Bei euch soll es nicht so sein! - Missbrauch geistlicher Autorität
Von Hannah A. Schulz
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Über dieses E-Book
Die Autorin schöpft aus Quellen der ignatianischen Tradition. Sie bezieht sich auf typische Gefahrenpunkte, die in Exerzitien oder in geistlicher Begleitung entstehen können.
→ geistlichem Missbrauch vorbeugen und ihn erkennen
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Rezensionen für Bei euch soll es nicht so sein! - Missbrauch geistlicher Autorität
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Buchvorschau
Bei euch soll es nicht so sein! - Missbrauch geistlicher Autorität - Hannah A. Schulz
Macht und Autorität
Bevor wir uns mit ihrem Missbrauch beschäftigen können, müssen wir zuerst verstehen, wozu Macht und Autorität gut sind und was sie voneinander unterscheidet. Beide sind wichtige Arten und Weisen, um soziales Leben zu gestalten und auf Menschen Einfluss zu nehmen. Viele Begegnungen sind von einer Asymmetrie geprägt: Eltern und ihre Kinder, Vorgesetzte und Angestellte, Ärztinnen und Patientinnen. Das ist nicht schlecht, sondern liegt im Wesen dieser Beziehungen begründet. Eine Person hat mehr Macht und/oder Autorität und kann dadurch andere fördern. Das berechtigt aber nicht dazu, seine Mitmenschen zu dominieren oder schlimmer noch zu unterdrücken. Im Gegenteil, es verpflichtet zu besonderer Aufmerksamkeit, um ein respektvolles Miteinander zu gewährleisten. Häufig ergänzen Macht und Autorität sich gegenseitig. Um aber besser zu verstehen, wie sie jeweils missbraucht werden, stelle ich zuerst ihre jeweiligen Eigenarten dar und zeige, wie sie sich voneinander unterscheiden. Philosophen und Soziologen beschäftigen sich schon seit Jahrhunderten mit Macht und ihren Spielarten, was viele verschiedene Theorien hervorgebracht hat. Bei meinen Ausführungen habe ich mich von Hannah Arendt und einigen ihrer Überlegungen inspirieren lassen.
Macht
Die Möglichkeit, Wirklichkeit zu gestalten, nennt man Macht. Ganz positiv betrachtet ermöglicht sie den Menschen, in ihrem Leben etwas zu bewirken, denn wer mächtig ist, kann Dinge verändern. Daher spricht man auch von Handlungsmacht. Das Gegenteil ist Ohnmacht, das heißt ein Zustand, indem jemand hilflos, ausgeliefert, abhängig ist und seine Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass derartige Situationen äußerst unangenehm und nur schwer zu ertragen sind. Auch das ist ein Beleg dafür, dass Macht positiv zum Menschsein dazu gehört und eine Grundlage für ein gelingendes Leben ist. Sie ist sogar Bedingung unserer Freiheit: Nur wer handeln kann, ist frei, sich für oder gegen etwas zu entscheiden und so Leben verantwortlich zu gestalten. Im Konfliktfall kann der Mächtige eigene Interessen auch gegen den Widerstand anderer durchsetzen und Zwang ausüben. Das ist für die davon Betroffenen eher unangenehm und meist wenig förderlich.
Wenn Macht an Titel und Ämter gebunden ist, haben Eignung und Begabung nur eine untergeordnete Bedeutung. So entscheiden Lehrerinnen über Noten und Versetzung, unabhängig davon ob sie gute oder schlechte Pädagoginnen sind. Ebenso haben Priester das Recht und die Pflicht sonntags im Gottesdienst zu predigen, egal ob sie sich gut vorbereitet haben oder nicht.
Macht ist nicht nur an einzelne Personen gebunden und wird nicht ausschließlich individuell gestaltet. Der soziale Kontext spielt eine entscheidende Rolle. Sie schließt ebenso die Fähigkeit mit ein, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um im Namen aller zu handeln. Dies ist zum Beispiel in Orden der Fall, wenn das Generalkapitel eine neue Ordensleitung wählt. Der Rat wird vom Kapitel bevollmächtigt bzw. ermächtigt, um den Orden zu leiten und notwendige Entscheidungen im Sinne des Kapitels zu treffen. Dabei wird die Gestaltungsfreiheit der Leitung von Regeln und Satzungen beschränkt. Die positive Ausübung sozialer Macht ist ein wichtiges Instrument für Gerechtigkeit.
