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Freiheit in Kaponga
Freiheit in Kaponga
Freiheit in Kaponga
eBook603 Seiten9 Stunden

Freiheit in Kaponga

Von Jo Moe

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Über dieses E-Book

Ich weiß immerhin schon mal, wer ich nicht bin.
Auf keinen Fall bin ich einer jener Superreisenden... Einer, der zu Fuß die Nordhalbkugel abgelaufen ist oder einer, der mit dem Fahrrad am Äquator seine Bahnen gezogen hat.
Ich bin auch nicht durch die Südsee geschwommen, hab auch keinen der 14 Achttausender bestiegen oder bin mit dem Bobbycar durch die Sahara gekrochen sowie schon gar nicht mit Inline Skates über die Antarktis geschlittert.
Nein, mit keiner von jenen Aktivitäten kann ich glänzen und solch Errungenschaften habe ich nie verfolgt.
Ich bin ein ganz gewöhnlicher Suchender... einer, der für sich selbst aufgedeckt hat, dass er das viele Unterwegssein - das in fremde Kulturen eintauchen oder auch das einfach mal bloß stundenlang auf einer Bank verweilen, um währenddessen das Treiben der Menschen zu beobachten - und das dabei ins echte Geschehen Hineingeschnuppere äußerst schätzt...ich fühle, wie bezaubernd es immer wieder von Neuem ist, frischen Wind spüren zu dürfen.
Ja, ich bin jemand, der sich gerne von seinem Bauchgefühl und seinen Sinnen einfach leiten lässt.
In meinem Buch Freiheit in Kaponga beschreibe ich viele dieser Augenblicke, die eben entstehen, wenn man sich fallen lässt... kleine Momente, die Großes in mir ausgelöst und mir enthüllend erzählt haben, dass ich einen anderen Weg zu gehen habe als jener, der mir in der Heimat förmlich aufs Butterbrot geschmiert wird.
Für meine Art des Reisens braucht man keine besonderen Fähigkeiten, keine kräftigen Beine oder einen eisernen Wille, gepaart mit irgendeinem verrückten Ziel, das man bissig verfolgt, um vielleicht einen Eintrag ins "Guinness-Buch der Rekorde" zu bekommen.
Nein, solchen Zielen jage ich nicht hinterher, darum geht es mir nicht.
Ich möchte nicht durchs Leben hetzen, sondern viel lieber öfters einfach stehen bleiben und mich setzen.
Demnach verfolge ich in keinster Weise diesen "Höher, Schneller, Weiter"-Gedanken.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. März 2020
ISBN9783347032491
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    Buchvorschau

    Freiheit in Kaponga - Jo Moe

    Vorwort

    Ich weiß immerhin schon mal, wer ich nicht bin. Auf keinen Fall bin ich einer jener Superreisenden, einer, der zu Fuß die Nordhalbkugel abgelaufen ist oder einer, der mit dem Fahrrad am Äquator seine Bahnen gezogen hat. Ich bin auch nicht durch die Südsee geschwommen und hab auch keinen der 14 Achttausender bestiegen oder bin mit dem Bobbycar durch die Sahara gekrochen und schon gar nicht mit Inline Skates über die Antarktis geschlittert. Nein, mit keinem von jenen Aktivitäten kann ich glänzen und solch Errungenschaften habe ich nie verfolgt. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Suchender, einer, der für sich selbst aufgedeckt hat, dass er das viele Unterwegssein, das in fremde Kulturen eintauchen oder auch das einfach mal bloß stundenlang auf einer Parkbank verweilen, um währenddessen das Treiben der Menschen zu beobachten und das dabei ins echte Geschehen Hineingeschnupper äußerst schätzt. Ich fühle, wie bezaubernd es immer wieder von Neuem ist, frischen Wind spüren zu dürfen. Ja, ich bin jemand, der sich gerne von seinem Bachgefühl und seinen Sinnen einfach leiten lässt.

    Mit „Freiheit in Kaponga beschreibe ich viele dieser Augenblicke, die entstehen können, wenn ich mich fallen lasse. Es sind die kleinen Momente, die Großes in mir ausgelöst und mir enthüllend erzählt haben, dass ich einen anderen Weg zu gehen habe als jenen, der mir in der Heimat förmlich aufs Butterbrot geschmiert wird. Für meine Art des Reisens braucht man keine besonderen Fähigkeiten, keine kräftigen Beine oder einen eisernen Wille, gepaart mit irgendeinem verrückten Ziel, das man bissig verfolgt, um vielleicht einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde zu bekommen. Nein, solchen Zielen jage ich nicht hinterher, darum geht es mir nicht. Ich hingegen möchte nicht durchs Leben hetzen, sondern viel lieber öfters einfach stehen bleiben und mich setzen. Demnach geht es mir in keinster Weise um diesen „Höher, Schneller, Weiter-Gedanken und auch nicht darum, besonders ausgefallene Sachen zu machen oder jede berühmte Sehenswürdigkeit abgelichtet zu haben, um diese dann à la Selfie-Kultur prahlsüchtig allen anderen Zuhausegebliebenen durch die scheinheilige virtuelle Welt zu jagen. Ich mag viel lieber meinen eigenen, meinen wirklichen Weg beschreiten — ja, auch davon gern mal etwas abgehen — und brauche dafür erst recht kein falsches, hinterhergeworfenes Lob von Menschen, die in Schubladen ihre Gehirne parken. Genau davon versuche ich mich stets von Neuem zu befreien. Und so ergibt es sich von ganz alleine, dass ich immer wieder auf Begegnungen mit Menschen treffe, die mir wirklich Besonderes mit auf meinen ungeordneten Lebensweg geben können.

    Beim Verreisen geht es mir auch nicht darum, möglichst viele Länder in einer Reihe hintereinanderweg bereist zu haben. Also, ich bin auch nicht derjenige, welcher sich zu denjenigen zählen darf, die am Stück ein paar Jahre unterwegs auf einer Weltreise gewesen sind. Nein, ich bin zu jeder Zeit gern nach Deutschland zurückgekehrt und zeige mit diesem Weg, dass, wenn ich mich wieder zurück durch heimatliche Mauern bewege, ja auch das eine Art des Reisens für mich ist. Meine Reise ging demnach einfach immer weiter. Ja, ich wollte und will kein Ende, keinen Haken an diese Auszeit des normalen Lebens zeichnen — sprich, an mein Unterwegssein in meiner „Lebens-To-do-Liste", die am Kühlschrank klebt, ein Kreuzchen machen — und das Ereignis jener Weltreise, also diesem dann verflogenem Lebensabschnitt, nicht als abgehakt und abgearbeitet betrachten. Doch werde ich bei all den unterschiedlichen Zeiten und anhand vieler Begebenheiten meinen Weg und auch mich selbst immer wieder in Frage stellen. Bei all den Momenten aber, schenkt mir das Verreisen das Gefühl, ein wirklich freier Mensch zu sein. Ich beschreibe, wie dieses befreiende Gefühl in mir wächst und gerade beim ungeplanten Unterwegssein so richtig in mir gedeihen kann. Meiner Ansicht nach kann das echte, freie Reisegefühl nicht gefunden werden, wenn man im All-inclusive-Urlaub früh morgens sein frisch gebügeltes Handtuch, wohl am besten noch aus dem Hotelzimmerfenster auf den Liegestuhl in der ersten Reihe am Pool wirft um sich dann im weiteren straff durchorganisierten Tagesverlauf von einem aufgezogenen Animateur durch den hitzigen Tag hetzen zu lassen und sich am Abend auf sein wohlverdientes deutsches Essen zu freuen.

