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Namkkwa: von Sternen und frühen Menschen
Namkkwa: von Sternen und frühen Menschen
Namkkwa: von Sternen und frühen Menschen
eBook571 Seiten7 Stunden

Namkkwa: von Sternen und frühen Menschen

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Über dieses E-Book

Eine Reise zu den frühen Menschen. Ihrer Lebensweise. Ihren Vorstellungen. Wir jagen mit ihnen. Wir tanzen mit ihnen. Wir lauschen ihren Geschichten. Wir spielen mit ihnen. Wir malen mit ihnen. Vor allem lachen wir mit ihnen. Ihre ursprüngliche Welt tut sich in ihrer ganzen Fülle vor uns auf. Ihre Pflanzen. Ihre Tiere. Ihre Landschaften. Ihr Verhältnis zu Sonne und Sternen. Zum Leben und zum Tod. Wir begleiten Namkkwa auf ihrem Weg durch dieses ursprüngliche Menschenleben. Wir nehmen teil an ihren Kämpfen und an ihren Träumen. Hautnah erleben wir, wie sie ihr Ich entdeckt. Ihr Bewusstsein und ihr Selbst. Wie sie das in einen Konflikt zu ihrer Gruppe bringt, die sich noch in bewusstloser Unschuld befindet. Wir begleiten Namkkwa auf ihrer Reise zu den Vulkanen, den Fluss hinab bis ans Meer. Wir nehmen teil an ihrer innigen Freundschaft mit der Wölfin Tekwila. Wir erleben mit, wie Namkkwas innere Stimme, ihr Geburtsstern Sargas, zu ihrem Vertrauten wird, mit dem sie innere Dialoge über alle Fragen führen kann, die den Menschen beschäftigen. Hautnah und Schritt für Schritt erleben wir das Entstehen des Bewusstseins. Des Denkens. Die innere Sternenstimme wird mit eigenständigen Denkprozessen konfrontiert. Das Ich wird wahrgenommen. Die Gruppe öffnet sich für die Vorstellung von selbständigen Persönlichkeiten. Ein Roman von großer Dichte mit einer Fülle von liebevoll ausgeführten Details. Er beantwortet viele unserer Fragen nach dem Ursprung des Menschen. Wie alles anfing. Wie sich die Dinge entwickelten. Wir tauchen in das Geschehen ein. Wir erhalten Antworten auf unsere existentiellen Fragen und kommen zu der Einsicht: so wird es gewesen sein.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum15. Apr. 2022
ISBN9783986468804
Namkkwa: von Sternen und frühen Menschen

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    Buchvorschau

    Namkkwa - Wolfgang Schrader

    Namkkwa

    Von Sternen und frühen Menschen

    Wolfgang Schrader

    2. überarbeitete Auflage 2022

    Alle Rechte vorbehalten

    © 2015 Apple of Eden GmbH

    Das Buch ist urheberrechtlich geschützt. Jede unerlaubte Vervielfältigung, Verbreitung, Weitergabe ist untersagt.

    ISBN: 978986464

    Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG, Berlin

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Haftungsausschluss

    Der Inhalt dieses Buches wurde sorgfältig recherchiert und zusammengestellt. Es handelt sich um die persönliche Meinung und Erfahrung des Autors. Weder der Autor noch die Gesellschaft übernehmen irgendeine Haftung oder juristische Verantwortung gleich aus welchem Grund.

    Inhalt

    Die Gruppe

    Buch 2: Namkkwa

    Die Reise

    N!ai und !Xo

    Epilog

    Die Gruppe

    -I-

    Das Licht Sonnes wurde weicher und am Horizont inszenierte sie ein fantastisches Theater mit Schatten, die von blau bis violett spielten. Blutrote Basaltblöcke lagen über die sonst weitgehend leere Ebene verstreut wie Figuren eines gigantischen Brettspiels. Massige, schwarze Gestalten tauchten auf. Friedlich steckten sie ihre Köpfe ins Gras und bewegten sich gemächlichen Schrittes.

    Es waren beeindruckende Kolosse, die ihre mächtigen Körper auf kurze Beinen stützten. Das Maul lief in ein einschüchterndes Horn aus. Ihre Köpfe wurden von zwei grossen Ohren gekrönt, die nach allen Seiten spielten. Die Augen waren klein und blinzelten listig. Hinter dem grossen Horn sass noch ein zweites wie zur Reserve.

    Die Hitze des Tages zog sich zurück und die Temperaturen wurden erträglicher. Die Ebene schwamm auf einem Teppich von rotem Öl, auf den Tinten von Purpur und Violett tropften und verliefen. Spritzer von Gelb und Ocker sowie schreiendem Karmin explodierten über der Ebene, die nun unaufhaltsam in einem immer dunkler werdenden Bordeaux ertrank. Himmel und Erde wurden eins. Binnen Augenblicken waren alle Lichter des Tages erloschen.

    Die Nashörner legten sich auf die Seite, grunzten ein paar Mal, wälzten sich hin und her, bis sie die beste Position gefunden hatten und schliefen ein.

    Über ihnen entflammte ein fantastischer Sternenhimmel.

    Am nächsten Morgen begrüsste die Dickhäuter eine Dämmerung, die kaum weniger atemberaubend war als der Sonnenuntergang am Abend zuvor. Gemächlich stemmten die Kolosse ihre mehr als 1.000 kg in die Höhe, um sich ihrem Frühstück zu widmen. Dies bestand aus Zweigen eines knapp drei Meter hohen Stachelstrauches, der nur bedingt appetitlich erschien. Was empfand das Nashorn wohl, wenn es sich über die Zweige hermachte?

    Die bis dahin friedlich grasenden Nashörner wurden unruhig. Sie hoben witternd die bewehrten Köpfe. Ihre Unruhe steigerte sich zu immer grösserer Erregung. Sie begannen, sich wild im Kreis zu drehen. Kleine Männer waren hinter den Felsen aufgetaucht. Die Nashörner rasten in hohem Tempo davon.

    Bis auf eines. Das wurde von dem guten Dutzend Neuankömmlinge daran gehindert, seinen Kameraden zu folgen. Sie kreisten es ein und liessen es nicht entkommen.

    Obwohl sie dem Nashorn nicht einmal bis zur Schulter reichten, stachen sie es mit langen Speeren und schossen mit Pfeilen nach ihm.

    Dabei spannten sie ihre Bogen aus einem Abstand von nur wenigen Metern und jagten ihrem Opfer Pfeil um Pfeil in den Leib. Und wenn das Nashorn einen aufs Korn nahm, verschwand der blitzschnell hinter einem Basalthügel oder Termitenbau und die übrigen trugen erneute Angriffe vor.

