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Serafine und der Tyrann: Eine dystopische Humoreske
Serafine und der Tyrann: Eine dystopische Humoreske
Serafine und der Tyrann: Eine dystopische Humoreske
eBook127 Seiten1 Stunde

Serafine und der Tyrann: Eine dystopische Humoreske

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Über dieses E-Book

Wie funktioniert Autokratie in Zukunft - oder etwa bereits heute?
Seraphina wird von A. Stichler umgarnt und gleich zu «seiner Serafine» emporstilisiert. Wird sie dem zusehends narzisstischen und grotesken Gebaren des Tyrannen erliegen oder sich endlich aus seinen Fängen befreien können?
Mit abgründigem Humor entlarvt der Autor in dieser «dystopischen Humoreske» die Mechanismen manipulativer Machtausübung, die nicht zuletzt mit Verführung, Lug und Trug, Willkür und immer dreisterem Sammeln von Daten arbeitet.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Okt. 2021
ISBN9783347398726
Serafine und der Tyrann: Eine dystopische Humoreske
Autor

Paul Johannes Koller

Der Autor studierte in Genf, London und München Philosophie, englische und französische Literatur, Archäologie sowie Wissenschaftstheorie. Beruflich war er als schweizerischer Diplomat in verschiedensten Ländern Europas, des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas tätig. Dabei setzte er sich intensiv mit unterschiedlichen Kulturen und politischen Themen (Demokratie und Autokratie; individuelle und soziale Rechte) auseinander. Er ist verheiratet und lebt derzeit am Zürichsee. 2018 veröffentlichte er unter dem Titel «Die Emails der Lady B.» dreizehn Erzählungen, die Facetten von Liebe und Leben rund um die Welt nachspüren. 2021 erschienen «Serafine und der Tyrann», eine dystopische Humoreske, sowie der Kurzroman «Übermensch».

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    Buchvorschau

    Serafine und der Tyrann - Paul Johannes Koller

    Serafine und der Tyrann

    Alfie Stichler war der cleverste Tyrann aller Zeiten. Jedenfalls hielt er sich selbst dafür, und das war am Ende das Allerwichtigste, letztlich das allein Entscheidende. Verglich er sich mit anderen größeren und kleineren Despoten, Raketenboys, Möchte-gern-Alleinherrschern und – am liebsten - mit schwabbelnden Autokratinnen, die im Gegensatz zur Wirklichkeit in seinem Kopf sprossen wie Unkraut, betonte er gerne, sein ausgewiesener IQ liege bei über hundertachtzig. Dabei verschwieg er, den Intelligenz-Test auf dem Computer zusammen mit einem hochgescheiten, aber gescheiterten Freund aus ärmlichen Verhältnissen, dessen Existenz samt und sonders an seinem Geldbeutel hing, absolviert zu haben, und ebenso, dass sie das erwünschte Resultat erst beim fünften Versuch zustande gebracht hatten. Ohne jegliche Scham hing jetzt der Fetzen Papier mit ‚Alfie Stichler‘ und ‚IQ 180+‘ fett gedruckt und festgenagelt an seinen verschiedenen Aufenthaltsorten über jedem seiner ausladenden Arbeitstische, die sich alle dadurch auszeichneten, spiegelblank herausgeputzt und, abgesehen von einem geheimnisvollen Schlüssel in einem mit Samt ausgeschlagenen Kästchen und einem roten Telefon älterer Machart, gänzlich leer zu sein.

    Wurde er von einem der seltenen Besucher, denen er erlaubte, bis in sein ‚Allerheiligstes‘ vorzudringen, auf das seltsame Papier im dicken Goldrahmen angesprochen, meinte Stichler jeweils nur: „Ach das. Gehört zu meinem Hintergrund. Nicht wirklich von Bedeutung!". Wohl wissend, der ihm geneigte Besucher, denn einen anderen hätte er in dieser Umgebung gar nie empfangen, würde sicher seine Intelligenz rühmen und dazu gleich noch die Mär von ‚einer im Grunde genommen bescheidenen Persönlichkeit, die er eben notgedrungen hinter seinem von Amtes wegen herrischen Auftreten versteckt‘ begierig in die Welt hinaustragen, um dabei nicht zuletzt sich selbst etwas mehr Bedeutung zu verleihen:

    „Wissen Sie, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, es stimmt. Unser Staatsoberhaupt und geliebter Führer hat einen sagenhaften Intelligenzquotienten. Hinter seinem Pult, leicht linker Hand neben dem Porträt eines seiner geschätzten Vorgänger, hängt der Beweis, schwarz auf weiß."