    Darüber hinaus bin ich äußerst froh, dass die Welt während meiner ersten Reisejahre noch nicht ganz so durchgestylt war, wie ich sie heute vorfinde. Ja, um damals Informationen aus dem World Wide Web zu ziehen, musste ich mich noch hinter einem klobigen Computer in irgendeiner Kammer eines Internetcafés verkriechen. Zudem gab es auch noch kein booking.com, maps.me und all die anderen Hilfsmittel, wie all die zahlreichen Apps zur rollenden Fortbewegung, die heutzutage beinahe in jedem Winkel im Free Wifi abrufbar sind. Werkzeuge, die ich auch heute noch so weit wie möglich meide, um mir durch die Nichtnutzung all dieser vorher beschriebenen Bequemlichkeiten das mit Sicherheit verlorengehende Abenteuer, was uns Erdenbürger auf unserem globalisierten Erdball eben dadurch auf sehr leichtem Weg zertrümmert wird, noch in Bruchstücken zu bewahren. Der schönste Weg, ein Land mit seinen Kulturen und Menschen wirklich kennenzulernen und dabei etwas tiefer in die jeweilige Atmosphäre einzutauchen, ist für mich obendrein, sich auf eigene Achse und ohne die im Vorfeld groß geschmiedeten Pläne auf den Weg zu machen. Ich benenne es ganz gern und einfach so: Geplant planlos reisen. Und dies ist wirklich wunderbar und stets mit mehreren Abenteuern verbunden. Ja, das Leben ist einfach viel zu kurz, um auf solch prägende Erlebnisse zu verzichten. Das Gefühl, das mir das Reisen schenkt, ist oft unbeschreiblich und ganz ohne Zweifel auch unvergesslich und immer wieder aufs Neue echt faszinierend. Und selbst dann, wenn die Dinge scheinbar alle gegen mich zu laufen scheinen. Echte Gefühle kann man sich nicht kaufen, man bekommt sie sogar for free.

    Ja und eines weiß ich ganz gewiss. Ich will nie aufhören, Kind sein zu dürfen, was ich mir glücklicherweise auch nicht einreden muss. Ich möchte abenteuerlustig, wissbegierig und mit vielen Fragen durchs Leben turnen — ja, das ist es, was ich wirklich will. Denn dann bin ich lebendig und brauche nicht mit der Spitzhacke in der Hand nach dem „wahren Glück" zu graben. Eben drum, weil ich es viel zu sehr liebe, mir meine wenigen Erdentage so zurecht zu basteln, wie ich das für richtig halte — meine unbezahlbaren Momente. Und Ihr seid herzlich dazu eingeladen, davon zu lesen.

    PS: Ich darf auch jetzt schon mal verraten, dass ich noch ein zweites Buch geschrieben habe, wo es weniger um meine Reisen geht, dafür gebe ich aber einen großen Einblick zu jenen Themen, die mich durch das ungezwungene Verreisen und der damit verbundenen freien Zeit angetrieben haben, eine tiefere Sicht in die etwas versteckteren Blickwinkel zu wagen.

    Einleitung

    Mein erstes kleines Erlebnis auf der Suche nach Freiheit begann als Kind und Winnetou-Fan in der ehemaligen, begrenzten DDR. Mit einem kurzen Einblick in die Geschehnisse zu dieser Zeit, zeige ich, dass mein Drang nach Freiheit schon von klein auf in mir keimte und ich natürlich riesig froh darüber war, als die Wende den roten Wind aus der für mich verkehrten Republik pustete. Ja, erst dadurch wurden mir neue Richtungen sowie einige Jahre später die Möglichkeit eröffnet, meine erste große Reise zum roten Kontinent anzutreten. Einen Trip, bei dem ich noch Berührungsängste vom Alleinreisen hatte, aber dennoch in manch Augenblicken spürte, dass mich das Gefühl von Freiheit mit jeder vergangenen Woche des Wegseins von der Heimat fangen kann —ein Gefühl, das im Laufe der folgenden Reisejahre stets und ständig in mir blühen und wachsen konnte.

    Somit offenbare ich bei all den dann folgenden Reisen die großen Unterschiede des „alleine, „zu zweit oder auch „zu dritt" Reisens sowie die unterschiedlichen Begleiter, egal, ob ich mit Bus, Bahn oder eigenem Auto unterwegs bin. Zudem beschreibe ich, welch Eindrücke sowie welch Wissen ich auf diesen Wegen erlangte und anhand welcher Erlebnisse, ich zu welchen Erkenntnissen gekommen bin, was mir wiederum den Anlass dazu gab, sehr ausführlich von meinen Geschichten zu berichten. Und dennoch bin ich mir durchaus bewusst, dass ich deshalb manch Momente zu detailverliebt beschrieben habe. Ja, ich weiß auch …

    Und ich bin mir natürlich darüber im Klaren, dass man solch einen Satz, wie ich ihn gerade aufgedeckt habe, genau hier an dieser Stelle am besten vermeiden sollte, wenn man die Menschen nicht davon abhalten möchte, ein paar Kröten für mein Buch zu investieren. Aber wie Ihr seht, hab ich es ja trotzdem getan. Warum? Weil es nun mal die Wahrheit ist und genau dieser gewichtige Hintergrund mein Anliegen dieses Buches darstellt. Eben nicht permanent bloß von den „Schönwetter-Begegnungen" zu berichten, sondern von vielen kleinen Momenten, die alltäglich beim ungeplanten Unterwegssein entstehen können — um damit sehr gut zu beschreiben, was wirklich eine Reise ausmacht und all das ohne verfälschten Blick sowie sehr authentisch, was sich für meine Begriffe am ansehnlichsten darstellen lässt, wenn ich dabei ins Detail gehen darf.

    Überdies erzähle ich diese Geschichten in Anlehnung an die damalige Zeit sowie der damit verbundenen Sichtweise. Doch mein Werk besteht nicht nur aus meiner Biografie jener Reiseerlebnisse sowie der mir immer wieder selbststellenden Frage nach der Tragweite der Zeit. Eine ganz besondere Bedeutsamkeit bekommen auch all meine Erlebnisse, die mit dem Heimkehren im Zusammenhang stehen. Hierbei bringe ich zum Vorschein, wie ich mein Leben auch außerhalb der Reiseabenteuer gestalte. Dabei schlittere ich stets wieder in einen Zwiespalt zwischen Fernweh und der Suche nach meinem Heimatgefühl und zeige, wie ich mir bei jeder Heimkehr immer mehr die Frage stelle, ob es vielleicht doch besser wäre, endlich sesshaft zu sein. Somit verwickele ich mich selbst zunehmend in einen inneren Konflikt und dabei lasse ich Euch ganz nah an meine Gedanken und Gefühle heran. Außerdem vertraue ich Euch mit meinen Worten einen sehr genauen Einblick an, ob mich mein sehr freies Leben ohne festen Job oder sonst irgendwelche Hindernisse der Gesellschaft wirklich glücklich macht und stelle mir beständig aufs Neue die folgende Frage: Bin ich wirklich frei?