    Bildeten die Knirpse sich wirklich ein, mit ihren Pfeilchen und dünnen Speeren gegen das riesige Rhino etwas ausrichten zu können? Was hatte es ihnen überhaupt getan,

    dass sie es so attackierten? In dem Rhino löste das eine Kette von Reaktionen aus. Hormone schossen aus seinem Bauchraum in den Hypothalamus und brachten den bis dahin so friedlichen Koloss in heftige Rage. Das Nashorn wurde immer zorniger. Die Hormonausschüttungen verursachten eine glühende Wut, von der das ganze Tier erfasst wurde. Es ging nur noch darum, eins dieser Bürschlein zu erwischen und zu zertrampeln.

    Das erwies sich als durchaus problematisch. Zumal nun schon einige Pfeile und Speere die Haut des Dickhäuters durchdrungen hatten und in ihr fest hingen. Vergeblich versuchte der Koloss, sich durch Schütteln und Drehen davon zu befreien. Schliesslich änderte er seine Taktik und konzentrierte sich auf einen seiner Peiniger. Mit gesenktem Kopf visierte er ihn über sein Horn an. Der Kleine rannte davon, so schnell ihn seine Beine trugen. Im Zick-Zack laufend versuchte er, das wütende Rhino abzuschütteln.

    Das verfolgte ihn auch dann weiter, als er versuchte, sich hinter einem Termitenbau zu verschanzen. Der Versuch des kleinen Mannes, den Hügel zu erklettern, misslang. Er verlor den Halt und rutschte dem vor Wut heftig schnaubenden Angreifer direkt vor die Füsse. Mit seinem langen Horn schlitzte das Rhino seinen Gegner auf, schleuderte ihn in die Luft und stürzte sich dann auf ihn. Immer wieder stiess es mit dem Horn zu, bis nur noch eine zerfetzte blutige Masse zu seinen Füssen lag.

    Die Genossen des Getöteten nahmen das zum Anlass, ihre Anstrengungen zu verdoppeln und griffen das Nashorn erneut von allen Seiten an. Dessen Wut schien nach der Vernichtung eines Gegners verraucht. Mit einem Schnauben, das wie ein Stöhnen klang, drehte es sich noch einmal und schüttelte drohend den Kopf mit dem mächtigen Horn gegen die Angreifer, die sich aber nicht beeindrucken liessen. Schliesslich gab das Rhino den Kampf auf. Es brach aus der Umzingelung aus, was die Jäger geschehen liessen. Das Rhino folgte seinen Kameraden in einem Galopp, dem die kleinen Männer gar nicht erst zu folgen versuchten. Das Entkommen des Dickhäuters schien sie nicht zu bekümmern. Nachdem sie erst alles daran gesetzt hatten, das Rhino zur Strecke zu bringen, liessen sie es nun seines Weges ziehen.

    Die Wut des Nashorn und der dadurch ausgelöste Gegenangriff waren nachvollziehbar. Der Angriff der kleinen Männer auf die friedlich an den Dornbäumen knabbernden Rhinos war unprovoziert und nicht zu rechtfertigen. Dass sie einen der Ihren auf so grausame Weise verloren, hatten sie sich selbst zuzuschreiben.

    Das Rhino galoppierte weiter auf der gut sichtbaren Spur seiner Kameraden, wobei Speere und Pfeile aus der Haut hervorstachen wie die Stacheln eines Stachelschweins. Merkwürdigerweise fielen sie auch nicht herab. Durch die Bewegungen des Nashorns schienen sie sich immer tiefer in die Haut einzugraben.

    Einige Male blieb das Rhino stehen und versuchte auf verschiedene Weise, sich der lästigen Begleiter zu entledigen. Es warf sich auf den Boden und wälzte sich. Es scheuerte sich an Basaltblöcken und Termitenbauten und versuchte mit Horn oder Maul an die Quälgeister heranzukommen. Es half nichts. Und so nahm es mehr und mehr frustriert seinen Galopp wieder auf.

    Aber mit der Zeit schienen sich die ungeheuren Kräfte des Nashorns zu erschöpfen und aus dem Galopp wurde ein Trab. Dann verfiel es in ein schwankendes Schritttempo. Endlich tauchten seine vor den kleinen Unholden geflohenen Kameraden unter einer Baumgruppe auf.

    Das Rhino war offenbar am Ende seiner Reserven. Kein Wunder nach dem Kampf und dem langen Galopp. Noch etwas anderes fiel auf: Sein Herz schlug nicht mehr so rhythmisch wie vorher und der Koloss atmete schwer, obwohl er nur noch im Schritt ging.

    Pfeile und Speere waren vergiftet, höchstwahrscheinlich mit dem Gift des Gelben Pfeilgiftkäfers. Es waren die Larven, die verwendet wurden. Sie wurden ausgepresst und auf die Spitzen von Pfeilen und Speeren geträufelt. Wenn das Gift in die Blutbahn geriet, erfolgte eine langsame Vergiftung. Die roten Blutzellen wurden allmählich der Schadstoffe nicht mehr Herr, dem Vergifteten wurde schwindlig, er geriet in Atemnot und es kam schliesslich zum Herzstillstand.

    Je nach Menge des Giftes und der Grösse des Vergifteten konnte das Stunden, sogar Tage dauern. Die Pfeilspitzen waren mit kleinen Widerhaken besetzt und drangen deshalb immer tiefer in die Haut des Opfers ein. So konnte das Gift über einen längeren Zeitraum in die Blutbahn gelangen.

    Es war zu befürchten, dass das Rhino die Vergiftung nicht überleben würde.

    Was genau passierte, wenn ein Wesen starb? Bei der Vernichtung des kleinen Mannes durch das Rhino war kaum etwas übriggeblieben, das Auskunft hätte erteilen können.

    Das Rhino hatte seine Kameraden erreicht, die sich ungerührt an neu entdeckten Dornbüschen und dem Gras, das in ihrem Schatten wuchs, gütlich taten. Es schleppte sich unter einen Baum und liess seine gewaltige Masse mit einem Stöhnen niedersinken. Das liess die anderen schon stutzen, aber nur kurz, dann wandten sie sich wieder ihrem Futter zu. Mitgefühl schien nicht ihre Stärke zu sein.

    Das Rhino wurde immer kurzatmiger, das Herz schlug immer erratischer. Urin und Kot strömten aus seinen Körperöffnungen. Es zitterte heftig, wurde dann aber ruhiger. Die Töne, die nun aus ihm hervordrangen, klangen wie ein tiefes Schnarchen.

    Nun wurden auch die anderen Rhinos auf das Geschehen aufmerksam. Sie kamen herbei und stupsten den Todkranken aufmunternd an. Der blickte sie stumm an. Noch einmal entrang sich ihm ein tiefes Stöhnen. Dann stand sein Herz still. Die anderen Nashörner fuhren noch eine Weile mit dem gut gemeinten Stupsen fort, bis sie einsahen, dass hier nichts mehr zu machen war. Gleichmütig wandten sie wieder der Nahrungsaufnahme zu.

