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Im Land der Vergessenen - Fantasyroman mit mehr als 100 handgezeichneten Illustrationen.
Im Land der Vergessenen - Fantasyroman mit mehr als 100 handgezeichneten Illustrationen.
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eBook822 Seiten8 Stunden

Im Land der Vergessenen - Fantasyroman mit mehr als 100 handgezeichneten Illustrationen.

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Über dieses E-Book

Ein Land voller Fantasie, ein Zuhause aller erfundenen Kreaturen, Orte, Dinge und Personen, die zuvor aus den Herzen der Menschen verschwanden. Wohin man auch schaut, nichts scheint echt. Seltsame Wesen, kreiert für Filme, für Comics, fürs Theater. Cliona, eine imaginäre Freundin, von einem Kind erschaffen, um böse Monster zu bekämpfen, die es sah. Ein kreidebleicher Golem, fünf Meter groß, bestehend aus Gold, von Piraten gesucht. Ein einsamer, sprechender Bär, Hauptfigur eines vergessenen Videospiels. Eine mysteriöse Hexe, Drachen, Dinosaurier... Und ein Vergessener, der vom Himmel fällt. Am nächsten Morgen liegt Schnee. Keine Antwort wird gefunden, die Schneedecke wird größer, alles verwelkt. Die Leute werden von Albträumen geplagt, sie schlafwandeln, kehren nie zurück. Das Biest bahnt sich seinen Weg durchs Land, mit ihm kommt die Kälte. Wieso tauchte es auf? Das Land ist aufgeteilt in Gut und Böse, in Himmel und Hölle. Böse Monster gibt es nicht in diesem Teil der Welt und dennoch ist es hier. Cliona begibt sich auf die Suche, eine Lösung für dieses Chaos zu finden. Doch die zu finden, ist schwerer als gedacht. Obwohl es alles gibt, gibt es keine Superhelden, die das Biest bekämpfen könnten. Die einzige Vergessene, die es könnte, wehrt sich dagegen. Während Cliona dem roten Faden ihres Schicksals folgt, ist das Biest ihr auf den Fersen. Die Uhr tickt. Das Chaos wird täglich schlimmer. Die Zahl der Opfer steigt an. Eine friedliche Welt sollte es sein. Doch, schaut man genauer, lauert überall Gefahr. Das Böse herrschte schon, bevor das Unglück geschah...

Das Buch ist (abgesehen vom Druck) wahre Handarbeit und bietet eine neue Erfahrung für den Leser. Über 100 Zeichnungen von mir, der Autorin, ob mit Bleistift oder Acryl. Die wichtigsten Charaktere findet man abgebildet auf den letzten Seiten, als Großporträt und farbiges Gemälde, um sich jederzeit ins Gedächtnis rufen zu können, wie sie aussehen. Ein Buch für Leser, die nicht nur gerne lesen, sondern auch gerne Illustrationen betrachten.
Dazukommt ein 81 Seiten langes Nachwort mit kleinen Illustrationen und ersten Skizzen der Charaktere. Hierbei geht es um die Entstehung des Buches, um mich und um meine weiteren Werke. Teilweise recht emotional, vielleicht auch lustig. Es wird philosophisch.
Das Hauptthema des Romans ist "Depression". Die Leser sollen ein genaues Gefühl dafür bekommen, wie es ist, daran zu leiden. Das Thema wird in der Art behandelt, wie man es vorher nicht gewohnt war. Es ist also leider nicht für ganz kleine Kinder geeignet, obwohl Piraten, Schneemänner, Drachen und Roboter drin vorkommen.
Nach dem Lesen wird man einige Dinge in der Welt mit anderen Augen sehen. Ausgedachte Charaktere, Kreaturen... sie haben eine Seele. Sie sind nicht einfach bloße Wörter oder Bilder. Für den Schöpfer sind sie oft mehr als das. Sie leben.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Apr. 2023
ISBN9783347867536
Im Land der Vergessenen - Fantasyroman mit mehr als 100 handgezeichneten Illustrationen.
Autor

Josi Saefkow

Man kann es manchmal anhand meines Gesichts oder meines Auftretens nicht glauben, aber ich wurde schon 1998 (in Ribnitz-Damgarten) geboren. Ich wohne in Barth, nahe der Ostsee, und studiere seit 2018 Kommunikationsdesign in Wismar___Im Jahr 2013 hab ich angefangen, Fantasy-Romane zu schreiben und zu illustrieren. In der Reihenfolge: Der Dschungel der Zweibeiner, Herrscher der Wüste, Verborgene Seelen, Berührte Seelen (nicht online), Tagträumer, Im Land der Vergessenen und in der Zukunft auch "Vestriell-Die Stadt der Hexen", mein kleines Baby, um das ich mich noch liebevoll kümmern muss, bevor es irgendwann das Licht der Welt erblicken darf...Alles Fantasy mit einer Prise oder eher einer vollen Schaufel Gesellschaftskritik. Die Welt kann ich nicht verändern, aber vielleicht kann ich den Lesern die Augen für bestimmte Themen öffnen. Ich will sie über ihre Mauern schauen lassen. Ich will ihnen zeigen, was falsch läuft in der Welt___ Keine Bücher für kleine Kinder. Kinder könnten gar nicht verstehen, worum es geht. Für Kinder ist es zu brutal___ Ich setze mich nicht wie ein Klischee-Autor in ein Cafe und fange einfach an, irgendein neues Buch zu schreiben. Es ist ein langer, intensiver Prozess. Es ist nicht einfach nur der Spaß am Schreiben. Es ist für mich mehr als das. Viel mehr. Es ist mein Leben. Ich könnte sagen, es meine Bestimmung. Es ist das, was ich in diesem Leben tun soll. Und ich werde nicht aufhören können___Ich habe einen starken Bezug zu den Charakteren, die ich erschaffe. Sie sind für mich wie eigene Kinder. Ich erschaffe sie nicht, um dies und das damit auszudrücken. Sie geben mir, was ich von realen Menschen oder anderen Dingen nicht bekommen könnte. Durch sie fühle ich mich besser. Ich nehme meine Lieblinge als Vorbild und wachse durch sie. Die Figuren tragen einen Teil meiner Seele in mir und sind stets an meiner Seite, wie imaginäre Freunde. Ich fühle mich dauernd beobachtet, auch wenn ich alleine bin___ Ich bin Perfektionist, selten lange zufrieden mit dem, was ich tue. Aber ich weiß auch, ich werde besser. Und ich hoffe, eines Tages auch eine Menge Menschen mit dem glücklich zu machen, was ich da erschaffe. Bis dahin mache ich nur mich damit glücklich___ Ich brauch das, ich brauch das Denken, das Erschaffen, das Illustrieren. Ich brauche meine Charaktere. Ohne kann ich nicht. Ohne würde mein Leben keinen Sinn ergeben. Ich werde weitermachen, bis ich irgendwann an dem Punkt angelange, an dem ich sein muss.

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    Buchvorschau

    Im Land der Vergessenen - Fantasyroman mit mehr als 100 handgezeichneten Illustrationen. - Josi Saefkow

    Von der Geburt bis zum Vergessen

    Sie saß auf ihrem Bett und betete, doch ahnte schon, dass dies sinnlos war. Wie sollte jemand ihr helfen können, den niemand zuvor persönlich gesehen hatte? Niemand nahm sie ernst. Sie wurde höchstens ausgelacht, wenn sie darüber sprach.

    Die Sonne schien schon lange nicht mehr. Alle Lampen in ihrem Zimmer waren aus. Ein wenig Licht schien unter ihrer Tür hindurch, wodurch sie noch leichte Umrisse ihrer Möbel und Gegenstände erkannte. Doch die Dunkelheit breitete sich aus. Das Kind hielt die Engelsstatue fest in den Händen und schaute vorsichtig hoch, drehte den Kopf aus Angst dann schnell weg. Mit zittriger Stimme rief es mehrmals seine Eltern, bis es endlich Schritte hörte und sich die Tür öffnete. Grelles Licht erleuchtete das Kinderzimmer.

