flynt schwenkte seinen Kopf nach links und rechts. Mit der Zeit gelang es ihm, immer mehr zu erkennen. Er erspähte karge Wände, modrige Möbel und ein verwanztes Bett, welches nicht sein Eigenes war. Letztlich wandte er sich Rik zu. Ein breites Grinsen zog sich über dessen Gesicht. Selbst mit den geschwollenen Augen erkannte Flynt die frettchenähnlichen Züge darin.
»Wenn ich mir deine Visage ansehe, wundert es mich nicht, dass du dich an nichts erinnerst. Hab schon lange nicht mehr erlebt, dass auf jemandem so eingeprügelt wurde. Na ja, selbst den Besten erwischt es früher oder später, nicht war, Fly?«
Dem jungen Flynt trieb es die Röte ins Gesicht. So von seinem besten Freund vorgeführt zu werden, passte ihm nicht. Da spielte es keine Rolle, ob dieser im Recht war.
Rik setzte sich ebenfalls aufs Bett und lehnte sich gegenüber an die Mauer. Dabei bemerkte Flynt, dass dessen Fäuste geschwollen waren. Allmählich gelange es ihm die Puzzleteile zusammenzufügen. Er deutete darauf und meinte: »Sag bloß, du bist mir zur Hilfe gekommen?«
Rik prüfte kurz seine pochenden Hände, ehe er sie lässig hinterm Kopf verschränkte. »Jepp, hab der alten Greta doch versprochen, dass ich auf dich aufpasse, oder?«
Mehr Röte stieg in Flynts Gesicht. Er schämte sich, denn es war das erste Mal, dass er beim Stehlen erwischt wurde. Und ausgerechnet Rik kam ihm zur Hilfe. Sicher, er war sein bester Freund, doch er hasste es, in seiner Schuld zu stehen. Er war ohnehin immer in dessen Schatten, da Rik breit gebaut und muskulös war. So war er, trotz seines schleimigen und eingebildeten Auftretens, bei den Mädchen immer beliebter als er.
Wieder setzte Rik ein breites Grinsen auf. Er kannte Flynt lange genug, um zu wissen, was in dessen Kopf vorging. »Keine Angst, Fly«, keckerte er. »Du bist mir nichts schuldig. Eine kleine Geste anlässlich deines Geburtstages würde ich sagen.«
Flynt runzelte die Stirn. Wenn heute sein Jahrestag war, dann bedeutete dies, dass er anderthalb Tage bewusstlos war. Wenigstens habe ich meinen Fünfzehnten nicht verpennt, sinnierte er im Stillen. Doch das kaufte ihn nicht von Riks Schuld frei.
»Da wir schonmal dabei sind:« Rik erhob sich vom Bett und öffnete die Schublade seines Nachttisches. Er kramte eine hölzerne Maske heraus und warf sie Flynt in den Schoß. »Herzlichen Glückwunsch, alter Taugenichts. Das ist doch das scheußliche Teil, für das du dein Leben aufs Spiel gesetzt hast, nicht?«
Flynt war es durch seine geschwollenen Augen kaum möglich die feinen Schnitzerein zu erkennen. Erst nachdem er sie mit den Fingern abgetastet hatte, gab es keinen Zweifel daran. Es handelte sich um das Stück, das er aus Lord Harens Anwesen gestohlen hatte. Die Erinnerung an den Einbruch versetzte dem jungen Dieb einen Schlag in die Magengegend. Flynt hatte sich die antike Maske unter den Nagel gerissen, doch lief er einer Wachpatrouille in die Arme. Ein Anfängerfehler, der ihm um ein Haar das Leben gekostet hätte. Jetzt war er Rik doch dankbar, dass er ihn aus der heiklen Situation gerettet hatte.
Flynt wog die Maske eine Weile in den Händen. Das dunkle Holz war fast so schwer wie Eisen und roch absolut scheußlich. Offenbar sah er nicht dasselbe darin wie sein Auftraggeber. »Du kriegst fünfzig Prozent von dem, was mir Kralle dafür versprochen hat«, schlug er seinem Freund vor.