    Der Tag neigte sich, die Farben wurden samtig und am Horizont sah man die Gruppe der kleinen Männer mit ihren Speeren herbeieilen. Die Rhinos hatten offensichtlich keine Lust auf eine neuerliche Konfrontation und trotteten eins nach dem anderen davon. Ihr toter Kamerad blieb unter dem Dornbaum liegen.

    Es dauerte noch eine Weile, bis die Männer das Nashorn erreicht hatten. Offenbar waren sie sich ihrer Sache sehr sicher gewesen. Es erstaunte sie nicht, dass das Nashorn seinen Verletzungen bereits erlegen war.

    Sie legten ihre Waffen ab und hockten sich im Kreis um das Rhino. Von der Aggressivität, mit der sie das Nashorn angegriffen hatten, war nichts mehr zu spüren. Stattdessen behandelten sie den toten Giganten mit offensichtlichem Respekt. Sie streichelten ihn sogar und legten ihre Wangen an den riesigen Körper.

    Schliesslich holten sie kleine Zweige hervor und begannen die Haut mit schwarzer und weisser Farbe zu bemalen, die sie aus zwei eirunden Gefässen, offensichtlich Eiern eines sehr grossen Vogels, bezogen. Dazu stimmten sie einen melodischen Singsang an, akzentuiert von rhythmischen Zisch- und Schnalzlauten.

    Noch überraschender als dieses Verhalten waren die Zeichnungen, die im Laufe kurzer Zeit zu erkennen waren: das ganze Geschehen des Tages, ihr Angriff auf das Nashorn, der Gegenangriff des Nashorns auf ihren Kameraden, dessen Tötung sowie schliesslich der Tod des Nashorn wurden mit sicherer Hand auf die Haut skizziert. Jede Bewegung, jede Kontur des Nashorns in seinen verschiedenen Aktionen waren perfekt wiedergegeben. Ihre Selbstdarstellung beschränkten sie auf das Notwendigste: Arme, Beine, Körper und Kopf. Dafür kamen sie mit wenigen Strichen aus. Individuelle Unterschiede blieben unberücksichtigt.

    Da sass jeder Pinselstrich, da gab es kein Zögern, kein Korrigieren. Jeder wusste genau, was er tat und musste das schon oft gemacht haben. Was für ein Gegensatz zu der Erbarmungslosigkeit, mit der sie ihr Opfer zur Strecke gebracht hatten. Auch der melodische Gesang, der einem traditionellen Ritual zu folgen schien, war melodiös und friedfertig.

    Einer nach dem anderen beendeten die Jäger ihre Malerei und versanken in stummer Betrachtung des Ergebnisses.

    Einer von ihnen durchtrennte mit einem Knochenmesser die Halsschlagader des Rhinos. Grosse Mengen von Blut quollen hervor, die im staubigen Boden versickerten. Sie liessen das Blut in die Hände laufen und benetzten ihre Lippen damit.

    Anschliessend begannen sie, den Bauchraum des Rhinos aufzuschneiden. Sie entnahmen die Leber, das Herz, den Magen, die Nieren, die Pankreas, die Hoden und die Hypophyse. Jeder schnitt sich von den entnommenen Teilen ein Stück ab.

    Sie setzten sich im Kreis um das Rhino und jeder verzehrte seinen Anteil roh. Dabei schlossen sie die Augen und schienen in einer bewegungslosen Andacht zu versinken. Als sie nach und nach aus dieser Versenkung wieder auftauchten, sah man ihnen die grosse Befriedigung über das gelungene Abenteuer an. Intensiv begannen sie aufeinander einzureden und bald klang lautes Lachen über die sonst immer stiller werdende Ebene.

    Voller Enthusiasmus schilderten sie sich gegenseitig ihre Heldentaten beim Angriff auf das Nashorn. Wer wie viele Pfeile abgeschossen hatte, wer am wagemutigsten gewesen war, wer die wildesten Sprünge vollführt hatte. Das alles wurde begleitet von heftigem Gestikulieren. Immer wieder sprang einer auf, um zu demonstrieren, wie er seinen Pfeil geschossen oder seinen Speer geworfen hatte.

    -II-

    Die Männer waren von sehniger Gestalt, ohne ein Gramm überflüssiges Fett, aber mit einem üppigen Hinterteil. Sie mochten vielleicht 150 cm messen und um die 40 kg wiegen. Ihre Haut war goldfarben und auf dem Kopf hatten sie kurze schwarze Locken. Auffällig waren ihre sanften Gesichter und ausdrucksvollen Augen. Wenn man sie so sah, mochte man kaum glauben, dass sie vor kurzem ein 1.500 kg Rhinozeros zur Strecke gebracht hatten. Ihre beim Angriff auf das Rhino gezeigte Aggressivität war entspannter Fröhlichkeit gewichen. Sie unterschieden sich nur wenig. Als wären sie alle miteinander verwandt.

    Ihre Sprache bestand im Wesentlichen aus Ausrufen und Namen für Tiere, Pflanzen, Naturerscheinungen und Werkzeuge. Der Sinn ihrer Äusserungen erschloss sich erst durch die Gesten und Emotionen, mit denen die sie ihre Sprache begleiteten.

    Für sich allein ergaben die Laute der Sprache keinen Zusammenhang, mit dem man etwas hätte anfangen können. Auffällig war, dass selten einer allein sprach. Meist redeten alle auf einmal und ein Dialog schien darin zu bestehen, dass einer die Worte des anderen mit leichten Variationen wiederholte.

    /Auni erzählte gerade, wie er zu dem Entschluss gekommen war, Jagd auf das Nashorn zu machen: Traum, Sterne, Elnath. /Auni, Kraft. /Ganin, /Hais, //Kxau. Gottesanbeterin, Stachelschwein, Elnath. /Xam-!Kake, //N!ke, Gelber Pfeilgiftkäfer, //Obanen, //Xekwe, !Khomani, !Xo, Speere, Pfeile, /Oree, /Taise, Schneckenhaus, Farben.

    Für sich genommen war das natürlich unverständlich. Aber zusammen mit der Gestik, der Mimik, der Emotion und der Reaktion der Zuhörer ergaben sich sinnvolle Sätze:

    "/Auni lag unter den Sternen und hatte einen Traum. Kraft strömte aus den Sternen auf /Auni hernieder. /Ganin und /Hais liefen mit /Auni zusammen unter die Sterne und fingen die Sternenkraft auf. //Kxau kam hinzu. Die Gottesanbeterin und ihre Adoptivtochter, das Stachelschwein, erschienen und alle bewunderten unsere Kraft. Elnath forderte /Auni auf, das grosse Nashorn zu jagen und sich mit seiner Kraft zu vereinen.

