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Mussolini: Wandlung zum Interventionismus
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eBook487 Seiten5 Stunden

Mussolini: Wandlung zum Interventionismus

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AVANTI!
Leben und Werk Benito Mussolinis sind in einer umfangreichen Literatur beschrieben worden, doch die entscheidenden zehn Monate seines Lebens, vom 28. Juni bis zum 24. Mai 1915, haben 1935, als die Inauguraldissertation von Hans E. Pappenheim publiziert wurde, noch keine zusammenhängende Darstellung gefunden. Eine solche musste auch Fragment bleiben, da zum Zeitpunkt dieser Publikation die Bände des »Avanti!«, die Zeitung der Sozialistischen Partei Italiens (PSI), mit einer lückenlosen Übersicht der Artikel aus Mussolinis sozialistischer Zeit in Deutschland fehlen und die Benutzung, der in Italien noch vorhandenen nicht möglich war. Der knapp dreißigjährige Mussolini gelangte an die Spitze des ganzen italienischen Sozialismus. Die Zeitung »Avanti!« und die gesamte Bewegung erlangten eine extreme Bedeutung. Typisch war Mussolinis Anfang: »In dem Blatt, das ich redigiere, kann nur einer die Leitartikel schreiben – und der bin ich. Ein Blatt kann nur von einem Menschen und einer Idee geleitet werden. Ich bin nicht gekommen, um mir die Führung aus der Hand nehmen zu lassen.« Und schon stieg die Auflage des »Avanti!«Viele Frauen haben von jungen Jahren an Mussolinis Leben begleitet und bestimmt – auch wenn er das naturgemäß anders sah. Die Jüdin Angelica Balabanoff beschreibt einen Mann, der Angst vor Hunden hatte, Angst vor Ärzten, Angst vor Friedhöfen und Angst davor, im Dunkeln alleine auf die Straße zu gehen. Von 1912 bis 1917 gehörte Balabanoff der Führung der Sozialistischen Partei an und trat Ende 1912 zusammen mit Benito Mussolini in die Leitung der Zeitung »Avanti!« ein. Sie war die erste der beiden intellektuellen jüdischen Liebhaberinnen des zukünftigen Duce; die zweite Margherita Grassini Sarfatti, genannt »Signora di Milano«. Auszüge aus ihrer Publikation »Mussolini. Lebensgeschichte« von 1926, erzählen über die Jugend und Anfänge Mussolinis, sein Bemühen und Streben, mit dem erklärten Ziel, politische Macht zu erlangen. Sarfattis größte Bedeutung liegt jedoch in ihren kunsttheoretischen Schriften und in der Unermüdlichkeit, mit der sie besonders junge, noch unbekannte Maler unterstützt und bekannt macht. In dem Klima der Bejahung von Schönheit und Harmonie im Gegensatz zu den Dissonanzen der kubistischen, expressionistischen und futuristischen Kunst, wird Margherita Sarfatti die Sprecherin einer Gruppe von sieben Künstlern sein, u. a. Mario Sironi. Diese Künstler, die sich in Lino Pesaros Galerie 1922 in Mailand trafen, um sich unter dem Namen »Novecento« zu vereinen.Das Schicksal der »Amante« von Benito Mussolini: Clara ›Claretta‹ Petacci. Sie wurde von allen als seine »Geliebte und Profiteurin« betrachtet und konnte eine Situation nicht ertragen, die sie ausgrenzte und benachteiligte, daher setzte sie Mussolini öfter unter Druck, seine Frau Rachele zu verlassen. Mussolini schien diesem Vorschlag zuzustimmen, unternahm dann aber nichts und Petacci schickte ihm, vor allem von Februar bis April 1945 feurige Briefe, in denen sie ihn als Mann herabwürdigte und einen Egoisten, einen Schwächling, einen Feigling nannte. Dennoch war es sie, die bedingungslos an seiner Seite blieb und mit ihm am 28. April 1945 von Partisanen in Giulino di Mezzegra am Comer See hingerichtet wurde.Nicht zu vergessen sei Mussolinis Ehefrau Rachele Guidi, die einfache Frau mit hellem Verstand und das blieb sie auch als »First Lady« ihres Landes. Es ist der private Mensch, der Familienvater, den Rachele realistisch und nicht ohne Humor, uns in ihren Erinnerungen »Mussolini ohne Maske« 1974 in Auszügen schildert. Sie wohnte bis zu ihrem Lebensende in dem Haus in Forlì, dass ihr Mussolini kaufte, als er noch nicht der »Duce« war.
SpracheDeutsch
Herausgeberartesinex
Erscheinungsdatum22. Juni 2023
ISBN9783982161488
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    Buchvorschau

    Mussolini - Rengha Rodewill

    Prolog

    Leben und Werk Benito Mussolinis sind in einer umfangreichen Literatur beschrieben worden, doch die entscheidenden zehn Monate seines Lebens, vom 28. Juni bis zum 24. Mai 1915, haben 1935, als die Inauguraldissertation von Hans E. Pappenheim publiziert wurde, noch keine zusammenhängende Darstellung gefunden. Eine solche musste auch Fragment bleiben, da zum Zeitpunkt dieser Publikation die Bände des Avanti!, die Zeitung der Sozialistischen Partei Italiens (P.S.I.), mit einer lückenlosen Übersicht der Artikel aus Mussolinis sozialistischer Zeit in Deutschland fehlen und die Benutzung, der in Italien noch vorhandenen nicht möglich war.

    Der knapp dreißigjährige Mussolini gelangte an die Spitze des ganzen italienischen Sozialismus. Die Zeitung Avanti! und die gesamte Bewegung erlangten eine extreme Bedeutung. Typisch war Mussolinis Anfang: »In dem Blatt, das ich redigiere, kann nur einer die Leitartikel schreiben – und der bin ich. Ein Blatt kann nur von einem Menschen und einer Idee geleitet werden. Ich bin nicht gekommen, um mir die Führung aus der Hand nehmen zu lassen.« Und schon stieg die Auflage des Avanti!