    Das Thema Freiheit wird somit zu meinem Hauptbegleiter in meinem Buch. Ich zeige, was ich damit alles in Verbindung bringe und wie mich dieses große Wort in all meinem Handeln prägt und das nicht nur anhand meiner eigens erlebten Geschichten, sondern auch immer in Bezug zu den Ländern, in welche ich meine neugierigen Füße setzen durfte. Auf die Geschichte der jeweiligen Länder werde ich zum größten Teil aber im Anhang eingehen. Doch ganz ausführlich, detailliert und völlig ungeschnitten nehme ich Euch von Tag zu Tag mit auf eine besondere Asien Reise, bei der ich meine live geschriebenen Tagebucheinträge in mein Druckerzeugnis fließen lasse. Denn bei diesem Trip empfand ich wie noch nie zuvor und das innerhalb kürzester Zeit, dass ein Menschenkind wie ich es bin, gleichzeitig von sehr vielen unterschiedlichen Gefühlen umkreist sein kann. Nebstdem umgaben mich ganz neue Arten von Furcht und ich erkannte auch echte Angst in mir …

    Kapitel 1

    Kindertage, die DDR und der Friedhof

    Als Kind liebte ich es, die wunderbaren Filme Winnetous zu sehen und natürlich wünschte ich mir, wie dieser Ureinwohner Amerikas zu sein. Ich fand den fremden Indianer einfach toll: er war stark und charakterlich einfach ganz anders als die hinterhältigen weißen Männer. Deshalb wollte ich auch ständig Verfilmungen mit dem Häuptling der Apachen anschauen. Sie kamen, so denke ich, auf ARD oder ZDF. Doch selbst das Einschalten dieser Sender wurde in der ehemaligen DDR wie ein kleines Verbrechen behandelt, aber meine Familie ließ sich davon nicht beeindrucken und sich auch nicht dieses kleine Stückchen Freiheit nehmen. Und so sah ich, wie Winnetou völlig freiheitsliebend durch großartige Landschaften ritt und sehnte mich bereits damals, im Jahr 1985 als kleiner fünfjähriger Knirps, nach diesem Leben.

    Meine Eltern bemerkten schon bald die Begeisterung, die ich für das Indianerleben empfand und schenkten mir — es war, so glaube ich, der fünfte Geburtstag — ein rotes, klappriges Indianerzelt. Zusammengehalten wurde es von drei Holzstöcken sowie dünnem roten Stoff und ich hoffte, dass diese Zweige das Wigwam ebenfalls bei einem schwachen Wind noch befestigen würden. Ja, ich nahm mir sogar vor, ganz bald mal darin zu übernachten, aber stellte es zunächst erstmal an die äußerste Gartengrenze zwischen alte Holunderbäume und spielte sowie vergnügte mich tagsüber im Zelt, denn noch war ich äußerst glücklich über meine ersten eigenen drei Wände und über diesen Stellplatz. Allerdings wollte ich irgendwann mehr und über den Gartenrand hinaus. So frohlockte es mich des Öfteren, einfach das Zelt zu schnappen und etwas weiter weg vom Haus sowie Garten, meinen Eltern, Brüdern und unserem aufmerksamen Hund zu sein. Mein heimlicher Wunsch war es, endlich mal aufzubrechen und so packte ich eines Tages etwas Essbares in meinen grauen DDR-Beutel, klemmte das rote Indianerzelt unter den Arm und war frohen Mutes, den rechten Weg zu finden. Allerdings schon nach etwa fünfminütigem Fußmarsch hinaus aus dem Dorf verharrte ich auf einem Feld neben dem dort fließenden Fluss und überlegte, ob ich mich noch weiter weg bewegen sollte. Und weil mir das Geplätscher des Gewässers an dieser Stelle gefiel, beschloss ich, einfach dort zu bleiben, schmiss den Beutel ins Gras, bohrte zaghaft die dünnen Zeltwandstöcke in den Boden und blickte, nachdem ich die wenigen Handgriffe erledigt hatte, unter der flachen Hand — die ich an die Stirn hielt — in die Ferne und erschien mir dabei selbst fast wie ein richtiger Indianer. Bald darauf jedoch begann es, zu dämmern an diesem lauen Sommerabend und so verkroch ich mich lieber ins Zelt. Dazu ließ ich den Eingang geöffnet, starrte in den Himmel und wartete auf die funkelnden Sterne. Doch je dunkler es wurde, umso unbehaglicher fühlte ich mich und war mir auch nicht mehr ganz so sicher, völlig alleine sein zu wollen, bis dieses unwohle Gefühl plötzlich in Angst umschlug, als ich irgendein Tier hörte, was laut an meinem Zelt herumschnüffelte. Während ich dann hektisch darum bemüht war, meinen Eingang zu verschließen, erkannte ich den Unruhestifter. Freude stieg in mir auf, da mir Augenblicke später unser treuer Irish Setter über meine Finger leckte. Levis freute sich natürlich überschwänglich, mich zu sehen und auch ich war erleichtert, weil mich mein Vati und unser Hund wieder mit zurück nach Hause begleiteten.

    Nach diesem ersten kleinen Moment der Freiheitssuche sollten jedoch Jahre vergehen, bis ich zum zweiten Mal den Mut fassen sollte und das Alleine Aufbrechen wagte. Bis dato reiste ich zusammen mit meiner Familie und der näheren Verwandtschaft meiner Mutti an die Mecklenburgischen Seenplatten. Als Kind war es dort immer wieder, von Jahr zu Jahr, wunderschön und es wurde auch nie langweilig. Zu diesem Zeitpunkt lebten wir in der tiefsten DDR und hatten, also insbesondere meine Eltern, nicht wirklich die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wohin es über die Grenzen des Gebiets hinweg gehen könnte. Gern möchte ich an dieser Stelle kurz zusammenfassen — ob es mich nun direkt betraf oder nicht — was den Staat meiner Kindheit ausmachte. Ja, ich darf schon mal verraten, dass mich dieses totalitäre System allemal sehr geprägt hat. Die DDR — sie war eine beklemmende, ja ganz und gar einklemmende Diktatur, die sich am Bild des großen Bruders der Sowjetunion orientierte und sich diesen kommunistischen Staat zum gewichtigen Vorbild machte. In jedem Klassenzimmer unserer Schule in Friedrichswerth hing in großen braunen Rahmen eingeschlossen an der Wand das ernste, mahnende Gesicht Ernst Thälmanns, der einst Anhänger der KPD war; die Politik und die Wirtschaft wurden zentral vom Staat geregelt und jeder private Besitz, vor allem Unternehmen und Geschäfte, gingen in staatlichen Besitz über. Es wurden Produkte, speziell die der Lebensmittel, sowie Bekleidungsindustrie, vom Staat subventioniert, weshalb es sogar möglich war, dass ein Brötchen nur fünf Pfennige kostete. Aber sobald die Waren aus dem Westen eingeliefert wurden, schnellten die Preise in die Höhe. So bezahlten wir für eine Ananas gleich mal 18 Mark und selbst die ungenießbaren Dinge kosteten vergleichsweise richtig viel Geld.