Riks Mundwinkel zogen sich wieder in die Breite. »Das ist doch mal ein Wort. Für so eine Gegenleistung rette ich dir gerne den Arsch. Jetzt aber raus aus den Federn. Lass uns diese Scheußlichkeit ins Elsternnest bringen. Du kennst doch Kralle, er ist nicht bekannt dafür der Geduldigste zu sein. Bei der Gelegenheit würde ich dir empfehlen, die Schwellungen begutachten zu lassen, bevor du Greta unter die Augen trittst.«
»Da sprichst du ein wahres Wort. Die Stimmung zwischen Großmutter und mir ist ohnehin angeschlagen, seit sie erfahren hat, dass ich Aufträge für die Diebesgilde erledige.«
Rik klopfte ihn schadenfroh auf die Schulter. »Der einzige Ort, wo ein Taugenichts wie du an ein paar Kupferstücke kommt.«
Der junge Dieb spuckte ihm vor die Füße, woraufhin Rik gackernd zwei Schritte zurückwich.
Draußen auf den Straßen von Khant schien die Sonne in ihrer vollen Pracht. Doch selbst im Hochsommer drang das Sonnenlicht niemals gänzlich bis in den untersten vierten Ring der Stadt. Dafür sorgten die meterhohen Müllberge, die die Wohlhabenden der oberen Kreise einmal die Woche hier her karren ließen. Es war ein gesetzloser Ort, an dem es fast so viele Diebe und Herumtreiber wie Bewohner gab. Die Armut war groß und an Stelle von Häusern reihten sich schäbige Baracken aneinander. Solche notdürftig zusammengezimmerten Unterkünfte aus Blech und Holz, bewohnten auch die zwei Freunde. Flynts Behausung war etwas größer, da er sie mit seiner Großmutter Greta teilte. Dafür genoss Rik mehr Freiheiten und war keinem Menschen Rechenschaft schuldig.
Die beiden schlenderten zum angrenzenden höheren Ring. Dort lag einer der Eingänge des Elsternnests verborgen – dem Versteck der Diebesgilde. Einem riesigen unterirdischen Tunnelsystem, in dem sich jeder, der sich nicht auskannte, verlaufen würde. Zusätzlich gab es unzählige Fallen, die vor unerwünschten Eindringlingen schützten.
Flynt und Rik bogen in eine menschenleere Seitengasse ein. Dort zwangen sie sich durch einen Bretterverschlag hindurch und tauchten ins Dunkle ein. Die Luft im Elsternnest war modrig und feucht. Was die beiden Freunde nicht weiter störte. Sie waren an den Gestank gewöhnt, da sie oft Aufträge für die Diebesgilde erledigten. Wobei sich ihre Aufgaben voneinander unterschieden. Flynt war auf Einbrüche und Diebstähle spezialisiert. Rik dagegen zählte zum Schlägertrupp. Zweitere waren notwendig, um Diebe aus brenzlichen Situationen zu befreien. Dieser Schutz bedeutete aber, die Beute zu teilen. Ein Grund, warum Flynt es vorzog alleine zu agieren. Eine Eigensinnigkeit, die ihm zum Verhängnis geworden war.
Der junge Dieb hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und kannte jeden Winkel und sämtliche Fallen im Elsternnest. Wobei er gegen diesen Ort eine Abneigung entwickelt hatte. Es war ein notwendiges Übel hier nach Arbeit zu fragen, um sich und seine Großmutter Greta über die Runden zu bringen. Vor Steuern blieben selbst die Armen nicht verschont. Einmal im Monat kamen die Geldeintreiber der oberen Ringe und forderten schier unverschämte Beträge.
Die Tränke tauchte vor den beiden auf. So nannte man im Elsternnest den Ort, an dem sich die Heiler niedergelassen hatten. Viele von ihnen gab es dort nicht und den meisten fehlte die nötige Ausbildung. Aber zum Zusammenflicken reichte deren Qualifikation aus.
