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Luxemburgs Exilregierung und die Entdeckung des Demokratiebegriffs
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eBook433 Seiten4 Stunden

Luxemburgs Exilregierung und die Entdeckung des Demokratiebegriffs

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Über dieses E-Book

"Now the Nazis have trampled down the flourishing life and strife of the Luxembourg democracy." (Pierre Dupong, Mai 1942)

In den ersten Monaten ihres Exils beklagte die luxemburgische Regierung zunächst den Verlust der Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität des Landes, die von den Nationalsozialisten durch die Besatzung Luxemburgs im Mai 1940 zerstört worden waren. Mit zunehmender Annäherung an die alliierten Verbündeten entdeckten Staatschefin und Minister indes während des Exils 'Demokratie' als Leitwert und allmählich auch als Leitmotiv ihrer propagandistischen Selbstbehauptung. Im vorliegenden Buch zeichnet André Linden diesen in der luxemburgischen Geschichtsforschung bislang kaum untersuchten diskursiven Wandel anhand zahlreicher Quellen und Originalzitate chronologisch und spannend zugleich nach.
SpracheDeutsch
Herausgebercapybarabooks
Erscheinungsdatum5. Apr. 2023
ISBN9789995943523
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    Buchvorschau

    Luxemburgs Exilregierung und die Entdeckung des Demokratiebegriffs - André Linden

    André Linden

    Luxemburgs Exilregierung und die Entdeckung des Demokratiebegriffs

    Abb

    Dieses Buch erscheint mit freundlicher Unterstützung des Nationalen Kulturfonds Luxemburg.

    ISBN 978-99959-43-52-3

    1. Auflage 2021

    © capybarabooks, Mersch & Editions forum, Luxemburg 2021

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung und Layout: Kommunikationsdesign Petra Soeltzer

    Umschlagfoto: M. Joseph Bech, Außenminister der luxemburgischen Exilregierung (links) auf den Straßen Londons in Begleitung II.KK.HH. Großherzogin Charlotte und Prinzgemahl Félix. Unbekannter Fotograf; 1941/1942; London. Photothèque de la Cour grand-ducale

    © Administration des Biens de SAR le Grand-Duc.

    E-Book: CPI books, Leck, Germany

    Autorenfoto: @ André Linden

    Bildnachweise bei den jeweiligen Abbildungen. Die Bildunterschriften der jeweiligen Abbildungen übernehmen die von den Rechteinhabern vorgegebenen Formulierungen.

    www.capybarabooks.com

    www.forum.lu

    Inhalt

    Einleitung

    Hintergrund: Perspektiven auf ‘Demokratie’ im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus

    Thema und Fragestellung

    Forschungsstand

    Methodik

    Quellen

    Eingrenzende Überlegungen zu Semantik, raumzeitlichem Kontext und personalem Umfeld im Zusammenhang mit dem Themenkreis ‘luxemburgische Exilregierung’

    Konfliktuelles politisches Agieren in den schwierigen Anfängen der Exilregierung bei unterschwelliger Bezugnahme auf ‘Demokratie’

    Drei symptomatische Konfliktepisoden im Spannungsfeld zwischen traditioneller Neutralitätspolitik und neuer Bündnisorientierung

    Konflikt zwischen Exilministern und in Luxemburg verbliebenen Politikern: Ausgrenzungen und Rücktrittsforderungen (Juli – August 1940)

    Krise zwischen Exilministern und Monarchin: Rückkehrpläne der Großherzogin (Juli – August 1940)

    Differenzen zwischen Exilministern: Kürzung einer Radioansprache des Premierministers in Montreal durch den Außenminister in London (Dezember 1940 – Januar 1941)

    Benachbarte Problemfelder

    Zweifel an der Haltung der luxemburgischen Bevölkerung

    Reibungspunkte mit dynastischer Staatsführung

    Dissens über Sitzfrage zwischen London und Montreal

    Anfänge der Propaganda ohne ausdrückliche Thematisierung von ‘Demokratie’ (September 1940 – Februar 1941)

    Internationale Öffentlichkeitsarbeit

    Ansprachen an luxemburgische Radiohörer

    Rede vor luxemburgisch-stämmigen Amerikanern

    Fazit

    Konstruktion eines Narrativs luxemburgischer ‘Demokratie’ im Zuge der Annäherung an englisch-amerikanische Bündnispartner

    Berufung auf ‘Demokratie’ seitens führender Politiker der Aufnahmeländer USA und Großbritannien

    Erste Verwendungen von ‘Demokratie’ durch die Exilregierung in Kontexten interalliierter Zusammenarbeit

    Verwendung von ‘Demokratie’ in Entwürfen für die Ansprache und Pressemitteilung von Großherzogin Charlotte bei der Ankunft in New York am 4. Oktober 1940

    Eindeutiges Bekenntnis zu Bündnispartnern als Königsweg zur Thematisierung von ‘Demokratie’ (November 1940)

    Erfolge im Zusammenhang mit ‘Demokratie’ in den USA und in Großbritannien (April – Mai 1941)

    Berufung auf ‘Demokratie’ in der Ansprache von Premierminister Dupong bei der ersten interalliierten Konferenz in London am 12. Juni 1941