    Viele Frauen haben von jungen Jahren an Mussolinis Leben begleitet und bestimmt – auch wenn er das naturgemäß anders sah. Die Jüdin Angelica Balabanoff beschreibt einen Mann, der Angst vor Hunden hatte, Angst vor Ärzten, Angst vor Friedhöfen und Angst davor, im Dunkeln alleine auf die Straße zu gehen. Von 1912 bis 1917 gehörte Balabanoff der Führung der Sozialistischen Partei an und trat Ende 1912 zusammen mit Benito Mussolini in die Leitung der Zeitung der P.S.I. Avanti! ein. Sie war die Erste der beiden intellektuellen jüdischen Liebhaberinnen des zukünftigen Duce; die zweite Margherita Grassini Sarfatti, genannt »Signora di Milano«.

    Das Schicksal der »Amante« von Benito Mussolini: Clara ›Claretta‹ Petacci. Sie wurde von allen als seine »Geliebte und Profiteurin« betrachtet und konnte eine Situation nicht ertragen, die sie ausgrenzte und benachteiligte, daher setzte sie Mussolini öfter unter Druck, seine Frau Rachele zu verlassen. Mussolini schien diesem Vorschlag zuzustimmen, unternahm dann aber nichts und Petacci schickte ihm, vor allem von Februar bis April 1945 feurige Briefe, in denen sie ihn als Mann herabwürdigte und einen Egoisten, einen Schwächling, einen Feigling nannte. Dennoch war es sie, die bedingungslos an seiner Seite blieb und mit ihm am 28. April 1945 von Partisanen in Giulino di Mezzegra am Comer See hingerichtet wurde.

    Nicht zu vergessen sei seine Ehefrau Rachele Guidi, von ihr ist zu berichten, dass sie Ihrem alkoholfreudigen und dann randalierenden Mann unmissverständlich klarmachte: »Ich werde niemals einen Alkoholiker als Mann akzeptieren. Als ich klein war, hatte ich eine Tante, die trank, ich habe bereits genug gelitten. Ich weiß, dass du große Qualitäten hast, und ich bin bereit, dir die Frauen zu vergeben, aber kommst du noch einmal so nach Hause, schwöre ich, dich zu töten.«

    Mussolini trank danach nur noch kontrolliert.

    »DVX«, die Biografie von Benito Mussolini, geschrieben von einer der Frauen, die ihm am nächsten standen, Margherita G. Sarfatti. Ein Dokument von außergewöhnlicher Authentizität, veröffentlicht 1925, in deutscher Übersetzung als »Mussolini. Lebensgeschichte«, erschienen 1926 im Paul List Verlag Leipzig.

    »In diesem Buche ist mein Leben. Zum Mindesten jener Teil, den man kennen darf, denn jeder Mensch hat in seinem Dasein Geheimnisse und unerforschbare, dunkelbeschattete Winkel. Dieses hier zeigt mein Leben in der Reihenfolge der Ereignisse und in der Entwicklung der Ideen. Im Grunde ist mein Leben keine große Sache. Es enthält nichts Außerordentliches, das die Fantasie reizen könnte. Keine glorreichen Kriege, keine Schöpfungen neuer Einrichtungen; es ist ein bewegtes Leben, gewiss, aber viel weniger interessant als z. B. das Leben des großen englischen Forschers Savage. Dieses Buch gefällt mir, denn es stellt mich, ungeachtet der Freundschaft und der Arbeits- und Ideengemeinschaft, in die richtige Beziehung zurzeit, zum Raum und zu den Ereignissen. Vielleicht wird die Zukunft diese Verhältnisse ändern: vermindern oder erhöhen. Aber das zu untersuchen ist Sache meines Biografen von morgen.« Benito Mussolini

    »Römisch in Seele und Gesicht, Benito Mussolini ist eine Auferstehung rein italienischer Art, das taucht im Laufe der Jahrhunderte wieder auf.« Margherita Sarfatti

    In dem außergewöhnlichen Buch »Mussolini ohne Maske – Die Frau des Duce berichtet«, erschienen 1974 Deutsche Verlags-Anstalt (dva), spricht die Autorin Rachele Mussolini über sich selbst und erzählt ihre Geschichte sehr persönlich, eigentümlich nah bei Benito, vor dem Hintergrund der Ereignisse der »Grande Storia«. So sehen wir die Kontinuität einer Liebe, die in der Emilia-Romagna begann und im »Drama von Salò«¹ endete. Die Frau des Duce schreibt alles auf, was sie denkt und fühlt. Was entsteht, ist eine faszinierende menschliche Figur, Benitos ideale Begleiterin. »Der Anker, an dem man sich festhalten kann, die Leitung der häuslichen Dinge, bedacht, immer am eigenen Platz zu bleiben, aber gleichzeitig stark und entschlossen, in Schwierigkeiten ihren Ehemann bei seinen Entscheidungen zu unterstützen, die so heikel und wichtig für das Land sind.«

    Teil 1

    Mussolinis Wandlung zum Interventionismus

    von Hans E. Pappenheim (1935)

    Keine Aktion des Feindbundes hat im ersten Teil des Weltkrieges die Mittelmächte so schwer betroffen wie das Eingreifen Italiens zugunsten der Entente: Eine Großmacht, der das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn seit über dreißig Jahren durch ein enges Schutz- und Trutzbündnis verbunden war, entschied sich nach längerer Neutralität zu einer Kündigung dieser Abmachungen und zum Eintritt in den Krieg aufseiten der Gegner des ehemaligen Conpactanten.