    „Was ist denn, Ríla?", fragte der Vater.

    Sie mochte das ungern aussprechen, weil sie seine Reaktion schon vorhersehen konnte: „Da sind wieder diese Monster."

    Er sah kurz weg und atmete tief aus. „Wie oft denn noch? Es gibt keine Monster."

    „Aber… Wenn es keine Monster gibt, warum sehe ich sie dann?"

    „Du denkst dir das aus! Wir haben schon so oft darüber geredet."

    „Ich sehe die wirklich. Egal, ob die echt sind oder nicht", sagte seine Tochter.

    Es nervte ihn, dass sie andauernd davon sprach. Er wollte auf der Couch sitzen und den Abend genießen, doch weil sie ihn rief, verpasste er einige Minuten von dem Film, den er gerade sehen wollte.

    „Leg dich hin!, verlangte er. „Es ist spät.

    „Kann ich nicht bei euch schlafen?" Erwartungsvoll schaute sie zu ihm.

    Er verdrehte die Augen und stöhnte. „Du bist alt genug. Du musst dich daran gewöhnen, alleine zu schlafen."

    Das Mädchen sah enttäuscht herab auf die Bettdecke.

    „Schlaf jetzt! Morgen ist Schule." Er schaltete das Licht aus und schloss die Tür.

    Ängstlich sah Rila sich im Dunkeln um. Die Schatten fingen an, sich zu bewegen. Pechschwarze Augen starrten sie an. Sie hörte das Knurren und Fauchen, nahm wahr, wie etwas an den Wänden kratzte und klopfte.

    Den Engel drückte sie fester und dachte: „Wie können sie das denn nicht hören?"

    Sie biss die Zähne zusammen und warf die Porzellanfigur im Wutrausch durch ihr Zimmer, welche durch die lebenden Schatten flog und mit lautem Knall am Schrank in ihre Einzelteile zersprang. Sie vernahm das furchtbare Lachen dieser nebligen Geister. Sie kamen ihr dichter, griffen ihr Bettzeug mit ihren langen, spitzen Fingern und blickten sie mit verstörendem Grinsen an.

    Das Kind wusste sich nicht mehr zu helfen, versteckte sein nasses Gesicht zwischen den Knien und hielt sich wegen den fürchterlichen Schreien die Ohren zu. Rila‘s Weinen konnte nicht vergehen. Die Monster standen bereits um sie herum, streckten ihre Arme nach ihr aus.

    Mehrfach sagte sie sich: „Das ist nicht echt."

    Und dennoch spürte sie die Berührungen. Sie zogen an ihr, kratzten sie. Sie rüttelte sich, damit sie losließen. Überraschend kam ihr ein Gedanke, den sie nicht mehr loswerden konnte. Sie schniefte, atmete tief durch und versuchte, die Geräusche zu ignorieren, als sie lediglich in die Leere ihres Zimmers blickte. Die Geister lachten und ahnten nicht, wieso sie so konzentriert dort hinschaute. Sie machten weiter mit dem Spuk.

    Alle zuckten auf einmal zusammen. Ihr Grinsen verschwand, denn gleißendes Licht erschien zwischen ihnen und vertrieb die Finsternis um sie herum. Sie wandten sich der Helligkeit zu, hielten sich die Arme vor die leeren, schwarzen Augen und schrien wütend. Verärgert gingen sie darauf zu, als es anfing, sich zu bewegen und sich zu einer Gestalt formte: die einer Frau mit langem Haar und mächtigen Flügeln. Sie flog direkt auf die Schatten zu, schlug mit Armen und Beinen auf sie ein. Die Monster lösten sich in Luft auf, wenn der Engel sie berührte. Es schien, als bekämen sie Angst vor dem Ding. Viele hielten Abstand. Jeder von ihnen scheiterte bei dem Versuch, es anzugreifen.

    Rila mochte nicht wegsehen. Ihre Tränen trockneten von selbst. Ihr Mund formte ein kleines Lächeln. Einer der Geister aber blickte zornig herüber zu ihr, stellte sich aufs Bett, öffnete sein zähnebesätes Maul und war bereit, sie zu fressen. Doch das Mädchen sah zuversichtlich zu dem Engel herüber, welcher auf elegante Art und Weise zu dem Biest sprang und seine Faust durch dessen Brust stieß. Es schrie verzweifelt, als sein Körper sich von innen heraus auflöste.

    Die Dämonen hatten keine Chance. Die Lichtgestalt gab nicht auf, sie kämpfte so lange wie nötig, bis keiner mehr übrig war, bis die Schatten endlich fort waren. Rila konnte durchatmen. Es war so still wie lange nicht mehr. Nirgends erschien ihr eines der Monster. Es war nun sicher.

    Der Engel blickte zu ihr, schenkte ihr ein Lächeln. Das Mädchen sah bisher bloß die Umrisse des Wesens, welches immer transparenter wurde und schließlich im Nichts verschwand.

    Rila legte sich hin, zog die Decke über sich und konnte endlich nach langer Zeit in Ruhe schlafen.

    Ihr schöner Schlaf hielt nicht ewig, nämlich nur sechs Stunden, bis ihre Mutter sie weckte. Müde öffnete sie die Augen und erschrak. Einer der Geister hockte direkt vor ihr, schnappte nach ihr und fauchte. Sie stellte sich ein weiteres Mal vor, wie der Engel neben ihr erschien und das Ding mit voller Wucht zerschlug.

    Sie holte tief Luft und richtete sich auf, schaute dabei hoch zu der fremden Gestalt. Die Helligkeit nahm ab, sodass sie mehr von ihr erkannte. Rila sah in das freundliche Gesicht einer jungen Frau.

    „Bist du ein Schutzengel?", fragte das Kind.

    Sie kniete sich hin und lächelte. „Ich weiß nicht, ob ich ein Engel bin. Aber ich werde dich beschützen, für immer. Versprochen."

    In der Mittagspause saß Rila ganz alleine am Tisch. Niemand wollte neben einer Verrückten sitzen, die von Monstern sprach, die sie heimsuchten.

    Es kam, wie es kommen musste. Oft passierte es, dass die Schatten ihr beim Essen auflauerten. Vor ein paar Jahren kauerte sie wegen den Geistern nicht selten weinend auf dem Boden und wurde von allen ausgelacht. Sie wollte endlich ihre Angst vor den Monstern überwinden. Der Schweiß lief ihr die Stirn herunter, denn sie wusste nicht, ob es so positiv ausgehen würde wie in gestriger Nacht. All diese Gedanken versuchte sie zu verdrängen. Rila hielt die Gabel fest in der Hand, schaute mutig hinauf zu der Schwärze, die sich langsam in ihre Richtung ausbreitete. Dank voller Konzentration tauchte der Engel erneut auf und bekämpfte die Kreaturen mit seinen Tritten und Schlägen. Das Kind freute sich sehr, beobachtete das Geschehen gespannt. Es stellte sich die Frau deutlicher vor, sah sie in Farbe, sah ihre Kleidung. Das Licht, was sie ausstrahlte, wurde stattdessen geringer.

    Als alles vorüber war, setzte sie sich neben das einsame Mädchen, welches sich bedankte. In Gedanken stellte Rila die Frage: „Hast du einen Namen?"

    Die Fremde zuckte mit den Schultern und dachte nach. „Ich weiß nicht. Ich habe nie darüber nachgedacht. Aber… ich denke, wenn du magst, kannst du mich Clióna nennen."

    Fortan nahm Rila sie überall mit hin. Cliona war immer bei ihr. Sie beschützte sie, wenn die Geister auftauchten und ließ sie nie im Stich. Sie war da, wenn Rila sich einsam fühlte, sie gab ihrem Leben wieder einen Sinn. Dem Kind ging es besser als je zuvor. Es erfuhr endlich, wie es ist, gemocht und verstanden zu werden.