Flynt hielt nach Hilda Ausschau, seiner bevorzugten Wahl unter den Heilern. Die kränklich wirkende Frau beherrschte ihr Handwerk wie keine Zweite hier.
»Flynt«, krächzte sie mitleidig. »Was ist denn mit dir passiert? Hat dich etwa ein Schmied mit dem Amboss verwechselt?«
Der junge Dieb schmunzelte. »Du weißt doch, Hilda, mein Gesicht sehnt sich nach kräftigen Hammerschlägen. Nicht umsonst nennt man mich den Stählernen.«
Sein Freund Rik grinste bei dieser Aussage. Denn Flynt war schmächtig und in Schlägereien zog er meist den Kürzeren. Dafür war er ausdauernd, flink und geschickt – perfekt für Einbrüche und Diebstähle.
Hilda packte Flynts Kopf und drehte ihn prüfend umher. »Schade um deine Augen, sie sind vollständig blutunterlaufen. Es wird Tage dauern, bis das alles verheilt ist.« Sie nickte zu Rik rüber. »Du brauchst gar nicht so zu grinsen. Ein frettchenartiges Gesicht wie deines hätte mehr von solchen Schwellungen profitiert.«
Es war allgemein bekannt, dass Hilda jeden im Schlägertrupp verachtete. Da bot Rik keine Ausnahme. Sie behauptete oftmals, dass er etwas Verräterisches an sich hatte.
Rik aber störte sich nicht an ihrer Abneigung ihm gegenüber. Er grinste sie nur hämisch an und meinte: »Tja, alte Frau, Fly hat das Gesicht und ich habe den Körper.« Sein Blick wurde ernster und deutete zur hölzernen Maske in Flynts Hand. »Was hältst du davon, wenn ich sie gleich zu Kralle bringe?« Er nickte zu Hilda. »So, wie ich die alte Schachtel kenne, wird sie eine Ewigkeit für dein vorzeigetaugliches Gesicht brauchen.«
Für diese freche Bemerkung bestrafte ihn Hilda mit einer Grimasse. Diese wurde keckernd erwidert.
Flynt presste die Lippen zusammen. Gewöhnlich erzeugte es einen besseren Eindruck, die Beute persönlich zu überbringen. Vor allem, da der junge Dieb großspurig angekündigt hatte, dass es für ihn ein Kinderspiel sein würde, die Maske zu stehlen. Aber er stand in Riks Schuld und so überreichte er das antike Stück letztlich doch.
»Dann sehen wir uns später, Fly.«
Hilda schüttelte geringschätzig den Kopf und bat Flynt, Platz zu nehmen. Sie schnappte sich ein Messer, welches sie zuvor im Feuer sterilisiert hatte, und fuhr ihm damit sanft über die geschwollene Wange. Die Schwellflüssigkeit wurde ihm aus der Haut gedrückt, was den jungen Dieb zum Stöhnen brachte. Die Wunde wurde gereinigt und abschließend zugenäht. Zum Schluss bestrich sie ihr Werk mit einer selbst gemischten Salbe.
Flynt atmete auf, da das Pochen endlich nachgelassen hatte. »Danke Hilda. Du rettest mir das Leben.«
»Pass das nächste Mal besser auf dich auf, dann ist so ein Eingriff gar nicht erst notwendig.« Sie drehte abermals sein Gesicht prüfend im Schein der Fackel und musterte ihn argwöhnisch. »Du bist ein erstaunlicher Junge. So wie du zugerichtet warst, müsstest du grün und blau sein. Doch deine Wangen sind rosig wie immer.«
»Du bist eben die beste Heilerin hier.« Er bezahlte sie mit einer Kupfermünze und zwinkerte ihr zum Abschied zu.
Ehe er in den Gängen verschwand, rief ihm Hilda hinterher: »Jetzt geh erst mal nach Hause und erhol dich von den Strapazen!«
DIE HÄNDLERTOCHTER
ELISA
»Da bin ich wieder, Großmutter!«
Flynt schloss die quietschende Eingangstüre und trat in den dunklen Wohnraum der schäbigen Baracke.