    „Luxusgüter (moderne, „hochwertige Dinge) waren somit stark überteuert, so dass wir für unseren Ost-Farbfernseher um die 5000 Mark hinblättern mussten, wofür meine Eltern natürlich eine halbe Ewigkeit sparen mussten. Mein Vater war zum damaligen Zeitpunkt Alleinverdiener und erzielte bei weitem nicht den durchschnittlichen Verdienst eines DDR-Bürgers von etwa 1000 Mark. Auf die sogenannten „Westwaren, die man in den Intershops erhalten konnte, hatten wir allerdings noch keinen Zugriff. Das waren kleine Läden an wenig auserwählten Orten, in denen die Westprodukte nicht mit der DDR-Mark bezahlt werden konnten, sondern nur mit Fremdwährungen, wie beispielsweise der West-Mark. Diese Währung des deutschen Nachbars durften die Ostbürger jedoch nicht besitzen und somit war es den Menschen in den frühen Achtzigern nicht möglich, in den Genuss der im westlichen Teil Deutschlands existierenden Produkte zu kommen, bis dieses Gesetz schließlich später aufgehoben wurde. Bevor es jedoch dazu kam, konnten zunächst nur die Westbürger oder Menschen aus diversen weiteren Ländern jene Geschäfte als echte, einzige Zielgruppe besuchen. In diesen „Oasen erhielten dann später zudem auch endlich die „Ossis alle möglichen Genussmittel, die ansonsten in keinem anderen Laden erhältlich waren. Doch zudem waren jene Waren, die von der DDR selbst produziert wurden, wie zum Beispiel der Trabant, nur äußerst begrenzt im Handel erhältlich. Ja und so wurde meistens schon bei der Geburt eines Menschen ein Trabi bestellt, damit man eben mit solch einer kostbaren „Dachpappe, sobald der 18. Geburtstag erreicht war, pünktlich über den Asphalt schleichen konnte. Selbst unsere Familie war im Besitz eines älteren Trabis und ich kann mich gut erinnern, wie wir bei Fahrten durch den Regen mit Hilfe von Schwämmen die Dachpappe von einsickernden Pfützen befreien mussten. Aber wir jammerten nicht darüber.

    Was mir weiterhin sehr gut im Gedächtnis geblieben ist, dass auch ich mich für Schokolade oder grüne Bananen stundenlang in eine Reihe vor dem Dorfkonsum einreihen musste. Sprich, um überhaupt etwas zu bekommen, sollte ich mich am besten schon vor der Öffnung des Ladens, das heißt früh morgens, in die Schlange stellen, um eine realistische Chance zu haben, überhaupt irgendetwas ergattern zu können.

    In der DDR herrschte im Prinzip nur eine einzige Partei, die SED, die aus den Forderungen der Sowjetunion entstand, wobei es zu einer Zwangsvereinigung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) kam. Aus diesem Grund kann niemand behaupten, dass es freie Wahlen gab, was bedeutete, dass das Volk jene furchtbare Politik in keine positive Richtung beeinflussen konnte. Die Menschen wurden stattdessen dazu gezwungen, zu gehorchen. „Wer sich dagegen wehrte, fand sich hinter Gittern wieder und fiel dort auch nicht selten auf menschenverachtendste Art und Weise den verbrecherischen Methoden wie Folter und Vergewaltigung zum Opfer." (Zeitzeuge)

    Diese Einschränkungen sollten jedoch nicht die einzigen sein, die der DDR-Bürger am besten ohne auffällig mit der Wimper zu zucken, einfach hinnehmen musste, denn die Stasi sah einfach alles! Ja, auch unsere Familie wurde bespitzelt und nicht nur der nette Nachbar von nebenan; ebenso gehörten gute Freunde meiner Eltern zu dieser Kategorie Spitzelmensch. Doch was mir noch mehr an Lebensqualität genommen hätte, wenn ich in der geschilderten Zeit bereits älteren Semesters gewesen wäre, ist der Fakt des begrenzten Reisens. Sicherlich nutzten die meisten DDR-Bürger die Wochen der großen Sommerferien, um ihren Urlaub anzutreten. Wir, meine zwei Brüder und ich, hatten das Glück, dass unsere Eltern niemals den bekloppten Einfall hatten, uns in diesen schulfreien Zeiten in ein Kinderferienlager zu stecken. Neben der „wunderbaren Idee dieser Einrichtungen, in denen den armen Kindern nicht nur beim Singen von DDR-Liedern das DDR-System ins Gehirn geblasen bekamen, existierte sogar eine weitere Urlaubsalternative für die gesamte Familie — diese wurden als FDGB-Ferienheime bezeichnet. Von der Mutter meines damaligen besten Freundes erfuhr ich, dass es nicht gerade einfach war, dort einen Platz zu ergattern sowie dass eine Ferienkommission der Betriebe darüber bestimmte, ob man dort im Urlaub unterkam oder nicht. Und ich weiß auch noch wie heute, wie sie öfters darüber schimpfte, dass ja die DDR-treuen Bürger, die der SED oder der Stasi angehörten, weitaus bessere Chancen auf diese begehrten Ferienplätze hatten. Doch trotz ihrer „Linienuntreue kamen sie als Familie mal in den Geschmack, dort ihre Urlaubszeit zu verbringen und so wussten sie mir zu erzählen, dass an solchen Orten alles ziemlich straff durchorganisiert war und selbst die Essenszeiten strickt geregelte Termine waren. Und selbst die künstlich geschaffene gute Laune war ein Befehl und wenn man auf diesen Blödsinn keine Lust hatte, wurde den freidenkenden Menschen natürlich das individuelle Reisen in diesem rostenden DDR-Käfig sehr schwer gemacht.

    Erst viele Jahre später habe ich erfahren, dass die Menschen, um beispielsweise an eine Ferienwohnung an der Ostsee zu kommen, mit einem Eigentümer dieser Wohnungen verwandt sein mussten und selbst diese alberne Bestimmung hatte das DDR-Grundgesetz geregelt. Außerdem war er so, dass man auch nicht eben mal mit einem eigenen Boot auf diesem Gewässer herumschippern durfte, denn es bestand dabei ja theoretisch die Möglichkeit der Flucht aus dem Land. Gerade in diesem Gebiet an der Ostsee wurde die Freiheit massiv eingeschränkt, indem „wildes Campen strengstens untersagte wurde. Damit sich die Menschen der DDR an jene absurden Richtlinien hielten, wurden hunderte Polizisten sowie Sicherheitskräfte, die sich stets und ständig im Einsatz befanden, überall hin platziert. Kaum vorstellbar, aber wirklich wahr ist auch die Tatsache, dass der Strand Punkt 20 Uhr gleich einem „Sockenladen einfach dicht gemacht wurde. Ja, all der Käse wurde mir von Leuten berichtet, die solchen Erfahrungen ausgesetzt waren. Weiterhin wurde ich darin unterrichtet, als ich mich auf die wahren Spuren der DDR begab, dass jemand, der zelten wollte, sich mindestens ein halbes Jahr im Voraus einen Platz dafür reservieren musste. Es gab sogar die Möglichkeit, vorausgesetzt man hatte bestimmte Beziehungen, in eines der sozialistischen Nachbarländer zu reisen. Zu ihnen gehörten Ungarn, Polen, die Tschechische Republik, Rumänien, Bulgarien und in Ausnahmefällen Jugoslawien. Am wenigsten kompliziert gestaltete sich hierbei eine Reise nach Ungarn, weshalb sie vielleicht deshalb sehr beliebt war. Wer sich zu den „Auserwählten" zählen durfte, dem war sogar der Weg über den Atlantischen Ozean nach Kuba geöffnet. Aber welche Gefälligkeiten hatte man dafür dem DDR-Staat wohl als Gegenleistung bieten müssen?