    Die Zeit verging. Rila wurde älter, lernte neue Menschen kennen, fand Freunde: echte, existierende Freunde. Die Gespräche mit Cliona wurden kürzer. Rila wurde stets glücklicher, Cliona dagegen versank in ihrem Kummer und fühlte sich vernachlässigt. Sie freute sich zwar für sie, doch hätte sich selbst gerne nützlicher gefühlt. Tatsächlich tauchten die Schattenmonster seltener auf, und wenn, dann schenkte Rila ihnen kaum Beachtung. Cliona fragte sich, wie es weitergehen solle, da sie kaum Aufgaben und Aufmerksamkeit bekam. Sie fühlte sich fehl am Platz, wünschte sich die alten Zeiten zurück. In ihr gab es diese tiefe Leere, die ihr Bauchschmerzen bereitete.

    Irgendwann passierte es, dass Cliona schwindelig wurde und sie ihr Bewusstsein verlor. Mehrere Tage oder sogar Wochen verschlief sie. In bestimmten Momenten wachte sie auf, wenn ihre Freundin kurz an sie dachte. Es kam ihr vor, als würde ihr Leben an ihr vorbeirauschen, als würde sie ständig in die Zukunft reisen. Immer häufiger widerfuhr ihr dies, was ihr mächtig Angst machte. Sie konnte es nicht begreifen.

    Jahre verflogen. Bis es letztlich zu dem einen Tag kam. Ihre Freundin saß am Esstisch mit der ganzen Familie. Cliona hörte ihre Stimmen, ihr Lachen und die Musik im Hintergrund. Sie versuchte, dichter an Rila heranzukommen, aber jeder Schritt war so schwer wie nie, als würden Gewichte an ihren Füßen hängen. Sie streckte ihre Hand nach ihr aus, fasste an ihre Schulter. Es wurde schwerer für sie, zu sehen. Nur sich selbst erkannte sie voll und ganz. Ihre Freundin drehte sich für einen Moment nach ihr um, schenkte ihr ein letztes Lächeln und wandte sich danach ihren Mitmenschen zu. Alles um Cliona wurde in grelles Licht gehüllt. Den Boden unter ihren Füßen spürte sie nicht mehr. Es war für sie, als würde sie fliegen. Die Geräusche wurden leiser. Bald wurde es still.

    Eine irreale Realität

    Ein Geruch von süßen Blüten drang in ihre Nase. Der Wind streifte ihre blauen Federn. Fremdartige Vogelgesänge bekam sie zu hören.

    Vorsichtig öffnete sie ihre orange-gelben Augen. Das frühe Sonnenlicht blendete sie. Sie lag mit dem Rücken auf weichem Gras. Neben ihr stand ein Baum. Ihre Umgebung erkannte sie klar und deutlich. Sie spürte jede Stelle ihres Körpers, als wäre sie real und ein echter Mensch, und lediglich aus einem Traum aufgewacht. Sie dachte lange an ihre Freundin und wusste nicht, was gerade geschah oder wo sie überhaupt sei.

    Sie griff mit ihrer schwarzen, schuppigen Hand nach ihrer Kette und holte tief Luft. In dem herzförmigen Anhänger bewahrte sie all ihre Erinnerungen auf. Cliona dachte daran zurück, als ihre Freundin ihr diesen damals überreichte.

    „Das möchte ich dir schenken." Rila zeigte ihr die Kette.

    „Danke, aber ich bin eigentlich nicht so für Schmuck. Das weißt du", kicherte Cliona.

    „Jetzt schon!"

    Ab dem Moment trug Cliona zwei rote, runde Ohrringe und mehrere Armreife. Beide lachten.

    Bevor sie sich die Kette umlegte, unterbracht das Kind sie: „Mach sie auf! Guck rein!"

    Cliona war überrascht. Darin zeigten sich ihr ihre schönsten, gemeinsamen Momente. Sie spielten sich ab wie ein Film.

    „Da ist nicht viel drin, aber wir müssen ja noch viel erleben, stimmt’s?"

    Cliona umarmte sie. „Und womit hab ich das verdient?", fragte sie begeistert.

    „Damit du mich niemals vergisst."

    Es überkam Cliona eine tiefe Traurigkeit, der Druck in ihrem Hals wurde stärker, wonach sie schließlich in Tränen ausbrach. Sie legte sich auf die Seite, ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Mit ihrem linken Flügel verdeckte sie ihren Oberkörper. Von ihrer Trauer, Angst und Einsamkeit konnte sie sich nicht lösen.

    Sie schreckte auf, als sie Schritte vernahm. Ihren Flügel schob sie um einen Spalt nach oben und legte ihre langen, violetten Filzlocken nach hinten, um etwas zu sehen. Es war ein kleines Zicklein, was direkt vor sie sprang und aufschrecken ließ. Das Tierchen beugte sich herunter und schnupperte an ihr, bis es die Rufe seiner Artgenossen vernahm und sich wegdrehte. Cliona blieb still an ihrem Platz, richtete ihren Oberkörper auf und stützte sich ab, während sie den Ziegen hinterher schaute. Ihre Körper waren seltsam gefärbt, wie mit Wasserfarben gemalt. Mit jedem Schritt und jedem Sprung, den sie taten, hinterließen sie Farbkleckse auf dem Boden. Man wusste demnach genau, aus welcher Richtung sie kamen.

    Cliona rieb sich die Augen, stand auf und sah sich um. Es wirkte alles so friedlich. Angenehm warmer Wind zog über das Land und ließ das hohe Gras Wellen schlagen. Das Land war aufgeteilt in Wälder und Wiesen. Ein Fluss schlängelte sich durch die Landschaft. Cliona ging ein paar Meter, kam bald bei einem Trampelpfad an und sah den Hügel herunter. Neben ihr stand ein Schild, darauf diverse Ortsnamen. Am Horizont erkannte man das Meer. Ein paar kleine Dörfer waren verteilt, zu denen mehrere Wege führten. In weiter Ferne war eine gewaltige Burg. Alte Mühlen standen auf den großen Ackerflächen, auf denen riesige Kreaturen grasten. Cliona hielt ihre Haare, denn der Wind blies stärker. Ein bizarres Kreischen verwirrte sie. Reflexartig blickte sie hinauf in den Himmel. Sie musste genauer hinsehen, da die Sonne blendete, doch bald wurde es ihr klarer. Es war ein Drache, und nicht bloß einer. Cliona konnte sich nichts hiervon erklären, musste sich einfach auf diese überaus fremde Wirklichkeit einlassen. Einsam und alleine durchstreifte sie die Gegend. Sie nahm den Pfad, dachte an nichts.

    Die Erde fing augenblicklich an zu beben. Flüchtig ging Cliona rückwärts. Direkt vor ihr schoss etwas aus dem Boden, eine scheinbar unendlich lange, bunte Schlange. Sie raste gen Himmel und flog in einem Bogen über die Berge. Cliona konnte dem Geschehen kaum glauben. Es war kein Tier oder sonstiges gewesen, sondern ein Regenbogen.

    Der Weg, den sie nahm, verzweigte sich bald und führte zu einer breiteren, steinernen Straße. Mit ihrem Blick folgte sie den Vögeln, die in großen Schwärmen über das Land reisten. Das Poltern, was sie hörte, wurde lauter. Eine Pferdekutsche fuhr hinter ihr, holte sie nach kurzer Zeit ein und stoppte neben ihr. Die Stimme eines Mannes erklang, aber sie sah denjenigen nicht.

    „Wohin wollen Sie, junge Frau?"

    Sie vermutete sogar, dass die Pferde sie gefragt hätten. In dieser Welt schien jedenfalls alles möglich zu sein.

    Der Mann sprach: „Hier oben!"

    Sie sah im Augenwinkel etwas kleines Weißes: ein Handschuh, der in der Luft schwebte und ihr zuwinkte, weiter oben ein Zylinderhut. Mit der anderen Hand hielt der Unsichtbare die Zügel.

    „Möchten Sie mitfahren? Ich kann Ihnen einen Platz anbieten."

    Cliona zuckte mit den Schultern. „Ach, das ist nicht nötig."

    „Sie sehen ziemlich erschöpft aus. Zu Fuß ist es zum nächsten Ort recht weit. Kommen Sie schon! Steigen Sie ein! Seien Sie nicht so bescheiden! Kostet auch nichts."