    In den Jahren 1882 bis 1914 hatte der »Dreibundvertrag« – ganz abgesehen von seiner repräsentativen Bedeutung – die Gewähr einer gegenseitigen Sicherheit zwischen seinen Garanten gegeben. Wenn seit Beginn des Weltkrieges dieses scheinbar so erprobte Vertragsgebäude in seinen Grundfesten zu wanken begann und nach einem zehnmonatigen Schwanken zusammenbrach, so lag der Anlass nicht nur in der ständig gewachsenen inneren Unwahrhaftigkeit des »Dreibundes« und dem seit Kriegsausbruch auf Italien vonseiten der Entente ausgeübten Druck, sondern in der letzten Wendung der schon lange vor 1914 wenig deutschfreundlichen Haltung der italienischen Öffentlichkeit: das Ergebnis der Wirksamkeit eines großen Teiles der Presse Italiens. Fast bei jeder italienischen Zeitung, die bei Kriegsausbruch noch neutral oder gar dreibundfreundlich war, ließe sich diese bis Ende Mai 1915 vollzogene Änderung der Einstellung verfolgen.

    Das bekannteste und markanteste Beispiel für einen solchen, den Mittelmächten verhängnisvollen Gesinnungswechsel bietet jene damals noch nur journalistische Persönlichkeit, die durch diese ihre Wandlung den Kriegseintritt Italiens zwar nicht allein veranlasst hat, aber doch als ein Accessorium von nicht untergeordneter Bedeutung zu werten ist, jener Mann, den sein Gewissen trieb, die Leitung des sozialistisch-neutralen Avanti! aufzugeben und durch den Ruf seines neuen Blattes Il Popolo d’Italia, sein Volk mit in den Krieg zu reißen.

    Leben und Werk Benito Mussolinis sind in einer umfangreichen Literatur beschrieben worden, doch die entscheidenden zehn Monate seines Lebens, vom 28. Juni 1914 bis zum 24. Mai 1915, haben noch keine zusammenhängende Darstellung gefunden. Eine solche muss auch Fragment bleiben, da die Bände des Avanti! mit einer lückenlosen Übersicht der Artikel aus Mussolinis sozialistischer Zeit in Deutschland fehlen und die Benutzung, der in Italien noch vorhandenen nicht möglich ist. Mit Recht sagt Eberlein²: »Die Intervention Italiens wäre ein Kapitel für sich. Wir müssen uns damit begnügen, sie nur zu streifen, schon deshalb, weil die gegenwärtig am Ruder befindliche Partei der Interventionisten die Darstellungen der Neutralisten unter Verschluss hält.«

    Die vorliegende Arbeit will trotzdem versuchen, die fragliche Periode im Leben Mussolinis durch eine Vergleichung des in deutschen Bibliotheken erreichbaren Materials darzustellen und die mit ihr verbundenen Probleme kritisch zu betrachten.

    I. Mussolini beim Avanti! 1912 bis 19. Oktober 1914

    Der Weg zum Avanti!

    Der Lebensgang des heutigen italienischen Ministerpräsidenten ist bekannt. Hinsichtlich seiner journalistischen Tätigkeit bis zum Ausbruch des Weltkrieges sei auf die ausführliche Darstellung Dreslers³ verwiesen. Wir beginnen mit unserer Beobachtung Mussolinis im Jahre 1911. Damals nämlich war er nach längerer Tätigkeit in Trient aus Österreich ausgewiesen worden. Auf seinen Aufenthalt im Trentino gehen nun seine Antipathien gegenüber der absolutistischen Donaumonarchie und seine Sympathien für die dortigen Sozialisten italienischer Zunge zurück, die österreichische Staatsangehörige, trotz ihrer Weltanschauung, für Italien begeisterte Nationalisten waren. Diese Beobachtung, dass nationale und sozialistische Bestrebungen durchaus vereinbar sind, mögen dem damaligen Internationalisten Mussolini seine spätere Wandlung ebenfalls erleichtert haben.

    Nach der Rückkehr in seine Heimat gab er im nahen Forlì, zunächst mit einem Freunde, das sozialistische Wochenblatt La Lotta di Classe (Der Klassenkampf) heraus. Sein Ziel einer Revolutionierung des Proletariats und Reinigung der Partei von allen nicht streng sozialistischen Elementen ließ ihn immer mehr als Vertreter des radikalen Flügels des italienischen Sozialismus hervortreten⁴. Das sollte für ihn von Bedeutung werden, da in der »offiziellen« Sozialistischen Partei Italiens, dem »Partito Socialista Italiano« P.S.I. diese Elemente gerade das Übergewicht bekommen hatten: Auf dem Florenzer Parteitag im Jahre 1908 hatten die Reformisten die Integralisten und 1911 in Modena die Reformisten von links die Reformisten von rechts und die intransigenten Revolutionäre besiegt. In der Zwischenzeit hatte sich die Fraktion der Letzteren zahlenmäßig gehalten, bis zum Parteitag von Reggio im Jahre 1912 ihre Kräfte sogar vermehrt und hoffte hier nun, Parteiführung und Zeitung zu erobern. Dieses Machtinstrument der jeweiligen Parteileitung war der um 1892 von Leonida Bissolati⁵ in Rom gegründete Avanti!, der später nach Mailand übersiedelt war⁶ und den 1912 gerade Claudio Treves zu einem vornehmkritischen Blatt mit sinkender Leserzahl hatte werden lassen⁷. Im Gegensatz zu ihm planten die revolutionären Kreise des P.S.I., sich mit anderen extremen Parteien zur Veranstaltung von Unruhen zu vereinen. Es handelte sich also um den am weitesten links stehenden Flügel des italienischen Sozialismus⁸. Der Fraktion fehlte aber ein Kopf, der ohne Schaden anzurichten die Redaktion der Zeitung hätte übernehmen können. Da war nun der Journalist Benito Mussolini: »Jung, angriffslustig, überfließend von Energie und Intelligenz, ein vibrierendes Nervenbündel, Revolutionär durch Erziehung und Anlage«, so hatte ihn Paoloni⁷ beschrieben. Und dieser Mussolini, unabhängiger Sozialist, kein Marxist, sondern extremer Syndikalist, hatte gerade eine neue Verurteilung für seinen Versuch einer Verhinderung der lybischen Expedition hinter sich und war dadurch als ein tatkräftiger Mensch erschienen. Jetzt kam der Parteitag von Reggio Emilia, wo der äußerste rechte Flügel unter Bissolati sich von der Partei trennte. Die betont antimonarchistische Resolution aber hieß »Tagesordnung Mussolini«. Ihr Verfechter war im Gegensatz zu der zielbewussten und beharrlichen Politik Turatis Anhänger der »direkten Aktion« und der Verbrüderung mit Syndikalismus und Anarchismus zur Durchführung von Gewalttaten⁹. In Reggio forderte er in einer einzigen kurzen Rede den Ausschluss der rechtsgerichteten Reformisten und wurde dafür mit in die Parteileitung aufgenommen.