    Berufung auf ‘Demokratie’ in einem Artikel von Regierungssekretär Léon Schaus (Juni 1941)

    Berufung auf ‘Demokratie’ in einem Bericht von Arbeitsminister Pierre Krier (Juni 1941)

    Unterschiedliche Impulse bezüglich ‘Demokratie’ für die Exilregierung (August 1941 – Januar 1942)

    Berufung auf ‘Demokratie’ in einer Botschaft aus Luxemburg an die Exilregierung bei einem Empfang in der Washingtoner Vertretung am 6. August 1941

    Die Atlantikcharta als Signal für hohes Anschlusspotenzial an die Hoffnungsträger USA und Großbritannien mittels ‘Demokratie’ (August 1941)

    Charta der Vereinten Nationen: ‘Menschenrechte’ als Ergänzung und Alternative zu ‘Demokratie’ (1. Januar 1942)

    Umrisse eines auf ‘Demokratie’ fokussierten Narrativs der Exilregierung (September 1941 – Mai 1942)

    Konzept für eine Pressepolitik (September 1941)

    ‘Demokratie’ neben anderen Leitwerten im Entwurf für die Nullnummer des Luxembourg Bulletin (10. September 1941)

    Berufung auf ‘Demokratie’ in der Ansprache von Außenminister Bech bei der zweiten interalliierten Konferenz in London am 24. September 1941

    Propagandaoffensive zum zweiten Jahrestag der NS-Besetzung im Licht von ‘Demokratie’ (10. Mai 1942)

    Exkurs: Vorlagen für ‘Demokratie’ aus der Zwischenkriegszeit?

    Ausblick

    Verbindung von ‘Demokratie’ und ‘Monarchie’ in der Propaganda der Exilregierung

    Fünf weitere Varianten der Entfaltung von ‘Demokratie’

    ‘Demokratie’ und die wirtschaftlich-soziale Lage in Luxemburg

    ‘Demokratie’ und die Position Luxemburgs im Geflecht internationaler Beziehungen

    ‘Demokratie’ und die Grundwerte menschlicher Zivilisation

    ‘Demokratie’ als Aktivposten der luxemburgischen Kriegsleistungsbilanz

    ‘Demokratie’ und der Parteienstreit innerhalb der Exilregierung

    Ansätze zur Normalisierung von ‘Demokratie’ im Zuge der Rückkehr der Exilregierung nach Luxemburg (September 1944 – Mai 1945)

    Schlussbetrachtung

    Anhang

    Chronologische Übersicht Mai 1940 – Februar 1941

    Grußbotschaft der Großherzogin an den New Yorker Bürgermeister (17. September 1944)

    Vergleich zweier Textfassungen in New Yorker und Londoner Ausgaben des Luxembourg Bulletin

    Tabelle zur Datierung der Drucklegung

    Quellenverzeichnis

    Literaturverzeichnis

    Sonstige Webseiten

    Anmerkungen

    Danksagung

    Einleitung

    Hintergrund: Perspektiven auf ‘Demokratie’ im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus

    ‘Demokratie’ gilt als zentraler Begriff der politischen Orientierung, häufig in unmittelbarer Abgrenzung zum Zweiten Weltkrieg. In seinem Eintrag über ‘Demokratie’ im begriffsgeschichtlichen Grundlagenwerk von 1972, Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, lieferte der Historiker Werner Conze eine entsprechende Erläuterung für die Verankerung von ‘Demokratie’ im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als Gegenentwurf zur vorherigen NS-Diktatur: „Es war verständlich, dass nach 1945 der Demokratiebegriff im deutschen Bereich nicht nur wieder aufgenommen, sondern erfüllt mit den Werten der Freiheit (freiheitliche Ordnung) und des Rechts (Rechtsstaat) zum Gegenbegriff gegen Faschismus bzw. totalitäre Diktatur wurde."¹

    Indirekt nahm im Jahr 2013 die damalige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Viviane Reding Bezug auf das Ende des Zweiten Weltkriegs, und zwar in den ersten Sätzen ihres Vorworts zu einer Broschüre der Europäischen Kommission über L’Europe des citoyens. Comprendre la construction européenne, worin sie Europa als „Raum von Demokratie, Freiheit und besonderen Werten" bezeichnete.² Das Narrativ von Europa als „Raum von Demokratie und als „Friedensprojekt wird zwar als Abkehr von einem über „Jahrtausende hinweg immer wieder neu aufflammenden „Bruderkrieg dargestellt, aber die Datierung der Anfänge im Jahr 2013 auf „vor etwa siebzig Jahren" verweist auf die Zeit nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945.