    „Na ja. Sind Sie sicher, dass das Diplom auch wirklich authentisch ist?"

    „Mit Sicherheit. Prägestempel, Datum, Unterschrift, alles ist da."

    „Kaum zu glauben! Damit wäre er ja in der Kategorie eines Einsteins. Und das bei einem Politiker."

    „Nun gut, vielleicht steht da ja nur 160+ - bei der Distanz und bei meinen Augen. Selbst dann wäre es großartig. Ich habe sogar gewagt, Stichler auf das Papier anzusprechen, worauf er ganz bescheiden abwinkte und die Last der Verantwortung betonte, die mit seiner Stellung einhergehe: Das Telefon, mit dem er die bedeutendsten Kollegen der Welt jederzeit in Minuten erreichen könne, und diesen Schlüssel, den er leider jederzeit bei sich tragen müsse, um - nur im äußersten Notfall natürlich und ‚Gott bewahre!‘ – Tod und Vernichtung über das Böse in der Welt zu bringen. Das zeugt doch von echter Intelligenz, nicht wahr?"

    „Ja tatsächlich, Gott bewahre!"

    Darauf wagte kaum jemand weiter zu argumentieren, und tat er es doch, musste er damit rechnen - jedenfalls wenn er denn bedeutend genug war, um den Tyrannen auf sich aufmerksam zu machen -, von Alfies Leuten mit dem Bannstrahl einer vernebelnden Medienkampagne, wenn nicht mit einem wahren ‚Shitstorm‘ überzogen oder sogar mit einer Klage wegen Verleumdung eingedeckt zu werden. Äußerst unangenehm solch eine Scheiße, besonders wenn man etwas auf tadellos weiße Hemden hält, und kostspielig dazu, wenn nicht geradezu ruinös. Wenigstens für die allermeisten Leute in einer Zeit, die Ruhm und Ehre nur noch in Geldeinheiten zu messen vermochte.

    Alfie Stichler rechnete mit den Schwächen seiner Untertanen, genauso wie er mit einer ihm eigenen und unleugbaren Bauernschläue seine Protzigkeit, die ewigen Provokationen, selbst seine Patzer auf der Bühne der Eitelkeiten einsetzte und die absehbaren Reaktionen des Publikums darauf einkalkulierte.

    Und keiner, keine wusste das besser als Serafine.

    Seraphina war zwei Jahrzehnte nach Stichler als drittes von drei Kindern in einem kleinen, unbedeutenden Dorf, dessen Namen man selbst im kleinen, unbedeutenden Land nur im Umkreis von etwa dreißig Kilometern kannte, in diese allmächtige Welt hineingeboren worden. Eine Welt, in der das fragliche Ländchen, wenn dessen Name denn überhaupt bekannt war oder überhaupt wahrgenommen wurde, ständig mit anderen ähnlichen Ländern und deren Namen verwechselt oder bestenfalls falsch buchstabiert wurde.

    Die Eltern des einzigen Töchterchens, das etwas verspätet zu den beiden Knaben, die bereits im Garten zwischen den Buchsbäumen herumtobten, auf die Erde gekommen war, sahen das allerdings ganz anders. Für den Landarzt und seine Frau stand das Mädchen im Zentrum ihres Universums. Es war die Krönung, das Tüpfelchen auf dem I, ein Kind, dem ein ebenso engelhafter Namen gebührte wie den beiden Söhnen Ariel und Michael.

    Einen um den anderen verwarfen sie daher Hunderte Namen aus untergeordneten Engelscharen, feminisierte Formen höherer Engel und so fort. Wer will schon Abachata, Abbetira oder gar Baalzebuba, Lucifera genannt werden, und wie könnte so jemand neben Erzengeln wie Ariel und Michael bestehen? Gabriela von Gabriel, dem Vorsteher ganzer Engelscharen, kam da eher in Betracht, wurde aber mit Rücksicht auf die beiden Knaben verworfen. Das Mädchen sollte gleichberechtigt, aber auch nicht mehr, neben diesen stehen. Rachel - gestützt auf Rahiel – oder doch lieber Raphaela, was dem Landarzt eigentlich gepasst hätte, kam ihnen in den Sinn. Aber seine Frau legte ihr Veto ein und meinte, anspielend auf die ursprüngliche Bedeutung dieser Wörter, ein ‚Mutterschaf‘ wolle sie ebenso wenig in der Familie wie eine ‚Gottesheilerin‘, denn ein Menschenheiler im Hause genüge ihr vollauf. Über diese Begründung, die ihm wirklich an den Haaren herbeigezogen schien, regte sich der Vater furchtbar auf und gab erst klein bei, als er feststellen musste, dass seine geliebte Frau definitiv weder ein ‚Schaf‘ noch eine ‚Heilerin‘ unter ihrem Dach dulden würde.