    Unterdessen verlor der Avanti! aber unter der Schriftleitung des im Grunde Kompromissen zuneigenden Treves und des überalterten Bacci¹⁰ immer größere Lesermassen¹¹. Da beriet man im Dezember 1912 Mussolini zum Leiter. Die dabei erhobenen Zweifel einiger, ob eine so stark individualistische Natur sich der Partei auch genügend unterordnen würde, blieben unbeachtet, weil man einzig diesen rastlosen, polemischen und temperamentvollen Menschen für fähig hielt, dem sozialistischen Parteileben neuen Impuls zu verleihen.

    Direktor des Avanti!

    So gelangte der noch nicht Dreißigjährige an die Spitze des ganzen italienischen Sozialismus. Die Zeitung und die gesamte Bewegung bekamen deutlich eine extreme Richtung¹². Zwar ging er dabei, was Ideologie und Form anbetraf, häufig eigene Wege, aber der Aufschwung des Blattes und die Anziehung der Massen war nicht zu leugnen. »Überall Glocken und Wetterleuchten, Donner und Blitze«, sagt Paoloni treffend. Typisch war Mussolinis Anfang: »In dem Blatt, das ich redigiere, kann nur einer die Leitartikel schreiben, und der bin ich. Ein Blatt kann nur von einem Menschen und einer Idee geleitet werden. Ich bin nicht gekommen, um mir die Führung aus der Hand nehmen zu lassen.« Und schon stieg die Auflage des Avanti!¹³ – wozu wohl auch die technische Verbesserung des Blattes beigetragen hatte –, und die Mitgliederzahl der Partei und ihre Begeisterung verdoppelte sich. Unter Treves schwankte die Auflage um 30.000. Mussolini bekam das Blatt mit 28.200 und brachte es auf 94.000¹⁴. Ein inneres Merkmal war eine verschärfte Aktivität des Sozialismus, die sich besonders gegen die Freimaurer richtete¹⁵. Er sollte eben von der Demokratie getrennt und die Partei und ihre Politik von allen Schlacken gereinigt werden, um die Kraft des Proletariats zu vergrößern. Das Rededuell Mussolinis mit Orazio Raimondo über diese Frage gab dem Neuling mit einem Schlage den Ruf eines gefährlichen Gegners. Dann ging er aber auch gegen die Sozialistenführer im Parlament vor, deren Konzessionen er – schon damals ein Feind des Parlamentarismus – verachtete, wenn auch sein Wort, »Die italienische Kammer ist ein heimlicher Markt«, überspitzt sein mag. Sein Aktionsprogramm besagte nur: »Wir glauben fest daran, dass man – wenn die Zeiten und die Menschen reif sind – die Entscheidungen nirgendwo anders als auf der Straße erkämpfen wird«. Besonders energisch trat er so einmal für die Besserung der sozialen Lage der süditalienischen Bauern ein, deren durch ihre unkultivierten Lebensverhältnisse verursachten Unruhen (in Rocca Gorga) blutig niedergeschlagen worden waren. Den Widerstand gegen die Staatsgewalt erklärte Mussolini für gesetzlich im Falle der Notwendigkeit.

    Schon damals aber soll er zuweilen Nationalgefühl gezeigt haben. Als im Frühjahr 1914 Graf Berchtold und Marchese di San Giuliano in Abbazzia noch einmal laut den Dreibund bestätigten, verhielt sich die sozialistische Partei neutral. Von einem Genossen nach dem Grunde befragt, erklärte Mussolini, das geschehe, weil hier Fragen von hoher Bedeutung für die Geschichte Italiens besprochen würden, die niemals sozialistisch sein könne, bevor sie nicht völlig italienisch sei. Seine Hauptmitarbeiterin war damals die russische Revolutionärin Angelica Balabanoff, bevor er sie im Herbst 1914 wegen ständiger Differenzen entließ.

    Obgleich er die Parteiversammlungen nur selten besuchte, machte ihn das Rätselhafte, das ihn schon damals umgab, volkstümlich und ließ manchen aufmerken. So hatte schon im Januar 1912 der französische Syndikalist Georges Sorel das später oft zitierte Wort geprägt: »Unser Mussolini ist kein gewöhnlicher Sozialist. Glaubt mir, ihr werdet ihn vielleicht eines Tages an der Spitze eines heiligen Bataillons sehen, wie er mit dem Schwerte die italienische Fahne grüßt. Es ist ein Italiener des 15. Jahrhunderts, ein Condottiere. Man sieht das noch nicht, aber er ist der einzige energische Mensch, der fähig ist, die Fehler der Regierung wieder gutzumachen«.