    Sie seufzte. „Ja, ok… Danke."

    Cliona ging zu der Wagentür, die bereits von jemandem geöffnet wurde, der drinnen saß.

    Bevor sie eintreten konnte, fragte der Kutscher: „Wo soll ich Sie absetzen?"

    Cliona wusste keine Antwort. „Ich bin zum ersten Mal hier. Hab nicht einmal die Ahnung, wie ich hergekommen bin…"

    „Aha! Mehr muss ich nicht wissen. Ich kenne ein wirklich schönes Dorf, das Ihnen gefallen könnte."

    Sie ging zur Tür, stieg ein und war erneut verwirrt. In dem Wagen saß eine Familie, alle schick in Schwarz gekleidet. Der Vater war am Fenster angelehnt und schnarchte laut. Die Mutter gab gerade ihrem jüngsten Kind ein Fläschchen. Die drei anderen Kinder saßen aufgeregt auf ihren Sitzen und blickten herüber zu der Unbekannten. Einer der Jungs spielte mit einem Ball, der andere hüpfte fröhlich auf dem Stuhl auf und ab. Und die Tochter saß direkt neben Cliona und wedelte mit ihrem Schwänzchen. Die ganze Familie bestand keineswegs aus Menschen, sondern aus Hunden.

    Die Kutsche fuhr sofort los, nachdem sie einstieg. Der Wagen holperte sehr. Zum Glück waren die dunkelroten Polster weich genug, um vom Fahren keine Schmerzen am Hintern zu bekommen.

    Einer der Jungs grüßte sie nicht, sondern stellte eine Frage: „Was bist du?"

    Die Mutter entgegnete gleich: „Sowas fragt man nicht!"

    „Wieso nicht? Das muss ihr ja nicht peinlich sein."

    „Das ist bestimmt eine viel zu lange Geschichte", sagte die Frau.

    Die zwei Jungs redeten durcheinander und stellten Cliona Fragen, welche total überfordert war und deshalb schwieg.

    „Bist du öfter auf der Insel?"

    „Willst du hier wohnen? Hier ist es ganz schön langweilig. „Wie alt bist du? Ich bin schon ein Jahr alt.

    „Wo willst du hin? Wir wollen gerade zum Schloss."

    Die Mutter bellte: „Seid still! Lasst das Frauchen in Ruhe!"

    Der Vater wachte dadurch auf, schmatzte und gähnte und schlief gleich wieder ein. Ein Sabberfaden lief an ihm herunter und tropfte auf den Sitz.

    Genervt schauten die Welpen aus dem Fenster. Der eine kratzte sich mit der Hinterpfote unter seinem Kragen und fletschte mit den Zähnen. „Mensch, das Zeug juckt so doll. Warum müssen wir das anziehen?"

    Die Tochter sprach: „Was soll man denn sonst zu einer Trauerfeier anziehen? Sollen wir etwa nackig gehen? Mhm? Wie Tiere?"

    Sie bemerkte die Verwunderung Cliona‘s dem Thema gegenüber.

    „Du weißt davon nichts?", fragte die junge Hündin.

    Cliona schüttelte den Kopf. „Sollte ich?"

    „Die Königin ist vor ein paar Tagen gestorben. Ganz schön traurig. Dabei mochte man sie ganz gerne… Vor gut zwei Wochen war sie am Esstisch zusammengebrochen. Sie sah bedrückt hinab. „Mir tut die Prinzessin leid, jetzt, wo sie bloß ihren Vater hat. Ich fand den nie nett. Ein wenig wütend sah sie aus, während sie das erwähnte.

    Die Mutter beugte sich zu ihr vor und sprach schnell: „Sag sowas nicht! Sobald das einer hört, sperren sie dich ein. Hast du verstanden?"

    „Ja… hab‘s kapiert", knurrte die Kleine und überkreuzte die Arme.

    Cliona schaute sich die Umgebung an. Die Fahrt konnte man kaum genießen durch die schlecht gepflasterte Straße. Als sie sich beruhigen konnte und in ihren Erinnerungen versunken war, fuhr der Wagen langsamer. Neben dem Weg war eine weiße Mauer, dahinter standen Häuser.

    Die Kutsche hielt an. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und der Unsichtbare ließ Cliona hinaus.

    „Ich hätte Sie sonst zum Schloss gebracht, aber es ist nicht sehr empfehlenswert, als Neuankömmling dorthin zu ziehen. Eine nette Unterkunft in der Stadt zu finden, ist schwierig, vor allem, wenn man kein Geld hat. Vielerorts ist es da sehr verdreckt, als Armer landet man dort wortwörtlich unter einer Brücke."

    Sie ging einen Meter voraus, schaute nach vorne.

    „Aber hier ist es recht angenehm zum Wohnen, das kann ich Ihnen versprechen!"

    Sie sah in die etwaige Richtung seiner unsichtbaren Augen und bedankte sich.

    „Ach, kein Grund dafür! Es war selbstverständlich. Er schien sich zu verbeugen. „Na, dann. Ich wünsche Ihnen was!

    Der Kutscher stieg zurück auf seinen Platz. Cliona verfolgte den Wagen mit ihrem Blick, bis dieser hinter den Bäumen verschwand.

    Am Eingang des Dorfes standen zwei Wachen, beide mittelalterlich gekleidet. Über diesen hing ein großes Schild, auf dem stand: „Blütenwalde."

    Das Tor stand zwar offen, aber bevor sie hindurchtreten konnte, versperrte einer der Männer ihr den Weg mit seinem Stab und sah sie grimmig an. Sie wirkte ängstlich und wusste nicht, was sie tun sollte. Auf einmal fing der Kerl laut an zu lachen.

    „Keine Sorge, wir lassen dich schon rein!" Er zog seinen Speer wieder an sich heran.

    „Hör auf, die Leute ständig zu ärgern!", meckerte der Andere.

    „Das macht Spaß, die Reaktionen zu sehen. Man hat bei der Arbeit ja sonst nichts zu tun." Sein Lachen konnte er sich weiterhin nicht verkneifen.

    „Was guckst du so traurig, Kleine?, wurde sie gefragt. „Bist du nicht von hier?

    „Nein, antwortete sie. „Ich weiß nicht einmal… was das alles überhaupt ist.

    „Tja… Das versteht niemand im ersten Moment."

    „Warte kurz! Der Eine holte einen faustgroßen, glattgeschliffenen Stein aus einer Tasche und hielt ihn sich ans Ohr. Er guckte in die Ferne und sprach irgendwann: „Wir haben hier ein Mädchen vorm Eingang.

    Die Stimme eines alten, freundlich klingenden Herrn drang aus dem Ding. „Eine junge Frau darf man nicht vor seinen Toren stehen lassen! Warum lasst ihr sie nicht rein?"

    „Das hatten wir vor. Ich meine… Ob Sie vielleicht mit ihr reden könnten? Sie scheint neu hier zu sein."

    Sein Gesprächspartner lachte. „Achso, natürlich! Sagt ihr, sie soll reinkommen und vorne warten. Ich komme ihr entgegen."

    Der Mann verstaute den Stein und machte eine Handbewegung, dass sie hinein dürfe. „Lauf nicht zu weit rein! Unser Bürgermeister will dich sprechen."

    Cliona ging vorwärts und war ganz bezaubert von der Schönheit dieses Dörfchens. Am Wegesrand standen überall Blumen in allen Farben und Formen. Ein paar Laternen waren aufgestellt. Die Mauer war an vielen Stellen mit Efeu bewachsen. Egal, wohin man sah, überall waren Pflanzen und große, alte Bäume. Insekten flogen umher, Schmetterlinge und Bienen krallten sich an die Blüten. Es duftete herrlich. Die Häuser wirkten altertümlich, waren aus grauem Stein mit bläulichen Strohdächern und umringt von allerlei Büschen. Hinter ihnen sah man schon den Wald. Cliona ging geradeaus, kam bei einem Teich an, bei dem sich der Weg spaltete. In dem klaren Wasser fand sie Fische, Molche und Kaulquappen. Eine Weide ließ die Blätter in dem kleinen See baumeln. Libellen schwirrten um Cliona herum. Sie hörte das Plätschern des Wassers und Kinderlachen in der Ferne. Alles wirkte märchenhaft. Das Dorf trug seinen Namen zu Recht.