Greta entfuhr ein Laut der Erleichterung. Sie erhob sich vom Esstisch, schnappte sich ihren Gehstock und hinkte zu ihrem Enkel. Doch eine herzliche Umarmung hatte sie nicht parat. Stattdessen verpasste sie ihm einen Hieb mit dem Stock.
»Hey, wofür war das denn?!«, protestierte Flynt lautstark.
Seine Großmutter ließ nicht locker. Sie warf den Stock beiseite und stemmte ihre Fäuste in die Hüfte. Obwohl sie ohne ihrer Stütze drohte umzukippen, zeigte ihre Miene keine Spur von Gebrechlichkeit. »Wofür das war?«, wiederholte sie zitternd vor Wut. »Du hast mir versprochen bis zum Abendläuten wieder zuhause zu sein. Das war vor zwei Tagen. Ich habe mir schon die schrecklichsten Bilder ausgemalt. Und jetzt marschierst du hier ohne Entschuldigung mit den Einkäufen herein, um die ich dich vor einer Ewigkeit gebeten habe.«
Flynt rieb sich verlegen den Hinterkopf. Es war nicht seine Absicht, ihr solchen Kummer zu bereiten. »Verzeih mir, Großmutter. Aber vergiss nicht, dass ich kein kleines Kind mehr bin.«
Greta gab einen tiefen Seufzer von sich und hakte sich an Flynts Arm ein. »Ach Junge«, sprach sie müde, »Bekomm du erst mal Kinder, dann wirst du verstehen, dass man sich immer sorgt. Vor allem, wenn sie sich mit solchem Gesindel wie diesen Erik herumtreiben.«
Flynt schmunzelte. Rik hasste es, bei seinen richtigen Namen genannt zu werden. Er fand, dass er ähnlich klang wie ›ehrlich‹ – und das passte nicht zu einem harten Kerl wie ihm.
Gretas Wut war begründet: Es war Rik, der Flynt ermutigte für die Diebesgilde zu arbeiten. Und das würde sie ihm nie verzeihen.
Mit einem lauten Stöhnen nahm Greta wieder am Tisch Platz. Flynt packte derweil die Einkäufe aus, die seine Großmutter sofort inspizierte. »Du hast die Zitronen vergessen, Junge.«
Flynt runzelte die Stirn. Er war sich sicher, dass ihm diese exotische Frucht nicht aufgetragen wurde. Zumal sie teuer waren und sie ohnehin Probleme hatten, über die Runden zu kommen. »Wofür brauchst du Zitronen?«
Endlich zeigte sich ein gütiges Lächeln auf Gretas Gesicht ab. »Ohne sie ist es mir nicht möglich, deinen Lieblingskuchen zu backen. Herzlichen Glückwunsch!« Sie legte ihre zittrige Hand auf die seine.
Flynts Inneres hüpfte auf vor Freude. Er hatte seit Jahren keinen Zitronenkuchen gegessen. Jetzt bereute er erst recht, so spät mit den Einkäufen nach Hause gekommen zu sein. Ansonsten hätte er schon mindestens drei Stücke seines Geschenks vertilgt. »Ich mach mich gleich auf dem Weg zum Markt und besorge welche.«
Bevor Flynt verschwand, da rief ihm Greta hinterher: »Aber komm nicht erst wieder in zwei Tagen nach Hause, hörst du?!«
Flynt marschierte nicht zum Marktplatz des vierten Ringes. Dort würde er niemals Zitronen bekommen, da war er sich sicher. So etwas Exotisches fand man nur im Dritten. Da hinzugelangen würde kein Problem darstellen. Flynt war dort schon unzählige Male. Doch um nicht aufzufallen, war es notwendig, seine Kleider zu wechseln. Die Wachen brüsteten sich gerne damit, Herumtreiber zu schikanieren.