    Über Mussolinis hervorragenden Anteil an allen Meinungsäußerungen des Blattes vergleiche man die Äußerungen Dieterichs. Immer stärker machte sich aber sein Individualismus bemerkbar: Hartköpfig, selbstherrlich und eigensinnig leitete er das Blatt und drohte bei der geringsten Meinungsverschiedenheit mit dem Rücktritt. Auch von der Parteidisziplin fühlte er sich oft eingeschränkt. Symptomatisch hier vielleicht seine Gründung der Zeitschrift Utopia, in der er, »um sich selbst gerecht werden zu können« noch unabhängiger als im Avanti! arbeitete. Deutlich aber zeigen sich hier schon die ersten Risse in seiner »Parteiorthodoxie«.

    Sein Höhepunkt beim Avanti! war 1913 die Entfesselung des blutigen Romagnoler Aufstandes, den er aber, aussichtslos geworden durch die Verkündigung eines »Waffenstillstandes«, abblies. Die Parteigenossen gehorchten jedoch seinem Befehl nicht, und wenn auch die daraus entstandenen Differenzen mit der Parteileitung beigelegt wurden, mag in ihm doch ein Groll zurückgeblieben sein. Auf dem Parteitag von Ancona wurde er noch begeistert begrüßt und in seinem Amte durch Zuruf bestätigt. So war sein Stand in den folgenden Krisentagen durchaus gefestigt gewesen.

    Von Sarajevo zum Kriegsausbruch

    Am Nachmittag des 28. Juni 1914 saß Mussolini in seinem Direktorzimmer, als ein Telegramm der Agenzia Stefani den Mord von Sarajevo meldete. Unter den wenig freundlichen, wenn auch gemäßigten Erklärungen der großen Blätter Italiens, sprach Mussolini in dem sofort begonnenen Leitartikel die schärfste Tonart. Er fand das Attentat aus den politischen Verhältnissen Bosniens heraus erklärlich: Österreich habe internationale Verträge zerrissen, um sich zwei Provinzen anzueignen, es habe sich als Hindernis der Ausdehnungspläne Serbiens gezeigt und die rohe Gewalt bewiesen die Expansionsbestrebungen anderer Völker zu unterdrücken, und der ermordete Erzherzog habe dieses Verlangen in Österreich verkörpert. Man dürfe sich nicht wundern, wenn sich zwei Männer gefunden hätten, die das Werk der Rache vollzogen hätten. Das tragische Ergebnis scheine erklärlich aus dem Nationalitätenkampf, »der das Unglück des gequälten Reiches ist¹⁶«.

    Die Mitarbeiter haben sich um ihn versammelt. Mussolini sieht zum Fenster hinaus: »Wenn auch Franz Joseph stirbt, dann geht Österreich in Stücke!«. Das war eine Art populären Aberglaubens in Italien¹⁷. Dieses selbst stand zunächst noch unter dem Eindruck der Unruhen im eigenen Lande. »Und in diese Furcht«, schreibt am 30. Juni ein italienischer Student in sein Tagebuch¹⁸, »tönte aus Mailand die Stimme des Professors Benito Mussolini … durch nichts eingeschüchtert, durch nichts zur Reue getrieben: Dies wäre der Krieg der Klasse! Den Krieg führt man nicht mit Handschuhen; der Pöbel vertritt die heldenhaften Sansculotten der neuen Revolution. Darauf werden die Herren Bürger sich vorbereiten!« (»professore« – in Italien auch Titel der Volksschullehrer – wird Mussolini mit Recht genannt, nachdem er 1902 die Prüfung abgelegt hatte.)

    Sieht er am 13. Juli Italien am Vorabend ernster Ereignisse auswärtiger Natur, so erklärt er am 14. Juli, die italienische Teilmobilisierung sei nur wegen der Unruhen in Albanien erfolgt. Die Regierung habe von großen Vorbereitungen Österreichs in Dalmatien erfahren, wo angeblich 30.000 Mann zusammengezogen seien. (Es folgen Nachrichten über militärische Vorbereitungen.) Die Meldung des Avanti! von der Entsendung eines Expeditionskorps für Albanien am 18. Juli wird von der Agenzia Stefani dementiert.

    Für den 21. Juli beschloss der Direktionsrat des Eisenbahnersyndikats, in der Sitzung der sozialistischen und republikanischen Arbeiterorganisationen für den Generalstreik einzutreten. Die Vossische Zeitung fügte dem hinzu: »Die Sitzung findet in der Redaktion des Avanti! statt, der unter Mussolinis (sic!) Leitung tagtäglich den Aufstand predigt. Kein Milieu wäre für vernünftige Erwägungen ungünstiger als jenes des revolutionären Blattes. Dennoch glauben viele, dass es nicht zum Streik kommen wird¹⁰.

    Die übrige Presse Italiens war schon am Tage von Sarajevo deutlich gedrittelt. Für die Entente, für die Mittelmächte, für Neutralität. Zu der letzten Gruppe gehörte der Avanti!, der aber auch eine Unterstützung der Mittelmächte durch Italien zu hindern suchte. Mussolini trat hier den französischen wie den deutschen Sympathien seiner Genossen zunächst mit aller Energie entgegen und vereinigte damit seine sozialistische Weltanschauung, seinen Groll gegen Österreich und ein gewisses Maß von Nationalgefühl, das er ebenfalls aus Trient mitgebracht hatte.

    Gegen Österreich! Für Neutralität!