    Als /Auni aufwachte, lief er zu /Xam-!Kake und //N!ke, damit sie ihm halfen, die Raupen des gelben Pfeilgiftkäfers zu sammeln. Zusammen mit //Obanen, //Xekwe, !Khomani und !Xo zerquetschten sie die Raupen und träufelten den Saft auf ihre Speere und Pfeile. /Oree und /Taise füllten zwei Schneckenhäuser mit schwarzer und weisser Farbe."

    Mit den Lauten der Sprache, den Gesten und der Mimik schafften die Menschen Bilder nach aussen, die vor ihrem inneren Auge standen. Die Kommunikation hatte zum Ziel, diese Bilder auch in der Vorstellung der Zuhörer entstehen zu lassen. Die Sprache hatte keine Verben, die wurden durch Gesten ersetzt. Sie hatte auch keine Adjektive, auch hierfür gab es Zeichen und Mimik.

    Offensichtlich kam vor der Sprache das Bild. Die Geschicklichkeit der Menschen, sich in Zeichnungen und Bildern auszudrücken, war deutlich weiterentwickelt als ihre Sprache. Dadurch, dass sie die Worte des anderen wiederholten, vergewisserten sie sich, dass sie ihn richtig verstanden hatten. Sprache hatte im Gegensatz zu Bildern eine fatale Tendenz, missverstanden zu werden.

    Inzwischen war es noch dunkler geworden und die Menschen sammelten Zweige und schichteten einen kleinen Haufen davon auf. Einer von ihnen, den sie //Kxau riefen, zog zwei Holzstäbe aus einem Beutel, in dem er auch seine Pfeile transportierte. Den grösseren Stab legte er vor sich auf den Boden und hielt ihn mit seinen Füssen fest. Den kleineren nahm er zwischen seine Handballen und presste ihn in die kleine Aushöhlung des Holzstabes auf dem Boden. Geschickt und blitzschnell rollte //Kxau nun den Stab zwischen seinen Handballen hin und her.

    Nach einer Weile krümmte sich ein Faden von weissem Rauch aus dem Holz am Boden hervor. //Kxau beugte sich darüber und legte eine Handvoll dürres Gras hinzu. Vorsichtig blies er auf das Arrangement und nach kurzer Zeit sprang eine kleine Flamme aus dem Grasbüschel.

    Immer weiter blasend hob //Kxau das Grasbüschel auf, trug es zu dem Zweighaufen und schob es hinein. Schnell fingen die ersten Zweige Feuer und bald brannte der ganze Haufen. Eine dünne Rauchsäule stieg kerzengerade in den windstillen Nachthimmel. Alle elf versammelten sich um das Feuer und zogen bemalte Häute aus ihren Flechttaschen hervor. Die legten sie auf die Schultern.

    Eine gewisse Feierlichkeit legte sich über die Szene. /Xam-!Kake brachte etwas zum Vorschein, das der Hypophyse des Rhinos ähnelte, nur kleiner. Er legte es in eine Muschelschale und schob diese ins Feuer. Nachdem der Inhalt zu Asche verbrannt war, wurde die Muschelschale wieder herausgezogen. Einer nach dem anderen blies nun auf die Asche in der Muschelschale, so dass die Ascheteilchen von dem Feuer emporgetragen wurden. Das wiederholten sie so lange, bis keine Asche mehr übrig war.

    Gute Reise !Khomani, sprachen sie in einem rhythmischen Singsang, !Khomani geht zu Scheat! Scheat nimmt !Khomani wieder in seinen Schoss. !Khomani ruht sich bei Scheat aus. !Khomani kommt bald wieder zurück.

    Dabei wandten sie die Blicke den Sternen zu.

    Nach dieser Prozedur formten sie Mulden im Sand und legten sich hinein. Die Häute zogen sie über Kopf und Körper. N!ke blieb noch sitzen und sorgte dafür, dass das Feuer Nachschub erhielt. Die anderen schlossen die Augen und schliefen einer nach dem anderen ein.

    Scheat ist ein Stern im Sternbild Pegasus. Die Männer hatten die Hypophyse von !Khomani verbrannt und die Asche auf die Reise zu Scheat geschickt. Scheat war anscheinend mit !Khomani verbunden. So wie /Auni mit Elnath verbunden war. Der hatte im Traum zu /Auni gesprochen und ihn auf die Idee mit dem Rhinozeros gebracht. Elnath war ein Stern im Sternbild Stier. War jeder Mensch auf diese Weise mit einem Stern verbunden?

    Mit der Verbrennung von !Khomanis Hypophyse hatten die Männer etwas von !Khomani befreit, das nun symbolisch oder tatsächlich zu Scheat aufgestiegen war. Das, was da aufgestiegen war, musste der Teil von !Khomani sein, der nicht zerstört werden konnte. Der Teil, der sich nach Vorstellung der Männer im Schosse von Scheat ausruhen und danach zu ihnen zurückkehren konnte.

    Das Leben auf der Erde war einzigartig im Universum. Als Konsequenz hatte es eine andere Einzigartigkeit: den Tod. So ging es auf der Erde zu: was lebte, musste sterben. Was für ein schreckliches Schicksal! Geboren zu werden um zu leben. Dann aber zu leben in dem Wissen, sterben zu müssen.

    Verständlich, dass die Menschen einen Trost suchten. Ihr Ausweg war die Vorstellung, dass sie zu einem Stern, mit dem sie in noch nicht erkennbarer Weise verbunden waren, zurückkehren würden.

    Am Himmel strahlte im Osten Sirius, im Westen fielen die Sternbilder Skorpion und Schütze ins Auge. Je länger man schaute, desto mehr Sterne zeigten sich, bis der ganze Himmel mit ihren Glitzerpunkten bedeckt war. Von einem anderen Stern aus betrachtet, war auch die Erde nichts als ein weiterer Glitzerpunkt. Mit dem Unterschied, dass die Oberfläche der Erde von lebendigen Wesen unterschiedlichster Formen und Grössen wimmelte.

    Diese irdischen Lebewesen waren deutlich komplexer zusammengesetzt als alle sonstigen Wesen des Universums. Sterne bestanden fast ausschliesslich aus Wasserstoff und Helium. Selbst die Gesteins-Planeten brachten es nicht einmal auf 100 verschiedene Elemente. Noch dazu waren sie einander recht ähnlich.

    Das konnte man von den Bakterien, Viren, Blutzellen, Nervenzellen, Hormonen usw., die sich in den irdischen Lebewesen tummelten, nicht behaupten.

    Diese Lebenselemente hatten vollkommen unterschiedliche Gestalten und Funktionen. Es gab sie in einer Vielfalt, die unüberschaubar war. Ausgerechnet auf diesem unbedeutenden Planeten eines unbedeutenden Sternensystems in einer unbedeutenden Galaxie. Den Grund dafür hatte bislang noch niemand erklären können.