So marschierte er erstmals zu Riks Baracke. Sein bester Freund öffnete prompt die Türe und empfing ihn mit einem breiten Grinsen. »Sieh an, hat dich die alte Greta in einem Stück gelassen? Ich hätte gewettet, dass sie dir dafür die Ohren langziehen würde, nachdem du nicht nach Hause gekommen warst.«
Flynt schob ihn beiseite und trat wortlos ein. Drinnen war es genauso unordentlich, wie am Morgen. Nichts Ungewöhnliches, Riks ganzes Hab und Gut war zu jeder Zeit auf dem Boden verteilt. So hatte er, seines Erachtens, den besten Überblick darüber.
Rik schloss hinter sich die Türe und musterte seinen Freund. »Man merkt, dass du Hildas Liebling bist. Bei dir gibt sich die alte Schachtel immer die meiste Mühe. Ich hatte die Hoffnung, dass dich die Schläge mehr entstellt hätten. Dann wäre ich jetzt der Hübscheste im Elsternnest.« Er ließ sich auf sein Bett fallen und stieß ein lautes Gähnen aus. »Welch eine Ehre verschafft mir dein Besuch?«
»Fragst du mich das ernsthaft?«, zischte Flynt und sein Kiefer verkrampfte. »Du schuldest mir zwei Silberstücke, schon vergessen?«
Rik zog eine Augenbraue nach oben. Eine Geste, die sein Gegenüber finster dreinblicken ließ. Endlich zeichnete sich ein breites Grinsen auf dem Gesicht des Schlägers ab. Es war für ihn ein netter Zeitvertreib, seinen besten Freund aus der Fassung zu bringen. Er nickte wortlos zum Nachtisch.
Der junge Dieb öffnete die Schublade und schnappte sich die zwei Silberstücke. »Nächstes Mal verschwindest du nicht gleich, wenn du von Kralle, in meinem Namen, die Belohnung abstaubst, klar?«
Diese Mahnung sorgte dafür, dass Rik seine Hände lässig hinterm Kopf verschränkte. Dabei traten seine dicken Muskeln hervor, mit denen er gerne prahlte.
Da alle Schulden beglichen waren, erzählte Flynt, was er vor hatte.
»Du Glückspilz«, erwiderte Rik daraufhin neidisch. »Für einen Zitronenkuchen würde ich glatt einen Mord begehen. Wie groß stehen die Chancen, dass mir die alte Greta etwas davon abgibt?«
Diese Frage entlockte Flynt einen lauten Gluckser. »Machst du Witze? Großmutter hasst dich. Eher gefriert die Hölle zu, bevor sie dir etwas abgibt. Wobei,«, jetzt nahm Flynts Ausdruck verschwörerische Züge an, »wenn du mir eine deiner Tuniken leihst, bin ich bereit dir ...« Er überlegte kurz. »Sagen wir zwei Stücke abzugeben.«
Rik richtete sich prompt auf und stieß dabei fast den Nachtisch um. »Abgemacht!«
Die beiden schlugen ein.
Ein paar Minuten später marschierten die Freunde gemeinsam durch die schäbigen Gassen und hielten Kurs auf den dritten Ring. Dabei zupfte Flynt ständig an der zu großen Tunika, die ihm sein Kumpel zur Verfügung gestellt hatte. Rik hingegen füllte die seine perfekt aus und gab somit eine bessere Figur ab.
In der Ferne tauchte das Tor auf, welches in den dritten Ring führte. Es war eine Seltenheit, dass die beiden den direkten Weg in das noblere Viertel wählten. Normalerweise schlichen sie, im Schutze der Nacht dorthin, wenn sie Aufträge für die Gilde erledigten. Mitten am Tag aber, sprach nichts dagegen das Tor zu nutzen. Es war kein Verbrechen, solange man sich ordentlich kleidete und vor Einbruch der Dämmerung wieder zurückkehrte.
Der dritte Ring wurde bewohnt von Handwerkern und den Mittelständigen. Niemand lebte in Baracken, wie Flynt und Rik. Doch selbst hier war die Unzufriedenheit groß: Die Menschen beneideten die Bewohner des zweiten Rings, dort wo die Adligen und Reichen wohnten.