    Eine nette Begründung, warum dieser totalitäre Staat das Einreisen in westliche Länder untersagte, war, dass der Schutz des Einzelnen im Westen nicht mehr gewährleistet sei. Wollten somit die Herrschenden etwa ihre Bürger vor den positiven, freiheitlichen Gedanken der westlichen Welt schützen? Das Absurdeste, was ich zu Ohren bekam, war der Punkt, dass, wenn der Drang danach, in ein westliches Land zu reisen, von einem Freiheitsliebenden nicht mehr unterdrückt werden konnte, ihm doch die Möglichkeit unter der Erfüllung bestimmter Bedingungen eingeräumt wurde; in solch einem Fall mussten sie entweder ihr eigenes Kind oder aber deren Ehepartner als „Geisel" in der DDR zurücklassen. Zum Glück war ich damals noch nicht in diesem reifen Alter und der deshalb gegebenen eventuellen Umsetzung dieser Taten ausgesetzt, denn wer weiß, ob ich vielleicht in Versuchung geraten wäre sowie diesen hirnverbrannten Schritt gewagt hätte. Ich weiß nicht, ob mein Drang nach Freiheit wirklich so groß gewesen wäre und ich mich von meinen engsten Familienangehörigen für immer getrennt hätte, um im Westen zu leben. Vielleicht aber wäre der Wille gewaltig gewesen und ich hätte mich aus den hässlichen Tentakeln der DDR befreit, indem ich eine Möglichkeit zur Flucht ergriffen hätte.

    Dem Himmel sei gedankt, dass dann doch plötzlich und völlig unerwartet im Jahr 1989 „Die Wende kam. Schlagartig wurden sämtliche Türen geöffnet und es waren zahlreiche Wege hin zu viel mehr Freiheit gegeben. Endlich fanden wir uns befreit vom Krebsgeschwür der DDR sowie von seiner diktatorischen Tyrannei und waren nicht mehr eingesperrt. Nun ergriffen wir die Chance, durch die geöffneten grauen Käfigtüren durchzufahren und erstmals als Familie die erfrischende westliche Luft zu atmen. Zwei Tage nach dem Mauerfall, am 11.09.1989 um fünf Uhr in der Früh, wurden meine Brüder und ich von unserer lieben Mutter aus unseren Kinderträumen gerissen. Aber ein anderer viel schönerer Traum sollte in Erfüllung gehen. Unsere Mutti sagte mit weit aufgerissenen Augen: „Wir fahren in den Westen! Und jeglicher Ärger, nicht mehr in der Traumwelt zu schweben, war verschwunden. Nur wenige Minuten später saßen wir zu fünft im weißen Trabi und waren schon bald auf der Autobahn. Ja und dieser Moment bleibt unvergesslich, denn ab diesem Zeitpunkt befanden wir uns in einem Schwall aus Millionen von Lichtern, die wie ein Meer fliehender Glühwürmchen leuchteten. Sogar die komplette Autobahn bestand aus grell leuchtenden Autolampen. Es schien, als würde sich das gesamte Volk der DDR auf der Route in den Westen befinden und so dauerte es etliche Staustunden, bis wir bei klirrender Kälte dann endlich unser Ziel Bamberg erreichten. Das war unser erster Schritt in die westliche Richtung und zu diesem Zeitpunkt wurde uns erstmal bewusst, welche Tore sich für uns mit der Wende geöffnet hatten. Endlich hatten wir die Möglichkeit, andere Länder zu erkunden und daher unternahmen wir in den kommenden Jahren viele Reisen in die westlichen Nachbarländer. Am liebsten fuhren wir jedoch in das wunderschöne toskanische Italien und an die dortigen herrlichen Strände, aber machten uns auch mal auf in den Norden — nach Norwegen zum Angeln.

    Während dieser Jahre schlängelte ich mich wie eine stotternde Forelle durch die Schuljahre und war sehr erleichtert, als ich 1999 mein Abitur endlich in den Flossen halten durfte. Nach der Schulpflicht folgte jedoch erstmal die nächste Pflicht — die Wehrpflicht — und noch immer war die Zeit nicht gekommen, meinen eigenen Weg zu gestalten. Trotzdem war ich guter Dinge, da mir wenigstens die Möglichkeit einer Wahl blieb, nicht wie zu DDR-Tagen, als ich nach der Schulzeit gezwungen gewesen wäre, in die Nationale Volksarmee einzutreten. Dieser Spuk war ja Gott sei Dank vorbei. Es bot sich mir die Alternative des Zivildienstes und es war mir völlig klar, dass ich mich für diesen entscheide und somit gegen den Dienst an der Waffe. Die grausige Vorstellung, eingesperrt wie ein Karnickel in einem schäbig sterilen Zimmer mit vielleicht vier bis sechs Schnarchnasen hausen zu müssen, machte mir Angst. Der Gedanke daran, mit großer Wahrscheinlichkeit frühmorgens von jemandem, für den die Rambo Filme sein Heiligtum sind, aus dem sperrigen, ungemütlichen Bett gebrüllt zu werden, erschien mir dermaßen beschränkt, dass ich natürlich liebend gerne den Zettel in die Hand nahm und meine Gründe für die Kriegsdienstverweigerung offenbarte.

    Meine Bewerbung für den Zivildienst schickte ich unter anderem zum Gartenamt von Gotha und erhielt schon nach wenigen Tagen die Nachricht, dass die Friedhofsführung es begrüßen würde, mich für die nächsten zehn Monate zu beschäftigen. Aber daran, dass das Gartenamt zuständig für den Hauptfriedhof ist und sich um die parkähnliche Anlage kümmert, hatte ich natürlich überhaupt nicht gedacht. Der Gedanke, fast ein ganzes Jahr auf dem Friedhof gefangen zu sein, gefiel mir natürlich nicht besonders. Dennoch entschied ich mich dafür, weil ich bei dieser Aufgabe an der frischen Luft und nach getaner Arbeit wie dem Rasenmähen oder Bäumefrisieren, nach nur fünf Minuten Radweg, wieder zu Hause sein konnte.

    Außerdem freute ich mich ein wenig darauf, mit einem Multicar umherzufahren, der den Zivis für sämtliche Tätigkeiten auf dem Gelände zur Verfügung stand. Ja, ab und an bekam ich auch mal die Gelegenheit, alleine im grünfarbigen Wagen zu sitzen, den ich dann meistens in die Nähe einiger größerer Büsche und Hecken steuerte, um mich dort für paar Minuten vor den anderen Zivis sowie der Friedhofsführung zu verstecken. Nach einiger Zeit kristallisierte sich bei der Suche nach einem ruhigen, abgeschiedenen Fleck ein besonderes Versteck heraus, was ganz am Rande des Friedhofs lag, direkt an der Grenze zur Straße, welche die Begräbnisstätte von meinem geliebten Fußballstadion trennte. Dieser Ort wurde schnell mein Lieblingsplatz, denn dort fühlte ich mich unter anderem deshalb so wohl, weil eben die Außenwelt nicht mehr so fern war. An diesem Plätzchen nahm ich mir öfters mal die Zeit, den Motor abzuschalten, meine Füße aufs Armaturenbrett zu legen und die eifrigen Eichhörnchen zu beobachten, die dort ihre Heimat gefunden hatten.