    Eine Katze kam vorbei und drückte sich schnurrend gegen ihre Beine. Cliona vergaß die Zeit, während sie das Tier streichelte, und erschrak heftig, als sie angesprochen wurde.

    „Du bist die Neue, hab ich Recht?"

    Sie drehte sich um und richtete sich auf. Ein Mann kam ihr entgegen. Sie sah zu ihm, er ging weiter. Eine weitere Person fiel ihr auf, jedoch war dieser Jemand kein Mensch.

    „Hast du gut hergefunden?", fragte derjenige. Er öffnete seinen Mund nicht, weil dieser bloß aus einem Stück Draht bestand, der sich nach oben und unten biegen konnte.

    „Eine Kutsche hat mich gefahren."

    Er näherte sich ihr. „Ich sollte mich erstmal vorstellen. Hallo, ich bin Lóblos. Und du bist?"

    „Cliona."

    „Schöner Name! Und noch schöner, dich kennenzulernen!" Er hörte nicht auf, sie anzulächeln.

    Er schüttelte ihr die Hand und fühlte sich ganz kalt an, bestand schließlich bloß aus weißem und dunkelgrauem Metall. Seine großen, rot glühenden Augen fielen sofort auf. Außerdem war er so gebaut worden, als trage er einen Vollbart. Er war fast einen Kopf kleiner als Cliona und musste demnach stets hochgucken, wenn er mit ihr redete.

    „Du hast bestimmt ein nettes Plätzchen zum Wohnen gesucht. Was das angeht, bist du bei uns in Blütenwalde genau richtig." Seine dunklen Augenbrauen bewegten sich ab und zu beim Sprechen, wobei man ganz leise mechanische Geräusche hörte.

    Sie atmete aus. „Das bedeutet, ich bleibe für immer? Ich meine… in dieser… Welt?"

    „Das kann ich dir leider nicht sagen." Er sah sie mitleidig an.

    „Du brauchst jemanden, der dir das erklärt, richtig?"

    „Verstehen würde ich es gerne, ja…"

    Er trat einen Schritt beiseite. „Lass uns ein Stückchen spazieren!", bot er an.

    Schweigsam kam Cliona mit ihm.

    „Es ist jedes Mal schwer, die richtigen Worte zu finden… Wie sage ich es am besten?, fragte er sich selbst. „Diese Welt ist eine, in die jedes Fabelwesen, jeder ausgedachter Ort, jedes Wesen, das in der Menschenwelt nicht physisch existierte, eines Tages gelangt, wenn die Menschen nicht mehr daran denken. Man spricht davon, dass man vergessen wurde. Aber ich denke, das ist nicht ganz korrekt.

    Cliona sah mit traurigem Blick auf den Boden. Mit Mühe schluckte sie den Kloß im Hals runter.

    „Es sagt sich zwar leicht, aber Vergessen ist ein hartes Wort. Es ist nicht so, dass die Menschen sich nicht mehr erinnern können, sondern eher, dass man aus ihrem Herzen verschwindet."

    Sie gingen an einem Fluss entlang. Cliona betrachtete diesen und hörte gespannt zu.

    „Die Menschen müssen an einen glauben. Sie müssen sich für einen interessieren. Nur das gibt uns die nötige Lebenskraft, um im Land der Menschen existieren zu können."

    Der Gedanke daran trieb ihr Tränen in die Augen. Sie gingen über eine weiße, prächtige Brücke.

    „Nicht jedes erdachte Wesen bekommt genug Liebe oder Kraft von seinem Schöpfer, um überhaupt zu leben, in keiner von beiden Welten. Wir können uns demnach glücklich schätzen. Wir hatten unsere Zeit. Nichts ist für die Ewigkeit. Alles findet irgendwann sein Ende. Und das ist meistens auch gut so. Er blieb eine Weile still, bis er plötzlich kicherte. „Ich erkläre das immer gerne damit: Wir sind genauso existent wie der Weihnachtsmann. Aber der wird vermutlich nie vergessen werden. Erst, wenn die Menschheit ausstirbt, und das wollen wir mal nicht hoffen. Obwohl es bestimmt interessant wäre, ihn persönlich zu treffen.

    Loblos sah zu ihr herüber. Sie schniefte und drehte ihr Gesicht von ihm weg.

    Er seufzte und verlor sein Lächeln. „Ich kann nachvollziehen, wie du dich fühlst. Das kann jeder. Wir müssen uns alle daran gewöhnen, erwähnte er. „Eines musst du verstehen. Dieses Land ist keinesfalls ein Mülleimer, sondern eher eine zweite Chance. Das ist etwas, an das viele nicht denken. Als Vergessener hat man einen mehr oder weniger echten Körper, ist auf niemanden angewiesen und kann tun, was man will. Und wenn man Glück hat, wird sich eines Tages an einen erinnert.

    Der Roboter setzte sich mit ihr auf eine Bank neben dem Fluss. Cliona versuchte, sich zu entspannen und lauschte den Vogelgesängen. Ein Hahn krähte. Pollen schwebten an ihr vorbei und leuchteten wie Glühwürmchen durch das Sonnenlicht, das auf sie schimmerte. In der Nähe stand eine weiß gestrichene Kirche, daneben ein großer heller Baum mit violettem Laub.

    Er zögerte bei der Fragestellung: „Als was wurdest du geboren, wenn ich fragen darf?"

    Cliona konnte seine Neugier verstehen, wollte auch gerne mit ihm reden, jedoch empfand sie es als schwierig. Sie biss die Zähne zusammen und schluckte die Traurigkeit herunter. „Ich war… sozusagen eine imaginäre Freundin. Sie hat mich erfunden, damit ich gegen die Monster kämpfte, die sie sah."

    „Sie hat Monster gesehen?" Er war erstaunt.

    „Vermutlich hatte sie Psychosen, war schizophren oder sowas in der Art. Ich weiß es nicht. Es wurde nie diagnostiziert. Sie wurde wütend bei dem Gedanken: „Sogar ihre Eltern haben es ignoriert. Jemand hätte ihr helfen sollen, aber das hat niemand. Sie wurde ausgelacht deswegen, da es eigentlich keine Monster geben würde.

    „Dann warst doch du ihre Hilfe. Wenn sie dich jetzt nicht mehr braucht, bedeutet das, dass du ihr wirklich geholfen hast und sie diese Hilfe nun nicht mehr benötigt, oder nicht?"

    Sie sah in den Himmel. „Das stimmt wohl…" Es tröstete sie ein wenig, das so zu sehen.

    „Dann gab es einen richtigen Sinn, wieso du geboren wurdest. Das ist bei den Wenigsten der Fall. Mich zum Beispiel hat man nebenbei aus Spaß erfunden."

    Die Worte beruhigten Cliona ein bisschen.

    „Ich war vor Ewigkeiten ein Charakter in einem Film, den leider kaum einer kannte. Er lehnte sich an der Bank an. „Ich hatte kein Glück. Mich hat man schnell vergessen. Ich war nicht relevant genug. Ich kann da nicht so viel erzählen wie du. Deine Geschichte klingt dagegen recht spannend. Sowas ist leider selten.

    Sie sah zu ihm und bemerkte sein Lächeln.

    „Hör mal! Jeder wird vergessen, früher oder später. Dagegen kann man nichts tun. Aber solch einen Hintergrund, solch ein Schicksal zu haben, das ist etwas Besonderes. Vergiss das nicht! Er lehnte sich zu ihr und klopfte ihr auf die Schulter. „Du hast da draußen vermutlich mehr erlebt als die meisten, die ich kenne. Und ich kenne ziemlich viele Vergessene.

    Sie dachte die ganze Zeit an eine Sache, die ihr nicht aus dem Kopf ging. „Es ist nur… Ich wurde erschaffen, um sie zu beschützen, und nun kann ich es nicht mehr."