    Schon bei oberflächlicher Schätzung bestanden die Lebewesen aus Milliarden von völlig unterschiedlichen Zellen und Molekülen. Bei näherer Betrachtung konnte einem geradezu schwindlig werden. Da hatte man noch nicht einmal angefangen, sich mit dem Sinn dieser Teilchen zu beschäftigen.

    Dazu kamen die Erdphänomene einer sauerstoffreichen Atmosphäre wie Wolken, Regen, Schnee, Blitz und Donner. Auch die gab es auf keinem Planeten in annähernder Form. Nahm man noch Tag und Nacht und die unterschiedlichen Jahreszeiten hinzu, hatte man ein Szenario, das einem den Atem verschlagen konnte.

    Das Innenleben des Menschen war nicht viel anders organisiert als beim Nashorn oder anderen Säugetieren. Die grossen Organe Herz, Leber, Magen und Bauchspeicheldrüse waren ebenso vorhanden wie Nieren, Geschlechtsdrüsen und Hypophyse. Und im Kopf gab es die gleiche grauweisse Masse, wenn sie auch im Verhältnis zur Körpergrösse umfangreicher war als beim Nashorn.

    Es gab rote Blutkörperchen, die Sauerstoff durch den Körper transportierten und weisse Blutkörperchen, die sich mit den Viren zofften. Es gab Bakterien, Eiweisse, Kohlenhydrate, Fettzellen und die diese Zellen aufspaltenden diversen Säuren. Nicht zu vergessen Hormone, die von den verschiedensten Drüsen und Nervenknoten im Körper produziert wurden und von dort in den Blutkreislauf gelangten. Sie alle leisteten ihren Beitrag zum Leben, das die Erde von allen anderen Himmelskörpern unterschied.

    Auch der Schlaf war im übrigen Universum unbekannt. Da legten sich diese Erdenwesen hin, schlossen die Augen, verlangsamten ihren Herzschlag und begaben sich in eine andere Welt. Eine Welt, die nur sie sahen. Eine Welt aus Bildern und sie begleitenden Sinnesempfindungen. Sinnesempfindungen, die Unbewältigtes aus dem Wachzustand aufarbeiteten. Die eine mehr oder weniger verschobene Wirklichkeit erzeugten, in der vieles möglich wurde, von dem man sich sonst nichts hätte träumen lassen.

    /Auni träumte. Sein Traum bildete sich zwar in Zellen der Grosshirnrinde wie auf einem Bildschirm ab, aber die Emotionen, die diese Bilder auslösten, kamen aus dem Bauchraum. Überhaupt gab es einen unaufhörlichen intensiven Austausch zwischen dem Bauchraum, dessen Organen und dem Gehirn.

    /Auni lief über die Ebene in Begleitung einer Frau, die ein Kind auf der Hüfte trug. Es begegnete ihnen eine Herde Zebras. /Auni sagte zu der Frau: '/Auni hat Hunger auf ein Zebra. /Auni weiss, dass N/isa sich in einen Löwen verwandeln kann. N/isa bitte bring /Auni ein Zebra.'

    Aber /Nisa wollte nicht. Wieder bat /Auni: 'Bitte N/isa bring /Auni ein Zebra.' Aber N/isa wollte nicht. Erst als /Auni sie zum dritten Mal bat, legte sie das Kind unter einen Baum und wendete sich den Zebras zu. Dabei wuchsen ihr gelbe Haare auf Rücken und Schultern und wurden zu einem dichten Löwenfell. Sie stand nun auf vier gewaltigen Pranken und ihre Muskeln spielten im Licht.

    Voller Schrecken kletterte /Auni auf den Baum. N/isa aber sprang auf ein Zebra zu, zog es mit den Pranken auf den Boden und verbiss sich in seiner Kehle, bis es verröchelte. Dann zerrte sie das Zebra unter den Baum.

    Vor Angst schlotternd wagte /Auni sich nicht herunter. 'Bitte, N/isa soll wieder N/isa werden,' wimmerte er. Die Löwen-N/isa schaute /Auni mit blutunterlaufenen Augen drohend an: '/Auni fragt N/isa nie wieder, wenn er ihren Anblick nicht ertragen kann.' Damit verwandelte sie sich zurück in eine Frau, band sich ihr Kind auf die Hüfte und ging davon. /Auni beeilte sich, vom Baum herunterzukommen und ihr nachzueilen. Seinen Hunger und das Zebra hatte er vergessen.

    Diese Menschen brachten es fertig, sich in unterschiedlichen Realitäten aufzuhalten.

    /Auni lag da und hatte die Augen geschlossen. Das war die Realität, in der er sich mit allem um ihn herum gemeinsam befand. Mit seinen Kameraden, mit den Tieren und Pflanzen.

    Gleichzeitig erlebte er eine zweite Realität: In der verwandelte sich eine Frau, die er gut kannte, in eine Löwin. Die erwürgte ein Zebra. Diese zweite Realität war für /Auni von der ersten nicht zu unterscheiden. Die Intensität, mit der er sie erlebte,

    war gleich. Er schlotterte vor Angst vor der Löwen-N/isa. Die war in diesem Moment für ihn so real wie nur möglich. Erst als sie sich wieder zurückverwandelte, wagte sich /Auni wieder von seinem Baum herunter.

    Wodurch unterschieden sich die beiden Realitäten? Dadurch, dass in der geträumten Realität ungewöhnliche Dinge passierten? Aber villeicht konnten die Menschen sich auch in der ersten Realität in Tiere verwandeln?

    Alles war miteinander verbunden. Die Sternenwesen, die Menschen und die Tiere. Die Menschen kamen von den Sternen und gingen wieder dahin zurück. Durch eine rituelle Tötung eigneten sie sich die Eigenschaften von Tieren an.

    Erlangten sie dadurch die Fähigkeit, sich in diese Tiere zu verwandeln? Funktionierte das auch umgekehrt? Konnten auch Tiere Menschengestalt annehmen? War alles im Fluss? Mit sich ständig verschiebenden Grenzen?

    Wo fing so ein Lebewesen an und wo es hörte es auf? Wie grenzte es sich zur Umgebung ab? Je nach Art der Betrachtung waren diese Lebewesen eine Ansammlung von Elementarteilchen, ein Haufen zusammen geklumpter Moleküle oder aber Individuen, die sich durch eine äussere Hülle von ihrer Umgebung unterschieden.

    Welche Betrachtungsweise war in Bezug auf die Erde und ihre Lebewesen angebracht? Wenn die Grenzen eines solchen Lebewesens verschwimmen konnten. Wenn sie offensichtlich ihre Identität wechseln konnten. Wenn sie in unterschiedlichen Realitäten gleichzeitig existieren konnten.

    Und wie stand es mit dem Bewusstsein? Wo und wann setzte das ein? Sicherlich nicht bei den Elementarteilchen. Bei den zu Zellhaufen zusammen geklumpten Molekülen? Oder erst ab dem Individuum, das sich durch eine äussere Hülle von den Molekülen und Lebewesen der Umgebung abgrenzte? Gab es unter Umständen für jede Realität, für jede neue Identität ein anderes Bewusstsein?