    In der Ablehnung der Mittelmächte als Bundesgenossen Italiens ist er sich von Anfang an treu geblieben. Auf das österreichische Ultimatum an Serbien vom 23. Juli schrieb er nach zwei Tagen im Avanti!¹⁹: »Wir kennen die geheimen ›Verträge‹ dieses Dreibundes nicht, der so Hals über Kopf von den Monarchen ohne Wissen und gegen den Willen der Völker erneuert wurde, wir wissen und fühlen nur, dass wir laut erklären können, dass das italienische Proletariat die geheimen Abmachungen des Dreibundes zerreißen wird, wenn es genötigt wäre, einen einzigen Tropfen Blut für eine Sache zu verwenden, die nicht die seine ist«, und am Tage darauf unter der Überschrift »Nieder mit dem Kriege!²⁰ – Wenn Italien sich nicht ins äußerste Verderben bringen will, dann darf es nur eine Stellung einnehmen: absolute Neutralität. Entweder nimmt die Regierung diese Notwendigkeit auf sich, oder das Proletariat wird sie mit allen Mitteln dazu zwingen«²¹.

    Kemechey¹⁰ sieht hierin die erste Stellungnahme des neuen Menschen Mussolini, die zu nehmen für ihn noch nicht schwer gewesen sei: als Sozialist antimilitaristisch, außerdem gegen die Monarchien der Mittelmächte und so gegen den Dreibund. Mit den aus ganz Italien sofort heimlich gerufenen Vertretern der Gewerkschaften und dem Parteivorstand beriet er für den Fall eines Kriegseintritts Italiens aufseiten der Mittelmächte über Generalstreik, Barrikadenbau und Bürgerkrieg, und schrieb am 27. Juli: »Wenn die Regierung die einstimmige Mahnung der öffentlichen Meinung nicht beachtet und sich in neue Abenteuer stürzt, so werden wir Sozialisten den Waffenstillstand, den wir nach der ›Roten Woche‹, verkündeten, aufheben und ›unseren Krieg‹ mit um so größerer Verwegenheit wieder aufnehmen. Das Proletariat ist jetzt auf der Hut. Sobald Italien es unternehmen sollte, die Neutralität zu brechen, um den Mittelmächten zu helfen, gibt es für die proletarischen Italiener – das sagen wir von diesem Augenblick an laut – nur eine Pflicht: einen Aufstand zu machen! Italiens Neutralität muss eine Absolute sein wir dürfen weder Gevatter noch Helfershelfer Österreichs oder Deutschlands sein.«

    Am 26. Juli hatte Österreich wegen seines Ultimatums mit Wendungen wie »Räubertum« und »verbrecherischer Wahnsinn« angegriffen und am 28. Juli die Parteileitung die Regierung vor dem »unseligen Kriegsabenteuer« warnte und erklärte, »dass kein geheimes Bündnis gekrönter Häupter das ›italienische Proletariat‹ dazu zwingen könnte die Waffen im Dienste des Verbündeten zu ergreifen; um ein freies Volk (Serbien) zu überwältigen«, schrieb Mussolini wieder: »Eins muss gesagt sein, dass, wenn die regierurig mit Österreich in der beleidigenden Unterdrückung eines freien Volkes übereinstimmen und sich in weitere kriegerische Abenteuer stürzen würde, der P.S.I. dann unverzüglich seine Kräfte mobilisieren würde«, und am 28. Juli: »Italien würde bei einer militärischen Unterstützung Österreichs seine ganze jüngste glorreiche Vergangenheit und die besseren Seiten seiner Geschichte verleugnen.«

    Nach dem Bericht des österreichisch-ungarischen Generalkonsuls in Mailand, Ladislaus Györgyey²², über die Protestversammlung der revolutionären Sozialisten gegen den Krieg am 29. Juli im Teatro del Popolo hat u. a. »Professor Mussolini« erklärt, Österreich mache eine schwere Krise durch und würde ohnehin dem Verfall bestimmt, bei einem langandauernden Kriege zweifellos zugrunde gehen. Redner wolle nicht, dass die ihm übrigens nicht bekannten Bestimmungen des Dreibundes eingehalten würden, da er die Allianz der Reaktion gegen die Freiheit darstelle. Italien müsse nach einer Lokalisierung trachten und auf alle Fälle neutral bleiben. Sonst würde der P.S.I. mit Gewalt die Regierung zu immobilisieren wissen. – Vergleicht man diese Erklärungen mit den viel radikaleren der übrigen Redner, so fällt die starke Mäßigung Mussolinis gegenüber Österreich auf. Hier spricht noch der neutrale Sozialist.

    Mit Bitterkeit stellt er dann aber am 29. Juli fest, dass Österreich mit der Strafexpedition gegen Serbien nicht noch gewartet habe, und hofft noch auf einen Erfolg des Greyschen Vermittlungsvorschlage. Die Wiener Regierung denke mit ihrer Logik – »das heißt, mit der Logik eines Banditen« –, dass es ihr glücken werde, bei der Vermittlung der Mächte mehr oder weniger zu erlangen, was es von Serbien um so mehr hoffe, um ihm endlich das Messer der wütenden Rache an die Gurgel setzen zu können.

    Seine Stimme glauben wir auch in der Parteikundgebung vom 30. Juli zu hören: »Ein neuer schrecklicher Wirbel der Gewalt bedroht den Frieden und die europäische Kultur: Die reaktionären und militärischen Kreise des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches sind gegen die Unabhängigkeit des serbischen Volkes losgebrochen, und wir können nicht voraussehen, wie die Ausdehnung, die Dauer und der Rückschlag eines solchen Angriffes sein wird.« Auf der am 31. Juli in Mailand von den Sozialisten und der Arbeitskammer ins Teatro Lirico einberufenen Versammlung nahm er zu den Fragen Stellung: »Was müssen wir im Falle eines europäischen Krieges tun? Wird Italien seine Soldaten geben müssen?« Vom Proletariat, das alle Folgen des Krieges zu tragen habe, forderte er für diesen Augenblick ein Eingreifen, um den Krieg zu beenden. Die Führer Italiens dürften ihre Neutralität nicht verlassen. »Es geht darum, unser Brot, unsere Zukunft zu retten. Keine Stunde des Handelns dürfen wir vorübergehen lassen, sonst werden die Ereignisse da sein, von denen man spricht«²³.