    Bereits Conze machte jedoch darauf aufmerksam, dass durch die zunehmende Verbreitung des Begriffs ‘Demokratie’ der Verdacht einer Floskel und „Leerformel" aufkommen kann.³ Dies galt, als in der Zeit des Kalten Krieges konkurrierende politische Systeme wie etwa die damalige, an der westlichen Staatengemeinschaft orientierte Bundesrepublik Deutschland und die an der Sowjetunion und den Ländern des Ostblocks ausgerichtete Deutsche Demokratische Republik das Prädikat ‘Demokratie’ als politisches Gütesiegel jeweils für sich beanspruchten. Dies galt ebenso in den späten Sechzigerjahren, als außerparlamentarische Gruppen „im Namen der Demokratie [sprachen], im betonten Gegensatz zur Demokratie der Bundesrepublik, zum großen Teil aber auch unter Ablehnung der DDR bzw. der SU. Conze ordnet derartige Entwicklungen in den weltweiten Zusammenhang der Ausweitung von ‘Demokratie’ zu einem „allumfassenden Idolbegriff ein, entsprechend dem Befund eines UNESCO-Symposiums von 1951, den er abschließend zu seinem Eintrag zitiert, dass „vielleicht erstmals in der Geschichte ‘Demokratie’ von einflussreichen Vertretern der verschiedenen Richtungen als die eigentliche Idealumschreibung aller Systeme politischer und sozialer Organisation in Anspruch genommen wurde"⁴. Die Tatsache, dass dieser UNESCO-Befund sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurde, lässt die Frage aufkommen, inwiefern er nicht auch unter dessen Einfluss stand. Gleiches könnte, mit Einschränkungen und aus größerem zeitlichen Abstand, für Conzes Eintrag von 1972 gelten.

    Aus der Sicht einer ideologiekritischen Sozialgeschichte wurde in jüngerer Zeit, beispielsweise 2015 in einem Zeitungsartikel des Historikers Denis Scuto⁵ im Anschluss an einen Vortrag des belgischen Zeitgeschichtlers Pieter Lagrou⁶, der Vorwurf erhoben, das Narrativ von ‘Demokratie’ als europäischem Friedensprojekt sei in Wahrheit eine Art erbauliche „große Erzählung über den Triumph von Demokratie und Menschenrechten, mittels derer den Menschen „der Gründungsmythos der Europäischen Union eingeschärft werden solle: „[Pieter Lagrou] a commencé par décrire un nouveau mythe, véhiculé à travers manuels scolaires, médias, expositions et discours commémoratifs sur l’intégration européenne. Après les mythes fondateurs sur les nations du 20e siècle, on nous inculque maintenant le mythe fondateur sur l’intégration européenne." Chronologisch würde diese im Märchenton vorgetragene und dadurch ironisch verfremdete ‚Meistererzählung‘⁷ zwei Jahrhunderte umfassen, von 1789, dem Anfangsjahr der Französischen Revolution, bis 1989, dem Fall der Berliner Mauer. Ihr Leitmotiv sei die ‘demokratische’ Überwindung autoritärer und totalitärer Herrschaftssysteme, zumal im Zweiten Weltkrieg unter maßgeblicher Hilfe aus England und Amerika.

    Aus der größeren kulturellen und räumlichen Distanz der Global- und Kolonialgeschichte erstellte der indische Historiker Dipesh Chakrabarty⁸ um die Jahrtausendwende in seinem Werk über „Europa als Provinz jedoch die Diagnose, ‘Demokratie’ bilde zusammen mit einer Reihe signifikanter anderer Kategorien so etwas wie ein Begriffspaket der „politischen Moderne. Begriffe wie „Bürgerschaft, Staat, Zivilgesellschaft, Öffentlichkeit, Menschenrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Individuum, Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, die Idee des Subjekts, Demokratie, Souveränität des Volkes, soziale Gerechtigkeit, wissenschaftliche Vernunft usw., die ihren Höhepunkt im Europa der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts gefunden hätten, würden zusammen eine Art „unvermeidliche, und in gewissem Sinne unverzichtbare Vision des Allgemein-Menschlichen darstellen. In der Feststellung von Chakrabarty, dieser „Humanismus der Aufklärung sei als Verheißung in den Kolonien zwar gepredigt, aber seine praktische Umsetzung den Kolonisierten von den Kolonialmächten nicht gewährt worden, zeigt sich wohl eine vergleichbare Skepsis wie im „Märchen-Vorwurf von Pieter Lagrou. Mit der Diagnose dagegen, die ursprünglich europäische Begriffsfamilie, einschließlich ‘Demokratie’, sei heute globales Erbe und universaler Maßstab⁹, bewegt sich Chakrabarty letzten Endes nahe am UNESCO-Befund von ‘Demokratie’ als einer allgemein beanspruchten „Idealumschreibung".

    Die Aktualität des Demokratiebegriffs als Norm behauptet sich tatsächlich weiterhin im europäischen Kontext, dies trotz einflussreicher Publikationen, die den Anfang eines „post-demokratischen" Zeitalters erörtert haben.¹⁰ Ein jüngst eingerichteter Förderschwerpunkt der Gerda Henkel Stiftung ist dem Themenkreis „Demokratie als Utopie, Erfahrung und Bedrohung" gewidmet.¹¹ ‘Demokratie’ fungiert als Leitwert in der Rede für eine neue europapolitische Initiative des französischen Präsidenten Macron. In einem Vortrag am 26. September 2018 an der Sorbonne mit dem Titel Pour une Europe souveraine, unie et démocratique bezeichnete Macron ‘Demokratie’ als „Wesensmerkmal des europäischen Projektes, wobei es gelte, sie gegen autoritäre Anfeindungen wie in den 1930er Jahren zu verteidigen.¹² Ein ähnlicher Hinweis auf Schwächen des Systems der parlamentarischen Demokratie im Frankreich der 1930er Jahre findet sich in einem Brief von Charles de Gaulle vom 8. Juli 1941. Der General, welcher zu diesem Zeitpunkt im Exil daran arbeitete, sich als Führer und Vertreter eines „Freien Frankreich (France Libre) aufzubauen, äußerte darin deutliche Skepsis gegen eine öffentliche Positionierung seiner Bewegung unter Berufung auf ‘Demokratie’ als politischem Leitwert.¹³ Die dabei angestellte Vermutung de Gaulles, die Berufung auf ‘Demokratie’ sei dazu geeignet, auf die lobende Zustimmung der amerikanischen Machthaber zu stoßen, traf ohne Zweifel auf den Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu, ebenso wie auf den britischen Premierminister Winston Churchill.