    -III-

    Es wurde wieder Tag, die Sterne verblassten, Sonne tauchte blutrot am Horizont auf und stieg rasch höher. Die Menschen erwachten, reckten und streckten sich und tranken aus Strausseneiern Wasser. Dazu verzehrten sie kleine Knollen, trockene Früchte, Nüsse und Ameiseneier. /Auni schien es vorzüglich zu schmecken. Sein Traumerlebnis war ohne Nachwirkungen geblieben.

    Nach dem Frühstück rollten sie ihre Häute zusammen und verstauten sie in Flechttaschen, die sie sich über die Schulter hängten. In diese Flechttaschen kamen auch die Reste der dem Nashorn entnommenen Organe.

    Nach dem Löschen des Feuers hatten sich mit Geier, Schakal, Hyäne und Co. einige Interessenten für den toten Leib des Nashorns eingefunden. Noch hielten die sich in respektvoller Entfernung. Der Kreis um den Kadaver wurde aber enger. Es war absehbar, dass man sich auf das tote Rhino stürzen würde, sobald die Menschen gegangen waren.

    Warum hatten die Jäger eigentlich nur die wenigen Organe genommen und den Rest unberührt gelassen? Wenn sie sich von Fleisch ernährten, machte das keinen Sinn.

    Von den entnommenen Organen hatten sie nur ein ganz kleines Stück gegessen den Rest nahmen sie mit.

    Nun spielten Leber und Magen bei der Verdauung eine wesentliche Rolle, die Nieren bei der Entgiftung, die Bauschspeicheldrüse, die Hoden und die Hypophyse bei der Herstellung von Hormonen. Das Herz war der Motor für den Blutkreislauf. Es ging wohl darum, die eigenen Organe durch den Verzehr der entsprechenden Organe des Nashorns gezielt zu stärken. Das Fleisch wurde bei so einer rituellen Tötung ganz bewusst nicht angerührt.

    Die elf Jäger hatten ihre Vorbereitungen für den Aufbruch abgeschlossen und machten sich auf den Weg. Sie bildeten dabei eine Reihe hintereinander und schritten elastisch aus. Die Speerträger bildeten die Vorhut und die Bogenträger die Nachhut. Nach etwa 1.000 Schritten fielen sie in einen lockeren rhythmischen Trab, um nach weiteren 1.000 Schritten wieder in ihr Schritttempo zurückzufallen. So ging das fort im steten Wechsel, ohne dass sie ermüdeten.

    Die Landschaft änderte langsam ihr Bild, das Gras wurde saftiger, den allgegenwärtigen Dornbäumen gesellten sich Akazien hinzu und sogar vereinzelte Baobabs tauchten auf. Als Sonne ihren Höchststand erreichte, machten die Läufer eine Pause. Mehrere Akazien luden ein, sich in ihren Schatten zu setzen. Die Jäger tranken Wasser aus ihren Strausseneiern und verzehrten Nüsse und Datteln. Dann legten sie sich hin für ein kurzes Nickerchen.

    Zwischen den Augen und dahinter entstand ein leichter Druck bei /Aunis. Wellen von Wohlgefühl stiegen aus dem Bauchraum bis zur Stirn auf. Botenstoffe. In diesem Fall Endorphine. Sie entstanden in den Darmzotten und und trafen sich hinter der Stirn in der Hirnanhangdrüse. Sie waren es, die für /Aunis die angenehmen Gefühle auslösten. Nach der Anstrengung des Laufes belohnte ihn sein Hormonsystem mit körpereigenen Wohlgefühlen.

    Auf den ersten Blick erschien das Dasein der Erdenwesen ziemlich mühselig und voller Gefahren. Anscheinend gab es auch Phänomene, die sie dafür entschädigten.

    Nach der Pause setzten die Menschen ihren Lauf fort. An einem Wasserloch tranken sie und füllten ihre Strausseneier wieder auf. Am Rande des Wassers deuteten jede Menge Spuren im Schlamm darauf hin, dass auch andere Zeitgenossen sich hier erfrischten.

    ---

    Wasser war ein wesentlicher Bestandteil der Ernährung. Wasser, das es auf anderen Himmelskörpern in flüssiger Form nicht gab. Auch die anderen Planeten des irdischen Sternensystems, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Pluto inklusive ihrer Monde hatten kein Oberflächenwasser.

    Es sprach vieles dafür, dass die Wesen auf der Erde Wasser benötigten, um leben zu können. Konnte man daraus umgekehrt schliessen, dass überall dort kein Leben möglich war, wo es kein Wasser gab? Auch der Sauerstoff schien eine Voraussetzung für das Leben auf der Erde zu sein.

    Auf Mond, dem Trabanten der Erde, gab es weder Wasser noch Sauerstoff. Und auch kein Leben. Obwohl nach letztem Erkenntnisstand Mond eine Absplitterung der Erde war. Vor ca. 4 1/2 Milliarden Jahren stiess das Sternenwesen Theia, das etwa Marsgrösse hatte, mit der Erde zusammen. Die Erde verschmolz mit Theia, aber ein Teil löste sich während des Zusammenstosses und fing weitere Absplitterungen ein. Daraus bildete sich Mond und wurde durch die Anziehungskraft der Erde ihr Trabant. Allerdings ohne Leben.

    Die Läufer erreichten eine immer üppiger werdende Landschaft. Hinter einer letzten Hügelkette öffnete sich der Blick auf ein fruchtbares Tal mit einem See, der bis an den Horizont reichte. Während am Ufer des Sees Schilf und dichte Papyrusstauden wucherten, standen landeinwärts Dattelpalmen, Affenbrot- und Feigenbäume in malerischen Gruppen. Dahinter öffnete sich eine Ebene von tiefem Grün, das von einer Vielzahl von Antilopen, Gnus und Zebras begrast wurde. Hin und wieder ein Trupp Elefanten und einzelne Giraffen.

    Was für ein Anblick! Man konnte sich kaum satt sehen an der Pracht. Da machten sich diese Menschen die Mühe, ein gefährliches Nashorn zu jagen, von dem sie dann nur ein paar Organe mitnahmen. Dabei fand sich hier Jagdwild in Hülle und Fülle. Ganz abgesehen von den Früchten der Bäume. Ein weiteres Indiz, dass diese Jagd nichts mit ihrer Ernährung zu tun gehabt hatte.

    -V-

    /Auni hat mitgebracht, was Elnath ihm aufgetragen hat.

    War das /Auni, der mit sich selbst sprach? Elnath war der Stern, mit dem /Auni verbunden war und der ihn im Traum auf die Idee mit der Nashorn-Jagd gebracht hatte. Sprach /Auni mit Elnath?