    Am 1. August beantwortet er die Kriegserklärungen·mit einem Artikel »Absolute Neutralität«, ruft die Arbeiter zu Antikriegsversammlungen auf und schreibt »gegen den Krieg und gegen die Entente« (!) einen langen Artikel²⁴. Für wie einflussreich ihn Regierungskreise damals hielten, das zeigte die Neutralitätsforderung Martinis im Ministerrat, die sich auf diese drohende Haltung und die Möglichkeit eines pazifistisch-revolutionären Aufstandes stützte, doch ist es übertrieben, wenn d’Agata²⁵ schreibt, die Regierung habe die Neutralität einzig »unter dem Druck« Mussolinis verkündet.

    In der übrigen Presse Italiens waren im Juli die teilnehmenden Äußerungen zu dem Mord von Sarajevo durch die ablehnende Beurteilung der Person des Erzherzogs stark gedämpft gewesen. Schon in der ersten Julihälfte waren präzise Angaben über militärische Vorbereitungen Italiens aufgetaucht, die nicht eindeutig motiviert wurden. In Sorge um den europäischen Frieden hatten sich Stimmen gemischt, die den Bündnisfall für Italien nicht als gegeben erachteten. Die Regierungspresse war zunächst auf österreichischer Seite, sah aber dann, trotz eines gewissen Gegensatzes zu der serbischen Illoyalität, für Italien Zurückhaltung als gegeben an und hoffte noch nach der Kriegserklärung an Serbien auf eine Wiederherstellung des Friedens. Für Mussolini richtunggebend war hier ein römischer Leitartikel vom 29. Juli, der noch auf eine europäische Konferenz hoffte, zugleich aber Österreich für unmittelbar verantwortlich für die Entfesselung des Krieges hielt: »Im Grunde hat der österreichische Militarismus seine aussichtsreiche chauvinistische Spekulation mit zwei Särgen begonnen, und während er über sie Tränen vergießt, denkt er daran sich nutzbar zu machen.« Diese Haltung verlangte es, das Dokument des »Bündnisses des Verbrechens« – gemeint ist der Dreibund – zu entreißen.

    Nun war am 3. August in einer Parteisitzung beschlossen worden, mit »allen Mitteln, selbst mit dem Generalstreik, ein Eingreifen in der Form zu verhindern, dass man den ›beiden den Dreibund bildenden Mächten‹ zu Hilfe eilt, und das nicht aus rassistischen oder irredentatistischen Gefühl, sondern aufgrund des brutalen, von Österreich-Ungarn unternommenen, von Deutschland unterstützten Angriffes.

    Nach der Behauptung Saagers²⁶ soll Mussolini hier die These gegen die Mehrheit verteidigt haben, die Sozialisten sollten den Sieg Deutschlands vertreten, da dann der Sozialismus triumphieren würde; weiter habe er einen Syndikalisten »kleinbürgerlich« genannt, der für den Fall einer Intervention zugunsten der Entente die ablehnende Haltung der Sozialisten verändert zu sehen wünschte und die Aufnahme von Berichten, u. a. über den Einmarsch in Belgien, verweigert.

    Fest steht dagegen, dass Mussolini es am 3. August ablehnte, den Interessen Österreichs bei jedem Balkanunternehmen, das Gott werden lasse, zu dienen, und schrieb: »Angesichts des unvorhergesehenen, ungerechtfertigten Angriffs Deutschlands, von dem der Krieg abhing und abhängt« … sanktioniere er völlig die Kundgebung der belgischen Genossen, die sich bewaffneten gegen den rasenden und verbrecherischen Ausdruck des preußischen und alldeutschen Militarismus, der von 1870 bis heute der auf den Straßen der europäischen Zivilisation lauernde Bandit ist. Man muss zur Grenze eilen, und zwar in derselben Weise wie der friedliche Bürger sich mit einem Browning bewaffnen muss, um sich gegen einen Banditen zu verteidigen. Was Italien anbetrifft, so sehen wir zwei einfache Hypothesen vor uns. Erstens. Der deutsche Block verliert die Partie, dann hat Italien nichts zu fürchten. Zweitens. Der deutsche Block siegt auf der ganzen Linie. … Nun, wenn die italienische Neutralität durch – wie wir glauben – furchtbare Gründe des Rechts und der Tatsachen gerechtfertigt ist, und wenn trotzdem Österreich – trunken von seinen eventuellen Siegen – eine Hypothese, die unwahrscheinlich ist – es unternehmen sollte, eine ›Strafexpedition‹ gegen Venetien auszurüsten, dann … ist es wahrscheinlich, dass viele von denen, die heute des Antipatriotismus geziehen werden, wissen werden, ihre Pflicht zu erfüllen«.