    Mit ihrem Gang ins Exil nach England und Nordamerika ab September 1940, im Zuge einer sich zwischen Mai und August 1940 nur schrittweise vollziehenden Einreihung in das angelsächsische Bündnis, begab sich die luxemburgische Staatsführung mithin in geografische und politische Räume, in denen ‘Demokratie’ hoch im Kurs stand, sei es, wie bei Churchill, als allgemeiner Gegenbegriff zum Nationalsozialismus, sei es, wie bei Roosevelt, als eine der Säulen moderner Zivilisation. Auf der anderen Seite des Spektrums stand eine in Luxemburg zurückgebliebene Bevölkerung, die, wie etwa ein Tagebucheintrag aus dem Sommer 1943 nahelegt, die Eingliederung in NS-Deutschland wohl ablehnen mochte, ansonsten aber gegenüber der weiteren politischen Zukunft zuweilen sogar annähernd gleichgültig eingestellt sein konnte, und sei es auch nur aus Erschöpfung: „Wir Luxemburger wollen vor allem Luxemburger bleiben und nicht zu einem nationalsozialistischen Deutschland, das uns abstößt, geschlagen werden, einerlei wie der kommende luxemburgische Staat in Zukunft politisch organisiert werden soll."¹⁴ Es stellt sich somit in doppelter Hinsicht die Frage nach dem Stellenwert von ‘Demokratie’ im Kontext der luxemburgischen Exilregierung während des Zweiten Weltkriegs: außenpolitisch mit Blick auf die Eingliederung in das internationale Bündnis; innenpolitisch in Bezug auf die Kommunikation mit der luxemburgischen Bevölkerung.

    Thema und Fragestellung

    Am 10. Mai 1940, dem Tag des Einmarsches deutscher Truppen in Luxemburg, flohen die Staatschefin und vier Regierungsmitglieder ins Ausland. Es handelte sich neben Großherzogin Charlotte um Regierungschef Pierre Dupong, Außenminister Joseph Bech, Arbeitsminister Pierre Krier und Justizminister Victor Bodson. Nach Zwischenaufenthalten in Frankreich und Portugal wurde eine Exilregierung mit doppeltem Sitz in London (Großbritannien) und in Montreal (Kanada) gebildet.¹⁵

    Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Fragestellung gründet in einem Aufsatz, den ich 2002 auf Einladung des Geschichtsmuseums der Stadt Luxemburg geschrieben habe. Thema waren die Radioansprachen von Großherzogin Charlotte aus dem Exil an die luxemburgische Bevölkerung. Der Aufsatz wurde als Teil des Begleitbandes zu einer Ausstellung veröffentlicht, die unter dem Titel „… t’wor alles net esou einfach. Zehn Fragen an die Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg" vom 11. Mai bis zum 3. November 2002 im Geschichtsmuseum der Stadt Luxemburg gezeigt wurde.¹⁶ Anders als bei der Annahme des Auftrags erwartet, stand jedoch keine Sammlung der großherzoglichen Ansprachen während der Kriegsjahre zur Verfügung. Der Redaktion des Aufsatzes mussten Recherchen im luxemburgischen Nationalarchiv vorausgehen, um überhaupt einen Korpus von Reden der Staatschefin aus dem Exil zusammenstellen zu können.¹⁷ Dies geschah mit der Unterstützung des Historikers Serge Hoffmann, dem damals verantwortlichen Archivar. Aufgrund seiner Anregung, sich nicht nur für die Frage zu interessieren, wogegen sich die Ansprachen gerichtet hätten, sondern auch, wofür sie sich einsetzten, rückte das Thema ‘Demokratie’ als ein potenzieller Leitwert in den Fokus meines Beitrags.