    /Auni hat von der Leber des Nashorns mitgebracht und vom Herzen und vom Magen und von den Nieren und von den Hoden und von der Leber und von der Bauchspeicheldrüse und vom Sitz seines Sterns.

    Dies kam zweifellos von /Auni, aber er sprach die Worte nicht. In den Nervenzellen seines Hirns spielten lediglich Bilder und Farben. Die emotionalen Impulse, die bei /Auni Bilder und Farben erzeugten, kamen aus /Aunis Kopf. Aus einer Stelle hinter den Augen. Aus der Gegend zwischen Hypothalamus und Türkensattel. Aus /Aunis Hypophyse?

    /Auni teilte Elnath mit, welche Organe des Nashorns er mitgebracht hatte. Aber was war der „Sitz seines Sterns? Welches Nashorn-Organ war damit gemeint? Herz, Magen, Nieren, Hoden, Leber und Bauchspeicheldrüse hatte /Auni genannt. Die Hypophyse nicht. War der „Sitz seines Sterns also die Hpophyse? Wieder die Hypophyse. Der schien eine besondere Rolle zuzukommen.

    Es war die Hypophyse von /Khomani, die verbrannt worden war. Aus der Hypophyse stieg /Khomani zu seinem Stern Scheat auf. Wenn ein Mensch starb, kehrte der Stern an seinen Platz am Himmel zurück und nahm etwas vom Menschen mit. Etwas, das den Mwenschen befähigte, zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf die Erde zurückzukehren.

    Die Kommunikation mit Elnath, de mit /Auni verbundenen Stern, erfolgte ebenfalls über die Hypophyse. Viel sprach dafür, dass die Sterne ihren Sitz in der Hypophyse hatten. Auch bei dem getöteten Nashorn.

    „Verteilt heute Abend die Organe. Jeder soll etwas bekommen, damit die Kraft des Nashorns auf euch übergeht."

    Das war zweifellos nicht /Auni. Es machte keinen Sinn, wenn er sich selbst Anweisungen erteilte. Das musste Elnath sein. Elnath, der aus der Hypophyse heraus zu /Auni sprach.

    Wird gemacht, erwiderte /Auni denn auch.

    Die Jäger waren inzwischen von anderen Menschen entdeckt worden, die unter einer Gruppe von Fächerpalmen gelagert hatten. Freudig kamen sie herbeigeeilt, voran ganz kleine Gestalten, gemächlicher die grösseren.

    Während die elf Jäger einander stark ähnelten, wichen die Herbeieilenden von ihnen ab: üppige Brüste schaukelten beim Laufen hin- und her. Dafür fehlte das schrumplige Glied zwischen den Beinen von /Auni und seinen Kameraden. Die Jäger waren etwas grösser und sehniger als die Menschen mit den üppigen Brüsten. Bei den ganz kleinen Gestalten waren die Unterschiede nur zu erahnen.

    Kinder, Frauen und Männer. Es gab die Menschen in dreierlei Gestalt: die ganz Kleinen waren die Kinder, die mit den Brüsten waren die Frauen und die mit den Schrumpelgliedern zwischen den Beinen waren die Männer.

    Die Jäger und die Zurückgebliebenen berührten sich mit offensichtlicher Freude und Zuneigung, sie fassten einander an den Handgelenken und legten die Wangen aneinander. Dabei redeten alle auf einmal. Ihre Sprache zeichnete sich ohnehin nicht durch besondere Verständlichkeit aus. Das Chaos, in dem gut zwei Dutzend Personen versuchten, sich den anderen verständlich zu machen, hätte vollkommener nicht sein können. Es war unmöglich, den Sprachensalat zu entwirren. Nicht einmal im Ansatz konnte man verstehen, worum es ging.

    Das ging so eine ganze Weile. Man lief durcheinander, jeder musste begrüsst werden, jedem musste das Neueste erzählt werden. Dazu wurde heftig gestikuliert und es wurden alle möglichen Grimassen geschnitten. Man umfasste sich und zog sich hierhin und dorthin. Man versuchte sich an Intensität und Lautstärke gegenseitig zu übertrumpfen. In einem wahren Crescendo fand das Ganze seinen Höhepunkt und löste sich in einem nicht enden wollenden Gelächter. Schliesslich rollte die ganze Gesellschaft auf dem Boden und hielt sich die Bäuche.

    Dieses Lachen stieg aus dem Zwerchfell auf in den Kehlkopf und wurde stossweise aus dem Mund herausgelassen. Es bildete sich immer wieder von neuem wie eine Luftblase, die einen Ausgang sucht. /Auni war offensichtlich nicht in der Lage, es zu steuern. Er konnte es wirklich nicht. Er hielt sich den Bauch, weil er Schmerzen hatte und er rollte sich auf dem Boden, weil er die Schmerzen im Stehen nicht ertragen konnte.

    War Lachen nicht etwas Heiteres? Woher kamen dann die Schmerzen? Wieso musste man sich dazu auf dem Boden herumrollen?

    Allmählich beruhigten sich die Menschen. Weiterhin hatten sie einander jede Menge zu erzählen. Das zog sich schon dadurch in die Länge, weil die Äusserungen der Gesprächspartner wiederholt wurden. Missverständnisse musten geklärt werden. Daraus entwickelten sich heftige Dispute. Die Menschen hatten ziemliche Probleme damit, sich dem anderen verständlich zu machen.

    Irgendwann kehrten sie unter die Bäume zurück, wo mit Blättern und Zweigen einfache Schutzwände errichtet waren. Davor hatte man Gras und weiche Blätter aufgeschichtet. Kleine Feuer brannten und in einem Durcheinander von Körpern, Armen und Beinen liess man sich erschöpft an den Feuern nieder.

    Die Jäger holten die mitgebrachten Organe aus ihren Taschen und verteilten sie an die Zurückgebliebenen. Dabei wurde peinlich darauf geachtet, dass jeder ein Stück von jedem Organ erhielt. Die Ministücke der kleinen Hirnanhangdrüse hatten schon mehr symbolischen Charakter.

    Zerteilt wurde mit Messern aus Knochen und Eisenholz. Während die Jäger ihren Anteil roh gegessen hatten, steckten die meisten der Frauen und Kinder ihre Organteile auf kleine Zweige und brieten sie über dem Feuer.

    Die vorübergehende Beruhigung hielt nicht lange an. Während die Dämmerung sich mit immer dunkler werdenden Schattenfingern über den tiefroten See herantastete, wurden die Jäger aufgefordert, noch einmal die Geschichte von der erfolgreichen Nashornjagd zu erzählen.

    Ein Schauspiel entwickelte sich nun, dass an Dramatik schwer zu überbieten war. Beim blossen Erzählen liess man es nicht bewenden. Gesten, Grimassen und Pantomimen reicherten das Ganze an. Die Zuhörer mischten sich lautstark ein. Die Jäger wurden ständig von Zwischenrufen und Anregungen unterbrochen.

