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Wenn der Apfellastwagen kommt: Erinnerungen an eine Südtirolersiedlung
Wenn der Apfellastwagen kommt: Erinnerungen an eine Südtirolersiedlung
Wenn der Apfellastwagen kommt: Erinnerungen an eine Südtirolersiedlung
eBook86 Seiten55 Minuten

Wenn der Apfellastwagen kommt: Erinnerungen an eine Südtirolersiedlung

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Über dieses E-Book

"Oft taten wir nichts anderes als schauen. Zu schauen gab es immer etwas."
Während der "Optionszeit" verließen viele Südtiroler Familien ihre Heimat, um in eigens errichteten Wohneinheiten in Österreich und Deutschland ein neues Zuhause zu finden. Margit Weiß wuchs in den Sechziger- und Siebzigerjahren in einer solchen Südtirolersiedlung auf. Mit den Augen eines Kindes betrachtet sie den damaligen Alltag und die illustren Persönlichkeiten in der Siedlung: Da gibt es den blumenpflückenden Herrn Maier, die Fani-Tant mit ihren Liebschaften oder den geliebten Großvater Carlo. Was sie alle eint, ist der Verlust der Heimat.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum11. Jan. 2023
ISBN9788872838693

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    Buchvorschau

    Wenn der Apfellastwagen kommt - Margit Weiß

    Von Frau und Herrn Maier

    „Margit, lauf, hol die Frau Maier zurück!"

    Ich ging los und begann sie zu suchen. Ich hatte keine Eile. Frau Maier suchen ging ich gerne. Meist fand ich sie in der Sterzinger Straße. Von dort war es nicht weit zurück in die Terlaner Straße.

    Ich sah sie stehen, eine alte Frau in schwarzem Gewand, eine Schürze umgebunden. Alles war rund an ihr, Gesicht, Gestalt, ihre Gretlfrisur. Sie war klein. Ich reichte ihr mit meinen drei Jahren bis zur Taille. Ich nahm ihre Hand. Von niemandem ließ sie sich zurückführen. Mit dem kleinen Mädchen aber ging sie mit und so schickten sie mich los, wenn sie wieder einmal unauffindbar war. Damals gab es in der Siedlung noch kaum Autos und jeder kannte jeden. So mussten sie nicht befürchten, dass ich auch noch verloren gehen könnte.

    Wir gingen zurück in die Terlaner Straße. „I gea iatz hoam, ließ sie mich wissen, ich geh jetzt heim. Und sogar mit drei wusste ich, mit „heim meinte sie nicht die Terlaner Straße. Das ist eine meiner ersten Erinnerungen an die Siedlung, in der ich aufwuchs.

    Die Familie Maier wohnte im selben Haus wie meine Großeltern. Frau Maier, sagten die Erwachsenen, sei verwirrt. Sie habe vergessen, dass sie in der Terlaner Straße wohne. Aber ich glaubte Frau Maier und war mir sicher, sie wartete nur, bis sie wieder aufbrechen konnte, dorthin, wo sie wirklich daheim war. So ging es vielen, wenn der Verstand die Herrschaft über sie aufgab, dann zog es die Beine, den Körper, alle beseelten Zellen dorthin, wo das Altvertraute war.

    Überhaupt schien es, als würde die Siedlung nur aus Leuten, die woanders daheim waren, zu bestehen. Da gab es die Bozner, die Pusterer (aus dem Pustertal), die Ratschingser, die Buchensteiner, die Rittner, die Passeirer und so weiter. Nie sagte jemand über die Leute von der Siedlung, sie seien Kufsteiner oder Sparchner. Der Stadtteil hieß eigentlich Sparchen, aber für uns alle war es damals nur die Südtirolersiedlung.

    Sosehr „die Südtiroler von außen für „die Stadtler in Kufstein eine Einheit bildeten, sosehr wusste jeder in der Siedlung, dass es diese Einheit nicht gab. Zwischen den verschiedenen Tälern bestanden unsichtbare Bruchlinien, ebenso wie zwischen Ladinern und Deutschsprachigen, zwischen denen, die wieder zurückwollten, und denen, die sich das nicht mehr trauten oder es nicht mehr konnten, weil es „drinnen" nichts mehr gab, wohin sie gehen hätten können, manchmal nicht einmal das Willkommen in den eigenen Familien. Manch Erbe war in einer Schräglage verteilt worden, mancher Groll bildete eine undurchlässigere Grenze als die zwischen Italien und Österreich in den Sechzigern. Manchmal wurden diese Bruchlinien und Schräglagen spürbar, wenn sich einer, vermeintlich versteckt in der Wohnhöhle und doch rundum hörbar, meist alkoholgetränkt, den Schmerz und die Wut herausschrie oder -schlug.

    Für mich gehörten alle so, wie sie waren, zur Siedlung wie der Eichenbaum vor unserem Haus und das Duxer Köpfl, das über unseren Dächern stand. Jeder bildete ein Stück meiner Normalität.

    Wenn ich mit Frau Maier zurückkam, setzte ich sie auf die Bank der Maiers, die vor einem Holzstoß stand. Jeder Familie in der Siedlung war mit der Wohnung ein Stück Garten zur Selbstversorgung zugewiesen worden. Die Wohnungen hatten fließendes Wasser und Toilette, Keller, Dachboden und eben jeweils ein Stück Garten.

    Viele ansässige Kufsteiner waren auf die Südtiroler anfangs nicht gut zu sprechen. Sie empfanden die Zuzügler als bevorzugt. Viele Städter lebten teils in schlechteren Verhältnissen. Die Südtiroler in den neuen Wohnungen waren auch nicht an den neuen Standard gewöhnt und behielten die Bezeichnungen bei, die den früheren Wohnverhältnissen entsprachen. So sagten sie zu den Toiletten „Abort und zur Spüle „Brunnen, wie es auf den Höfen gewesen war.

    Als Kinder begegneten wir den Vorbehalten der „Stadtler" eher selten, da die Siedlung wie ein eigenes Dorf etwas abseits zwischen der Innenstadt und dem Eingang ins Kaisertal lag und die Stadt für uns weit weg war.

    Der Garten meiner Großeltern befand sich zwischen Mutschlechners und Maiers. Da stand Opas rote Bank. Er saß oft dort, trug den blauen Schurz, seinen Hut. Ich setzte mich gerne neben ihn. Die rote Bank war ein guter Beobachtungsplatz, Erzählplatz, Schauen-wie-die-Kohlrabi-wachsen-Platz.

    Oft berichtete Opa von Menschen, die ich nicht kannte, die „drinnen waren. So nach und nach kam ich dahinter, dass er mit „drinnen Südtirol meinte. Die Menschen in seinen Geschichten wurden mir durch sein Erzählen zunehmend vertrauter und begannen sich zu den Leuten zu gesellen, die ich hier in der Siedlung kannte. Es gab also die sichtbaren Leute und die unsichtbaren, und beide bevölkerten meine Kinderwelt und Fantasie.

    Oft taten wir nichts anderes als schauen. Zu schauen gab es immer etwas. Was mir sehr interessant erschien, war Herr Maier. Wenn seine Frau nicht gerade losmarschierte, setzte er sich in Bewegung. Er war im Gegensatz zu seiner Frau ein großer, hagerer Mann,

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