    Also begannen sie mit der Namenssuche von vorn und einigten sich darauf, die Sache dieses Mal systematischer anzugehen: Listen aller Engelscharen wurden erstellt, jene Klassen ausgeschieden, die überhaupt nicht in Frage kamen, und Namen gestrichen, die von den kommenden Gespielen des Mädchens unter Umständen böswillig oder einfach nur blödelnd verhunzt werden könnten. Und siehe da, da kamen die Cherubim, und da waren die Serafim, und am Ende ergab sich Seraphina wie von selbst. Welche Bedeutung dieser Name - oder doch fast dieser Name - noch erlangen würde, ahnten sie damals allerdings nicht im Geringsten.

    „Serafine sollst du heißen und für immer sollst du meine schöne liebe Serafine sein! Ich jedenfalls werde dich so nennen - alle werden es tun - und ab jetzt wirst du allein mein Engel sein!", flüsterte Alfie Seraphina eines Tages ins Ohr, als sie zusammen über das Tanzparkett wirbelten.

    „Seraphina! So haben meine Eltern mich getauft, nach dem Namen der höchsten Engelschar auf Erden."

    „Ja doch, mein Liebstes, sicher. Aber Serafine klingt doch viel besser - leicht Französisch, etwas geheimnisvoller, deinem schlanken, lichten Körper angemessen! Und als Serafine werde ich dich auf die gleißendsten und mächtigsten Höhen der Welt hieven."

    Damit war die Sache entschieden.

    Alfie duldete keinerlei Widerrede, und Seraphina ließ sich von diesem Hünen, der ihr damals mehr Gott als Wolf zu sein schien und in den besten Kreisen der Metropole auftrat, als wäre er eine Wiedergeburt des großen Gatsby, am Ende überzeugen. Und sie, die neue, die unbekannte Schöne in dieser ungewohnten Welt des Reichtums, der Macht und des Glamours lächelte, wenn Alfie sie nun als ‚meine Serafine - prächtig, himmlisch - aus einem Ort, von dem Sie sicher noch nie gehört haben, aber nichtsdestoweniger auf Erden‘ vorstellte. Und zusammen lachten sie leicht schaudernd, wenn Alfie ihr zugleich grinsend, heimlich - unheimlich - einredete: „Zusammen werden wir die bald alle an die Wand fahren. Du wirst schon sehen!"

    Zu jener Zeit ihrer Verliebtheit in diesen bärenstarken Mann, der entschlossen schien, für sie beide jede Nichtigkeit zu erobern, die es zu erobern gab, schenkte sie dem leicht bedrohlich klingende Versprechen Alfies nicht weiter Beachtung. Inzwischen himmelte sie ‚ihren Alfie‘ an, den sie erst vor ein paar Monaten auf einer Party entdeckt hatte.

    Seraphina, die daheim im Dorf gerne einmal mit nicht weniger als Marlene Dietrich verglichen wurde, war in die große Welt gekommen, um Karriere beim Film zu machen. Entgegen dem Willen ihrer Eltern, die sie lieber in ihrer Nähe behalten hätten - am liebsten als Professorin oder, wenn es sein musste, an der Seite eines bodenständigen Mannes, vielleicht eines Arztes oder Rechtsanwalts. Als ihnen das mit Marlene zu Ohren gekommen war - Seraphina war gerade siebzehn geworden - setzten sie alles daran, ihr die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, Predigten oder Vorwürfen, was in diesem Alter sowieso schlecht bis gar nicht angekommen wäre. Vielmehr versuchten sie es mit einer Reihe von Filmen, die sie sich an faulen Sonntagen gemeinsam anschauten. Begonnen wurde mit ‚Dieses obskure Objekt der Begierde‘ von Buñuel. Später war ein früher Film mit Brigitte Bardot als ‚femme‘ sowie einigen Hampelmännern, die um sie herumtanzten, an der Reihe. Schließlich ‚Der Teufel ist eine Frau‘ von Sternberg mit der wahren Marlene. Die Absicht ihrer Eltern war klar. Der jungen Frau sollte plastisch vorgeführt werden, wie

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