    Es handelte sich eigentlich um ein sehr kleines Nashorn, begann !Xo und zeigte eine Grösse an, die der eines Hasen entsprach.

    Nein, widersprach //Obanen, es war höchstens so gross.

    Das Nashorn schrumpfte auf Hühnergrösse. Und so ging es weiter. Einer nach dem anderen behauptete, dass das Nashorn noch kleiner gewesen sei, bis es nicht einmal mehr in die Hirnanhangdrüse gepasst hätte. Anfängliches Staunen der Zuhörerschaft

    wich zunehmendem Amüsement, bis wieder allgemeines Prusten und Schenkelklopfen angesagt war.

    Das Nashorn dürfte gut 1.500 kg gewogen haben. Warum machten sie es so klein?

    Die Jagdgefährten kamen zu der Stelle, wo sie das Nashorn mit Pfeilen und Speeren angegriffen hatten:

    Es war schon ein ziemlich ängstliches Nashorn, berichtete /Xam-!Kake. Wir brauchten es nur ein wenig mit den Speeren zu kitzeln und die Bogen zu spannen, da ergriff es auch schon die Flucht.

    Dabei lief es versehentlich über !Khomani hinweg, ergänzte /Ghani, der über einen Termitenhügel gestolpert war und zerquetschte ihn.

    Der tatsächliche Hergang war schon etwas anders gewesen. Das Nashorn hatte !Khomani in einem wütenden Gegenangriff mit seinem Horn aufgespiesst und geradezu zerfetzt. !Khomanis Schicksal und die Tatsache, dass einer der Ihren bei dem Abenteuer zu Tode gekommen war, schien aber der Heiterkeit nicht den geringsten Abbruch zu tun.

    /Auni näherte sich einer der Frauen, die sie N!ai nannten:

    !Khomani ist zu Scheat zurückgekehrt. /Auni tröstet N!ai gern. Dabei blickte er N!ai hoffnungsvoll an.

    N!ai erwiderte seinen Blick abschätzig: Tut mir leid, /Auni fürchtet sich vor Löwe-Frau. Auch N!ai ist eine Löwe-Frau.

    Und damit wandte sie sich ab und ging auf !Xo zu. Sie fasste ihn an der Hand und redete ihn an:

    !Khomani war N!ais Lieblings-Mann. Jetzt ist er zu seinem Stern zurückgekehrt. Will !Xo sich zu N!ai legen?

    !Xo lief unter seiner goldenen Haut rot an, liess es aber zu, dass N!ai ihn zur Seite führte. Einigen Frauen war die Szene nicht entgangen war. Sie warfen einander vielsagende Blicke zu.

    Das Ableben von !Khomani schien bei N!ai nicht gerade grosse Betrübnis auszulösen. Offensichtlich ging man davon aus, dass !Khomani zu seinem Stern Scheat zurückgekehrt war. Eine eher erstrebenswerte Vorstellung. Das machte verständlich, warum der Tod des Kameraden nicht betrauert wurde.

    Aber wie konnte N!ai von /Aunis Traum mit der Löwin wissen? Auch das 'zu mir legen' schien eine Bedeutung zu haben, die nicht auf Anhieb klar wurde.

    Unmissverständlich dagegen war, dass /Auni von N!ai abgewiesen worden war, weil sie !Xo bevorzugte.

    Nun meldete sich auch Elnath aus der Hypophyse von /Auni wieder zu Wort:

    Das macht ihr gut, dass ihr eure Taten klein redet. Dann wird niemand neidisch.

    Kein Löwe oder Elefant soll auf uns aufmerksam werden, erwiderte /Auni mit seiner Hypophysenstimme, die für Elnath reserviert zu sein schien. Wir haben das gewaltige Nashorn getötet und uns seine Kraft angeeignet, aber das soll unter uns bleiben.

    Nicht einmal mir gegenüber darf /Auni damit prahlen, mahnte Elnath.

    Das war also der Grund: sie waren zurückhaltend und untertrieben, damit kein anderes mächtiges Wesen sich durch sie herausgefordert fühlte. Das machte Sinn.

    Derartige Wesen erforderten Aufmerksamkeit und Rücksicht. Zweifellos fühlten die Menschen sich von ihnen beobachtet. Als gäbe es einen Kontakt zu diesen Wesen, auch wenn sie gar nicht zu sehen waren.

    Ihr Umgang mit Informationen war kompliziert. Was sie mit ihren Sinnen aufnahmen, kam in ihren Sinnenspeicher. Dort wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der die Informationen einordnete und mit bereits im Gedächtnis vorhandenen Informationen verglich. Dieser Prozess erfolgte automatisch und führte schnell zu Ergebnissen. In der Folge konnte sich ein Handeln ergeben. Oder ein Abwarten, ob ihre Sterne sich äusserten. Nicht selten geschah gar nichts.

    Die Sterne wie /Aunis Elnath mischten sich mit Kommentaren ein und gaben Anweisungen. Teilweise direkt, teilweise über Träume.

    Wenn sie ein Erlebnis wie ihre Jagd auf das Nashorn erzählten, konnten die Menschen die Tatsachen verändern. Sie waren dazu in der Lage, ohne mit der Wimper zu zucken. Aus Bescheidenheit. Um mächtigere Wesen nicht auf sich

    aufmerksam zu machen. Was mochten das für Wesen sein? Löwen, Elefanten und wer noch?

    Diese Menschen wurden stark von ihren Emotionen bestimmt. Von Liebe und Mitgefühl. Die flossen allerdings nicht stetig und gleichbleibend, sondern übernahmen nur hin und wieder das Kommando. Den Hormonen vergleichbar.

    Die Aufgabe, ihr Leben führen zu müssen, nahm die Menschen so in Anspruch, dass sie sich ihren Emotionen nicht uneingeschränkt hingeben konnten. Sie vertrauten ihnen nicht vorbehaltlos. Sie versuchten, sie unter Kontrolle zu halten.

    -VI-

    Den sie //Xekwe nannten, hatte mit einigem Missvergnügen beobachtet, dass N!ai sich !Xo gegriffen hatte. Hatte er doch selbst ein Auge auf die hübsche N!ai geworfen und sich nach dem Ableben von !Khomani Hoffnungen gemacht. Aus seiner Enttäuschung heraus entwickelte sich ein innerer Dialog zwischen //Xekwe und seinem Sternenwesen Pollux:

    Warum hat Pollux das zugelassen? Pollux weiss doch, dass //Xekwe N!ai für sich begehrt. Jetzt liegt sie mit !Xo in den Büschen und //Xekwe hat das Nachsehen!

    Noch ist nichts verloren, erwiderte Pollux. Wir werden sehen, was sich machen lässt. Pollux lässt sich etwas einfallen.

    "Aber lass //Xekwe da raus! !Xo ist

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