    „Andererseits kann sie sich nun selber beschützen, oder? Dank deiner Hilfe."

    „Ja, ich weiß. Ich wüsste nur gerne, wie es ihr geht… ob es ihr wirklich gut geht. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt." Es fiel ihr schwer, das zu sagen.

    Loblos stützte sich an seinen Oberschenkeln ab. „Es gibt vieles, was man über diese Welt nicht weiß. Wie zum Beispiel, den Tipp kennen die Wenigsten, dass man einfach die Götter fragen kann."

    Verwundert blickte sie den Roboter an.

    „Geh nachts bei klarem Himmel raus, schau zu den Sternen und stell deine Frage! Versuch es einfach!"

    Cliona war überrascht und gespannt, ob das funktionieren würde.

    „Aber, wenn sie nicht mehr leben sollte, sagte er, „müsstest du das merken. Es fühlt sich an, als würde einem das Herz rausgerissen werden. Das Gefühl kenne ich… Und das ist absolut nicht schön. Viele werden psychisch krank, können tagelang nicht aufstehen, manche sterben sogar an diesem Kummer. So ergeht es jedenfalls Leuten, die eine sehr starke Bindung zu ihrem Schöpfer hatten.

    Eine Minute lang sprachen beide nichts. Cliona sah sich um und hatte keinerlei Ahnung, an was sie denken sollte.

    Dem Bürgermeister fiel ein Detail an ihr auf. „Du siehst relativ modern aus. Da frage ich mich, wieso du auf unserer Insel gelandet bist und nicht an einem zeitgemäßeren Ort. Komischerweise bin ich das auch nicht. Ich hab zwar nicht viel von der Welt gesehen, aber logischerweise muss es neben unserem unzählige andere Länder geben. Es wäre sicher spannend, mal eine Weltreise zu machen. Natürlich nicht dorthin, wo die ganzen Monster und Dämonen hausen… Solche gefährlichen Gegenden gibt es bestimmt auch. Vielleicht gibt es sowas wie eine Hölle, wer weiß."

    Sie schniefte und schmunzelte. „Dann kann ich froh sein, bei euch gelandet zu sein."

    Er freute sich. „Bei uns ist es recht friedlich. Naja… Könnte man meinen… Meistens jedenfalls. Sein Gesichtsausdruck änderte sich. „Es ist nicht immer einfach, dicht neben der Stadt zu wohnen. Wenigstens hat sich seit der Schlacht vor drei Jahren alles ganz gut erholt.

    Das machte sie nervös. „In der Gegend werden Kriege geführt?" Sie glaubte das kaum.

    „Oh! Hätte ich nicht sagen sollen! Bist seit heute erst bei uns und schon erfährst du sowas…" Er wippte mit einem Bein. „Ja… Alle paar Jahre. Unser König hat sich mit anderen Reichen verfeindet. Leider hört und hört der Alte einfach nicht auf, zu regieren. Er legte erschrocken eine Hand an den Mund. Seine Augen blinkten auf. „Hab ich das laut gesagt?, flüsterte er. Er schaute sich paranoid in alle Richtungen um. Die nächsten Worte wählte er mit Bedacht. „Ähm… Anderes Thema… Er überlegte erst. „Weißt du, die meisten Vergessenen leben ewig. Man ist nicht unsterblich, aber man altert nicht. Es ist sogar unwahrscheinlich, dass man krank wird. Und unsere Körper können sich von alleine nicht wirklich verändern. Zum Beispiel können unsere Haare nicht wachsen. Und wenn man sie schneidet, nehmen sie bald die Ursprungsform ein. Wir können nicht abnehmen oder Muskeln aufbauen, müssen nie zum Arzt oder haben sonst kaum körperliche Beschwerden, außer man wird durch irgendwas verletzt. Man kann sich demnach schlecht mit den echten Menschen vergleichen. Wir haben lediglich dieselben Bedürfnisse und Sinne wie sie. Abgesehen von Personen wie mir, lachte er. Ihm fiel was ein. „Wir haben außerdem die Vermutung, dass wenn man als Vergessener stirbt, keine Chance mehr darauf hat, dass jemand sich an einen erinnert… beziehungsweise dass man nicht mehr geliebt werden kann von den Menschen. Loblos zog die Augenbrauen runter und redete leiser. „Bei manchen Vergessenen würde man sich allerdings wünschen, dass sich irgendwer an sie erinnert. Er zwang sich dazu, sich zu entspannen. „Ach, reden wir nicht drüber! Hast du dich schon entschieden, ob du bei uns wohnen möchtest?"

    Sie nickte. „Ich denke, es könnte nicht besser sein. Von daher…"

    Der Bürgermeister stand auf. „Lass uns los! Wie viel Platz brauchst du?"

    Das Mädchen folgte ihm. „Ein Bett zum Schlafen würde reichen. Zur Not teile ich mir ein Zimmer. Ich bin nicht verwöhnt, was das angeht."

    Sie wanderten durchs komplette Dorf hin zu dem Haus von Loblos, wo er kurz in seinem Büro in den Schubladen kramte, sich einen Zettel durchlas, danach einen Schlüssel hervorholte und sie zu ihrer neuen Wohnung begleitete, die am anderen Ende von Blütenwalde stand. Sie gingen die Treppe hinauf und traten in einen kleinen, gemütlichen Raum, der nun alleine Cliona gehören sollte.

    „Gönn dir fürs Erste ein bisschen Ruhe!, empfahl Loblos. „Wenn du Hunger hast, wir essen immer alle zusammen im Gemeinschaftshaus. Er erklärte ihr, wo und wann das sei. „Bei Fragen komm zu mir! Und wenn du mich nicht findest, sind die meisten Dorfbewohner auch sehr hilfsbereit." Er verabschiedete sich und verließ die Wohnung.

    Cliona schaute sich erstmal um. In den Schränken war nichts, bloß frische Bettwäsche fand sie darin. Direkt gegenüber von dem Haus war der Wald. Sie ließ frische Luft durch das Fenster hinein, legte sich aufs Bett und schaute an die Decke.

    So einen schönen Schlaf hatte sie niemals zuvor, genauer gesagt hatte sie das erste Mal geschlafen. Cliona wusste nicht, wie sich das anfühlt. Die Glockenschläge hatten sie nach 3 Stunden geweckt. Sie stand auf, gähnte. Sie ging hinaus, wollte sich die Gegend anschauen. Der Weg, den sie nahm, führte sie in den Wald. Große, alte Bäume standen überall. Ihre Wurzeln ragten manchmal aus der Erde heraus. Unter ihren Füßen wuchs hellgrünes, weiches Moos. Es fühlte sich an, als würde sie auf Wolken gehen. Sie nahm einen Trampelpfad, um später besser zurückfinden zu können. Sie genoss diese Ruhe, verliebte sich gar in dieses Wäldchen. Einen derartig schönen Ort hatte sie in ihrem früheren Leben nie gesehen, höchstens auf Fotos und in Filmen. Sie war hauptsächlich in ein und derselben langweiligen, versmogten Großstadt gewesen und war sich vorher nicht bewusst, wie entspannend ein Spaziergang in der Natur sein konnte.

    Als die Schatten länger wurde und die Sonne begann, unterzugehen, trat sie den Rückweg an, da sie das Abendessen kaum abwarten konnte. Mehr als zwei Stunden saß sie dort, redete mit den Bewohnern, half beim Aufräumen. Danach war es bereits dunkel. Die Leute waren noch wach, standen verstreut auf den Straßen herum und starrten erwartungsvoll in die Ferne. Teilweise nutzten sie Fernrohre. Es war zwar ein hübscher Anblick, doch ein trauriger Anlass für diesen Moment. Das, was sie sahen, waren hunderte helle Lichter, die vom Schloss aus in den Himmel stiegen. Es war der Abschluss der Trauerfeier gewesen.