    Es kam auch mal vor, dass es an manch einem Tag nicht besonders viel zu tun gab. An einem dieser Tage war es den Eichhörnchen gelungen, sich vor mir zu verstecken, so dass ich mir eine andere Beschäftigung suchen musste und dabei auf die Idee kam, den Multicar von innen etwas aufzuräumen. Beim Erfüllen dieser Aufgabe entdeckte ich ein Buch mit dem Titel „Sophies Welt" und es wurde von diesem Moment an, als ich im abgesessenen alten Sitz des Fahrzeugs hockte, am Platz meiner Lieblingsecke, an der großen Hecke und umgeben war von urigen und uralten Bäumen, mein stiller Begleiter. Doch ob dieses Werk dafür verantwortlich war, dass in mir der Gedanke wuchs, eine Reise in die Ferne zu unternehmen, kann ich nicht mehr sagen. Eines jedoch weiß ich noch genau: dieses Buch löste allerlei Gedankengänge in mir aus. Und so fasste ich eines Tages den Entschluss, meinen dunkelblauen dreier Golf gegen eine Reise nach Australien einzutauschen. Dieser wohltuende Einfall verschönerte mir besonders an den kälter werdenden Tagen den noch zu absolvierenden Aufenthalt zwischen welken Blumen und Gräbern. Das Ende auf dem Friedhof rückte somit immer näher und mir wurde bewusst, dass ich, bevor ich eines Tages an diesem Ort selbst begraben liegen werde, viele viele Plätze dieses bunten Planeten betreten haben möchte. Doch ganz alleine wollte ich nicht unbedingt aufbrechen, allerdings da keiner meiner Freunde Zeit hatte oder sie sich nahm, musste ich mich zunächst damit abfinden, das kommende Abenteuer wohl alleine anzutreten. Je näher es heranrückte, umso unbehaglicher wurde mir schließlich der Gedanke, weshalb ich mich im Internet nach einer Reisebegleitung auf die Suche begab. Kurz vor dem Abflugtag wurde ich glücklicherweise fündig, packte später mit weniger Sorgen meinen Rucksack und entschied mich in letzter Sekunde dafür, ein kleines, leeres Buch in den beinah überfüllten Sack zu stopfen. Ja, dieses wurde dann zu meinem ersten Reisetagebuch und in der folgenden Geschichte beschreibe ich einige Anekdoten, die ich erlebte und zwar aus der Perspektive eines Zwanzigjährigen, der ich ja damals noch war.

    Kapitel 2

    Erste (große) Reise - Australien

    Bevor ich auf meine eigene Geschichte zu sprechen komme, mag ich bloß kurz darauf hinweisen, dass ich ein paar auserwählte Sätze zur Historie Australiens im Anhang hinterlegt habe. Gern hätte ich auch schon jene Passagen genau hier an jene Stelle eingefügt, aber da mir bewusst ist, dass nicht jeder an geschichtlichen Fakten interessiert ist sowie jene Zeilen meine eigene Geschichte auch zu sehr unterbrechen würden, habe ich diese in den Hintergrund des Buches gepackt. Für all die dann folgenden Länder, von denen ich berichte, handhabe ich es auf dem gleichen Weg. Klar kann jeder solch Informationen selber aus der virtuellen Welt in Windeseile fischen, hingegen mein Gedanke ist dabei, dass es doch noch einfacher und zudem irgendwie auch gemütlicher ist, wenn man dafür mein Buch nicht extra aus der Hand legen muss. Also wer mag, darf gern in die Geschichte Australiens im Anhang hineinschnuppern.

    Am 26.1.2001 stieg ich gänzlich eingenommen von purer Aufregung und Flugangst in das Innere einer größeren Boing, auf den Weg gen Melbourne. Zu dem Zeitpunkt hoffte ich, dass die Tablette, die ich kurz zuvor geschluckt hatte, ihr Versprechen halten und mich vor der wahrscheinlich vereinnahmenden Übelkeit beschützen würde. Doch schon der Gedanke daran, insgesamt 24 Stunden in einem Flieger eingeschlossen zu sein, ließ mir ein paar Schweißperlen über meine Nase flitzen. Zum Glück aber wirkte das Medikament und ich konnte zwei Kalendertage später, nach einem kurzen Zwischenstopp in Dubai und ohne irgendwelche Komplikationen, australischen Boden betreten. Ja, dieser Moment war tatsächlich noch aufregender, als dass ich mir dies zu Friedhofszeiten des Öfteren so bunt ausgemalt hatte und so fühlte ich bei meinen ersten Schritten sogar einen leichten Anflug von Schwindel in mir aufsteigen. Nachdem ich dann mit ein wenig zittrigen Händen in einem Hostel in der Altstadt eingecheckt hatte, sehnte ich mich aber zunächst erstmal nur auf eine ausgiebige Dusche. Und wie gut das tat, all den angesammelten Flugangstsenf vom Körper zu schruppen. Nach der Erfrischung spazierte ich durch die Hauptstadt vom Bundesstaat Victoria und war auch in diesen wenigen Momenten recht angetan vom spürbar lässigen Verhalten der Australier.

    Melbourne hatte in der Zeit, als die ersten Siedlungen in Australien entstanden, das Glück, dass es nie als Strafkolonie genutzt wurde und deshalb machten sich die damaligen Architekten dieser Stadt mehr Gedanken um wohnlicheres Flair mit zahlreichen angelegten Parks. So genoss ich es, durch die grüne Landschaft zu wandern und entspannte meine Knochen hin und wieder damit, mich in eine der Straßenbahnen¹ zu hocken. Auf diesem Weg lernte ich die Stadt sowie ein paar Geschichten kennen, wie beispielsweise die Story eines Aussis älteren Semesters, der mir berichtete, dass Melbourne einst von einem gewissen Herrn Batman gegründet wurde. Ja, genau solche und ähnliche Begegnungen stimmten mich fröhlich, da es so leicht war, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen.

    Am zweiten Tag gesellte sich Sebastian, meine Internetbekanntschaft, zu mir und ich war durchaus froh, nicht mehr alleine durch die Straßen spazieren zu müssen. Gemeinsam machten wir uns am nächsten Tag auf den Weg nach Sydney und waren schwer beeindruckt von dieser Stadt sowie seinen entspannten Bewohnern, sodass wir uns schnell einigten, ein paar Tage zu bleiben und stürzten uns öfters am berüchtigten Bondi Beach in die gefährliche Brandung. Anschließend zogen wir weiter über Newcastle und Port Macquarie bis zur Goldcoast. Und auf all diesen Wegen bemerkte ich in immer mehr Situationen, dass dieser Kerl aus der virtuellen Welt eigentlich überhaupt nicht zu mir passt, oder auch ich nicht zu ihm … Er war völlig unentspannt und wollte am liebsten bereits kurz nach der Ankunft an einem beliebigen Ort schon die weitere Route planen. Für mich aber zählte erst einmal das Ankommen selber und dann mal schauen, was sich alles ergibt. Wegen dieser Dishamonie, die uns beiden auf die Nerven ging, entschieden wir uns in Surfers Paradise dazu, getrennte Wege zu gehen und ich hoffte darauf, schnell jemand Passendes für die weitere Reise zu finden. Doch bevor es so weit wäre, würden wir noch gemeinsam ein für mich sehr prägendes Erlebnis erleben. Ja, leider sollte das meine bis dato schlimmste Erfahrung werden und das an einem Ort mit solch einem vielversprechenden Namen. Das traurige Ereignis passierte am späteren Nachmittag am Strand von Surfers Paradise.