    Tatsächlich gab es für eine solche Annahme von ‘Demokratie’ als einem positiven Leitwert gute Gründe. Die erste Ansprache der Staatschefin nach ihrer Rückkehr aus dem Exil, in einer parlamentarischen Feierstunde am 16. April 1945, gipfelte in der Verkündung, „auch im Land Luxemburg das Programm verwirklichen zu wollen, welches die großen Anführer der Demokratie der Menschheit vorgeschlagen" hätten. In der emphatischen Zielvorgabe schwang ein Nachklang der programmatischen Four-Freedoms-Rede von Franklin D. Roosevelt am 6. Januar 1941 mit, sowie der als Atlantikcharta in die Geschichte eingegangenen Bündniserklärung vom 14. August 1941 zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem englischen Premierminister Winston Churchill.¹⁸

    Das Studium des zum damaligen Zeitpunkt zusammengestellten Redenkorpus führte jedoch zu dem überraschenden Befund, dass in 14 Ansprachen der Großherzogin aus dem Exil an die luxemburgische Bevölkerung Ausdrücke wie ‘Demokratie’ und ‘demokratisch’ im Grunde nur einmal vorkamen, und zwar, auch hier in enger Anlehnung an die Four-Freedoms-Rede und unter ausdrücklicher Erwähnung der Atlantikcharta, durch die Nennung der „großen demokratischen Anführer, Churchill und Roosevelt" in der Ansprache vom 13. September 1942.¹⁹ Andererseits machten Beiträge in dem von der Exilregierung in London sowie in New York und Montreal herausgegebenen Luxembourg Bulletin deutlich, dass Bezugnahmen auf ‘Demokratie’ durchaus zu deren propagandistischem Repertoire gehörten. So brachte Premierminister Dupong am 1. Juli 1942 in der englischen Ausgabe seine Zuversicht zum Ausdruck, die „demokratischen Freiheiten in Luxemburg würden die Autoren der Atlantikcharta mit Freude erfüllt haben²⁰. In den Radioansprachen der Großherzogin an die luxemburgische Bevölkerung selbst, beispielsweise im September und Dezember 1941, wurden „Freiheit, Würde und Menschenrechte jedoch statt mit ‘Demokratie’ eher mit „christlichen Idealen wie Solidarität und Brüderlichkeit in Verbindung gebracht, und zwar im Kontext eines „zweitausendjährigen Kampfes gegen den „Rückfall in Heidentum und Sklaverei".²¹ Darüber hinaus ließ ein mit Luxembourg – A True Democracy betitelter Aufsatz in der nordamerikanischen Ausgabe des Luxemburg Bulletin vom 5. Januar 1943 erkennen, dass zumindest für das amerikanische Publikum Erklärungsbedarf bestand hinsichtlich der Verträglichkeit von Monarchie und ‘Demokratie’. Insgesamt erschien im Licht dieser Befunde der Gebrauch des Begriffs ‘Demokratie’ im Kontext der Exilregierung zunehmend als vielschichtig und klärungsbedürftig.²²

    Aus diesem Ergebnis entwickelte sich der Forschungsansatz, welcher der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Über die Ansprachen der Großherzogin an die luxemburgische Bevölkerung hinaus sollen weitere Quellen erschlossen werden, die den Gebrauch von Ausdrücken wie ‘Demokratie’ und ‘demokratisch’ usw. im Umfeld der Exilregierung verständlich machen können. Ziel ist es, unterschiedliche Gebrauchssituationen und die damit verbundenen Bedeutungsfelder besser zu verstehen, sowie etwaige mit dem Gebrauch von ‘Demokratie’ einhergehende Vorteile und Chancen bzw. Nachteile und Risiken für die verschiedenen Mitglieder und Akteure im Umfeld der Exilregierung zu erhellen. Die leitende Forschungsfrage lautet entsprechend: Was ist der Stellenwert von ‘Demokratie’ als Leitwert von Propaganda und Kommunikation im Kontext der luxemburgischen Regierung im Exil während des Zweiten Weltkriegs?

    Um die Spannweite der Fragestellung zu erläutern, ist eine Unterscheidung nützlich, die der Historiker Gilbert Trausch im Kontext von Gedenk- und Erinnerungskultur vorgebracht hat. Zum 50. Jahrestag der Zwangsrekrutierung und der sich daran anschließenden Proteststreiks in den Monaten August und September 1942 hielt Trausch am 9. November 1992 eine feierliche Ansprache in luxemburgischer Sprache zum Thema: „Wie Luxemburg auf die Probe gestellt wurde". In den Schlussworten vollzog der Redner einen für Debatten sowohl während als auch nach dem Zweiten Weltkrieg charakteristischen Schritt der Verallgemeinerung von nationalen zu allgemein menschlichen Werten.²³ In seiner Auflistung hätten neben „Freiheit, „Würde des Menschen und „Menschenrechten" auch Ausdrücke wie ‘Demokratie’ und ‘demokratisch’ ihren Platz finden können, und das nicht nur in Bezug auf Resistenzbewegungen, sondern auch im Kontext der Exilregierung.

    Nicht jeder Gebrauch von ‘demokratisch’ erfolgte dagegen in solch hochgesteckter Absicht. Am anderen Ende der Skala situierte sich beispielsweise der Informationskommissar der Exilregierung André Wolff, als er im September 1945 rückblickend feststellte, man habe den Amerikanern zunächst erklären müssen, Luxemburg sei ein unabhängiger und demokratischer Staat gewesen und kein Operettenstaat.²⁴ Der Gebrauch des Ausdrucks ‘demokratisch’ erfolgt hier vor allem deskriptiv und die normative Komponente ist eher von untergeordneter Bedeutung. Es geht darum, darüber zu informieren, dass im Großherzogtum Luxemburg vor der deutschen Besatzung die politische Staatsform durch ein bestimmtes Regelwerk gekennzeichnet war, und weniger darum, eine höhere Moralität des luxemburgischen Staatswesens durch ‘Demokratie’ als Distinktionsmerkmal zu beanspruchen.