Autorität
Autorität hingegen ist nicht etwas, das einem zusteht, sondern sie entwickelt sich in Beziehungen. Sie hat mit Anvertrauen zu tun und besteht in der Fähigkeit, die Zustimmung und Anerkennung anderer zu gewinnen. Weil die Schüler ihre Lehrerin schätzen und achten, hören sie ihr zu und bemühen sich, gute Leistungen zu erbringen. Während eine Person in der Machtposition auch ohne Zustimmung etwas durchsetzen kann, wird einer Person mit Autorität gefolgt, weil sie für ihr Handeln Zustimmung erntet. So nehmen einige Gläubige lange Fahrtzeiten auf sich, um einen besonders begabten und geschätzten Priester predigen zu hören.
Auch in Autoritätsbeziehungen besteht eine Ungleichheit: Eine Person verfügt über ein Mehr an Wissen, Erfahrung, Kompetenz, Ausstrahlung oder Ähnlichem, wovon die andere Person profitieren möchte. Es geht aber nicht um Durchsetzungsvermögen oder Herrschaft, sondern um die Bereitschaft der Weitergabe des eigenen Reichtums auf der einen Seite und um die Bereitschaft, sich unterweisen und beraten zu lassen auf der anderen Seite. Mit anderen Worten: Autorität setzt auf beiden Seiten eine Verbindlichkeit voraus, die freiwillig eingegangen wird. Man kann sie nicht erzwingen, weder von der Autoritätsperson selber, noch von jenen, die sie dazu machen wollen. Autorität bleibt etwas Dynamisches und ist vom jeweiligen Kontext abhängig, verändert sich und muss immer wieder neu verhandelt werden. Wenn man sie in Regeln und Handlungsanweisungen festlegen will, verwandelt sie sich in Macht. Dennoch können Autoritätspersonen Einfluss auf ihre Gegenüber nehmen, sie herausfordern und ihnen neue Horizonte eröffnen.
Autorität speist sich nicht nur aus Statussymbolen und wohlwollender Zuwendung, sie nährt sich auch von Wissen, Meinungen, Beurteilungen und klaren Positionen. Man spricht dann von rationaler Autorität. Auch wenn der Begriff nicht ganz passend ist, spielt Deutungsmacht hier eine große Rolle. Dabei übernimmt man die Meinungen und Beurteilungen komplexer Zusammenhänge von Personen, die auf ihrem Gebiet als Experten gelten und denen man vertraut. Auch Autorität hat eine soziale Komponente, die über die Zweierbeziehung hinausgeht. Dabei handelt es sich zum Beispiel um das Ansehen und den guten Ruf einer ganzen Institution, von daher spricht man in diesem Kontext von institutioneller Autorität. In der Kirche handelt es sich dabei zum Beispiel um einen bestimmten Orden, eine Pfarrei, eine Hochschule, Verbände und Gemeinschaften. Ist eine Person Mitglied dieser Institutionen, so strahlt etwas von deren Autorität auf sie über, insbesondere dann, wenn die Mitgliedschaft als Auszeichnung gilt und an gewisse Auswahlkriterien gebunden ist. Geistlichen Begleitern wird auf Grund der Beauftragung durch einen Bischof zusätzliche Autorität zuteil, zumindest dann, wenn dies für die Gläubigen ein Gütesiegel ist. Wegen der vielen Skandale kommt es vermehrt vor, dass die Zugehörigkeit zu einem Orden oder die aktive Teilnahme am Leben der Kirche die persönliche Autorität in Frage stellt. Das Maß an Ansehen, Glaubwürdigkeit, Vorbildcharakter und Respekt, das die Institutionen in den Augen anderer haben, ist dabei entscheidend. Die Gegenspieler sind nicht etwa Widerstand oder Feindschaft, so wie es für Macht gilt, sondern Verachtung und Ignoranz.
Die konstruktive Ausübung von Autorität hängt zum größten Teil von der moralischen Integrität der Autoritätspersonen ab. Das Machtgefälle, das sich aus dem Mehr an Erfahrung, Kompetenz, Respekt etc. ergibt, kann in zwei Richtungen