    Ich liebte es schon immer besonders, am Meer rumzuhängen, wenn sich die Sonne mit nicht mehr allzu großer Macht am Himmel präsentiert und so war es dann auch an diesem Tag. So blieben wir in diesen beschaulichen Momenten noch im Sand hocken, als schon die meisten Menschen das Weite gesucht hatten und beobachteten ein paar Surfer. Selbst die Lifeguards, die ansonsten den Strandabschnitt bewachen, entschieden sich dazu, ihre Sachen einzupacken und sich vom Acker zu machen. Kurz nachdem sie verschwunden waren, wollte ich mich dennoch nochmals in die Fluten stürzen. Sebastian blieb hingegen im Sand hocken und wollte aus dem Grund, weil ja keine Beschützer mehr vor Ort waren, nicht mehr ins Wasser. „Ach, komm schon Junge, was soll schon passieren, du kannst doch schwimmen, winkte ich ihm während dieser Worte auffordernd zu und rannte ins Meer. Doch bereits nach wenigen Augenblicken — ich war eigentlich gerade erst ins Wasser gesprungen — spürte ich plötzlich, dass sich irgendetwas anders verhielt als sonst. Aber bemerkte erst nach wenigen Sekunden, was tatsächlich passiert war und erschrak, als ich erkannte, dass sich der Strand von mir ungeheuerliche 60 bis 80 Meter entfernt hatte. „Ach du Scheiße, was soll jetzt dieser Mist!, fluchte ich panisch in die Fluten. Ich bekam Angst und versuchte dummerweise mit all meinen Kräften gegen die starke Strömung zurück zum Ufer zu schwimmen, aber es geschah rein gar nichts. Ich kam einfach keinen Meter vorwärts. Mein Herz pochte dabei so stark, dass ich nicht nur wegen der Anstrengung kaum mehr Luft zum Atmen hatte. In diesen Momenten brüllte ich um Hilfe und blickte in alle Richtungen, ob vielleicht ein Surfer in der Nähe sei und mich retten könnte. In vielleicht 20 Metern Entfernung entdeckte ich einen anderen Treibenden und musste erschreckenderweise feststellen, dass auch er sich quälte, da er ebenso in eine dieser verfluchten Strömungen geraten sein musste. In diesem Augenblick wurde mir glasklar, dass ich ganz auf mich alleine gestellt war.

    Mir wurde bewusst, dass ich um mein Leben kämpfen musste, was bedeutete, dass instinktiv mein ganzer Körper einen puren Adrenalinstoß entwickelte, dabei gleichzeitig die Angst ihren Platz räumte und mein Inneres nochmals all seine Kräfte mobilisierte, um an sein äußerstes Limit zu gehen. Ja, ich spürte nahezu jede kleinste Faser meiner Muskulatur, als ich wie ein Maulwurf im Wasser herumwühlte und noch immer nur kleckerweise vorankam. Natürlich hatte ich keine Lust zu ertrinken und nahm selbstverständlich den ungerechten Kampf gegen die Fluten an. Wild brüllte ich um mich, aber das Meer zeigte kein Erbarmen mit mir, dafür jedoch, dass es viel stärker als ich ist und dazu schluckte ich pausenlos das salzige Wasser. Allerdings nach einigen aussichtslos zu erscheinenden Minuten hatte ich mir das Glück erkämpft und trieb nun leicht schräg durch die Wellen, ja irgendwie geriet ich instinktiv auf den richtigen Weg zurück zum Strand. Genau dieses aufblitzende Aha-Erlebnis brauchte ich auch, um weiterhin meinen Kopf über Wasser zu halten und konnte den mich rettenden Sand schon förmlich riechen, bis ich letztlich nach gefühlten unendlichen Minuten des Gefechts sprichwörtlich völlig erschöpft ans rettende Ufer kroch! Und dann … lag ich erstmal einfach nur da. Meine Lunge schnappte beängstigend nach Luft und ich spürte in meinem gesamten Körper einen einzigen großen mich überziehenden Krampf. Aber ich war heilfroh, am Leben zu sein. Wenige Augenblicke später sprintete Sebastian und ein hektischer, sehr besorgt erscheinender junger Asiate auf mich zu und beide zeigten auf den anderen Lebensmüden, der noch immer mit den Wellen rang.

    Mit letzten Kräften stellte ich mich an ihre Seite und erkannte schließlich auch den Kopf, der noch immer zu weit vom Strand entfernt war und wusste, dass der Asiate den Kampf gegen die Strömung nicht gewinnen würde, wenn nicht ganz bald Hilfe käme. „Die Liveguards sind schon auf dem Weg", sagte Sebastian. Irgendwann, ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, waren sie endlich da, hechteten sich auf ihre Surfbretter und schossen zu dem in diesem Zeitpunkt für mich kaum mehr zu erkennenden Menschen. Es wirkte planlos, wie die Retter umhertrieben und nach dem Kerl suchten, bis ein Helikopter eine hoffnungsvolle Unterstützung leistete. Zeitgleich wurde am Strand und um uns herum der Andrang an gaffenden Menschen stets größer und sogar ein TV-Team glotzte durch die großen Kameras, aber viel schlimmer verhielt sich die Tatsache, dass der junge Asiate nicht mehr zu sehen war … Die Suche erwies sich leider als umsonst und der junge Mensch blieb spurlos in den Tiefen des Meeres verschwunden. Schnell hatte sich der Menschenschwulst wieder gelöst und der Hubschrauber das Weite gesucht, doch ich hockte noch immer am selben Fleck und hatte Bauchschmerzen, was nicht vom viel zu viel geschluckten Wasser herrührte. Ich hatte überlebt, aber ein anderer hatte nicht so viel Glück. Ja, es hätte auch mich treffen können …

    Zwei Tage später wachte ich nicht nur wegen der Hitze schweißgebadet von dem nun schon zum zweiten Mal erlebten und unseligerweise wahren Albtraum, auf. Wo bin ich?, dachte ich mit echter Furcht. Und jedes Mal dauerte es ein paar Augenblicke, bis ich erleichtert erkannte, dass ich nicht mehr gefangen in der Strömung, sondern alleine in einem trockenen Bett in einer winzigen Kammer bei einer Familie auf einer Farm lag. Das Zimmer war aber so klein und zudem vollgepackt mit staubigen Büchern, dass ich tatsächlich nach Luft schnappen musste.

    Einen Tag zuvor hatte ich mich weg vom Wasser und von Surfers Paradise bewegt, auf der neuen Spur hinein in den Dschungel und zu meiner ersten WWOOF-Farm, wo ich am Tag um die vier bis fünf Stunden zu arbeiten hatte und dafür freie Kost sowie Logis bekam. Damals hieß die Abkürzung WWOOF ausgesprochen noch „Willing Workers on Organic Farms, aber diese Bezeichnung wurde etwas später in „World-Wide Opportunities on Organic Farms umbenannt. Die Idee dahinter ist und bleibt jedoch die gleiche: man bringt Menschen zusammen, welchen es auf einer Farm ermöglicht wird, einen naturverbundenen Lebensstil kennenzulernen. Natürlich empfand ich diesen Einfall auch damals schon als sehr interessant, allerdings möchte ich dabei nicht leugnen, dass ich mit dem Programm nicht nur einen tieferen Einblick in das Leben der Menschen in Australien bekommen wollte, sondern mit dieser Art des Reisens etwas Geld sparen konnte.