    Entsprechend sollen in dieser Arbeit sowohl eher emphatisch herausgehobene als auch eher deskriptiv neutrale Verwendungsweisen in Betracht gezogen werden, wenn nach dem Stellenwert von ‘Demokratie’ und ‘demokratisch’ in Kommunikation und Propaganda im Kontext der Exilregierung gefragt wird.

    Forschungsstand

    In der internationalen Historiografie hat die Analyse des Gebrauchs der Ausdrücke ‘Demokratie’, ‘demokratisch’ usw. aus begriffsgeschichtlicher Perspektive durch einen Sammelband von 2018 unter dem Titel Democracy in Modern Europe. A Conceptual History an neuer Aktualität gewonnen.²⁵ Er enthält jedoch keinen Aufsatz über Luxemburg, und auch der Zweite Weltkrieg wird kaum berührt. Im Frühjahr 2019 widmete das Journal of Modern European History dem Thema, wie sich Narrative von ‘Demokratie’ in verschiedenen europäischen Ländern entfaltet haben, eine Sonderausgabe.²⁶ Auch hier ist kein Aufsatz über Luxemburg enthalten; allerdings wird der Zweite Weltkrieg beispielsweise in der Studie über niederländische Narrative von ‘Demokratie’ als zentraler Wendepunkt beschrieben.²⁷

    Auch in der luxemburgischen Historiografie gibt es im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg kaum Studien zum Themenkreis ‘Demokratie’; weder allgemein noch im besonderen Kontext der Exilregierung. Die grundlegende Arbeit des Politologen und Historikers Michel Dormal über Demokratisierung und Nationsbildung in Luxemburg reicht bis 1940.²⁸ Einige Schlussbetrachtungen betreffen die Zeit nach 1945. Die Zeit des Zweiten Weltkriegs wird ausgeblendet, möglicherweise aufgrund der komplexen Quellenlage, möglicherweise aber auch wegen einer unterschwelligen Kontinuitätsthese, der zufolge es auf lange Sicht keine allzu großen Unterschiede in der politischen Landschaft zwischen Vor- und Nachkriegszeit gab.

    In den Studien von Émile Haag und Émile Krier über die Exilregierung im Jahr 1940 sowie von Georges Heisbourg über die Exilregierung in den Jahren 1940 bis 1944 ist ‘Demokratie’ nicht ausdrücklich Thema.²⁹ Eine Reihe der von den Autoren zitierten Quellen nimmt jedoch Bezug darauf. Thierry Grosbois bearbeitet das Thema ‘luxemburgische Exilregierung’ in mehreren Untersuchungen zur Genese der Europäischen Union³⁰ und zur luxemburgischen Außenpolitik im Zweiten Weltkrieg. Auch hier, ebenso wie in der Arbeit desselben Autors über die Haltung und das Agieren der luxemburgischen Exilregierung bei der Frage der Judenverfolgung, wird ‘Demokratie’ höchstens indirekt angesprochen.³¹ Grosbois’ Dissertation von 2010 über Grundlagen und Vorformen des politischen Europa-Gedankens im Kontext des Zweiten Weltkriegs konnte bis zum Abschluss dieser Arbeit nicht eingesehen werden.³² ‘Demokratie’ ist ebenfalls nicht ausdrücklich Thema in den grundlegenden Studien von Paul Dostert³³ und Vincent Artuso³⁴, die sich vorrangig auf die innenpolitische Lage Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg konzentrieren.

    Thematisierungen von ‘Demokratie’ im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gibt es in der luxemburgischen Geschichtsschreibung allenfalls bei der Frage nach einer angemessenen Beschreibung der unter den verschiedenen luxemburgischen Resistenzgruppierungen vorherrschenden Motivationen und Ziele. Bei einem internationalen Kolloquium im Jahr 2002 über den Zusammenhang zwischen politischen Strömungen und Resistenz lud der Historiker Serge Hoffmann dazu ein, über die „patriotischen Beweggründe hinaus den Blick offen zu halten für „politische und ideologische Beweggründe zum Widerstand. Der programmatische Titel einer Rezension der 2003 erschienenen Kongressakten unterstrich entsprechend, es „gäbe sehr wohl eine Debatte, und zwar um den Gegensatz zwischen „patriotischen und „antifaschistischen" Widerstandsmotivationen.³⁵ Mit der zuspitzenden Gegenüberstellung von Nationalismus und Antifaschismus verschob sich das Thema in Richtung einer Positionierung der verschiedenen Resistenzgruppen innerhalb des politischen Rechts-Links-Spektrums, wobei ‘demokratisch’ der linken Seite zugeordnet wurde.³⁶ Mit Blick auf die Beweggründe und vor allem die Ziele der Exilregierung erscheint eine derartige Zuordnung unbefriedigend, selbst wenn der Zugehörigkeit von je zwei Ministern zur Partei der Rechten und zur Arbeiter-Partei Rechnung getragen wird.