    Im Gegensatz zu der von uns beobachteten antiösterreichischen Neutralität Mussolinis seit dem Tage von Sarajevo behauptet Frau Balabanoff, er habe zu Kriegsbeginn, als die Parole der Partei noch nicht ausgegeben (?) und die Stimmung der Mehrheit noch nicht festgestellt war (– nach dem Muster eines anarchistschen Artikels aus einer schweizerischen Zeitschrift –), den Sieg der Mittelmächte über das »kleinbürgerliche Frankreich« und das zur Vernichtung durch die Großmächte verurteilte, winzige Belgien herbeigesehnt, und Saager zitiert ihn wörtlich (ohne Quelle): »Warum sich über das Schicksal eines kleinen Volkes aufregen? Es ist nur recht, wenn die Kleinen untergehen und der deutsche Imperialismus gewinnt.« Erst nach der Antikriegsparole der Partei habe er diesen Standpunkt aufgegeben und die absolute Neutralität gefordert. – Saager vergisst dabei, dass diese Parole der Partei doch schon seit den kriegerischen Julitagen feststand. Zu dem Vorwurf, Regierungskreise hätten schon vor Kriegsausbruch versucht, Mussolini seiner Partei zu entziehen, sieht sich Frau BaIabanoff veranlasst, weil er sie gerade damals einmal gefragt habe, was sie zu der Gründung eines großen, millionenreichen, parteilosen Blattes sagen würde, und auf ihre Ablehnung dieses »geschmacklosen Scherzes«, um ihren Eindruck zu bestätigen, laut aufgelacht habe. – Dass er ihr damals nach dem Auslande manches über Kriegsgerüchte schrieb, erlaubt noch keinen Schluss auf Verkehr mit gut informierten Kreisen, und dass er nach ihrem Ausscheiden aus dem Avanti! den Schreibtisch, an dem außer ihr noch ein anderer Redakteur gearbeitet hatte, aus seinem Zimmer entfernen ließ, um so ein Einzelzimmer zu haben (!), kann man dem Leiter einer großen Zeitung, noch dazu anlässlich einer Änderung im Mitarbeiterstabe, nicht verübeln, und die Besuche seines nachmaligen Finanzberaters für den Popolo d’Italia, Dr. Naldi, die journalistisch-politische Gründe hatten, brauchen damit nicht zusammenzuhängen. Von dem »denkbar ehrlosen Doppelspiel« kann gar keine Rede sein. Bedeutungslos oder aber durch zufällige Zusammentreffen entstanden sind auch die Behauptungen, er habe sich an der Parteisitzung nach der österreichischen Kriegserklärung kaum beteiligt, vielmehr eine abwartende Stellung eingenommen und sich oft aus dem Sitzungssaal entfernt, sodass er zur Abstimmung habe geholt werden müssen, dann aber übereifrig die Parteibeschlüsse ausgeführt, um sich das Vertrauen der Partei und der Massen zu sichern, zugleich aber um den Mittelmächten wie den Westmächten zu zeigen, dass er sich in den Dienst der einen wie der andern stellen könne.

    Die italienische Regierung hatte unterdessen den Bündnisfall nicht als gegeben angesehen, da nach ihrer Auffassung das Vorgehen Österreichs gegen Serbien ebenso wie die Kriegserklärungen Deutschlands an Frankreich und Russland nicht jenen Defensivcharakter trügen, den der Dreibundvertrag für eine Bundeshilfe Italiens vorgesehen hatte, weiter weil Graf Berchtold Italien von den geplanten Unternehmungen – wie vereinbart – nicht rechtzeitig unterrichtet hätte, sodass italienische Vorkehrungen unmöglich gewesen seien, dann weil Österreich mit dem Einmarsch in Serbien den territorialen Status quo auf dem Balkan verändert hätte, ohne sich mit Italien vorher wegen der dafür vertraglich vorgesehenen Kompensationen ins Benehmen gesetzt zu haben, und schließlich, weil sich die Abmachungen des Vertrages niemals gegen England richten durften. – Neben diese formellen Einwände gegen die italienische Bündnisfolge traten als praktische der alte Gegensatz zu Österreich und – der vernachlässigte Stand der Rüstungen.

    Der Diplomatie der Mittelmächte konnte es daher höchstens gelingen, Italien neutral zu halten. Darüber hinaus aber versuchte die Regierung Salandra, aufgrund des Kompensationsartikels des Dreibundvertrages, territoriale Entschädigungen durch Abtretung bestimmter Gebietsteile der Donaumonarchie selbst durchzusetzen, insbesondere des Trentino. Verhandlungen, die während der ganzen italienischen Neutralität andauerten, ohne dass sich die Wiener Regierung entschließen konnte, diese nicht nur landschaftlich und wirtschaftlich, sondern auch vom fortifikatorischen Standpunkt aus für den Bestand der Donaumonarchie bedeutsamen letzten Reste des österreichischen Besitzes im italienischen Kulturgebiet aufzugeben, zumal da sie die Folgen dieses Entschlusses nicht übersehen zu können glaubte. Die Verhandlungen der Mächte wurden verhältnismäßig vertraulich geführt, sodass sie die Wandlung Mussolinis nicht, seine Kriegspropaganda nur mittelbar beeinflussen konnten und daher in unserer Darlegung nur gestreift werden.

    Wie die römische Regierung aus praktischen Erwägungen, so war der Leiter des sozialistischen Avanti! aus ideologischen Gründen – trotz seiner Ablehnung der Mittelmächte – bei Kriegsausbruch für absolute Neutralität. Aber seine pazifistische Grundrichtung musste den ersten Stoß durch die nationale Haltung der Sozialisten Krieg führender Staaten bekommen. Als die belgischen Genossen zu den Fahnen eilten, da fanden sie dafür eine ähnliche Formel, wie sie einst Bebel für den deutschen Sozialdemokraten gegen den Zarismus geprägt hatte. Wenn daher Mussolini die Haltung der belgischen Sozialisten, die »bewaffnet dem preußischen und alldeutschen Militarismus«²⁷ entgegentraten, begrüßte, so gaben sie, wie schon von Kemechey mit Recht gefolgert hat, ihm den ersten Anstoß, nach der Formel zu suchen, mit der man Krieg und Sozialismus als vereinbar auslegen zu können. Zwar hält er die beiden Faktoren auch jetzt noch für »tiefe und unversöhnliche« unüberbrückbare Gegensätze. »Doch scheint es mir, dass gewisse Gesichtspunkte nicht außer acht gelassen werden dürfen. Gefährliche Seelenzustände darf

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