»Undankbares Pack«, murmelte Rik, nachdem er eine Unterhaltung zweier Männer aufschnappte, die sich über ihre Situation beschwerten. »Schau dir ihre Bäuche an, Fly. Die wissen gar nicht, was Armut ist.«
Der junge Dieb stimmte ihm nickend zu. Er selbst kannte den Hunger nur zu gut. In der Zeit vor der Diebesgilde war es seiner Großmutter und ihm oft tagelang nicht möglich, sich etwas Essbares zu besorgen. Ein weiterer Grund, weshalb er so schmächtig war. Flynt hatte es sich angewöhnt, auf einen alten Schnürsenkel zu kauen, damit er dieses schreckliche Hungergefühl vergaß.
In der Ferne tauchte der große Markt auf. Schon von weitem hörte man die Rufe der einzelnen Händler, wie sie ihre Waren anpriesen. Eine Notwendigkeit, da es in der Menschenmenge oftmals unmöglich war, die Stände zu finden.
»Immer wieder ein Erlebnis hier, was Rik«, gluckste Flynt, kurz bevor sie in die Menge eintauchten.
Nachdem sich die beiden orientierungslos durch den Markt bewegt hatten, hörten sie endlich den Ruf: »Früchte, exotische Früchte!«
Rik spitzte die Ohren und bahnte sich einen Weg zum Händler. Sein Freund war ihm so dicht auf den Fersen, dass er in ihn hineinrannte, nachdem er abrupt stehenblieb. »Sieh mal, Fly. So wie es scheint, kommen wir beide auf unsere Kosten.« Er drehte sich um und ein gieriges Grinsen war auf seinem Gesicht zu erkennen.
Flynt verdrehte die Augen. Er kannte Rik lange genug, um zu wissen, dass er eine Frau entdeckt hatte, die ihm gefiel. Was nicht selten vorkam – Flynt hatte unzählige Mädchen aus Riks Baracke schleichen sehen. Und normalerweise ignorierte er die Liebchen seines besten Freundes. Dieses Mal aber, war es etwas anderes:
Flynt spähte zum Stand und sah dort das hübscheste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie war klein und das lange dunkelblonde Haar fiel ihr in sanften Wellen über den Rücken. Sie trug ein luftiges blaues Kleid, dass ihrer liebreizenden Figur schmeichelte. Aber das Schönste waren ihre frechen Gesichtszüge, die von zwei rehbraunen Augen umschmeichelt wurden. Außerdem schien sie in Flynts Alter zu sein.
Zum Glück hatte sich Rik wieder von seinem besten Freund abgewandt, sonst hätte er gesehen, wie rot er angelaufen war. Die beiden quetschten sich zum Stand durch.
Der Händler war schwer mit seiner Kundschaft beschäftigt. Dabei wurde er von dem Mädchen unterstützt, die scheinbar dessen Tochter war. Die beiden Freunde reihten sich in die Menschenschlange der jungen Schönheit ein.
»Einen wunderschönen Tag«, sang Rik in seiner verführerischsten Stimme, nachdem sie an der Reihe waren. Er schnappte sich einen Pfirsich von der Auslage und biss ein großes Stück ab. »Ich kenne die Mädchen der Stadt, doch dich sehe ich hier zum ersten Mal. Wie wär es, wenn wir verschwinden und uns ein zweisames Plätzchen suchen? Du wirst es nicht bereuen.«
Die junge Frau starrte ihren Gegenüber wortlos an. Doch ehe sie imstande war zu antworten, mischte sich ihr Vater ein, der dieses zweideutige Angebot ebenfalls gehört hatte. Er schlug mit einem dicken Stock auf die Auslage, woraufhin Rik zurückwich. »Meine Tochter ist keine Gossenhure, du Dieb!«, fauchte er lauthals und zog dabei die Aufmerksamkeit des halben Marktes auf sich. »Jetzt verschwinde, ehe ich die Wachen auf dich hetze!«
Die Vergangenheit hatte Rik gelehrt, dass es besser war, von verärgerten Vätern Abstand zu nehmen. So schob er Flynt hastig beiseite, flüsterte ihm grinsend ein »das war wohl nichts« zu