    Hinweise zum Themenkreis ‘Demokratie’ im Zusammenhang mit den politischen Auseinandersetzungen der unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen der zurückgekehrten Exilregierung und den als Unio’n auftretenden Widerstandsgruppen finden sich in einem längeren Zeitungsartikel von Gilbert Trausch.³⁷ Der Historiker Marius Remackel untersucht in seiner Abschlussarbeit für die Lehramtsprüfung die parlamentarischen Vorgänge um die Bildung einer Beratenden Kammer von 1945, mit der die Minister der zurückgekehrten Exilregierung sich eine zusätzliche ‘demokratische’ Legitimation zu verschaffen suchten.³⁸ Hinweise zum Themenkreis ‘Demokratie’ im weiteren Umfeld des Zweiten Weltkriegs, auch im Kontext der Exilregierung, finden sich ebenfalls in Studien zur luxemburgischen Parteiengeschichte und in biografischen Arbeiten über einzelne Politiker. Hervorgehoben seien für die Parteien Gilbert Trausch über die Partei der Rechten und die Christlich-Soziale Volkspartei;³⁹ Ben Fayot über die Arbeiter-Partei und den Sozialismus⁴⁰ sowie Rob Roemen über den Liberalismus.⁴¹ In jüngerer Zeit veröffentlichte Mauve Carbonell eine biografische Studie über Victor Bodson.⁴² Des Weiteren sind längere Zeitungsartikel von Gilbert Trausch über Pierre Dupong⁴³ zu erwähnen, sowie eine Publikation über Leben und Wirken von Joseph Bech.⁴⁴

    Anlässlich der rezenten Feiern ihres jeweils hundertjährigen Bestehens der Tageszeitung Tageblatt (2013) und der freien Gewerkschaften (2016), welche beide auf der linken Seite des politischen Spektrums in Luxemburg angesiedelt sind, wurden umfangreiche Aufsatzsammlungen über die Geschichte dieser Jubilare veröffentlicht. Das Thema ‘Demokratie’ im Umfeld der Exilregierung kommt jedoch als solches weder in Un Journal dans son siècle. Tageblatt 1913-2013⁴⁵ noch in 100 Joer fräi Gewerkschaften 1916-2016. Contributions à l’histoire du mouvement syndical luxembourgeois⁴⁶ ausdrücklich zur Sprache. Dennoch werden in den Beiträgen von Wolfgang Alt⁴⁷ sowie von Nicole Kerschen⁴⁸ und Ben Fayot⁴⁹ Aspekte beleuchtet, die für die vorliegende Untersuchung von Belang sind.

    Eine spezifische Studie über den Themenkreis ‘Demokratie’ im Kontext der luxemburgischen Exilregierung im Zweiten Weltkrieg steht noch aus. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen.

    Methodik

    Im Zeitalter der Massenmedien und der Massenpropaganda während des Zweiten Weltkriegs, als das Radio eine zentrale Rolle spielte, gewannen Fragen des Wortgebrauchs eine herausragende Bedeutung. Eine geglückte Formulierung in einer Ansprache konnte bei der Verbreitung von Ideen und Überzeugungen entscheidend sein. Roosevelts „Arsenal of Democracy und seine „Four Freedoms geben dafür eindrückliche Beispiele. Für eine Regierung wie die luxemburgische, welche über keinerlei Mittel der militärischen Auseinandersetzung verfügte, und die auf Kommunikation und Propaganda als wichtigste Instrumente für die Verteidigung der eigenen Interessen angewiesen war, wurde das ständige Bemühen um optimale verbale Kommunikation zur Überlebensfrage. Gerade in diesem Kontext scheint das Studium der Verwendung eines politischen Leitbegriffs wie ‘Demokratie’⁵⁰ von besonderem Interesse.

    Die vorliegende Arbeit zielt auf eine erste Erkundung des Untersuchungsgebiets. Sie erforscht den Gebrauch des Ausdrucks ‘Demokratie’ im Kontext der luxemburgischen Exilregierung während des Zweiten Weltkriegs in begriffsgeschichtlicher Hinsicht. Dazu bedient sie sich der Verfahren historisch-hermeneutischer Textkritik. Die Analyse beruht auf einem rein qualitativen Ansatz, ohne Rückgriff auf quantitative Auswertung. Die Frage nach den Gründen für die Verwendung eines Ausdrucks ist von besonderem Interesse, wenn ein redaktionelles Auswahlverhalten nachgewiesen werden kann, in dem Ausdrücke gegenüber anderen bevorzugt oder verworfen wurden. Ziel ist es dann jeweils, so weit als möglich im entsprechenden Kontext plausible Hypothesen über die Kriterien aufzustellen, welche die Selektion beeinflussten. Besondere methodische Verfahren und Instrumente, wie Diskursanalyse oder computergestützte Textanalyse, die in weiterführenden Untersuchungen von Interesse sein könnten, kommen in der vorliegenden Arbeit nicht zum Einsatz.