    Cliona hielt vor ihrem Haus an, dachte daran, was Loblos ihr erzählte und schaute in den Nachthimmel. Dabei stockte ihr der Atem. Mehrere Monde zogen ihre Kreise. Die Sterne funkelten, glänzten in verschiedenen Farben und bewegten sich wie lebendig. An manchen Stellen bildeten sie Formen oder sogar Tiere. Ohne viel Mühe kletterte sie aufs Dach und setzte sich. In Gedanken versuchte sie schon, die richtigen Worte zu finden. Gleichzeitig war sie nicht sicher, ob es tatsächlich funktionieren würde. Ein Versuch war es ihr wert.

    Cliona fasste an ihre Kette und sprach stockend: „Wie geht es Rila? Könnt ihr sie mir zeigen?"

    Sie vermutete, dass sie entweder zu leise war, die falsche Frage gestellt hatte oder dass dies rein gar nichts bringen würde. Jedoch begannen die Sterne, stärker zu flackern. Sie verformten sich direkt über ihr zu dem Gesicht eines Kindes, das Cliona anlächelte und winkte. Die Luft war etwas kühl, und trotzdem wurde ihr wärmer. Ihre Mundwinkel zogen sich wie automatisch nach oben. Das Sternenbild veränderte sich und zeigte eine junge Frau, die Hand in Hand mit einem Mann freudestrahlend durch die Straßen spazierte. Die Bilder beruhigten Cliona. Sie lachte, gleichzeitig kamen ihr die Tränen.

    Ein seltsames, mehrfaches Klopfen und Gezwitscher riss sie aus ihrem Schlaf. Das Sonnenlicht machte es für sie unmöglich, erneut einzuschlafen. Mühsam stand sie auf, streckte sich und öffnete die Gardinen. Die Vögel auf der Fensterbank flogen fort. Mehrere Insekten prallten im Flug gegen die Scheibe. Cliona hörte die Leute draußen arbeiten und die Kinder beim Spielen.

    Sie machte sich fertig und ging vorm Frühstück eine Runde im Wald joggen. Später nach dem Essen klopfte sie bei Loblos an. Sie hatte Glück, ihn darin anzutreffen, und fragte ihn, ob er etwas Arbeit für sie hätte, damit ihr nicht langweilig wäre. Nur herumsitzen konnte sie nicht.

    Demnächst half sie überall aus, wo sie konnte. Sie machte bei den Gartenarbeiten mit, fütterte die Tiere, ging putzen oder half bei der Ernte. Sie erschrak, als sie das erste Mal auf dem Acker stand, weil die grasenden Dinosaurier ihr schrecklich nahe kamen.

    „Die tun dir nichts", sagte einer der Arbeiter.

    „Die fressen die ganze Ernte weg", fiel ihr auf.

    „Macht nichts. Von irgendwas müssen sie auch leben. Die Welt gehört uns nicht alleine, Kindchen. Wir müssen lernen, zu teilen."

    Die Tage vergingen für sie wie im Flug. Sie fand den Gedanken eigentlich recht schön, in Blütenwalde bis zum Rest ihres Lebens zu verweilen. Sie saß fast jeden Abend auf dem Dach und fragte die Sterne, wie es ihrer Freundin ging. Da wurde sie auf einmal vom Bürgermeister entdeckt, der unten auf der Straße entlangging.

    „Ah, du bist das! Was machst du da oben?", fragte er.

    Cliona wunderte sich, als ein zischendes Geräusch ertönte und unter Loblos Beinen ein helles Licht erschien. Feuer und Rauch stieg aus seinen Fußsohlen, während er zu ihr hinauf flog und sich auf anscheinend einfache Weise neben sie setzte. Es roch ein paar Sekunden lang nach Qualm.

    „Was schaust du?", wollte er wissen.

    „Siehst du das nicht?" Die Sterne zeigten ihr verschiedene Szenen aus dem Leben ihrer Erfinderin.

    „Ach, die Sterne, das meinst du? Nein, wenn sie dir was zeigen, kann das kein anderer sehen."

    Cliona hatte darüber nie nachgedacht, weswegen es sie überraschte.

    „Und? Hast du dich gut eingelebt?"

    Sie lächelte. „Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen." Sie hatte sich an ihre jetzige Situation gewöhnt, hatte ihren Spaß, fühlte sich endlich wieder nützlich und fand allmählich Freunde.

    „Willst du nicht mitkommen? Wir grillen gerade", erwähnte der alte Roboter.

    „Klar, warum nicht?"

    Er flog herunter und ging bereits voraus, blickte hinter sich und merkte, dass sie erst herunterklettern musste.

    „Du kannst nicht fliegen?" Er war verwundert deswegen.

    „Leider nicht mehr. Meine Flügel sind zu klein." Das war eine Tatsache, die sie seit Ewigkeiten schade fand.

    „Wir haben halt alle unsere Einschränkungen… Ich für meinen Teil hab extra vier Stunden länger geschlafen, um meine Energie für heute Abend zu sparen. Ich muss mich jeden Tag in der Sonne aufladen. Wenn nicht, kippe ich im Dunkeln einfach um. Unter anderem die orangenen Teile auf seinen Schultern, seine Augenbrauen und sein Gürtel waren kleine Solarplatten. „Deswegen kann ich nachts meistens nicht rausgehen.

    Sie setzten sich nebeneinander auf einen der Baumstämme, die um das Feuer verteilt waren. Eine der zahlreichen Dorfkatzen sprang schnurrend auf ihren Schoß und machte es sich bequem. Loblos reichte ihr etwas zu Essen, weil sie momentan nicht aufstehen konnte. Der Abend war lang und herrlich. Musik wurde gespielt, ein paar Leute tanzten.

    Dichte, dunkle Wolken zogen auf, welche die Sterne verdeckten. Es wurde kälter und der Wind wehte stärker.

    „Nicht, dass es gleich regnet!", scherzte Loblos.

    Cliona schaute es sich genauer an. Bald fiel ihr etwas auf. Ein heller Lichtschein tauchte dort auf, der sogleich von den Wolken verborgen wurde.

    „Der Himmel sieht seltsam aus", sagte sie.

    Er nahm an der Stelle abwechselnd verschiedene Farben an.

    Loblos schaute hin und dachte sich nichts dabei, bis eine mächtige Sternschnuppe die Wolkendecke durchbrach und die Umgebung erleuchtete. Das laute Donnern sowie fürchterliches, dämonisches Kreischen drang allen Bewohnern ins Gehör. Vor Schreck standen sie auf, schauten empor. Die Katze sprang runter von Cliona und lief davon. Die Vögel verließen ihre Verstecke in Panik. Blitze schlugen in den Wald ein. Einer von ihnen besaß fast die Form einer Hand und schien, die Sternschnuppe greifen zu wollen. Man vernahm das Knacken und Knistern der Pflanzen, während das Ding die Baumkronen streifte und im Wald landete. Der Aufprall war spürbar, die Erde bebte für einen Moment.

    „Ein neuer Vergessener?", stotterte Loblos.

    Cliona sah beängstigt zu ihm. „Sieht es so aus, wenn man vergessen wird?"

    „Nein…"

    Ein ohrenbetäubender Knall ließ sie erneut aufschrecken. Ein Blitz spaltete den großen Baum neben der Kirche gegenüber von dem Grillplatz. Seine Krone fiel hinab. Seine Umgebung fing Feuer. Pechschwarzer Rauch stieg empor. Die Bewohner taten alles, um den Brand zu löschen und benötigten alle Hände dabei, denn weitere Häuser und Bäume brannten durch die Blitze, die sie trafen.

    Das Gewitter endete nicht, sondern wurde schlimmer. Es zog sich über das ganze Land, angefangen mit dem Königsschloss. Man sah die Flammen vom Weiten.

    Klimawandel

    Ihr Schlaf war beschwerlicher als sonst. Dauernd wachte sie auf, selbst nachdem das Unwetter aufhörte. Etwas war anders als sonst. Sie verstand nicht sofort, was es war. Ihre Decke zog sie automatisch dichter an sich heran und vergrub ihre Füße darunter. Die Sonne schien bereits. Eines verwirrte sie daher: Die Vögel zwitscherten nicht. Es war totenstill.