    Die Farm befand sich mitten im Wald, circa 50 Kilometer entfernt von Surfers Paradise, umschlossen von riesigen Eukalyptusbäumen und völlig abgeschieden von nervigen, über den Zaun blickenden Nachbarn. Die Arbeit, die ich dort zu verrichten hatte, bestand größtenteils daraus, das gesamte Grundstück zu „säubern", wie Bäume zu beschneiden und verrottete Sträucher aus dem Grund zu rupfen, was aber bei dieser extremen Hitze nicht unbedingt eine leichte Aufgabe und überhaupt nicht mit der Arbeit auf dem Friedhof zu vergleichen war. So freute ich mich schon zu Beginn der Tätigkeit auf den feierabendlichen Sprung in den Pool, wobei der Schweiß schnell vom Körper glitt, aber meinen Durst zu stillen, war hingegen ein größeres Unterfangen, da es sich bei dem Wasser, was ich erhielt, um ein ungewöhnlich stinkendes, gefiltertes Regenwasser handelte. Ja, diese Plörre war tatsächlich das einzige Wasser, das es dort gab — so schwitzte ich mehr, als ich trank und wurde zum Glück darüber nicht noch krank. Das Getränk stank nicht nur widerlich, sondern schmeckte zudem fürchterlich und dennoch gab ich mich gedanklich damit zufrieden, weil es immer noch besser war, als Salzwasser zu schlucken. Ich war einfach froh, am Leben zu sein und nahm mir deshalb fest vor, mich nicht mehr mit solchen belanglosen Dingen zu beschäftigen. Ja, dieses traurige Erlebnis, so paradox es vielleicht klingen mag, stimmte mich weitaus friedlicher. Bis mich an einem sehr heißen Vormittag, als ich mit beiden Händen im Gestrüpp herumwühlte, doch tatsächlich eine Spinne in den Arm biss. Schnell ließ ich alles liegen, rannte sofort zum Haus und betete vor mir her: Na hoffentlich war das keine giftige Spinne …

    „Mich hat eine Spinne gebissen!", raunte ich in Richtung Haustür. Wenige Augenblicke später versammelte sich die halbe Familie um mich herum. Natürlich mussten sie mich zunächst beruhigen und schauten während der vielen auf mich niederprasselnden Worte völlig entspannt auf meinen Arm, welchen sie fürsorglich musterten, inwieweit der Spinnenbiss welche Reaktion zeigen würde. Und jene Ruhe der Aussiefamilie übertrug sich zum Glück auf mich und nach vielleicht zwei vergangenen Minuten entschieden sie einstimmig, dass der Biss wohl harmlos sei. Meine Furcht verflog und zudem drückte mir die Hausdame ein äußerst wässriges Wassereis in die Hand. Wahnsinn, schon der zweite Schocker hier in Australien … was soll mir das bloß sagen?

    Nach einer halben Stunde durfte ich meine Handschuhe wieder überstreifen und wurde mit dem Spruch „Take it easy" zurück zum Gebüsch beordert. An dieser Stelle verdrückte ich mir aber das vielleicht zu diesem Zeitpunkt normal einsetzend aufgesetzte Grinsen, glotze dafür etwas komisch und stolperte schließlich übervorsichtig zurück ins Gestrüpp. Zum Glück hatte mich jedoch jener Schreck um den Spinnenbiss herum trotzdem davon abgehalten, dem Abenteuer auf der Farm vorzeitig zu entfliehen, denn es handelte sich insgesamt um sehr interessante Tage mit vielen lehrreichen Erfahrungen. Gerade die haarsträubende Begegnung mit dem Getier empfand ich im Nachhinein sogar als Gewinn, da ich ab diesem Zeitpunkt mit noch wachsameren Augen durch Australien pilgerte und jeden Morgen, bevor ich in meine Schuhe schlüpfte, den Tipp der Aussiefamilie nun auch ernst nahm und meine Schlumpen auf Spinnen untersuchte.

    Ja, die zehn Tage in „Gefangenschaft im Eukalyptuswald vergingen trotz der wenigen freizeitlichen Abwechslung recht schnell. Nachdem ich auch das Farmabenteuer überlebt hatte, hockte ich mich in einen Bus und machte mich auf den Weg nach Brisbane. Auf dieser Strecke zurück in die Zivilisation erblickte ich zum ersten Mal eine ganze Kängurufamilie an der Straße entlanghoppeln. „Juhu, ich bin wirklich in Australien! Aber die kurze Freude über die Tierfamilie hielt leider nur ein paar Augenblicke, denn schon wenige Wimpernschläge später übermannte mich abermals das sehr unangenehme Gefühl des Alleinseins und blitzartig schossen sogar Gedanken in mein Hirn, vielleicht doch schon verfrüht zurück nach Deutschland zu fliegen. Diese Grübeleien überkamen mich ab und an und dennoch war ich froh, weil der Bus in Brisbane und nicht in Frankfurt hielt. Schnell schnappte ich mir meinen Rucksack und war gerade dabei, mich auf die Suche nach einem Hostel zu begeben, als der Busfahrer mir noch Folgendes mit auf den Weg gab: „Zur Orientierung in Brisbane dienen im Stadtkern Frauensowie Männernamen. Die Straßen mit Männernamen verlaufen von Nord nach Süd, und von West nach Ost das sind die Wege mit Frauennamen."

    Mit diesen Worten verabschiedete sich der Fahrer von mir und ich begab mich entlang der Männer-Straßennamen zu irgendeinem Hostel. Es dauerte eine Weile, bis ich dann eine Unterkunft gefunden hatte und mich sofort nach dem Check-In völlig überhitzt sowie mit glühend rotem Kopf auf mein Bett in ein Viermannzimmer schmiss. Zu diesem Augenblick war es zwar erst früh am Abend, jedoch hoffte ich darauf, vor den drei anderen Menschen einzuschlafen, welche ganz offensichtlich durch den vielen herumliegenden Müll ins Zimmer stürzen würden.

    Noch war ich alleine, aber ich fand trotz der Stille im Zimmer einfach keine Ruhe, da mich zu viele Gedanken ärgerten, die mich natürlich vom Schlafen abhielten. Wegen dieser Unruhe in meinem Körper lag ich Stunden später immer noch wach herum und glotzte zum Gitterrahmen an das Doppelstockbett über meinem Kopf. Bis schließlich die Ruhe in der Kammer zusätzlich durch meine Mitbewohner gestört wurde, die in unregelmäßigen Abständen in den kahlen Raum reinplatzten, worauf ich erst recht krampfhaft versuchte, meine Augen zu schließen. Irgendwann waren sie dann alle da, lagen irgendwann in ihren Betten und irgendwann hatte dann endlich auch der Letzte das Licht ausgeknipst. Aber ehe das passierte, begann bereits der Erste, kurz darauf der Zweite und natürlich zu all dem Übel noch irgendwann der Dritte mit dem gruseligen Geräusch des Schnarchens. Wie soll ich hier denn pennen? Das kann doch echt nicht wahr sein! Die Nacht hätte ich mir wirklich sparen können, denn es gab keinen einzigen Moment, an dem nicht irgendeiner von den drei Schnarchnasen mal keine Geräusche von sich gelassen hatte. Doch nach einem weniger schönen Augenblick folgt ja meist wieder ein positiver und so strahlte ich über beide Ohren, als ich am nächsten Tag eine E-Mail von meinem einzigen Cousin in meinem Posteingang entdeckte. Robert studierte zu dieser Zeit an einer Universität in Brisbane, teilte sich mit seiner Freundin für diesen Zeitraum eine kleine Wohnung in der Stadt und freute sich schon auf meinen Besuch. Sobald ich seine Zeilen gelesen hatte, ging es mir von ein auf den anderen Moment schon viel besser und das beklemmende Gefühl des Alleinseins hatte sich in diesem Augenblick von mir verabschiedet.

    So machte ich mich fröhlich auf den Weg in die sonnige Stadt, hockte mich bis zum Abend an den Brisbane River und beobachtete den Umgang der Menschen untereinander. Als ich dann wieder zurück ins Hostel kam, waren sie plötzlich auf einmal alle da — die netten Leute, die ich um mich herum vermisst hatte. Ja, sie waren bereits in meiner Nähe in eben jenem Schnarchkonzert Hostel.

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