    Entsprechend der Ausgangsbeobachtung, dass der Ausdruck ‘Demokratie’ in den großherzoglichen Ansprachen an die luxemburgische Bevölkerung vergleichsweise wenig gebraucht wird, geht es zunächst um den Versuch, mittels archivalischer Recherche die Genealogie des Begriffs ‘Demokratie’ im Gebrauch der Exilregierung zu rekonstruieren und zu verstehen, wann und wo der Terminus im Gebrauch der Exilregierung überhaupt erstmalig vorkam. So weit als möglich, gilt es anhand einer breiteren Quellenbasis chronologisch einzuordnen, wie es zu den ersten ausdrücklichen Verwendungen von ‘Demokratie’ kam und was dabei die herausragenden Bedeutungsfelder waren. Insofern die Regierungsmacht der Minister im Kern auf ‘demokratischer’ Legitimation beruhte, stellt sich zudem die Frage, inwiefern unterschwellige Bezugnahmen auf ‘Demokratie’ vor der ausdrücklichen Verwendung des Ausdrucks im Kontext der Exilregierung eine Wirkungsmacht entfalteten und, wenn ja, in welchen Zusammenhängen.⁵¹

    Insgesamt soll als Leitfaden die Empfehlung von Chakrabarty dienen, bei der historischen Erkundung von Grundbegriffen wie ‘Demokratie’ das Augenmerk eher auf die Frage zu richten, was in einem gegebenen Zeitrahmen mit diesen Ausdrücken gemacht wurde, als zu versuchen, ihre jeweilige Bedeutung in den entsprechenden Gebrauchssituationen genau zu definieren.⁵² Demgemäß liegt im Folgenden bei der Erkundung der Gebrauchskontexte von ‘Demokratie’ und der Erschließung ihrer Varianten und Steigerungsformen im Kontext der luxemburgischen Exilregierung das Hauptaugenmerk darauf, den propagandistischen Mehrwehrt von ‘Demokratie’ zu ergründen und die Umrisse eines luxemburgischen ‘Demokratie’-Narrativs nachzuzeichnen, mittels dessen versucht wurde, die propagandistischen Ziele der Exilregierung zu erreichen.

    Quellen

    Eine vollständige Auflistung der für die vorliegende Arbeit gesichteten Quellen würde den vorgegebenen Rahmen überschreiten. Um überhaupt erste Verwendungen und Gebrauchsfälle von ‘Demokratie’ im Kontext der Exilregierung zu lokalisieren, war es erforderlich, auf breiter Basis nach Zufallsfunden zu suchen, was besonders bei nicht-digitalisierten Quellen mit hohem Zeitaufwand verbunden war. Etliche Beispiele aus der unerwartet hohen Zahl von Fundstellen konnten bei der Aufarbeitung des Materials und der Zusammenstellung der Belege für die vorliegende Arbeit nicht berücksichtigt werden. Im Folgenden sollen vor allem diejenigen Quellen hervorgehoben werden, auf die bei der Niederschrift auszugsweise zurückgegriffen wurde.

    Im Vordergrund stehen zunächst die grundlegenden Arbeiten über die luxemburgische Exilregierung von Haag/Krier und Heisbourg, die ausgedehnte Quellenteile enthalten. Unter dem Titel Seconde partie. Les Documents veröffentlichen Haag/Krier in einem vom Überblickstext getrennten Teil insgesamt 68 Dokumente, die über den Zeitraum vom 9. Mai 1940 bis zum 8. Januar 1941 reichen.⁵³ Die Texte stammen zum größten Teil aus den Privatarchiven der Zeitzeugen Guillaume Konsbruck und Victor Bodson. Sie sind auf Wunsch der Leihgeber in anonymisierter Form gekennzeichnet worden.⁵⁴ Haag/Krier haben zudem offenbar zahlreiche Interviews und ergänzende persönliche Befragungen mit Zeitzeugen aus dem Umfeld der Exilregierung durchgeführt. Nach jetzigem Kenntnisstand sind diese, mit einer Ausnahme⁵⁵, der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden. Ihr Inhalt fließt jedoch in den ersten Teil des Bandes Première partie. L’Histoire mit ein, was in den jeweiligen Anmerkungen, ohne zusätzlich zitierten Wortlaut, besonders gekennzeichnet wird, beispielsweise mit „Témoignage oral Guill Konsbruck oder „Notes et témoignages personnels de Guill Konsbruck.⁵⁶ Bei Heisbourg finden sich neben vollständigen Quellendokumenten, die in den vier Bänden jeweils im Anhang zitiert werden, im Text selbst zum Teil sehr ausführliche Zitate aus Briefen, die häufig über mehrere Seiten gehen.⁵⁷ Texte, die im Original in englischer Sprache verfasst wurden, werden von Heisbourg sehr oft in französischer Übersetzung wiedergegeben.

    Besonders für das Jahr 1940 scheint die Quellenlage komplex und sie ergibt gelegentlich widersprüchliche Befunde.⁵⁸ Das Buch von Haag/Krier über das Jahr 1940 ermöglicht tiefere Einblicke in die Abfolge der Ereignisse. Der Überblickstext, in den die Ergebnisse der Befragungen von Zeitzeugen eingeflossen sind, und die Quellentexte reduzieren eine von Heisbourg beklagte Unübersichtlichkeit zumindest teilweise. Die tabellarische Übersicht im Anhang beruht weitgehend auf dieser Studie.

    Aus dem Fundus des Nationalarchivs (ANLux) wurden vor allem Quellen aus den Bereichen Affaires étrangères – Gouvernement en Exil (AE-GtEx) und Affaires étrangères – Ambassade de Washington (AE-AW) gesichtet, vereinzelt

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