    Nach einer Stunde gab sie auf mit dem Versuch, nochmal einzuschlafen. Die Arbeit würde sowieso bald beginnen, dachte sie. Cliona stand auf, streckte sich und ging zu allererst zum Fenster. Sie schaute leicht zur Seite, als sie das Sonnenlicht hineinließ, um nicht zu sehr geblendet zu werden. Wegen einer Sache riss sie schließlich ihre Augen auf. Eine Gänsehaut zog sich über ihren ganzen Körper. Jetzt wurde es ihr klar. Es war nicht einfach kälter, es hatte geschneit.

    In Eile nahm sie die Treppe, öffnete die Tür nach draußen. Sie griff ein Paar der Hausschuhe, die im Flur standen, um nicht zu sehr zu frieren, und ging raus. Die überraschten Bewohner standen verteilt auf dem Platz vor der Kirche und redeten.

    Viele, denen sie lauschte, sagten fast dasselbe, nämlich: „Wir hatten noch nie einen Winter."

    Cliona bekam Loblos zu Gesicht und fragte ihn: „Was ist los?"

    Beunruhigt sah er hinab. „Wir wissen es nicht."

    „Das kann kein Zufall sein nach dem Gewitter gestern."

    „Wir haben im Wald nachgesehen, da war nichts, berichtete er. „Da war kein Vergessener, wie ich ursprünglich dachte.

    Sie rieb sich über die Arme, um sich zu wärmen. „Und was ist stattdessen der Grund?"

    „Dieses Land ist unberechenbar. Ist eventuell ein blöder Zufall…" Loblos betrachtete sie für einen Moment. „Du solltest dich dicker anziehen! Die Leute sind dabei, ein paar Wintermäntel zu stricken. Vielleicht ist das alles morgen schon vorbei… hoffentlich."

    Das Seltsamste war, dass die Kälte nicht das gesamte Dorf einhüllte. Bis zum Tor schafften es die Schneeflocken nicht. Ab dort war alles normal. Das Phänomen schien lediglich um den Wald herum aufzutreten.

    In der Hoffnung, dies sei bald vorbei, gingen sie ihren alltäglichen Beschäftigungen nach und machten weiter wie bisher. Von Tag zu Tag wurde die Schneedecke höher und breitete sich aus. Man brauchte nicht einmal nachmessen, um es zu bemerken. Die meisten von ihnen erlebten den ersten Winter in ihrem Leben. Die Kinder freuten sich als Einzige daran, machten Schneeballschlachten oder bauten Figuren.

    Cliona wartete eine ganze Weile, bis auch sie einen der Mäntel abbekam. Es fühlte sich seltsam falsch an, andere Klamotten zu tragen als die, mit der sie vergessen wurde. Sie behielt diese Sachen unter ihrer Winterkleidung.

    Sie spazierte durchs Dorf. Ein Schmetterling lag vor ihren Füßen im Schnee, neben ihm verfaulte, abgefallene Blüten. Die Pflanzen waren eingefroren. An den Blättern der Bäume blieb der Frost kleben. Allmählich wanderte die Kälte bis zu den Ackerflächen. Die meisten Vögel flogen weg, dorthin, wo das Klima auf der Insel normal war.

    In der Nacht kam Cliona eine Idee. Sie saß auf dem Dach und stellte die Frage: „Warum schneit es?"

    Der Himmel funkelte stärker. Die Sterne glühten in roten Farben und begannen, sich schnell und rastlos zu bewegen, als würden sie ihr ihre Gefühle mitteilen wollen, ohne es in Bildern auszudrücken. Sie schienen dennoch eine Form zu bilden, benötigten allerdings mehr Zeit dafür. Cliona sah ganz gespannt und gleichzeitig verwundert zu, da brachte ein lautes Bellen sie aus der Fassung. Ein Hund stand vorne am Haus und kläffte sie an. Sie kannte ihn und wusste genau, wem er gehörte. Eines war an ihm anders. Seine Augen wirkten heller als sonst.

    „Was machst du hier draußen?", fragte sie.

    Normalerweise lief er nie frei herum, sondern war stets im Haus oder angebunden, um nicht die Katzen zu jagen. Schnell kletterte das Mädchen runter, um ihn einzufangen und zu seinem Besitzer zu bringen. Schleunigst lief er los, direkt in den finsteren Wald. Cliona rief ihn, wollte ihn einholen und folgte seinen Fußspuren, die sie letztlich zu einem kleinen Graben brachten. Dort verlor sie seine Fährte aus den Augen. Es roch streng, nach irgendeinem Tier. Cliona hatte keine Angst vor der Dunkelheit, trotzdem machte etwas sie nervös. Sie fühlte sich beobachtet.

    In der Nacht ließ ein Albtraum sie nicht lange schlafen. Sie träumte von der Suche nach dem Hund und fand ihn schließlich tot auf. Ihr war nach dem Schlaf kälter als sonst, obwohl ihr Kamin an war.

    Morgens ging sie zuerst die streunenden Katzen füttern und wunderte sich, wieso ständig weniger von ihnen auftauchten. Niemand wusste, wohin diese verschwanden. Cliona erzählte ihren Nachbarn von der Sache mit ihrem Hund. Auch später tauchte dieser nicht mehr auf. Er war nirgendwo auffindbar.

    Seufzend saß sie auf einer Bank und war unglücklich deswegen, wie sich diese Gegend veränderte. Die zuvor farbenfrohen Pflanzen verloren ihre Blätter und Blüten und lagen verstreut auf der täglich wachsenden Schneedecke. Die Bäume waren umhüllt von Eis und es wirkte dadurch, als trugen sie weißes Laub. Die Eisschicht auf den Flüssen wurde fester. Eiszapfen hingen von den Dächern der Häuser. Die Fenster waren alle gefroren. Der Schnee auf den Wiesen spiegelte das grelle Sonnenlicht und den blauen Himmel wider. Man konnte nicht bestreiten, dass der Anblick nicht ästhetisch war. Jedoch beunruhigte es Cliona. Wie lange würde es dauern, was sei der Grund, würde es schlimmer und kälter werden, fragte sie sich. Die Ackerflächen waren schon eingeschneit. Die Felder wurden bereits abgeerntet soweit es ging, der Rest verdarb oder wurde als Brennmaterial genutzt. Die Bewohner begannen, mehr Bäume zu fällen, um nicht zu erfrieren. Das Essen wurde knapper. Das Obst und Gemüse in den Gärten war bereits abgestorben oder wuchs bei den Temperaturen nicht. Sie importierten dies nun von umliegenden Dörfern, die nicht von der Kälte betroffen waren. Bislang gab es keine Idee, ob man an dem Winter was ändern könnte oder ob man ihn aufhalten könnte. Die Leute arrangierten sich damit, machten aus der Situation das Beste und warteten ab. Ein Monat war seit dem ersten Schneefall verflogen.

    Loblos kam zufällig an ihr vorbei, grüßte sie und ging weiter. Cliona kam ihm nach.

    „Es passieren komische Dinge. Das kann nicht normal sein", betonte sie.

    „Ich weiß, dass es komisch ist. Das Wetter spielt halt verrückt", meinte er.

    „Klar!" Sie klang etwas gereizt. „Alle ruhen sich auf dem Gedanken aus, dass es bloß das Wetter wäre… Irgendwann sei alles vorbei und der Frühling würde beginnen. Und was, wenn nicht?"

    „Was sollen wir machen, Cliona? Schlag was vor!" Er ging schneller.

    Sie schüttelte den Kopf. „Man hätte besser nachsehen sollen. Ich denke nicht, dass es ein ganz normaler Winter ist. Das muss einen Grund haben. Vielleicht ist im Wald etwas, das wir nicht erwarten und das sich uns nicht zeigt."

    Der Roboter murmelte nur: „Die Götter werden sich schon was dabei gedacht haben…"

    „Und was? Dass sie oder wir mal ein wenig Abwechslung haben? Das wär gut und schön, aber warum so plötzlich? Warum von heute auf morgen? Wir waren von Anfang an nicht darauf vorbereitet gewesen. Die Pflanzen und Insekten sterben, die Tiere verschwinden, sogar Haustiere werden vermisst.

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